Schlüsselwörter

1 Problemaufriss

Das Potenzial digitaler Medien für inklusives und individuelles Lernen ist derzeit unbestritten (Böhme et al. 2020), wird im Schulalltag allerdings noch zu selten genutzt (Gerick et al. 2017; Waffner 2020). Besonders für die Grundschule scheint dieses Potenzial bedeutsam, da hier eine „unselektierte“ Schülerschaft gemeinsam unterrichtet wird (Martschinke 2019) und digitale Medien im Grundschulalter vielfältige Entwicklungspotenziale für Kinder bieten (Irion et al. 2020). Hinzu kommt, dass spätestens seit der Corona-Pandemie digitale Medien nicht mehr aus dem Unterrichtsalltag wegzudenken sind (Eickelmann und Gerick 2020). Der (fachgemäße) Einsatz digitaler Medien ist allerdings von der Lehrkraft und ihren professionellen Kompetenzen abhängig (Gerick und Eickelmann 2020; Waffner 2020), die bereits in der ersten Phase der Lehrer:innenbildung aus- und aufgebaut werden können und sollen. Für die Frage, wie solche fachspezifischen, professionellen Kompetenzen in der Lehrer:innenbildung über geeignete E-Learning-Szenarien in der Hochschullehre auf- und ausgebaut werden können, gibt es nur erste empirische Hinweise (Oetjen et al. 2021).

Der vorliegende Beitrag stellt eine Online-Seminarkonzeption für die Hochschullehre vor. Grundschullehramtsstudierende konzipieren und erproben im Rahmen des Online-Seminars Kinder digital und forschend im Schriftspracherwerb begleiten digitale Fördereinheiten für Erstklässler:innen und reflektieren deren Einsatz kritisch. Nach einer theoretisch-empirischen Hinführung wird das am Community of Inquiry-Modell (Garrison 2017) orientierte Seminarkonzept vorgestellt. Mit ersten Evaluationsergebnissen zur Entwicklung professioneller Kompetenzen von Lehramtsstudierenden im digitalen Schriftspracherwerb und einer Diskussion sowie einem Ausblick schließt der Beitrag.

2 Theoretisch-empirischer Hintergrund

2.1 Auf- und Ausbau professioneller Kompetenzen für den digitalen Schriftspracherwerb in der universitären Lehrer:innenbildung

Als eine der aktuell wichtigsten Herausforderung der Lehrer:innenbildung wird vielfach die Vorbereitung angehender Lehrpersonen auf die Umsetzung digital gestützter Lehr-Lernprozesse (Rubach und Lazarides 2020) diskutiert. Lehrkräfte benötigen dafür professionelle Kompetenzen, „die sie in die Lage versetzen, komplexe Aufgaben erfolgreich zu meistern“ (Schmid et al. 2020, S. 117). Im Umgang mit digitalen Medien wird auch von Medienkompetenz oder digitaler Kompetenz gesprochen (Rubach und Lazarides 2019). Digitale Kompetenzen können nach Rubach und Lazarides (2019) u. a. über die sechs Kompetenzbereiche der Kultusministerkonferenz (2016) Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren, Problemlösen und Handeln, Schützen und sicher agieren, Kommunizieren und Kooperieren, Produzieren und Präsentieren sowie Analysieren und Reflektieren definiert werden. In einer empirischen Überprüfung dieser Kompetenzen bei Lehramtsstudierenden fügen Rubach und Lazarides (2019) den empirisch identifizierten Bereich Unterrichten und Implementieren hinzu. Die Autor:innen halten fest, dass Lehramtsstudierende hohe Kompetenzen in den Kompetenzbereichen Kommunizieren und Kooperieren, Produzieren und Präsentieren sowie im Suchen und Verarbeiten berichten. Geringer schätzen die befragten Lehramtsstudierenden allerdings ihre Fähigkeit ein, digitale Medien zur Gestaltung des eigenen Unterrichts zu nutzen. Auch die Kompetenzen Schützen und sicher agieren, Analysieren und Reflektieren sowie Problemlösen und Handeln werden vergleichsweise niedrig von den Lehramtsstudierenden bewertet (Rubach und Lazarides 2019, 2020). Die Stichprobe der Studie bestand allerdings überwiegend aus Lehramtsstudierenden der Sekundarstufe und ist somit für Studierende des Grundschullehramts nur bedingt repräsentativ.

