Im Mittelpunkt des vorliegenden Kapitels steht die Rekonstruktion sozialer Positionierungen der Ritualleitenden ausserhalb einer religiösen Gemeinschaft. Die Positionierungsanalyse konzentriert sich empirisch auf die Selbstdarstellungen der Ritualleitenden in den Interviews. Es werden aber ergänzend auch schriftliche Dokumente (wie z. B. Werbe- und Informationsbroschüren und –prospekte und Internetauftritte der Anbieter*innen) und Notizen aus einzelnen Teilnehmenden Beobachtungen an ausgewählten Ritualen hinzugezogen. Mit den Beobachtungsnotizen fliessen auch nicht-sprachliche Erscheinungsformen des Ritualgeschehens mit ein, sofern sie für die Frage der Positionierung interessant erschienen. Es geht dann z. B. um die Frage, wie sich die Ritualleitenden und die Anwesenden im Raum positionieren.

Schon im Rahmen meiner ersten Annäherungen an das Feld der rituellen Begleitung des Todes wurde mir klar, dass sich der Markt der Anbieter*innen freier Rituale in der Deutschschweiz noch im Entstehen befindet und nach wie vor von einem stetigen Aushandlungsprozess zwischen Zusammenhalt und Vereinzelung der Anbieter*innen geprägt ist. Das Auftreten «freier» Rituale ist zwar schon seit über 20 Jahren zu beobachten, einen wirklichen Markt «freier» Rituale gibt es aber erst seit den letzten zehn Jahren (s. o. 4.3). Wer die Anbieter*innen als sozial (wieder)erkennbare und sichtbare Gruppe von Akteur*innen sind und worin sich ihre Ritualangebote im Verhältnis zu anderen Angeboten auszeichnen, ist daher noch weitgehend in der Entwicklung begriffen. Ausdrücke wie «Ritualbegleiterin», «Ritualgestalterin» oder der von mir als Oberbegriff verwendete Ausdruck «Ritualleitende» suggerieren eine Einheitlichkeit und Beständigkeit der Gruppe der Anbieter*innen, wie sie empirisch nicht gedeckt ist. Dem widerspricht nicht, dass es in dieser immer grösser werdenden Gruppe ein Geflecht von Bekanntschaft und Bezugnahmen gibt, wie es auch in der Gruppe der von mir untersuchten Ritualleitenden zu beobachten ist. Die Ritualleitenden bedienen sich aus ähnlichen Traditionen und Diskursfeldern, sie kennen sich untereinander und beziehen sich explizit und implizit aufeinander. Zwischen einzelnen Ritualleitenden bestehen Kooperationen, bestimmte Ritualleitende haben eine Vorbildfunktion im Feld, und andere grenzen sich sehr bewusst von allen anderen ab.Footnote 1 Trotz dieser persönlichen Verflechtung untereinander wäre es nicht treffend, von einer nach aussen und innen homogen auftretenden Gruppe auszugehen. Vielmehr lässt sich beobachten, welche Bestrebungen es gibt, unter dem Etikett der o. zitierten Selbst- und Fremdbezeichnungen (s. auch die Differenzierung der Gruppe der Ritualleitenden nach drei Gruppierungen 4.3 oben: Anbieter*innen, die sich auf das Thema Tod in Bestattung und Begleitung spezialisiert haben, Anbieter*innen, die sich als Rituallschaffende, -gestaltende, -begleitende verstehen und freie Theolog*innen) eine angemessene Position(ierung) zu finden. Einige Positionierungen überlagern sich inhaltlich und werden im Konkurrenzkampf um Kund*innen und bei der Etablierung auf dem sich entwickelnden Markt stetig präzisiert. Dieser Prozess der Aushandlung ist zum Zeitpunkt meiner Erhebungen noch nicht abgeschlossen, und er spiegelt sich unmittelbar in den Ergebnissen meiner Positionierungsanalysen (s. u.). Das Gleiche gilt für die Angebote selbst, die mal als «freie», als «alternative» und als «konfessionslose» bezeichnet werden und für die ich die Bezeichnung «gemeinschaftsungebundene» Rituale verwende. Die Formen und Elemente der Angebote variieren ebenfalls, obgleich sich typische Elemente gemeinschaftsungebundener Abschiedsfeiern aufzeigen lassen (s. o. 4.2). Auch dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen und geht mit dem Prozess der Selbstpositionierung als Ritualleitende*r Hand in Hand.

