In den vorherigen Kapiteln wurden bislang drei thematische Blöcke behandelt:

  1. 1.

    In historischer Perspektive wurde die Entstehung und Etablierung des deutschen Schulsystems im 19. und 20. Jahrhundert skizziert,

  2. 2.

    um daran anschließend den Blick auf das gegenwärtige System zu lenken. Zentral dabei waren die Beschäftigung mit dem Aufbau des Bildungswesens und – im daran anschließenden Kapitel –

  3. 3.

    mit den Folgen des Bildungsexpansions-Prozesses und der ungleichen Teilhabe an Bildung und ihrem individuellen und gesellschaftlichen Ertrag.

Mit diesem Kapitel wird nun ein weiterer Perspektivwechsel vorgenommen, der sich mit der Frage beschäftigt, wie das deutsche Schulsystem, in dem man z. B. als Lehrkraft tätig ist, gesteuert wird, um einen Überblick zu gewinnen, welche Akteure in welcher Art und Weise über die verschiedenen Ebenen des Schulsystems bis in die einzelne Schule hinein koordinierend, verwaltend und entwickelnd auf Bildung und Erziehung Einfluss nehmen.

Die Betrachtung erfolgt zum einen auf der Ebene des Bildungssystems, indem

  • die Zuständigkeiten und die Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen einschließlich ihrer wechselseitigen Koordinierung (hier insbesondere zwischen den Ländern über die Kultusministerkonferenz) und die Rolle von Schulaufsicht in diesem Zusammenhang dargestellt werden (Abschn. 4.1).

  • Daran anschließend wird ein Blick auf weitere Akteure im Schulsystem geworfen, die Anspruchsgruppen darstellen bzw. vertreten und Impulse in das System hineintragen und Einfluss nehmen (Schülervertretung, Elternverbände, Gewerkschaften, Kirchen, Stiftungen, Privatwirtschaft, Wissenschaft) (Abschn. 4.2).

In der Überleitung von den systemischen Strukturen und institutionellen Akteuren hin zur Einzelschule wird

  • das Verhältnis von Schulsystem und Einzelschule im Kontext einer stärker wirkungsorientierten Steuerung bei zugleich teils erweiterten Handlungsspielräumen von Schule beleuchtet (Abschn. 4.3).

  • Veränderte Steuerung von Schule lässt sich auch über gängige Qualitätsmodelle von Schule abbilden, anhand derer gezeigt wird, welche Qualitätsdimensionen derzeit besonders im Vordergrund stehen (Abschn. 4.4).

Schließlich wird auf der unteren Ebene des Mehrebenensystems Schule gefragt,

  • wie die Einzelschule als lernende Organisation ihr Handeln im Kontext dieser zuvor skizzierten Rahmenbedingungen koordiniert (Abschn. 4.5).

Wenn in diesem Kapitel von Steuerung gesprochen wird, dann liegen dieser Perspektive keine einfachen, linear-hierarchischen, top down-Planungs- und Steuerungsannahmen mittels Regularien, Vorschriften und Gesetzen im Sinne einer Rationalitätslogik und Planbarkeit zugrunde. Es gibt keinen Masterplan zur Veränderung, in dem nur einzelne Vorschriften genügend ausgearbeitet und von den Schulen entsprechend befolgt werden müssen, um Qualität und Vergleichbarkeit hinreichend zu sichern.

Steuerung im Bildungssystem bezieht sich immer auf komplexe Konstellationsgefüge, die ebenso Steuerungsversuche und nicht-intendierte Steuerungswirkungen umfassen.

Steuerung heißt folglich nicht, dass Prozesse gleichsam automatisch und ohne individuelle und soziale Vermittlungsschritte abliefen. Steuern heißt aber doch, dass intentional die Beliebigkeit von Folgehandlungen eingeschränkt wird und Leitplanken gesetzt werden.

Neben dem Steuerungsbegriff findet sich national wie international auch das Konzept der Education(al) Governance; der Begriff wird nachfolgend auch an einigen Stellen verwendet.

Dabei meint Governance die Gesamtheit der zahlreichen Wege, auf denen Individuen sowie öffentliche und private Institutionen ihre gemeinsamen Angelegenheiten regeln.

Eine zentrale These dabei lautet, dass der Staat im Sinne eines effektiveren Handelns gezielt neue Wege der „soft governance“ sucht (Hudson 2007, S. 268), indem unterschiedliche, kontroverse Interessen ausgeglichen werden und kooperatives Handeln initiiert wird (was grundsätzlich auch an Grenzen stoßen kann, wenn es tiefgreifenden Dissens gibt, der auf Wertekonflikten beruht, z. B. bei der Rolle von Religion oder von Sexualbildung in der Schule als Dissens zwischen Glaubensgemeinschaften oder Erziehungsberechtigten und Schule).

Mit dem Governance-Ansatz wird das Konzept vergleichsweise einfacher Steuerungsannahmen, die sich als alleinige Perspektive nicht bewährt haben, folglich ausgeweitet. Komplexere Konstellationsgefüge, die ebenso Steuerungsversuche, aber auch nicht intendierte Steuerungswirkungen umfassen, werden aus wissenschaftlicher Sicht beschrieben (vgl. z. B. Altrichter et al. 2007). Das Gesamtsystem Schule wird mit seiner Struktur über mehrere Ebenen mit jeweils eigenen Bedingungen und Rationalitäten des Handelns analysiert. Diese jeweils eigenen Handlungslogiken der verschiedenen Akteure dieser Ebenen lassen zudem erwarten, dass sie eher unabhängig und lose gekoppelt (Weick 2009) voneinander agieren.

Nach der Lektüre dieses Kapitels wissen Sie, wie Deutschlands Schulsystem(e) und die Schulen) grundsätzlich im Mehrebenensystem gesteuert werden und welche Akteure dabei Einfluss nehmen.

4.1 Steuerung des Schulsystems: Im föderalen Staat sind die Zuständigkeiten auf Bund, Länder und Kommunen verteilt

Die Herausbildung und die aktuelle Entwicklung des deutschen Schulsystems waren und sind geprägt von der Kulturhoheit der Länder. Mit diesem Begriff ist die Zuständigkeit der Bundesländer (im Folgenden teils auch nur als Länder bezeichnet) für alle Fragen der Kulturpolitik und weite Teile des Bildungswesens (wie etwa auch im Bereich der inneren Sicherheit/Polizei) umschrieben, die als Kernstück der Eigenstaatlichkeit der Länder bezeichnet wird.

Bildungsverwaltung (auch: Bildungsadministration), sowohl als Organisation, als auch als Tätigkeit des Staates, umfasst „alle schulbezogenen verwaltenden Tätigkeiten von Behörden und Einrichtungen außerhalb der Schulen, die nicht Bildungs- und Erziehungsarbeit im direkten Kontakt mit Schülerinnen und Schülern darstellen“ (Bogumil et al. 2016, S.5).

Dabei werden bildungspolitische Reformideen und Programme in mittel- und langfristige Ordnungs- und Regelungsstrukturen übersetzt (van Ackeren und Klein 2020), z.B. die Einführung zentraler Abschlussprüfungen, die Verkürzung bzw. wieder eingeführte Verlängerung der Schulzeit, Unterstützungsprogramme für Schulen in sozialräumlich benachteiligten Lagen, Strukturprogramme zur Stärkung von Digitalisierung im Bildungsbereich, die Einführung neuer Lehr-/ Bildungspläne etc.; all dies muss durch administratives Handeln mit entsprechenden Regelungsmechanismen und Kommunikation in die Strukturen des Schulsystems gebracht werden.

Der föderalen Grundnorm – gegenüber einem zentralistischen System, z. B. in Frankreich – folgend gilt in Deutschland (Artikel 30): „Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine anderen Regelungen trifft oder zulässt.“

Von der Bundesebene betrachtet gibt es folglich eine dezentrale Steuerungsstruktur, die jedoch auf der Ebene der Länder durch entsprechende landesgesetzliche Regelungen stärker zentralisierende Muster aufweist (van Ackeren und Klein 2020). Im Bundesstaat hat der Föderalismus die Aufgabe,

  • Demokratie und Pluralismus zu stärken und vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte Machtanhäufung zu verhindern,

  • politische Willensbildung und Partizipation auf mehreren Ebenen zu ermöglichen bzw. zu erleichtern,

  • Probleme auf Länderebene zu lösen, aber auch durch Wettbewerb untereinander die besten Lösungsansätze zu finden: „Im Bemühen um die Entwicklung der jeweils besten Lösung leistet der Bildungsföderalismus einen wesentlichen Beitrag zur Steigerung der Qualität des Bildungssystems“ (Kultusministerkonferenz 2020, S. 5).

In der Abkehr vom nationalsozialistischen Zentralstaat war die föderale Struktur bei der Ausarbeitung und Verabschiedung des Grundgesetztes so wichtig, dass man in Artikel 79 aufnahm (sogenannte Ewigkeitsklausel): „Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.“

Exkurs: Kulturhoheit in historischer Perspektive

Die Kulturhoheit der Länder ist nicht erst eine Besonderheit der nach dem Zweiten Weltkrieg begründeten Bundesrepublik Deutschland; sie ist vielmehr eng verbunden mit der Herausbildung eines deutschen Nationalstaates im 19. Jahrhundert. Schon in der ersten Verfassung des Deutschen Reiches aus dem Jahr 1871 taucht das Gebiet der Kulturpolitik unter „Angelegenheiten“, die der Beaufsichtigung seitens des gesamten Reiches und der Gesetzgebung auf Reichsebene unterliegen, nicht auf. In Artikel 4 der Reichsverfassung, der diese „Angelegenheiten“ beschreibt, sind Kulturfragen (und das heißt auch: Schulfragen) nicht einmal am Rande vertreten. Kulturelle Angelegenheiten lagen also schon im Kaiserreich in der Zuständigkeit der Reichsländer (Boldt 1987).

Auch wenn dies in der Weimarer Republik nicht grundsätzlich anders war, räumte die Weimarer Verfassung dem Zentralstaat, dem Reich, größere Einwirkungsmöglichkeiten im Feld der Schulpolitik ein. Der vierte Abschnitt der Weimarer Verfassung von 1919 – mit „Bildung und Schule“ überschrieben – griff in seinen Artikeln 142 bis 150 in Bereiche ein, die die bisher bestehende Kulturhoheit der Länder tangierten. So wurde eine für das Reich einheitliche Lehrerbildung vorgeschrieben, die staatliche Schulaufsicht wurde verankert, ebenso die allgemeine Schulpflicht. Insbesondere die Schulstruktur mit der gemeinsamen Grundschule wurde in der Reichsverfassung festgelegt und private Vorschulen wurden aufgehoben (Boldt 1987). Trotz dieser Verfassungsbestimmungen, die der kulturellen und schulischen Entwicklung einen Rahmen setzten, blieben auch in der Weimarer Republik die Reichsländer die eigentlichen Träger der Kultur- und Schulpolitik.

Nach der Zentralisierung, die in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland im Kultur- und Bildungsbereich durchgesetzt worden war, knüpfte die Bundesrepublik Deutschland – anders als die DDR – wieder an die föderale Tradition Deutschlands an. Artikel 20 des Grundgesetzes formuliert im ersten Absatz: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ Aus dem Prinzip der Bundesstaatlichkeit wird abgeleitet, dass die Aufgaben des Staates zwischen dem Bund und den Ländern aufgeteilt sind und dass beide ihre Aufgaben grundsätzlich eigenständig wahrnehmen und hierfür mit entsprechenden Finanzmitteln ausgestattet werden.

Über die Kompetenzverteilung im Bildungsbereich wird in Deutschland immer wieder gestritten. Länderhoheit und die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse (gemäß Grundgesetz, vgl. Abschn. 4.1.2) stünden in einem Widerspruch, heißt es nicht selten. Initiativen für größere Einflussmöglichkeiten des Bundes, wofür eine Verfassungsänderung notwendig wäre, scheiterten bislang am Widerspruch einzelner Länder. Vor diesem Hintergrund hat sich die im Folgenden skizzierte Kompetenzverteilung herausgebildet.

Schon ein Blick auf die Struktur der Bildungsausgaben in Deutschland zeigt, dass sich die Kompetenzaufteilung zwischen dem Bund, den Ländern und den Kommunen in der Ausgabenverteilung widerspiegelt. In Deutschland wurden im Jahr 2020 insgesamt 219,9 Mrd. EUR für Bildung ausgegeben. 86,5 % davon, also 190.3 Mrd. EUR, zahlten die öffentlichen Haushalte, 13,5 %, also 28,7 Mrd. EUR, leistete der private Bereich (Statistisches Bundesamt 2023a).

Die Aufteilung der öffentlich getätigten Bildungsausgaben, also der insgesamt 190,3 Mrd. EUR, auf die drei Ebenen bildet deren Kompetenzhierarchie ab: 65,7 % dieser Bildungsausgaben kommen aus den Länderhaushalten, 21,8 % aus den kommunalen Haushalten und nur 12,4 % aus dem Bundeshaushalt. Wenn man den Blick nur auf die Ausgaben für die allgemeinbildenden und die beruflichen Schulen richtet, so gibt die Verteilung der Ausgabenlasten noch stärker die Kompetenzaufteilung wieder: Von den für die Schulen verausgabten Mitteln (93,4 Mrd. EUR) kamen 77,6 % aus den Ländern, 17,1 % aus den Kommunen und nur 5,1 % vom Bund (Statistisches Bundesamt 2023a, Tab. 21.711–03).

Der hohe Anteil, der insbesondere im Schulwesen von den Landeshaushalten erbracht wird, erklärt sich in erster Linie aus der hohen Bedeutung, die den Kosten für das Personal zukommt. Nachfolgend werden die Kompetenzen auf der jeweiligen Ebenen etwas mehr beleuchtet.

4.1.1 Bundesweite Vorgaben und (begrenzte) Kompetenzen des Bundes im Schulsystem

Für die aktuelle Kompetenzverteilung im Bildungsbereich gilt, dass es einige wenige Vorgaben gibt, die die Länder in ihrer Kompetenz begrenzen; ansonsten hat der Bund hier kein Mitspracherecht. Die wichtigsten von ihnen sollen im Folgenden benannt und knapp charakterisiert werden.

Staatliche Schulaufsicht. Artikel 7 (1) GG (Grundgesetz) lautet: „Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.“ Die Aufsicht – im Sinne der staatlichen Verantwortung für eine gute Bildung – zeigt sich konkret in dem Recht, Gesetze und Verordnungen zu erlassen, nach deren Regelungen das Schulwesen ausgestaltet wird. Diese Regelung, die die Länder zu beachten haben, bezieht sich explizit (vgl. die Absätze 4 und 5 von Artikel 7 GG) auch auf die privaten Schulen (die in Deutschland jedoch eine vergleichsweise geringe Bedeutung haben; vgl. Abschn. 2.2.1).

Im Kommentar von Jarass und Pieroth (2014, S. 276) wird zum Begriff Schulaufsicht, so wie er im Grundgesetz verwendet wird, ausgeführt: „Mit Schulaufsicht sind die umfassenden Befugnisse zur Organisation, Leitung und Planung des Schulwesens gemeint. Gegenständlich umfasst sie die Festlegung der Ausbildungsgänge und Unterrichtsziele“.

In einem engeren Sinne geht es bei der Schulaufsicht um die „von den Schulaufsichtsbehörden auszuübende Überwachung der inneren und äußeren Schulangelegenheiten“ (Bogumil et al. 2016, S. 11), dazu weiter unten mehr.

Chancengleichheit im Bildungswesen. Weiterhin ist Artikel 3(3) des Grundgesetzes zu beachten; hier heißt es:

„Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

In dem schon herangezogenen Grundgesetz-Kommentar erläutern Jarass und Pieroth (2014, S. 550): Nicht mehr nur „formale, rechtliche Freiheit, sondern reale, in der sozialen Wirklichkeit vorhandene Freiheit wird von der Verfassung bezweckt.“ Es ist zu gewährleisten, dass Heranwachsende unabhängig von ihrer Herkunft eine gute Bildung erhalten.

