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1 Ausgangslange: Innovationen, Kreativität und Lehre?

Innovation und Kreativität – zwei Begriffe, die gern zur Beschreibung neuerer, besserer und zeitgemäßer Ideen verwendet werden. Teilweise führen sie aber auch dazu, dass Akteur:innen in der Hochschullehre zurückzucken und sie als Buzzwords abtun, die nicht ausreichend konzeptualisiert werden (Jahnke und Haertel 2010, Figas und Hagel 2016). Sowohl Innovationsfähigkeit als auch Kreativität werden andererseits aber auch häufig zum Gegenstand von Debatten zur Entwicklung einer zukunftsfähigen Lehr- und Arbeitskultur an Hochschulen gemacht. Sie sind bereits fester Bestandteil von Zukunftskompetenzen, wie bspw. die 21 Future Skills (Stifterverband und McKinsey 2021), die es in der universitären Lehre zu fördern gilt. Kreativität stellt zudem eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung von Innovationen dar. Wer in der Lage ist, kreativ zu denken, beschreitet damit bereits den Weg zur Entwicklung einer innovativen Idee (Pastoors 2017). Kreativität beinhaltet aber nicht allein die Fähigkeiten einer Person zum kreativen Denken. Innerhalb der Kreativitätsforschung existieren zahlreiche Modelle, die Kreativität sowie die Bedingungen zu kreativem Handeln abbilden (Kapoor und Kaufman 2021). Im Laufe der historischen Entwicklung des Begriffs etablierte sich in der Kreativitätsforschung eine systemische Sichtweise auf Kreativität, wobei sowohl Personen als auch Prozesse und Produkte hinsichtlich ihrer kreativen Leistung betrachtet werden (Böhm und Seichter 2017; Jahnke und Haertel 2010).

Ob es sich um eine kreative Leistung handelt, wird durch zwei Komponenten bestimmt: die Originalität der Idee sowie die Effektivität dieser. Originalität beschreibt die tatsächliche Neuheit einer Idee. Die Effektivität bzw. Nützlichkeit einer kreativen Handlung oder Idee richtet sich nach ihrem tatsächlichen Wert in einem bestimmten Kontext (Kapoor und Kaufman 2021). Die Entscheidung darüber, ob eine Leistung kreativ ist oder nicht, basiert auf einer sozialen Bewertung und Akzeptanz des Umfelds (Carell und Jahnke 2009; Jahnke und Haertel 2010). Hierbei vermischt sich das bestehende Verständnis von Innovation und Kreativität. Innovationen sind durch Eigenschaften gekennzeichnet, die von einer bestimmten Gruppe als neu wahrgenommen und von ihr als nützlich anerkannt werden (Disselkamp 2005, S. 17 f.). Sowohl die Einschätzung einer kreativen Leistung als auch des tatsächlichen Innovationsgehalts einer Idee unterliegen demnach dem sozialen Konsens. Bei der Entwicklung hin zu einer Innovation ist die kreative Idee der Ausgangspunkt, welche zunächst als Initiative verstanden wird. Erst nach der erfolgreichen Umsetzung dieser kann von einer Innovation gesprochen werden (ebd., S. 19). Dabei handelt es sich um einen mehrstufigen und voraussetzungsvollen Prozess, dessen Dynamik durch die Innovationsbereitschaft und -fähigkeit der Akteur:innen sowie den vorhandenen Innovationsfreiräumen bzw. -möglichkeiten beeinflusst wird (ebd.; Pastoors 2017).

Die Innovationsbereitschaft umfasst die Bereitwilligkeit, mit der sich die Akteur:innen auf die Neuerung einlassen und diese mittragen und kann sich stark zwischen verschiedenen Innovationstypen unterscheiden. Ein hohes Maß an Offenheit, aber auch Experimentierfreudigkeit beschreibt Personen, die als Pionier:innen vorangehen und Neues als erste in ihrem Umfeld umsetzen (Fischer und Köhler 2010; Disselkamp 2005). Im Kontext der Digitalisierung in der Hochschullehre nehmen solche Pionier:innen eine Vorreiter:innen-Rolle im Einsatz digitaler Elemente in der Lehre ein. Sie wirken im eigenen Fachbereich und darüber hinaus häufig als Multiplikator:innen und fördern die Verbreitung der innovativen Ansätze z. B. in universitätsinternen und -übergreifenden Netzwerken (Blank et al. 2018; Stasewitsch et al. 2022). Neben diesen personenbezogenen Faktoren müssen auch strukturelle Bedingungen im Umfeld der Pionier:innen innovative Handlungen unterstützen. Die Innovationsfähigkeit beschreibt die Kenntnisse einer Person oder einer Organisation um Neuerungen umzusetzen. Teilaspekte der Innovationsfähigkeit sind die strukturellen sowie kulturellen Bedingungen innerhalb der Organisation, in der Innovationen hervorgebracht werden sollen (Böhm und Seichter 2017; Disselkamp 2005). Die Entscheidung dazu, die eigene Lehre unter den Bedingungen der Digitalität zu verändern, weiterzuentwickeln oder sogar von Grund auf neu zu gestalten, bedarf mitunter großem Engagement und Mut aufseiten der Lehrenden (Capparozza und Irle 2020, S. 118 f.).

Erfahrungen aus der hochschuldidaktischen Praxis zeigen, dass Lehrende in der Umsetzung radikaler Innovationen eher zurückhaltend sind und Lehrinnovationen daher oftmals auf einem inkrementellen Niveau bleiben (Haertel et al. 2015, S. 51 f.). Innovieren ist, wie bereits angesprochen, eine kreative Leistung und bedeutet, die gewohnten Pfade zu verlassen und im offenen System – heißt fernab der gewohnten Routinen und Normen – zu navigieren (Bertram und Preissing 2007, S. 9 f.). Damit verbunden ist auch die Möglichkeit des Scheiterns einer neuen Idee oder eines Konzepts in der Umsetzung. Vor dem Hintergrund der akademischen Sozialisation der Lehrenden als Wissenschaftler:innen wird Scheitern noch immer als professionelle Fehlleistung gewertet (Haertel et al. 2016, S. 74 f.), weshalb die Angst vor der Umstellung der eigenen Lehre oftmals groß ist und innovatives Handeln eher die Ausnahme bleibt. Eine ausgeprägte Innovations- sowie eine gesunde Feedbackkultur innerhalb einer Organisation können sich allerdings förderlich auf das Handeln der Akteur:innen auswirken.