Auch das Strukturmodell der COAKTIV-Studie (Baumert und Kunter 2011) ist vorrangig in der Sekundarstufe empirisch geprüft, bietet aber für die vorliegende Studie einen weiteren Rahmen für den verwendeten Kompetenzbegriff. Dem Modell zufolge sind professionelle Kompetenzen erlern- und veränderbar und umfassen neben dem Wissen und Können von Lehrkräften auch ihre Überzeugungen und Werthaltungen, motivationale Orientierungen sowie selbstregulative Fähigkeiten (Baumert und Kunter 2011). Empirische Studien zeigen, dass Emotionen, wie die Sorge vor Kontrollverlust beim Einsatz digitaler Medien, den tatsächlichen Einsatz behindern oder sogar verhindern – eine positive Grundhaltung geht hingegen mit einer intensiveren Mediennutzung im Unterricht einher (Waffner 2020). Motivationale Orientierungen, wie Selbstwirksamkeitserwartungen und Enthusiasmus (Baumert und Kunter 2011), können den Einsatz digitaler Medien zusätzlich begünstigen (Waffner 2020). Bärnreuther et al. (2022) konnten zudem für Grundschullehramtsstudierende und Lehramtsanwärter:innen zeigen, dass emotional-motivationale Orientierungen, wie Angst und Enthusiasmus, selbsteingeschätzte digitale Kompetenzen vorhersagen können. Auch fühlen sich Grundschullehramtsstudierende im Umgang mit dem Tablet als digitales Medium grundsätzlich kompetent und stehen dem Einsatz von Tablets positiv gegenüber (Kindermann und Pohlmann-Rother 2022). Speziell im Anfangsunterricht wird dem Tableteinsatz allerdings auch kritisch begegnet (Kindermann und Pohlmann-Rother 2022). Das ist insofern problematisch, da gerade im frühen Lese- und Schreiberwerb digitale Medien eine sinnvolle und nützliche Ergänzung zu analogen Möglichkeiten sein können (Kirschhock und Renner 2020).

Empirisch belegt können in der Lehrkräfteaus- und -fortbildung situierte, digital gestützte Coaching-Prozesse (Rubach und Lazarides 2020; Waffner 2020) oder auch eine praktische und reflektierte Erprobung von digitalen Medien (Adl-Amini et al. 2019; Junker et al. 2020; Neubauer und Kirchner 2016) einen erfolgreichen Aufbau von professionellen (digitalen) Kompetenzen unterstützen. Auch das Konzept des forschenden Lernens (Beckmann und Ehmke 2020; Frey und Buhl 2018) birgt die Chance, mit wissenschaftlichen Vorgehensweisen relevante Fragen vor dem Hintergrund theoretischen Wissens zu beantworten, zu reflektieren und eine forschende Haltung einzunehmen (van Ophuysen et al. 2017; Tremp 2020). Als Gelingensbedingungen für forschendes Lernen im Lehramtsstudium gelten dabei der Bezug zur Unterrichtspraxis (Klewin und Koch 2017) sowie die Einbindung individueller und berufsbezogener Erfahrungen (van Ophuysen et al. 2017). Obwohl gerade Formen der E-Vermittlung günstige Bedingungen für Forschungsprozesse schaffen können, werden E-Learning-Szenarien in Verbindung mit forschendem Lernen derweil nur selten diskutiert (Gröben et al. 2020).

2.2 Erfolgreiche E-Learning-Szenarien in der Hochschullehre

E-Learning-Szenarien haben in der Hochschullehre einen besonderen Mehrwert (Adl-Amini et al. 2019), da sie Kursmaterialien, aber auch Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten anbieten und selbstständiges sowie aktives Lernen in den Vordergrund rücken. Studierende bewerten E-Learning-Szenarien durchaus positiv (Baumann und Martschinke 2021; Adl-Amini et al. 2019) und Metastudien verweisen auf moderate Effekte für das Lernen in E-Learning-Szenarien in der Hochschule (Means et al. 2013; Bernard et al. 2014). Für die Frage nach dem „richtigen“ E-Learning-Format gibt es allerdings divergierende Studienergebnisse. Während sich in internationalen Studien ein tendenzieller Vorteil von Blended-Learning-Formaten abzeichnet (Vallée et al. 2020), können in ersten deutschsprachigen Studien für das Grundschullehramt besonders reine Online-Formate (Baumann und Martschinke 2021; Oetjen et al. 2021) profitieren. So fanden Baumann und Martschinke (2021) eine leichte bis deutliche Überlegenheit einer Online-Variante eines Seminars für Grundschullehramtsstudierende zum professionellen Umgang mit Heterogenität im Bereich E-Feedback und E-Kooperation sowie eine tendenziell günstigere Entwicklung der (inklusiven) Selbstwirksamkeitserwartung. Es deutet sich damit an, dass nicht das Format per se entscheidend für den Lernerfolg von Studierenden ist, sondern die gewählte Konzeption des E-Learning-Szenarios.