Konkurrierende Gesetzgebung. Neben den hier benannten Bereichen, in denen das Grundgesetz den Ländern bundesweit Vorgaben macht, erhält der Bund im Zusammenhang der Bestimmungen zur „Konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes“ (Artikel 72 und 74 GG) das Recht, vor allem hinsichtlich der Ausbildungsbeihilfen (u. a. BAföG, Deutschlandstipendium) und der Förderung der wissenschaftlichen Forschung und Lehre tätig zu werden, „wenn und soweit die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht“ (Artikel 72(2)GG).

Exkurs: Einrichtungen der betrieblichen Berufsausbildung

Es fällt in den Kompetenzbereich des Bundes, innerhalb der beruflichen Bildung die betriebliche Berufsausbildung zu regeln. Die jeweils betroffenen Fachministerien erlassen im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) entsprechende Ausbildungsordnungen. Diese werden nach Weisung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) unter Beteiligung von Vertretungen der Arbeitgeber und der Gewerkschaften ausgearbeitet. Die Ausbildungsordnungen werden dann zwischen Bund und Ländern mit den parallel von den Ländern entwickelten Rahmenlehrplänen für den Unterricht an den Berufsschulen abgestimmt (Kultusministerkonferenz 2021a).

Das einst bestehende Recht des Bundes, auf der Grundlage von Vereinbarungen mit den Ländern bei der Bildungsplanung, also auch bei der Schulplanung, mitzuwirken (Artikel 91b GG), wurde mit der Grundgesetzänderung im Kontext der Föderalismusreform des Jahres 2006 aufgehoben. Geblieben ist dem Bund danach die Möglichkeit, mit den Ländern Vereinbarungen „zur Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich“ und zum Zusammenwirken bei „Berichten und Empfehlungen“ abzuschließen – also zur Fortsetzung internationaler Leistungsstudien und zur Bildungsberichterstattung (Artikel 91b [2] GG). „Den Protagonisten der Reform ging es vor allem darum, die Verantwortlichkeiten zwischen Bund und Ländern wieder stärker zu trennen, die Transparenz der politischen Entscheidungsprozesse zu erhöhen und so insgesamt die staatliche Handlungsfähigkeit beider Ebenen zu stärken“ (Hepp 2011, S. 114).

Allerdings wird die Grundgesetzänderung von 2006 – in der öffentlichen Diskussion zumeist unter der Überschrift „Kooperationsverbot“ verhandelt – von Bund und Ländern immer wieder kritisch gesehen. Im Wissenschaftsbereich hat die Debatte Ende 2014 zu einer Grundgesetzänderung geführt. Die Neufassung von Artikel 91b Absatz 1 GG schafft die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für eine erweiterte Kooperation von Bund und Ländern im Wissenschaftskontext und damit die Möglichkeit für dauerhafte Finanzhilfen.

Der Schulbereich ist davon bislang allerdings ausgenommen. Jedoch wurden die Mitwirkungsmöglichkeiten des Bundes 2019 vor dem Hintergrund des „DigitalPakt Schule“ ein weiteres Mal durch die Einfügung des Grundgesetzartikels 104c erweitert. Dieser Artikel stellt fest:

„Der Bund kann den Ländern Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen sowie besondere, mit diesen unmittelbar verbundene, befristete Ausgaben der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) zur Steigerung der Leistungsfähigkeit der kommunalen Bildungsinfrastruktur gewähren.“

Im Zuge des „DigitalPakt Schule“ stellt der Bund finanzielle Mittel zur Verfügung, mit denen die Leistungen der Länder sowie der kommunalen Schulträger verstärkt werden. Im Gegenzug verpflichten sich die Länder, Bildung in der digitalen Welt durch pädagogische Konzepte, Überarbeitung von Lehrplänen und Anpassungen in der Erstqualifikation und Fortbildung von Lehrpersonal umzusetzen.

Weiterhin tritt der Bund über das Instrument der (Ko-)Finanzierung von Bildung etwa als Auftraggeber von Gutachten zu Schulfragen auf, z. B. mit der von ihm initiierten einflussreichen Expertise „Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards“ (Klieme et al. 2003) oder der Expertise „Bildung durch Sprache und Schrift (BISS)“ (Schneider et al. 2012), auf deren Basis weitere Maßnahmen und Förderprogramme entwickelt wurden.

Der Bund beteiligt sich direkt an der Finanzierung von Vorhaben und Maßnahmen im Bildungsbereich, so etwa an der Förderung von Ganztagsschulen, am Ausbau von Kita-Plätzen, der Förderung der Lehrkräftebildung im Rahmen des Programms „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ oder aber bereits seit vielen Jahren im Rahmen des BAföG und des Deutschlandstipendiums. Seit 2015 übernimmt der Bund die volle Finanzierung der Geldleistungen nach dem BAföG und entlastet die Länder, damit sie ihrer Finanzierungsverantwortung für Hochschulen und Schulen besser gerecht werden können.

Schließlich tritt der Bund als Mitfinanzierer von Modellversuchen im Bildungswesen auf, die Entscheidungshilfen für Entwicklungen im Bildungssystem geben sollen. Zu besonders wichtigen Förderschwerpunkten der Vergangenheit gehörten Vorhaben zur Steigerung der Effizienz des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts, der Einbeziehung von Medien, Informations- und Kommunikationstechnologien in Lehr- und Lernprozessen sowie die Kooperation der Lernorte in der Berufsbildung (vgl. auch van Ackeren und Klein 2020; van Ackeren und Klemm 2022).

4.1.2 Kulturhoheit der Länder und innere Schulangelegenheiten als Kernaufgaben der Länder gegenüber den Kommunen

Alle anderen Gegenstandsbereiche des Bildungswesens fallen in die Zuständigkeit der Länder und der Kommunen.

Kommune bezeichnet die unterste Ebene im Staatsaufbau der Bundesrepublik Deutschland und ist ein zusammenfassender Begriff für die Gemeinden (kreisfreie Städte, kreisangehörige Städte und Gemeinden) sowie die Gemeindeverbände (z.B. Landkreise).

Den Kommunen steht das Recht der kommunalen Selbstverwaltung, auch in Schulangelegenheiten, zu, was sich in der kommunalen Schulträgerschaft ausdrückt. Das Gebot der staatlichen Schulaufsicht auf Landesebene bleibt davon allerdings unberührt (Weiß 2011a).

In Artikel 8 (3) der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, die hier exemplarisch herangezogen werden soll, heißt es dazu: „Land und Gemeinden haben die Pflicht, Schulen zu errichten und zu fördern. Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Landes [...]“. Ähnlich lautet der einschlägige Artikel 130 (1) der Verfassung des Freistaates Bayern: „Das gesamte Schul- und Bildungswesen steht unter der Aufsicht des Staates, er kann daran die Gemeinden beteiligen.“ Vergleichbare Bestimmungen finden sich in den Verfassungen aller Länder.

Eine Herausforderung ist dabei, dass die Ressorts für Schule, für Wissenschaft (auch im Hinblick auf die für Schule relevante Lehrkräftebildung) sowie die außerschulische Kinder- und Jugendhilfe oftmals in unterschiedlichen Ministerien verortet sind, was Kooperation und Synergien, die z.B. im Rahmen ganztägiger Bildung zentral sind, erschwert.

Exkurs: Aufteilung der Kompetenzen in historischer Perspektive

Diese Aufteilung der Kompetenzen blickt auf eine lange Tradition zurück. Im Zuge der Stein-Hardenbergschen Reformen, mit denen sich Preußen nach den Niederlagen gegen Napoleon zu reformieren versuchte, wurde in Preußen die Selbstverwaltung der Städte gestärkt. In der darauf zielenden ‚Städteordnung‘ von 1808 wurde in §179 die Verwaltung der Schulangelegenheiten, also der äußeren Angelegenheiten, zur Gemeindeaufgabe erklärt. In der Folgezeit wurde die damit verbundene Kompetenzaufteilung von den übrigen deutschen Staaten vergleichbar geregelt. Die Kommunen waren seither nicht länger bloß eine lokale staatliche Verwaltungsbehörde, sondern eine selbständig handelnde Einheit, das Mitspracherecht ihrer Bürgerschaft war damit gesichert.

Ebenso findet sich in allen Ländern – sieht man von den drei Stadtstaaten mit einstufiger Schulaufsicht durch die Senatsbehörden ab – bezüglich des Schulbereichs eine Aufteilung der Kompetenzen zwischen dem jeweiligen Land und den ihm angehörigen Kommunen, die sich – vereinfachend – mit den Begriffen innere und äußere Schulangelegenheiten beschreiben lässt.

Unter den inneren Schulangelegenheiten, für welche die Länder zuständig sind, werden alle im engeren Sinne pädagogischen Bereiche verstanden. Dazu gehören insbesondere

  • die Ziele und Inhalte des Unterrichts (Lehr-/Bildungspläne, Stundentafeln, Schulbücher, Versetzungen, Prüfungen),

  • die Ausbildung, Einstellung, Finanzierung des lehrenden Personals sowie

  • die strukturelle Ausgestaltung des Schulwesens (Schulformen, Schuldauer).

Die Zuständigkeit der Länder – institutionell repräsentiert durch die jeweils für Schule zuständigen Ministerien (bzw. Senatsbehörden/-verwaltungen in den Stadtstaaten) – für die inneren Schulangelegenheiten bezieht sich auf die Steuerung der eigentlichen Unterrichts- und Erziehungsarbeit; dieser Aufgabe kommen die Länder durch rechtliche und administrative Regelungen nach. Darin werden Bildungs- und Erziehungsziele festgelegt, Lehrpläne erstellt, Anforderungen an die Schulabschlüsse bestimmt, Grundfragen der Schulstruktur beantwortet und die Ausbildung und Prüfung der Lehrkräfte strukturiert.

Ein inhaltlicher Fokus liegt derzeit in den meisten Ländern auf landesweiten Förderprogrammen zu Stärkung von Basiskompetenzen in Mathematik und Deutsch – nicht zuletzt angesichts der Situation, dass die mittleren Leistungen in diesen Bereichen seit 2011 deutlich gesunken und zugleich die Gruppe derer gewachsen ist, die die Mindeststandards nicht erreichen konnten (sowohl bezogen auf die Grundschule als auch die Sekundarstufe; Stanat et al. 2019; Stanat et al. 2022).

Schließlich obliegt der zuständigen Instanz auf Landesebene auch die Auswahl und Zuweisung der Lehrkräfte an die einzelnen Schulen. Einige Länder geben den Schulen die Möglichkeit, ihre Lehrkräfte selbst auszuwählen bzw. Lehrkräfte können sich ‚schulscharf‘ bewerben. Hier findet eine Verlagerung von Kompetenzen auf die Ebene der Einzelschule statt. Dabei können die Probleme eines insgesamt hohen Lehrkräftemangel die schwierige Personalsituation (Mangel und Fluktuation) von Schulen in sozialräumlich benachteiligten Lagen noch einmal verschärfen, da sich Bewerberinnen und Bewerber eher für Schulen in privilegierter Lage entscheiden.

4.1.2.1 Unterstützungssysteme für Schulen auf Landesebene und die besondere Rolle der Landesinstitute und Qualitätseinrichtungen

In den Ländern gibt es verschiedene „institutionalisierte Dienste [...], die zur Verbesserung der Schulqualität beitragen sollen und deren Dienstleistungen an Schulträger, Schulverwaltungen, Lehrpersonen und Schüler gerichtet sein können“ (Arbeitsgruppe Internationale Vergleichsstudie 2007, S. 144). Sie sind meist vom für Schule und Bildung zuständigen Ministerium bzw. der Senatsverwaltung beauftragte zentrale Einrichtung für pädagogische Dienstleistungen, die sich neben Schulleitungen und Lehrkräften an alle in und an Schule aktiven Akteure richten können. Zentrale Angebote beziehen sich beispielsweise auf

  • Schulentwicklungsberatung,

  • Fortbildungsangebote (etwa für Führungskräfte),

  • schulpsychologische Beratung,

  • die Entwicklung von (Kern-) Lehrplänen,

  • aber auch auf schulübergreifende Vernetzungsangebote.

Entsprechende Landesinstitute haben es in den vergangenen Jahren auch übernommen (vgl. auch Kap. 5),

  • Lernstandserhebungen bzw. Vergleichsarbeiten,

  • zentrale Abschlussprüfungen und

  • Externe Evaluation (Schulinspektionsverfahren)

durchzuführen und auszuwerten. Teils gehören auch Landesbildungsberichte dazu (Rürup 2014). Ebenso sind vielfach auch Querschnittsthemen hier verortet, etwa zur Konzept- und Materialentwicklung zum Beispiel in den Bereichen Inklusion, Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Demokratiebildung.

Darüber hinaus übernehmen sie wichtige Transferaufgaben:

„Die Aufgabe der Landesinstitute und Qualitätseinrichtungen der Länder besteht in diesem Zusammenhang darin, Forschungswissen in Kooperation mit wissenschaftlichen Einrichtungen adressatengerecht für die Schulen, die Bildungsadministration und die Bildungspolitik aufzubereiten und zu verbreiten. Um nachhaltig Wirkung in der Fläche erzielen zu können, bedarf es ferner besonderer Implementations- und Transferstrategien in den Ländern“ (Kultusministerkonferenz 2015, S. 14).

Ihre Rolle beschreiben die Landesinstitute und Qualitätseinrichtungen in einem gemeinsamen Positionspapier selbst wie folgt:

„Die Institute und Einrichtungen arbeiten wissenschaftsnah, an den Unterstützungsbedarfen vor allem der schulischen Praxis orientiert, als fachliche Beratungsinstanz für die ministerielle Steuerungsebene agierend und erzeugen über Kooperationsverbünde und Partnerschaften Synergien. Dabei fokussieren sie die Qualitätsentwicklung und -sicherung von Schulen und auf weiteren Ebenen und in sonstigen Handlungsfeldern die Qualitätsentwicklung und -sicherung des schulischen Gesamtsystems“ (Landesinstitute und Qualitätseinrichtungen der Länder 2018, S. 8).

4.1.2.2 Differenzielle Unterstützung durch sozialindexgesteuerte Finanzierungsmodelle von Schule

Ein Steuerungsinstrument, das z.B. in Hamburg schon seit Mitte der 1990er Jahre für die Grundschulen und Schulen der Sekundarstufe I eingesetzt wird, aber auch zunehmend in weiteren Ländern diskutiert wird oder in jüngerer Zeit eingeführt wurde (z.B. NRW), ist der schulscharfe Sozialindex.

Dieser ist ein datengestützter Kennwert, der Unterschiede in der Zusammensetzung von Schulen aufzeigt und eine Grundlage dafür bieten soll, Ressourcen (z.B. Lehrerstellen, Sachmittel, Sprachfördermaßnahmen) zielgenauer den Schulen zuzuweisen und Ungleichheiten durch eine differenzierte Mittelzuweisung entgegenzuwirken, indem Schulen an sozialräumlich benachteiligten Standorten besser unterstützt werden. Dies folgt dem Prinzip, Ungleiches ungleich zu behandeln.

Dabei können verschiedene Verfahren zum Einsatz kommen, etwa auf Basis der Befragung von Schülerinnen und Schülern sowie Eltern (mit Problemen bei der Teilnahmequote und potenziell möglichem strategischen Antwortverhalten) oder auf Basis amtlich vorliegender Daten, z.B. zur Kinder- und Jugendarmut (Dichte der SGBII-Quoten der Minderjährigen, die nach dem Sozialgesetzbuch II leistungsberechtigt sind), dem Anteil an Schülerinnen und Schülern mit vorwiegend nichtdeutscher Familiensprache, Schülerinnen und Schüler mit eigenem Zuzug aus dem Ausland sowie Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt (vgl. Schräpler et al. 2016).

4.1.3 Rolle der Kommunen im Hinblick auf (vor allem) äußere Schulangelegenheiten

Nach Artikels 28 Absatz 2 des Grundgesetzes muss auf kommunaler Ebene „das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.“

Zu den äußeren Schulangelegenheiten, für welche die Kommunen als Schulträger zuständig sind, gehören – im Vergleich zu den bereits in Abschn. 4.1.2 genannten inneren Schulangelegenheiten – insbesondere die nachfolgend in der rechten Spalte der Tab. 4.1 aufgeführten Aspekte.