Die Analysen im empirischen Teil der Arbeit zeichnen vor diesem Hintergrund nach, an welche kulturellen Traditionen die Ritualleitenden anknüpfen, welche Themen dabei relevant werden und wie sich die Selbstbilder der Akteur*innen, die Tätigkeiten und Aufgaben, die sie für sich beanspruchen, sowie ihre Deutungsmuster jeweils unterscheiden. Dabei wird auch sichtbar, worauf sie ihre eigene Handlungs- und Wirkungsmächtigkeit als Ritualleitende begründen. Die dahinter liegende These ist, dass ich mit meinen Analysen auf diese Weise eine noch im Werden und in der Weiterentwicklung begriffene soziale Position(ierung) rekonstruieren kann. Im Folgenden werde ich das analytische Kategoriengerüst für diese Positionierungsrekonstruktion im Anschluss an die Ausführungen im Methodologie-Kap. kurz vorstellen (s. o. 5) und dabei die Ergebnisse meiner Analysen vorwegnehmen (s. u. 6.1).

Wie zu zeigen ist, ergeben sich aus meinen Analysen drei thematische Felder im von mir beobachten KontextFootnote 2, auf die die Ritualleitenden in ihrer Selbstpositionierung immer wieder zurückgreifen. Ich bezeichne sie mit den Stichworten Natur, Ritual und Differenz und werde meine diesbezüglichen Ergebnisse überblicksartig darstellen (s. u. 6.26.4). Darauf folgt eine kurze Zusammenschau zur Verteilung der ermittelten thematischen Felder auf die von mir untersuchten Fälle (s. u. 6.5).

6.1 Positionierungsdimensionen und thematische Felder

Wie im vorausgehenden Methodologie-Kapitel ausgeführt wurde, greifen meine Analysen auf verschiedene qualitative Methoden der rekonstruktiven Sozialforschung zurück. Auf einer textanalytischen Ebene wurden dabei mit der Narrationsanalyse und der text- und thematischen Feldanalyse nach Rosenthal erste Fallbeschreibungen und Kategorien erarbeitet. In einem weiteren Schritt wurde dann das Konzept der sozialen Positionierung methodisch mit der Grounded Theory von Strauss (1987) und in seiner konstruktivistischen Akzentuierung durch Charmaz (2006) verbunden (s. o. 5.4). Dabei wurde nach den Bedingungen, Handlungen und Interaktionen und Konsequenzen der sozialen Positionierung Ritualleitende gefragt. Als relevante Oberkategorien für die Rekonstruktion der Positionierungen haben sich herausgestellt: Selbstbild, Agency, Aufgaben und Deutungsmuster.

Daraus ist ein Kategorien- und Analyseschema entstanden, das anhand verschiedener Positionierungsdimensionen unterschiedliche thematische Felder zeigt (Abbildung 5.3 und Abbildung 6.1 mit den inhaltlichen Ausprägungen; s. auch o. 5.4.5).

In der Analyse der Daten wurde also jeweils danach gefragt,

  • wie die Ritualleitenden sich selbst sehen und präsentieren, auf welche Begrifflichkeiten (z. B. Selbstbezeichnungen) sie dabei zurückgreifen und ob und wie sie ihre Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen markieren (Selbstbild),

  • wie sie die Handlungs- und Wirkungsmächtigkeit der von ihnen geleiteten Rituale darstellen und begründen, worauf sie sie zurückführen und wovon sie abhängig ist (Agency),

  • worin sie ihre Zuständigkeit(en) und ihre Hauptverpflichtungen und – verantwortlichkeiten im Ritualgeschehen sehen und wen sie dabei adressieren (Aufgaben),

  • und an welchen bereits bestehenden Diskurstraditionen sie sich bei diesen Darstellungen orientieren, welche Diskurse sie aufnehmen und wie sie ihre Selbstdarstellungen im Rückgriff auf etablierte Sinnstrukturen einbetten (Deutungsmuster).

Die empirische Beantwortung dieser Fragen zeigt drei thematische Felder, innerhalb derer sich Positionierungen der Ritualleitenden als jeweils thematisch zusammengehörig gruppieren lassen (Natur, Ritual, Differenz). Das jeweilige thematische Feld ergibt sich also jeweils aus der Rekonstruktion unterschiedlicher Selbstbilder, unterschiedlicher Ausprägungen von Agency, unterschiedlicher Gewichtungen der zentralen Aufgabe(n) und den Rückgriffen auf unterschiedliche Deutungsmuster. Es ist jeweils aus fallvergleichenden textanalytischen Verfahren der Narrationsanalyse und der Grounded Theory im Sinne einer theoretischen Verallgemeinerung entwickelt worden und kann als Antwort auf die Frage nach den «Konsequenzen» verstanden werden (s. o. und 5.5).

