Im Folgenden werde ich den Positionierungsdimensionen folgend (s. o. 6.1) das Selbstbild, die Aufgaben, die Agency und die Deutungsmuster im thematischen Feld Natur rekonstruieren. Es werden unterschiedliche Datentypen (Prospekt, Interview und teilnehmende Beobachtungen) analysiert. Bei dem Bestattungsverein für Frauen (Fall Nr. 3, s. o. 4.5) zeigt sich auf allen vier Positionierungsdimensionen eine starke Orientierung an dem thematischen Feld Natur. Daher widme ich diesem Fall von Ritualleitung in diesem Kapitel besondere Aufmerksamkeit.

7.1 Selbstbild

Belege für die Herleitung der eigenen Agency aus der Integration des Todes ins Leben, wobei die Natur Tod und Leben vereint, finden sich prototypisch in der Positionierung des Falles Nr. 3. Die Verankerung des Selbstverständnisses als Schaffung eines eigenen Berufsbildes wird auch in der gewählten Selbstbezeichnung deutlich (Abbildungen 7.1 und 7.2).

Abbildung 7.1
figure 1

Prospekt [Vereinsname, L.R.] (Aussenseite)

Für die Analyse des Selbstverständnisses ist der Ausschnitt «Bestattung in Frauenhänden» besonders relevant:

Abbildung 7.2
figure 2

Prospekt [Vereinsname, L.R.] (Detail, Innenseite)

Schon bei oberflächlicher Lektüre des ausgewählten Ausschnitts zeigt sich, dass die eigene Geschlechtszugehörigkeit als «Frau(en)» für das Selbstbild diese Position entscheidend ist. Frauen werden als Gebärende, Hebammen und Begleiterinnen der Toten beschrieben. Der Verein wird als eine Kategorie einer Gemeinschaft eingeführt. Es wird ein Zusammenhang zwischen dem Gebären, der Geburtshilfe und der Begleitung von Toten hergestellt.

Der Ausgangspunkt für die Feminisierung des Berufs ist ein zyklisches Verständnis des Vereins. Dazu gehört die biologische Fähigkeit der Frau, zu gebären und Menschen Leben zu schenken und mythologisch konstruiert auch wieder zu verabschieden. Frau-Sein definiert sich auf diese Weise über biologische Merkmale des weiblichen, gebärfähigen Körpers. Die Wortneuschöpfung des Vereins wird nicht explizit eingeführt, aber über das eigene Aufgabenspektrum deutlich gemacht. Dies geschieht zunächst in metaphorischer Sprache: «Sie betten die Toten in ihre Fähre und bringen sie an die Ufer der Anderswelt». In diesem Sinne sind sie Wegbegleiterinnen. Die Symbolik der Totenfähre und des Flusses, den die Toten nach dem Tod überqueren müssen, findet sich in verschiedenen Mythologien. Zumeist handelt es sich dabei um einen Fährmann, wie z. B. in der griechischen Mythologie um den Fährmann Charon. Das Aufgabengebiet wird also zugleich in eine mythologisch tief verwurzelte Tradition und in biologische, als natürlich gegebene Eigenschaften der Frau eingebettet und erhält somit eine doppelte Legitimation. «Bestattung in Frauenhänden» und das Handwerk grenzen sich implizit von einer männlich dominierten Bestattertätigkeit ab. Die Analyse des Interviews im Hinblick auf Gender zeigt, dass Männer im Interview vor allem in Hinblick auf negative Beispiele vorkommen (so z. B. in einer Erzählung über einen Tag mit einem Bestatter, in der der Bestatter mit der Aussage zitiert wird, dass Bestatterin kein Beruf für Frauen sei, P 42).

In dem Abschnitt über das Handwerk wird deutlich, dass dieses Selbstverständnis nicht nur Verantwortlichkeiten für die Aufgaben im Zusammenhang mit der Versorgung der Leiche umfasst, sondern auch die Gestaltung und Leitung von Abschiedsfeiern. Neben den Aufgaben im konkreten Todesfall geht es auch um die Verbreitung der Ideen in der Vereinsarbeit.

Das Selbstverständnis zeichnet sich nicht primär durch die Mitgliedschaft im Verein aus, sondern durch spezielle biographische Erfahrungen von Berufung und Eignung. Im Interview zeigt sich das Selbstbild entsprechend im Rahmen einer individuellen biographischen Perspektive:

bei mir spukte das schon lange im hinterkopf rum, (L: ja) und ähm ich=ich hab beim paddeln dann irgendwann habe ich dann diesen begriff [Vereinsname, L.R.], äh is mir zugefallen und, ähm da ich hab dann angefangen mit mit freundinnen, und auch aus aus meinen ritualkreisen auch erst mal zu gucken, gibts da welche, die auch interesse hätten an dem thema (MSchäublin, P 9)

Für das Selbstbild ist entscheidend, dass sich der Begriff [Vereinsname, L.R.] aus einer konkreten Situation ergeben hat und dann erst metaphorisch übertragen wurde (is mir zugefallen und ähm da ich hab dann angefangen).

Die andere Interviewpartnerin, AWyrsch, formuliert einen Auftrag, der sich aus der eigenen Geschlechtszugehörigkeit ergibt:

aber für mich ist es wirklich das, eben auch das zyklische verständnis, und ich merk ja mit meinem eigenem körper wie nah ich diesem bin, ich bin dem viel näher als dem mann, logisch ist mir so geschenkt, ist mir so auf- aufgetragen, und und ich denke, dass das einfach bei bei im umgang mit dem tod eben ganz wichtig ist, dass ich das dass wir frauen das einbringen können (AWyrsch, P 339)

AWyrsch sieht sich als Frau ebenfalls berufen für die Tätigkeit: ist mir so geschenkt, ist mir so auf- aufgetragen bin dem viel näher als dem mann logisch ist mir so geschenkt.

In ihrer Konstruktion wird die Notwendigkeit, Bestatterin zu werden, im Nachhinein über ihre Erfahrung des Zyklischen begründet., die sich für sie im eigenen Körper und in ihrer Berufswahl zeigt.

ich hatte rituell überhaupt keine erfahrung nein, ich bin bestatterin geworden eigentlich ähm über den tod meines vaters, wo wir eine ganz tolle ähm bestatterin hatten, die eben auch so als=als frau (L:mhm) äh neues versucht hat und neues gemacht hat, und und da da bei diesem trauergespräch, da habe ich mich einfach bei jedem zweiten satz gehört, wie ich mit den zukünfigen eltern äh gesprochen (L:mhm) habe über die kommende geburt und da am ende des des lebens, es=es waren die gleichen sätze, es war die gleiche intuition die gleiche absicht, äh auch wirklich ähm entschleunigen (L:mhm) ähm, wirklich auch das sinnliche wahrnehmen, was passiert denn eigentlich oder was ist passiert (AWyrsch, P 21)

Die Berufung als Bestatterin wird über die Evidenz der eigenen Erfahrung mit einer Frau als Bestatterin eines nahen Angehörigen und einer Analogie von Geburt und Tod und Sterben konstruiert. Ihre eigene Hebammentätigkeit wird in Analogie zur Tätigkeit einer Sterbeamme gedeutet. Parallel zu ihrem eigenen Älterwerden verschiebt sich bei ihr das Selbstbild als Hebamme zum Selbstbild als Bestatterin (AWrysch, P 22).

unsere konkurrenz ist gratis, also wie macht man sowas, es war von anfang an klar, wir gehen nicht ins ehrenamt (L:mhm) wir wollen ganz klar auf honorarbasis arbeiten, wir wollen davon leben können, wir verstehen den begriff [Vereinsname, L.R.] als berufsbild (L:mhm) (MSchäublin, P35)

MSchäublin spricht hier an, dass bestatterische Tätigkeiten im Kanton Zürich gratis sind, da sie von den Steuern bezahlt werden. Sie positioniert sich in Differenz zu anderen Akteur*innen im Bestattungswesen (vgl. 9.1). Die Verankerung des Selbstverständnisses als Berufsbild vereint den Wunsch nach Wertschätzung der Tätigkeit durch Entgelt und die innere Bestimmung, anhand derer sie sich in einer historischen und mythologischen Kontinuität als Frauen in der Begleitung der Toten verorten.

MSchäublin versteht ihre Tätigkeit als Beruf und und will sich daher nicht im Ehrenamt positionieren. Hier klingt auch ein politisches Motiv an: Unbezahlte und schlecht bezahlte Arbeit wird mehrheitlich von Frauen geleistet, und als von Frauen geführtes Unternehmen wollen sie sich gegen dieses Ungleichgewicht wenden.

Mit der beruflichen Selbstständigkeit sind auch Fragen der Rentabilität, des Marketings und der Konkurrenz zu anderen Anbieter*innen verbunden (Marktorientierung).

7.2 Aufgaben

Aus dem Selbstbild der Begleitung der Toten und der Hinterbliebenen, wie es in dem Prospekt des Vereins beschrieben ist (Abbildung 7.1), ergibt sich ein breites Aufgabengebiet der Begleitung, das Beratung und administrative Tätigkeiten im Todesfall, Bestattungshandwerk und Abschiedsrituale umfasst. Zusätzlich gehört zu den Aufgaben «Öffentlichkeitsarbeit, Kulturangebot und Publikationen» für ein «bewusstes Leben in Anerkennung des Todes».

Bei den Aufgaben wird zwischen Handwerk und Ritualen getrennt. Im Interview mit MSchäublin heisst es: wir wollen zweigleisig fahren (P 31). Gleichzeitig werden diese Aufgabenbereiche aber auch zusammengefasst. Unter der Überschrift: «Was umfasst das Handwerk einer [Vereinsname im Singular]?» werden auch «Gestalten und Leiten der Abschiedsfeier, Letztes Geleit auf den Friedhof oder Abschiedsrituals in der Natur» zum Handwerk dazugezählt. Das Bestattungshandwerk umfasst bei ihnen «Beratung bei den letzten Dingen und Wünschen, Tote pflegen, einsargen und aufbahren, Überführung und Bestattung organisieren, Behördenkontakte und Todesanzeige» (Abbildung 7.2).

Im Interview stellt sich heraus, dass die Gruppe keine Überführung organisiert (P 58). Darin zeigt sich eine Differenz zwischen den Wünschen der betroffenen Gruppe und der Organisation des Bestattungswesens in der Schweiz (s. o. 4.2 zur Organisation des Bestattungswesen in der Schweiz).