Dem Community of Inquiry-Modell (Garrison 2017) zufolge entsteht in E-Learning-Szenarien dann eine bedeutsame Lernerfahrung, wenn ein gemeinsamer kritischer Diskurs (critical inquiry) aufkommt und die persönliche Reflexion von Lerninhalten angeregt wird. Zentrale Determinanten sind dabei die konstituierenden sowie eng miteinander verknüpften Kernelemente social presence (soziale Präsenz), cognitive presence (kognitive Präsenz) und teaching presence (Lehrpräsenz) (Garrison 2017; Vaughan et al. 2013), deren günstige Effekte auf Zufriedenheit, selbsteingeschätztem und tatsächlichem Lernerfolg von Studierenden bereits in Metaanalysen nachgewiesen wurden (Martin et al. 2022). Soziale Präsenz umfasst die Fähigkeit, sich als Teil einer Lerngruppe zu verstehen und in dieser eine offene Kommunikationskultur sowie vertrauensvolle Beziehungen zu etablieren (Garrison 2017). Besonders wenn kooperativ ein gemeinsames Ziel verfolgt wird, kann soziale Präsenz entstehen (Krzyszkowska und Mavrommati 2020). Diskursive Formate bieten in diesem Zusammenhang zusätzlich die Möglichkeit, unterschiedliche Voraussetzungen und Perspektiven produktiv zu nutzen (Adl-Amini et al. 2019). Daran knüpft das Kernelement kognitive Präsenz an, welches das Ausmaß beschreibt, in welchem Lernende durch Reflexion und Diskurs zu neuen Einsichten und Kompetenzen gelangen (Ammenwerth et al. 2017; Garrison 2017). Dabei beruht die kognitive Präsenz auf einem vierphasigen, ko-konstruktiven Prozess (Vaughan et al. 2013). In der ersten Phase wird über einen geeigneten Trigger der kritische Diskurs initiiert. Anschließend suchen Lernende in der Phase der Exploration nach Informationen und geeigneten Ideen, um dem Trigger konstruktiv zu begegnen. Alle Informationen und Ideen werden in der Phase der Integration zu einem kohärenten Modell synthetisiert und Lösungsvorschläge werden erarbeitet und diskutiert. Abschließend werden die neuen Erkenntnisse und Ideen in der Phase der Resolution angewandt und anschließend kritisch überprüft. Entstehen durch den Prozess neue Fragen, wird der Prozess des kritischen Diskurses erneut initiiert (Garrison 2017; Ammenwerth et al. 2017; Vaughan et al. 2013). Besonders die Phasen Integration und Resolution stellen hohe Anforderungen an alle Beteiligten, weshalb sowohl das Instruktionsdesign des online-basierten Lernsettings als auch Lehrende eine wichtige Stellschraube einnehmen (Ammenwerth et al. 2017). Dies wird durch das Kernelement Lehrpräsenz beschrieben, welches die Gestaltung, Organisation und Moderation der Lernumgebung einschließt (Vaughan et al. 2013; Garrison 2017).

Zusammenfassend zeichnet sich ein Bedarf an fachspezifischen Seminarkonzepten ab, die digitale Medien für den frühen Schriftspracherwerb thematisieren und somit bereits in der ersten Phase der Lehrer:innenbildung professionelle Kompetenzen für den digitalen Schriftspracherwerb auf- und ausbauen. Dafür scheinen sich besonders solche Seminarformate zu eignen, die Praxisbezüge aufweisen und Reflexionsanlässe, z. B. über forschungsorientierte Zugänge, schaffen. Dabei können besondere Potenziale digitaler Möglichkeiten genutzt werden, um eine Community of Inquiry zu gestalten.

3 Seminarkonzept Kinder digital und forschend im Schriftspracherwerb begleiten

Basierend auf dem Community of Inquiry-Modell wurde das Online-Seminar Kinder digital und forschend im Schriftspracherwerb begleiten an der FAU Erlangen-Nürnberg von vier Dozierenden des Instituts für Grundschulforschung entwickelt und gemeinsam mit einer Nürnberger Kooperationsschule durchgeführt.