Tab. 4.1 Differenzierung innerer und äußerer Schulangelegenheiten ©

Trotz der Zuständigkeit der Schulträger, die in der Regel Gemeinden oder Kreise sind, müssen diese nicht alle Ressourcen dafür alleine aufbringen. Zum Ausgleich der Schulkosten zwischen Gemeinden und Land erhalten die Schulträger aus dem Haushalt des für Schulen zuständigen Ministeriums bzw. der Senatsbehörde Erstattungen für bestimmte Aufwendungen, wie z.B. die Schülerbeförderung oder die (auch digitale) Lernmittelbereitstellung.

Außerdem unterstützt das Land die Gemeinden durch einmalige Beihilfen, z.B. zu den Kosten für den Schulbau oder durch bestimmte Zuschüsse zu den laufenden Kosten. Auch den privaten Schulträgern werden Zuschüsse zu den Baukosten und zum Betrieb ihrer Schulen gezahlt.

4.1.3.1 Kommunalisierung: Erweiterung von kommunalen Kompetenzen

Die Beschränkung der kommunalen Zuständigkeit auf die äußeren Schulangelegenheiten wurde – auch unter Verweis auf internationale Beispiele – in den letzten Jahren kritisiert. So hat der Deutsche Städtetag in seiner „Aachener Erklärung“ 2007 gefordert (und in der Münchner Erklärung von 2012 bekräftigt), im Bildungsbereich die Verantwortung der Städte, die unter Fehlentwicklungen in der Bildung ebenso wie von Erfolgen besonders betroffen sind, zu stärken. In der auf der Website des Städtetags abrufbaren Erklärung heißt es:

„Die Länder werden aufgefordert, kommunale Steuerungsmöglichkeiten insbesondere im Schulbereich zu erweitern und die Zuständigkeiten im Bereich der inneren und äußeren Schulangelegenheiten zugunsten der Kommunen neu zu ordnen“ (Deutscher Städtetag 2007, S. 2).

Dabei geht es auch um Finanzierungsfragen, denn die Kommunen stemmen auch Aufgaben der Digitalisierung, des Ganztagsausbaus, der Schulsozialarbeit, der Integration und Inklusion. Angestrebt wird die Entwicklung vernetzter lokaler Bildungslandschaften im Rahmen einer Verantwortungsgemeinschaft von Staat und Kommunen.

Unter dem Begriff der Kommunalisierung wird dementsprechend die Ausweitung der Zuständigkeiten und Kompetenzen der Kommunen verstanden, mit denen sie ihren bislang auf die oben dargestellten äußeren Schulangelegenheiten begrenzten Schulverwaltungsauftrag im Sinne eines gestaltenden Bildungsauftrags weiterentwickeln (Weiß 2011a).

Dies umfasst auch die systematische Vernetzung von schulischen und außerschulischen (u. a. Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe) Bildungsinstitutionen und die Erarbeitung gemeinsamer Konzepte. Ausdruck dieser Entwicklung ist z. B. die Einrichtung zentraler Koordinierungsstellen in Kommunen (z. B. Bildungsbüros oder vergleichbare Einrichtungen) und die Konzeptentwicklung etwa im Bereich ganztägiger Bildung (auch vor dem Hintergrund des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung ab 2026), bei der inklusiven Beschulung und beim Übergangsmanagement von der Schule in Ausbildung und Beruf entlang von Bildungsketten.

Einen Rahmen dafür bot u. a. das Programm „Lernen vor Ort“ als eine gemeinsame Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und deutscher Stiftungen (2009 bis 2014), um ein kohärentes kommunales Bildungsmanagement zu entwickeln und Bildungslandschaften zu gestalten. Um die Ergebnisse und Erfolge von „Lernen vor Ort“ in die Breite der kommunalen Bildungslandschaft zu tragen, wird seit 2013 die Initiative „Transferagenturen Kommunales Bildungsmanagement“ durch den Bund initiiert und finanziert.

Exkurs: Kommunale Spitzenverbände

Der Deutsche Städtetag, Deutsche Städte- und Gemeindebund sowie Deutsche Landkreistag sind kommunale Spitzenverbände, die sich auf freiwilliger Basis zusammengeschlossen haben, um ihre Interessen gegenüber Ländern, dem Bund und auch der EU zu vertreten. Sie sind – parteipolitisch neutral – beratend etwa an Gesetzgebungsverfahren beteiligt und verfügen über ein privilegiertes Anhörungsrecht in Bundesrat, Bundestag und einigen Ländern, u. a. zu Bildungsfragen (Hepp 2011).

4.1.4 Die Kultusministerkonferenz als Koordinatorin der Länderpolitiken

Aus der umfassenden Zuständigkeit, die den Ländern in der Bildungspolitik zukommt, ergibt sich – soll die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet gewahrt bleiben – für die Länder eine Koordinationsaufgabe. Zur Bewältigung dieser Aufgabe haben sie bereits 1948 mit der später so genannten „Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland“ (kurz: KMK) ein Instrument zur Abstimmung und Koordination ihrer Bildungspolitik geschaffen. Den Präsidenten bzw. die Präsidentin der KMK stellen die Länder in einer festgelegten Reihenfolge, also nicht aufgrund eines Wahlvorgangs. Die alltägliche Arbeit der KMK leistet ein Sekretariat, das von einem Generalsekretär geleitet wird.

Aushandlungs- und Abstimmungsprozesse zwischen den Ländern führen im Rahmen der Kultusministerkonferenz (KMK) zu einheitlichen Grundlinien bei politischen Fragestellungen (z. B. im Bereich Inklusion, Digitalisierung, auch in ihrer Rolle für die Lehrkräftebildung, in Fragen der gegenseitigen Anerkennung von Abschlüssen etc.; van Ackeren und Klein 2020). In der „Ländervereinbarung über die gemeinsame Grundstruktur des Schulwesens und die gesamtstaatliche Verantwortung der Länder in zentralen bildungspolitischen Fragen“ haben die Länder die Bedeutung der Zusammenarbeit „gerade in Zeiten besonderer Herausforderungen“ (Kultusministerkonferenz 2020, S. 4) besonders betont.

Die Beschlüsse der KMK, die durch Fachausschüsse vorbereitet werden, fallen einstimmig, wobei jedes Land – unabhängig von seiner Einwohnerzahl eine Stimme hat. Auf diese Weise ist die Majorisierung eines Landes ausgeschlossen. Die so entstandenen KMK-Beschlüsse sind Empfehlungen der Länder; sie müssen daher in den Ländern, deren verfassungs- und verwaltungsrechtliche Zuständigkeit unberührt bleibt, in Kraft gesetzt werden – durch Rechtsverordnungen, Erlasse oder Verwaltungsvorschriften oder durch Gesetze (Schulgesetz, Lehrerbildungsgesetz etc.).

Eine der, was die Schulpolitik angeht, bekanntesten dieser Empfehlungen ist die von 1972, in der die gymnasiale Oberstufe neu geordnet wurde (vgl. dazu Abschn. 1.8), aber beispielsweise auch die Vereinbarungen zu den „Standards für die Lehrerbildung“ von 2004 oder in jüngerer Zeit die „Ländervereinbarung über die gemeinsame Grundstruktur des Schulwesens und die gesamtstaatliche Verantwortung der Länder in zentralen bildungspolitischen Fragen“ von 2020. Weitere Vereinbarungen können unter www.kmk.org recherchiert werden.

Die KMK hat 2021 eine Ständige wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) als ein „unabhängiges wissenschaftliches Beratungsgremium der Kultusministerkonferenz“ (Ständige Wissenschaftliche Kommission 2021) eingerichtet (vgl. weiterführend Abschn. 4.2.5).

4.1.5 Schulaufsicht mit operativen Kontroll-, Beratungs- und Unterstützungsaufgaben bei den Schulangelegenheiten

Das zentrale Instrument, mit dem die Länder die im Rahmen ihrer Kompetenzen jeweils verfolgte Schulpolitik umsetzen und überwachen, ist das der Schulaufsicht.

Schulaufsicht ist die staatliche Realisierung des bereits zitierten Verfassungsgebots des Artikels 7 Absatz 1 des Grundgesetzes: „Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.“ Ähnliche Bestimmungen finden sich in allen Landesverfassungen (s.o.).

Ein Verzicht auf Schulaufsicht ist also verfassungsrechtlich ausgeschlossen. Somit kann es auch keine gänzlich autonomen Schulen geben, wohl aber zusätzliche bzw. erweiterte Entscheidungskompetenzen der (teil)autonomen Schulen; dies stellt sich je nach Land unterschiedlich dar.

Jedes der sechzehn Bundesländer verfügt über eine eigene Kultusadministration, welche aus mehreren Instanzen besteht und der die Schulaufsicht obliegt. An der Spitze der Schulaufsicht steht in jedem Fall ein Ministerium bzw. in den Stadtstaaten eine Senatsbehörde, das bzw. die zumeist neben anderen Bereichen (z. B. Kultur, teils auch Wissenschaft, Jugend, wenn dies nicht in anderen Ressorts liegt) für die Schulen zuständig ist. Von dieser obersten Schulaufsichtsebene gehen die wesentlichen Vorgaben der Schulentwicklung aus.

Sofern es sich dabei um zentrale Bereiche des Schulwesens handelt, müssen diese Vorgaben, so sieht es die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes vor, von der Legislative, also dem jeweiligen Parlament, auf dem Wege der Gesetzgebung erlassen werden.

„Auf dieser gesetzlichen Grundlage erfüllen die Schulverwaltungen der Bundesländer ihre Gestaltungsaufgaben durch die Bereitstellung von Personal, Sach- und Finanzmitteln, vor allem aber durch Gebote und Verbote, die in den Rechts- und Verwaltungsvorschriften niedergelegt sind und die man insgesamt als ‚regulative Programme‘ bezeichnet“ (Cortina et al. 2008, S. 166).

Insbesondere werden darin die Quantität und Fächerverteilung des Unterrichtsangebotes (Stundentafel), Lehrpläne/Bildungspläne, Anerkennung von Schulbüchern (z. B. unter Begutachtung im Hinblick auf Verfassungsgrundsätze und Rechtsvorschriften), Aspekte, die die Schülerkarrieren betreffen (Notengebung, Versetzung, Übergang in andere Schulformen), Klassenfrequenzen und Lehrermesszahlen geregelt.

Stadtstaaten verfügen über eine ein- bis zweistufige Aufsicht. Hamburg und Bremen haben jeweils nur eine zuständige Behörde. In Berlin finden sich – der für Bildung zuständigen Senatsverwaltung nachgeordnet (der Senat ist die Landesregierung des Landes Berlin) – verschiedene Außenstellen in den Bezirken der Stadt.

Flächenländer haben eine zwei- bis dreistufige Aufsicht. Rheinland-Pfalz hat, um ein Beispiel für eine zweistufige Aufsicht zu nennen, eine dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur nachgeordnete „Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion“ (ADD) als Landesbehörde, die als Mittler zwischen der Landesregierung und der kommunalen Selbstverwaltung agiert. Nordrhein-Westfalen differenziert die Schulverwaltung in ein Ministerium, in fünf Bezirksregierungen (Arnsberg, Detmold, Düsseldorf, Köln, Münster) und 54 Schulämter aus. Eine aktuelle Übersicht über die Organisation der Schulaufsicht in allen Ländern stellt der deutsche Bildungsserver (www.bildungsserver.de) unter dem Stichwort „Schulaufsicht“ zur Verfügung.

Die Schulaufsicht umfasst die Bereiche

  1. 1.

    der Fachaufsicht, die sich auf fachliche und methodische Fragen des Unterrichtens und der Erziehung bezieht (Kontrolle der Zweckmäßigkeit des Handelns und der Art und Weise der Aufgabenerfüllung). Die Fachaufsicht über die Grund- und die Hauptschulen sowie über die verschiedenen sonder-/förderpädagogischen Schulen und teils über die Realschulen haben grundsätzlich die unteren Schulaufsichtsbehörden. Die Fachaufsicht über die übrigen Schularten liegt regulär bei den Kultusministerien (teils auch bei den Schulaufsichtsbehörden der mittleren Ebene und den unteren Schulaufsichtsbehörden).

  2. 2.

    der Rechtsaufsicht, welche die Rechtmäßigkeit des Handelns der Akteure zum Gegenstand hat (als Gegenstück zur Selbstverwaltung; der Staat muss mittels der Rechtsaufsicht garantieren, dass die Selbstverwaltungskörperschaften nicht gegen die Rechtsordnung verstoßen).

  3. 3.

    der Dienstaufsicht, die das Aufsichts- und Weisungsrecht der höheren Behörde gegenüber der nachgeordneten Behörde und des Vorgesetzten gegenüber seinen untergebenen Beamtinnen und Beamten bezeichnet (in der Schule: Schulaufsichtsbeamte gegenüber Schulleitungen und Lehrkräften, in einzelnen Ländern auch Schulleitungen gegenüber Lehrkräften). Die Dienstaufsicht erstreckt sich auf die innere Ordnung der Schulen, die allgemeine Geschäftsführung im Schulbereich und auf die Personalangelegenheiten der Lehrkräfte (Dienstrecht mit Disziplinarrecht).

Exkurs: Fachaufsicht und pädagogische Eigenverantwortung

„Der Fachaufsicht werden durch die pädagogische Eigenverantwortung der Schule und die pädagogische Verantwortung der Lehrkraft Grenzen gesetzt. In mehreren Ländern sind die Schulaufsichtsbehörden gesetzlich dazu verpflichtet, die pädagogische Eigenverantwortung der Schulen zu respektieren. Die pädagogische Verantwortung, auch als pädagogische Freiheit oder Methodenfreiheit bezeichnet, beinhaltet das Recht der Lehrkraft, im Rahmen der geltenden Vorschriften eigenverantwortlich zu unterrichten. Sie wird der Lehrkraft im Interesse der Schülerinnen und Schüler gewährt, da schülerorientierter Unterricht nur stattfinden kann, wenn die Lehrkraft einen angemessenen Freiraum bei der Auswahl der Unterrichtsinhalte, der Unterrichtsmethoden und der Leistungsbewertung hat. Die pädagogische Freiheit der Lehrkraft ist ggf. in Beziehung zu setzen zu dem Gebot professionellen Handelns und der pädagogischen Eigenverantwortung der Schule. So sind die Lehrkräfte z.B. an die in Schulprogrammen niedergelegten pädagogischen Grundkonzeptionen gebunden“ (Kultusministerkonferenz 2021a, S. 50).

Sichtbare Repräsentanten der Schulaufsicht sind Schulaufsichtsbeamte und -beamtinnen, die durch Unterrichtsbesuche, Mitwirkung bei Prüfungen oder dienstlichen Beurteilung direkt an der Schule präsent sind. Ihnen obliegt die unmittelbare Aufsicht über die Schulen.

Insbesondere wirken sie bei der Einstellung von Lehrkräften, Zuweisung zu bestimmten Schulen, Versetzung und Beförderung mit, sofern es sich nicht z.B. um sogenannte ‚schulscharfe Einstellungen‘ durch die Schulen im Rahmen der erweiterten schulischen Eigenverantwortung handelt.

Mittlerweile ist die Verantwortung für entsprechende Aufgaben oftmals an die Schulleitung delegiert (Weitzel 2015); die Aufgabe der Schulaufsichtsbeamtinnen und -beamten entspricht dann vor allem der als Unterstützungs-, Beratungs- und Kontrollinstanz für Schule und Schulleitung (vgl. Rürup 2020). Im Kontext der Debatten um eine verstärkte Dezentralisierung im Schulwesen wird dies von der Schulaufsicht zunehmend erwartet, da die in Deutschland tradierte Form der Schulaufsicht als einer sogenannten Eingriffsaufsicht angesichts der Stärkung schulischer Eigenverantwortung weniger passend erscheint.

Dagegen verstärken sich Entwicklungen in Richtung einer Beratungsaufsicht mit verändertem Selbstverständnis nach dem Muster vieler anderer Länder, wie den Niederlanden, Dänemark, Schweden, Kanada, Finnland. Damit soll die Schulaufsicht zunehmend zur Qualitätsentwicklung beitragen, etwa im Rahmen der Überführung von Ergebnissen der Schulinspektion oder anderer Daten zur Situation der Schule in Zielvereinbarungen zwischen Schulaufsicht und Schulen.