Die Bedeutung der Aufgabe der Totenfürsorge für die Ritualleiter*innen und die Hinterbliebenen wird im Interview betont:

in der zeit, also das sterben ist nicht ne geschichte vom vom letzten atemzug, das ist nicht ne sekundengeschichte, das dauert und äh diese qualität zu erfahren und die dann, wenn ich die wahrnehme, die auch zu kommunizieren (MSchäublin, P 283)

Ihre Aufgabe ist demnach, Sterben und Tod erfahrbar zu machen. Die Totenfürsorge bietet für das Erfahren von Sterben und Tod besondere Möglichkeiten, da eine unmittelbare Konfrontation mit dem Tod ermöglicht wird. Die Umsetzung einer «Wachheit des Tuns» (P 59) ist auch eine Übersetzungsleistung. Als Teilaufgabe ergibt sich daraus das Wahrnehmen und Versprachlichen der unmittelbaren Situation, der Gefühle und der Ereignisse. Dabei werden Bewusstheit und Kommunikation, Transparenz, Zeit und Gestaltung hervorgehoben (P 59, P 67, P 100).

Ähnlich wie MSchäublin versteht es auch PKuster als ihre Aufgabe, die Wahrnehmung des Toten und des Toten Körper an die Angehörigen zu vermitteln.

da han i wirklich die verstorbene, lüt ufgefordert sie no azulange, über backe streichle über händ streichle, und so de tod spüre im sinn vo kälti spüre, vom tod vom tote mensch (PKuster, P 48)

da habe ich wirklich die Verstorbene, die Leute aufgefordert sie noch anzufassen, über die Backe zu streicheln über die Hände zu streicheln und so den Tod zu erfahren im Sinn vom Spüren von Kälte, vom Tod, vom toten Mensch (PKuster, P 48)

Der Miteinbezug der Angehörigen im Bestattungshandeln wird über die Bedeutung der Todeserfahrung legitimiert. Eine Enttabuisierung des Todes und der Zuwendung zu den Toten auch in einem körperlichen Sinne stehen an dieser Stelle im Vordergrund.

Als Aufgabe für die Hinterbliebenen heben die Ritualleiter*innen dieser Positionierung hervor, dass sie ihre Toten zu Grabe tragen (M Schäublin, P 80). Die Ritualleiter*innen wie RFischer und PKuster bieten den Hinterbliebenen an, diese Aufgabe ebenfalls zu übernehmen. Weitere Aufgaben, die über die unmittelbare Begleitung der Toten hinausgehen, betreffen das gemeinsame Feiern der Jahreskreisrituale, in denen der eigenen Sterblichkeit und den Ahnen gedacht wird (MSchäublin, P 390).

7.3 Agency

Innerhalb der Darstellung von Agency wird von einer externen Wirkmächtigkeit ausgegangen, die sich aufgrund des Todes als Naturereignis ergibt. Die Rhythmen der Natur, zu der auch die körperlich-sinnliche Konfrontation mit dem Tod gehört, werden als ausserhalb der von den Menschen beeinflussbaren Wirklichkeit verstanden. Im zyklischen Vergehen findet der Tod eine Verkörperung. Diese Wirkmächtigkeit zeigt sich auch im weiblichen Körper. Frauen wird daher eher ein Zugang zu dieser Agency zugesprochen. Sie können auf die Rhythmen der Natur besser reagieren und können auf diese Weise als Begleiter*innen der Neugeborenen und der Toten eine externe Agency im Wortsinn verkörpern.

In ähnlicher Weise, wie der Tod als natürlich konstruiert wird, werden auch Abläufe des eigenen Lebens als natürlich gegeben präsentiert. Im Interview zeigt sich dies über die Präsentation eines passiv-aktiven Handlungsschemas. Ein ähnliches Handlungsschema hat Beate Wegener-Merkle für Interviews mit werdenden Müttern rekonstruiert. Die Interviewpartnerinnen «fühlen sich nicht im negativen Sinne passiv einem unbeeinflussbaren Schicksal ausgeliefert, sondern fügen sich bewusst in natürliche Prozesse ein, die als mächtiger als sie selbst wahrgenommen werden» (Wegener-Merkle 1995: 126).

Im Folgenden führe ich verschiedene Belege für dieses Handlungsschema an. Es zeigt sich z. B. in der Art und Weise wie MSchäublin die Entstehungsgeschichte des Vereins und Unternehmens darstellt:

bei mir spukte das schon lange im hinterkopf rum (L: ja) und ähm ich=ich hab beim paddeln dann irgendwann, habe ich dann diesen begriff [Vereinsname, L.R.], äh is mir zugefallen und ähm da ich hab dann angefangen mit mit freundinnen und auch aus aus meinen ritualkreisen auch erst mal zu gucken, gibts da welche die auch interesse hätten an dem thema und au=daraus hat sich dann ne kleine gruppe entwickelt, ähm in der wir uns dann regelmäßig zu sogenannten zukunftswerkstätten (L: mhm) getroffen haben, also ich hab das angeregt, aber aber die die entstehungsgeschichte war dann wirklich auch nen gruppenprozess (MSchäublin, P9)

Der Satz könnte wie folgt weitergehen „dann irgendwann habe ich dann diesen begriff […]“ -entdeckt, -eingebracht. Sie korrigiert sich hier aber und macht deutlich, dass nicht sie selbst sich als die Urheberin des Vereins und Unternehmens sieht, sondern, dass eine externe Agency den Entstehungsprozess dieser Gruppe ausgelöst habe. Die Wortneuschöpfung des Vereinsnamens ist ihr «zugefallen», kommt also einer Art Berufungserlebnis gleich. Im Vordergrund steht eine konkret erlebte eigene Situation (s. o. 7.1).

Agency erwächst also aus der Erfahrung einer Berufung. Die Berufung [Vereinsname im Singular, L.R.] wird als ein natürlicher Prozess verstanden, dem die Interviewpartnerin aktiv durch die Agentivierung einer Gruppe eine konkrete Gestalt geben kann:

ich hab ich hab dann angefangen mit mit freundinnen und auch aus aus meinen ritualkreisen auch erst mal zu gucken, gibts da welche […] ich hab das angeregt, aber aber die die entstehungsgeschichte war dann wirklich auch nen gruppenprozess (MSchäublin, P9)

[…] es waren einzelne erfahrungsfelder, die sich bei mir kumuliert haben (MSchäublin, P 31)

Die Urheberschaft und Durchschlagskraft für das Unternehmen und den Verein schreibt sie nicht sich selbst zu, sondern der Gruppe.

ja ja und wir haben eben bei diesem diesem, bei diesem aufbau der [Vereinsname, L.R.] haben wir uns wirklich auch ganz, wir haben ganz viel meditiert miteinander, wir haben viel ritualisiert miteinander, wir haben ähm wir haben gesagt ja, wo lernen wir das bestattungshandwerk, (L:mhm) also einige von uns sind, sind wirklich gegangen, haben sich haben sich ähm möglichkeiten versucht zu erarbeiten, um das zu lernen […] (MSchäublin, P 46)

MSchäublin beschreibt, dass aus gemeinsamer Meditation und Ritualisierung eine gemeinsame Handlungsmacht und Gestaltungsmacht erwachsen ist, die massgeblich für die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe ist. Es wird deutlich, dass einerseits eine spirituelle Praxis und andererseits das praktische Handwerk für die Gruppe wichtig sind. Hier kann folgende These gebildet werden: Aus der Meditation und den gemeinsamen Ritualen erwächst Agency für den Aufbau des Unternehmens. Dies setzt sich bis heute in der Arbeit des Unternehmens fort. Gemeinsame Aktivitäten des Vereins bestärken die Frauen des zugehörigen Unternehmens, die entgeltlich die rituellen Begleitung der Toten übernehmen.

Das passiv-aktive Handlungsschema zeigt sich auch im Prospekt (Abbildung 7.1) in der Betonung des «Da seins». «Da zu sein» bedeutet, aufnehmend und reagierend auf das Gegenüber einzugehen, ohne dabei voreingenommen gegenüber dem Tod zu sein. Die eigene Agency gründet also auf eine Präsenz («da sein»), die im Angesicht des Todes ihre «Gelassenheit» zur Verfügung stellt. «Sich einlassen», «begleiten», «ermutigen» und «schweigen» gehören zu dieser Agencyform, die implizit einer auf Vernunft und offensiver Erklärung beruhenden Agency gegenübergestellt wird.

Die Auswertung hat weiter ergeben, dass die beiden interviewten Frauen im Zusammenhang mit ihrer Darstellung von Agency aufgrund des Todes oft von «Qualität» sprechen. Der Invivo-CodeFootnote 1 Qualität ist hier ein Synonym für positiv konnotierte Agency, die mit dem Tod verbunden ist und das passiv-aktive Handlungsschema in besonderer Weise herausstellt.

qualität vom leben geben und leben auch wieder verabschieden, also diese rückkehr der toten in die ähm in die andere welt, von der wir vielleicht zu zu recht nicht so genau wissen wie sie ist oder was sie beinhaltet (R:mhm), äh aber diese qualität ist für mich ne stark weiblich geprägte qualität (MSchäublin, P 326)

in der zeit also das sterben ist nicht ne geschichte vom vom letzten atemzug, das ist nicht ne sekundengeschichte, das dauert und äh diese qualität zu erfahren, und die dann, wenn ich die wahrnehme, die auch zu kommunizieren (MSchäublin, P 283)

In der Sprache von MSchäublin wird die besondere Sensibilität für den Tod durch den Ausdruck «Qualität» markiert. «Qualität» umschreibt die Sensibilität für die Erfahrbarkeit des Todes. Im ersten Zitat gründet diese Sensibilität der Begleitung auf Weiblichkeit. Im zweiten Zitat bezieht sie sich auf die unmittelbare Erfahrbarkeit des Todes. Qualität ist der Anteil ihrer Arbeit, dem sie eine externe Wirkmächtigkeit zuschreiben und der ihre eigene Handlungsmächtigkeit vergrössert. Durch Ritualisierungen können sie diese Qualität verstärken. Im Jahresverlauf und Gesprächskreisen setzen sie sich stetig mit Handlungen und Gedanken auseinander, die auf das Erfahren dieser «Qualität» abzielen.

Ein weiterer empirischer Beleg für die Verwendung des Codes von Qualität findet sich im Interview im Zusammenhang der Beschreibung der Bedeutung des Lichterfestes, das für sie im Jahreslauf den Beginn einer Zeit markiert, in der die Verbindung zum Tod und zu den Toten besonders spürbar wird: diese qualität von sich begleiten lassen von den toten (P 440). Trotz dieser spezifischen «Qualität» als einer Nähe zum Tod und zur Geburt bleibt die Postmortalitätsvorstellung vage, und die praktischen und sprachlichen Handlungen sind immer nur eine Annäherung an den Tod.

