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1 Problemstellung

Ausbleibender Studienerfolg in Form eines Abbruchs des Studiums stellt eine Herausforderung für das Hochschulsystem dar. In der empirischen Forschung wurden Ursachen für Studienabbruch identifiziert: Behr et al. (2021) nennen mangelndes Interesse und falsche Erwartungen an den Studiengang sowie Leistungsprobleme als die relevantesten Motive für Studienabbruch; in geringerem Maße stellten auch die Studienbedingungen und finanzielle Probleme Abbruchgründe dar.

Aufgrund der zunehmenden Diversität der Studierendenschaft und der Vielfalt studentischer Lebensformen sind verstärkt jene Studierende in den Blick zu nehmen, die nicht dem Bild des ‚Normalstudierenden‘ entsprechen. Studierende ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung (sondern mit beruflicher Qualifikation) bspw. unterliegen einem höheren Risiko auf Studienabbruch als Studierende mit schulischer Hochschulzugangsberechtigung (Herrmann 2022). Bei Studierenden ohne schulisch erworbene Hochschulzugangsberechtigung stellen Leistungsprobleme und finanzielle Schwierigkeiten die wichtigsten Ursachen für den Studienabbruch dar, neben anderen Gründen wie familiärer Beanspruchung (Herrmann 2022).

Das Beratungs- und Unterstützungssystem einer Hochschule spielt eine wichtige Rolle, um Studienabbruch entgegenzuwirken. Unter diesem System ist die Gesamtheit aller Angebote einer Hochschule zu verstehen, mit denen Studieninteressierte, Studierende und Absolvent:innen außerhalb von Lehrveranstaltungen Unterstützung bei Fragen und Herausforderungen im Zusammenhang mit ihrem Studium, Lernen und Leben als Student:in erhalten, sei es in fachlicher, organisatorischer, sozialer oder psychischer Hinsicht. Hierzu zählen z. B. Mentoringprogramme, Einzelberatungen bei Prüfungsängsten oder Workshops zur Studienfinanzierung. Die Relevanz des Beratungs- und Unterstützungssystems für den Studienerfolg verdeutlichen Behr et al. (2021): Studienabbrüche können verhindert werden z. B. durch Self-Assessments für Studieninteressierte oder durch Brückenkurse für Studienanfänger:innen.

Befragungen zeigen jedoch eine geringe Nutzung des Beratungs- und Unterstützungssystems: Nicht einmal ein Drittel der befragten Studierenden mit Studienzweifeln machte Gebrauch von einem Beratungsangebot (Middendorff et al. 2017, S. 70). Hochschulen stehen somit vor der Herausforderung, das Beratungs- und Unterstützungssystem sichtbar zu machen und Studierende zu dessen Nutzung zu motivieren. Aufgrund der studentischen Heterogenität muss hierbei auch diversitätsorientiert vorgegangen werden.

2 Der digitale Assistent ‚Smart Success‘

Die App ‚Smart Success‘ der Hochschule Osnabrück bietet den Studierenden keine fachlichen Lerngelegenheiten und stellt somit keine Form des E-Learnings dar; vielmehr gibt sie den Studierenden die Möglichkeit, auf einer fachunabhängigen Ebene den Rahmen ihres Lernens (besser) zu gestalten und überfachliche Kompetenzen für selbstreguliertes Lernen zu erwerben (Lutz et al. 2021). Damit unterscheidet sie sich bspw. von der App ‚Tunimucoris‘ der Universität Ulm, die rein fachliche (zahnmedizinische) Inhalte anbietet (Geibel 2021).

Die App ‚Smart Success‘ umfasst die drei folgenden Hauptfunktionen:

  1. 1.

    Erstellung individuell modifizierbarer Semesterpläne für die Flexibilisierung des Studiums (Lutz und Mayer 2019): Einfügen zusätzlicher Semester, Verschieben von Modulen in andere als die regulär vorgesehenen Semester, Einfügen außerhochschulischer Aktivitäten und Verantwortlichkeiten, Checkliste zur Verhinderung dysfunktionaler Pläne.

  2. 2.

    Überblick über Studienfortschritt und Leistung: Darstellung offener und bestandener Module, Informationen zu offenen, bestandenen und nicht-bestandenen Prüfungsleistungen, Frühwarnsystem für studienkritische Situationen (z. B. bevorstehender dritter Prüfungsversuch), Rückmeldung über den Umsetzungsgrad der individuellen Semesterplanung.