4.2 Weitere Akteure im Schulsystem: (inter-)nationale Impulsgeber und Anspruchsgruppen

Kommunen und Schulen haben mittlerweile deutlich mehr Entscheidungskompetenzen; zugleich bedarf es erheblicher Finanzmittel, um neue Aufgaben zu erfüllen. Zusätzliche Mittel fließen neben der staatlichen Finanzierung (sog. Erster Sektor) im Schulbereich auch über die Privatwirtschaft (Zweiter Sektor) sowie die Zivilgesellschaft (Dritter Sektor; Stiftungen, Bürgerinitiativen, Verbände u.ä; Weiß 2011a).

Veränderungserwartungen werden dabei von verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren an Schule als Institution herangetragen. Das betrifft z.B. Gewerkschaften und Verbände, aber auch Kirchen und Religionsgemeinschaften. Auch die Massenmedien sind im Übrigen über Zeitung, Fernsehen, Radio und Internet relevante Einflussgrößen im Bildungsbereich. Über online-Plattformen können Bürgerinnen und Bürger Petitionen starten (als Ersuchen oder Beschwerde an zuständige behördliche Stellen).

Neben einer nationalstaatlichen Perspektive gibt es schließlich auch internationale Einflüsse, bezogen auf Deutschland vor allem auf europäischer Ebene, etwa über die EU und die OECD. Mit der internationalen Perspektive beginnt der Überblick über weitere Akteure im Schulsystem, der dann im Weiteren auf nationale Akteure fokussiert (vgl. Tab. 4.2 zu den Akteuren im Schulsystem im Überblick).

Tab. 4.2 Akteure im Schulsystem ©

4.2.1 Agenda Setting und ‚Soft Governance‘ durch supranationale Institutionen wie die OECD und EU

Auch wenn die Steuerung von Bildungssystemen weitestgehend eine Angelegenheit von Nationalstaaten ist, nehmen internationale Akteure wie die Europäische Union oder die OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development) Einfluss auf die Bildungssysteme verschiedener Staaten. Dies geschieht mit Mitteln der sanften Steuerung (soft governance; z.B. Popp et al. 2012), insbesondere über diskursive Mittel, wie über Bildung gesprochen wird, welche Themen und Schwerpunkte als besonders wichtig oder drängend dargestellt werden (Agenda Setting) und welche Reformmaßnahmen zur Weiterentwicklung qualitätsvoller Bildungssysteme empfohlen werden (Klein und van Ackeren 2018).

Dadurch, dass länderübergreifend Daten über Kompetenzen und leistungsrelevante Merkmale von Lernenden und Lehrkräften, organisationale Strukturen von Schulen oder Effekte bildungspolitischer Reformen – etwa im Kontext großer Schulleistungsvergleichsstudien – generiert werden, können entsprechende Informationen für systematisierte Vergleiche im Bildungsbereich herangezogen und von politischen Entscheidungsträgern genutzt werden. So verbreiten sich international Ideen, die von Nationalstaaten aufgegriffen werden, um sich selbst darüber datengestützt Legitimation zu verschaffen (Jakobi und Martens 2007; Klein und van Ackeren 2018).

Ein herausragendes Beispiel ist die PISA-Studie der OECD. Dabei schaut man inzwischen auch stärker auf schulische und schulsystemische Einflussgrößen der Leistungserbringung, um Ansatzpunkte für bildungspolitische Maßnahmen systematischer herauszuarbeiten. Dazu gehören Strategien und Maßnahmen der Auswahl und Gruppierung von Lernenden, des Schulmanagements, der Finanzausstattung, der Gestaltung elterlicher Schulwahlfreiheit, der Rechenschaftslegung über Lernerträge, der Gestaltung von Schulautonomie etc. (van Ackeren et al. 2016). Bloem (2015) analysiert dabei das Problem, dass auf Grundlage der querschnittlichen PISA-Daten (mit nur einem Messzeitpunkt bezogen auf die jeweilige Kohorte) keine kausalen Zusammenhänge beschreibbar sind; dementsprechend seien die Formulierungen in den Berichten relativierend, wobei sie eine kausale Interpretation (Ursache-Wirkungs-Zusammenhang) bei den Adressatinnen und Adressaten intendierten.

Zu den zentralen Analyse- und Diskussionsfeldern der OECD gehören beispielsweise (Klein und van Ackeren 2018):

  • Evidenzbasierung von Bildungspolitik und -praxis,

  • Diversität und Benachteiligung,

  • Flucht und Migration,

  • ICT (information and communications technology)/Digitalisierung,

  • Governance von Bildungssystemen und

  • Lehrkräftebildung.

Das Agenda Setting dürfte sich in der Folge der weltweiten Covid-19-Krise künftig noch stärker auf Fragen der Digitalisierung sowie hybride Lehr- und Lernsettings konzentrieren und ggf. eine ähnlich einflussreiche Situation für Bildungspolitik darstellen, wie die Publikation und Rezeption der ersten PISA-Ergebnisse zu Beginn der 2000er Jahre (van Ackeren und Klemm 2022). Hinzu kommen Fragen des Umgangs mit der Klima- und Energiekrise.

Die Europäische Union fördert, unterstützt und ergänzt die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Hinblick auf Bildung und folgt dabei dem Subsidiaritätsprinzip.

Nach dem Subsidiaritätsprinzip sollen Aufgaben auf der untersten Ebene einer Hierarchie gelöst werden, um Selbstbestimmung und Eigenverantwortung zu fördern bzw. zu gewährleisten; erst wenn die Möglichkeiten der untergeordneten Einheit nicht reichen, kann unterstützend von höherer Ebene eingegriffen werden (z.B. von der EU gegenüber den Mitgliedsstaaten oder vom Bund gegenüber den Ländern).

Der Europäische Rat hat mit seiner Erklärung von Lissabon im Jahr 2000 der Bildungspolitik eine zentrale Rolle zugeschrieben. Sie wird als wichtigstes Mittel der Gestaltung Europas als wettbewerbsfähiger und dynamischer Informations- und Wissenschaftsraum im Kontext der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und als Voraussetzung dauerhaften wirtschaftlichen Erfolges angesehen.

Zu den grundsätzlichen Zielen der EU-Arbeit im Bildungsbereich gehören heute die Förderung von

  • lebenslangem Lernen und Mobilität,

  • Qualität und Effizienz der allgemeinen und beruflichen Bildung,

  • Chancengleichheit, sozialem Zusammenhalt und aktivem Bürgersinn

  • Kreativität, Innovation und Unternehmergeist.

Im Bereich der allgemeinen Bildung geht es konkreter um Themen wie

  • Basiskompetenzen (Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften; Ziel: weniger als 15 % low-achievers),

  • Quote der Schulabgängerinnen und Schulabgänger ohne Abschluss (Ziel: weniger als 9 %),

  • Mehrsprachigkeit,

  • unterstützende Lernumgebungen, well-being (im Sinne von Wohlbefinden und Wohlergehen) und mentale Gesundheit,

  • um die professionelle Entwicklung und internationale Mobilität von Lehrkräften und Schulleitungen,

  • um Digitalisierung und Blended Learning sowie

  • Nachhaltigkeit und Klimawandel.

Im Bereich der beruflichen Bildung geht es – neben Exzellenz der Ausbildung und Qualitätssicherung – zudem um eine lebenslange Kultur des Lernens, auch im Kontext der Digitalisierung, und um eine Flexibilisierung und Nachhaltigkeit der beruflichen Bildung.

Besonders sei hier auch auf EURYDICE als Informationsnetzwerk über die allgemeinen Bildungssysteme der EU-Mitgliedsstaaten verwiesen. Hier finden sich neben umfassenden, aktuellen Darstellungen der Bildungssysteme der Mitgliedsstaaten im Rahmen der Eurybase-Datenbank auch thematisch fokussierte Länder- sowie vergleichend angelegte statistische Analysen von der frühkindlichen, über die schulische bis zur hochschulischen Bildung.

4.2.2 Konjunktur von Stiftungen im Bildungsbereich

Zivilgesellschaftliches Engagement findet sich etwa im Stiftungsbereich. Stiftungen haben einen urkundlich festgelegten Stiftungszweck (z.B. Bildungschancen für Kinder und Jugendliche zu verbessern) und ein Stiftungsvermögen, das nachhaltig zur Erfüllung des Stiftungszwecks ausreichen muss.

Dedering (2013) zeigt, dass im Jahr 2010 bei 15 % der mehr als 17.000 rechtsfähigen Stiftungen der ausgewiesene Stiftungszweck in den Bereichen Bildung und Erziehung lag. Gut zehn Jahre später trifft dies auf 34,5 % der Stiftungen zu (Bundesverband Deutscher Stiftungen 2021, S. 34). Viele beziehen sich auf bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche, es werden aber z.B. auch Schulwettbewerbe ausgeschrieben (z.B. Deutscher Schulpreis), Fortbildungs- und Vernetzungsangebote für Schulen gemacht und externe Zertifikate vergeben sowie eigene Bildungsstudien aufgelegt.

Das Handeln des sogenannten Dritten Sektors beschränkt sich zunehmend nicht mehr darauf, bei besonderen Herausforderungen mit zu unterstützen, sondern auch inhaltlich und strukturell mitzugestalten. Stiftungen gelten als Impulsgeber für gesellschaftliche und politische Innovationen und Reformen. In der Phase nach PISA und der Kritik an der Struktur und Steuerung des deutschen Schulsystems entwickelte sich im Verlauf der 2000er Jahre eine günstige Situation für Public-Private-Partnerships, zumal sich Steuerung und Governance im Bildungswesen auch auf politischer Seite insofern änderten, als private und zivilgesellschaftliche Akteure aktiv in Steuerungsprozesse eingebunden wurden (Höhne 2012).

Die besonderen Mittel, über die große und einflussreiche Stiftungen im Bildungsbereich verfügen, sind umfangreiche finanzielle Mittel, fachliche Expertise, ausdifferenzierte Netzwerkstrukturen und Kontakte zu Eliten aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft sowie mediale Sichtbarkeit, sodass sie „an unterschiedliche Systemlogiken, Akteursgruppen und Handlungsformen anschließen“ und sich als „Vermittler“ anbieten (Höhne 2012, S. 247).

Als Problembereich beschreibt Höhne (2012), dass Stiftungen nicht selten als Sprecher vermeintlicher Allgemeininteressen aufträten und sich auch als Alternative zur klassischen Politik etablieren wollten, jedoch fehle ihnen ein öffentliches Mandat. Prozesse der „Informalisierung von Politik(en)“ und die zunehmende „Durchsetzung subpolitischer Formen“ seien zudem nicht transparent. Gleichwohl haben sich viele Stiftungen als relevante und impulsgebende Akteure im Bildungssystem etabliert, die neue Ideen in Erprobungs- und Initiationsphasen mit erheblichen Finanzmitteln unterstützen.

4.2.3 Interessenvertretungen der Nutzenden von und der Beschäftigten in Schule

Verschiedene gesellschaftliche Gruppen bemühen sich darum, im Bildungsbereich im Interesse ihrer Mitglieder bzw. für die Klientel, die sie vertreten, auf politische Prozesse Einfluss zu nehmen. Dafür werden ihnen auch bestimmte Mitwirkungsrechte eingeräumt. Eine gute Schule lebt letztlich auch davon, dass Lehrkräfte, pädagogisches Personal, Eltern sowie Schülerinnen und Schüler sich unmittelbar bzw. über Interessenvertretungen mit ihren Ideen von Schule einbringen können.

Zu den zentralen Gruppen auf der Seite der Nutzenden von Bildungseinrichtungen gehören Schülerinnen und Schüler sowie Eltern bzw. Erziehungsberechtigte, auf der Seite der Beschäftigten u.a. die Lehrkräfte.

4.2.3.1 Mitwirkung von Schülerinnen und Schülern

Die Mitwirkungsrechte der Schülerinnen und Schüler sind über die Schülervertretungen (auch: Schülermitverantwortung), meist als gewähltes Gremium, an den Schulen geregelt. An der einzelnen Schule vertritt die Schülervertretung „im Rahmen des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule die Rechte der Schülerinnen und Schüler, fördert und nimmt deren Interessen wahr und wirkt dadurch bei der Gestaltung des schulischen Lebens mit“ (so beispielhaft der SV-Erlass des Kultusministeriums NRW 1979).

Im SV-Erlass für NRW (noch von 1979) wird auch auf den schulischen Auftrag verwiesen, „Schülerinnen und Schüler zu selbstständigem kritischen Urteil, zu eigenverantwortlichem Handeln und zur Wahrnehmung von Rechten und Pflichten im politischen und gesellschaftlichen Leben zu befähigen“. Die Beteiligungsform soll also nachhaltige Partizipationserfahrungen ermöglichen und ist Teil einer demokratischen Schulkultur, sie ist pädagogisches Lernfeld und zugleich konkreter politischer Handlungsraum für Schülerinnen und Schüler.

Die Anliegen der Schülerinnen und Schüler werden in der Klasse oder im Kurs, im Jahrgang, im Schülerrat bzw. in der Schülerversammlung sowie durch die gewählte Schülervertretung (Klassen-, Jahrgangsstufen- und Schülersprecher bzw. -sprecherin) vertreten.

Darüber hinaus gibt es gesetzlich verankert Landesschülervertretungen; über diese können Interessen, Positionen und Erklärungen zu schulpolitischen Themen artikuliert werden, u.a. dadurch, dass es Anhörungsrechte bei den Kultusministerien und in Landtagen gibt (Hepp 2011). Insgesamt seien die „Möglichkeiten der organisierten Schülerschaft, als schulpolitische Lobby zu wirken […] jedoch als sehr gering einzustufen“ (Hepp 2011, S. 73). Die digitalen Möglichkeiten der Organisation und Kommunikation dürften dies gleichwohl verändern.

4.2.3.2 Mitwirkung von Eltern und Erziehungsberechtigten

Vor allem Informations-, Anhörungs- und Beratungsrechte haben auch die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten. Hierbei verweist Hepp (2011) auf das grundgesetzlich verbriefte Recht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder hin, was schulaufsichtlich zu berücksichtigen ist. In Artikel 6 des Grundgesetzes heißt es: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“ Hepp (2011) verweist darauf, dass daraus resultierende Konflikte teils zu juristischen Auseinandersetzungen führten, etwa hinsichtlich der Rolle von Religion in der Schule (vgl. dazu etwa das sogenannte Kruzifix-Urteil, wonach die Anbringung eines Kreuzes oder Kruzifixes in einer staatlichen, bekenntnisfreien Pflichtschule gegen das Grundgesetz verstößt; geklagt hatten Eltern und Schüler); die Klagebereitschaft ist gerade beim Thema Prüfungen und Versetzungen gestiegen (Hugo 2021).

Elterliche Mitwirkungsrechte sind über die Elternvertretungen (auf Klassen- bzw. Schulebene mit unterschiedlichen Bezeichnungen, z.B. Klassen- und Schulpflegschaft oder Elternbeirat) in Schule möglich, was wiederum in den Schulgesetzen der Länder geregelt ist, wenn auch mit Unterschieden der Mitwirkungsmöglichkeiten im Vergleich der Länder. Landeselternbeiräte, die teils gesetzlich in den Ländern verankert sind, bzw. auch privat organisierte Elternverbände, arbeiten mit den Schulministerien der Länder zusammen. Auf Bundesebene ist vor allem der Bundeselternrat als eine Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlich wie privat-rechtlich organisierten Elternvertretungen zu nennen.

In Absprache mit den Lehrkräften und mit Zustimmung von Klassenpflegschaft und Schulleitung können Eltern am Unterricht teilnehmen und auch in Teilen mitarbeiten, etwa in Projekten, Förderstunden und in Arbeitsgemeinschaften. Auch außerhalb des Unterrichts können sie bei Schulveranstaltungen oder im Ganztag unterstützen.

In den Referenzrahmen für Schulqualität der Länder (Elsing und van Ackeren 2017; Thiel und Tarkian 2019) wird die Zusammenarbeit mit Eltern bzw. Erziehungsberechtigten und deren demokratische Teilhabe sowie wertschätzende Einbeziehung ihrer Kompetenzen und Vorschläge aus als ein Merkmal guter Schule operationalisiert. Hierbei haben Konzepte der Schulen, wie Familien gut und niedrigschwellig in die Arbeit der Schule eingebunden werden können – und zwar „jenseits dichotomisierender Zuschreibungen von ‚guten‘ und ‚schlechten‘ Eltern“ (Killus und Paseka 2021, S. 263) –, eine besondere Bedeutung. In der Gesamtschau gibt es positive Forschungsbefunde zum Zusammenhang zwischen der Beteiligung von Eltern und dem schulischen Erfolg von Schülerinnen und Schülern, was gerade auch für die Unterstützung benachteiligter Kinder und Jugendlicher vielversprechend erscheine (Hillmayr et al. 2021; hier finden sich auch Beispiele elternbezogener Projekte über den gesetzlich vorgegebenen Bereich hinaus).