Eine passiv-aktive Agency beschreibt AWyrsch, die Kollegin von MSchäublin, mit der sie ihren Werdegang als Bestatterin erklärt:

ich hatte rituell überhaupt keine erfahrung nein, ich bin bestatterin geworden eigentlich ähm über den tod meines vaters, wo wir eine ganz tolle ähm bestatterin hatten, die eben auch so als=als frau (L:mhm) äh neues versucht hat, und neues gemacht hat und und da da bei diesem trauergespräch 'da habe ich mich einfach bei jedem zweiten satz gehört' wie ich mit den zukünfigen eltern äh gesprochen (L:mhm) habe, über die kommende geburt und da am ende des des lebens es=es waren die gleichen sätze ,es war die gleiche intuition die gleiche absicht, äh auch wirklich ähm entschleunigen (L:mhm) ähm wirklich auch das sinnliche wahrnehmen, was passiert denn eigentlich oder was ist passiert (AWyrsch, P 21)

AWyrsch thematisiert ebenfalls ihre Berufung als Bestatterin. Sie legitimiert sich als Bestatterin und sieht eine Analogie zwischen Geburtshilfe und Bestattung, die sich auch in ihrer eigenen Berufsbiographie findet (es waren, die gleichen sätze, es geht darum zu entschleunigen, die gleiche intuition, P 21) Sie schreibt einer externen Kontrolle eine passive Handlungsmacht zu, die ihr Leben bestimmt. Auffällig dabei ist das sinnliche Wahrnehmen, was passiert da eigentlich oder was ist passiert. Die externe Agency kann demnach nur dann erlebt werden, wenn Zeit bewusst wahrgenommen wird, so wie sie das für ihr eigenes Leben und im Besonderen für Geburt und Tod konstruiert. Geburt und Tod bilden als konkrete körperliche Erscheinungsformen in ihrer sinnlich wahrnehmbaren und körperlichen Performanz einen Ausdruck externer Agency. AWyrsch ist davon überzeugt, dass eine externe Kontrolle ihr Leben bestimmt: ich hab noch nicht gewusst, was wird kommen aber es war mir klar, dass irgendwann kommt irgendetwas (AWyrsch, P 22). Die biographische Neuorientierung steht ausserhalb einer rationalen Entscheidungsfindung, bei der nicht sie das Leben in der Hand hat, sondern unbestimmte Grössen ihr den Weg weisen. Sie präsentiert also Zuversicht trotz Nichtwissens. Die biographische Neuorientierung erfährt über ihre Konstruktion eine Legitimation, die ausserhalb einer rationalen Entscheidungsfindung steht. Damit erhält die Tätigkeit als Bestatterin die Konstruktion einer Sinnhaftigkeit über die Analogie zwischen Geburtshilfe und Bestattung («es waren, die gleichen Sätze, es geht darum zu entschleunigen, die gleiche Intuition», AWyrsch, P 21) und über die passive Handlungsmacht einer externen Kontrolle.

Für das Agency-Verständnis von MSchäublin und AWyrsch im thematischen Feld Natur ist konstitutiv, dass Geburt und Tod über die sinnlich-leibliche Erfahrung eines Menschen hinausweisen und nicht vollständig erklärbar sind. Sie sind Teil der Gesetzmässigkeiten der Natur und bieten Zuverlässigkeit. Sie sind eine Konstante und eine externe Wirkmächtigkeit. Dabei geht es darum, sich selbst als Teil dieser Natur zu sehen.

Ähnlich ist auch für UMeier Natur die treibende externe Kraft. Sie, die Natur, «bietet» (P 719) etwas, und es obliegt ihr als Ritualleiterin, den Teilnehmenden dazu einen Zugang zu verschaffen. Die Ritualleiterin hat hier die Rolle einer Vermittlerin inne. Beobachtungen und Interviews mit Angehörigen bestätigen die Rolle der Ritualleiterin als Vermittlerin zwischen den Kund*innen und der Natur. Die Wertschätzung der Natur und die Integration der Natur in ihr alltägliches Leben werden in ihren Praktiken unterstützt. UMeier spricht zu den Pflanzen und widmet sich in besonderer Weise den Orten. Nach der Beobachtung einer Abschiedsfeier am Vierwaldstättersee am 02.02.15 sagt die Ritualleiterin zu mir, als wir gemeinsam im Zug sitzen, dass sie nachher noch zu der Natur Kontakt aufgenommen habe. Dazu habe sie einen Stein ins Wasser geworfen (Beobachtungsprotokoll 02.02.15), so dass der Verstorbene jetzt gut aufgehoben sei.

7.4 Deutungsmuster

7.4.1 Akzeptanz statt Verdrängung des Todes

Für das Deutungsmuster der Akzeptanz des Todes innerhalb dieser Positionierung wird zunächst wieder die Selbstpräsentation anhand des Beispiels aus dem Prospekt (Abbildung 7.1 und Abbildung 7.3) analysiert. Die gewählte Überschrift «Tod und Abschied im Lebensfluss», die auf der Vorderseite des Faltblatts quer gedruckt ist und sich auf der Innenseite sowie auf der Homepage findet, kann als ein Plädoyer dafür verstanden werden, das Phänomen des Todes und des Abschieds von einer bestimmten Person bzw. von der Welt als zum Leben dazugehörig zu bestimmen. Abschied bezieht sich auf die Hinterbliebenen, die fortan ohne die verstorbene Person auskommen und von daher Abschied nehmen müssen. Gleichzeitig werden Tod und Abschied durch die Vorstellung eines «Lebensflusses» relativiert, die den Tod in ein übergeordnetes (weiter-)fliessendes Geschehen einbettet. Es wird hier ein Umgang mit dem Tod impliziert, der den Tod (im Lebensfluss) akzeptiert und sich gegen das Deutungsmuster «der Verdrängung des Todes in der westlichen Welt» richtet. Weitere Beispiele für dieses Todesbild finden sich auch in der Selbstbeschreibung und der Zielsetzung des Vereins («In Anerkennung des Todes leben»), die sich auf der Rückseite des Prospektes befinden:

Abbildung 7.3
figure 3

Prospekt [Vereinsname, L.R.] (Detail, Aussenseite)

Zunächst fällt die Form der Darstellung auf. Der mit «Anerkennung des Todes» überschriebene Abschnitt erscheint in Versform mit vier Teilen, die jeweils mit «Wir» eingeleitet werden und einen Satz mit ähnlicher Konstruktion einschliessen. Die Botschaft kommt damit programmatisch und eindringlich zur Geltung. Der Text erinnert dabei an politische Statements, die mit Aufzählungen, die mit «Wir» beginnen, überzeugen sollen und die Kompetenzen der Organisation zusammenfassen. Zugleich wecken diese Sätze Assoziationen an ein Bekenntnis, mit dem sich die Autorinnen auf Normen ihrer Einstellungen und Verhaltensweisen in expliziter Weise festlegen. In Anerkennung des Todes zu leben, bedeutet dabei, eine Haltung in Akzeptanz der Sterblichkeit aller und mit Offenheit und Achtung vor den Toten und den Trauernden einzunehmen. Aus diesen Worten "sich einlassen" geht die Ansicht hervor, die Situation des Todes bewusst anzunehmen, sich Zeit nehmen und «begleiten in Respekt und Wertschätzung». Das Selbstverständnis, das hier den Anschein eines Bekenntnisses hat, folgt weiter der Annahme, dass die Annäherung an den Tod über die bewusste Wahrnehmung einer Unaussprechlichkeit erfolge: «Wir horchen und schweigen in die Wortlosigkeit hinein, ins Unsagbare». Damit kommt der Stille eine besondere Rolle zu, sie wird nicht negativ als das Fehlen von Worten bestimmt, sondern positiv als Möglichkeit einer sprachlosen Auseinandersetzung mit dem Tod. Der Tod wird also nicht verdrängt, sondern soll gerade in seiner Besonderheit als Grenzerfahrung erlebt werden, die verbal nicht definiert werden kann (Wortlosigkeit und Unsagbarkeit) und deshalb mit anderen Mitteln (z. B. mit dem Schweigen) erfahrbar gemacht werden soll. Damit reagiert der Text auch auf den Diskurs zum Umgang mit der Angst vor dem eigenen und fremden Tod und mit der Trauer («Unwissenheit über alles Kommende»; «Gelassenheit wider alle Vernunft») und ist als eine Anleitung zu einem angemessenen Umgang zu verstehen. Der Umgang mit dem Tod, für den hier plädiert wird, widerspricht einem rationalen Verständnis, das vollständig durch Denken, Sprechen und Schreiben ergründbar ist. Die anzustrebende Haltung («Gelassenheit») stellt explizit ein Gegenmodell zu einer vernunftorientierten, auf explizite verbale Kommunikation ausgerichteten Umgangsweise dar. Es wird an Gelassenheit appelliert, die konträr zu einem rationalen Weltbild steht. Dem eigenen Tod und dem Tod eines anderen Menschen mit Gelassenheit zu begegnen, bedeutet, «Unsagbarkeit» und «Wortlosigkeit» in Anbetracht des Todes eines anderen Menschen und der eigenen Sterblichkeit auszuhalten. Im letzten Satz des Textes («Wir sind einfach da, in offener Gelassenheit wider alle Vernunft») wird explizit darauf hingewiesen, dass die Trauernden nicht allein sind, sondern sich auf die Präsenz der Ritualleiter*innen mit ihrer Gelassenheit (auch im Angesicht des Todes: «wider alle Vernunft») verlassen können. Implizit grenzen sie sich gegen eine Haltung ab, die dem Tod keinen Platz einräumt. An dieser Stelle überschneidet sich die Positionierung mit der Positionierung im thematischen Feld Differenz, die an anderer Stelle vertieft wird (s. u. 9).

Vorherrschend ist auch im zweiten Abschnitt des Prospekts eine hohe Abstraktheit und Deutungsoffenheit der Sprache. Der zweite Abschnitt, der mit dem Titel «Was bezweckt der Verein [Vereinsname im Singular, L.R.]?» überschrieben ist, beginnt mit dem Satz «Das Leben verläuft in zyklischer Wechselwirkung von Werden und Vergehen», bezieht sich also einerseits auf die Jahreszeiten mit ihrem Werden und Vergehen, die sich fortwährend rhythmisch wiederholen, und gleichzeitig auch auf Geburt und Tod. Diese Grundannahme vom zyklischen Wandel allen Lebens wird hier aber nicht konkretisiert. Sie scheint als selbstverständlich angenommen zu werden.

7.4.2 Körperlichkeit und Wahrnehmung des Todes

Die Aussage «Den Tod verstehen wir als natürlichen Aspekt unseres sinnlich-körperlichen Daseins» schliesst mit der Formulierung des «natürlichen Aspektes unseres sinnlich-körperlichen Daseins» Autor*in und Leser*in in der 1.Person Plural als Betroffene ein und knüpft an die biologische Notwendigkeit von Tod und Sterben an und hebt diese positiv (als «natürlich») hervor. Über die aufwendige Sprache (vor allem die Wortwahl) wird vermittelt, dass die VerfasserInnen sich einer auf Erfahrung beruhenden Definition des Todes berufen und diese Erfahrbarkeit des Todes als gegeben sehen und ihr Tun von hier aus legitimieren. Es positioniert sich eine Wir-GruppeFootnote 2, die den Tod als Selbstverständlichkeit akzeptiert und seine konkreten Erscheinungsformen («sinnlich-körperliches Dasein») hervorhebt. Der Tod wird sowohl über seine Evidenz als natürliches Ereignis als auch über einen Deutungsbedarf dargestellt. Dieser zeigt sich in einer abstrakten und aufwändigen Formulierung, die suggeriert, dass es andere Deutungen des Todes vorherrschend geben muss, denen jetzt die Deutung der Wir-Gruppe gegenübergestellt wird, die sich vor allem aus der «Anerkennung» des Todes (als «natürlich») ergibt. Aus der Betonung des «Wir» geht deutlich hervor, dass die Wir-Gruppe bemüht ist, eine eigenes Deutungsmuster zu etablieren.