Es ist wichtig zu sehen, dass die thematischen Felder immer mehrere Fälle umfassen und ein Fall auch in mehreren Feldern vorhanden sein kann, je nach dem wie sich Ritualleiter*innen positionieren. Dies entspricht der Annahme, dass soziale Positionen nicht mit konkreten Personen zusammenfallen, sondern eine Person je nach Kontext und Situation unterschiedliche Positionen einnehmen kann (s. o. 5.4.4). So können z. B. unterschiedliche Interaktionskonstellationen und Rahmungen durch mich als Interviewpartner*in unterschiedliche Positionierungen hervortreten lassen. Typischerweise überwiegt aber ein thematisches Feld bei der jeweiligen sozialen Positionierung der Ritualeiter*innen.

Die Analysen zeigen, dass im Diskurs der Ritualleitenden neben Natur, Ritual und Differenz weitere Orientierungen auftauchen, die ebenfalls als thematische Felder verstanden werden könnten: Gender, Markt und Religion. Im Lauf der Analysen hat sich aber gezeigt, dass diese weiteren Orientierungen in unterschiedlicher Weise auf die drei thematischen Felder bezogen werden können. So ist die Genderorientierung ein Aspekt des Feldes Natur und zeigt sich z. B. über feministische Spiritualität und über die Hervorhebung sowohl biologischer als auch sozialer Weiblichkeit. Die Orientierung am Markt kann bei den drei hier angenommen Feldern erfasst werden. Die Orientierung an institutionalisierter Religiosität zeigt sich vor allem in Abgrenzung von und Anknüpfung an traditionelle(n) rituelle(n) Elemente(n). Diese Orientierung ist im thematischen Feld Differenz sehr prominent. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Positionierungen stetig verändern, da es sich um ein in der Entwicklung begriffenes Feld handelt und die Ritualleitenden ihre Strategien auch flexibel an die Kund*innen und deren Erfahrungen mit Ritualleitung anpassen (s. u. zur Gewichtung und Verhältnis der Felder 6.5, 11).

Natur, Ritual und Differenz sind Ressourcen und Fluchtpunkte der Positionierung in verschiedenen Dimensionen (Selbstbild, Agency, Aufgaben, Deutungsmuster), ohne dass es sich dabei um einander ausschliessende Positionierungen handeln würde. Deshalb zeigen sich die fraglichen thematischen Felder empirisch über mehrere Fälle hinweg: Es gibt keine Eins-zu-Eins-Zuordnung zwischen Fällen und thematischen Feldern, sondern eher eine Konstanz der Felder über die Fälle hinweg. Konkret bedeutet das, dass sich die Selbstbilder, die Agency-Konzepte, die Aufgabendefinition und die in Anspruch genommenen Deutungsmuster nicht ausschliessen, sondern eher Tendenzen der Positionierung in der Gruppe der Ritualleitenden beschreiben. Gleichwohl lässt sich zumindest in Bezug auf einzelne Fälle eine Verortung meiner Fälle entlang der beschriebenen thematischen Felder vornehmen.

Abbildung 6.1 veranschaulicht diese Systematik und illustriert im Vorgriff auf die Vorstellung der Analyseergebnisse auf idealtypische Weise die zentralen Ergebnisse meiner Positionierungsanalysen. Damit ergibt sich eine Systematik der Unterscheidung und Beschreibung der sozialen Positionierungen auf der Ebene der Positionierungsdimensionen einerseits (Selbstbild, Aufgabe(n), Agency und Deutungsmuster) und der Ebene der thematischen Felder andererseits (Natur, Ritual, Differenz).

