Zusammenfassung
In diesem Beitrag werden Forschungsstände bzgl. der gesellschaftlichen Notwendigkeit der Partizipation junger Erwachsener, theoretischer Überlegungen und verfassungsmäßiger Grundlegungen sowie Analysen mit dem Fokus auf den Stellenwert von Persönlichkeiten, persönlichen Belangen und biographischen Aspekten politischer Akteur*innen diskutiert. Diese gesellschaftlichen, strukturellen und medialen Erwartungshaltungen an politisches Handeln werden in einem zweiten Schritt mit Positionierungen junger Erwachsener im Hinblick auf den Umgang mit diesem Phänomen kontrastiert. Auf diese Weise werden Diskrepanzen zwischen Erwartungen im politischen Feld und den Positionierungen junger Erwachsener in politischen Institutionen reflektiert, welche im Kontext von Transformationspotentialen und -dynamiken diskutiert werden.
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Notes
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Entsprechend der in diesem Beitrag analysierten Interviews mit Anfang- bis Mitte-20-Jährigen nutzen wir den Begriff der ‚jungen Erwachsenen‘, um deren Position zwischen Jugend- und Erwachsenenstatus und die damit einhergehende Gleichzeitigkeit von Autonomie (z.B. Volljährigkeit mit bspw. umfänglicheren Partizipationsmöglichkeiten) und Abhängigkeiten (gesellschaftliche Erwartung der Einmündung in den Arbeitsmarkt, familial, z.T. finanziell, usw.) begrifflich abzubilden. In dieser Konzeption der Altersphase ab der Volljährigkeit bis ins späte dritte Lebensjahrzehnt werden theoretische Aspekte von Postadoleszenz (z.B. Zinnecker 1982) oder auch emerging adulthood (z.B. Arnett 2004) integriert und junge Erwachsene im Spannungsfeld gesellschaftlicher Entwicklungen und Erwartungsstrukturen positioniert (vgl. z.B. die Beiträge in Rietzke und Galuske 2008). Zugleich sind wir aufgrund der verschiedenen Operationalisierungen der Altersgruppen darauf verwiesen, auf Studien zu rekurrieren, die mit der Begriffsbestimmung ‚Jugend‘ forschen.
- 2.
Auch wenn z.B. Schneekloth und Albert (2019) noch immer den Begriff der ‚Politikverdrossenheit‘ in Anschlag bringen, spezifizieren sie ihn auf „eine ganz konkrete Unzufriedenheit mit Politikerinnen und Politikern sowie mit den politischen Parteien“ (S. 48) und konstatieren gleichzeitig eine Stabilität des politischen Interesses und eine Demokratiezufriedenheit (S. 48f.).
- 3.
Bohnsack (z.B. 2017, S. 80f.) entwickelt in einer praxeologisch-wissenssoziologischen Perspektive das Modell des Orientierungsmusters, welches als Oberbegriff Orientierungsrahmen (im engeren und im weiteren Sinne) sowie Orientierungsschemata umfasst. In einer wechselseitigen Beziehung zueinander stehen dabei der Orientierungsrahmen im engeren Sinne als Struktur der Handlungspraxis, als Modus Operandi der (Prozess-)Struktur sowie Orientierungsschemata in Form von normativen Ansprüchen, (sozialen) Identitätsmustern, Stereotypen, exterioren Forderungen, institutionalisierten (Verhaltens-)Erwartungen, Common-Sense-Entwürfen, rollenförmigen Erwartungserwartungen, usw. Handlungsanforderungen und -erwartungen auf der Ebene von Orientierungsschemata sind dabei erst durch den Orientierungsrahmen im engeren Sinne hindurch rekonstruierbar und dieser formiert sich in Auseinandersetzung mit den Orientierungsschemata. Diese Beziehung und wechselseitige Konturierung von Orientierungsrahmen im engeren Sinne und Orientierungsschemata fasst Bohnsack (2014) mit dem Begriff des Orientierungsrahmens im weiteren Sinne, da Orientierungsschemata erst in der Handlungspraxis selbst ihre Rahmung erfahren.
- 4.
Das Projekt nutzt den Begriff ‚Engagement‘, um Praktiken nicht nur in institutionalisierten politischen Handlungsfeldern in den Blick zu nehmen.
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Leinhos, P., Helwig, T. (2024). Geht‘s um Inhalte oder geht’s um Personen? Positionierungen junger Erwachsener zu Erwartungshaltungen an ihr politisches Handeln. In: Bock, K., et al. Pädagogische Institutionen des Jugendalters in der Krise. Studien zur Kindheits- und Jugendforschung , vol 8. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-43602-5_16
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