Schlüsselwörter

1 Einleitung

Die rasche „Zwangsdigitalisierung“, die durch die COVID-19-Krise ausgelöst wurde, hat zu einem episodischen Wandel in der Hochschullandschaft geführt (Waffner und Otto 2022, S. 6). Für viele Hochschulen stellt sich die Frage, wie sie auf den gewonnenen Erfahrungen und der Dynamik der Digitalisierung aufbauen können. Bei der Frage nach den aktuellen Herausforderungen bei der Entwicklung digitaler Lehre ist von besonderem Interesse, welchen Einfluss organisationale Faktoren auf den Einsatz digitaler Lehre haben können. In diesem Kurzbeitrag wird anhand von empirischen Daten aus acht Fallstudien vorgestellt, welche Rolle Digitalisierungsstrategien bei der Implementierung und dem Erhalt digitaler Lehre spielen, da sie sowohl treibende als auch hemmende Kräfte des Wandels sein können (Shah und Sid Nair 2014).

2 Forschungsstand

Bedenlier und Deimann 2020 untersuchen die Digitalisierungsstrategien von zwölf Bundesländern Deutschlands und kommen zu dem Schluss, dass schon auf der Ebene der Länder unklare Definitionen für die Digitalisierung bestehen. In den hochschulbezogenen Passagen wird auf die Umsetzungshoheit und die Gestaltungsmöglichkeit der Hochschulen bei der Digitalisierung verwiesen (Bedenlier und Deimann 2020). Graf-Schlattmann et al. 2020 befassen sich in einer empirischen Studie mit dem Digitalisierungsbegriff und seiner Bedeutung für Hochschulen. Dabei arbeiten sie zunächst einen top-down Ansatz heraus, der strategische Zielformulierungen umfasst, die einer vertikalen Ordnung von Seiten der Hochschulleitung folgen (Graf-Schlattmann et al. 2020). Die theoretische Annahme ist, dass die strategischen Ziele seitens der Hochschulleitung geplant und von den unteren Ebenen durchgeführt wird (Graf-Schlattmann et al. 2020, S. 17). In ihrer empirischen Studie kommen sie entgegen der theoretischen Annahme zu dem Ergebnis, dass von Seiten der Hochschulleitung zwar Pläne entwickelt werden, diese allerdings nicht bis in die Praxis der Hochschullehre hinreichend umgesetzt werden (Graf-Schlattmann et al. 2020, S. 17 f.).

3 Theorie

Die vorliegende Studie schließt an die Vorarbeiten von Karl E. Weick zur Theorie der lose gekoppelten Bildungsorganisationen an (Weick 1976). Im Sinne dieser Theorie können die Elemente in Bildungsorganisationen, insbesondere das Verhältnis zwischen der Leitung und den Lehrenden, in einem Verhältnis der losen Kopplung angesehen werden. Für die genannten Elemente in Bildungsorganisationen ist charakteristisch, dass dort mehr Selbstbestimmung vorhanden ist (Weick 1976, S. 7). Es gibt netzwerkartige Strukturen der Akteure zueinander und es liegt ein geringer Grad der Kontrolle vonseiten der Leitung im Hinblick auf die Lehrenden vor (Weick 1976). Weick bezieht sich auf Schulen und er betrachtet unter anderem das Verhältnis von Schulleitungen und Lehrenden. Die Theorie der lose gekoppelten Systeme lässt sich auf Hochschulen übertragen (Kloke und Krücken 2012). Angewendet auf die Digitalisierungsstrategie einer Hochschulleitung würde gemäß dieser Theorie erwartet, dass die Lehrenden in Eigenregie Innovationen hervorbringen und nur geringe Steuerungswirkungen von Seiten der Hochschulleitung zu erzielen sind.

4 Methoden

Der methodologische Ansatz, der für diese Arbeit gewählt wurde, basiert auf einem interaktiven Forschungsmodell (Ellström 2008). In diesem Zusammenhang wurden Hochschulmitarbeitende aus drei Leitungsebenen (Hochschulleitung, Fakultätsleitung und Studiengangsebene) von dem Forschungsteam eingeladen, sich auf einen offenen Aufruf für Fallstudien zu bewerben. Insgesamt wurden acht Studiengänge, die in unterschiedlichem Umfang Bildungstechnologie einsetzen, als Fallstudienkontexte ausgewählt. Unter Bildungstechnologien wird die „Erleichterung des Lernens und die Verbesserung der Leistung durch Schaffung, Nutzung und Verwaltung geeigneter technologischer Prozesse und Ressourcen verstanden“ (Januszewski und Molenda 2013, S. 1). Die Auswahl der Studiengänge erfolgte nach dem Heterogenitätsprinzip (Bartlett und Vavrus 2017): Daraus ergibt sich, dass die beforschten Studiengänge unterschiedliche fachliche Schwerpunkte haben (z. B. Soziale Arbeit, Technikrecht, Europa- und Russlandstudien), an verschiedenen Hochschultypen angesiedelt sind (z. B. private/öffentliche, kleine/große Einrichtungen) und sich zudem in verschiedenen europäischen Ländern befinden (vier in Deutschland und vier weitere im europäischen Ausland). Insgesamt wurden 68 Leitfadeninterviews mit Personen geführt, die mit den ausgewählten Studiengängen in Verbindung stehen, darunter Lehrpersonal, Fakultätsleitung, Verwaltungs- und Hilfspersonal sowie die Hochschulleitung. Die Interviews dauerten im Durchschnitt eine Stunde, wurden aufgezeichnet und transkribiert, und die persönlichen Informationen anonymisiert. Ziel der Interviews war es, die organisatorischen Bedingungen zu erforschen, die die Einführung von Bildungstechnologie behindern oder fördern. Die erhobenen Daten wurden kollaborativ ausgewertet. Die Forschenden arbeiteten kollektiv an den Interpretationen der Daten (Cornish et al. 2014). Die Auswertungsmethode folgte dem Verfahren der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse. Es wurde ein Probedurchlauf der Kodierung des Datenmaterials durch die Forschenden für zehn Prozent des Interviewmaterials vollzogen. Hierzu wurde ein Kategoriensystem entwickelt. Anschließend wurde das gesamte Datenmaterial mithilfe der deduktiven und induktiven Kodiertechnik kodiert. Es wurde entsprechend der konsensuellen Kodiertechnik verfahren (Kuckartz und Rädiker 2022).