Innovationen in der allgemeinen Hochschullehre sind zentraler Ausgangspunkt, um die Qualität von Lehre zu sichern und auf neue, globale Entwicklungen reagieren zu können (Stasewitsch et al. 2022). Speziell in der Lehrer:innenbildung ist es ein drängendes Bildungsziel, angehende Lehrer:innen auf die Bedingungen der Digitalität vorzubereiten und an den Schnittstellen zwischen technischen, pädagogischen und inhaltlichen Kompetenzen adäquat zu fördern (Capparozza und Irle 2020, KMK 2021). Dieser Anspruch bedingt die Weiterentwicklung von Lehr-Lernkonzepten in der Lehrer:innenbildung. In diesem Spannungsfeld stellt sich die Frage nach Möglichkeiten einer systematischen Unterstützung, um Lehrende zum innovativen Handeln zu befähigen und Herausforderungen im Umgang mit neuen Lehrkonzepten zu bewältigen. Im BMBF-Projekt „Digital kompetent im Lehramt“ (DikoLa) wurde aus dieser Fragestellung heraus das Weiterbildungs- und Begleitprogramm „Vordenker:innen – Lehre neu gedacht“ ins Leben gerufen, welches das Ziel verfolgt, Lehrende dabei zu unterstützen, innovative Lehrprojekte mit digitalem Medieneinsatz zu entwickeln und zu erproben.

2 Rahmen und Methodik der Begleitforschung

Zielstellung und Struktur des Programms. Im Innovationsprogramm „Vordenker:innen – Lehre neu gedacht” entwickeln Lehrende der Lehrer:innenbildung eigene Lehrprojekte unter wissenschaftlicher und technischer Begleitung innovativ weiter, erproben und reflektieren diese. Das Programm umfasst zwei Semester und besteht aus einer Planungs- und einer Erprobungsphase (Abb. 1.). Den Auftakt bilden zwei Workshop-Tage, in denen sich die Teilnehmenden mit dem Thema digitale Kompetenzen und dem methodischen Ansatz des Design Thinking als Innovationsmethode auseinandersetzen. Anschließend entwickeln die teilnehmenden Lehrenden mit Unterstützung von Projekt-Mitarbeiter:innen das Konzept ihrer Lehrveranstaltung und erhalten fortlaufend kollegiales Feedback in weiteren Workshops. In der folgenden Erprobungsphase wird das neu entwickelte Lehrkonzept in den Studienverlauf integriert. Projekt-Mitarbeiter:innen stehen den Lehren stehen ihnen auf Nachfrage zur Verfügung, begleiten Seminare als Co-Teacher oder finden Kooperationspartner:innen. Die Veranstaltungen werden darüber hinaus im Rahmen von Dissertationsvorhaben wissenschaftlich begleitet. Die Ergebnisse der Begleitforschung können anschließend in der Verstetigung der Lehre und weiteren Anpassungen berücksichtigt werden. Ergänzend dazu ermöglichen Veranstaltungen aus dem regulären Weiterbildungsangebot die individuelle Professionalisierung.

Abb. 1
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Struktur des Innovationsprogramms (DikoLa – CC BY SA)

Methodik. Lehrende der ersten Phase der Lehrer:innenbildung wurden bisher im Kontext der Gestaltung von Hochschullehre mit digitalen Elementen nur selten untersucht, obwohl sie eine wichtige Rolle in der Medienbildung spielen (Capparozza und Irle 2020, S. 112 f.). Die Identifikation der spezifischen Motivlagen bildet die Grundlage für die Entwicklung wirksamer Anreizsysteme zur Förderung innovativer Lehrentwicklungen (Getto 2013, S. 18). Daraus ergibt sich ein besonderes Interesse, was Lehrende der Lehrer:innenbildung standortspezifisch unter innovativer Lehre verstehen und welche individuellen und organisationalen Faktoren ihr innovatives Handeln beeinflussen. In der Laufzeit des BMFB-Projekts DikoLa konnten drei Durchgänge des Programms angeboten werden. Vor Beginn eines jeden Durchgangs fanden leitfadengestützte Expert:inneninterviews mit am Programm teilnehmenden Lehrenden statt. Es ergab sich eine Gesamtstichprobe von 16 Teilnehmenden. In der Stichprobe befanden sich Personen in verschiedenen Karrierephasen (Promovierende, Post-Doc, Professor: innen) und Fachbereichen sowie -disziplinen (Fachdidaktik, Bildungswissenschaft, Fachwissenschaft). Die Personen unterschieden sich hinsichtlich ihres Erfahrungsschatzes in der Lehre (2–20 Jahre), der Art ihres Beschäftigungsverhältnisses sowie deren Dauer. Die Stichprobe stellte somit einen geeigneten Querschnitt für die Befragung dar. Mit dem qualitativen Untersuchungsansatz sollten subjektive Motive und Anlässe sowie Ziele, Verständnis und Handlungsproblematiken der Lehrenden als Vorreiterinnen und Vorreiter ermittelt werden. Aus der Motivations- und Innovationsforschung ist bekannt, dass Innovationsbereitschaft – z. B. bezüglich Themen der digitalen Bildung, maßgeblich sowohl durch individuelle Motivlagen als auch durch äußere, organisationale Faktoren beeinflusst wird (Fischer und Köhler 2010; Getto 2013). Sowohl personenbezogene als auch kontextbezogene Faktoren wurden daher mit dem Leitfaden erfragt (Jütte et al. 2017; Stasewitsch und Kauffeld 2020). Die Auswertung der Interviews erfolgte mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2016). Grundlage für das entwickelte Kategoriensystem bildete das Innovationsklima-Inventar nach Stasewitsch und Kauffeld (2020). Die dort genannten Faktoren wurden durch die Interviews weiterentwickelt und vor dem Hintergrund der Zielgruppen- und Standortbesonderheiten spezifiziert. Ausgehend von den Ergebnissen der Interviewstudie sowie der Erfahrungen aus dem Programm sollen Maßnahmen abgeleitet werden, die innovative Lehrentwicklung mit digitalen Elementen fördern können.

