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1 Hintergrund

In der beruflichen Pflege finden digitale Technologien immer mehr Anwendung. So werden telemedizinische Produkte, assistive Technologien, E-Health-Werkzeuge oder auch Robotik zunehmend in die pflegerische Versorgung integriert (Daum 2022), mit dem Ziel, aktuelle und zukünftige Herausforderungen wie den Pflegenotstand oder den demografischen Wandel bewältigen zu können (Lutze et al. 2021). Der Einbezug digitaler Technologien hat Auswirkungen auf die Rolle der Pflegefachpersonen und erfordert zusätzliche digitale Kompetenzen. Das Projekt „T-Nugd – Telenursing – Nursing goes digital“ nahm sich dieser Thematik an und entwickelte, erprobte und evaluierte ein wissenschaftliches Weiterbildungsangebot im Bereich der Telepflege/Telemedizin. Konkreter fokussierte das Projekt auf folgende Bereiche:

  • Entwicklung digitaler Fach- und Grundkompetenzen

  • Inhalte zum Themengebiet ‚Digitalisierung in der Pflege‘

  • Erfahrungen mit digitalen Lehr- und Lernarrangements

Das Projekt wurde vom Europäischen Sozialfonds im Programm „Öffnung von Hochschulen“ und aus Landesmitteln des Landes Niedersachsen finanziert. Zielgruppe des Weiterbildungsangebotes waren Pflegefachpersonen, die häufig zur Gruppe der nicht-traditionell Studierenden gehören. Von September 2021 bis Dezember 2022 wurden drei Weiterbildungsmodule entwickelt, erprobt und evaluiert, wobei das Modul Clinical Assessment/Clinical Reasoning im Fokus dieses Beitrags steht. Unter Berücksichtigung der Zielgruppe wurde in dem Modul ein didaktisches Konzept etabliert, welches eine hohe zeitliche und örtliche Flexibilität erlaubt und gleichzeitig dem Gedanken des digitalen Wandels entspricht.

2 Didaktische Konzeption des Weiterbildungsangebotes

Laut dem kanadischen Pädagogen George Siemens (2005) werden die Lerntheorien des Behaviorismus, Kognitivismus und Konstruktivismus den technologisch fortschreitenden Veränderungen der Arbeits- und Lebenswelt nicht mehr gerecht. Diese Lerntheorien betrachten primär den Lernprozess und nicht das Identifizieren und Auswerten sowie den Nutzen von Informationen, welche im Zeitalter komplexer Informationsmengen benötigt werden (Bernhardt und Kirchner 2007). Denn zum Verständnis komplexer Systeme müssen Strategien entwickelt werden, „die das Zusammenspiel und die Selbstregulation der Systemkomponenten […] mit einbeziehen.“ (Vester 2019, 26). Die Lerntheorie des Konnektivismus berücksichtigt die Veränderungen des digitalen Wandelns und hebt die zunehmende Tendenz von Lernenden hin zu informellen, vernetzten und elektronisch gestütztem Netzwerken hervor (Bernhardt und Kirchner 2007). Einen ähnlichen Ansatz beschreibt Zierer (2018) hinsichtlich des digitalen Lernens 4.0. In Anlehnung an das World Wide Web kann digitales Lernen in die Versionen von 1.0 bis 4.0 differenziert werden. Dabei nimmt mit der sich steigernden Version des digitalen Lernens der Grad der sozialen und kognitiven Vernetzung zu (Zierer 2018). Lernen 4.0 bezieht sich nicht nur auf die technologische Perspektive, sondern führt darüber hinaus zu Änderungen von Lehr- und Lernstrukturen, welche eine neue Form der Lernkultur ermöglichen. Im T-Nugd-Projekt wurde eine Orientierung an der Lerntheorie des Konnektivismus vorgenommen. Auf Grundlage der lerntheoretischen Ausrichtung lag der Schwerpunkt der Präsenztermine auf der sozialen und kognitiven Vernetzung, wodurch sich für die Weiterbildungsteilnehmenden folgende Konsequenzen ergaben:

  • Sie kamen mit neuen Lehr-/Lernformaten in Kontakt, die sie so nicht kannten.

  • Sie erarbeiteten sich in den Distanzphasen Wissen zu dem Themenbereich Clinical Assessement/Clinical Reasoning, welches in den Präsenzterminen besprochen und vertieft wurde. Hierbei wurde auch die Übertragbarkeit der Lerninhalte auf die berufliche Praxis (kritisch) diskutiert.

  • Die Verknüpfungen zwischen der beruflichen Praxis und neuen Erkenntnissen fanden individuell und auch in Gruppendiskussionen statt.

Am Ende des Moduls konnte eine Prüfungsleistung abgelegt werden. Nach erfolgreicher Prüfung erhielten die Teilnehmenden ein Zertifikat mit 3 ECTS. Ohne Prüfungsleistung wurde eine Teilnahmebescheinigung ausgestellt.