Überblicksweise stellt Abb. 1 den schematischen Seminarablauf und -aufbau dar. Das Seminar gliedert sich in drei aufeinander aufbauende Phasen, in welchen Grundschullehramtsstudierende kooperativ in Kleingruppen digitale Lerneinheiten zur individuellen Förderung von elf Erstklässler:innen entwickeln. In der Einführungsphase werden die Lernvoraussetzungen der Erstklässler:innen im Schriftspracherwerb zu Beginn des Schuljahres diagnostiziert. Über eine Rahmengeschichte werden die Kinder zudem in die anschließende Förderphase und das Arbeiten mit iPads eingeführt. Vor dem Hintergrund linguistischer und entwicklungspsychologischer Grundlagen erhalten die Studierenden zeitgleich einen ersten fachwissenschaftlichen Input. Je nach Leistungsstand und Interesse findet in der Durchführungsphase eine individuelle digitale Förderung jedes Kindes anhand drei individuell gestalteter E-Books für den Schriftspracherwerb statt. Die E-Books werden von den Studierenden adaptiv gestaltet, sodass im Verlauf der Förderung der Schwierigkeitsgrad der E-Books stetig angepasst wird. Die Durchführung schließt mit einer Enddiagnose der Erstklässer:innen. Abschließend reflektieren die Kinder ihren eigenen Lerngewinn durch die digitale Förderung. Die Studierenden evaluieren in der Abschlussphase ihre entwickelten E-Books, reflektieren ihren persönlichen Lernzuwachs und präsentieren und diskutieren ihre Ergebnisse. Das Seminar wird über alle drei Phasen hinweg sowohl in der Schule als auch in der Universität von einem umfassenden Betreuungskonzept der Dozierenden gerahmt.

Abb. 1
figure 1

Überblick über den Seminarablauf und -aufbau

Im Folgenden soll entlang des Community of Inquiry-Modells (Garrison 2017) die konkrete inhaltliche und methodische Umsetzung des Seminars anhand der drei Kernelemente Lehrpräsenz, kognitive Präsenz und soziale Präsenz beschrieben werden. Inwiefern die Förderung der Erstklässler:innen in der Schule realisiert wurde, wird in diesem Beitrag nur am Rande aufgezeigt (vgl. zur Anlage und praktischen Umsetzung des Gesamtprojektes in der Schule Oetjen et al. 2022).

3.1 Kernelement Lehrpräsenz: Strukturierte digitale Lernumgebung und individuelle Beratungs- und Austauschtermine

Das Kernelement Lehrpräsenz wird über eine strukturierte asynchrone Lernumgebung sowie synchrone individuelle Beratungs- und Austauschtermine bedient. Die grundlegende medientechnische Infrastruktur für die asynchrone Lernumgebung bildet die open source E-Lernplattform ILIAS. Den thematischen Mittelpunkt bildet jeweils die individuelle, kooperative und digitale Förderung eines Kindes. Zeit- und ortsunabhängig werden den Studierenden organisatorische Seminarelemente (z. B. Seminarplan), projektbezogene Informationen (z. B. Informationen zur Kooperationsschule), fachwissenschaftliche (z. B. linguistische und entwicklungspsychologische Grundlagen) sowie förderdiagnostische Informationen zum betreuenden Kind (z. B. Diagnoseergebnisse) zur Verfügung gestellt. Ergänzend werden über das Tool padlet als digitale Pinnwand Hilfestellungen zu verschiedenen digitalen Tools sowie die erstellten E-Books gesammelt. Die E-Books für die Erstklässler:innen werden dabei über die App Book Creator erstellt, über welche weitere, für die Grundschule geeignete interaktive Tools (z. B. learningapps.org), eingebunden werden können. Die asynchronen Bausteine des Seminars werden über wöchentliche synchrone individuelle Beratungs- und Austauschformate via dem Videokonferenztool Zoom ergänzt. Thematisch steht auch hier die individuelle digitale Förderung und damit die Konzeption der individuellen E-Books im Vordergrund. Die Dozierenden nehmen dabei eine aktive moderierende und beratende Rolle ein: Als Ko-Konstrukteure der digitalen Lerneinheiten stehen die Dozierenden auf Augenhöhe zur Verfügung.