5 Ergebnisse

Die Interviews haben bestätigt, dass, wie bereits in der Literatur beschrieben, die Entwicklung von Digitalisierungsstrategien an Hochschulen durch die Corona-Pandemie einen Aufschwung erfahren hat.

„Wir sind noch, ich will jetzt nicht sagen, in einer Suchbewegung. Sondern wir sind jetzt in die Strategie gegangen, dass wir auch erst mal die Kompetenzen, die wir jetzt hier alle gesammelt haben als Kollegen, Stück für Stück fixieren. Und sozusagen aus den Erfahrungen erst mal schöpfen.“ (CS01_L01_P02, Pos. 7)

Dennoch wurde deutlich, dass eine große Kluft zwischen der Existenz einer Digitalisierungsstrategie, dem Wissen darüber und deren Einfluss auf die Lehre vorliegt. Deutlich wurde, dass dort, wo eine Digitalisierungsstrategie vorhanden war, besonders die Lehrenden nicht mit den Inhalten vertraut waren und Kommunikationsprobleme deutlich wurden.

„Denn das ist, um ehrlich zu sein, ziemlich nebulös. Der Punkt ist also, dass die Universität eine Strategie hat, aber ich bin mir nicht sicher, ob diese Strategie auf jeder unteren Ebene klar kommuniziert wurde.“ (CS05_L01_P03_ID38, Pos. 7)

Einige Leitungspersonen berichteten zudem, dass eine von oben auferlegte Strategie abgelehnt werden würde und daher das Organisieren digitaler Lehre den Fakultäten überlassen sei. Diese seien näher an der tatsächlichen Praxis der Lehre und könnten so erfolgreicher eine Strategie formulieren bzw. auch eine integrative Entscheidungsfindung unterstützen, welche für eine wirksame Umsetzung des Wandels erforderlich sei.

„Da waren Einzelne dabei, die haben gesagt: „Leute, wir treffen uns jetzt einfach jeden Mittag“. Das ist dann eingeschlafen und inzwischen ist, glaube ich, ein sehr, sehr starkes Einzelkämpfertum nur noch vorhanden und manchmal weiß ich nicht so genau, wer noch da ist, wenn der Nebel sich legt.“ (CS01_L01_P03_ID03, Pos. 49)

Meist war die Fakultätsleitung über die Aufgabe der Organisation digitaler Lehre nicht im Bilde oder organisierte sich zwangsweise in kleineren Einheiten, da die Hochschule selbst zu wenig oder zu langsame Maßnahmen zur Umsetzung digitaler Lehre in Gang setzte. Es wurde deutlich, dass neben der Digitalisierungsstrategie, eine klare Kommunikation bezüglich der Organisation digitaler Lehre zwischen den einzelnen Leitungsebenen nötig ist. Die Digitalisierungsstrategie und ihre Umsetzung scheitert bislang in den beforschten Hochschulen an einer klaren Kommunikation bis in die Gruppe der Lehrenden. Deren Einbindung ist notwendig, um einen digitalen Wandel, institutionelle Innovation und Kreativität unter verschiedenen Stakeholdern fördern zu können. Durch diese fehlende Einbindung der Lehrenden und Kommunikationshürden zwischen der Hochschulleitung und der Fakultätsleitung wird der digitale Wandel in der Hochschule als Organisation gehemmt.

6 Diskussion

Da die einzelnen Einheiten in den untersuchten Hochschulen lose miteinander verbunden sind, hat sich gezeigt, dass die Kommunikation zu strategischen Prozessen aufgrund des fehlenden Austausches zwischen Hochschulleitung, Fakultätsleitung und Lehrenden in den beforschten Fällen nicht zustande kommt. Aufgrund dieser strukturellen Hürden sollten bewusst Austauschformate geschaffen werden, die diese weit voneinander entfernten Ebenen der Hochschulspitze, der Fakultätsleitung und der Lehrenden miteinander in einen Dialog bringt. Bei der Implementierung von Digitalisierungsstrategien kommt es auf die Einbindung der relevanten Ebenen an (Getto und Kerres 2017). Die einzelnen Ebenen sollten über die Digitalisierungsstrategie informiert werden und es sollten klare Verantwortungsbereiche und Zuständigkeiten geschaffen werden. Es bleibt festzuhalten, dass die Implementierung von Digitalisierungsstrategien ein komplexer Abstimmungsprozess ist, der intensiven Austausch erfordert und eine besondere Herausforderung für die Hochschule als Organisation darstellt (Graf-Schlattmann et al. 2020). Auch wenn es Initiativen auf Ebene des Bundes und der EU gibt, die eine Implementierung von Digitalisierungsstrategien fördern, zeigt diese Analyse, dass sie sich keineswegs von alleine in der Hochschule als Organisation verankern. Dazu bedarf es es einer Änderung etablierter Routinen, um der sozialen Trägheit entgegenzuwirken (Bourdieu 2015; Eribon 2017).