Als problematisch wird u.a. die fehlende Mitwirkung von Eltern unterschiedlicher sozialer und kultureller Herkunft in formellen Schulgremien thematisiert, aber auch die Rolle als „Zulieferer“ vor allem im Kontext der Pandemie – mit Unsicherheiten und unterschiedlichen Möglichkeiten der Eltern bei der Unterstützung ihrer Kinder (Killus und Paseka 2021, S. 262).

Familienbildung wird insofern auch durch die Anbindung von Angeboten der Elternbildung und -beratung an Schulen (Walper 2021), etwa über Familiengrundschulzentren als sozial­räumliche Knotenpunkte und als eine Anlaufstelle für Familien, neu gedacht.

Die Schulkonferenz (auch Schulforum, Schulvorstand oder Schulausschuss in einzelnen Bundesländern genannt) ist das höchste Gremium der Schule, dem Eltern-, Lehrkräfte- sowie Schülervertretungen angehören. Die Schulkonferenz ist mit allen Grundsatzangelegenheiten der Schule befasst. Vorschläge und Anregungen können sich an den Schulträger und an die Schulaufsichtsbehörde richten. Sie verabschiedet Grundsätze und Stellungnahmen. Eltern ist es dabei in der Regel nicht möglich, alleine gegen Schulleitung und Lehrkräfte Entscheidungen herbeizuführen.

4.2.3.3 Verbände der im Bildungswesen Beschäftigten

Die im Bildungs- bzw. Schulsystem Beschäftigten sind auch in Verbänden organisiert, wobei zumeist weitgehend autonome Landesverbände und relativ lose Dachorganisationen auf Bundesebene nebeneinander existieren, was angesichts der Zersplitterung die übergreifende Abstimmung gemeinsamer Positionen erschwere (Hepp 2011).

Zu zentralen Serviceleistungen für die Mitglieder gehören Information, Beratungsleistungen, Fortbildungsangebote sowie rechtliche und tarifpolitische Vertretung der Interessen. Darüber hinaus sind sie öffentlich sichtbar, etwa gegenüber Entscheidungsträgern in der Politik (Hepp 2011); insofern handelt es sich um Interessengruppen (auch pressure group, Lobby), die etwa auf Parteien, Parlament und Regierung Einfluss zu gewinnen suchen (zur Analyse bildungspolitischer Programme der Verbände, u.a. in der Folge der PSA-Studie, vgl. Kreft 2006).

Konkret hervorzuheben ist die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) als größte Bildungsgewerkschaft, die zum Deutschen Gewerkschaftsbund gehört und ca. 280.000 Personen (Stand gemäß Webseite Anfang 2023) aus Schulen, Kindertagesstätten, Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen (etwa aus dem Bereich der Weiterbildung) vertritt und damit pädagogisches und wissenschaftliches Personal auf allen Stufen des Bildungssystems. Als zentrale Leitziele führt die GEW u.a. auf: kostenfreie Kita-Plätze für alle Kinder, gemeinsames Lernen von Kindern und Jugendlichen in der „Einen Schule für alle“, eine solide finanzielle Basis für das öffentliche Bildungssystem, gleiche Rechte und berufliche Aufstiegsmöglichkeiten für Frauen und Männer, Antidiskriminierung.

Außerhalb der Gewerkschaften des DGB ist der Deutsche Lehrerverband (DL) die mit ca. 165.000 Mitgliedern größte Lehrerorganisation in Deutschland und beschreibt sich selbst auf der Webseite als „ein weltanschaulich neutraler, überkonfessioneller und parteipolitisch unabhängiger Dachverband“ (Stand Anfang 2023 gemäß Webseite). Im Verband sind vier schulformbezogene Bundesverbände zusammengeschlossen: Der Deutsche Philologenverband e.V. für die Gymnasiallehrkräfte, der Verband Deutscher Realschullehrer, der Bundesverband der Lehrkräfte für Berufsbildung sowie die Katholische Erziehergemeinschaft.

Übergreifend fordert der DL u.a. den Erhalt und die Weiterentwicklung eines vielfältig gegliederten Schulsystems (inkl. Erhalt der Hauptschule), die Stärkung des Kulturföderalismus und damit die Kompetenzen der Länder, optimale pädagogische und sachliche Rahmenbedingungen in den Schulen, den Beamtenstatus sowie solide Besoldungsbedingungen.

Größter Einzelverband im DBB Beamtenbund ist der Verband Bildung und Erziehung (VBE) mit bundesweit ca. 165.000 Mitgliedern (stand Anfang 2023 gemäß Webseite). Er vertritt Pädagoginnen und Pädagogen aus dem frühkindlichen Bereich, Primarstufe, Sekundarstufen I und II und dem Bereich der Lehrkräftebildung. Er setzt sich nach eigenen Angaben auf der Webseite u.a. für die Stärkung des Lehrberufs und eine gleiche Bezahlung für alle Lehrkräfte aller Schulformen ein.

4.2.4 Kirchen und Religionsgemeinschaften

Auch die Rolle der Kirchen und Religionsgemeinschaften lässt sich im Hinblick auf die Durchsetzung ihrer Interessen betrachten. Der Einfluss der Kirche war im Bildungssystem vor allem bis in das 19. Jahrhundert, aber auch noch bis zur Weimarer Zeit (vgl. den Weimarer Schulkompromiss, Abschn. 1.6) hinein bedeutend, wie in Kap. 1 gezeigt wurde. Letztlich hat sich die Institutionalisierung der öffentlichen Schule gegen die Kirche durchgesetzt, indem der säkularisierte Staat die Kirche als wichtigster Träger von Bildungseinrichtungen abgelöst hat.

Gleichwohl unterhalten die Kirchen, dies betrifft vor allem die beiden großen christlichen Kirchen, auch heute noch

  • zahlreiche Bildungseinrichtungen (von Kindertageseinrichtungen und Kindergärten über Schulen von der Primarstufe bis zur Sekundarstufe mit unterschiedlichen Schulen, auch im berufsbildenden Bereich, bis hin zu Abendschulen und weitere Einrichtungen der Erwachsenenbildung. Hinzu kommen Erwachsenenbildungsstätten und Akademien) und

  • sie sind über den Religionsunterricht präsent und üben somit auch Einfluss im Schulsystem aus.

Anders als etwa in Frankreich, der Türkei, Japan oder China gibt es in Deutschland keine strenge Trennung von Kirche und Staat nach dem religionsverfassungsrechtlichen Modell des Laizismus, wonach die Religionsausübung in staatlichen Einrichtungen untersagt ist. In Deutschland haben die Kirchen den Status öffentlich-rechtlicher Körperschaften und damit zahlreiche Privilegien auch im Bildungsbereich (Hepp 2011).

Dies betrifft etwa

  • die inhaltliche Entwicklung der Lehrpläne und Zulassung der Schulbücher,

  • die Mitverantwortung der Religionslehrkräfte-Ausbildung im Hochschulbereich sowie

  • die Besetzung von Professuren in diesem Bereich und

  • die notwendige kirchliche Beauftragung bei Einstellung in den Staatsdienst.

Allerdings ist die Teilnahme am Religionsunterricht freiwillig; ab dem 14. Lebensjahr können Schülerinnen und Schüler dies selbst für sich entscheiden, vorher die Eltern. Stattdessen wird in den meisten Ländern dann Ethik für die Schülerinnen und Schüler angeboten, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen.

In Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen gibt es noch Konfessionsschulen als staatliche Schulen, deren Finanzierung aus staatlichen Mitteln erfolgt. In NRW wurde durch ein Urteil 2016 bestätigt, dass bekenntnisangehörige Kinder an Grundschulen einen vorrangigen Aufnahmeanspruch haben, auch wenn der Wohnort weiter entfernt ist als für andere Kinder, zumal es in NRW seit 2008/2009 keine festgelegten Schulbezirke mehr gibt. Deutlich unterschiedliche Anteile an Kindern mit Migrationsgeschichte können dabei gezielte schulische Anwahlstrategien von Eltern befördern (van Ackeren 2006).

Daneben gibt es Bekenntnisschulen in privater Trägerschaft, vor allem der römisch-katholischen Kirche, der evangelischen Landeskirchen und der jüdischen Gemeinden. Vor dem Hintergrund der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit in Art. 4 des Grundgesetztes und angesichts des Gleichbehandlungsgrundsatzes sind grundsätzlich Schulen jeglichen Bekenntnisses möglich. Die Schulen unterstehen auch der Aufsicht der Schulbehörden und werden als Ersatzschulen genehmigte Einrichtungen in den Ländern anteilig finanziell gefördert (etwa 50 %); das Schulgeld für die Eltern richtet sich zumeist nach deren Einkommensverhältnissen.

Islamische Bekenntnisschulen gibt es kaum in Deutschland, auch wenn es immer wieder entsprechende Bemühungen der Religionsgemeinschaft gab. Eine Herausforderung ist etwa gegenüber den Verfassungsgerichten zu belegen, dass die grundgesetzlich gebotene Toleranz gegenüber Andersgläubigen und Gleichberechtigung der Geschlechter berücksichtigt werden.

Mittlerweile wird in vielen Bundesländern flächendeckend (in NRW seit 2012/13) islamischer bzw. islamkundlicher Religionsunterrichts in deutscher Sprache angeboten, teils in Modellprojekten, wobei dies die westlichen Bundesländer sowie Berlin betrifft, wo es angesichts der Bevölkerungsentwicklung entsprechenden Bedarf gibt. Dazu gehören auch lehrerbildende Standorte, an denen ein Lehramtsstudium Islamische Religionslehre möglich ist. Kritische Debatten gibt es um die Frage, wie stark der Staat Einfluss auf die Organisation des islamischen Religionsunterrichts einnehmen sollte.

Trotz sinkender Mitgliederzahlen in den großen christlichen Kirchen haben diese doch immer noch deutlich sichtbaren Einfluss im Bildungsbereich und bringen sich auch entsprechend in öffentliche Debatten ein; zunehmend tun dies auch weitere Religionsgemeinschaften, deren Bedeutung in der deutschen Gesellschaft – mit regionalen Unterschieden – zugenommen hat.

4.2.5 Wissenschaft und Politikberatung

Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nehmen vielfältig Einfluss im Bildungs- bzw. Schulsystem, beispielsweise indem sie politische Akteure beraten, etwa in Beiträten (z.B. von Pädagogischen Landesinstituten) und Expertengremien (z.B. bei der Begleitung wichtiger politischer Vorhaben auf Bundes- und Landesebene) oder indem sie Strukturen, Prozesse und Wirkungen im Schulsystem evaluieren oder wissenschaftlich begleiten, etwa im Kontext von Schulversuchen.

Wissenschaft (bzw. ein Teil davon) ist maßgeblich verantwortlich für die fachlich fundierte Entwicklung von nationalen Bildungsstandards und ihre Überprüfung, ist teils an der Entstehung von Kerncurricula und auch an der Entwicklung von Prüfungsaufgaben für zentrale Abschlussprüfungen beteiligt (vgl. auch Abschn. 2.2.3.4. Bestimmte wissenschaftliche Expertise wird so bildungspolitisch nachgefragt und kann in Entscheidungshandeln einfließen, andererseits kann politisches Handeln, was nicht unproblematisch ist, durch die Beteiligung von Wissenschaft legitimiert werden.

Mit dem Koalitionsvertrag der Großen Koalition auf Bundesebene aus dem Jahr 2018 war zudem die Einrichtung eines Nationalen Bildungsrats vorgesehen.

Die Einrichtung scheiterte an der Ablehnung einzelner Länder, vor allem mit dem Hinweis darauf, dass Bildung Ländersache sei.

„Der Nationale Bildungsrat soll auf Grundlage der empirischen Bildungs- und Wissenschaftsforschung Vorschläge für mehr Transparenz, Qualität und Vergleichbarkeit im Bildungswesen vorlegen und dazu beitragen, sich über die zukünftigen Ziele und Entwicklungen im Bildungswesen zu verständigen und die Zusammenarbeit der beteiligten politischen Ebenen bei der Gestaltung der Bildungsangebote über die ganze Bildungsbiographie hinweg zu fördern“ (Bundesregierung 2018 S. 28).

Stattdessen hat die Kultusministerkonferenz (KMK) auf Länderebene 2021 die Ständige wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) zunächst befristet für sechs Jahre mit einer nach vier Jahren vorgesehenen Evaluation eingerichtet, bestehend aus 16 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die von der KMK auf Vorschlag einer internationalen Kommission berufen wurden.

Exkurs: Bund- bzw. ländergeförderte wissenschaftliche Einrichtungen und Programme

Bund und Länder fördern auch gezielt bestimmte wissenschaftliche Einrichtungen im Bildungsbereich, die Bildungsfragen gezielt bearbeiten. So finanziert die KMK das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), Bund und Länder finanzieren gemeinsam das Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (zib), das Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF), das Leibniz-Institut für Bildungsverläufe, (LIfBi), das Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN), bei dem auch die Leitung für die Erstellung des Nationalen Bildungsberichts liegt (von Bund und Ländern als Gemeinschaftsaufgabe „Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich“ finanziert); die Liste der Einrichtungen lässt sich fortsetzen, mit denen Bildungspolitik insbesondere das Ziel verfolgt, Qualität und Vergleichbarkeit im Bildungswesen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse steuern zu können.

Mit dem Rahmenprogramm empirische Bildungsforschung fördert der Bund zudem Forschung, mit der Wissenschaft Anreize erhält, die Aufmerksamkeit auf bildungspolitisch besonders relevante Themen zu richten, die große gesellschaftliche Herausforderungen bearbeiten (etwa zur Digitalisierung im Bildungswesen). Auch auf Ebene der Länder gibt es immer wieder entsprechende Programme.

Intendiert ist damit ein systematischer Ort des Austauschs, der Verhandlung von zentralen Bildungsherausforderungen zwischen Wissenschaft und Politik, insbesondere im Hinblick auf die Länderanliegen, aber auch – je nach Thema – unter Einbindung von Bund und Kommunen. Die SWK beschreibt sich gemäß ihrer Geschäftsordnung als ein „unabhängiges wissenschaftliches Beratungsgremium der Kultusministerkonferenz“ (Ständige Wissenschaftliche Kommission 2021) und hat nach eigener Aussage den Anspruch, auf Basis zum jeweiligen Zeitpunkt vorliegender Evidenz, also vor allem auf Basis von Forschung, der Bildungsberichterstattung und des Bildungsmonitorings (vgl. Abschn. 5.1.3) zu beraten.

Die Politikberatung durch die SWK artikuliert sich in der Identifizierung von Problembereichen und ihrer Definition, der Analyse und Aufbereitung von Daten und Informationen und der Erarbeitung von Handlungsoptionen bzw. Empfehlungen. Dabei werden zu den spezifischen Themen weitere Expertinnen und Experten, aber auch Stakeholder (Anspruchsberechtigte), wie zum Beispiel die Interessenvertretungen der Lehrkräfte, Eltern und Schülerinnen und Schüler oder der Hochschulen (etwa im Bereich der Lehrkräftebildung), der zweiten Phase der Lehrkräftebildung etc. angehört. Zu den ersten Themen, die bearbeitet wurden, gehörte der Umgang mit den pandemiebedingten Lernrückständen, dem Umgang mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine, Digitalisierung im Bildungssystem, basalen Kompetenzen in der Grundschule sowie der Umgang mit dem akuten Lehrkräftemangel.