3 Ergebnisse der Interviewstudie

Aus der Kategorisierung des Interviewmaterials gingen die drei Hauptkategorien Innovationsverständnis, individuelle Motive für innovatives Handeln sowie organisationale Faktoren hervor, welche sich wiederum in mehrere Subkategorien auffächern (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Kategoriensystem (DikoLa – CC BY SA)

Im Folgenden werden die Haupt- und Subkategorien einzeln vorgestellt und mit Originalzitaten aus den Interviews konkretisiert. Im ersten Abschnitt (Abschn. 3.1) werden die drei grundlegenden Innovationsdimensionen vorgestellt, die nicht nur das Verständnis der Befragten hinsichtlich Innovationen im Allgemeinen prägen, sondern anhand derer die Befragten auch innovative Lehre und den innovativen Einsatz digitaler Medien einschätzten. Im zweiten Abschnitt (Abschn. 3.2) werden die genannten Motive aufgezeigt, die aus Perspektive der befragten Lehrenden für die Teilnahme am Innovationsprogramm und für ihr innovatives Handeln in der Lehre handlungsleitend sind. Abschließend werden im letzten Abschnitt (Abschn. 3.3) des Kapitels organisationale Faktoren behandelt, die sich aus Sicht der Lehrenden hemmend oder fördernd auf ihre innovative Lehrentwicklung auswirken. Abgeleitet davon werden Anreizmöglichkeiten zur Förderung von innovativem Handeln in der Lehre benannt und die Bedeutung von Innovationsfreiräumen hervorgehoben.

3.1 Verständnis zu Innovation und innovativer Lehre mit digitalen Medien aus Lehrendenperspektive

In den leitfadengestützen Interviews wurden die Lehrenden unter anderem nach ihrem Verständnis zu Innovationen im Allgemeinen und speziell zu Innovationen in der Lehre und mit digitalen Medien befragt. Es ergaben sich hieraus drei allgemeine Innovationsdimensionen. Des Weiteren wurde der Zusammenhang zwischen innovativer Lehre und dem Einsatz digitaler Medien aus der Perspektive der Befragten deutlich.

Begriffsverständnis von Innovation. Innovation beschreiben die befragten Lehrenden in drei Dimensionen:

  • Neuartigkeit,

  • Kontext und

  • Grad der Verbesserung.

Die Neuartigkeit ergibt sich aus dem bewertenden Vergleich zwischen dem Dagewesenen und der Erneuerung:

„Innovation? Das ist etwas Neues. Das ist etwas Effektives.“ IP 1 Z. 118

Aus Sicht der Befragten unterliegen Innovationen daher auch immer einer zeitlichen Begrenzung. Die Dimension des Kontextes beschreibt die relative Neuheit in einem bestimmten Bezugssystem, z. B. Standort, Hochschule, Schule, Fachbereich, Lehrform, Zeit und Subjekt:

„Meine Erfahrung hat einfach gezeigt: innovativ heißt ja immer irgendwie auch im Vergleich mit anderen und es passieren einfach an den unterschiedlichen Universitäten sehr unterschiedliche Sachen und was vielleicht hier an der Martin-Luther-Universität innovativ ist, ist in anderen Universitäten schon seit fünf Jahren gang und gäbe.“ IP 5 Z. 58-62

Fehlt diese Kontextualisierung, fällt es den Befragten schwer zu beurteilen, ob es sich um ein kreatives Produkt handelt, dass sowohl sinnhaft ist, als auch eine angemessene Lösung für ein Problem darstellt (Böhm und Seichter 2017, S. 284). Der Grad der Verbesserung beschreibt, inwieweit die Neuheit aus Sicht der Befragten eine Verbesserung der aktuellen Situation mit sich bringt, indem sie z. B. interessanter oder effektiver ist:

„Wenn ich den Begriff ‚Innovation‘ höre – ja da steckt ja immer der Begriff ‚neu‘ drin, Weiterentwicklung drin.“ IP 4 Z. 75-76

Das Verständnis der Befragten zum Begriff von Innovation zeigt Parallelen zu der in der Literatur angeführten Beschreibung zu kreativen Produkten und Innovationen auf (Kap. 1). Entscheidend, um von einer Innovation zu sprechen, ist hierbei der Grad der wahrgenommenen Neuigkeit (Originalität) in Abhängigkeit zu einem bestimmten Bezugssystem sowie der Nutzenaspekt (Effektivität) bezüglich einer Eigenschaft (Disselkamp 2005; Kapoor und Kaufman 2021).

