Das Phänomen der Digitalisierung kann mittlerweile als gesellschaftlicher „Megatrend“ bezeichnet werden. Er scheint von dauerhafter Relevanz zu sein, ist weltweit zu beobachten, weist einen hohen Grad an Komplexität auf und betrifft alle Lebensbereiche. Damit betrifft die Digitalisierung in hohem Maße auch die Bereiche Bildung und Lernen sowie die damit verbundenen Institutionen. Insbesondere die Hochschulen befinden sich derzeit in einem digitalen Transformationsprozess (vgl. z. B. Gilch et al. 2019). Die Digitalisierung prägt an Hochschulen unterschiedlichste Teilbereiche von der Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen über die Forschung (Holtforth 2018) bis hin zur Hochschulverwaltung (Hechler und Pasternack 2017). Spätestens die Anforderungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie haben jedoch gezeigt, wie groß der Handlungsbedarf bei der Digitalisierung der Lehre ist. Es gilt, gezielt an der (Weiter-)Entwicklung moderner Lehr- und Lernformen zu arbeiten (Deimann 2021) – nicht zuletzt, um durch die Verschränkung der Potenziale digitaler Lehr-, Lern- und Prüfungskultur mit produktiven Präsenzformaten innovative Lehrkulturen zu etablieren.

Dieses Erfordernis wird an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg mit dem Projekt „Digitale Kulturen der Lehre entwickeln (DiKuLe)“ aufgegriffen. Das Projekt wird von der Stiftung Innovation in der Hochschullehre gefördert. Ziel ist die koordinierte und reflektierte Entwicklung neuer Lösungen und Formate für die digitale Lehre an der Universität Bamberg. Dieser hochschulweite Kulturentwicklungsprozess orientiert sich an Felix Stalders theoretischer Perspektive einer Kultur der Digitalität (Stalder 2021), die alle gesellschaftlichen Teilbereiche, so auch die Hochschule, prägt (Stalder 2018). Diese Kultur der Digitalität verändert nicht nur die grundlegenden Formen der Wissensproduktion, sondern auch die Umgangsformen und Vermittlungsstrategien in der Lehre. Stalder geht von einem Wandel der Wissensproduktion und -aneignung aus, der sich in drei Kulturformen manifestiert, die der „kulturellen Umwelt als Ganzes ihre spezifische Gestalt verleihen“ (Stalder 2021, S. 95).

Referentialität verweist auf die Bedeutung, ein eigenes Gefüge von Bezügen herzustellen. Posts auf Facebook, Instagram oder anderen Diensten sind Ausdruck individueller und subjektiv bedeutsamer Referenzen, die im freien Umgang mit digital zugänglichen Objekten etwas Neues hervorbringen. Die in Remixes, Memes, Mashups etc. realisierten referenziellen Prozesse führen zu vielfältigen Transformationen digitaler Ressourcen. In der Hochschullehre gilt es, sowohl diese Prozesse selbst zu reflektieren als auch die damit möglichen Innovationen produktiv in die didaktische Aufbereitung von Inhalten zu integrieren und damit den Studierenden Partizipation zu ermöglichen.

Digitalität führt nach Stalder auch zu neuen Formen der Gemeinschaftlichkeit in der Produktion von Wissensformen. So sei die Produktion von Wissen nicht mehr die Aufgabe einiger weniger, sondern werde heute in neuen Formen der Gemeinschaftlichkeit im Netz geteilt. In der Hochschullehre etwa erweisen sich im Kontext digitaler Lerngruppen Gemeinschaftsbildungen als bedeutsam, die Selektion, Interpretation und Produktion bzw. Handlung steuern.

Sowohl in Bezug auf Referentialität als auch in Bezug auf Gemeinschaftlichkeit erscheint das – auch lerntheoretisch begründete – Prinzip der Konnektivität (Siemens 2005) als besonders relevant. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Frage, wie sich digitale Lerngruppen unter den Bedingungen physischer Abwesenheit organisieren und kommunizieren und inwiefern dies auch kollaborative Lernprozesse und die Generierung von Wissen beeinflusst.

Um die Masse an digitalen Informationen überhaupt verarbeiten zu können, werden diese zunehmend durch Algorithmen organisiert und geordnet. Eine Herausforderung in diesem Zusammenhang ist es, die dahinter liegenden Mechanismen zu verstehen und diese auch gezielt und reflektiert – z. B. mittels Learning Analytics – in der Hochschullehre einzusetzen. Hier spielen insbesondere auch automatisierte Feedbacksysteme eine zentrale Rolle, die das Lernen der Studierenden unterstützen.

