Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit gemeinschaftsungebundenen Todesritualen in der Deutschschweiz. Dabei fragt sie danach, wie sich die Akteur*innen, die diese Todesrituale anbieten und gestalten, sozial positionieren, d. h. in dem bestehenden gesellschaftlichen und insbesondere religiösen Kontext verorten, welche Anknüpfungspunkte sie wahrnehmen und, wie sich selbst in Bezug auf die Handlungsmacht und Wirksamkeit ihrer Handlungen (agency) darstellen. Dabei wurde ausgehend von den Interviews mit den Ritualleitenden, den Prospekten und ausgewählten Ritualen nach den Selbstbildern der Ritualleiter*innen und den Aufgaben gefragt, die sie für ihre Tätigkeit beanspruchen. Damit verbunden sehe ich auch die Frage, durch welche Ausprägungen von agency die Ritualleitenden ihr Handeln beschreiben. Sehen sie sichselbst als einzelne Akteur*innen, die Gemeinschaft der Ritualteilnehmenden oder eine externe Wirkmacht als relevant an? Für alle diese Fragen ist schliesslich auch zentral, welche Themen und Konzepte die Ritualleitenden in den Interviews, den Prospekten und der rituellen Praxis zum Ausdruck bringen. Dabei geht es u. a. darum, an welche kollektiven Sinngehalte die Ritualleitenden dabei anschliessen.

Wie sich im Verlauf meiner Analysen herausgestellt hat, ist es empirisch angemessen, davon auszugehen, dass es im Gegenstandsbereich nicht mehrere bereits etablierte soziale Positionen gibt, sondern dass sich der Gegenstandsbereich dadurch auszeichnet, dass eine gefestigte soziale Position «Ritualleitende/r» erst noch im Entstehen begriffen ist. Welche Positionierungsfelder dabei relevant sind und welche Positionierungsaktivitäten hier im Einzelnen auftreten, stellt den empirischen Erkenntnisgewinn meiner Untersuchung dar. Es geht darum, wie sich die Ritualleitenden in der Interaktion mit mir als Forscherin, in ihren Selbstpräsentationen in den Prospekten in Interaktion mit potentiellen Kund*innen und in ihren Ritualen in Interaktion mit den Teilnehmenden durch ihre sprachlichen Handlungen zu einer sozial bestimmbaren Person machen. Ferner geht es auch darum, wie sie von anderen gesehen werden und wie sie andere sehen (Fremdpositionierungen in Anlehnung an das Positionierungskonzept von Lucius-Hoene/Deppermann 2002).

Wie die Ritualleitenden die Wirksamkeit ihres Handelns bewerten, beeinflusst auch die Wahrnehmung und Verbalisierung ihrer Handlungsspielräume. Sehen sie die Wirksamkeit ihres Handelns in der Verantwortung einzelner Individuen (möglicherweise sie selbst oder Anwesende des Rituals), in der Gemeinschaft oder in externen Wirkmächten?

Die von mir rekonstruierten subjektiven Handlungsspielräume («agency I») der Ritualleitenden stehen in einem grösseren Zusammenhang von strukturellen Gegebenheiten der Organisation des Todes in der Deutschschweiz («agency II»). Dazu gehören insbesondere die institutionellen Reglemente der Schweizer Verfassung, der kantonalen Verordnungen über die Bestattungen und die jeweiligen Reglemente der Gemeinden (s. o. 4.3). Weiter sind auch die Religionszugehörigkeit der Schweizer Bevölkerung und die Tradition des kirchlichen Bestattungsrituals einzubeziehen, weil sie ebenfalls den Schweizer Kontext prägen, vor dem die rituelle Begleitung der gemeinschaftsungebundenen Todesrituale stattfindet. Sie schlagen sich auch unmittelbar in den Reglementen nieder. Schliesslich bedingen auch gesamtgesellschaftliche Entwicklungen wie Emotionalisierung, Säkularisierung und Individualisierung den Handlungsspielraum der Ritualleitenden. So konnte gezeigt werden, dass sich die Selbstpositionierungen der Ritualleitenden in grössere gesamtgesellschaftliche Entwicklungen von Säkularisierung und Individualisierung des Todes (s. o. 2.12.3) und Emotionalisierung von Religion und Gesellschaft (s. o. 2.4) einfügen lassen.