Abbildung 6.1
figure 1

Positionierungen im Überblick

Im Folgenden stelle ich jeweils eine zusammenfassende und verallgemeinernde Darstellung der drei thematischen Felder voran und erläutere dann anschliessend (s. u. 79) anhand von Einzelfällen detaillierter, worin sich dieses thematische Feld genau zeigt, welche Ausprägungen es vorweist und wie es sich im Vergleich zu den anderen Feldern darstellt. So kann gezeigt werden, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten, Abgrenzungen und Aushandlungsprozesse zwischen den Ritualleitenden vorhanden sind und worin der analytische Mehrwert meiner Verallgemeinerungen liegt.Footnote 3

6.2 Thematisches Feld Natur

Die Analyse hat ergeben, dass sich die AkteurInnen innerhalb dieses thematischen Felds auf einen Bezugsrahmen beziehen, der für sie a priori festgelegt ist und der als externe Grösse auf das Leben der Menschen Einfluss nimmt. Natur und Tod gehören zu diesem Bezugsrahmen, den ich im Folgenden beschreiben werde.

Ausgangspunkt ist die Unverfügbarkeit des Todes. Dem wird das Deutungsmuster der Akzeptanz des Todes gegenübergestellt. Dazu gehören Todesbilder, die den Tod nicht als Leerstelle oder Endpunkt definieren, sondern in das Leben integrieren und sich allumfassend als das gesamte Leben betreffend verstehen lassen. Thematisch werden damit auch verschiedene Prämissen wie z. B. die, dass die Beschäftigung mit dem Tod ein wichtiges Bedürfnis aller Menschen ist und die Auseinandersetzung mit dem Tod dazu führt, mit dem Tod gelassener umgehen zu können. Gelassenheit gegenüber dem Tod und Integration des Todes in das Leben werden von den Akteur*innen in einem normativen Sinne als «normaler» Zustand angesehen. In ihrem Weltbild gibt es die Vorstellung einer mythologischen Vergangenheit, in die ein akzeptierendes Todesbild integriert ist. Die Tabuisierung des Todes wird als falsche Entwicklung gesehen, die rückgängig gemacht werden muss, da der Tod sonst zu sehr mit Angst behaftet ist. Mit dem Deutungsmuster der Akzeptanz des Todes verortet sich diese Positionierung in einer Diskurstradition, die sich gegen die Verdrängung des Todes richtet. Somit geht es darum, die Kund*innen an die Erfahrung und Vergegenwärtigung des Todes heranzuführen. Eine Autonomie über Tod und Sterben wird angestrebt.

Das Selbstbild lässt sich am ehesten so beschreiben: Die Ritualleitenden verstehen sich als Wegbegleiter*innen für die Hinterbliebenen und die Toten. Das heisst, dass sie die Toten und Hinterbliebenen begleiten, damit die Toten die diesseitige Welt verlassen können und die Hinterbliebenen Abschied nehmen können.

Dazu gehört auch eine Annäherung an den Tod in seiner materialen, sinnlich wahrnehmbaren Erscheinung. Sie kann sich konkret in der Ausgestaltung der Totenfürsorge und Bestattung zeigen, bei der die Hinterbliebenen miteinbezogen werden. Das geschieht z. B. so, dass die Angehörigen angeleitet werden, die Urne bzw. den Sarg selbst zum Ort der Beisetzung zu tragen und die Beisetzung auch selbst zu vollziehen. Es ist also zentral, keine Berührungsängste gegenüber Tod und Sterben zu haben und körperliche Veränderungen, die beim Sterben und Tod passieren, wahr- und anzunehmen. Dazu wird die taktile und emotionale Wahrnehmbarkeit des Todes am eigenen und fremden Körper betont. Verkörperung und Erfahrung des Todes werden als entscheidendes Merkmal gesehen, um von der verstorbenen Person Abschied nehmen zu können. Verkörperung meint, dass es nicht nur darum geht, einen sprachlichen, sondern vor allem einen sinnlichen Ausdruck zu finden. Dem Tod kann man sich demnach eher über die körperliche Wahrnehmung als über den Verstand nähern. Zum Selbstbild der Akteur*innen gehört also die Nähe zur Erfahrung des Todes.

Agency wird in diesem thematischen Feld über die Aneignung der externen Wirkmächtigkeit des Todes hergestellt. Es geht darum, der Unverfügbarkeit des Todes mit einer passiv-empfangenden und den Tod annehmenden Haltung zu begegnen und auf diese Weise an einer externen Wirkmächtigkeit teilzuhaben. Zum Selbstbild der Akteurinnen gehört es deshalb, den Tod in seiner externen Wirkmächtigkeit anzuerkennen. Externe Wirkmächtigkeit bedeutet, den Tod in seiner Evidenz als Naturereignis zu verstehen und zu akzeptieren, dass man selbst sterben wird und andere auch schon gestorben sind. Es geht darum, den Tod anzunehmen, ohne ihn erklären zu wollen. Der Tod bleibt unbestimmbar und durch eine metaphorische Sprache vage.