  3. 3.

    Auffinden und Inanspruchnahme von Beratungsangeboten: Darstellung zuständiger Beratungspersonen, Möglichkeit zur Kontaktaufnahme, Weiterleitung zum ‚Navigator‘ der Hochschule (s. Kap. 3).

Hochschulen verfügen i. d. R. über ein ausdifferenziertes Beratungsangebot. Studierende besitzen jedoch häufig keine (genaue) Kenntnis dieses Angebots oder nehmen es als schwer zu überblickendes ‚Dickicht‘ an Zuständigkeiten wahr. Außerdem entstehen Frustrationserfahrungen, wenn Studierende Personen kontaktieren, die nicht für sie zuständig sind.

Hier setzt Smart Success an: In der App werden übersichtlich genau die Personen angezeigt, die im jeweiligen Studiengang bzw. an der jeweiligen Fakultät als Ansprechpartner:innen für die Studierenden fungieren – das sind i. d. R Personen mit den Funktionen Studiengangleitung, Studiengangkoordination, Sachbearbeitung im Studierendensekretariat und Lernberatung. Zu jeder Beratungsperson werden die Anliegen angegeben, zu denen sie Beratung anbietet, damit die Studierenden ohne Umwege die richtigen Ansprechpartner:innen finden. Die Studierenden können unmittelbar in der App eine Beratungsperson anschreiben und z. B. einen Beratungstermin erfragen. Hierbei können die Studierenden freiwillig ihre erstellten Semesterpläne (Funktion 1) sowie ihre Leistungsdaten (Funktion 2) an die kontaktierte Beratungsperson mitsenden, um dieser die Gesprächsvorbereitung zu erleichtern und über eine Tischvorlage für das Gespräch zu verfügen. Über eine Verlinkung können die Studierenden zudem auf den ‚Navigator‘ zugreifen (s. Kap. 3). Über das Frühwarnsystem (Funktion 2) erhalten Studierende durch ‚Smart Success‘ in bestimmten Situationen (z. B. bei bevorstehendem Drittversuch) außerdem die Einladung, ein Beratungsgespräch zu vereinbaren (Funktion 3).

3 Der ‚Navigator für Beratung und Unterstützung‘

Auf der Webseite der Hochschule Osnabrück werden die Angebote des Beratungs- und Unterstützungssystems in einem sog. Navigator dargestellt. Hierbei handelt es sich um eine Datenbank, die die Studierenden mittels einer Benutzeroberfläche durch Volltext- oder Kategoriensuche durchforsten können.

Die Kategorien geben Informationen darüber, ob ein Angebot zentral oder an einer bestimmten Fakultät angesiedelt ist, an welche Zielgruppe(n) es sich richtet und welche Anliegen es abdeckt (siehe Abb. 3.1). Durch die Zielgruppen- und Anliegenkategorie ist der ‚Navigator‘ diversitätsorientiert gestaltet, indem die vielfältigen und heterogenen Lebenskontexte und Herausforderungen der Studierenden berücksichtigt und explizit sichtbar gemacht werden (z. B. die Zielgruppe „Studierende mit Beeinträchtigung“ und das Anliegen „Kinderbetreuung/-versorgung“).

Abb. 3.1
figure 1

Kategorien „Zielgruppe“ und „Anliegen“ des Navigators

Jedes Beratungsangebot wird im Navigator mit einem kurzen Beschreibungstext vorgestellt. Über eine Verlinkung im Beschreibungstext erfolgt die Weiterleitung auf die Webseite des jeweiligen Angebots. Hierdurch wird eine Dopplung umfangreicher Informationen (im ‚Navigator‘ und auf der Webseite des jeweiligen Angebots) vermieden und die Aktualität der Informationen sichergestellt.

4 Rahmenbedingungen für die erfolgreiche Entwicklung digitaler Tools

Im Rahmen der Entwicklung der beiden digitalen Tools und ihrer Implementation in die Hochschulstrukturen identifizierten wir drei erfolgsrelevante Rahmenbedingungen.