Verständnis von innovativer Lehre mit digitalen Medien. In diesen drei Dimensionen wird auch der Innovationsgrad von Lehr-Lernkonzepten bemessen. Innovative Lehre weicht vom Althergebrachten ab und basiert auf Konzepten, die in dieser Form neuartig sind und erst noch etabliert werden müssen. Um neue Lehre zu schaffen, gilt es, die traditionelle Lehre von einem neuen Standpunkt aus zu betrachten. Bewährte Konzepte der Didaktik sollten aus Sicht der Befragten zwar beibehalten aber durch Neues ergänzt werden. In der Kombination aus Bewährtem und Neuem liegt das Wesen einer innovativen Lehre. Zugleich wird der Begriff auch mit hohen Erwartungen verbunden:

„Strenggenommen glaube ich, ist alles, was so von diesem üblichen Konzept abweicht, eigentlich schon innovativ. Aber eigentlich glaube ich, existieren auch zu hohe Erwartungen an innovative Lehre. Das das ist so ein riesen Wort und ich glaube, es reicht mir aber auch schon so eine kleine Veränderung oder so kleine Schrauben, an denen man dreht, um da eine Verbesserung zu erreichen.“ IP 03 Z. 149-154

Ob einzelne digitale Anwendungen als innovativ gewertet werden oder nicht, unterscheidet sich stark zwischen den Befragten. So wurde zum Zeitpunkt der Befragung das Tool „Padlet“ von manchen Befragten als Beispiel für ein innovatives digitales Medium genannt, während andere es als nicht-innovativ bewerteten. Die Einschätzungen basieren hierbei stark auf der Bewertung des jeweiligen digitalen Mediums anhand der drei genannten Innovationsdimensionen. Ausschlaggebend ist zwar, ob die jeweilige Anwendung für die Person neu ist oder ob sie diese bereits genutzt hat, die Befragten beurteilten den innovativen Wert eines digitalen Mediums allerdings vorrangig daran, inwiefern der Einsatz eine Verbesserung für das Lernen der Studierenden brachte (Abschn. 3.2). Wurde Padlet z. B. zum Sammeln von Materialien (Links, Dokumente etc.) genutzt, wurde dieser Einsatz als weniger innovativ eingeschätzt. Hingegen die Möglichkeit zur asynchronen Kommunikation zwischen den Studierenden durch das Geben von Feedback über die Plattform zu fördern, bewerteten die Teilnehmenden als innovativ. Inkrementelle Innovationen, wie der Einsatz eines neuen digitalen Mediums in einer Lehrveranstaltung, können aus Sicht der befragten Lehrenden zur Steigerung der Qualität der Lehre beitragen und die Gestaltungsmöglichkeiten in der Lehre erweitern. Die Qualität wird vor allem daran gemessen, inwiefern ein digitales Medium dazu beiträgt, Lernen interaktiver und flexibler zu gestalten, Spaß am Lernen zu fördern und den Studierenden die selbstgesteuerte Interaktion mit dem Gegenstand und Partizipation in der Gestaltung des Lernarrangements ermöglicht.

Die Lehrenden sehen sich in innovativen Ansätzen selbst in einer begleitenden Rolle. Die Notwendigkeit diesbezüglich einen Wandel im Selbstbild von Dozierenden zu fördern, wurde in den Interviews mehrfach hervorgehoben:

„Also für mich ist [bei einem innovativen Lehr-Lernkonzept] natürlich am Anfang die Frage der Haltung: Wer bin ich denn als Dozierender, wenn ich so ein Konzept erstelle? Und meine persönliche Haltung dazu ist, dass ich nicht als Experte auftrete, sondern wirklich als jemand, der einen Lernprozess begleiten möchte. IP 12 Z. 80-83

Zugleich stellen innovative Lehrvorhaben aus Sicht der Befragten einen erhöhten Mehraufwand dar. Als besonders heraufordernd und zeitintensiv hoben die Befragten hervor, unbekannte Technologien zu verstehen und den Umgang damit zu erlernen. Daher wird bereits im Vorfeld intensiv abgewogen, welchen zu erwartenden Nutzen die Technologie hat. Auch die hohen Erwartungen, die mitunter an innovative Lehrprojekte gestellt werden sowie die Unwägbarkeiten bei der Umsetzung benannten die Teilnehmenden als herausfordernde Besonderheit solcher Vorhaben. Dennoch existiert eine Reihe von Beweggründen, die aus Sicht der Befragten für innovatives Handeln in der Lehre und insbesondere in der Lehrer:innenbildung sprechen.

3.2 Beweggründe für innovatives Handeln mit digitalen Medien in der Lehrer:innenbildung

Ausschlaggebend für die Teilnahme am hier vorgestellten Innovationspogramm ist die individuelle Motivlage der teilnehmenden Lehrenden. Folgende Faktoren wurden aus Perspektive der Teilnehmenden als entscheidende Kriterien für das eigene innovative Handeln mit digitalen Medien genannt:

  • Nutzungsvergnügen,

  • Bedeutung digitaler Medienbildung für den Lehrer:innenberuf,

  • Vermittlung eines kritisch-reflexiven Umgangs,

  • empfundene Vorbildfunktion und

  • erwarteter Nutzen der entwickelten Lehrkonzepte.

Nutzungsvergnügen. Die Befragten äußerten ein hohes Maß an Nutzungsvergnügen. Dies zeigt sich darin, dass sie generell positiv gegenüber digitalen Medien eingestellt sind, sich gern damit auseinandersetzen und Spaß am Ausprobieren von digitalen Funktionen haben. Die Auseinandersetzung mit digitalen Anwendungen findet dabei sowohl in privaten als auch in beruflichen Lebensbereichen statt. Hierbei lassen sich die Befragten gern von ihrem Umfeld inspirieren und berichteten von der eigenen Neugier sich mit digitalbezogenen Themen, wie z. B. Social Media-Welten, tiefergehend zu beschäftigen, diverse Plattformen zu testen, zu verstehen und für sich nutzbar zu machen. Mehrheitlich benannten sie die Aussicht darauf, neue digitale Anwendungen kennen zu lernen und aus zu testen als Grund für die Anmeldung zum Programm.