Um diese Kultur der Digitalität auch in der universitären Lehre voranzutreiben, gilt es, sie sowohl fachspezifisch als auch hochschulweit zu reflektieren, zu modellieren und auf Basis von Evaluationen weiterzuentwickeln und nachhaltig zu etablieren. Anstelle einer losen Sammlung technologiegetriebener Innovationen (vgl. Technological Solutionism, Morozov 2013), die von einzelnen Lehreinheiten ad hoc bearbeitet werden, gewährleistet das Projekt DiKuLe eine koordinierte und reflektierte Entwicklung innovativer Lösungen und Formate für die digitale Lehre. Diese sind zwar in der Regel fachspezifisch angelegt, zielen aber gleichzeitig auf eine fachübergreifende Skalierung. Theoretisch fundierte Konzepte werden in praktische Formate umgesetzt und auf Basis von Evaluationen verbessert, um den Herausforderungen innovativer digitaler Lehre adäquat begegnen zu können. Dabei werden aktuelle fachwissenschaftliche und insbesondere hochschuldidaktische Erkenntnisse ebenso berücksichtigt wie die Potenziale, die sich aus den in Bamberg seit langem bestehenden Kooperationen zwischen bildungswissenschaftlichen Fächern und der Informatik ergeben. Dazu werden im Projekt DiKuLe in drei inhaltlichen Maßnahmen Umgebungen zur professionellen Videoproduktion aufgebaut, innovative Open-Source-Tools für eine smarte Didaktik eingeführt und Blended-Learning-Formate in digitalen Lehr-Lern-Laboren weiterentwickelt. Unterstützt werden diese Maßnahmen durch eine partizipative Evaluation und einen transfergestützten Aufbau von Handlungswissen an der Hochschule und darüber hinaus.

Solche hochschuldidaktischen Kulturentwicklungsprozesse können keinesfalls isoliert von ihrer Umwelt entwickelt werden, sondern wollen im Umfeld moderner Lehre mit Forscher:innen und Praktiker:innen anderer Hochschulen diskutiert und weiterentwickelt werden. Der vorliegende Sammelband „Digitale Kulturen der Lehre entwickeln“ bündelt Beiträge zu diesem Thema, die im Rahmen des gleichnamigen Symposiums präsentiert wurden. Das Symposium fand im Oktober 2022 an der Universität Bamberg statt und diskutierte die mit einer digitalen Kultur einhergehenden Anforderungen, Veränderungen und geeigneten Umsetzungsoptionen für Hochschulen, Lehrende und Studierende. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie digitale Formate und Werkzeuge etablierte Lehr- und Lernkulturen beeinflussen und welche neuen Wege beschritten werden können – sowohl für reine Online-Formate als auch für Mischformen aus digitalen und klassischen Lehransätzen.

Der Sammelband gliedert sich in vier Abschnitte, die unterschiedliche Dimensionen einer innovativen und digital angereicherten Lehre thematisieren.Footnote 1 Der erste Abschnitt befasst sich mit den Rahmenbedingungen für die Entwicklung digitaler Lehre und thematisiert aus unterschiedlichen Perspektiven Gelingensbedingungen einer modernen Hochschullehre: etwa die Rolle von Digitalisierungsstrategien, den Umgang mit Datenschutzverletzungen oder zentrale Bedingungen für erfolgreiches Blended Learning. Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit Konzepten und Gestaltungsmöglichkeiten digitaler Lehr-Lern-Kulturen: er thematisiert verschiedene Entwicklungstendenzen sowie Lehrformate unterschiedlicher Fachbereiche, von Methoden moderner Kollaboration bis hin zum Einsatz von Virtual Reality. Der dritte Abschnitt widmet sich der Frage, welche digitalen Werkzeuge gewinnbringend in die Lehre integriert werden können und stellt verschiedene Ansätze vor, die Lehre mit digitaler Unterstützung zeitgemäßer zu gestalten: die Beiträge greifen hier insbesondere unterschiedliche Feedbackmechanismen und Unterstützungssysteme für Studierende im Studium auf. Im vierten und letzten Teil steht die Arbeit mit und an Videos in der Hochschullehre im Mittelpunkt: Aus unterschiedlichen Perspektiven soll gezeigt werden, wie Videos eine moderne Lehre bereichern können.