Exkurs: Politikberatung in historischer Perspektive

Dabei hat wissenschaftliche Beratung in der Bildungspolitik eine lange Tradition. So gab es bereits zwischen 1953 und 1965 den Deutschen Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen, den Deutschen Bildungsrat (1965–1975) und die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK, 1970–2007) als Gremien auf der nationalen Ebene. Davor gab es bereits auch schon andere Kooperationsformen von Wissenschaft und Politik (Tenorth 2014). Offene Konflikte mit der Politik führten dazu, dass der Deutsche Bildungsrat 1975 aufgelöst wurde. Erst ab den 1990er Jahren zeigten sich neue Kooperationsformen zwischen Bildungspolitik und Wissenschaft. Heute ist die Erziehungswissenschaft (und sind weitere Disziplinen bildungsbezogener Forschung, Psychologie, Soziologie, Fachdidaktiken) „selbst Mitspieler geworden“ (Tenorth 2014, S. 160); es sei ein „dicht verzweigtes System der Kooperation von Wissenschaft und Politik“ (Tenorth 2014, S. 163).

4.2.6 Akteure der Privatwirtschaft gewinnen auch im allgemeinbildenden Bereich an Bedeutung

Schließlich sind auch Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände als Akteure im Bildungssystem zu nennen. Hier sind, neben weiteren Organisationen, etwa der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) oder der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) zu nennen. Es zeigt sich jeweils ein klares bildungspolitisches Interesse und Engagement mit vielen Projekten, Auszeichnungen von Projekten (z.B. der Deutsche Arbeitgeberpreis für Bildung), Positionspapieren, Statements und politische Forderungen. Die Bedeutung von Bildung für die deutsche Wirtschaft im internationalen Wettbewerb liegt auf der Hand.

Wiederkehrende Themen sind etwa die Ausbildungs- und Berufsfähigkeit von Absolventinnen und Absolventen der Schulen und Hochschulen, die Forderung nach Investitionen in Bildung statt teurer Maßnahmen der Sozialpolitik, MINT-Bildung, Lehrkräftebildung, soziale und strukturelle Durchlässigkeit im Bildungssystem etc.

Die Arbeitgeber wirken aber auch regulär innerhalb der beruflichen Bildung an Fragen der Ausgestaltung der betrieblichen Berufsausbildung mit. Die Ausbildungsordnungen werden nach Weisung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) unter Beteiligung von Vertretungen der Arbeitgeber und der Gewerkschaften ausgearbeitet. Am lokalen Standort haben die Selbstverwaltungsorganisationen der Wirtschaft (Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, Landwirtschaftskammern, Kammern der Freien Berufe) beratende und kontrollierende Funktion der betrieblichen Berufsausbildung einschließlich der Abnahme von gesetzlich geregelten Zwischen- und Abschlussprüfungen (Kultusministerkonferenz 2021a).

Kritisch diskutiert werden umfängliche Marketingmaßnahmen und gezielte Produktwerbung durch Lobbyisten, Unternehmen und Wirtschaftsverbände in Schulen, etwa im Kontext der externen Bereitstellung von Unterrichtsmaterialien, die zum Beispiel online zur Verfügung gestellt werden und damit niedrigschwellig bereitstehen. Dies wird besonders als Problem der Qualitätssicherung für gesellschafts- bzw. sozialwissenschaftliche Fächer beschrieben, nicht zuletzt im Hinblick auf mögliche und tatsächliche einseitige Darstellungen und politisch-ideologische Einflussnahme (Gloe 2022).

Andererseits spielt die Kooperation mit regionalen Unternehmen für Schulen eine besondere Rolle im Rahmen der Berufsorientierung. Schließlich sind die Aufgaben etwa im Bereich der Digitalisierung so groß, dass Kooperationen mit Schulbuchverlagen und Softwareunternehmen sinnvoll sein können, um die Entwicklung fachdidaktisch fundierter digitaler Lehr-Lernmaterialien und didaktisch nutzbarer Werkzeuge auch im Sinne technisch hochwertiger und nachhaltiger Produkte gemeinsam voranzubringen. Andererseits werden auch mögliche Abhängigkeiten von der Wirtschaft diskutiert.

4.3 Verhältnis von Gesamtsystem und Einzelschule: Anspruch einer wirkungsorientierten Steuerung und erweiterte schulische Autonomie

Die deutsche Schulgeschichte ist eine Geschichte der zunehmenden Verstaatlichung (Oelkers 2006), der insbesondere auch etatistische Interessen zugrunde lagen, also die Vorstellung, dass der Staat eine überragende Bedeutung bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme hat (z.B. gegenüber dem Konzept des Liberalimus). Damit verbunden waren auch Vorstellungen der Steuerung von Schule, die vor allem auf bürokratischen Verwaltungsformen gründeten im Sinne einer Steuerung, die über Regeln und über verschiedene Verwaltungsebenen in breit wirken (z.B. Brüsemeister 2012).

Dieses Steuerungsmodell hat sich letztlich nicht bewährt. Fehlende Orientierung an Zielen und fehlende Überprüfung der Zielerreichung, um Aussagen über die tatsächliche Qualität staatlicher Leistungen treffen zu können (vgl. den PISA-Schock), sowie eine mangelnde Effizienz bürokratischer Verwaltungsformen (Jann 2005) führten zu entsprechenden Reformen.

Dass das staatliche Interesse sichergestellt wird und dass vorgegebene Ziele erreicht und nicht durch Intentionen einzelner Einrichtungen verdrängt werden, begründet sich aus der öffentlichen Verantwortung des Staates für die Qualitätsentwicklung und Vergleichbarkeitssicherung im Bildungswesen.

Solange das Berechtigungswesen grundsätzlich aufrechterhalten bleibt, müssen die Länder, schon gar in ihrer Einbindung in das föderale System, Sorge dafür tragen, dass die Wirkung schulischer Arbeit überall da, wo gleiche Zertifikate vergeben werden, tatsächlich vergleichbar ist.

4.3.1 Paradigmenwechsel der Schulsteuerung

Die Institution Schule befindet sich heute im Wirkungskreis eines Steuerungsmusters, mit dem die angestrebte Verbesserung schulischer Arbeitsergebnisse (insbesondere gemessen an Lernergebnissen der Schülerinnen und Schüler)

  • einerseits an die Rechenschaftslegung über erzielte Wirkungen geknüpft wird (etwa über standardisierte Tests und Prüfungen, vgl. dazu Kap. 5),

  • andererseits ist die Einzelschule in ihren Entscheidungs- und Gestaltungsspielräumen gestärkt worden – mit einem zunehmend damit einhergehenden veränderten Verständnis der Rolle von Schulaufsicht im oben skizzierten beratenden und unterstützenden Sinne.

Im Sinne des Konzepts der Neuen Steuerung (Jann 2005; international auch als New Public Management bezeichnet, Hughes 1998) gibt der Staat aus der Distanz, und zwar durch Rahmenbedingungen und verbindliche Ergebniserwartungen (z.B. durch formulierte Bildungsstandards für die allgemeinbildenden Schulen bzw. ländereinheitliche Rahmenlehrpläne für den berufsbezogenen Lernbereich), einen Zielhorizont vor, dessen Konkretisierung und operative Realisierung den unteren Steuerungseinheiten des Schulsystems (also den Einzelschulen) überlassen bleibt, um die Vorgaben zu erreichen. Bei der traditionellen Steuerung hingegen gibt es einen top-down-Ansatz: Die Entscheidungen werden überwiegend von höheren Ebenen der Bildungsverwaltung getroffen und dann nach unten weitergegeben. Dabei liegt der Fokus allein auf den Ressourcen und Strukturen, wie Lehrplänen, Lehrerausbildung, Klassengrößen usw. (Input-Orientierung).  Die Kontrolle und Verantwortung für die Bildung liegen beim tradtionellen Steuerungsansatz hauptsächlich bei staatlichen oder zentralen Bildungsbehörden. Bei der neuen Steuerung werden Autonomie und Entscheidungsfreiheit für einzelne Schulen mehr betont; im Sinne einer stärkeren Output-Orientierung gibt es ein Qualitätsmanagement, verbunden mit der Einführung von Instrumenten zur Qualitätsüberwachung und -entwicklung, wie Schulinspektionen und Leistungsvergleiche. 

Befunde der empirischen Schulforschung zeigen die Bedeutung der Einzelschule und insbesondere auch ihrer Schulkultur für die Wirkungen der von außen an Schulen herangetragenen Ansprüche auf (van Ackeren et al. 2011). Demnach bildet sich in der Handlungspraxis von Organisationsmitgliedern ein Netz aus Überzeugungen, Prinzipien, Deutungsmustern, Normen und Werten als konstitutives Element von Organisationskultur heraus, an dem die Mitglieder einer Organisation wiederum ihr individuelles und soziales Handeln ausrichten (Helsper 2008). In diesem Sinne wird die Einzelschule zwar von bestimmten, allgemein akzeptierten Wertvorstellungen und Normvorgaben gerahmt, die an sie herangetragen werden, kommt aber in den Auseinandersetzungs- und Aushandlungsprozessen mit diesen Rahmenbedingungen zu einem eigenen Wert- und Normgefüge.

Insofern lassen sich Entscheidungen nur schwer von oben durchsetzen, auch angesichts des eher implizit vorhandenen Verpflichtungsgrads der Lehrkräfte gegenüber den Weisungen der staatlichen Organe sowie der kaum wirksamen Anreiz- bzw. Sanktionssysteme; Schulen müssen sich demnach vielmehr von innen heraus entwickeln. Dies erscheint nur möglich, wenn die einzelnen Schulen über mehr Gestaltungsspielräume verfügen.

Mit der Etablierung des skizzierten Konzeptes der Neuen Steuerung und vor dem Hintergrund vorliegender Forschungsbefunde wird Schule stärker als pädagogische Handlungseinheit (Fend 1986) und lernende Organisation verstanden (vgl. Abschn. 4.4.2). Diesem Verständnis liegt die Annahme zugrunde, dass lernende Organisationen effektiv arbeiten, indem sie sich stetig an Veränderungen anpassen können, eigene Fehler wahrnehmen und beheben sowie stetig ihr Handeln und die erzielten Wirkungen auf der Grundlage einer angepassten Wissensbasis selbst überprüfen können (Argyris und Schön 1974). In diesem Sinne werden sie durch Unterstützungssysteme der Länder, wie die Pädagogischen Landesinstitute, u. a. durch Schulentwicklungsberatung unterstützt.

Die Beziehung zwischen dem gesamtstaatlichen Schulsystem und dem einzelschulischen System ist vor diesem Hintergrund einerseits seit etwa Anfang/Mitte der 1990er Jahre durch die Stärkung der Selbstständigkeit der einzelnen Schule als Handlungseinheit im Kontext der bereits skizzierten Dezentralisierungs- und Deregulierungstendenzen gekennzeichnet (Teilautonomisierung). Dies betrifft insbesondere den Umgang mit vorgegebenen Rahmenbedingungen (Input) durch spezifische einzelschulische Entscheidungs- und Bearbeitungsprozesse (Prozess).

Andererseits findet sich in der Folge der schwachen Resultate bei internationalen Schulleistungsstudien seit Ende der 1990er Jahre eine Verstärkung der Verpflichtung von Schule auf erwartete Lernerträge (Output) als Gegengewicht der Zurücknahme staatlicher Regelungsallmacht. Damit hat sich in Deutschland – dem internationalen Trend folgend – ein Paradigmenwechsel vollzogen.

Der Paradigmenwechsel der Schulsteuerung kennzeichnet den Wechsel der Akzentuierung von der herkömmlichen Input-Orientierung oder auch Konditionalprogrammierung (die Tätigkeit wird über schulische und außerschulische Bedingungen gesteuert) hin zu einer stärkeren Output-Orientierung oder Zweckprogrammierung (die Tätigkeit der Schule orientiert sich an den gesetzten Zielen).

Konkret hat sich die Kultusministerkonferenz (Kultusministerkonferenz 1997) mit dem „Konstanzer Beschluss“ auf Maßnahmen zur Sicherung der Qualität schulischer Bildung geeinigt. Dazu gehörten Vergleichsarbeiten in allen Ländern auf Basis der zuvor bereits beschlossenen Bildungsstandards (vgl. Abschn. 5.1.2.1). Zugleich setzen ab Mitte der 1990er Jahre in allen Ländern Bestrebungen ein, Schulen mehr Gestaltungsfreiheit, insbesondere mit Blick auf ihre Arbeitsprozesse, teils aber auch bei der Einstellung von Lehrkräften, einzuräumen).

4.3.2 Veränderte Rollen und Handlungsoptionen für Bildungsverwaltung bzw. Schulaufsicht und Schulen

Damit gingen auch veränderte Rollen und Handlungsmöglichkeiten der verschiedenen Ebenen der Bildungsverwaltung und auch der schulischen Akteure einher. Der Bildungsverwaltung kommt vor allem die Aufgabe der Festlegung von Standards für die Qualifikation des schulischen Personals, für die Ziele schulischer Bildung sowie die Evaluation von Schulen und anschließende Unterstützungs- und Beratungstätigkeiten zu (van Ackeren und Klein 2020).

Die Verantwortung für die Qualität schulischer Bildung wird dabei im Neuen Steuerungsmodell teilweise auf die Schulen bzw. auf die Schulleitung übertragen (Weitzel 2015). Diese stimmt im Austausch mit der Schulaufsicht Entwicklungsbedarfe und Ziele ab und ist verantwortlich für die Umsetzung der abgestimmten Maßnahmen, was sie auch weiter vom Kollegium entferne und näher an die Verwaltung heranrücke (Preuß et al. 2015; van Ackeren und Klein 2020).

Für die Bildungsverwaltung stellt eine Handlungskoordination über Ziele und deren Überprüfung (‚Output‘) eine Möglichkeit dar, die Beliebigkeit der Handlungen von Schulen stärker einzuschränken (Altrichter und Maag Merki 2016). Eine Kontrolle der Unterrichtstätigkeit durch den Staat stehe allerdings im Gegensatz zum Verständnis der Lehrkräfte von professioneller Autonomie, weswegen ein „Spannungsverhältnis zwischen dem professionellen Selbstverständnis der Lehrkräfte und den rechtsstaatlichen Ansprüchen zur Steuerung des Schulwesens“ (Kuhlee et al. 2015, S. 323) bestehe (van Ackeren und Klein 2020, S. 872).

Angesichts dieses Gesamtzusammenhangs hält die Kultusministerkonferenz in ihrer Ländervereinbarung von 2020 in Artikel 20 zur Schulaufsicht fest:

Einerseits: „(2) Die Schulaufsicht trifft Entscheidungen über alle Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung zur Schulorganisation und zur Schulentwicklungsplanung und verantwortet die Einhaltung der inhaltlichen Regelungen hinsichtlich Unterricht und Schule.“ Andererseits: „(3) Die Schulaufsicht berät und stärkt gemeinsam mit den Unterstützungssystemen die Schulen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben, insbesondere bei der Wahrnehmung der schulischen Eigenverantwortlichkeit, bei der Entwicklung von Schulprogrammen, bei der internen und externen Evaluation und der Fortbildung der Lehrkräfte“ (Kultusministerkonferenz 2020, S. 15).

4.3.3 Dimensionen und Modelle schulischer Steuerung und Qualitätsentwicklung

Der skizzierte Paradigmenwechsel der Schulsteuerung lässt sich vereinfachend auch mithilfe einer weithin etablierten Systematik beschreiben, welche die zu steuernden Teilaspekte schulischer Qualität nach verschiedenen Bereichen und Dimensionen ordnet. Hierzu hat sich die Unterscheidung in vier Bereiche durchgesetzt, die mit den Begriffen

  • Kontext,

  • Input,

  • Prozess und

  • Output bzw. Outcome

bezeichnet werden können. Dies wird nachfolgend weiter differenziert.

4.3.3.1 Grundlagen des CIPP- bzw. CIPO-Modells

Aus den internationalen Bezeichnungen context, input, process und product bzw. output ergibt sich auch die Bezeichnung des CIPP- (nach Stufflebeam 1967, vgl. Abb. 4.1) bzw. CIPO-Modells (Scheerens 1990).

Abb. 4.1
figure 1

CIPP-Modell nach Stufflebeam (1967)

Das damit Gemeinte lässt sich am ehesten folgendermaßen umschreiben.

Zur Kontext-Dimension. Schulen sind immer in soziale und sozialräumliche Kontexte eingebettet und werden durch diese geprägt, etwa durch die soziokulturelle Zusammensetzung der Schülerschaft (Kompositionseffekte) bzw. durch die Sozialstruktur im Umfeld der Schule (differenzierend zum Kontext-Begriff Ditton 2013).