Zur Aufgabe innerhalb dieses thematischen Feldes gehört alles, was dazu beitragen kann, den Tod in seiner naturhaft-natürlichen Präsenz einzuschliessen und zur Geltung zu bringen. In den meisten Traditionen werden Tote verbunden mit Ritualen bestattet. Innerhalb dieses thematischen Feldes werden diese beiden Aspekte nicht nur zusammengedacht und als gleichbedeutend verstanden, sondern auch zusammen angeboten. Darüber hinaus wird der Tod noch breiter verstanden, und er wird auch abseits von akuten Todesfällen integriert (z. B. in Jahreskreisfesten, in der Naturbeobachtung, Gesprächsrunden zu Todesbildern). Zu den Aufgaben gehört es auch, den toten Körper zu würdigen.

In Hinblick auf weitere Deutungsmuster sind vage Postmortalitätsvorstellungen eine wichtige Ressource der Positionierung. Die Ritualleitenden stellen Postmortalität als eine Fortdauer nach dem Tod dar. Der Tod wird als Schwelle zwischen dem diesseitigen Leben und der «Anderswelt» verstanden. Dies zeigt sich empirisch in unterschiedlichen Ausprägungen holistischer Deutungen. Dazu gehören z. B. ein Unsterblichkeitsglauben, das Verstehen des Todes als Ausdruck eines stetigen Wandels, eines zyklischen Werdens und Vergehens, Vorstellungen von einer Wiedergeburt in der Natur und dem Eingehen in ein universelles Bewusstsein. Mit feministischer Spiritualität und Naturspiritualität sowie Vorstellungen der westlichen Esoterik und des Holismus bieten sich Deutungsmuster an, in die solche Postmortalitätsvorstellungen eingebettet werden können. Wichtig für die Postmortalitätsvorstellungen ist die Suche nach einer Evidenz in der «diesseitigen» Welt. Die Deutungsmuster werden deshalb mit selbsterlebten Erfahrungen z. B. über den zyklischen Wandel der Natur oder den weiblichen Zyklus verknüpft.

Diese Positionierung steht in einem Spannungsverhältnis zur Marktorientierung, da es sich bei Natur und Tod qua definitionem um etwas handelt, dass als allgemeines gesellschaftliches Gut verstanden wird. Gleichzeitig verstehen sich die Akteur*innen auch als ökonomische Dienstleister*innen und erwarten für ihre Tätigkeit auch eine finanzielle Entschädigung.

6.3 Thematisches Feld Ritual

Die affirmative Betonung des Ritualgeschehens ist als Deutungsmuster Ausgangspunkt dieses thematischen Feldes. Ein Ritual wird als richtungsweisend und lebensbegleitend verstanden. Zugleich erscheint es als passender Ausdruck der jeweiligen individuellen und sozialen Situation. Interessant ist, dass einige Akteur*innen dabei eher den Begriff des Übergangs oder der Transformation verwenden als den des Rituals. Damit geben sie auch begrifflich die Wirkmächtigkeit und Richtung des Rituals bereits vor. Gleichzeitig ist damit eine Anlehnung an die Theorie der Übergangsriten nahegelegt (s. o. 2.2). Beispiele für solche Adaptionen sind Formulierungen des eigenen Angebots als «Beratung in Übergängen» oder des Themas als «Abschied, Übergang, Neubeginn». Die Trias von Abschied, Übergang und Neubeginn orientiert sich unmittelbar an Van Gennep’s drei Phasen der Trennungs-. Umwandlungs- und Eingliederungsriten. Dabei knüpfen die Ritualleitenden an die individuelle und soziale Bedeutung von Ritualen an. Einerseits wird der Ritualbegriff damit komprimiert, und die Ritualleitenden weisen sich als Spezialist*innen im Bereich von Übergangsritualen aus; anderseits ist der Anspruch zentral, bei der Gestaltung der Rituale frei zu sein. Des Weiteren ist damit auch ein religionsübergreifender Geltungsanspruch verbunden. Zudem zeigen die Ritualeiter*innen neben der Theorie der Übergangsriten weitere Kenntnisse von Ritualtheorien. Die Akteur*innen verwenden die Termini Ritual, Zeremonie und Feier flexibel und situativ. Daraus ergibt sich ein Deutungsspektrum zwischen verschiedenen Graden von Ritualität und Religiosität. Das Ritual wird als eine flexible universale Einheit konstruiert, die in einem impliziten und expliziten Spannungsfeld zu Religion und Spiritualität steht. Die Ritualleitenden entscheiden von Fall zu Fall, wie und ob die Kategorie Ritual als äquivalent oder ergänzend zu Religion oder Spiritualität verstanden werden soll. Die meisten Ritualleitenden trennen zwischen ihrer persönlichen Religiosität und ihrem professionellen Auftreten. Gefühle gemeinschaftlich auszudrücken, verstärke ein Gefühl von Verbundenheit. Die Teilnehmenden sollen einen geschützten «Raum» erhalten, in dem sie ihre Emotionen ausdrücken können. Die Ritualleitenden bieten diesen Raum an und nehmen sich Zeit dafür. Hier knüpfen sie an popularisierte Ansätze aus der Psychotherapie und Psychologie an, vor allem an systemische und tiefenpsychologische Ansätze. Auch Rituale, die als «freie» Rituale bezeichnet werden, sind nicht frei von einer Anbindung an Traditionen. Um ihre rituelle Praxis zu legitimieren, verweisen die Ritualleitenden darauf, dass Rituale «seit Menschengedenken», «seit Urzeiten» oder «prähistorischen Zeit(en)» ausgeführt würden. Rituale bekommen also den Status von Universalien der Menschheitsgeschichte, auf die man von jeher als verlässliche Ressource zurückgegriffen hat und deren Wirksamkeit man sich «schon immer» anvertraut hat. Damit kommt hier Naturspiritualität zum Ausdruck, die sich durch den Anspruch an Universalität auszeichnet.