Die Ritualleitenden reagieren auf Reglemente, die z. B. seit 1963 keinen Friedhofszwang vorschreiben, indem sie vermehrt Aschebeisetzungen in der freien Natur anbieten. Die abnehmende Religionszugehörigkeit der Schweizer Bevölkerung führt zu einem immer grösser werdenden Bedarf nach freien Todesritualen, der durch die Säkularisierung und Individualisierung beeinflusst ist und auf der Ebene der Todesrituale neue Formen hervorbringt. Schliesslich trägt die Emotionalisierung von Religion und Gesellschaft zum Erfolg der gemeinschaftsungebundenen Rituale bei.

Die empirischen Analysen, die sich methodologisch und methodisch an der Rekonstruktion von Agency und am Konzept der sozialen Positionierungen orientieren, haben drei thematische Felder hervortreten lassen: Natur, Ritual und Differenz. Thematische Felder sind semantische Cluster, denen sich die einzelnen Aussagen der Ritualleitenden zuordnen lassen. Zu den drei zentralen thematischen Feldern liessen sich jeweils drei typische Agencyformen zuordnen: externe, kollektive und individuelle Agency. In diesen Agencyausprägungen bündeln sich jeweils die charakteristischen Selbstbilder, die zentralen Aufgaben und die dominanten Deutungsmuster (s. o. 6.–9.).

Ausgewiesen konnten Positionierungen werden, die den Tod als Ausgangspunkt der Aktivitäten und der Selbstpositionierung sehen. Der Tod als unabdingbare Tatsache, die zum Menschsein und der Natur dazugehört, wird demnach auch in der Positionierung betont. Weiter konnten Selbstpositionierungen rekonstruiert werden, die auf dem professionellen Umgang mit Ritualen fussen und innerhalb derer das Ritual als eine Art Hilfsmittel verstanden wird. Diese Positionierungen der Ritualleitenden geben sich in ihrem Selbstbild die Rolle von Übersetzer*innen und Vermittler*innen. Schliesslich wird in den Positionierungen immer wieder die Differenz zu anderen Akteur*innen hervorgehoben. Das geschieht z. B. schon in der Selbstbezeichnung.

Wie gezeigt werden konnte, ist die Verortung im thematischen Feld der Differenz typisch für eine erst noch im Entstehen und in der Abgrenzung zu anderen Positionierungen begriffene soziale Position(ierung) im Sinne z. B. des «Pionier*in-Seins» der. Der Verweis der Ritualleiter*innen auf die Ganzheitlichkeit ihres Angebots drückt diese Unterscheidung zu anderen Akteur*innen auch positiv aus. Verortungen im Feld Differenz schliessen am stärksten an gesellschaftlichen Entwicklungen im Sinne der Individualisierung und Säkularisierung an (s. o. 2). Weiter zeichnet sich ab, dass die Verortung im Feld Ritual ein grosses Potential zu haben scheint für die zukünftige Entwicklung hin zu einer gefestigten sozialen Position «Ritualleitende/r». In diesem Bereich ist entsprechend am stärksten eine Professionalisierung der Angebote und Anbieter*innen zu beobachten (siehe Weiterbildungen und Entstehen von Ausbildungsformaten als Ritualleiter*innen, Entstehen eines Berufsverbandes, s. o. 4.3). Die thematischen Felder Ritual und Differenz zeichnen sich beide dadurch aus, dass sie durch den gesamtgesellschaftlichen Trend der Emotionalisierung geprägt sind (s. o. 2.4.3). Sie unterscheiden sich darin, dass die Fokussierung auf Ritual stärker der Gemeinschaft eine emotionale Beteiligung zuschreibt, während die Konzentration auf Differenz stärker die einzelne Person im Blick hat, der die Möglichkeit einer individuellen Erfahrung zugeschrieben wird: Die Evidenz eines Gemeinschaftserlebens bzw. einer individuellen Erfahrung macht dabei jeweils die Wirksamkeit der rituellen Begleitung aus. Verortungen im Feld Natur bieten vor allem die Orientierung an einem zusammenhängenden Weltbild an, das in einem Kreislauf der Natur begründet ist.