Diese Rahmung eröffnet einerseits Opportunitäten (im Sinne günstiger Gelegenheiten) (z. B. mit Blick auf hohe Bildungsaspirationen und positive Rollenmodelle in den Familien der Schülerinnen und Schüler, die für das Lernen förderlich sind), kann andererseits aber auch bestimmte Restriktionen im Sinne von Beschränkungen mit sich bringen: etwa durch eingeschränkte Möglichkeiten einer an Schule anschlussfähigen elterlichen Unterstützung oder durch eine schwierige regionale Arbeitsmarktsituation und damit verbundene (wahrgenommene) Perspektivlosigkeit, aber auch durch konkrete Armutsverhältnisse, in denen Kinder und Jugendliche aufwachsen. Im Bereich des Kontextes sind auch das Ansehen der Lehrkräfte oder der Stellenwert, der der Bildung in einer Gesellschaft zugemessen wird, anzusiedeln.

Auch wenn es sich hierbei um Aspekte handelt, die schwer durch Steuerung beeinflussbar sind, können sie sich doch nicht vollständig der Steuerung entziehen: Der sozioökonomische Status einer gesamten Region, in der sich eine Schule befindet, lässt sich – um ein Beispiel zu geben – durch Schulsteuerung allein nicht beeinflussen. Wohl aber lässt sich die soziale und kulturelle Zusammensetzung der Schülerschaft einer Schule in einer Region beeinflussen: Ob der Einzugsbezirk einer Schule durch die Schulverwaltung festgelegt wird oder ob die Schulverwaltung auf die Festlegung von Schuleinzugsbezirken verzichtet, hat sehr wohl Einfluss auf die Zusammensetzung der Schülerschaft der einzelnen Schule.

Auf der Ebene der Einzelschulen konnte gleichwohl in der Schulforschung auch gezeigt werden, dass Schulen mit schwach entwickelter Schulqualität herkunftsbedingte Benachteiligungen verstärken, Schulen mit hoher Qualität diese abmildern können. Der Schulstandort muss offensichtlich keine schicksalshafte Bedeutung haben: So gelingt es an guten Schulen in sozialräumlich benachteiligter Lage trotz hoher Belastungsfaktoren, schulische Leistungen auf überdurchschnittlichem Niveau zu befördern und eine gute Passung zwischen Kontextmerkmalen und schulischen sowie unterrichtlichen Handlungsstrategien zu erreichen, etwa durch starke, unterstützende und ressourcenorientierte persönliche Beziehungen zu den Schülerinnen und Schülern und ihren Familien (Racherbäumer et al. 2013; van Ackeren, Holtappels et al. 2021).

Zur Input-Dimension. Offensichtlicher und vielfältiger sind die Möglichkeiten, das Schulsystem über die Beeinflussung von Input-Variablen zu steuern. Solche Variablen sind z. B. die Qualifikation der Lehrkräfte, die in Schulen tätig sind, oder auch die Vorqualifikation, die Schülerinnen und Schüler mitbringen müssen, um in unterschiedliche Schulformen aufgenommen zu werden. In die Reihe dieser Variablen gehören aber auch die Bildungsziele bzw. Bildungsstandards, die dem Schulsystem insgesamt und die innerhalb des Systems einzelnen Bildungsgängen und den unterschiedlichen Jahrgangsstufen in ihnen vorgegeben werden.

Ebenso zählen – in der öffentlichen Wahrnehmung besonders prominent – die den Schulen zur Verfügung stehenden Ressourcen zu den Variablen, mit denen man versucht, das Schulsystem und die Einzelschulen zu gestalten. Schließlich hängen von den Ressourcen z. B. die Klassengrößen, das Unterrichtsvolumen insgesamt und auch das Maß an Unterrichtsausfall ab – Größen, von denen insbesondere im öffentlichen Diskurs angenommen wird, dass sie für schulisches Lernen hoch bedeutsam sind.

Zur Prozess-Dimension. Die Prozess-Dimension umfasst sowohl den Arbeitsprozess in einer Schule insgesamt wie auch den in der einzelnen Klasse. Die formalen Steuerungsmöglichkeiten, die sich in diesem Feld bieten, sind vielfältig: Bestimmungen dazu, wie Schulleitungen ausgebildet werden (im Überblick Tulowitzki et al. 2019) und somit die Qualitätsentwicklung in der Einzelschule anleiten können; die Vorgaben, mit denen die Kooperation (etwa in allgemeinen und in Fachkonferenzen) in einem Kollegium geregelt wird, oder Bestimmungen zur Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften sind geeignet, Einfluss auf die Entwicklung einzelner Schulen und damit zugleich des Schulsystems insgesamt zu nehmen.

Auch der Prozess des Unterrichts selbst lässt sich von außen steuern: durch Reglungen zu Lehrbüchern und (digitalen) Lernmaterialien, durch Bestimmungen zur Leistungsbeurteilung und auch zu Versetzungen oder durch Maßnahmen etwa der Fort- und Weiterbildung, die auf die Qualität des Lehrens und Lernens zielen – wenngleich der Autonomiegrad deutscher Lehrkräfte auf der Unterrichtsebene vergleichsweise hoch ist. Zugleich stellen sich mit den digitalen Möglichkeiten und den vielfältigen Zugängen zu Open Education Ressources, freien Lern- und Lehrmaterialien mit einer offenen Lizenz, Fragen nach deren Qualitätssicherung.

Zur Output- bzw. Outcome-Dimension. Schließlich sind die Output- und die Outcome-Dimension zu nennen.

  • Während die Outcome-Dimension, der Aspekt der langfristigen Wirkung des Bildungserwerbs (z. B. in der beruflichen Karriere), für die unmittelbare Steuerung des Bildungssystems kaum zugänglich ist,

  • bietet der Output, der in fachlichen sowie zum Beispiel sozial-emotionalen Kompetenzen, Haltungen und Einstellungen oder auch in Zeugnissen sowie Zertifikaten fassbare Ertrag des Schulsystems, zahlreiche Steuerungsansätze.

Die Art und Weise, mit der z.B. Lernergebnisse am Ende eines Bildungsgangs ermittelt und dann zertifiziert werden, wirkt in die Schulen zurück und beeinflusst deren Arbeitsweise, etwa in Vorbereitung auf zentrale Prüfungen mit vorab bekanntgegebenen Themenfeldern.

Zu den Output-Indikatoren gehören vielfältige fachliche und überfachliche Wirkungen, etwa:

  • kognitive Kompetenzen und die Fähigkeit, das erworbene Fachwissen in realen Lebenszusammenhängen einzusetzen,

  • Lern- und Gedächtnisstrategien,

  • nicht kognitive Effekte (wie leistungsbezogene Werthaltungen, z. B. Lern- und Leistungsmotivation),

  • Einstellungen und damit verbundene Verhaltensbereitschaften im politischen und sozialen Bereich (Unterstützung von Minderheiten, Fairness gegenüber benachteiligten Schülerinnen und Schülern, etwa im Kontext von Inklusion) sowie

  • motivationale und emotionale Aspekte (z. B. Erwerb eines günstigen, gleichwohl aber auch realistischen Selbstvertrauens, produktiver Umgang mit Ängsten, Entwicklung stabiler fachbezogener Interessen, Selbststeuerung der eigenen emotionalen Befindlichkeit).

Nachfolgende Schematisierungen greifen Ansatz des CIPP- bzw. CIPO-Modells (s.o.) auf. Darin werden Ergebnisse der Schuleffektivitätsforschung integriert; eingearbeitet sind somit plausible Merkmale effektiver Schulen und effektiven Unterrichts. Darüber hinaus wird die Prozessdimension weiter differenziert, indem zwischen der Schul- und der Unterrichtsebene unterschieden wird.

Mit solchen theoretische Rahmenkonzeptionen in Form von Modellen versucht man die Schulwirklichkeit in einer überschaubaren, aber dennoch genügend differenzierten Form abzubilden. Schooling Models dienen aber auch dazu, Möglichkeiten und Grenzen schulischer Steuerung aufzuzeigen. In diesem Sinne handelt es sich um Qualitäts- und um Steuerungsmodelle. Sie beruhen auf theoretischen Vorüberlegungen sowie auf bereits vorliegenden empirischen Ergebnissen.

Schule wird dabei einerseits als Mehrebenenprozess verstanden: Es gibt eine Systemebene, eine Schulebene, eine Klassenebene und die Ebene der Lehrenden und Lernenden (Individualebene). Merkmale der Unterrichtsorganisation/-gestaltung stellen dabei direkte Einflussmöglichkeiten auf Schülerkompetenzen dar (proximale Einflussgrößen), während Merkmale auf der Schulebene eher indirekt und vermittelt die Qualität der Lernorganisation und des Unterrichts befördern (distale Einflussgrößen), z.B. durch die Bereitstellung von Zeit und Raum durch die Schulleitung für gemeinsame unterrichtsbezogene Entwicklungsprozesse. Andererseits wird querliegend dazu mit den Qualitätsdimensionen Kontext, Input, Prozess und Output gearbeitet (vgl. dazu auch Abschn. 4.4.1).

Dem Modell von Scheerens und Bosker (1997; vgl. Abb. 4.2) liegt die Annahme zugrunde, dass Merkmale auf höheren Ebenen auf die entsprechenden Merkmale untergeordneter Ebenen einwirken. Demnach kann z.B. eine klare und hohe Leistungsorientierung der Schule das Streben nach hohen Standards im Unterricht der einzelnen Lehrkräfte stärken.

Abb. 4.2
figure 2

Qualitäts- und Steuerungsdimensionen im Bildungswesen in Anlehnung an Scheerens und Bosker (1997)

In diesem Kontext spielen auch Mediationsprozesse eine zentrale Rolle, also die Frage danach, wie schulische Angebote wahrgenommen und genutzt werden. Helmke (2014) spricht hier auch von einem Angebot-Nutzungs-Modell (vgl. Abb. 4.3), wonach Lernerfolg aus einem Wechselspiel vielfältiger Faktoren resultiert. Zentral sind dabei Angebotsformen, Nutzungsstrukturen und Wirkungen.

Abb. 4.3
figure 3

Angebots-Nutzungs-Modell in Anlehnung an Helmke (2014, S. 71)

Unterricht als Angebot: Lehrkräfte schaffen mit ihrem Unterricht Lerngelegenheiten und damit ein Angebot, das die Lernenden nutzen können bzw. sollen. Je nach Qualität des Angebots (des Unterrichts) erhöht sich die Wahrscheinlichkeit von Lernerfolgen. Die Unterrichtsqualität ist dabei u.a. von der Lehrkraft abhängig, etwa von ihrem professionellen Wissen, ihren fachlichen und didaktischen Kompetenzen, Überzeugungen und Motivation. Auch die zur Verfügung stehende Lernzeit spielt hier eine zentrale Rolle, die sich nach Schulform und Schulfach unterscheidet. Hinzu kommen Kontextaspekte des Unterrichts, wie es Helmke (2014) beschreibt: u.a. Klassenzusammensetzung, Schulform, Kollegium, Kulturelle Rahmenbedingungen, Ausstattung des Klassenzimmers etc..

Nutzung von Lerngelegenheiten: Das Angebot an Lerngelegenheiten soll durch die Lernenden mittels Lernaktivitäten im Sinne eines aktiven, selbstgesteuerten Prozesses genutzt werden. Die Nutzung wird aufseiten der Lernenden auch durch Vorkenntnisse, Motivation, Ausdauer, metakognitive Strategien beeinflusst, die wiederum auch durch den familiären Kontext beeinflusst sind. Auch die Zusammensetzung der Klasse spielt hier mit hinein, wie Lernangebote genutzt werden, etwa Kompetenzen, Motivation Anstrengungsbereitschaft der anderen Lernenden. Lernergebnisse beeinflussen wiederum das Lernpotenzial für künftige Lernprozesse, z.B. durch wachsendes oder auch sinkendes Interesse am Fach.

Das Lernangebot muss also erst genutzt werden, um darüber Lernerfolg zu erzielen. Damit ist auch die Rolle der Schülerinnen und Schüler bedeutsam neben der Lehrkraft. Dies impliziert zugleich, dass die Gestaltung von Lehr-Lernprozessen an die jeweiligen Voraussetzungen der Lernenden angepasst werden muss und insofern eine einheitliche Programmsteuerung auf Ebene der Einzelschule bzw. des Unterrichts nicht möglich bzw. nicht zielführend erscheint. Das Angebots-Nutzungs-Modell wird in der Forschung vielfach genutzt und adaptiert.

Auch die Mehrheit der Bundesländer hat auf den skizzierten Modellen beruhende Orientierungs- bzw. Referenzrahmenrahmen zur Schulqualität entwickelt, die in systematischer Weise einen Kernbestand von Merkmalen und Kriterien guter Schule beschreiben (Elsing und van Ackeren 2017; Thiel und Tarkian 2019; eine Übersicht der Modelle findet sich über www.bildungsserver.de).

Sie dienen einerseits z.B. als Arbeitsgrundlage der von Qualitätsagenturen durchgeführten Externen Evaluation (vgl. Abschn. 5.2.2.3). Zugleich sollen sie ein verbindlicher Bezugsrahmen für die Schulen und die anderen Akteure schulischer Qualitätsarbeit, z.B. die Schulaufsicht, sein.

4.4 Verlagerung von Qualitätsverantwortung auf die Schule als Organisation

Eine zentrale Herausforderung besteht also offensichtlich in der Koppelung der Entwicklung des Gesamtsystems mit der Entwicklung von Einzelschulen und des Unterrichts, da Schulen in einem sanktionsarmen Bildungssystem recht unabhängig befinden können, wie sie mit externen, politisch intendierten Interventionen, etwa in Form von Evaluationen, umgehen (Rolff 2013).

Das Handeln bildungspolitischer Akteure ist vor allem an Legitimierung und Macht orientiert, das der Lehrkräfte an deren Vorstellungen von Professionalität (im Fachkontext). Dadurch entstehen Friktionen (im Sinne von Widerständen und Hindernissen) bei Steuerungsversuchen, die administrativ kaum zu kontrollieren sind.

Wenn es bislang um die organisationalen formalen Strukturen des Schulsystems ging, so soll es nachfolgend stärker um die Bedingungen in der Schule als Organisation gehen, wobei auch das Verhältnis der beiden Perspektiven weiter beleuchtet wird.

4.4.1 Kopplungsproblem zwischen System- und Einzelschulebene

Schulen sind also zwar eingebunden in das staatliche Bildungssystem mit seinen verschiedenen Instanzen der Schulaufsicht, zugleich verfügen sie aber über eigene Deutungsmuster und Handlungsmechanismen, die sich – im Rahmen der Anpassung an die spezifischen lokalen Bedingungen – in einer spezifischen Organisationskultur und Organisationsstruktur manifestieren (vgl. Bormann 2001).

Die grundlegende Herausforderung an Zielen orientierter Steuerung besteht in der gelingenden Kopplung der Entwicklung des Gesamtsystems mit der Entwicklung der Einzelschule. Die subsidiäre Delegation (vgl. Abschn. 4.2.1) von mehr Verantwortung für die Qualitätsentwicklung an die Schule als pädagogische Handlungseinheit (Fend 1986) bedeutet zum einen weniger zentrale Steuerungsstärke, zum anderen aber mehr Möglichkeiten für die Schule, vor Ort auf Umweltbedingungen flexibler reagieren zu können, wenngleich es – so ist es grundgesetzlich verankert (vgl. Abschn. 4.1.1) – keine vollständige schulische Autonomie gibt, sondern Schule unter staatlicher Aufsicht steht.

Insofern ergibt sich das Spannungsfeld von zentraler Steuerung und dezentraler (Teil-)Autonomie. Dass es keinen unmittelbaren, linearen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang in Bildung und Erziehung gibt, von Luhmann und Schorr (1982, S. 21) als „Technologiedefizit“ bezeichnet, trägt zu einer formalen Organisation der Schule über Schulform- und Jahrgangsklassendifferenzierung, Lehrpläne etc. bei, die Luhmann und Schorr (1982) als „Technologieersatztechnologie“ bezeichnen (vgl. auch Emmerich und Feldhoff 2021).