Eine besondere Ritualisierung des Umgangs mit dem Tod ist ein weiteres Merkmal dieses thematischen Feldes. Dabei spielt auch Marktorientierung eine Rolle. Der Übergang vom Leben zum Tod betrifft jeden Menschen, sei es als Hinterbliebene*r oder als Sterbende*r, so dass jede*r potentielle*r Kunde*in sein kann. Neben der gemeinschaftlichen Komponente von Bestattungsritualen wird eine individuelle rituelle Trauerbewältigung der Hinterbliebenen verstärkt betont. Neben der «klassischen» Abschiedsfeier und Beisetzung gehört zu den Aufgaben in diesem thematischen Feld, verstärkt ritualisierende Totenfürsorge und Trauerrituale (z. B. Erinnerungs- und Gedenkfeste) anzubieten. Typisch ist das Nebeneinander von Angeboten kostenpflichtiger Dienstleistungen und kostenloser Angebote. Rituale stehen dabei in Bezug auf das angewandte Deutungsspektrum und ihre Praxis in einem Spannungsverhältnis zur Ökonomisierung. Einerseits werden sie als universal und frei verfügbar dargestellt (was mit der Hervorhebung ihres Status als Universalien der Menschheitsgeschichte zu tun hat, s. u. 8.4.2), andererseits bedürfen sie aber einer Gestaltung und Führung durch rituelle Spezialist*innen (Kompetenz) und rituelle Autoritäten (Selbstbild). Hinzu kommt, dass die Ritualleitenden den Anspruch haben, mit ihren Angeboten ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen und daher auf ein Entgelt angewiesen sind und sich daher auch in besonderem Masse legitimieren müssen.