3.2 Kernelement Kognitive Präsenz: Individuelle Diagnose und digitale, adaptive Förderung von Erstklässler:innen

In einem ersten Schritt erhält jede Studierendengruppe des Seminars ein umfassendes diagnostisches Bild des individuell zu betreuenden Kindes. Jede Studierendengruppe ist dabei aufgrund der großen Heterogenität im Anfangsunterricht mit verschiedenen, spezifischen Problemlagen der Kinder konfrontiert. Während einige Kinder der Gruppe im Anfangsunterricht bereits sicher verschriften und lesen können, weisen andere Kinder kaum Kenntnisse über Schrift oder die deutsche Sprache auf (Oetjen et al. 2022). Als Kleingruppe erhalten die Studierenden die Aufgabe, gemeinsam auf Basis unterschiedlicher Diagnoseergebnisse drei individuelle, adaptive E-Books für ihr Kind zu erstellen. Über die ko-konstruktive Erstellung, Anwendung und Reflexion dieser drei individuellen, adaptiven E-Books für Erstklässler:innen (Trigger) wird im Seminar der Rahmen für einen kritischen Diskurs geschaffen. Im weiteren Verlauf tauschen sich die Studierenden in einem zweiten Schritt über bestehendes Wissen sowie ersten Ideen zur individuellen Diagnose und digitalen Förderung aus (Exploration) und stellen dieses Wissen den Dozierenden vor. Neben dem Wissen, wie formelle und informelle Diagnosedaten ausgewertet und passende Fördermöglichkeiten entwickelt werden, rücken hier das Wissen über digitale Tools und der kompetente Umgang damit in den Vordergrund. Über diesen ersten Austausch entsteht damit ein erster Entwurf für die Gestaltung der E-Books. Ko-konstruktiv reflektieren Studierende und Dozierende diesen Entwurf und überarbeiten ihn im kritischen Diskurs (Integration). Die Phasen Exploration, Integration und Resolution finden dabei ausschließlich im digitalen Raum statt. Abschließend werden die von den Studierenden erstellten E-Books in der Praxis erprobt, d. h. das jeweils zugeteilte Kind bearbeitet das E-Book im Rahmen einer Fördereinheit in der Schule. Damit werden zuvor gewonnene Erkenntnisse und Ideen in Form des E-Books angewandt. Mithilfe forschungsmethodischer Zugänge, einer systematischen Beobachtung während der Bearbeitung des E-Books und eines Kinderfragebogens am Ende jedes erstellten E-Books, wird die Nutzung und Passung der E-Books kritisch überprüft (Resolution).

Der vierphasige ko-konstruktive Prozess der kognitiven Präsenz wird für die Gestaltung der weiteren E-Books erneut durchlaufen. Das Seminar endet mit der Gestaltung und Präsentation eines wissenschaftlichen Posters. Die Studierenden bearbeiten hier die Forschungsfrage, inwiefern das jeweilige Kind durch seine E-Books vor dem Hintergrund linguistischer und entwicklungspsychologischer Kenntnisse im Schriftspracherwerb erfolgreich gefördert werden konnte. Zudem reflektieren die Studierenden ihren eigenen, persönlichen Lern- bzw. Kompetenzzuwachs bezüglich einer individuellen, adaptiven Förderung im digitalen Schriftspracherwerb.

3.3 Kernelement Soziale Präsenz: Digitale Zusammenarbeit und gemeinsame Zielstellung

Während des gesamten Seminars sollen die Studierenden das gemeinsame Ziel erreichen, ein Kind der ersten Klasse möglichst individuell und adaptiv im Schriftspracherwerb digital zu fördern. Das Seminar wird daher von einer engen individuellen digitalen Zusammenarbeit zwischen den Studierenden, aber auch zwischen den Studierenden und Dozierenden getragen. Wichtig ist dabei, eine Gruppenzugehörigkeit und ein günstiges Kursklima herzustellen (Garrison 2017). Dafür arbeiten die Studierenden im Seminar über das ganze Semester hinweg in festen Kleingruppen aus vier bis fünf Studierenden zusammen. Jede Kleingruppe wird von einem Dozierenden via Zoom betreut und beraten. In den Kleingruppen werden die individuellen Vorkenntnisse der einzelnen Studierenden berücksichtigt und die wertschätzende Kommunikation wird in den Vordergrund gerückt. Besonders die digitalen und flexiblen Kommunikationswege stellen einen großen Vorteil dar, da besonders auf individuelle Belange eingegangen werden kann. Am Ende des Seminars wird die zu erbringende Prüfungsleistung ebenfalls in der jeweiligen Kleingruppe erbracht.

4 Evaluationsstudie

Das Online-Seminar Kinder digital und forschend im Schriftspracherwerb begleiten zielt auf einen umfassenden professionellen Kompetenzauf- und -ausbau bei Grundschullehramtsstudierenden im digitalen Schriftspracherwerb ab (vgl. Abb. 1). Neben digitalen Kompetenzen wird dabei insbesondere die Förderung motivationaler und emotionaler Orientierungen im Umgang mit digitalen Medien fokussiert und evaluiert. Darüber hinaus erwerben die Studierenden im Seminar allerdings auch Wissen zur individuellen (digitalen) Diagnose und Förderung sowie erste forschungsmethodische Kenntnisse. Die Entwicklung dieser Wissenskomponenten als Aspekte der professionellen Kompetenz werden in der vorliegenden Evaluation allerdings nicht erhoben.

