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1 Einleitung.

Die Covid-19 Pandemie und die damit einhergehenden Semester der Online-Lehre haben die Hochschullandschaft nachhaltig verändert und Digitalisierungsprozesse beschleunigt.Footnote 1 Neue technische Tools hielten in der Lehre Einzug und mit ihnen einher ging – bzw. musste gehen – eine verstärkte Reflexion didaktischer Settings, um den Prämissen „guter (online) Lehre“ gerecht zu werden. Neue Tools verlangten eine andere methodisch-didaktische Herangehensweise. Lerninhalte mussten auch in mediendidaktischer Hinsicht neu aufbereitet werden, um so Studierende aktiv im Lernprozess mitzunehmen. Im vorliegenden Beitrag soll es zunächst um die „Toolisierung der Lehre“ und ihre Limitationen für die (Um)Gestaltung von Lernkultur an Hochschulen gehen. Zentral ist dabei das Verständnis, dass etablierte didaktische Konzepte nicht einfach in neue (digitale) Lernräume etabliert werden können, sondern, dass mit neuen technischen Tools auch neue kulturelle und soziale Praktiken entstehen. Auf diesen Überlegungen aufbauend wird das von der Stadt Wien geförderte Praxis-Projekt „Writing Lab @FHWien der WKW“ vorgestellt. Dieses denkt die veränderten technischen Voraussetzungen für Lehre mit, verbindet diese aber mit didaktischen Formaten und Settings, die neue Perspektiven und Gestaltungsformen in der Weiterentwicklung einer hochschulischen Lernkultur anregen.

2 Toolisierung und ihre Folgen

Ein Blick auf aktuelle Tagungsvorträge und Weiterbildungsprogramme zeigt die steigende Relevanz digitaler Medien in Lehr- und Lernkontexten, sowohl im Schul- als auch im tertiären Bildungsbereich. Weiterbildungen führen unter anderem in Tools ein wie Videokonferenzen, Whiteboards, kollaborative Officeanwendungen und Quiz. Im Mittelpunkt steht dabei die konkrete Anwendung – bei Videokonferenzen z. B. Zoom, Teams oder Big Blue Button – weniger die didaktischen Grundlagen des E-Learnings.

Den mediendidaktischen Grundgedanken, der hinter dieser Fixierung auf einzelne Tools und dem damit impliziten Primat der Technik liegt, hat Sandra Hofhues treffend beschreiben:

„Rein technisch orientierte Defizitanalysen führen vielerorts dazu, Lehrbücher und -inhalte kurzerhand zu digitalisieren. Man überträgt analoge Lehre ganz oder teilweise (manchmal nur einzelne Arbeitsblätter) in den digitalen Raum. Digitalisierung wird hier schlicht als Toolisierung verstanden, beispielsweise sollen Classroom-Response-Systeme, die mündliche Abfragen ersetzen, zum Lernen ‚motivieren‘.“ (Hofhues 2018, hervorh. im Orig.)

Zu einer ähnlichen Diagnose kommt auch Ann-Kathrin Stoltenhoff auf Ebene der medienerzieherischen Zielkategorien. Anhand einer Analyse der in deutschen Leitmedien und von Lehrenden artikulierten Positionen, kann sie herausarbeiten, wie wissenschaftlich etablierte Konzepte zugunsten einer Vorstellung von Medien souverän zu beherrschendes Werkzeug zurückbleiben – sie verwendet hierfür den Begriff der Toolisierung (vgl. Stoltenhoff 2019).

Auch wenn beide Definitionen auf unterschiedlichen Ebenen pädagogischen Handelns liegen, werden sie durch ein Element vereint, dass sich u. E. als zentrales Moment beschreiben lässt: Toolisierung meint die Reduktion pädagogischer Handlungsanforderungen auf technische Problemlösungen.

