Zusammenfassung
Über längere Zeit gab es eine im doppelten Wortsinne merkwürdige Diskrepanz zwischen der gesellschaftlichen Relevanz von Verschwörungstheorien und deren wissenschaftlicher Erforschung. Ursache scheint auf den ersten Blick eine diesem kulturellen Phänomen anhaftende ‚Unseriosität‘, was offensichtlich zu einer gewissen Furcht führte, durch eine Beschäftigung mit diesem Thema, die eigene wissenschaftliche Reputation zu beschädigen. Die Wenigen, die es dennoch wagten, sich mit diesem zweifelhaften Thema auseinanderzusetzen, grenzten sich in aller Deutlichkeit von ihrem Untersuchungsgegenstand ab, um am Ende nicht selbst zu jenen ‚Verschwörungstheoretikern‘ gezählt zu werden, denen spätestens seit dem paradigmatischen Essay The Paranoid Style in American Politics (1964) des US-amerikanischen Historikers Richard Hofstadter ein Hang zu paranoiden Denkformen diagnostiziert wurde.
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Notes
- 1.
Siehe hierzu Anton (2011, S. 61 f.).
- 2.
Zu einer wissenssoziologischen Kritik an solchen Ansätzen vgl. ausführlich Anton (2011, S. 60–65).
- 3.
Vgl. hierzu auch den Beitrag von Oliver Kuhn in diesem Band sowie Anton (2011, S. 126).
- 4.
Womit nicht ausgeschlossen wird, dass in den konkreten Fällen anhand bestimmter Kriterien feststellbare Rationalitätsunterschiede zwischen orthodoxen und heterodoxen ‚verschwörungstheoretischen‘ Aussagen identifizierbar sind. Worauf die relationale Betrachtungsweise jedoch abstellt, ist, dass diese Rationalitätsunterschiede nicht das zugrunde liegende Klassifikationsprinzip für den Diskurstyp ‚Verschwörungstheorie‘ darstellen.
- 5.
Vgl. den Beitrag von Anton in diesem Band.
- 6.
Siehe auch Anton (2011, S. 29 f.).
- 7.
Ein solches relativistisches Verständnis ermöglicht es auch, die historischen Veränderungen im kulturellen Anerkennungsgrad analytisch zu fassen: Die entsprechende Verschwörungstheorie verschiebt sich auf der aufgespannten Geraden in Richtung des einen oder des anderen Pols. Die Ursachen solcher Verschiebungsprozesse zu rekonstruieren ist eine zentrale Aufgabe einer wissenssoziologischen Verschwörungstheorienforschung.
- 8.
Man denke beispielsweise an die Vielzahl und verstörende historische Kontinuität antisemitischer Verschwörungstheorien.
- 9.
Der Beitrag wurde auf Wunsch des Autors aus der Neuauflage entfernt, da er inzwischen in großen Teilen veraltet ist.
- 10.
Wir möchten uns an dieser Stelle ganz herzlich bei Kirsten Krebber für die redaktionelle Betreuung des Bandes, bei Dr. Cori Antonia Mackrodt für die überaus freundliche verlagsseitige Begleitung des Projektes und bei Julia Hafner für die Übersetzung des Textes von David Coady ins Deutsche bedanken.
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Anton, A., Schetsche, M., Walter, M.K. (2024). Einleitung: Wirklichkeitskonstruktion zwischen Orthodoxie und Heterodoxie – zur Wissenssoziologie von Verschwörungstheorien. In: Anton, A., Schetsche, M., Walter, M.K. (eds) Konspiration. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-43429-8_2
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