4.1 Fragestellungen

Besonderes Augenmerk bei der Evaluation der Pilotstudie gilt den selbsteingeschätzten digitalen Kompetenzen, emotionalen und motivationalen Aspekten professioneller Kompetenz sowie der Reflexion der Sichtweisen der Studierenden auf digitale Medien im Schriftspracherwerb durch das vorgestellte Seminarkonzept. Daraus lassen sich für die Evaluationsstudie drei Fragestellungen ableiten:

  • Wie entwickeln sich die von den Studierenden selbsteingeschätzten digitalen Kompetenzen?

  • Wie entwickeln sich durch die gewählte Seminarkonzeption emotionale und motivationale Orientierungen im digitalen Schriftspracherwerb (Angst, Selbstwirksamkeitserwartungen, Enthusiasmus)?

  • Beschreiben die Studierenden durch das Seminar eine Veränderung der eigenen Sichtweisen auf digitale Medien (im Anfangsunterricht)?

4.2 Methode

Am Pilotversuch des Seminars nahmen im Wintersemester 21/22 49 Grundschullehramtsstudierende teil (weiblich: 85,7 %; männlich: 14,3 %). Das durchschnittliche Alter der Teilnehmenden betrug 22,31 Jahre und sie befanden sich durchschnittlich im vierten Fachsemester (M = 4,43; SD = 1,47; Min = 3; Max = 3). Lediglich 14,3 % der Studierenden gaben an, bereits Erfahrungen in der Gestaltung digitaler Angebote für den Schriftspracherwerb gesammelt zu haben. Die Teilnehmenden wurden für die Evaluation vor und nach dem Seminar befragt. Für die geschlossenen Fragen konnte auf ausgewählte, erprobte Skalen zurückgegriffen werden, die für den digitalen Schriftspracherwerb teilweise adaptiert und konkretisiert wurden (vgl. Tab. 1).

Tab. 1 Skalen des Fragebogens mit Beispielitems und Reliabilitätswerten zu Messzeitpunkt 1

Als Antwortformat wurde den Studierenden eine vierstufige Likertskala (1 = stimme gar nicht zu; 4 = stimme voll und ganz zu) vorgelegt. Bis auf die Skala zur Angst im Umgang mit digitalen Medien mit vergleichsweise geringem Wert für Cronbachs Alpha erreichen alle Skalen gute Reliabilitätswerte. Mit der offenen Frage „Wie hat das Seminar Ihre Sicht auf digitale Medien beeinflusst und ggf. verändert?“ wurden die Studierenden zu Seminarende zusätzlich aufgefordert, über Veränderungen der eigenen Sichtweise auf digitale Medien zu reflektieren. Bei der Auswertung der quantitativen Daten wurden die Unterschiede zwischen Semesteranfang und Semesterende mit asymptotischen Wilcoxon-Tests berechnet, da die Daten nicht normalverteilt sind und die Stichprobe der Studierenden vergleichsweise gering ausfällt. Bei der Auswertung der offenen Frage wurde qualitativ inhaltsanalytisch vorgegangen (Mayring 2015) und das verbale Material induktiv in Kategorien gebündelt.

5 Erste Evaluationsergebnisse

5.1 Entwicklung von selbsteingeschätzten digitalen Kompetenzen im digitalen Schriftspracherwerb

Ihre digitalen Kompetenzen schätzen die Studierenden (N = 49) vor dem Seminar mit einem Mittelwert von 3,15 über dem theoretischen Mittelwert von 2,5 ein (vgl. Tab. 2). Nach dem Seminar verbessert sich die Selbsteinschätzung der digitalen Kompetenzen der Studierenden signifikant und erreicht einen sehr hohen Mittelwert von 3,51. Abb. 2 visualisiert über die Darstellung als Boxplots zusätzlich die Verteilung der Werte sowie Minimal- und Maximalwerte als Winker. Es zeigt sich, dass der Minimalwert deutlich von 2,00 auf 2,82 ansteigt. Nach dem Seminar ist bei den Studierenden keine negative Selbsteinschätzung mehr erkennbar (Abb. 2).