Aus einer bildungswissenschaftlichen Perspektive erweist sie sich als problematisch, weil Techniken als „festgelegte Wirkungszusammenhänge, die genutzt werden können, um hinreichend zuverlässig und wiederholbar bestimmte erwünschte Effekte hervorzubringen“ (Schulz-Schaeffer 2008, S. 445) die Komplexität pädagogischer Handlungen und der ihnen inhärenten AntinomienFootnote 2 nicht abbilden können. Auch medientheoretisch bleibt eine Betrachtung von Medien als neutrale Tools unzureichend, weil ihre Medialität nicht hinreichend betrachtet wird. Als Medialität wird dabei das Charakteristische eines Mediums bezeichnet. Sie umfasst sowohl die spezifische Ästhetik als auch notwendige Techniken und gesellschaftliche Institutionalisierung (vgl. Ruf et al. 2022). Bildungswissenschaftlich interessant wird Medialität dadurch, dass die spezifischen Eigenschaften eines Mediums Bildungsprozesse ermöglichen oder verhindern. Eine Antwort, wie diese zu analysieren sind, haben Jörissen und Marotzki in der Theorie der Strukturalen Medienbildung (vgl. Jörissen und Marotzki 2009) vorgelegt. Bisher wurde die Medienbildungstheorie aber noch nicht für den mediendidaktischen Bereich adaptiert. (Für einen medienkulturwissenschaftlich informieren Blick siehe auch den Beitrag von Dorothea Horst in diesem Band).

Auf der Ebene der Bildungspraxis führt die unterkomplexe Betrachtungsweise, die der Toolisierung inhärent ist, zu einer einfachen Übertragung von etablierten didaktischen Konzepten in neue mediale Lern- und Bildungsräume. Statt mündlicher Umfragen werden Audience Interaction Tools eingesetzt und Online-Lehre wird geplant und durchgeführt wie klassische Präsenzlehre: gelernt wird zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort, nur dass der Raum im Gebäude der Hochschule durch einen Link zum entsprechenden Online-Meeting ersetzt wurde. Axel Krommer spricht in diesem Zusammenhang von einer „palliativen Didaktik“, der vorherrschende Modus des Lehren- und Lernens sei sowohl medientheoretisch naiv als auch der aktuellen Gesellschaft nicht angemessen und werde durch das Schulsystem künstlich am Leben erhalten (vgl. Krommer 2021). An Hochschulen und Universitäten ist Ähnliches zu beobachten, auch nach zwei Jahren der, mehr oder weniger freiwilligen Online-Lehre, die überwiegend als „Emergency-Remote-Teaching“ (Hodges et al. 2020) durchgeführt wurde, erscheint Mediendidaktik noch als Ausnahme. Die zeigt sich unter anderem dadurch, dass kaum eine Hochschule Mechanismen etabliert hat, die Erstellung asynchroner Lehrinhalte (finanziell) zu würdigen. Online-Lehre erinnert ein stückweit an Telefonate zu Zeiten der Telefonzellen, die zumindest die jüngeren Leser:innen dieses Beitrags nur aus Erzählungen kennen. Die Telefonzelle wurde betreten, die Tür geschlossen, von der Umwelt abgeschirmt wurde fortan das Gespräch geführt. Nach Abschluss trat man wieder nach draußen, aus dem „Kasterl“ in die echte Welt. Dabei handelt es sich um eine Form des Telefonierens, die spätestens durch die Verbreitung von Mobiltelefonen ein Ende gefunden hat. Und seitdem Smartphones ubiquitäre Verbreitung gefunden haben, sind wir nicht mehr nur dauerhaft erreichbar, sondern auch dauerhaft online. In der vorherrschenden Didaktik hat dies jedoch noch keine Konsequenzen: In der Freizeit sind wir online, in der (Hoch-)Schule gehen wir online. Das Online-Seminar findet abgekanzelt vom üblichen Lehrbetrieb in einer eigenen (Telefon-)Zelle statt.

Dieser Befund allein wäre noch kein Grund in larmoyantes Wehklagen über die Innovationsfeindlichkeit des Bildungssystems zu verfallen. Innovation an sich ist kein pädagogisches Kriterium und nur weil eine Methode alt ist, ist sie noch lange nicht überholt. Die Persistenz zentraler didaktischer Formate wie der Vorlesung und des (Text-) Buches lässt sich durchaus begründen, sie haben eine bestimmte Funktion erfüllt und tun dies auch weiterhin (vgl. Friesen 2017). Allerdings entstehen im Zuge von Prozessen der Mediatisierung, Modernisierung und Individualisierung neue Anforderungen an pädagogisches Denken und Handeln. Diese benötigen einen Wandel der Lehr- und Lernkultur, welcher nicht allein dadurch erreicht wird, dass Vorhandenes digitalisiert wird. Es braucht somit eine Perspektive, die aktuellen gesellschaftlichen Wandlungsprozessen gerecht wird.