Bedeutung digitaler Medienbildung. Die Befragten sehen in digitaler Medienbildung einen wichtigen Bildungsauftrag der universitären Lehrer:innenbildung. Universitäre Lehre sollte in diesem Bereich Impulse setzen und eine Vorreiter:innenrolle einnehmen. Innovative Lehre ist allerdings nicht per se von digitalen Medien abhängig:

„Ich glaube, dass digitales Lernen – und das gilt sowohl für das universitäre Lernen als auch für schulisches Lernen – nicht an dem Digitalen hängt. Also es macht eine Innovation nicht aus, ob ich den Computer anmache.“ IP 13 Z. 60-62

„Also ich glaube schon, dass Innovation ja wirklich auch etwas Zweckgebundenes ist und jetzt nicht per se [bedeutet] digital gleich innovativ. Also die Formel würde ich nicht aufmachen wollen. Sondern eher digital kann innovativ sein, wenn es etwas Neues hervorbringt und […] da auch auf verschiedenen Ebenen Vorteile bringt.“ IP 07 Z. 206-211

Entscheidend ist demnach, inwieweit digitale Elemente in ihrer Wirkung die eigene Lehre verbessern. Durch den Einsatz digitaler Medien ergeben sich neue Gestaltungshorizonte für die Lehre und Möglichkeiten zur Förderung des Lernens im Sinne der bereits genannten Qualitätsstandards:

„Ich glaube, [digitale Bildung hat] eine große Bedeutung. Es geht, glaube ich, gar nicht mehr ohne. Das heißt nicht, dass man jetzt alles immer irgendwie digital machen muss. Aber ich glaube schon, dass es da viele Möglichkeiten gibt, die man kennen sollte und dann natürlich abwägen sollte, ob es jetzt in dem Moment einen Sinn macht, die einzubringen.“ IP 06 Z. 52-56

Vermittlung eines kritisch-reflexiven Umgangs. Die befragten Lehrenden sehen vor allem die adäquate Vorbereitung der Lehramtsstudierenden auf neue Anforderungen des Berufs als zentrales Ziel innovativer Lehre. Diese Notwendigkeit ergibt sich aus Sicht der Lehrenden vor allem als Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungsprozesse im Zuge der Digitalisierung und der daraus resultierenden veränderten Lebenswelt der Lernenden. Lehrer:innen müssen in der Lage sein, flexibel auf technische und pädagogische Neuerungen reagieren sowie auf unterschiedliche Vorerfahrungen und Einstellungen der Schüler:innen im Umgang mit Technik eingehen zu können (KMK 2021, Redecker 2017). Digitale Medienbildung verstehen die Befragten daher als wichtigen Bestandteil ihrer Lehre, welchen es als Querschnittsaufgabe aller Fächer zu implementieren gilt. Dabei wird die Vermittlung eines kritisch-reflexiven Umgangs mit digitalen Medien als Zielstellung in innovativen Lehrkonzepten in den Interviews hervorgehoben. Die Lehrenden verweisen vor allem auf die Vermittlung eines kriteriengeleiteten Einsatzes, in dem digitale Medien nicht als Ersatz für analoge Medien, sondern als Erweiterung des didaktischen und methodischen Spektrums gesehen werden:

„Es besteht sehr schnell die Gefahr, dass man diese rein funktionaltechnische Ebene [betrachtet] und die Studierenden sich dann nur darüber austauschen, wie das Programm funktioniert und was es alles kann, aber wenig dann diese Rückkopplung sozusagen an Unterricht haben. Und ich glaube, das ist ganz wichtig, dass wir sowas in unsere Lehre hineinbekommen.“ IP 08 Z. 298-303

Empfundene Vorbildfunktion. Innovative Lehre ist nach Auffassung der Interviewpartner:innen selbst ein dynamischer Prozess, der sich den permanent verändernden Bedarfen von Wissenschaft und Ansprüchen an Lehre anpassen muss. In der eigenen Veränderungs- bzw. Innovationsbereitschaft sehen die Befragten daher eine wichtige persönliche Voraussetzung zum kreativen Handeln. Dazu gehören Persönlichkeitsmerkmale, wie Offenheit und Neugier für Neues, um sich fortlaufend über die Entwicklungen zu informieren und Mut, um dies in der eigenen Lehre auszuprobieren:

„Ich würde jetzt spontan sagen [ein:e Lehrende:r muss] den Mut haben, etwas Neues auszuprobieren. Aber auch nicht losgelöst komplett von dem Alten, sondern wirklich ja so einen Schritt weiter zu denken und zu gucken, funktioniert das und auch wirklich immer mit der Offenheit, es wieder zu verwerfen, wenn es scheitern sollte.“ IP 08 Z. 31-35

Als lehrende Person selbst innovativ zu sein, schätzen die Befragten generell als bedeutsam ein. Mehrmals wurde in den Interviews in diesem Zusammenhang von der empfundenen Vorbildfunktion gesprochen:

„Naja, es hat eine hohe Ausstrahlungskraft, glaube ich, die Lehrer:innenbildung. Also die Studierenden gehen in die Schule, bilden da wieder viele Kinder aus und haben da Einfluss. Also ich glaube, […] die Strahlkraft ist im Lehramt eben besonders hoch. Und deswegen würde ich schon sagen: ‚Da ist es auch sehr wichtig.‘“ IP 14 Z. 139-143

Insbesondere, da die Zielgruppe der Lehramtsstudierenden sich aus Sicht der Interviewpartner:innen weniger offen zeigt als andere Fachbereiche muss die Lehrer:innenbildung Begegnungen mit Technik ermöglichen, um Berührungsängste abzubauen und angehende Lehrerkräfte auf sich wandelnde Bedingungen vorbereiten:

„In der Hinsicht ist es auf jeden Fall ein wichtiges Thema. Zumal ich es immer wieder merke, wie sich gerade unsere Zielgruppe der angehenden Lehrkräfte manchmal auch das abguckt, was man selber vorne macht. Man [hat] also diese Vorbildfunktion. Auf die setze ich natürlich auch stark, dass wenn wir digitaler sind, die dann auch keine Angst haben oder gleich wissen, wie es wirkt und mehr Lust haben, das auszuprobieren.“ IP 01 Z. 161-167