Den Tod in das Leben zu integrieren, bedeutet nicht nur das Werden und Wachsen, sondern auch das Sterben und den Tod als Ausdruck von Leben zu verstehen. Das Leben des Einzelnen steht in Beziehung zur zyklischen Wiederkehr der Natur. Das Zyklische zeigt sich in der Betroffenheit bei Sterben und Tod eines Angehörigen, am eigenen Körper der Frau, als eigene Lebenserfahrung mit wiederkehrenden und neuen Ereignissen und über die Beobachtung der Natur. Die Chronobiologie der Natur und des menschlichen Körpers bieten einen festen Rahmen für dieses Weltbild. Körper- und Naturerfahrungen werden affirmativ verstanden und können in der Gemeinschaft verstärkt und durch Ritualisierungen erfahrbar gemacht werden. Bei einem Vergleich zwischen der Positionierung von PKuster und MSchäublin ist die Analogie von Leben und Tod augenscheinlich. Bei PKuster geht es weniger um das Zyklische als um die subjektive Erfahrung von Gebären und Sterben. Sie werden als wertvolle Erfahrungen konstruiert. So schildert es PKuster auch explizit:

schlüsselerlebnis is vielleicht gsi bei der dritten geburt, da han ich daheime gebore nach zwei spitalgeburten und da hat die hebamme zu mir gseit, weisch bei jeder geburt geht nen moment der himmel uf, und das isch öppas als bestatter kann ich sage bi jedem tod geht der himmel uf, wie au immer das erlebe oder interpretiere, aber öppis passiert da, öppis unbeschrieblichs passiert, wenn ein mensch stirbt öppis schwer in worte zu fassen, und da han ich ganz viel erlebnis natürlich (PKuster, P 5)

das schlüsselerbnis war vielleicht bei der dritten geburt, da habe ich zu hause geboren, nach zwei geburten im krankenhaus und da hat die hebamme zu mir gesagt, weisst du, bei jeder geburt geht einen moment der himmel auf, und das ist etwas, als bestatter kann ich sagen, bei jedem tod geht der himmel auf, wie auch immer man das erlebt oder interpretiert, aber es passiert da etwas, etwas unbeschreibliches passiert, wenn ein mensch stirbt, etwas, dass schwer in worte zu fassen ist, und habe ich natürlich viele erlebnisse (PKuster, P 5)

PKuster konstruiert im Nachhinein ein Berufungserlebnis, bei dem ihr Erleben von TranszendenzFootnote 3 während der Geburt zentral ist (vgl. zum Selbstbild von PKuster auch 9.1). Beim Gebären und Sterben geht demach «nen moment der himmel uf» (P 5). Ihre Erfahrungen des Gebärens und vom Erleben von Sterben und Tod als Bestatterin werden in den Kontext von Transzendenz gestellt. Das heisst, dass dieser Bereich nicht bestimmbar ist (und auch nicht bestimmbar sein soll). Gebären und Sterben werden ähnlich wie bei MSchäublin und AWyrsch als Vorgänge beschrieben, denen eine externe Wirkmächtigkeit zugeschrieben wird. PKuster verwendet hier eine religiöse Semantik: Der Himmel erscheint als ein Bereich, der ausserhalb der erfahrbaren Wirklichkeit liegt, wie er beispielsweise im Christentum und seiner Popularisierung verwendet wird. Die Metapher symbolisiert, dass es noch einen anderen, weniger bestimmbaren Bereich gibt, der nicht direkt zugänglich ist, der für die Kräfte von Geburt und Tod verantwortlich ist. Dass dieser Bereich für PKuster weniger bestimmbar ist, zeigt sich darin, dass öppis unbeschrieblichs passiert, öppis schwer in Worte zu fassen ist. Die Metapher «Es geht der Himmel auf» weist darauf hin, dass sich Transzendenz, wie auch immer sie aussieht, beim Sterben und im Tod zeige. Transzendenz kann demnach kaum versprachlicht werden. Dieser Topos findet sich auch bei den in dem oben zitiertem Prospekt (Abbildung 7.2, «Wortlosigkeit», «Das Unsagbare»). In der Präsentation von PKuster wird der Tod sehr positiv konnotiert. Im Gegensatz zu anderen Ritualleiter*innen wie MSchäublin, UMeier u. a. präsentiert PKuster aber kein zusammenhängendes Weltbild. Sie stellt eine flexible Offenheit im Erleben und Interpretieren dar und wählt zugleich eine religiöse Semantik. Transzendenz ist für sie somit Erfahrung und weniger eine Glaubensvorstellung. Dieses Muster nimmt sie dann auch bei der argumentativen Beschreibung ihrer Arbeit wieder auf:

ich hab die schönste sache erlebt, die tiefste moment sind in der regel dort gsi, wo ma de mensch i sarg ibettet hät vom bett i sarg, oder i mag mi erinneri a e familie, wo würklich dihei so gesunge und in der familie no lieder gsunge und nachher ham mir die frau i sarg i-bettet und das is so heilige moment (mhm) oder göttliche moment, wo wirklich der himmel offe stoht (mhm) (PKuster, P 37)

ich habe die schönsten sachen erlebt, die tiefsten momente waren in der regel dann, wenn man den mensch in den sarg eingebettet hat vom bett in den sarg, oder ich erinnere mich an eine familie, die zu hause noch gesungen hat und in der familie noch lieder gesungen hat und nachher haben wir die frau in den sarg gebettet und das ist so ein heiliger moment (mhm) oder göttlicher moment, wo wirklich der himmel offen steht (mhm) (PKuster, P 37)

Hier zeigt sich eine Schönheit des Todes (heilige oder göttliche Momente, Himmel, P 37). Die grössten Überschneidungen finden sich zwischen MSchäublin und PKuster an dieser Stelle, da sie beide in der rituellen Begleitung des Todes auch eine Möglichkeit der Erfahrung von Transzendenz sehen. Die zitierten Ausschnitte (PKuster, P 5, P 37, P 39) verdeutlichen, dass die Ritualleitende den Angehörigen ermöglichen möchten, dass sie eine Todeserfahrung machen. Dabei geht es um das Ermöglichen eines individualisierten Erlebens (oder Erahnens) von Transzendenz. Transzendenz wird von P. Kuster als heilig oder göttlich und als tief (P 39) empfunden. Der Tod wird als friedvoll beschrieben, und es wird eine Ähnlichkeit zwischen tiefem Schlaf und Tot-Sein hergestellt. Dem Tod wird die Bedrohlichkeit genommen, und er wird ästhetisiert. Es scheint, dass sich aus dem eigenen Erleben von Todeserfahrungen auch der Wunsch der Ritualleiterin ergibt, das Erleben einer Todeserfahrung weiterzugeben.

7.4.3 Zyklisches Weltbild und Weiblichkeit

Das in diesem Abschnitt zu besprechende Deutungsmuster wurde über die Interviewanalyse und den Besuch von zwei Jahreskreisritualen sowie Gesprächskreisen genauer analysiert. In diesem Kontext finden sich noch weitere Postmortalitätsvorstellungen. Dabei wird deutlich, dass sich diese Diskurstraditionen von traditionellen religiösen Hegemonialtraditionen (vgl. Zander 2015: 42–46) abgrenzen und es darum geht, einen anderen Diskurs fortzuschreiben, dem ebenfalls eine Kontinuität zugesprochen wird. Dazu ist die Rede von der «Anderswelt» (von der wir vielleicht zu recht nicht so viel wissen oder was sie beinhaltet, P 325) und der Metapher eines Vorhanges, der zwischen der «diesseitigen Welt» und der «Anderswelt» besteht:

ist wieder die alte vorstellung, dass eben ähm der vorhang der diesseitigen welt gerade an diesen ähm an diesen festen festen, also an diesen jahreskreismomenten ähm, dass der übergang sehr transzendent ist (MSchäublin, P 440)

Der Ausdruck «Vorhang der diesseitigen Welt» impliziert als Gegenüber des Diesseits das Jenseits. Die Tradition von Jahreskreisfesten wird über die Vorstellung legitimiert, dass sich im Wechsel der Jahreszeiten das Jenseits in unterschiedlichen Formationen zeigt. Mit dem Begehen von Jahreskreisfesten knüpfen MSchäublin und andere Ritualleiter*innen an das Spektrum alternativ-religiöser Milieus an, in denen Jahreskreisfeste begangen werden. Im Ritual zum Frühlingsanfang der Gruppe um MSchäublin wird ein zyklisches Verständnis des Todes z. B. über die Gebärdenmeditation unter Berücksichtigung der Hände und Arme (als Gesten der Öffnung und Schliessung) und durch einen zugehörigen Sprechgesang verkörpert: «Dort ist mein Halt, aus der Gestalt, strecke mich aus, lasse los, finde zurück nach Haus», Beobachtung v. 08.04.18). MSchäublin deutet den Frühlingsanfang als Öffnung des Körpers zum Leben und zum Tod. Der Tod wird als Zuhause dargestellt.

Die mythologische Figur der Frau Holle und die heilige Verena (s. o. 7.4.3) sind weitere Referenzen, die an verschiedene Traditionen des kulturellen Kontextes anknüpfen. Das verbindet die Figur der heiligen Verena, einer lokalen mythologischen Figur des Katholizismus, mit der Figur der Frau Holle, einer Märchenfigur, die auch in keltischen und germanischen Mythologien vorkommt und vielfach überliefert eine reiche Rezeptionstradition aufweist.