3 Enkulturation der Digitalität als mediendidaktische Professionalisierung

Die Erkenntnis, dass Medienwandel und gesellschaftlicher Wandel einhergehen, ist mittlerweile unbestritten. Sowohl im öffentlichen Diskurs als auch in bildungspolitischen Papieren, wird unisono verkündet, die Digitalisierung sei nicht nur ein technisches, sondern auch ein soziales Phänomen, das in einer Buchkultur etablierte Bildungssystem müsse sich dieser anpassen. Die Argumentation ist dabei nicht neu – so zeigt z. B. Stoltenhoff (2019) auf, dass sich die Forderung seit den 1990er-Jahren im öffentlichen Diskurs regelmäßig wiederholt und auch Jan-Felix Schrape kann vor dem Rahmen der Web 2.0 Euphorie aufzeigen, dass auch mit vorherigen neuen Medien die gleichen Hoffnungen und Erwartungen verbunden waren (vgl. Schrape 2012).

Darüber hinaus ist die einfache Gegenüberstellung einer alten Buchkultur und der nun entstehenden digitalisierten Kultur und die damit einhergehende Behauptung eines Leitmedienwandels (vgl. Döbeli Honegger 2016) zwar nicht falsch, aber zumindest unterkomplex. So bietet die Kommunikationswissenschaft mit dem Konzept der MediatisierungFootnote 3 (vgl. Krotz 2001) eine Theoriefolie an, die den Zusammenhang von Medien- und gesellschaftlichem Wandel genauer beschreiben kann. Dem Konzept folgende empirische Studien im Rahmen eines DFG Schwerpunktprogramms haben herausgearbeitet, wie Mediatisierungsprozesse in unterschiedlichen sozialen Feldern wirken (vgl. dazu u. a die Beiträge in Krotz und Hepp 2012). Dabei lassen sich vor allem zwei wesentliche Erkenntnisse festhalten: (1) Mediatisierung wirkt domänenspezifisch, hat also in unterschiedlichen sozialen Arenen unterschiedliche Auswirkungen. (2) Mediatisierungsprozesse geschehen in Schüben. Für den aktuellen Mediatisierungsschub wird der Begriff der tiefgreifenden Mediatisierung diskutiert:

„Tiefgreifende Mediatisierung heißt, dass die grundlegenden Elemente der Konstruktion der sozialen Wirklichkeit selbst medial vermittelt sind. Anders formuliert: Die soziale Welt, in der wir als Menschen leben, kann in ihrer spezifischen Form nicht losgelöst von Medien als technischen Mitteln der Kommunikation und Produktion von Daten gedacht werden.“ (Hepp 2018, , S. 35)

Dabei zeigt sich das „tiefgreifende“ Einschreiben von Daten in soziale Realität anhand von fünf Trends: Ausdifferenzierung von technischen Geräten, Konnektivität dieser, Omnipräsenz von Medien, ein erhöhtes Innovationstempo sowie die Datafizierung sozialen Handelns (vgl. dazu Hepp und Hasebrink 2018).

Auffällig an dieser Definition ist, dass sie zumindest rhetorisch zunächst technische Entwicklungsprozesse in den Mittelpunkt stellt und erst im zweiten Schritt zu einer Analyse sozialer Praxen kommt. Als Ergänzung zur Mediatisierungsforschung bietet sich somit eine Perspektive an, die bei einer Beschreibung von Praxen als konstitutives Element von Kultur und Gesellschaft beginnt.