Nutzenerwartung. Bei innovativer Lehre handelt es sich um einen voraussetzungsvollen Prozess, der hohe Anforderungen an die Lehrenden stellt. Anhand des Interviewleitfadens wurde auch der geschätzte Mehraufwand erfragt, der mit der Neugestaltung einer Lehrveranstaltung verbunden ist. Insgesamt relativierten die Befragten diesen Aspekt. Insbesondere zu Beginn der Planung sei der zu erwartende Aufwand schwer einschätzbar, verringert sich aus Erfahrung allerdings bei der Wiederholung und rechtfertigt sich durch die erzielbaren Verbesserungen. Die zusätzliche Arbeit wird von den Befragten auch gern in Kauf genommen, wenn sich dadurch die Lernsituation der Studierenden verbessert, was sich bspw. in der aktiveren Teilnahme der Studierenden und den Lernergebnissen zeigt. Die Motivation der Lehrenden zur Teilnahme am Programm ergab sich vor allem daraus, dass hierbei an konkreten Lehrkonzepten gearbeitet wird und somit ein direkter Nutzen der aufgebrachten Ressourcen zu erwarten ist:

„Meine Hoffnung ist aber auch, dass es dann dieses individuelle Coaching gibt, sodass ich wirklich individuell angepasst auf meine sowieso vorhandenen Lehr-Lernkonzepte […] mit Ihnen gemeinsam, ja, überarbeite. Und dann gucken wir mal, welches Potential sich daraus ergibt.“ IP 11 Z. 251-255

Die Mehrheit der befragten Lehrenden ist der Ansicht, dass sich der Mehraufwand lohnt, wenn die Neuerungen Verbesserungen für die Lehre mit sich bringen und diese veranstaltungsübergreifend, wiederkehrend sowie nachhaltig eingesetzt werden können. Unterstützung durch Expert:innen im Programm sehen die Befragten sowohl in der Auswahl als auch im Erlernen von Technologie als wichtige Hilfestellung und Entlastung.

Zusammenfassend kann aus den Ergebnissen abgeleitet werden, dass innovative Lehre aus Sicht der Befragten stets in Abhängigkeit ihrer Wirkung auf die Lehre betrachtet werden muss. Insbesondere der digitale Medieneinsatz muss in der Lehrer:innenbildung reflektiert und kritisch vor dem Hintergrund der jeweiligen Fachkultur und -disziplin betrachtet werden. Dennoch sehen die Befragten einen hohen Stellenwert von digitalen Elementen in der innovativen Lehre, da sich daraus zum einen neue Handlungsspielräume für die Gestaltung der eigenen Lehre ergeben und zum anderen auf aktuelle Entwicklungen im Hinblick auf Medienkompetenzförderung der Studierenden reagiert werden kann.

3.3 Anreize zur Entwicklung innovativer Lehrkonzepte

Die strukturellen sowie kulturellen Bedingungen innerhalb der Organisation, in der Innovationen hervorgebracht werden sollen, sind Teilaspekte der Innovationsfähigkeit. In der Befragung sollten die Lehrenden einschätzen, welche Bedingungen sie als förderlich oder hemmend in Bezug auf ihre aktuelle Tätigkeit einschätzen und welche Anreizsysteme sie als wirksam erachten. Als mögliche Anreize wurden von den Lehrenden genannt:

  • Schaffen curricularer Freiräume,

  • Bereitstellung von Ressourcen,

  • Lehre im Sinne der Karriereförderung wertschätzen,

  • soziale Anerkennung von innovativen Bemühungen und

  • Schaffen von Innovationsfreiräumen.

Curricular Spielräume schaffen. Enge curriculare Vorgaben, bspw. zur Aufteilung der Semesterwochenstunden, die Form der Prüfungen oder die Wahl der Inhalte in den Curricula empfinden die Lehrenden oft als Einschränkung für ihr innovatives Handeln. Dabei können bereits durch geringfügige Änderungen in den Modulhandbüchern mitunter große Handlungsspielräume eröffnet werden.

Bereitstellung von Ressourcen. Das Vorhandensein bestimmter Ressourcen ist eine Bedingung dafür, dass flächendeckend innovativ gearbeitet werden kann. Dabei spielen vor allem zeitliche, aber auch finanzielle und technische Ressourcen eine entscheidende Rolle. Insbesondere ein Mangel an zeitlichen Ressourcen schränkt kreatives Schaffen ein:

„Also ich glaube, ganz viel gehört Kreativität und Fantasie dazu [um Lehre innovativ zu gestalten]. Also mir geht es so, wenn ich halt viel Stress habe, dann bin ich auch nicht besonders kreativ und innovativ, sondern dann wird einfach abgearbeitet.“ IP 15 Z. 623-626

Wertschätzung von Lehre zur Karriereförderung. Die Bereitschaft zum Innovieren ist maßgeblich davon abhängig, inwieweit diese Bemühungen Wertschätzung erfahren. Mehr Unterstützung und Veränderungen fordern die Lehrenden hierbei vor allem von dem Hochschul- und Wissenschaftssystem. Innovativ-Sein beruht noch immer auf eigenem Engagement mit dem Ziel, gute Lehre zu machen, bringt aber bisher kaum Vorteile für die eigene wissenschaftliche Karriere (Fischer und Köhler 2010, S. 181 f.). Die aktuelle Situation an Hochschulen schätzen die Lehrenden als wenig offen und wertschätzend gegenüber innovativer Lehre ein:

„Also man müsste, glaube ich, an vielen Stellschrauben drehen, um das für Dozierende allgemein noch interessanter zu machen, an der eigenen Lehre zu arbeiten.“ IP 05 Z. 338-340

Somit bleiben Neuerungen eher die Ausnahme und finden, wenn überhaupt, nur im Kleinen statt. Als mögliches Anreizsystem nennen die Lehrenden die Verleihung von Lehrpreisen in Kombination mit Hilfskraftgeldern, ein größeres Deputat für Lehre und Lehrentwicklung, die zentrale Bereitstellung funktionierender Softwarelösungen, universitätsinterne Leitlinien zu guter Lehre und die größere Bedeutsamkeit von Lehre in bei Berufungsverfahren und Stellenbesetzungen.