Zur Rezeption der heiligen Verena erzählt MSchäublin im Interview von der lokalen Mythologie, die sich für sie vor allem über ein Loch in der Felswand ausdrückt:

also das is nur noch ein ganz kleines loch, früher war das ne höhle, wo die hebammen von solothurn die seelen der der neugeborenen abgeholt haben, und da steht jetzt die martinskapelle davor und un ähm verteidigt äh ähm beengt, verunmöglicht die matriachale geschichte, ähm aber die da das volk hat sich ein kleines loch ähm ergriffen und das ist ganz abgegriffen (I: mhm) (MSchäublin, P 229)

Frau Holle wird im Interview als eine Figur eingeführt, die eine Verbindung zur «Unterwelt» habe und in beiden Welten zu Hause sei. Sie wird über den Holunder verkörpert:

ähm der holunder wird bei uns mit der mit der figur der frau holle verknüpft, (L: ja) ja und die frau holle ist ne figur ne mythologische figur, wenn wir zu der wollen müssen wir in die unterwelt absteigen, aber sie lässt es auch schneien, also sie ist in beiden welten (L: mhm) zuhause, oberwelt und unterwelt, und diese de- de-der holunder macht diese verbindung zwischen unterwelt und oberwelt (L: ja ja) mit diesem weichen mark, wo eben diese verbindung sehr durchlässig ist, und äh deshalb das verbrennen von holunder (MSchäublin, P 188)

MSchäublin fährt mit einer Anekdote über das Holundervebrennen aus ihrer Kindheit fort:

wer holunder verbrennt, findet Verbindung zu den Ahnen, das hab ich als kind im emmental gelernt, da hat mir der bauer gesagt, wenn du holunder verbrennst, ähm er hat mir das ein bisschen als warnung gesagt, weil dann kommen die geister (MSchäublin, P 189)

Die Praxis des Holunderverbrennens wird demnach mit zwei konkurrierenden Deutungen versehen. MSchäublin stellt der mythologisch-weiblichen Tradition des Ahnenglaubens eine patriarchalische Deutung des Geisterglaubens gegenüber.

Das hier zugrundeliegende Verständnis von Spiritualität und Weiblichkeit soll im Folgenden genauer analysiert werden. Die Deutungen lassen sich dem DifferenzfeminismusFootnote 4 zuordnen. Die konkrete Bedeutung von Weiblichkeit für die Positionierung der Vereinsfrauen zeigt die Antwort auf meine Nachfrage zur Notwendigkeit des Frauseins als Begleiterin der Toten,Footnote 5 auf die MSchäublin antwortet:

is gar keine frage (1) für mich, is es für mich, is es wirklich so, also da knüpfe ich an m-mein eigenes kulturelles interesse an, und auch an meine ritualerfahrungen, die unterdessen doch ähm, oder auch an meine weibliche spiritualität mit den jahreskreis mit den jahrekreisfesten, also dieses zyklische verständnis äh vom vom gebären und auch eben wieder vom bestatten (MSchäublin, P 324)

[…]

und diese qualität vom leben geben, und leben auch wieder verabschieden also diese rückkehr der toten in die ähm in die andere welt, von der wir vielleicht zu zu recht nicht so genau wissen, wie sie ist oder was sie beinhaltet (R:mhm), äh aber diese qualität ist für mich ne stark weiblich geprägte qualität, also in diesem zyklischen verständnis (P 326)

also diese nähe zu zyklischen lebensverständnis ist für mich eigentlich, is für mich als frau auch physisch näher, und ähm ich gehe doch sehr davon aus, und da gibts auch sehr viele hinweise drauf, dass die aufgabe des bestattens früher genauso wie die aufgabe der hebammen eben auch in frauenhänden lag (P 327)

Aus diesen Sequenzen geht über die konkrete Frage nach der Bedeutung des Frauseins als Begleiterin der Toten das umfassende zyklische Lebensverständnis dieser Gruppe hervor.

Die Antwort auf die Frage der Notwendigkeit des Frauseins findet sich in dieser Aussage:

qualität vom leben geben und leben auch wieder verabschieden, […] aber diese qualität ist für mich ne stark weiblich geprägte qualität, also in diesem zyklischen verständnis (MSchäublin, P 326)

ich empfinde das wirklich so, dass die geschlechtlichkeit ähm an den rändern des lebens nicht mehr die gleiche dynamik hat (AWyrsch, P 346)

Frauen sind demnach für die Begleitung der Toten aufgrund ihrer Weiblichkeit besonders geeignet, die sich nicht nur durch eine besondere Fähigkeit des Leben-Spendens auszeichnet, sondern auch des Leben-Verabschiedens auszeichnet. Es deutet sich an, dass nicht nur das Gebären, sondern auch das Begleiten der Toten biologisch verstanden wird. Darüber hinaus fällt bei Betrachtung des Anfangs des Arguments auf, dass Weiblichkeit in einem holistischen Sinne verstanden wird:

also da knüpfe ich an m-mein eigenes kulturelles interesse an und auch an meine ritualerfahrungen, die unterdessen doch ähm oder auch an meine weibliche spiritualität mit den jahreskreis mit den jahrekreisfesten, also dieses zyklische verständnis äh vom vom gebären und auch eben wieder vom bestatten (MSchäublin, P 324)

Weiblichkeit bezieht sich somit neben biologischen Merkmalen auch auf soziale Aspekte. An dieser Stelle kann rekonstruiert werden, dass sich MSchäublin in ihrer Selbstpositionierung klar als eine Akteurin präsentiert, deren kulturelles Interesse und rituelle Praxis als weiblich konnotiert werden können. Es sind demnach spezifische Ritualerfahrungen und Deutungen, die als weiblich interpretiert werden. Wie sich genau aus dem kulturellen Interesse und der Ritualerfahrungen die Bedingung des Frauseins für die Tätigkeit der Begleitung der Toten ergeben hat, wird an dieser Stelle im Interview allerdings nicht deutlich. Aus anderen Stellen im Interview lassen sich aber Rückschlüsse darüber ziehen, was hier mit kulturellem Interesse und Ritualerfahrungen gemeint sein kann: Ritualerfahrungen werden in einer Gruppe von Frauen gemacht. Diese Konstruktion von Weiblichkeit ist weniger systematisch als erfahrungsbasiert. Für MSchäublin sind es einzelne Erfahrungen ihres Lebens (P 13, 14), die zur Konstruktion als Vereins- und Unternehmensfrau geführt haben: Basisritualerfahrungen und Visionen, die sich bei mir so kumuliert haben (P 31). Unter Berücksichtigung anderer Interviewstellen und Beobachtungen von Jahreskreisfesten lässt sich festhalten, dass hier soziale, kulturelle und biologische Aspekte im Sinne einer holistischen Deutung einer körperlich-sinnlichen Erfahrung gedeutet werden. Diese körperlich-sinnliche Erfahrung wird als ein Ausdruck des Weiblichen verstanden. In diesem Sinne wird z. B. die Figur der heiligen Verena von Solothurn, die Fruchtbarkeit symbolisiert, als ein kulturgeschichtliches Exempel des Körperlich-Sinnlichen verstanden.Footnote 6 Sie wird als «Seelenhebamme» bezeichnet, da sie der Mythologie nach die Seelen der Neugeborenen holt (Beobachtung v. 08.04.18). Die Stärkung des Körperlich-Sinnlichen verbindet alle Bereiche: Spiritualität, Kultur und Rituale und Bestattungshandwerk. Weibliche Spiritualität grenzt sich dabei von einer männlich konstruierten Religiosität ab. Weibliche Spiritualität, so wie sie MSchäublin und die Mitglieder dieser Gruppe verstehen, beruft sich auf verschiedene Traditionen und vermeidet die Zuordnung zu einer spezifischen Tradition. Dennoch sind Jahreskreisfeste konstituierend für ihre Konzeption von weiblicher Spiritualität. Wichtig ist hier, dass es sich um die Proklamation einer spezifisch eigenen Tradition handelt, wie es z. B. durch mein eigenes kulturelles Interesse markiert wird. Weibliche Spiritualität zeichnet sich durch ein zyklisches Verständnis vom Gebären und auch eben wieder vom Bestatten aus, welches durch eine HintergrundkonstruktionFootnote 7 erläutert wird, aus der ein Todesbild hervorgeht, das den Tod zyklisch versteht:

also das- das wir haben ja diese komische idee, dass der tod dem leben gegenüber stehen würde oder entgegen stehen würde, so ist es ja nicht, es ist ja der tod steht ja der geburt gegenüber und nicht dem leben, beides ist leben, alles ist leben (L:mhm), aber das gegenüber des todes ist die geburt, das ist ja ne nen fehlschluss, zu meinen das gegenüber des todes sei das leben, also das ist ja nicht der punkt (MSchäublin, P 325)

Im zyklischen Weltbild werden Geburt und Tod als in enger Verbindung gedeutet. Das Leben schliesst Geburt und Tod mit ein. Der Tod wird als ein dem Leben ebenbürtiger Bereich verstanden. Tod ist nach dieser Deutung Teil des Lebens. Daran kann dann die Idee der weiblichen Qualität des Leben-Gebens und -verabschiedens anschliessen:

und diese qualität vom leben geben und leben auch wieder verabschieden, also diese rückkehr der toten in die ähm in die andere welt, von der wir vielleicht zu zu recht nicht so genau wissen, wie sie ist oder was sie beinhaltet (R:mhm), äh aber diese qualität ist für mich ne stark weiblich geprägte qualität, also in diesem zyklischen verständnis (MSchäublin, P 326)

Der Tod wird an dieser Stelle als Rückkehr in die andere welt verstanden, die weiblich geprägt ist. Die Rede von Rückkehr weist Geburt und Tod den gleichen Ursprungsort zu. Damit umschreibt MSchäublin den Tod als andere Welt und grenzt sich von anderen Deutungsmustern ab wie z. B. Himmel oder Hölle. Zugleich macht sie deutlich, dass sie akzeptiert, nicht so genau zu wissen, was nach dem Tod kommt und dass sie die Möglichkeit sieht, dass der Tod durch eine externe Wirkmächtigkeit bestimmt ist (zu recht nicht so genau wissen, wie sie ist oder was sie beinhaltet) und dass die Lebenden keine genauen Vorstellungen von Postmortalität haben. Des Weiteren macht sie deutlich, dass die Begleitung der Toten durch eine weibliche Wirkmächtigkeit bestimmt ist. Hervorzuheben ist auch, dass der Begriff Spiritualität im Interview nur im Zusammenhang mit der Begründung der Ausschliesslichkeit des Geschlechts als Frau vorkommt: da knüpfe ich an […] oder auch an meine weibliche spiritualität mit dem jahreskreis (P 325).

Aus diesen Aussagen schliesse ich, dass sich MSchäublin vor allem über ihr Handeln (ihre Fähigkeiten in der rituellen Begleitung des Todes) legitimieren möchte und nicht so sehr über ein ausdifferenziertes Weltbild. Dazu passt auch ihr handlungspraktischer Ritualbegriff "das, was es zu tun gibt". Darin spiegelt sich ein Verständnis von Spritualität wieder, das auch in neueren Ritualisierungskonzepten vorkommt (s. o. 3.1.2). Die Positionierung im thematischen Feld Differenz zeigt an dieser Stelle ein Spannungsfeld zwischen Marktorientierung und eigener Spiritualität. Die eigene Spiritualität soll im Kontakt mit den Kund*innen nicht im Zentrum stehen (s. u. 9.4).