Trotz der in den empirischen Kapiteln nachgezeichneten und hier noch einmal zusammengefassten Unterschiede zwischen den thematischen Feldern ist aber nochmals hervorzuheben, dass es sich um eine übergreifende soziale Position «Ritualleitende/r» handelt und nicht um mehrere abgrenzbare soziale Positionen. Sonst wäre es nicht zu erklären, dass die Akteur*innen immer wieder zwischen den verschiedenen thematischen Feldern strategisch hin und herwechseln können (s. o. rituelle Flexibilität 10.). Es wurde bereits angedeutet, dass weitere thematische Felder für die Positionierungen der Ritualleitenden in Betracht kommen: Dazu zählen vor allem die Felder Markt, Gender und Religion (s. o. 6.5). Der Vergleich der Fälle innerhalb des Samples hat jedoch gezeigt, dass Orientierungen an diesen Feldern gegenwärtig weniger vorherrschend sind als Orientierungen an Natur, Ritual und Differenz. Die mit dem thematischen Feld Markt einhergehende Ökonomisierung der Angebote spielt in allen drei Feldern eine wichtige Rolle, da sich die Ritualleitenden in einer Konkurrenzsituation befinden und selbständige Unternehmer*innen sind. Empirische Belege für die Konkurrenzsituation finden sich z. B. bei den verschiedenen Weiterbildungsmöglichkeiten als Ritualleiterin und im Zusammenhang der Wettbewerbssituation mit gemeinschaftsgebundenen Ritualleiter*innen. Gleichwohl heben sich die Ritualleitenden aber von Zielen wie Gewinnmaximierung und Profitorientierung ab, da diese in einem Widerspruch zu ihren Überzeugungen der rituellen Begleitung des Todes stehen (s. u. 79). Es ist jedoch denkbar, dass sich die Entwicklungen von spiritual entrepreuneurship (vgl. Bell 1997: 224) und der Bedarf nach teuren Bestattungen auch im Bereich der rituellen Begleitung des Todes in der Deutschschweiz auch in zukünftigen Positionierungen verstärkt niederschlagen werden. Zugleich müssen die Ritualleitenden aber auch auf den Wunsch nach kostengünstigen anonymen Bestattungen reagieren. Durch diese Entwicklungen könnte die Orientierung am thematischen Feld Markt verstärkt werden.

Gender wurde in meiner Darstellung nicht als zentrales thematisches Feld aufgeführt, da Positionierungen, in denen Geschlechtszugehörigkeit (als Kategorie) eine wichtige Rolle spielt, unter dem thematischen Feld Natur zusammengefasst werden können. Es ist aber denkbar, dass sich auch Gender als ein vorherrschendes thematisches Feld in den nächsten Jahren herausbilden wird, wenn die Nachfrage nach gemeinschaftsungebundenen Ritualen noch weiter steigt und hier noch stärkere Ausdifferenzierungen und Abgrenzungen unter den Ritualleitenden stattfinden. Mit dem Fall von MSchäublin und AWyrsch gibt es in meinen Daten schon jetzt eine sehr starke Orientierung am thematischen Feld Gender, die sich an Weiblichkeit und der Wiederentdeckung bzw. Etablierung einer weiblichen Tradition orientiert.