Soziale Anerkennung. Innerhalb einer Organisation ist die vorherrschende Innovationskultur wichtiger Ausgangpunkt für die Entwicklung und Realisation neuer Ideen. Als Innovationsfreiräume werden solche Strukturen bezeichnet, die Lehrenden eine Beschäftigung mit der Innovation erlauben. Durch das Schaffen von Innovationsfreiräumen kann die Bereitschaft zum Innovieren gefördert werden. Die Teilnehmenden schätzten ihr Arbeitsumfeld generell als offen für innovative Ideen und Konzepte ein und begründen damit auch die Möglichkeit an dem Programm teilnehmen zu können. Eine aktivierende Führung durch die vorgesetzte Person wird hierbei als besonders förderlicher Faktor für innovative Lehre beschrieben (Stasewitsch und Kauffeld 2020; Capparozza und Irle 2020). Auch in den Interviews wurde diese nochmals betont, da Vorgesetzte den Rahmen für die Lehre im Fachbereich stecken und damit Handlungsspielräume für Mitarbeiter:innen eröffnen:

„Also einmal ist gut, wenn quasi der Chef so viel Freiheit oder Offenheit lässt, dass man das wenigstens umsetzen kann.“ IP 5 Z. 285-286

Die Möglichkeit sich mit Kolleg:innen im Fachbereich auszutauschen, gemeinsam lernen zu können und bei ihnen auf Offenheit für kreative Ansätze zu stoßen, fördert aus Sicht der Lehrenden ebenfalls die eigene Innovationsbereitschaft. Das Gefühl von Anerkennung der Bemühungen durch das soziale Umfeld stellt einen bedeutsamen Anreizfaktor. Motivierte Kolleg:innen werden als wichtige Impulsgeber:innen wahrgenommen. Personen, die eine ablehnende Haltung besitzen und diese kommunizieren, hemmen aus Erfahrung der Befragten die Weiterentwicklung. Durch die Ausrichtung des Programms sehen die Lehrenden hierin eine Möglichkeit, auf Gleichgesinnte zu treffen und selbst als Impulsgeber:in aktiv zu werden.

Innovationsfreiräume schaffen. Aus den Interviews lässt sich ein besonderes Bedürfnis nach Innovationsfreiräumen erkennen. Diese Räume sind kulturell insbesondere durch eine offene Feedbackkultur geprägt, in der Fehler angenommen und nicht beurteilt werden. Den Lehrenden ist wichtig, dass sie dort auf Gleichgesinnte treffen und keine Hierarchien bestehen:

„Also man kann sich ja auch verstecken und sagen: ‚Also für mich ist das Althergebrachte das Beste.‘. Das ist ja auch eine Haltung. Ja, dann muss ich mich nämlich mit anderen Dingen auseinandersetzen und muss mir auch keine Blöße geben, etwas nicht zu können und nicht zu wissen. Das ist ja halt auch noch so, dass man noch möglichst immer gut dastehen will. Also sage ich jetzt mal so, in dem Projekt auch auf eine Gruppe stößt, wo es halt nicht so ein Hierarchiegefälle gibt oder wo man dann so verlacht wird, sage ich mal. Also, weil man sich angenommen fühlt mit dem, was man kann oder nicht kann.“ IP 15 Z. 584-592

Lehrende dürfen sich hier als Lernende verstehen. Es gelten Normen, die das innovative und kreative Arbeiten erleichtern, indem Fehler nicht als Fehlleistung interpretiert werden, sondern Ausgangspunkt einer Weiterentwicklung sind. Sie erleben Offenheit für die eigenen Ideen, ohne eine negative Wertung zu erfahren. Das Programm stellte für die Teilnehmenden solch einen Ausprobierraum dar, in welchem sie erwarteten frei von Wertungen und Druck Technologien austesten und schließlich gemeinsam über den Einsatz reflektieren können. Dies bot den Anlass, sich Zeit für eine innovative Gestaltung zu nehmen und sich mit Technik auseinanderzusetzen. Aus Sicht der Lehrenden fördern solche Räume die Kreativität, da weder Rechtfertigungsdruck noch Angst herrscht, etwas falsch zu machen:

„Also, dass ein Raum geschaffen wird, eine Umgebung, die sowas auch ermöglicht. Die Interaktion ermöglicht und die auch genauso zulässt, dass jemand sagen kann, hier stört mich etwas, hier will ich mal ein Feedback geben, dass wir bitte etwas Anderes machen. Und ich denke, dann öffnet sich der Raum auch für mehr Kreativität, für eigenes Denken und nicht so die Befürchtung, etwas falsch machen zu können.“ IP 12 Z. 330-335