Erstens stellte die aktive Unterstützung durch die Hochschulleitung eine wichtige Voraussetzung dafür dar, ‚Smart Success‘ und den ‚Navigator‘ erfolgreich zu entwickeln und zu implementieren. Im Projektverlauf begegneten vielfältige Widerstände, z. B. von einzelnen, in den Hochschulstrukturen gut vernetzten Lehrenden. Eine Hochschulleitung, die überzeugt hinter dem Projekt steht und diese Überzeugung in Gremien sowie gegenüber Fakultäten, Studiengängen, Organisationseinheiten und Einzelpersonen vertritt, leistet einen wichtigen Beitrag, um diesen Widerständen konstruktiv zu begegnen. Wären die Vorhaben ausschließlich durch (zumal befristet angestellte) Projektmitarbeitende getragen worden, hätten die Widerstände ggf. den Erfolg ernstlich gefährdet.

Drittmittel bieten häufig eine ausreichende finanzielle Basis, um digitale Tools während eines begrenzten Projektzeitraums zu entwickeln und in die Hochschulstrukturen zu implementieren. Digitale Tools und ihre Implementation sind aber nie vollständig ‚fertig‘. Es müssen langfristig Ressourcen bereitstehen, um

  • in regelmäßigen Abständen technische Anpassungen vorzunehmen (z. B. nach Updates von Betriebssystem, beim Auftauchen von Sicherheitslücken, bei neuen technischen Standards),

  • die in den Tools dargestellten Daten regelmäßig zu aktualisieren (so müssen aufgrund von Personal- und Aufgabenänderungen die Datensätze des ‚Navigators‘ und die Beratungsübersicht in ‚Smart Success‘ (Funktion 3) kontinuierlich geprüft und angepasst werden),

  • inhaltliche und technische Anfragen von Studierenden, Mitarbeitenden und Lehrenden zu beantworten und die digitalen Tools (z. B. bei Erstsemestereinführungen) zu bewerben.

Zweitens erwies es sich deshalb als eine wichtige Bedingung für den langfristigen Erfolg von ‚Smart Success‘ und des ‚Navigators‘, die dauerhafte Finanzierung – erneut durch Unterstützung der Hochschulleitung – sicherzustellen. Die dauerhafte Finanzierung muss entsprechend bereits frühzeitig in der Projektphase mitgedacht und eingefordert werden und es ist bei den relevanten Stakeholdern das Bewusstsein dafür zu schaffen, dass ohne sie die entwickelten Tools schon nach kurzer Zeit nicht mehr sinnvoll nutzbar wären.

Drittens kristallisierte sich als Erfolgsbedingung für ‚Smart Success‘ und den ‚Navigator‘ heraus, zahlreiche Akteure aus unterschiedlichen Bereichen der Hochschule miteinzubeziehen. Bspw. wurden bereits in einer frühen Projektphase Verantwortliche aus den Bereichen Hochschul-IT, Datenschutz, Beschaffung, Studiengangsadministration und Lehrplanung über das Ziel, ‚Smart Success‘ und den ‚Navigator‘ zu entwickeln und langfristig in die Hochschulstrukturen zu implementieren, informiert und mit ihnen ein Dialog gestartet, auf welche Weisen sich dies bestmöglich realisieren lässt und welche Kontextfaktoren dafür zu beachten sind. Dieses organisationale Querschnittsdenken und das ‚Mitnehmen‘ aller betroffenen Verantwortlichen erwies sich als notwendig, weil digitale Tools vielfältige Themenfelder einer Hochschule betreffen und aufgrund zahlreicher (gesetzlicher) Regelungen und (interner) Prozesse leicht Konflikte entstehen können. Das ‚Mitnehmen‘ relevanter Akteure schließt selbstverständlich auch die Lehrenden und Studierenden ein: Beide Gruppen waren nicht nur von den digitalen Tools zu begeistern, sondern sie lieferten auch wertvolle Informationen und Feedback darüber, ob und inwieweit die digitalen Tools ihren Sinn im Lehr- und Lernalltag erfüllen und welche Verbesserungspotenziale vorhanden sind.

Sicherlich sind unsere Erfahrungen nicht ohne Weiteres verallgemeinerungsfähig, und sicherlich können auch Projekte zur Entwicklung und Implementierung digitaler Tools erfolgreich sein, bei denen die dargestellten drei Erfolgsbedingungen nicht gegeben sind. Sie besitzen aber unserer Auffassung nach nichtsdestotrotz ein Transferpotenzial in dem Sinne, dass ähnliche Vorhaben zur Digitalisierung von Studium und Lehre sie bedenken (und nach Möglichkeit umsetzen) sollten, um die Erfolgsaussichten zu optimieren.