Dem zyklischen Weltbild und der spirituellen Weiblichkeit steht im Interview dann abermals das Patriachat (wie auch schon bei der Tradition des Holunderverbrennens, s. o. 7.4.2) gegenüber. Denn die Bedeutung von Weiblichkeit für den Beruf der Begleitung der Toten (und der Neugeborenen) mündet dann in die Argumentation einer historischen Kontinuität.

mhm und da gibts sehr viele belege (L:mhm) dafür, dass es so ist und so war, und da glaub ich, da hat jetzt einfach das patriachat eben äh die hebammen bedroht, aber nicht auszurotten vermocht aber die technische entwicklung der letzten, in den letzten vielleicht hundert jahren hat dafür gesorg, dass die frauen in der bestattung absolut ähm äh ausgeschlossen wurden, und das find ich falsch und ich find das geht schon darum, das wieder zurück zunehmen (R:ok) (MSchäublin, P 327)

Männer und Technik werden demnach dafür verantwortlich gemacht, dass Frauen in der Bestattung systematisch ausgeschlossen wurden. Die Argumentation schliesst mit der Behauptung, dass sowohl der Beruf des Bestattens als auch der Beruf der Hebamme historisch Frauenberufe gewesen seien, so dass die heute in diesen Berufen tätigen Frauen für sich eine historische Kontinuität beanspruchen können (P 327).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Verständnis der Vereinsfrauen von Naturspiritualität zirkulär zu verstehen ist. Das Weltbild wird über Evidenz am eigenen Körper, im Jahreslauf der Natur und zugehörigen Festen und in einer kulturhistorischen Kontinuität des Berufs und einer weiblichen Spiritualität konstruiert. Das Weltbild des Zyklischen ist als holistisch zu verstehen, da es sich auf nahezu alle Bereiche des Lebens anwenden lässt. Ihr Verständnis des Todes ist zyklisch. Frauen sind also demnach «Wegbegleiterinnen des Todes», da sie biologisch und kulturhistorisch eine Sensibilität für den Tod mitbringen und die Toten und Hinterbliebenen auf ihrem Weg begleiten. Diese Deutung kann auch dem Differenzfeminismus zugeordnet werden.

Den Tod im Zusammenhang des zyklischen Weltbildes zu verstehen, bedeutet, ihn nicht als ein Ereignis am Lebensende, sondern ihn als in die äusseren (Jahreslauf) und die inneren Rhythmen (Körper und eigenes Altern) des Lebens eingebettet zu verstehen. Somit ist der Tod bereits erahnbar und durch die Gewissheit der zyklischen Wiederkehr auch bejahend und alzeptierend anzunehmen. Für die Praxis der Vereinsfrauen bedeutet die Vergegenwärtigung des zyklischen Weltbildes, Rituale im Jahresslauf zu begehen.

7.4.4 Transzendenz über Natur

Trotz der Vagheit der Postmortalitätsvorstellung eines «zyklischen wiederkehrenden Wandels» bietet dieses Weltbild den Akteur*innen Gewissheit und Vertrauen, das ausserhalb der eigenen Agency liegt.. Besonders an den sog. Jahreskreismomenten (P 440) wird das zyklische Lebensverständnis erfahrbar. An Hand der beobachteten Jahreskreisrituale und die Interviewstellen, in denen über diese Rituale gesprochen wird, lässt sich das Deutungsmuster des Zyklischen weiter konkretisieren. Die Jahreskreisfeste knüpfen an germanische und keltische Tradition an und bedienen mythologische Traditionen (Figuren und Orte wie z. B. die lokale Tradition der heiligen Verena von Solothurn).

Im Interview reflektiert MSchäublin besonders über ein Fest zum Beginn des Winters:

für viele menschen ist es eben schwer, ähm in der trauer in die dunkle zeit einzusteigen, weil sie einfach auch schiss haben vor der dunklen zeit, und diese diese qualität von sich begleiten lassen von den toten, weil die sind ja nicht einfach nur weg, sondern da gibt ja auch noch eine präsenz, mindestens eine erinnerte präsenz, also eine innere präsenz und an diese innere präsenz anzuknüpfen (MSchäublin, P 429)

An dieser Stelle führt sie das «Lichterfest» zum 1.November ein, das den Einstieg in die dunkle Zeit markiert. Es gehört zu den Jahreskreisfesten. Es ermöglicht nach ihrer Deutung einen Zugang zur Trauer. Trauer wird an dieser Stelle analog zur Jahreszeit des Winters betrachtet. Trauern kann gleichzeitig auch bedeuten, sich von den Toten begleiten [zu, L.R.] lassen. Damit findet eine Versinnbildlichung eines Gefühls durch den Bezug auf Natur und Jahreszeit statt. Die Jahreszeit des Winters bietet in diesem Sinne Gelegenheit für das Erleben der Präsenz der Verstorbenen.

diese dieses qualität von sich begleiten lassen von den toten, weil die sind ja nicht einfach nur weg, sondern da gibt ja auch noch eine präsenz mindestens eine erinnerte präsenz, also eine innere präsenz und an diese innere präsenz anzuknüpfen und zu sagen, ok ähm da können zwar keine verbalen antworten mehr kommen, aber es gibt die sprache des herzens, und des ist einfach die, die können wir nur entwickeln, wenn wir wirklich uns auf die stille und das verinnerlichte nach innen schauende und das erinnern einlassen (MSchäublin, P 430)

Tod wird als Dunkelheit mit der Möglichkeit zur Begegnung mit den Toten präsentiert. Trotz Schmerz über den Verlust einer nahestehenden Person geht es hier nicht um Stillstand, sondern auch um Begegnung und Erinnerung. Es bleibt offen, was genau mit da ist auch begegnung möglich gemeint ist: Möglich ist, dass es sich dabei um eine Begegnung mit der verstorbenen Person, mit sich selbst oder mit anderen Menschen innerhalb der Gruppe der Trauernden handelt. In die dunkle Zeit einzusteigen, bedeutet in diesem Sinne, sich nach innen zu orientieren, während es entgegengesetzt in der Jahreszeit des Frühlings («Begrüssen des Frühlings») darum geht, sich nach außen zu öffnen. Daraus ergibt sich, eine Vorstellung, dass sich neben der Natur auch die Emotionen im Laufe des Jahres verändern. Ähnlich wie sich die Natur im Winter zurückzieht, zieht sich auch der Mensch zurück.

Ich selbst habe das Lichterfest der Vereinsfrauen am 01.11.2016 (Allerheiligen) teilnehmend beobachtet ebenso wie auch das Frühlingsfest am 08.04.18 Die Ausführungen der Beobachtungen sollen die Interviewstellen und ihre Deutung ergänzen. Eine Beschreibung des Ablaufs gibt Aufschluss darüber, wie das Lichterfest konkret gestaltet wird und wie die oben ausgeführten Vorstellungen über den Wandel der Jahreszeiten in der konkreten Begleitung der Toten und Angehörigen zum Ausdruck kommen.

Zunächst standen ca. 30 Personen um eine Lichterspirale aus Lichtern aus ausgehöhlten Herbstreben und anderen Naturmaterialen (z. B. Holzschiffchen mit Kerzen). Die Lichter symbolisierten die Verstorbenen des ausgehenden Jahres, die die Mitarbeiterinnen des Vereins «begleitet» hatten sowie weitere Lichter für Verstorbene anderer Jahre. Die drei Mitarbeiterinnen lasen zu Beginn einen Text vor, in dem es um Verbindungen zwischen der diesseitigen Welt und der Anderswelt geht. Der Inhalt des Textes lässt sich wie folgt zusammenfassen: Das Fest werde gefeiert, um in eine «Zwischenzeit einzutauchen», die mit dem 1. November beginne. Es gehe in dieser Zeit und im Fest darum, sich an die Toten zu erinnern, sich mit ihnen zu verbinden und die Verstorbenen in das «Reich der Toten» zu entlassen. Die Jahreszeit sei eine Zwischenzeit, die daran erinnere, dass beide Welten, die Welt der Lebenden und die der Toten, nicht immer voneinander getrennt gewesen seien. Auch heute noch gehe es deshalb darum, die Verbindungen und Beziehungen zwischen beiden Welten zu spüren. Zwischen den Textteilen singen die drei Mitarbeiterinnen ein Lied, dass dazu diene, sich mit der Ahnenseele zu verbinden. Die Strophen bringen Vergänglichkeit, überdauernde Zeit und Erinnerung(en) zum Ausdruck, bleiben aber recht vage. Die Anwesenden werden aufgefordert, den Refrain mitzusingen. Er lautet: «Dunkle Zeit, Wurzelzeit, führ mich hin, mich zu besinnen, wer ich bin». Der Ausdruck «Wurzelzeit» weist auf eine Zeit hin, in der man sich mit der Vergangenheit, den (eigenen) Wurzeln auseinandersetzt. Diese Zeit bietet demnach eine besondere Empfänglichkeit dafür, über die eigenen Ahnen nachzudenken und dabei Erkenntnisse über sich selbst zu gewinnen.

Als das Lied zu Ende ist, werden die Anwesenden angeregt, über die etymologische Bedeutung des Wortes Enkel nachzudenken, das etymologisch von «Ahnen» abgeleitet sei. Dann werden die Namen aller Verstorbenen des ausgehenden Jahres vorgelesen (darunter auch der Name eines Kindes, das an eben jener Stelle im Sommer im Fluss ertrunken ist, und schliesslich werden die «Seelenschiffchen» auf den Fluss gesetzt (vgl. Beobachtungsnotizen v. 01.11.2016). Die Metapher der Ahnenseele verdeutlicht eine vage Postmortalitätsvorstellung und eine Ahnenverehrung. Der Begriff «Ahnenseele» ist im Singular und suggeriert damit, dass es eine Ahnenseele gibt, die übergeordnet die Seelen aller Ahnen vereint. Es kann damit eine Seele gemeint sein, zu der alle Seelen zurückgehen.

Das Lichterfest wird mit Merkmalen des ‘Traditionalismus’ ritualisiert (s. o. 3.1.2). Hinweise auf die traditionelle Einbettung des Festes und der Hinweis auf die Ahnen tragen dazu bei.

Natur ist bei MSchäublin und der Gruppe vor allem in Form der zyklischen Wiederkehr präsent. Für andere Ritualleitende sind Todesbilder, bei denen Naturkonzepte im Vordergrund stehen, ebenfalls eine wichtige Ressource ihrer Positionierung in Bezug zum religiösen Feld.Footnote 8 Ähnlich wie der Tod als a priori gesehen wird, der externen Gesetzmässigkeiten folgt, die in der Natur verankert sind, bauen die Deutungsmuster einiger Ritualleitender auf einer Vorstellung von Natur als einer vom Menschen nicht geschaffenen Umgebung auf. Natur ist in den Vorstellungen ein weiter Begriff, der sich sowohl auf die unmittelbare Umgebung in ihren Details als auch auf eine alles einschliessende kosmologische Vorstellung beziehen kann. Im Folgenden werden weitere Beispiele anderer Ritualleiter*innen genannt, die sich ebenfalls durch eine kosmologische Reichweite innerhalb der Vorstellung auszeichnen. Für diese Konzepte ist einerseits eine Abstraktheit von Transzendenz ausschlaggebend und gleichzeitig bestimmend, dass sich Transzendenz unmittelbar in der Immanenz zeigt. An anderer Stelle habe ich das Konzept von immanenter Transzendenz bereits diskutiert (Ruther 2016).