Hierfür bieten sich Felix Stalders Studien zur Kultur der Digitalität an, die auch in andere Beiträge des Symposiums, dem dieser Tagungsband zugrunde liegt, Eingang gefunden haben. Stalder offeriert eine Zeitdiagnose des aktuellen gesellschaftlichen Wandels, indem hinter die Oberfläche des Medienwandels geblickt und soziale Prozesse dahinter freigelegt werden. Als zentrales Element der Kultur der Digitalität macht Stalder eine „Erweiterung der sozialen Basis der Kultur“ (Stalder 2016, S. 22) aus, die sich darin ausdrücke, dass bisher marginalisierte Positionen im öffentlichen Diskurs Gehör fänden. Diese Erweiterung zeige sich u. a. in dem Aufstieg der Wissensökonomie, der Erosion der Heteronormativität und postkolonialen Denkweisen, die die Einteilung der Welt in Zentrum und Peripherie fraglich werden ließen (vgl. Stalder 2016, S. 22–58). Der Grundstein für die Kultur der Digitalität werde in den sozialen Bewegungen der 1960er gelegt. Durch die ubiquitäre Verbreitung des Internets könnten sich diese Entwicklungen miteinander verbinden und eine neue „kulturelle Konstellation“ (Stalder 2016, S. 11) schaffen, die große Teile der Gesellschaft umfasse. Charakteristisch für diese Konstellation seien dabei drei Formen der Digitalität: Referentialität, Gemeinschaftlichkeit und Algorithmizität.

Die Referentialität (vgl. Stalder 2016, S. 96–128) bezeichne die Teilhabe an Kultur durch die Herstellung von Bezügen zu bereits vorhandenen kulturellen Praxen und Artefakten. Neu an der Kultur der Digitalität sei, dass diese nicht wenigen Gatekeeper:innen vorbehalten sei, welche die legitime Kultur bestimmten, sondern alltägliche Praxis. Hierdurch komme es zu einer Pluralisierung von Deutungsmustern. Die so entstehende Flut an Bedeutungen und Orientierung ließe sich nur im Modus der Gemeinschaftlichkeit (vgl. Stalder 2016, S. 129–163) ordnen, sodass Geltung kollektiv ausgehandelt werde. Die Aushandlung von Geltung sei aber immer durch Algorithmen mitbestimmt, die Ordnung in unübersichtlichen Datenmengen sichtbar werden ließen (Algorithmizität) (vgl. Stalder 2016, S. 164–202).

Referentialität, Gemeinschaftlichkeit und Algorithmizität fordern die bisher an Hochschulen und Universitäten gelebte Form des Lehrens und Lernens heraus. Letztlich besteht das klassische Selbstverständnis der Institutionen darin, dass Universitäten und Hochschulen als Gatekeeper:innen entscheiden, was legitimes (akademisches) Wissen ist. Die Studierenden müssen dann in einer Prüfung als Einzelperson nachweisen, notwendige Kompetenzen erworben zu haben in vielen Prüfungssettings weiterhin ohne Zuhilfenahme technischer Geräte. Den Anforderungen einer Kultur der Digitalität wird so nicht entsprochen – einfache Toolisierung wird daran nichts ändern.

Aus diesem Grund wollen wir einen Perspektivwechsel auf professionelles mediendidaktisches Handeln vorschlagen. Anstatt wie bisher, Tools und deren souveränen Gebrauch in den Mittelpunkt zu stellen, müsste es vielmehr darum gehen, kulturelle Veränderungen zu verstehen und eine andere Lernkultur zu leben.

Für den so gedachten Wandel mediendidaktischer Professionalisierung bietet sich u. E. das Konzept der Enkulturation an. Als Enkulturation wird das Hineinwachsen in eine Kultur bezeichnet, sie ist Bestandteil des Sozialisationsprozess – eher psychologisch orientierte Theorien verwenden auch den Begriff der Akkulturation. Ziel ist es in dieser Perspektive in die Kultur der Digitalität hineinzuwachsen. Für die Rolle, die mediendidaktische Professionalisierung hier spielen kann, bietet sich ein Gedanke Werner Lochs an. Dieser formulierte die Idee, dass eine wesentliche Aufgabe der Pädagogik sei, Heranwachsende beim Einleben in die Kultur zu unterstützten und „Enkulturationshilfe“ (Loch 1979, S. 242) zu leisten. Mediendidaktische Weiterbildungen wären somit eine Enkulturationshilfe in die Digitalität.