3 Ergebnisse des Weiterbildungsanagebots

Um die Wirksamkeit des Weiterbildungsformates zu ermitteln, wurde das Modul empirisch evaluiert. Dazu wurden qualitative und quantitative Methoden kombiniert. Die quantitative Erhebung erfolgte anhand eines Fragebogens. Qualitativ wurde ein Fokusgruppeninterview mit den Weiterbildungsteilnehmenden durchgeführt. Zusätzlich wurden nach jedem Veranstaltungstermin One Minute Paper durch die Weiterbildungsteilnehmenden und dem Dozierenden ausgefüllt. Die qualitativen Erhebungen wurden nach der strukturierenden Inhaltsanalyse (Kuckartz und Rädiker 2022) ausgewertet. Anhand der drei deduktiven Kategorien „Empowerment“, „Blended Learning“, „Inverted Classroom“ aus dem Interview und der induktiven Kategorie „Sozialer Umgang und Arbeitskultur in der Weiterbildung“ aus den One Minute Papers, ließ sich gut darstellen, wie sich die didaktischen Entscheidungen ausgewirkt haben.

Prägnante Aussagen aus der Kategorie „Empowerment“ zeigen, dass die Teilnehmenden ein vertiefendes Verständnis zwischen erlebtem und antizipierten Handeln erlangt haben und das theoretische Wissen gut mit der beruflichen Praxis verknüpfen konnten. So sagte ein Teilnehmender: „Auf jeden Fall, also inhaltlich macht es wirklich Sinn, es hat gefruchtet sozusagen, dass man da wirklich Themen behandelt, denen man täglich auch begegnet, die man jetzt auch besser beschreiben kann.“ (Transkript_M1, Pos. 99).

Die Teilnehmenden betonten, dass sie die Inhalte gut mit der Praxis verknüpfen und besser fachlich gegenüber Vorgesetzten argumentieren können. Der Ansatz des Inverted Classroom war für alle Teilnehmenden neu und wurde positiv bewertet: „also damit man das auch vorher schon mal lesen konnte und das fand ich ganz hilfreich.“ (Transkript_M1 Pos. 50).

Gleichzeitig wurde in den Interviews deutlich, dass die Teilnehmenden Schwierigkeiten hatten, sich auf das Konzept des Inverted Classroom einzulassen, da sie sich sonst nur in traditionellen Lehr-/Lernsettings bewegten. Wogegen aus didaktischer Sicht genau das eintrat, was mit dem Ansatz geplant wurde: die Teilnehmenden reflektierten ihr Wissen und ihr berufliches Handeln, woraus sich konkrete Fragestellungen ergaben. Diese wurden dann in den Veranstaltungsterminen aufgegriffen und gemeinsam bearbeitet. Dabei schätzten die Teilnehmenden besonders den Erfahrungsaustausch und ihre Vernetzung untereinander. Weiterhin wurde das Blended-Learning-Format von allen Teilnehmenden positiv bewertet. Es wurden Vorteile der Onlineveranstaltungen (zeitliche Flexibilität und Überwindung von Entfernungen) sowie Vorteile der Präsenzveranstaltung (informeller Austausch, bessere Gruppenarbeit) angegeben. Eine darauf aufbauende These ist, dass sich aus dieser Kombination die gute Lernkultur etablieren konnte, welche sowohl vor Ort als auch Online gelebt wurde. Dies wird vor allem in den One Minute Papers deutlich. In diesen wird von dem Dozierenden immer wieder positiv das Interesse und die Motivation der Teilnehmenden sowie deren hilfsbereiter Umgang untereinander beschrieben. Er schreibt beispielsweise, dass „[…] sich die Teilnehmenden rege miteinander zu ihren Praxiserfahrungen ausgetauscht [haben] und sich gegenseitig bei beispielsweise Gruppenarbeiten unterstützen“ (M1_ 1Min_Doz, Pos. 2).

4 Fazit

Die Kombination von Blended Learning mit dem Inverted Classroom konnte bereits in der Studie von Sajid et al. (2016) positive Lernergebnisse, wie produktive Diskussionen und eine verstärkte Interaktion zwischen Studierenden nachweisen. Aktuelle Erfahrungen aus dem T-Nugd-Projekt bestärken die positiven Auswirkungen der Kombination beider Formate. Auf diese Weise konnte die reflexive Praxis von Lernenden effektiv gefördert werden. Zielgruppe bildeten Personen, denen eine Studienberechtigung aufgrund beruflicher Qualifikationen und Erfahrungen zugesprochen wird. Die Weiterbildungsteilnehmenden wiesen eine hohe Heterogenität hinsichtlich des Alters, der Berufserfahrung, sowie des beruflichen Settings auf. Trotz der hohen Heterogenität haben die Lehr-/Lernformate dazu beigetragen, dass eine Lernkultur geschaffen wurde, die es den Teilnehmenden ermöglichte, sich sozial und kognitiv im Sinne des Lernens 4.0 zu vernetzen. Hierbei entstand zwischen den Teilnehmenden sowohl ein formeller als auch informeller Austausch. Weitere Forschung ist erforderlich, um die Effizienz der Verbindung von Blended Learning mit dem Inverted Classroom im Vergleich zu anderen Unterrichtsmethoden zu prüfen.