Diese Vorstellungen sind geistesgeschichtlich an viele Traditionen anschliessbar und werden von den Ritualleitenden mit Schlagwörtern und Erklärungen versehen, die nicht besonders trennscharf sind. Das mag in vielen Beispielen von den Ritualleiter*innen so gewollt sein (s. u. 10 «rituelle Flexibilität»). Gemeinsam ist diesen Vorstellungen, dass sie Tod und Leben in einem über das Individuum hinausgehenden Zusammenhang als sinnhaftes Ganzes verstehen und somit holistisch deuten, da die sehr abstrakten und umfassenden Konzepte über konkrete Naturerscheinungen vereinfacht werden. Dazu zählen z. B. Astrologie, Auferstehung und universelles Bewusstsein.Footnote 9 Ich fasse sie als naturreligiöse Deutungen auf (s. o. 2.4.2). Sie haben gemeinsam, dass sie das Hier und Jetzt in eine Zukunft transzendieren und von einem nie endenden Kreislauf und einer sich immer wieder erneuernden Natur ausgehen.

Ein besonders anschauliches Beispiel für eines dieser Deutungsmuster, bei dem das christliche Konzept der Auferstehung in der Natur kontextualisiert wird, findet sich bei UMeier:

nur am grab dann hol ich auch voraus so zweige mit knospen dran verschiedendster art und verteile die dann am schluss vor allem, wenn sie vielleicht, wirklich es ist jemand krank, und und die trauer ist gross, der verlust ist gross, sie können sich hier noch einen ast auslesen [aussuchen, L.R.], weisst dann hab ich die ganze auferstehung ohne irgendwelche dog- dogmatik, damit sie nicht mit leeren händen nach hause gehen müssen, und es ist so etwas wohltuendes diese knospen, die brauchen etwas zeit, so genau wie ihre trauer und sie wissen noch nicht, was aus der knospe kommt genau wie aus ihrer trauer 'irgendwann im frühling kommt etwas, stellen sie sich nur ein, lassen sie sich überraschen' und das ist genial (1) ja was die natur bietet (UMeier, P 237)

Sprachlich wechselt die Interviewte zwischen der Beschreibung einer Situation und der Argumentation. Sie wechselt in der Darstellung zwischen ihrer Perspektive als Ritualleitende und der Perspektive der Trauernden und schliesst mit einer Evaluation der Natur (und das ist genial (1), ja was die natur bietet):

sie können sich hier noch einen ast auslesen [aussuchen], weisst dann hab ich die ganze auferstehung ohne irgendwelche dog- dogmatik, damit sie nicht mit leeren händen nach hause gehen müssen (UMeier, P 237)

UMeier bietet für die wachsenden Zweige die Deutung der «Auferstehung» an. Damit verwendet sie eine christliche Semantik, zeigt aber auch, dass sie sich von einer theologischen Deutung abgrenzt. Sie wird nicht mit Jesus Christus in Verbindung gebracht und einer Hoffnung aller Gläubigen, selbst aufzuerstehen (die ganze auferstehung ohne irgendwelche dogmatik). Auferstehung wird im Sinne einer zyklischen Naturdeutung zu einem immanenten Geschehen und entfaltet sich in der konkreten sich verändernden Natur und in der Veränderung der Trauer. Anhand der Zweige, die mit den Knospen das Wachsen verdeutlichen, werden Tod, Trauer und Schmerz transzendiert und die Auferstehung konkretisiert. Die Zweige, die die Trauer symbolisieren, werden in den Zusammenhang einer zugesagten Transformation gestellt. Durch die Verwendung der direkten Rede und des Imperativs, adressiert an die Trauerenden, vermittelt UMeier mir als Interviewerin an dieser Stelle einen Eindruck davon, wie sie im Abschiedsritual mit den Teilnehmenden spricht:

'irgendwann im frühling kommt etwas, stellen sie sich nur ein, lassen sie sich überraschen'

Die Aufforderung zu einer akzeptierenden und hoffnungsvollen empfangenden Haltung erinnert an eine Verkündigung in einem traditionell religiösen Sinn.

Der Umgang mit der Trauer wird über die Zweige von einem Verlust in einen Neubeginn umgewandelt. Die Trauer erhält in Form der Natur eine Materialisierung. Der materielle und der zeitliche Aspekt verleihen der Trauer ein Aussehen. (aus der knospe kommt genau wie aus ihrer trauer 'irgendwann im frühling kommt etwas, stellen sie sich nur ein, lassen sie sich überraschen' und das ist genial (2) ja was die natur bietet).

Die Konkretisierung der Transzendenzerfahrung ist dabei vage gelassen. Der Frühling ist an dieser Stelle sowohl im tatsächlichen als auch metaphorischen Sinne als eine Zeitspanne des Neubeginns gemeint. Die Ritualleiterin verkündet, dass sich die Trauer wandeln wird. Die Natur bietet einen Ausdruck für die Trauer und eine Wandlung der Trauer. Das Annehmen des Zustandes des Noch nicht wissen und das Entwickeln von Zuversicht stehen im Vordergrund dieser Sequenz: stellen sie sich nur ein, lassen sie sich überraschen. Der Imperativ deutet daraufhin, dass die Teilnehmenden von der Ritualleiterin zu einer offenen und empfangenden Einstellung und Wahrnehmung gelenkt werden sollen. Anhand der Natur zeigt die Ritualleiterin, dass Veränderung möglich ist. Diese Veränderung wird von ihr als gewiss vorweggenommen. Ein Vergleich dieser Interviewstelle mit einer anderen, an der UMeier den Aufbau eines Bestattungsrituals erklärt, belegt die Anlehnung an ein religiöses Deutungsmuster, da sie einen Begriff aus dem sprachlichen Kontext von Religion verwendet. Dieses steht im Zusammenhang mit ihrem Selbstverständnis als Geistliche:

zusage ist, wir wollen ja verkünden als geistliche, also ich geistlich also irgendeine religion es kommt gut auch wenn dus nicht glaubst (UMeier, P 115)

Im Interview erklärt mir UMeier ihr Verständnis und ihre Praxis der Beisetzung. Dabei wird deutlich, dass ihr eine Form von Naturspiritualität als Deutungsmuster ihrer rituellen Praxis dient. Verehrung der Natur und Personifikation der Natur als Mutter Erde stehen im Zentrum dieses Deutungsmusters. Es wird im Interview in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder präsentiert. Eine besonders formelhafte Aussage, die sie im Interview beispielhaft rezitiert, bringt ihre Postmortalitätsvorstellung sehr eindrücklich zum Ausdruck.

dieser mensch sei geer- für immer geerdet und gehimmelt ver-vererdet, und verhimmelt wird oder vererdung, nämlich ein kreis auf den das humus übergibt humus, humus und human ist ja dasselbe wort (R:mhm), und ver-verhimmelt, also in freiheit entlassen seine seele dann (UMeier, P 66)Footnote 10

Die Erde und der Mensch sind in ihrer Deutung wesensähnlich: humus übergibt humus, humus und human ist ja dasselbe wort. Für UMeier leitet sich aus der Wortähnlichkeit von humus und human eine Abstammung des Menschen von der Erde als Lebensraum des Menschen und als Humus im Sinne eines nährstoffreichen Bodens ab. Die Erde wird umfassend als Boden und Nährstoffquelle (Humus, s. o.) und ganzheitlich als Erde (Welt) gedeutet (P 78). Die Interviewte bedient hier ein religiöses Weltbild als Deutungsmuster von Himmel und Erde. Die emischen Konzepte von «Ver-erdung» und «Ver-himmelung» von UMeier beschreiben eine diesseitige und eine jenseitigen Veränderung des Zustands des Menschen nach dem Tod. Bei der Bestattung werden diese Prozesse vollzogen. Postmortalität drückt sich hier über das Entlassen der Seele in die «Freiheit» aus.

Eine Bestattung ist nach UMeiers Verständnis als Transformation zu verstehen, zugleich als Rückkehr des Körpers an den Ursprung der Erde und der Seele an den Himmel (P 77; vgl. auch Notizen zur Bestattung Vierwaldstättersee, Gespräch auf der Zugfahrt v. 02.02.15). In ihrer Darstellung ist die Erde weiblich, sie ist die Gebärende und zugleich auch diejenige, zu der der tote Körper nach dem Tod zurückgeht und so in einen Kreislauf übergeht, aus dem wieder neues Leben entsteht (P 66, P 102). Somit findet Postmortalität zugleich auf der Erde und im Himmel statt. Auf der Erde findet eine immanente Transzendenz/transzendente Immanenz statt und im Himmel eine andere Art von Transzendenz.

unsere aufgabe ist zu verabschieden und die lebenden ähm die toten in in andere welten hinüber zu leiten, in die freiheit und die lebenden in den neuen abschnitt in das leben nach diesem menschen zu begleiten (UMeier, P 40)

Die Freiheit und andere Welten werden dem Leben gegenübergestellt. Postmortalität wird bei UMeier sehr vage mit «anderen Welten» bezeichnet. Das, was nach dem Tod kommt, grenzt sich eindeutig vom bisherigen Leben ab. Es sind «andere Welten». Der Plural weist auf eine Offenheit von Postmortalitätsvorstellungen hin. Es wird nicht spezifiziert, wie diese anderen Welten aussehen. Es fällt auf, dass sie die «Ver-erdung» detaillierter beschreibt als den Prozess der «Ver-himmelung».

aus deinem körper wird wunderbare erde werden, da wird auch da werden gräser und bäume wachsen, und wenn ganz viele kinder da sind, die grossmutter-, da werden spinnnen und würmer und libellen und es gibt neue kühe aus dieser erde und wunderschöne neue menschen (UMeier, P 102)

An dieser Stelle kommt die Vorstellung einer Wiedergeburt des Menschen in einer neuen irdischen Daseinsform zum Ausdruck. Sie nennt eine Fülle an Daseinsformen, die aus dem Körper des Menschen entstehen.

also zur erde, das ist mutter das ist die mutter, und hier ist das der vater, brauchts ja auch noch und der himmel, oder je nachdem obs jemand göttlich möchte […], zu gott vater zu zu zum himmel und gött mutter mutter muttergöttin in der erde, sie hat uns ja geboren, sicher nicht er, sie hat uns geboren, wir gehen hier zurück, das ist viel besser nachvollziehbar, das transformative, das ist das gleichgewicht (UMeier, P 112)

In ihrem Deutungsmuster des Weltbildes der Teilung von Himmel und Erde spielt Geschlecht (sex) eine besondere Bedeutung. Die Interviewte orientiert sich an einem binären Weltbild, das sich durch einen männlichen und einen weiblichen Teil auszeichnet. Das Weltbild besteht aus Erde und Himmel, die beide personifiziert werden. Den Himmel versteht sie als männlich (Vater). Die Erde ist für sie Mutter Erde und weiblich. Die Orientierung an den Bedürfnissen der Kund*innen (s. u. 9.) zeigt sich hier an ihrer Flexibilität: je nachdem, obs jemand göttlich möchte. Die Kund*innen haben die Wahl, grundsätzlich zu entscheiden, ob «Gott» in der Bestattungsfeier vorkommen soll oder nicht.