4 Innovationsprogramm – „Vordenker:innen – Lehre neu gedacht“

Reflexion des Programms. Am Ende eines jeden Durchgangs fand ein gemeinsames Reflexionsgespräch sowie eine anonyme Evaluierung statt. Als Grund für die Teilnahme führte ein Großteil der Lehrenden an, sich selbst im Umgang mit digitalen Medien professionalisieren zu wollen. Die Workshop-Tage sowie das individuellen Coachings trugen dazu bei, dass die Teilnehmenden sich deutlich kompetenter und sicherer im Umgang mit digitalen Medien in der Lehre einschätzten. Überaus hilfreich wurde die individuelle Zusammenarbeit mit den Projekt-Mitarbeiter:innen empfunden, die als Expert:innen an der Schnittstelle zwischen Lehrer:innenbildung und Digitalisierung zielgerichtete Impulse für die Lehrentwicklung leisteten. Entlang des gesamten Prozesses standen diese Expert:innen den Lehrenden helfend zur Seite, was einen Zugang zu neuen Ansätzen in der Planung fördern und Unsicherheiten während der Erprobung mindern konnte. Die Teilnehmenden hoben hervor, dass die Treffen den interdisziplinären Austausch förderten. Die Regelmäßigkeit von Treffen und Beratungen verlieh dem eigenen Planungsprozess zudem Struktur und ermöglichte die frühzeitige Finalisierung der Lehrprojekte. Insgesamt wurde hervorgehoben, dass die Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten von Beginn an als wertschätzend, offen und kreativ wahrgenommen wurde. Dies erleichterte den Zugang zu innovativen Ansätzen. Fast alle entwickelten Lehrprojekte wurden nach Abschluss des Programms auf Basis der gemeinsamen und interdisziplinären Reflexion weiterentwickelt und verstetigt. Die Teilnehmenden berichteten darüber hinaus, dass die entwickelten Lehrprojekte im eigenen und den fremden Fachbereichen den Auftakt für eine fachlinienübergreifende Kommunikation über den Einsatz digitaler Elemente initiierten. Vereinzelt kam es auch zum Transfer von Elementen in andere Lehrveranstaltungen.

Good Pracitce Beispiel. Die Individualisierung bei der Entwicklung der Lehrkonzepte führte dazu, dass entlang der verschiedenen Fachkulturen und Lernziele Schwerpunkte im Umgang mit digitalen Elementen beachtet werden konnten. Zudem wurden neben inkrementellen auch radikale Innovationen in den Lehrprojekten umgesetzt. Im Bereich Grundschullehramt im Fach Deutsch wurde bspw. ein wahlobligatorisches Lehr-Lernlabor-Seminar entwickelt, in dem Studierende zunächst theoriebasiert Lernaufgaben für den Rechtschreibunterricht designten und diese im Anschluss mit Grundschüler:innen erprobten. Die dabei stattgefundenen Bearbeitungs- und Kommunikationsprozesse der Schüler:innen wurden mittels Screencast (Bildschirmaufnahme) mit einem Tablet aufgezeichnet. Die Videovignetten dienten im Anschluss als Reflexionsgrundlage und gaben Anhaltspunkte zur gezielten Überarbeitung des Aufgabendesigns (weitere Ausführungen im Beitrag von Saskia Kunz in diesem Band). Es handelt sich bei diesem Seminar um ein Beispiel guter Praxis für ein innovatives Lehrkonzept, da der Medieneinsatz einen entscheidenden Beitrag zur Förderung der Reflexionskompetenz der Studierenden leistet. Zudem stellt dieses Konzept ein noch nicht dagewesenes Lehr-Lernformat in der Auseinandersetzung mit Aufgabendesigns dar, indem es Schulpraxis und Theorie erfolgreich verknüpft.

Weiterhin entstand eine Vielzahl an Lehrprojekten, die dem Ansatz des handlungs- und produktionsorientieren Lernens folgten. Innerhalb dieser Veranstaltungen entwickelten die Studierende eigene Medienprodukte, wie bspw. interaktive Poster, Unterrichtsmaterialien und -konzepte sowie Erklärvideos (siehe Lukjantschuk 2022). Dieser Ansatz ermöglicht zum einen eine kritisch-reflexive Auseinandersetzung mit digitalen Medien und zum anderen die Förderung digitaler Handlungskompetenzen der Lehramtsstudierenden (ebd.).

5 Fazit

Die Interviewstudie deckte auf, dass mitunter ein uneinheitliches Begriffsverständnis von Innovation und innovativer Lehre herrscht. Daher sollte die Bedeutung des Begriffs zu Beginn eines Weiterbildungsangebots, das innovative Entwicklungen zum Ziel hat, mit allen Beteiligten geklärt werden. Damit kann einem falschen Verständnis zum Umfang und Anspruch an die Innovation vorgebeugt werden. Aus Perspektive der Lehrenden ist digitale Medienbildung ein wichtiger Gegenstand in den Überlegungen zu innovativen Lehrprojekten in der Lehrer:innenbildung. Deren Umsetzung ist allerdings anspruchsvoll und braucht, insbesondere wenn es zum Einsatz digitaler Medien kommt, kompetente Kooperationen mit Expert:innen. Intermediäre Beratungs- und Weiterbildungsangebote werden von den Lehrenden daher als wichtiger organisationaler Faktor für das Innovieren von Lehrveranstaltungen mit digitalen Medien gesehen, da es für den zielgerichteten Umgang mit Technik eine spezifische Auseinandersetzung braucht und dafür Unterstützung durch Expert:innen benötigt wird. Langfristig angelegte Angebote, wie das Vordenker:innen-Programm, die neben der Entwicklung von Lehrprojekten auch deren Umsetzung begleiten, ermutigen Lehrende zur Realisation inkrementeller, aber auch radikaler Innovationen. Die fachübergreifende Reflexion der Lehrkonzepte birgt hierbei besonderes Potenzial zur Stärkung der interdisziplinären Kommunikation sowie dem Transfer von Neuheiten in andere Fachbereiche. Digitale Kulturen in der Lehre müssen durch Offenheit, positive Fehlerkultur und gegenseitige Beziehungsgestaltung aller Beteiligter (z. B. zwischen Lehrenden und Hochschuldidaktiker:innen) ausgezeichnet sein, um ein positiv denkendes Umfeld zu schaffen, in dem Innovationen realisiert werden können. Auch hierbei können langfristig angelegte Weiterbildungsangebote einen wichtigen Beitrag leisten und ein Vertrauensverhältnis schaffen. Die Anerkennung von Bemühungen in der Lehre kann die Verbreitung neuer Lehransätze fördern. Allerdings existiert hierbei noch deutliches Verbesserungspotenzial.