Schlüsselwörter

1 Einleitung

Deutschlands Lehrer:innen stehen verschiedensten Herausforderungen gegenüber. Spätestens durch die COVID-19-Pandemie – aber auch schon zuvor (Eickelmann et al. 2019) – zeigte sich an den Schulen Handlungsbedarf bezüglich des Einsatzes digitaler Medien. Denn längst hat ein Kulturwandel hin zur Digitalität stattgefunden (Stalder 2016), wobei die dadurch veränderten Bedingungen und Möglichkeiten von den Lehrer:innen wahrgenommen und bei den unterrichtlichen Zielen mitgedacht werden müssen (Standop 2022). Des Weiteren lässt sich beobachten, dass Deutschlands Schulklassen infolge von Globalisierung und Migration zunehmend diverser werden (KMK 2013). So werden etwa alleine im Jahr 2022 rund 200.000 ukrainische Schüler:innen in deutschen Schulen unterrichtet (KMK 2022). Beide Sachverhalte sollten bereits in der Lehrer:innenbildung adressiert werden, damit angehende Lehrkräfte ihre Schüler:innen auf mündige Teilhabe an einer digitalisierten und globalisierten Gesellschaft vorbereiten können.

Tragfähig scheint hier der Ansatz, Digitalisierung und Internationalisierung mittels problembasierten Lernens (Savery 2006) zusammenzubringen, um so die Technologieakzeptanz (Teo et al. 2009) und die interkulturelle Kompetenz (Deardorff 2006) der Lehramtsstudierenden auszubauen.

Alle drei Elemente werden im Projekt Vis-à-vis (Virtual Intercultural Skill Acquisition Via International Sessions) vereint.

2 Projektbeschreibung

Während des fünfwöchigen Projektverlaufs arbeiten Lehramtsstudierende aus Deutschland, Israel und Österreich online über ein Videokonferenzsystem und unter Verwendung digitaler, kollaborativer Tools zusammen. In trinationalen Kleingruppen befassen sie sich mit interkulturellen Fallgeschichten, indem sie diese analysieren und diskutieren sowie zu selbstgewählten Fragestellungen recherchieren. Ihre Ergebnisse sichern die Studierenden in Form von Concept-Maps, die sie im Verlauf des Projekts weiterentwickeln.

Zu Beginn findet eine Videokonferenz mit allen Beteiligten statt. In der zweiten Woche arbeiten die Studierenden dann das erste Mal in ihrer trinationalen Kleingruppe zusammen. Danach folgt ein Selbststudium, bevor in Woche vier die Ergebnisse in einer weiteren Kleingruppensitzung aufgegriffen werden. Abgeschlossen wird das Projekt durch eine Gesamtkonferenz, bei der die Studierenden einander ihre Lernprodukte vorstellen.

Als Nachweis der digitalen Zusatzqualifikation und der erworbenen Kompetenzen erhalten die Studierenden ein Badge nach dem Open-Badge-Standard (HRK 2020).

Es handelt sich zudem um ein Internationalisation-at-Home-Projekt, welches nach Beelen und Jones (2015) als die zielgerichtete Einbindung von internationalen und interkulturellen Elementen in das Studium vor Ort zu verstehen ist.

3 Hypothesen

Gemäß unserer Hypothesen sollte das interkulturelle, digitale Projekt sowohl a) die interkulturelle Kompetenz der Studierenden als auch b) den Grad ihrer Technologieakzeptanz steigern. Begründung für a) ist die Kontakthypothese, also die Annahme, dass persönlicher Kontakt Fremdverständnis und Selbstreflexion fördert (Lough und McBride 2014). Begründung für b) ist die Annahme, dass das Erleben einer sinnhaften und gut funktionierenden digitalen Lerneinheit als erfolgreiches Modell dient, sodass die Studierenden eigenem Medieneinsatz positiver gegenüberstehen.

4 Material und Methoden

Für die Überprüfung der Hypothesen wurde ein Mixed-Methods-Ansatz gewählt. Die 92 teilnehmenden Bachelor-Studierenden (nDeutschland = 33; nIsrael = 26; nÖsterreich = 33) beantworteten vor und nach dem Projekt Fragebögen mit Items zur interkulturellen Kompetenz und zur Technologieakzeptanz. Ersteres wurde mittels der 20 Items umfassenden Cultural Intelligence Scale erhoben (van Dyne et. al. 2015) und letzteres mittels eines Instruments zur Technologieakzeptanz angehender Lehrer:innen (Teo et. al. 2009). Die durch die Fragebögen erhobenen Daten wurden mit einer Varianzanalyse (ANOVA) verglichen.