Religion ist als ein relevantes thematisches Feld zwar immer wieder als Hintergrund gegenwärtig, ohne dass es allerdings für die eigene Verortung zentral ist. So wird z. B. in den meisten Fällen dezidiert offengelassen, ob es sich um ein religiöses Ritual handelt oder nicht (s. o. 2.4.2, 10.2), und es wird deutlich gemacht, dass gerade in dieser religiösen Offenheit und Unterbestimmtheit der Reiz der gemeinschaftsungebundenen Rituale (für eine heterogene Gesellschaft) besteht.

Mithilfe der Konzepte der ritualisierenden Agency und der rituellen Flexibilität habe ich in Anlehnung an vorhandene Forschungsergebnisse Strategien rekonstruieren und bestätigen können, auf die die Ritualleitenden bei ihren sozialen Positionierungen zurückgreifen und mit denen sie sich im Feld legitimieren. Die Ritualleitenden passen ihre Angebote je nach Situation an. Sie können eine Handlung ritualisieren. Wichtig ist dabei die Betonung der Erfahrung von Wirksamkeit, um ein gelungenes Ritual zu definieren. Wirksamkeit wird über ein Gemeinschaftserlebnis und/oder durch eine Erfahrung von Einzigartigkeit erzeugt. Diese erfahrungs- und erlebnisbasierte Vorstellung von Wirksamkeit kann mit Prozessen der Psychologisierung und Therapeutisierung der Ritualangebote in Beziehung gesetzt werden und im Rahmen einer umfassenden These von Todesritualen im Wandel weitergeführt werden. Darin besteht ein wichtiges Ergebnis meiner Arbeit. In gegenwärtigen Todesritualen spiegeln sich demzufolge auch Religionskonzepte, in denen die Erfahrbarkeit von Religion und die Bewältigung von Lebensereignissen im Zentrum stehen. Zu der auch anderen Orts diskutierten Psychologisierung und Therapeutisierung von Religion (s. o. 2.4) passt auch, dass Coping und Emotionalisierung in der Gegenwartsgesellschaft einen hohen Stellenwert haben. Es liegt nach meinen Beobachtungen nahe, dass die gemeinschaftsungebundenen Rituale und die damit verbundenen Bemühungen um eine gefestigte soziale Position «Ritualleitende/r» auf diese Entwicklung reagieren.

Weiteren Forschungsbedarf sehe ich im Vergleich gemeinschaftsungebundener und gemeinschaftsgebundener Todesrituale sowie mit Bezug auf die Teilnehmende Beobachtung an Gedenk- und Trauerorten und mit Bezug auf die Bedeutung der Materialität von gemeinschaftsungebunden Todesritualen.

Ein Vergleich zwischen gemeinschaftsungebundenen und gemeinschaftsgebundenen Todesritualen bietet sich an, weil sich nach meinem Eindruck abzeichnet, dass sich gemeinschaftsungebundene und gemeinschaftsgebundene Todesrituale immer mehr annähern. Diesem Eindruck wäre mit der Dokumentation und Analyse kirchlich verankerter Todesrituale noch genauer auf den Grund zu gehen. Die Teilnehmende Beobachtung von Gedenk- und Trauerorten (wie Friedhöfen) würde es erlauben, individuelle Trauerrituale und Postmortalitätsvorstellungen genauer in den Blick zu nehmen, um auch die Perspektive der Angehörigen (und Abnehmer der Ritualangebote) systematischer einbeziehen zu können. Mit «Materialität» der Rituale beziehe ich mich auf die Objekte, die in einem Ritual vorhanden sind. Die Untersuchung der materialen Gestaltung speziell gemeinschaftsungebundener Todesrituale wäre lohnenswert, weil damit die These überprüft werden könnte, dass vergängliche und transitorische Objekte eine stärkere Bedeutung in gegenwärtigen Todesritualen und an Gedenkorten haben und dass damit der Friedhof auch als Ort des Gedenkens an Bedeutung verliert. Diese vorläufige These hat sich aus meinen Beobachtungen ergeben und liesse sich mit einer solchen Untersuchung weiterverfolgen.Footnote 1