Um diese Enkulturationshilfe anzugehen ist es notwendig, mediendidaktischem Handeln ein Modell zugrunde zu legen, dass Medien als kulturprägend und nicht als neutrale Tools begreift. Ein solches bietet Kerstin Mayrberger mit ihrem heuristischen Modell partizipativer Mediendidaktik (vgl. Abb. 1). In diesem steht pädagogisches Handeln im Zentrum und wird von den personalen, institutionellen Rahmenbedingungen kontextualisiert. Im Zentrum des Models steht die Frage, wie Partizipation der Lernenden ermöglicht werden kann (vgl. ausführlich Mayrberger 2019). An dieser Stelle ist aber vor allem relevant, welche Rolle den Medien zugeschrieben wird. Mayrberger betrachtet Medien nicht als singuläres Moment, vielmehr zieht sich ein „Medienbalken“ durch alle Ebenen didaktischen Handelns. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen wie z. B. sich verändernde Mediennutzungsgewohnheiten der Lernenden wirken in konkretes didaktisches Handeln hinein und lässt sich von diesem nicht abkoppeln.

Abb. 1
figure 1

Heuristisches Strukturmodell partizipativer Mediendidaktik. (Mayrberger 2019, 70)

Ein Blick in den Medienbalken zeigt auch: Es braucht weiterhin die Nutzung von Technik zur Erstellung von Bildungsmedien, zum Beispiel von Lernvideos. Diese Techniknutzung geschieht jedoch innerhalb eines Rahmens. Mediatisierung und Digitalität auf der Ebene der Gesellschaft ernst zu nehmen, bedeutet auch den kulturellen Praxen der Studierenden einen Raum zu geben. An der FHWien der WKW soll dies in den nächsten Jahren im Rahmen des geförderten Projekts “Writing Lab @FHWien der WKW” geschehen.

4 Praxisprojekt: Writing Lab @FHWien der WKW

In diesem Abschnitt werden wir ein Praxisprojekt vorstellen, das neue Impulse für die Lehre setzen und damit die Lernkultur an Hochschulen aktiv mitgestalten möchte: Das von der Stadt Wien geförderte Projekt „Writing Lab @FHWien der WKW. Nachhaltig Schreib- und Lesekompetenz fördern durch selbstorganisiertes exploratives und kollaboratives Lernen“ (Projektzeitraum: Jänner 2023 bis Dezember 2025). Angesiedelt ist dieses am Teaching & Learning Center der FHWien der WKW. Ziel des Projekts ist die Förderung von Lese- und Schreibkompetenz entlang des gesamten Ausbildungsweges der Studierenden, und zwar unter Einbeziehung unterschiedlicher, akademischer wie berufsrelevanter, Textsorten. Die Basis des Projekts bildet ein Ansatz von Literalität, der die Kultur der Hochschule in Bezug auf Schreib- und Lesekompetenz sichtbar machen möchte (vgl. Lea und Street 2006; Bräuer 2020). In einem ersten Schritt sollen in Anlehnung an institutionelle Literacy Management Prozesse anderer Bildungseinrichtungen (vgl. Korenjak et al. 2021) individuelle und institutionelle Schreibprozesse reflektiert und sichtbar gemacht werden. Darüber hinaus werden abseits der akademischen Abschlussarbeit unterschiedliche, auch berufsrelevante Textsorten an der Hochschule erhoben. Diese Transparenz von Konventionen, Regeln und Erwartungen an Schreibende ist v. a. für jene Studierenden wichtig, die einen Übergang von Schule zur Hochschule bzw. auch vom beruflichen Feld zur Hochschule vollziehen und damit in eine neue, ihnen unbekannte akademische Diskursgemeinschaft eintreten (vgl. Bruffee 1999; Hjortshoj 2010). In einem zweiten Schritt sollen ausgehend von Befragungen sowie Erhebungen der Textsorten und unter Einbeziehung von Evaluierungsergebnissen und der Dokumentation von abgeschlossenen Förderprojekten der Stadt Wien im Schreibzentrum gezielte Angebote und Impulse gesetzt werden, um Lesen und Schreiben innerhalb der Hochschule nachhaltig zu fördern.