Die Aufgaben leiten sich von einem breiten Verständnis von Übergängen ab. So werden vielfach auch Jahreskreisrituale offeriert. Damit gehen folgende Vorstellungen einher: Die Veränderungen, die sich im Jahreslauf in der Natur zeigen, sowie Feste und Mythologien, die im Zusammenhang zu bestimmten Jahreszeiten stehen, bieten Orientierung bei Veränderungen des eigenen Lebens. Aufgabe der Ritualleitenden ist es daher, Übergänge zu gestalten und sie in einen grösseren Zusammenhang einzubetten. Dabei greifen die Ritualleiter*innen auf erfahrungsbasierte Techniken und Wissen alternativ-religiöser Traditionen zurück, die sich z. B. in tranceartigem Singen und Trommeln zeigen. Es geht ihnen darum, die Aufmerksamkeit und Präsenz der Teilnehmenden auf die rituelle Performanz zu lenken und Wissen über diese Performanz(en) wiederzuentdecken und in Bezug zum eigenen Leben einzusetzen (z. B. Jahreskreisfeste). Neben der Sprache wird auch die körperliche Bewegung der Ritualteilnehmenden bewusst eingesetzt, um eine Transformation sichtbar zu machen. Das Ritual wird zu einem gemeinschaftlichen Erlebnis. Emotionalisierung dient dazu, Gemeinschaft zu schaffen. Die Wirkmächtigkeit des Übergangs wird als kollektiv konzipiert. Somit ergibt sich die Agency eines Rituals aus dem kollektiven Handeln. Oftmals wird auch von einer «Schwellenphase» gesprochen, die gemeinsam erlebt wird. Eine wichtige Aufgabe ist es daher, einer Situation eine Bedeutung zu geben, damit sie auch als besondere Situation erlebt werden kann. Also kommentieren die Ritualleitenden das Geschehene und deuten es. Dazu passen ihre Selbstbilder als Moderator*innen, Gestalter*innen, Mediator*innen, Übersetzer*innen und Expert*innen des Übergangs. Sie beziehen möglichst alle Teilnehmenden gleichberechtigt und wertschätzend mit ein und fordern die Teilnehmenden zum Ausdrücken ihrer Gefühle auf. Dabei betonen sie, dass alle Gefühle eine Berechtigung haben. Des Weiteren wird den Teilnehmenden eine Auswahl von Hilfsmitteln (z. B. farbige Tücher, Kräuter mit verschiedenen Gerüchen) zur Verfügung gestellt, mit denen sie ihre Gefühle ausdrücken können. Aus den Interviews mit den Angehörigen und den Beobachtungen geht hervor, dass sich die Teilnehmenden verstanden fühlen und über die Interaktion im Ritual Gemeinschaft erfahren. Interaktion erfolgt über die Präsentation der Verstorbenen in ihren sozialen Bezügen, über die direkte Partizipation und Interaktion der Angehörigen mit der Ritualleiter*in und untereinander und nicht zuletzt mit der Verstorbenen (s. dazu noch ausführlich u. 8).

6.4 Thematisches Feld Differenz

Der Ausgangspunkt dieses thematischen Feldes besteht darin, dass die Angebote der rituellen Begleitung anders sind als bei anderen traditionellen kirchlichen, staatlichen und ökonomischen Anbieter*innen. Die Ritualleitenden kritisieren deshalb einzelne Arbeitsschritte der BestatterInnen und der kirchlich-rituellen Begleitung. Die häufigsten Kritikpunkte sind Zeitdruck, standardisierte Abläufe und zu wenig Mitbestimmung der Beteiligten.

Aufgabe der Ritualleitenden ist es deshalb, die Bedürfnisse ihrer Kund*innen ernst zu nehmen und umzusetzen. Dabei steht die Entscheidung für ein gemeinschaftsungebundenes Ritual, das frei von institutioneller Bindung ist, an erster Stelle.

Die vorherrschende Agency in diesem Feld ist individuelle Agency in Form der Selbstermächtigung. Bei Selbstermächtigung geht es sowohl um die Selbstermächtigung der Ritualleitenden als Anbieter*innen einer Alternative zu bestehenden Angeboten als auch um die Selbstermächtigung der Beteiligten im Sinne einer Gruppe von Kund*innen, die ihre Bedürfnisse bewusst einfordern (Bedürfnisorientierung). Die Ritualleitenden betonen, dass sie auf die Bedürfnisse der Teilnehmenden eingehen können, weil sie «frei» und «unabhängig» sind (Autonomie).

Die Ritualleitenden appellieren an den Nutzen eines Rituals für jeden einzelnen Teilnehmenden. Die Angebote werden deshalb als «Hilfe zur Selbsthilfe» verstanden. Eine Aufgabe der Ritualleitenden ist es, das Ritual so zu gestalten, dass alle Teilnehmenden berührt sind, dass sie «bei sich selbst ankommen» und «präsent» sind. Die Handlungsmächtigkeit eines Rituals ist stärker, wenn alle aktiv daran teilnehmen und sich einbringen können (Selbstermächtigung). Die Angehörigen werden deshalb an der Vorbereitung und Durchführung des Rituals beteiligt. Sie können zwischen verschiedenen Formen von Angeboten wählen. Durch Offenheit und vielseitig anschlussfähige Symbole (wie z. B. Kerzen) bieten die Ritualleitenden den Teilnehmenden einen kreativen Umgang in der Gestaltung und Ausführung der rituellen Begleitung des Todes. Personalisierte Angebote – z. B. durch das Hinzunehmen persönlicher Gegenstände der verstorbenen Person – bieten eine hohe Identifikation mit den Angeboten der Ritualleitenden.