Darüber hinaus führten die Studierenden während der Projektdauer Lerntagebücher, die aus verschiedenen offenen Fragen bestanden (z. B. Welche Erwartungen habe ich für die nächste Gruppensitzung? Wie hat die Zusammenarbeit funktioniert?). Diese wurden durch eine qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2014) ausgewertet, wobei die Kategorien induktiv bestimmt wurden.

Zusätzlich wurden die kollaborativ erstellten Concept-Maps untersucht, um das Gruppenverständnis der Fallgeschichte abzubilden. Dabei wurde die Elaboriertheit über Parameter wie die Menge der aufgeführten Konzepte und die Anzahl der Ebenen abgebildet. Dafür wurden sie mittels des Scoring-Systems von Novak und Gowin (1984) bewertet und die Ergebnisse per Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test analysiert.

Die Teilnahme war freiwillig, außerdem wurde das schriftliche Einverständnis der Studierenden eingeholt.

5 Ergebnisse

Die Auswertung der Inhaltsanalyse zeigte unter anderem eine positive Wahrnehmung der interkulturellen Zusammenarbeit, sowie einen starken Rückgang von negativen Gefühlen und Einschätzungen im Verlaufe des Projekts. So waren die in den Lerntagebüchern geäußerten Erwartungen vor dem ersten Treffen eher negativ (67,3 %) als positiv (32,7 %). Nach dem ersten Treffen wandelte sich diese Einschätzung zu 79,2 % positiven und 20,8 % negativen Äußerungen. Besonders deutlich zeigte sich dies beim Thema Respekt und Kooperation, dem im ersten Lerntagebuch ausschließlich negativ und im zweiten ausschließlich positiv entgegengeblickt wurde. Darüber hinaus nahmen kritische Äußerungen zur Zusammenarbeit vom ersten (47,2 %) zum zweiten Treffen (20,3 %) ab, während erfolgreiche Momente zunahmen (1. Treffen: 49,0 %; 2. Treffen: 65,2 %). Dies bezieht sich z. B. auf Mitarbeit und Motivation sowie Respekt und Solidarität innerhalb der Gruppe.

Die abschließend vorgestellten Concept-Maps (Mdn = 55) zeigten eine statistisch signifikant größere Elaboriertheit (Z = 3,52, p < ,001, r = ,88) als jene der ersten Gruppensitzungen (Mdn = 35). Somit kann angenommen werden, dass die Studierenden im Verlaufe des Projekts ihre interkulturellen Kenntnisse steigern konnten.

Die Auswertung des Fragebogens zur interkulturellen Kompetenz zeigte eine statistisch signifikante Verbesserung (F(1/63) = 4,07, p < ,05, part. ƞ2 = ,06) der interkulturellen Kompetenz von Pretest (M = 4,74, SD = ,68) zu Posttest (M = 5,02, SD = ,88). Dieser Effekt fiel unterschiedlich stark für verschiedene Dimensionen des Konzepts aus. Stark war es etwa für das Verhalten, schwach hingegen für die kognitive Dimension.

Auch für die Technologieakzeptanz lässt sich eine Steigerung feststellen, diese war allerdings statistisch nicht signifikant (Mpretest = 3,32, SD = ,62; Mposttest = 3,60, SD = ,50).

6 Fazit

Die Ergebnisse stützen beide zuvor aufgestellten Hypothesen: Einerseits wurde durch das Projekt die interkulturelle Kompetenz, andererseits die Technologieakzeptanz der Lehramtsstudierenden gefördert. Somit leistet das Projekt einen Beitrag im aktuellen Diskurs um die in Zukunft notwendigen Fertigkeiten und Kompetenzen von Schüler:innen (z. B. OECD 2020), für deren Erwerb die angehenden Lehrer:innen in einer digitalen und interkulturellen Gesellschaft verantwortlich sein werden. Darüber hinaus kann gezeigt werden, dass Internationalisation-at-Home-Projekte einen wertvollen Beitrag zur Steigerung der interkulturellen Kompetenz der Studierenden leisten und zudem die digitalitätsbezogenen Einstellungen durch modellhaftes Erleben formen können. Es wäre daher wünschenswert, wenn das Potenzial auch von anderen Hochschulen wahrgenommen wird. Diverse Projekte im Kontext der DAAD-Initiative „Lehramt.International“ weisen dabei in eine vielversprechende Richtung (DAAD 2023). Das Projekt Vis-a-vis selbst wird nicht nur fortgeführt, sondern ausgebaut, indem die studentische Zusammenarbeit über das gesamte Semester implementiert wird. Die Kooperation wird dabei weiterhin intensiv empirisch begleitet.