Entstanden ist das Projekt aus den Erfahrungen jener Semester, in denen aufgrund der Covid-19 Pandemie Lehre vorrangig online stattfand. In diesen Semestern haben sich die technischen als auch didaktischen Möglichkeiten für die Online-Lehre gesamt verändert und sukzessive erweitert (vgl. Bundeministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung 2021; Mair 2021). Zum einen kamen an den Hochschulen und Universitäten neue technische Tools hinzu und zum anderen stellte sich die Frage, welche Voraussetzungen „gute“ (Online-) Lehre braucht bzw. wie die Qualität der Lehre, mit neuen didaktischen Settings, gewährleistet werden kann (vgl. Forum Neue Medien in der Lehre Austria 2021, S. 29–33; Lehner und Sohm 2021). Zentral ist dabei die Rolle der Lehrperson, die auf Augenhöhe Lernprozesse begleitet und auch Interaktion zwischen den Studierenden untereinander anregt. An diesen Prämissen für „gute Lehre“ anknüpfend bezieht das Projekt strukturelle Veränderungen der Online-Semester mit ein. Die internen Auswertungen zur Nutzer:innenstatistik des Writing Centers zeigen für die betreffenden Semester einen signifikanten Zuwachs an Teilnehmer:innen in Schreibberatungen wie in Workshops. Vor allem die jüngere Zielgruppe der Bachelorstudierenden nahmen die Angebote in Anspruch. Hierbei sei angemerkt, dass sich an der FHWien der WKW gesamt vorrangig berufsbegleitende Studierende finden: rund 60 % der Studierenden sind in einem berufsbegleitenden Studiengang, rund 40 % studieren in Vollzeit (vgl. FHWien der WKW 2022).

Mit Fokus auf die Zielgruppe berufsbegleitende Studierende in den BA-Studiengängen und unter Einbezug der veränderten technischen wie didaktischen Rahmenbedingungen für Lehre sieht das Projekt „Writing Lab“ eine Adaption des didaktischen Konzepts – in Richtung Blended Learning (vgl. Gärtner et al. 2021) vor. Der modulare Aufbau orientiert sich dabei an den Kompetenzfeldern des Schreibens (vgl. Kruse und Jakobs 1999; Kruse und Chitez 2014) bzw. am Schreibprozess (vgl. Ruhmann und Kruse 2014). Abb. 2 zeigt einen Überblick über das didaktische Konzept, das folgende drei Komponenten umfasst: (1) Synchrone Angebote wie Workshops, kollaborative Austauschformate und Schreibwerkstätten. Diese finden entweder virtuell und/oder in Präsenz an der Hochschule statt. (2) Asynchrone (interaktive) Formate und Selbstlernmaterialien wie Textsorten-Wiki, Podcasts, Lernvideos sowie einem Toolkit für Erstsemestrige. (3) Beratungen und Coachings, die individuell vereinbart, on- oder offline abgehalten werden.

Abb. 2
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Didaktische Angebote im Blended Learning Design

Die asynchronen Formate werden in die Konzeption und Weiterentwicklung der synchronen Angebote als auch in den individuellen Beratungen miteinfließen. Mit den asynchronen Angeboten, die zeit- und ortsunabhängig rezipiert werden können, soll v. a. der Mediennutzung der jüngeren Zielgruppe entsprochen werden. Denn im Medienhandeln jüngerer Generationen lassen sich Veränderungen feststellen, die didaktische Konsequenzen erfordern. So zeigt sich in den letzten Jahren eine Verschiebung von rein rezeptiver Nutzung zur Partizipation an sozialen Netzwerken und auch eine fortwährende Mediatisierung jugendlicher Medienwelten (vgl. Hugger 2019). Darüber hinaus lässt sich eine zunehmende Hinwendung zu (audio)visuellen Inhalten erkennen (vgl. Pardy und Ruge 2019, S. 12–15; Edugroup 2021; Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2021). Dies führt dazu, dass Lernvideos ein zentrales Lernmedium jüngerer Generationen sind (vgl. Valentin 2018).

Damit der Online-Content nicht für sich steht, sondern sinnvoll – als Blended Learning – eingebunden wird und Austausch und Feedback unter den Studierenden stattfindet, werden im Rahmen des Projekts gezielt Angebote und Anreize für kollaboratives Lernen geschaffen. In Anlehnung an Bruffee (1999) beschreibt Katrin Girgensohn den besonders für Erststudierende meist schwierigen Einstieg in die akademische Welt folgendermaßen treffend:

„Ihr Verhalten, ihre Sprache, ihre Lernstrategien und ihre schriftlichen Ausarbeitungen wirken oft unpassend, deplatziert oder schlichtweg falsch, weil sie die impliziten und expliziten Werte und Regeln der wissenschaftlichen Communities an der Hochschule nicht kennen und nicht beherrschen. Die Werte und Regeln jener Communities, denen sie bis dato angehörten, also z. B. in der Schule oder im Elternhaus, müssen an der Hochschule durch andere Regeln ersetzt werden. Es muss also eine Akkulturation stattfinden, die, wie Bruffee betont, am ehesten in Gemeinschaft gelingt.“ (Girgensohn 2014, S. 97 f.)