In der Möglichkeit zur Entscheidung kommt die Individualisierung der Teilnehmenden zum Ausdruck und über die Auswahl die Pluralisierung verschiedener Angebote. Emotionalisierung wird als Deutungsmuster eingesetzt, um das Angebot von anderen zu unterscheiden. Das Ziel der Emotionalisierung ist es, dass die Teilnehmer*innen «berührt sind». Der Umgang mit Emotionen während der rituellen Begleitung sage etwas über die Differenz zu anderen Anbieter*innen aus.

Die Ritualleitenden sind marktorientiert, da sie darauf angewiesen sind, ihre Angebote entsprechend zu präsentieren.Footnote 4 Die Angebote sind kostenpflichtig, stehen in Konkurrenz zu gemeinschaftsgebundenen wie auch gemeinschaftsungebundenen Angeboten anderer Anbieter*innen. Daraus resultiert der Druck, sich von anderen Angeboten zu unterscheiden (Selbstbild). Bemühungen um einen gemeinsamen Berufsverband, Abgrenzungsstrategien untereinander und der Anspruch vieler Ritualleitender, Pionier*in im Feld zu sein, gehören entsprechend zum Selbstbild innerhalb des thematischen Feldes Differenz. Der Anspruch auf die Einzigartigkeit der eigenen Angebote passt in dieses Selbstbild und zeugt zugleich vom Erleben einer ausgeprägten Konkurrenzsituation. Es werden bewusst Wortneuschöpfungen genutzt und neue Wortkombinationen, um die Besonderheit herauszustreichen (z. B. Geistige Unternehmerin, Praxis für angewandte Vergänglichkeit, FährFrauen, ganzheitliche Bestattung, Ritualfachfrau, Pionier*in).

6.5 Zusammenschau der thematischen Felder

Bei dieser Darstellung ist zu beachten, dass es sich bei den thematischen Feldern nicht um eine abschliessende Systematisierung handelt. So wären auch Markt, Gender und Religion als weitere thematische Felder denkbar (s. o. 6.1; s. u. 11).

Eine Verortung im thematischen Feld der Differenz ist typisch für eine Positionierung im Entstehen (Pionier*innen) und die Betonung der Abgrenzung zu anderen Positionierungen. Im thematischen Feld Ritual ist am stärksten eine Professionalisierung zu beobachten (siehe Weiterbildungen und Entstehen von Ausbildungsformaten als Ritualleiter*innen, Entstehen eines Berufsverbandes, s. o. 4.3). Differenz schliesst am stärksten an die gesellschaftlichen Entwicklungen von Individualisierung und Säkularisierung an. Das Feld Natur bietet am ehesten die Vorstellung eines zusammenhängenden Weltbildes an. Ritual und Differenz schliessen beide sehr stark an den gegenwärtigen Trend der Emotionalisierung an (s. u. 11). Sie unterscheiden sich darin, dass die Fokussierung auf Ritual stärker der Gemeinschaft eine emotionale Beteiligung zuschreibt, während die Konzentration auf Differenz stärker die einzelne Person im Blick hat, der die Möglichkeit einer individuellen Erfahrung zugeschrieben wird. Die Evidenz eines Gemeinschaftserlebens bzw. einer individuellen Erfahrung macht die Wirksamkeit der rituellen Begleitung aus.

Trotz dieser Unterschiede zwischen den thematischen Feldern ist aber nochmals hervorzuheben, dass es sich um eine soziale Positionierung handelt und nicht um mehrere. Diese soziale Positionierung macht es gerade aus, dass die Akteur*innen zwischen verschiedenen thematischen Feldern strategisch hin und herwechseln können (s. u. rituelle Flexibilität 10.). Wichtig für die soziale Positionierung als Ritualleiter*in ist auch, dass sie nicht frei von Polysemien und Unschärfen ist, die sich in allen drei thematischen Feldern und insbesondere im thematischem Feld der Natur und der hier aufgezeigten unterschiedlichen Weltbilder zeigen. Ich möchte aber dennoch nicht auf das Analyseschema verzichten, da sich damit wichtige Argumentationsstrategien der Ritualleiter*innen nachzeichnen lassen und die drei thematischen Felder wichtige Bezugsgrössen sind, um das Feld der gemeinschaftsungebundenen Ritualleiter*innen zu beschreiben.