Tab. 2 Deskriptive Kennwerte für selbsteingeschätzte digitale Kompetenzen und ihre Entwicklung

Nach dem Seminar verbessert sich die Selbsteinschätzung der digitalen Kompetenzen der Studierenden signifikant und erreicht einen sehr hohen Mittelwert von 3,51. Abb. 2 visualisiert über die Darstellung als Boxplots zusätzlich die Verteilung der Werte sowie die Minimal- und Maximalwerte als Winker. Es zeigt sich, dass der Minimalwert deutlich von 2,00 auf 2,82 ansteigt. Nach dem Seminar ist bei den Studierenden keine negative Selbsteinschätzung mehr erkennbar (Abb. 2)

Abb. 2
figure 2

Entwicklung der selbsteingeschätzten digitalen Kompetenzen (Boxplot)

5.2 Entwicklung von emotionalen und motivationalen Orientierungen im digitalen Schriftspracherwerb

Tab. 3 zeigt neben Signifikanzprüfungen für Mittelwertsunterschiede zwischen den Messzeitpunkten wichtige deskriptive Kennwerte für die erhobenen emotionalen (Angst) und motivationalen Orientierungen (Selbstwirksamkeitserwartungen, Enthusiasmus) vor und nach dem Seminar.

Tab. 3 Deskriptive Kennwerte für emotionale und motivationale Orientierungen und ihre Entwicklung (eigene Darstellung)

Die Studierenden steigen im Bereich Selbstwirksamkeitserwartungen im digitalen, adaptiven Schriftspracherwerb (M = 2,93; SD = 0,39) und Enthusiasmus zum Einsatz digitaler Medien (M = 3,44; SD =0 ,57) deutlich über dem theoretischen Mittelwert von 2,5 ein. Die Minimalwerte von 2,15 im Bereich Selbstwirksamkeit im digitalen Schriftspracherwerb und 1,8 im Bereich Enthusiasmus verweisen allerdings auch auf problematische Ausprägungen der Variablen zu Seminarbeginn. Der Mittelwert für die Angst im Umgang mit digitalen Medien liegt dagegen zu Beginn des Seminars in einem günstigen Bereich (M = 1,73; SD = 0,48). Auch der Maximalwert von 2,75 liegt nur knapp über dem theoretischen Mittelwert, deutet aber an, dass einzelne Studierende mit einer möglicherweise ungünstigen Angst vor dem Einsatz digitaler Medien in das Seminar einsteigen. Abb. 3 visualisiert die Entwicklung der Studierenden im Laufe des Seminars in Gegenüberstellung der Vor- und Nachtestwerte. Die Mittelwertsunterschiede sind in allen emotionalen und motivationalen Orientierungen signifikant (vgl. Tab. 3.)

Abb. 3
figure 3

Entwicklung der motivationalen Orientierungen

Die Studierenden schätzen sich dementsprechend nach dem Seminar selbstwirksamer bei der Diagnose und Förderung im digitalen, adaptiven Schriftspracherwerb ein und berichten über einen höheren Enthusiasmus zum Einsatz digitaler Medien. Außerdem fühlen sie sich weniger ängstlich im Umgang mit digitalen Medien.

5.3 Reflexion des eigenen Kompetenzzuwachses im digitalen Schriftspracherwerb

Die Sichtweisen zu digitalen Medien im Schriftspracherwerb der Studierenden zu Seminarende konnten inhaltsanalytisch zu drei Hauptkategorien und einer sonstigen Kategorie gebündelt werden (vgl. Tab. 4). Jede dieser Hauptkategorien wurde zur inhaltlichen Füllung nochmals in Subkategorien gegliedert. Am häufigsten nennen die Studierenden ihr eigenes Wissen entwickelt und ausdifferenziert zu haben. Sogar reflektierte und kritische Sichtweisen werden von Studierenden zu Semesterende explizit benannt, wenn auch nur in vergleichsweise geringem Ausmaß.

Tab. 4 Hauptkategorien zur Veränderung der Sichtweisen auf digitale Medien

Die meisten Hinweise auf Veränderungen nehmen die Studierenden im Bereich Ausdifferenzierung und Entwicklung von Wissen (HK1) wahr. Auf Subkategorieebene wird vorrangig die Zunahme pädagogischen und didaktischen Wissens über (positive) Wirkungen von digitalen Medien, über Einsatzmöglichkeiten bzw. zu digitalen Tools geäußert. Die Studierenden spüren, dass ihr Handlungsspektrum für die Gestaltung digitaler Fördermöglichkeiten gestiegen ist (z. B. „Ich kenne mehr Möglichkeiten durch und mit digitalen Medien.“). Aber auch 23 Aussagen im Bereich Entwicklung und Stärkung emotionaler und motivationaler Orientierungen (HK2) bestätigen die Befunde der quantitativen Ergebnisse, auch im Bereich der Selbstwirksamkeitserwartungen. So äußert eine Studierende, dass sie „jetzt ein sicheres Gefühl habe, mit digitalen Medien zu arbeiten.“ Dass es nicht nur um ein oberflächliches Wissen bzw. oberflächliche Begeisterung für digitale Szenarien geht, wird in der Kategorie Ausdifferenzierung reflektierter und kritischer Sichtweisen (HK3) erkennbar. Hier wird deutlich, dass kritisch nachgedacht wird, wie Unterricht qualitätsvoll mit digitalen Möglichkeiten unterstützt werden kann (z. B. „Man sollte digitale Medien nicht nur einsetzen, weil sie digital sind. Es sollte schon einen Sinn haben.“).