Wichtig ist ihr aber, herauszustellen, dass nach dem Tod eine Verbindung zu Vater und Mutter erfolgen soll, es reicht also nicht, wenn nur ein Elternteil bedient wird. Sie geht hier von einem biologischen Verständnis von Vater und Mutter aus, die analog zur Geburt auch beim Tod wieder relevant werden.

Gott befindet sich für sie in beiden Teilen. Der Himmel wird in ihrer Theologie weniger stark definiert als die Erde. Er wird als Sphäre der Freiheit definiert (P 66, 112), die mit dem irdischen Leben nicht viel gemein hat. Die Erde ist der Ursprungs- und Rückkehrort der Menschen.

In einem zirkulären Verständnis wird der Mensch nach dem Tod zu Erde und geht aus dieser Erde wieder in Form eines neuen Lebewesens hervor (P 102). Die Tote wird bei der Verabschiedung zugleich in Himmel und Erde integriert. Es erfolgt eine Rückkehr und eine Wiedergeburt in der Natur (auf der Erde) der stofflichen Überreste und ein Entlassen der Seele in die (transzendenten) Sphäre des Himmels. UMeier beschreibt es als ihre geistige Aufgabe, der Seele ein bisschen woah zu geben (P 107) («woah» ist ein nicht genau bestimmter Ausdruck von ihr für Kraft). Neben der Übergabe der toten Person an die Transzendenz sind die irdische Übergabe («Rückkehr») und die Sakralisierung der Natur und der Umgebung des Menschen entscheidend.

Bells Merkmal des ‘sakralen Symbolismus’ (s. o. 3.1.2) ist hier vorherrschend für die Ritualisierung der Natur bei UMeier. Die Merkmale des ‘Traditionalismus’, der ‘präzisen Ausführung’ und der ‘Steuerung durch Regeln’ werden für UMeier für die Ritualisierung von Natur genutzt.

Einige Ritualleitende ringen damit, im Interview Aussagen über Postmortalitätsvorstellungen zu machen. Es konnte herausgearbeitet werden, dass die Auseinandersetzung mit den eigenen Postmortalitätsvorstellungen eine entscheidende Rolle spielt für die Motivation, Todesrituale anzubieten. Somit zeigt sich auch ein Spannungsfeld zwischen maximaler Kundenorientierung und den eigenen Vorstellungen. Exemplarisch zeigt sich dies bei GGeiger und HBischof. GGeiger und HBischof bieten den Kund*innen das Gedicht «Steh nicht an meinem Grab und weine»Footnote 11 an, wenn diese eine Anregung für Postmortalitätsvorstellungen wünschen: ich bin das glitzern im schnee, ich bin das sonnenlicht über dem weizenfeld, ich bin überall, aber nicht hier in diesem grab. (GGeiger P 144)

Das Gedicht wird den Hopi-Indianern zugeschrieben, wird aber von SGeiger und HBischof nicht an eine spezifische religiöse oder kulturelle Tradition angebunden. Ich verstehe den Einsatz dieses Gedicht in ihren Ritualen als Deutungsangebot, es wörtlich auf die jeweilige Ritualpraxis zu beziehen. Es ist ein Beispiel für eine naturspirituelle Deutung von Postmortalität, die in vielfacher Art und Weise interpretiert werden kann und die eine breite Popularisierung erfahren hat. Es bietet sich an, die weitere Interpretation dieses Gedichts im Licht der auf das zitierte Gedicht folgenden Sequenzen zu verstehen. Nachdem sie aus dem Gedicht zitiert hat, räumt GGeiger ein, dass sie die Vorstellungen der Kund*innen nur von ihrer eigenen Überzeugung aus unterstützen kann:

also das fällt mir zu deiner frage ein, dass wir das insofern unterstützen, aber das kannste ja auch nur von deiner eigenen überzeugung aus machen, (ja) wie du es siehst, was passiert nach dem tod (GGeiger, P 145)

Dann präsentiert sie ihre persönlichen Vorstellungen:

wo geht die seele hin, oder was passiert nach dem tod, und äh wir-s wir beide sind da der auffassung klar der individuelle mensch verschwindet, aber die energie, die du warst oder das bewusstsein das geht nicht verloren, und das ist eben überall um uns herum (L: mhm) (GGeiger, P 145)

Im Licht des vorangegangenen Zitats aus dem Gedicht «Steht nicht an meinem Grab und weint» erscheint die Idee des Eingehens des Menschen in ein (universelles) Bewusstsein als Eingehen des Menschen in vielfältige Naturerscheinungen. Natur ist dabei eine grenzenlose Grösse, die sich in einer Vielfalt von Manifestationen und Möglichkeiten zeigt und den Menschen miteinschliesst. Dieser Vorstellung folgend werden das Bewusstsein und die Energie der Verstorbenen in Naturerscheinungen sichtbar. Bei GGeiger und HBischof kommt eine Vorstellung zum Ausdruck, bei der nach dem Tod eine Transformation von Stofflichkeit in Immaterialität geschieht und dabei ein Fortbestehen von Energie und von Bewusstsein der Verstorbenen in der Welt verbleibt. Es findet eine Umwandlung von einer personalen Existenz zu einer universellen Existenz statt. Die universelle Existenz nimmt die individuelle Energie oder das individuelle Bewusstsein auf. Der Mensch sei dann noch in einer sehr abstrakten Form als Energie oder Bewusstsein vorhanden (klar der individuelle mensch verschwindet).

diese unsterblichkeit, die unser eigen ist, man stirbt ja nicht wirklich, es geht nur dieser körper, dieses körper geist ding geht (L:mhm) geht in dieses universelle bewusstseins über, aber nix geht (HBischof, P 165)

Die Bedeutung der Transformation von Körper und Geist wird an dieser Stelle erneut hervorgehoben und in den Kontext von Fortdauer gestellt. Die Vorstellung vom Tod impliziert eine akzeptierende, gelassene Haltung, die den Tod anerkennt und ihn relativiert. Die Vorstellung der Fortdauer nach dem Tod in einer anderen Form vermittelt Trost und ist anschlussfähig an vielfältige individuelle Vorstellungen von Erfahrungen mit dem Weiterwirken der Verstorbenen nach dem Tod. Somit wirkt der Verstorbene in Gedanken und Kräften weiter. Konzepte von Energie und Bewusstseins finden sich z. B. in buddhistischen und hinduistischen Traditionen und ihren Rezeptionen in der westlichen Esoterik.

Die Verstorbenen äussern sich demnach über die Natur, und die Zeichen können von den Hinterbliebenen gelesen werden. Diese Vorstellung bleibt vage und individuell. Die Bedeutung einer Deutungsoffenheit und Individualität der Vorstellung ist für diese sprachliche Positionierung entscheidend. Sie wird klar als eine von den beiden Ritualleitenden geteilte Vorstellung eingeführt (wir sind beide der auffassung (s.o); ja aber das ist auch sehr persönlich; aber wie gesagt, das bist du, es gibt menschen, die da keinen Zugang zu haben, HBischof, GGeiger, P 166) in der Interaktion zeigt sich aber ein Spannungsfeld zwischen Kundenorientierung und individueller Religiosität. GGeiger weist darauf hin, dass die Aussage ihres Mannes seine persönliche Position wiedergibt. Die Explizitheit, mit der die Ritualleitenden ihre eigene Vorstellung von Tod den Kund*innen gegenüber vertreten, passen die Ritualleitenden flexibel der Situation an (s. dazu u. 9.4.2 das thematische Feld Differenz).

7.5 Zusammenfassung

Deutungsmuster des Todes werden im Kontext von Todesbildern in unterschiedlicher Reichweite verwendet. Dabei kann es um soziale, kulturelle und auch religiöse Facetten von Tod und Sterben gehen. So konstituiert sich beispielsweise das Weltbild von MSchäublin vom Tod aus und ist ganzheitlich zu verstehen. Die Ritualleitenden positionieren sich gegen das Deutungsmuster der Verdrängung des Todes. Gemeinsam haben diese Vorstellungen, dass sie den Tod in ein ganzheitliches Weltbild integrieren: Verbindung des Menschen mit anderen Menschen, Verbindung mit dem universellen Bewusstsein, der Natur, den Ahnen («der Ahnenseele», MSchäublin). Z.T. erscheint der Tod als Rückkehr und Reise zum Ursprung der Natur.

Gemeinsam haben die Ritualleiter*innen, die sich innerhalb dieses Feldes positionieren, dass sie über Natur einen Zugang zu Transzendenz wählen. Sie verorten den Tod über eine externe Agency, der sie vertrauen können und die sie wahrnehmen können.

Es geht ihnen um die Sichtbarmachung und Erfahrbarkeit des Todes über die Natur. Wichtig ist dabei, dass der Tod in der Immanenz erfahrbar ist. Somit wird hier eine immanente Transzendenz bzw. transzendente Immanenz hervorgehoben. Der Tod als Teil einer grösseren Transzendenz wird so zumindest teilweise ergründbar.

Es hat sich gezeigt, dass die Deutungsmuster von Natur innerhalb dieser Positionierung teilweise starke Polysemien und Unschärfen aufweisen. Irritierend mag vielleicht sein, dass das Deutungsspektrum der analysierten Weltbilder recht gross ist und sie sich teilweise sogar widersprechen. Gemeinsam haben diese Positionierungen aber, dass Die Schlagwörter Natur und Tod werden als Zuordnung gerade gewählt, um darunter verschiedene Deutungen, die nicht eindeutig bestimmbarerscheinen und auch in den Beschreibungen der Ritualleiter*innen vage bleiben, zu fassen. Dass diese sich teilweise sogar widersprechen, steht m. E. nicht konträr zum Analyseschema, da diese Unschärfen gerade eine wichtige Erkenntnis der Positionierung sind. Die Ritualleiter*innen verzichten oftmals auf eine genaue Definition und setzen eher auf Erfahrbarkeit ihrer Konzepte und Freiräume für individuelle Deutungen als auf geschlossene Weltbilder.