Die Hochschulen agieren dabei als „Gatekeeper:innen“, die, wie bereits an anderer Stelle erwähnt, darüber entscheiden, was legitimes akademisches Wissen ist bzw. was nicht. Die „impliziten und expliziten Werte und Regeln“ werden vorausgesetzt – ein Bewusstsein, dass diese z. T. erst als solche erkannt werden müssen, gibt es in der Regel nicht. Ein Transfer in die akademische Welt schafft u. a. Peer-Learning: Um Studierenden die Akkulturation an der Hochschule zu ermöglichen sind sogenannte „Übergangsgemeinschaften“ vonnöten, in denen kollaboratives Lernen unter den Peers (d. h. gleichrangigen Studierenden) stattfindet.

Das Projekt „Writing Lab“ greift die „Lehren aus den Corona-Semestern“ auf und nimmt das Mediennutzungsverhalten der jüngeren Zielgruppe ernst, um sie von Studienbeginn an bei der Weiterentwicklung ihrer Schreib- und Lesekompetenz zu stärken. Um das zu erreichen, wird auf neue kulturelle und soziale Praktiken reagiert und neue Kommunikationsformen und -strukturen hergestellt bzw. etabliert. Damit wird Lernkultur an der FHWien der WKW aktiv mitgestaltet.

5 Ausblick

Blended- Learning Szenarien, wie sie Bestandteil des Projekts „Writing Lab @FHWien“ sind, bedürfen einer begleitenden Evaluierung. Zugriff- und Nutzer:innenstatistiken, Feedback von Studierenden und Lehrenden, z. B. im Rahmen von Fokusgruppen, sind unerlässlich, um Lernaktivitäten sichtbar zu machen bzw., um ggf. Änderungen im didaktischen Setting vorzunehmen. Im Rahmen des Projekts beispielsweise werden die unterschiedlichen synchronen und asynchronen Formate begleitet vom Feedback der Zielgruppe erstellt und an deren Bedürfnisse angepasst. Sie orientieren sich an konkret formulierten Lernzielen und werden begleitend evaluiert. Nach der Projektzeit gilt dann nochmals zu reüssieren, ob bzw. wie die neue didaktische Ausrichtung sich an der Hochschule etabliert hat und auch, ob diese Best Practice für eine zeitgemäße Lehre sein kann.

Dies geschieht in dem Wissen, dass der Wandel zu einer Kultur der Digitalität neue Praxen des Studierens evoziert, denen produktiv zu begegnen ist. Die Omnipräsenz von Medien und die Prinzipien der Referentialität, Gemeinschaftlichkeit und Algorithmizität werden sicherlich Eingang in die neuen Lernformen finden. Die Frage nach dem „wie“ ist dabei eine empirische und lässt sich vorab nicht beantworten.

Eine neue Lernkultur an Hochschulen wird durch Projekte wie das „Writing Lab @FHWien der WKW“ wesentlich mitgestaltet. Allerdings bedarf es mehr, um Lernkultur an Hochschulen nachhaltig zu stärken und zu verankern. Neben einer didaktischen Öffnung Richtung Blended Learning-Konzepten, die Tools in sinnvoller Weise miteinander verschränkt, müssen auch Lehr- und Lernräume neu gedacht werden. Denn es ist meist nicht der klassische Hörsaal, der neue, interaktive Lernformen und -formate ermöglicht. Hierbei gilt es die Studierenden als wesentliche Mitgestalter:innen von Lernprozessen ernst zu nehmen und ihre Stimme bei der Entwicklung neuer Formate zu berücksichtigen und somit die soziale Basis der Lernkultur zu erweitern. Darüber hinaus ist die Organisation als solche – d. h. v. a. die Leitungsebene von Hochschulen – gefragt. Sie muss kulturelle Veränderungen mittragen und aktiv fördern. Nur dadurch findet eine nachhaltige Verankerung in der Organisationsstruktur statt.