6 Zusammenfassung, Diskussion und Ausblick

Um professionelle Kompetenzen von Grundschullehramtsstudierenden im Bereich des digitalen Schriftspracherwerbs auf- und auszubauen, wurde das Seminar Kinder digital und forschend im Schriftspracherwerb begleiten auf Basis des Community of Inquiry-Modells (Garrison 2017) entwickelt und evaluiert. In einer ersten Pilotstudie konnte gezeigt werden, dass durch das Seminar nicht nur erfolgreich emotionale und motivationale Orientierungen (Angst, Selbstwirksamkeitserwartungen, Enthusiasmus) positiv verändert werden können, sondern sich Studierende nach dem Seminar auch in ihren selbsteingeschätzten digitalen Kompetenzen günstiger einschätzen. Ausgewählte (digitale) professionelle Kompetenzen werden in der vorliegenden Studie allerdings lediglich über die Selbsteinschätzungen der Studierenden erfasst. Besonders die Erfassung der digitalen Kompetenzeinschätzung ist daher nur eingeschränkt valide (Bärnreuther et al. 2022). Auch sind günstige emotionale und motivationale Orientierungen eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung für den tatsächlichen (späteren) Einsatz von digitalen Medien in der Unterrichtspraxis (Waffner 2020). Es bedarf hier also zukünftig weiterer Längsschnittstudien, die Studierende und ihre professionellen Kompetenzen im digitalen Schriftspracherwerb auch im Übergang zum Vorbereitungsdienst erfassen, um langfristige Effekte von Seminaren feststellen zu können. Über die Frage zur Reflexion der eigenen Sichtweise auf digitale Medien im Schriftspracherwerb werden zudem Ansatzpunkte zur Weiterentwicklung der Seminarkonzeption erkennbar. Auch, wenn innerhalb des Seminars vielfältige Reflexionsanlässe geschaffen wurden, wird die Ausdifferenzierung reflektierter und kritischer Sichtweisen im offenen Antwortformat noch am seltensten von den Studierenden explizit benannt. Grund hierfür könnte sein, dass die Studierenden nicht explizit nach dem eigenen Lernzuwachs und dem potenziellen Mehrwert digitaler Medien gefragt wurden. Aufgrund der fehlenden Kontrollgruppe, dem begrenzten Stichprobenumfang und der fehlenden Erhebung der drei Kernelemente des Community of Inquiry-Modells können daher derzeit kaum belastbare Aussagen über die tatsächliche Wirkung der Seminarkonzeption getroffen werden.

Seminarkonzeption und -evaluation sollen deshalb weiterentwickelt werden. Neben einer Stichprobenvergrößerung, einem Kontrollgruppendesign sowie einer Optimierung der Erhebungsinstrumente zeigen die ersten praktischen Erfahrungen auch, dass v. a. die digitale Zusammenarbeit weiter ausgebaut werden kann. So könnte beispielsweise Microsoft Teams eine nützliche Plattform sein, um die digitale Zusammenarbeit zwischen den Studierenden auszuweiten. Zusätzlich sind anfängliche reale Begegnungen der Studierenden untereinander denkbar, um das Gemeinschaftsgefühl für die spätere digitale Zusammenarbeit stärker zu etablieren. Auch sollen über weitere forschungsorientierte Zugänge, wie Interviews mit den Kindern, vertiefende Reflexionsanlässe für die Studierenden geschaffen werden. Das Gesamtprojekt wird zudem phasenübergreifend für Lehramtsanwärter:innen und Lehrkräfte ausgeweitet werden. Für die Weiterentwicklung in der Schule ist eine stärkere Ausrichtung als Interventionsstudie angedacht, um Effekte der digitalen, adaptiven Förderung von Anfang an einschätzen zu können.

Die Ergebnisse der Studierendenbefragung zeigen dennoch, dass das Potenzial der Verknüpfung des Online-Lernens und die Anwendung in konkreter Praxis ein vielversprechender Weg für den (digitalen) professionellen Kompetenzaufbau und -ausbau für den digitalen Schriftspracherwerb ist. Das Seminar könnte damit möglicherweise einen wichtigen Grundstein für eine (zukünftige) Anwendung einer digitalen, adaptiven Förderung legen.