Dennoch lässt sich mit schulorganisatorischen Maßnahmen keine enge Kontrolle der Interaktionen in schulischen Lehr-Lernsituationen bis hin zu den individuellen Kognitionsprozessen, den sozial-emotionalen Prozessen etc. von Lernenden erwarten. „Individuen sind im Prinzip frei, anders zu reagieren, als es statistisch ermittelte Zusammenhänge vermuten lassen.“

4.4.2 Schulen als lernende Organisationen

Wir aber stellt sich nun die Schule als Organisation dar und wie wird auf dieser Ebene – auch vor dem Hintergrund der bislang beschriebenen Steuerungsansätze im Schulsystem – im Sinne Qualitätsentwicklung gesteuert?

Organisationen werden im Allgemeinen beschrieben und verstanden als

  • dauerhafte, mehrdimensionale soziale Gebilde

  • mit formaler Mitgliedschaft und interner Rollendifferenzierung ihrer Mitglieder,

  • einer horizontalen und vertikalen Differenzierung der Strukturen,

  • zur Koordinierung spezifischer Aufgaben und Handlungen ihrer Mitglieder

  • zum Zwecke der Erreichung gemeinsamer Ziele (Zweckorientierung)

(Mayntz 1968; Rolff 1992; vgl. auch Kuper und Thiel 2018), die neben formalen Strukturen aber auch informelle Kulturen ausbilden, die an der Oberfläche nicht unmittelbar sichtbar sind.

Dies gilt grundsätzlich auch für die Schule (oder andere Bildungseinrichtungen) als Organisation. Sie haben, darauf verweist Terhart (2018, S. 50) einen „zweifachen Bezug auf das Lernen“, nämlich

  • vor allem das Lernen der Schülerinnen und Schüler zu organisieren, um den gesellschaftlich zugeschriebenen Funktionen von Schule (vgl. Kap. 6) nachzukommen,

  • andererseits aber auch selbst als Organisation zu lernen und sich verändernden Situationen anpassen zu können.

Mit diesem letzten Aspekt ist die Perspektive auf lernende Organisationen angesprochen.

Die moderne Organisationstheorie begreift Organisationen nicht mehr als geplante monolithische Blöcke, sondern als lebendige und lernende Systeme, die ständig in Bewegung sind.

Auch Schulen sind demnach selbst zu Lernprozessen in der Lage und sollen dies auch tun, um über Change- bzw. Veränderungsprozesse letztlich auch die Qualität von Unterricht, des Lernens und der Lernergebnisse positiv zu beeinflussen. Konkret tun dies die einzelnen Mitglieder der Schule für ihre Organisation, etwa durch das Handeln der Schulleitung bzw. des Schulleitungsteams, der für Qualitätsentwicklung zuständigen Steuergruppen, der verschiedenen professionellen Lerngemeinschaften in Schule etc. (z. B. Feldhoff 2011).

Rolff (2023, S. 1365) spricht auch von der „Problemlöse-Schule“, die das „Meta-Lernen“ selbst zum Lerngegenstand macht und in der es kollektive Lernprozesse gibt. Damit sind Schulen also längst nicht mehr als unterste Stufe der Verwaltungshierarchie angesehen.

4.4.3 Kapazitäten organisationalen Lernens

Im Zusammenhang mit Schulen als lernende Organisationen sind Ansätze der Kapazitäten (im Sinne von Fähigkeiten und Ressourcen) organisationalen Lernen verknüpft, die bereits angesprochen wurden (Feldhoff 2011; Marks und Louis 1999). Im Fokus steht die Frage, wie Schulentwicklungskapazität (im Sinne zielbezogener, systematischer Schulentwicklungsarbeit und eines Qualitätsmanagements für nachhaltige Entwicklungen in der Schule) aufgebaut bzw. weiterentwickelt werden kann. Dazu gehört (vgl. Abb. 4.4),

Abb. 4.4
figure 4

Integrierter Kapazitätenansatz nach Klein (2022) in Anlehnung an Feldhoff (2011), Hemmings (2012) und Leithwood et al. (2006)

  • Visionen und Zielen zu entwickeln und jeweils anpassen zu können, die für konkrete Entwicklungsschritte handlungsleitend sind,

  • zielorientierter Arbeitsstrukturen und Prozesse auf- und ausbauen zu können,

  • die zur Reflexion und entwicklungsförderlichen Gestaltung der Organisationskultur an den Schulen beitragen sowie

  • darauf bezogene Führungskompetenzen der (erweiterten) Schulleitung zu fördern.

4.4.4 Ziele und darauf bezogene Arbeitsteilung und Koordination

Die Ziele, die in der Organisation Schule verfolgt werden, ergeben sich vor allem auf zweierlei Weise:

  1. 1.

    Einerseits sind Ziele vorgegeben: Das jeweilige Bundesland mit seiner Zuständigkeit für die inneren Schulangelegenheiten formuliert in seinen Gesetzen und Erlassen Ziele, auf die die einzelne Schule ihre Arbeit ausrichten muss (in Form von Lehr-/Bildungsplänen als Input-Dimension, aber auch in Form von Bildungsstandards als Output-Dimension). Die materiellen Voraussetzungen zur Verfolgung dieser Ziele sichert das jeweilige Land in Verbindung mit den Schulträgern, die im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die äußeren Schulangelegenheiten (vgl. Abschn. 4.1.3 bzw. 4.1.4) tätig werden.

  2. 2.

    Andererseits entwickeln sich in der schulspezifischen Rezeption der vorgegebenen Ziele (Rekontextualisierung, Fend 2006b, 2008) und der damit verknüpfter inhaltlicher Schwerpunktsetzungen in der Schule im Rahmen des rechtlichen Spielraums Ziele auch im Verlauf des Arbeitens der einzelnen Organisationen (Prozess-Dimension); die Ziele werden somit im Handeln hervorgebracht (Rolff 1992). Gerade für Schulen gilt, dass sie ihre Zielsetzungen im Verlauf ihres alltäglichen Handelns mehr oder weniger intentional differenzieren und weiterentwickeln, z. B. im Rahmen der Entwicklung von Leitbildern, der Schulprogrammarbeit und der Arbeit am Schulprofil.

Ein besonderes Merkmal von Bildungs- und Erziehungszielen ist, dass sie in sich widersprüchlich sein können. Entsprechende Spannungsverhältnisse zeigen sich z.B. im Widerspruch von Förderung (z.B. individuelle Lernunterstützung) und Auslese (Vergabe von Zeugnissen, Laufbahnentscheidungen), deren Verhandlung der ständigen Reflexivität der professionellen Akteure in der Schule bedarf.

In der Schulentwicklung werden Visionen – als das große Ganze und als richtungsweisende Vorstellung von der Zukunft – von Entwicklungszielen auf dem Weg zur Vision unterschieden (Schratz 2009). Visionen wirken motivierend und zugleich strukturierend, um die Entwicklungsschritte im Hinblick darauf systematisch zu planen und zu priorisieren (Locke und Latham 2019). Besonders förderlich für die Organisationsentwicklung sind positiv formulierte Visionen, die von Machbarkeit ausgehen statt von einer Vermeidungsorientierung (vgl. zur positiven Schulentwicklung bzw. Flourishing Schulentwicklung z.B. Lichtinger 2022).

4.4.5 Koordinationsmechanismen in Organisationen

Die Erreichung wie auch die (Weiter-)Entwicklung der Ziele einer Organisation setzen zwei grundlegende, aber gegensätzliche Schritte voraus:

  1. 1.

    Die zur Zielerreichung erforderliche Arbeit muss in verschiedene Teilziele und Einzelaufgaben aufgeteilt werden und

  2. 2.

    die Bearbeitung der damit definierten Einzelaufgaben und ihre Zusammenführung müssen koordiniert werden.

Die Art und Weise, in der Organisationen diese Arbeitsteilung und deren Koordinierung regeln, macht ihre Struktur aus. Der amerikanische Organisationsforscher Mintzberg formuliert dies so:

„Somit lässt sich die Struktur einer Organisation ganz einfach definieren als die Gesamtsumme aller Mittel und Wege, die der Organisation zur Arbeitsteilung und dann zur Koordinierung der Einzelaufgaben dienen“ (Mintzberg 1992, S. 17).

Wie die Arbeitsteilung in der Organisation Einzelschule formal erfolgt, ist in folgender Hinsicht weitgehend vorgegeben: Jede Schule ist für eine festgelegte Altersgruppe bzw. für ein Segment aus ihr zuständig. Sie verfolgt ihre Zielsetzung im Rahmen von in der Regel dem Prinzip des Fachunterrichts folgenden zeitlich klar eingeteilten Unterrichtsstunden, die von einem fachlich spezialisierten Personal erteilt werden. Die nicht unterrichtsbezogenen Aufgaben der Leitung und Verwaltung werden überwiegend von dafür eingesetztem Personal erledigt (Schulleitung, Sekretariat, Hausmeister).

Die Koordinierung von Einzelaufgaben erfolgt in Organisationen – wenn man Mintzbergs „structure of five“ heranzieht – im Rahmen von fünf grundlegenden und in der Regel in Kombination genutzten Möglichkeiten, die ihnen dazu zur Verfügung stehen (vgl. Abb. 4.5). Dies sind nach Mintzberg (1992, S. 19) die:

Abb. 4.5
figure 5

Koordinierung in Organisationen nach Mintzberg (1992)

  1. 1.

    wechselseitige Abstimmung,

  2. 2.

    persönliche Weisung,

  3. 3.

    die Standardisierung der Arbeitsprozesse,

  4. 4.

    Standardisierung der Arbeitsprodukte und

  5. 5.

    Standardisierung der Qualifikationen von Mitarbeitenden.

Diese Mechanismen der Handlungskoordination werden abhängig von den jeweiligen Kontextbedingungen sowie Ziel und Ausrichtung der Organisation situationsspezifisch unterschiedlich akzentuiert und kombiniert.

Die fünf fundamentalen Strukturelemente von Organisationen sollen im Folgenden grundsätzlich und in Hinsicht auf die Organisation Schule betrachtet werden.

4.4.5.1 Koordinierung durch wechselseitige Abstimmung

Koordinierung kann über den Prozess der wechselseitigen Abstimmung geschehen, etwa auf dem Wege informeller Kommunikation. Dieser Weg wird insbesondere in kleinen Organisationen, wie etwa in einem kleineren Handwerksbetrieb verfolgt. Auch in sehr großen Organisationen findet sich dieser Weg, wenn z. B. aufgrund der Neuheit der Aufgabenstellung noch keine formalisierten Routinen zur Verfügung stehen.

In Schulen findet wechselseitige Abstimmung der lehrenden Mitarbeitenden auf zwei Wegen statt:

  • zum einen in eher selten stattfindenden institutionalisierten Konferenzen (allgemeine Konferenzen, Fachkonferenzen),

  • zum anderen im Rahmen informeller Absprachen, etwa in Pausen im Lehrerzimmer.

In der überwiegenden Zahl der Schulen ist dieser Weg der Koordinierung der Arbeit jedoch eher schwach entwickelt, wie die vorliegende empirische Forschung zum Thema zeigt (Kullmann 2010; Steinert et al. 2006).

Im Zuge des Ausbaus ganztägiger Bildungsangebote in den vergangenen Jahren wird zudem der multiprofessionellen Kooperation unterschiedlicher Professionen innerhalb und außerhalb der Schule hohe Bedeutung beigemessen.

Auch hier ergeben sich noch Herausforderungen:

„Als Probleme erweisen sich unter anderem die geringe, systematische Verknüpfung von Unterricht und Ganztagsangeboten, die fehlenden Kooperationszeiten und gemeinsamen Fortbildungen sowie die fehlende Abstimmung der Arbeitsvollzüge in Kooperationsgremien und ähnlichen Settings. Die multiprofessionelle Kooperation erscheint für die Ganztagsbildung strukturell noch nicht hinreichend abgesichert zu sein“ (Speck 2020, S. 1461).

Rolff (2023, S. 1356) beschreibt die Kooperation in Schule als weniger team- und mehr „gefügeartig“, nämlich indem die Arbeitsteilung in Schule vorgegeben und die Kooperation dadurch vermittelt sei, dass es einen „planvollen Bezug jedes Lehrers jeden Fachs in jeder Unterrichtsstunde auf das Ganze des Bildungsprozesses“ gibt (Rolff 2023). Eine teamförmige Kooperation sei hingegen in den üblichen Strukturen und Prozessen nicht erforderlich.

Die Arbeitsteilung (u. a. Differenzierung der Arbeitsaufgaben, eine genaue zeitliche Einteilung durch die Stundentafeln sowie eine klare Zuordnung der Lehrkräfte zu Klassen) der Organisation trägt dazu bei, dass das Organisationsbewusstsein der Lehrpersonen eher schwach ist; die Sichtweise ist weitgehend auf die eigenen Klasse und die eigenen Fächer konzentriert und erweist sich somit als partikular, zumal kaum wechselseitige Abhängigkeiten unter den Mitarbeitenden bestehen; ihr Fokus liegt vor allem auf der Arbeit mit den Klienten (den Lernenden) (u. a. Feldhoff 2011).

Die in der Regel gering ausgeprägte Kooperationskultur in Profibürokratien, wie sie Mintzberg (1992) für Bildungseinrichtungen bezeichnet, hemmt wiederum innovative Entwicklungen, die eine interdisziplinäre Zusammenarbeit notwendig machen würden, um tradierte Denkmuster zu überwinden und neue Aspekte in die Organisation zu integrieren.

In der Profibürokratie gibt es einerseits klare Strukturen des bürokratischen Verwaltungshandelns, andererseits sind in der Schule hochspezialisierte, professionelle Mitarbeitende beschäftigt, deren Tätigkeit im Unterricht komplex und nicht standardisierbar ist.

Die Mitarbeitenden haben ein großes Maß an Kontrolle über ihre eigene Arbeit und beanspruchen auch Kontrolle über Entscheidungen, die ihre Arbeit wiederum betreffen (Emmerich und Feldhoff 2021, S.12). Sie sind folglich relativ unabhängig voneinander. Die Struktur ist vertikal und horizontal stark dezentralisiert und Autorität in der Organisation basiert vor allem auf fachlicher Kompetenz.

Exkurs: Adhokratie

Im Gegensatz zur professionellen Bürokratie steht nach Mintzberg die Adhokratie im Sinne einer Organisation, die ad hoc Projekte durchführt. Für ein bestimmtes Innovationsprojekt schließen sich verschiedene Expertinnen und Experten in multidisziplinären Teams zusammen. Diese Organisationsform gilt als besonders flexibel und innovativ, hat aber auch einen hohen Kommunikationsbedarf zur Folge.

4.4.5.2 Koordinierung durch persönliche Weisung

Da, wo eine Führungskraft die zu erledigenden Aufgaben ebenso wie die Kompetenzen der ausführenden Mitarbeitenden kennt, kann die Koordinierung in der Regel durch persönliche Weisungen der Führungskraft oder zwischen Führungs- und Ausführungsebene vermittelnden Personen und somit hierarchisch erfolgen. Diese einfache Struktur der Organisationsform findet sich häufig bei kleinen, übersichtlichen Organisationen.

Der Weg der Koordinierung der Erledigung von Teilaufgaben stellt sich in Schulen als Weisungsweg von der Schulleitung zu den Mitgliedern des Kollegiums dar. Hinzu kommt ein Mittelbau bzw. mittleres Management mit didaktischen Abteilungs- und Stufenleitungen sowie Vorsitzenden von Fachgruppen, die in (außer-)unterrichtliche Qualitätssicherung und -entwicklung eingebunden sind. Auf diesem Weg werden sowohl Weisungen der den Schulen übergeordneten Schulaufsicht wie auch Weisungen der Schulleitung selbst weitergegeben.

Dieses Instrument findet seine Begrenzung zum einen darin, dass die Schulleitung nur in begrenztem Umfang eine Vorgesetztenfunktion hat, auch wenn diese in einigen Bundesländern mittlerweile erweitert wurde (Kuper 2020); zum anderen ergibt sich aus dem üblichen Beamtenstatus der Lehrenden eine Einschränkung der faktischen Durchsetzbarkeit von Weisungen – seien es solche der Schulaufsicht oder solche der Schulleitung.

Auch wenn das Lehrer-Schüler-Verhältnis ein streng hierarchisches ist, ist die Schule als Profibürokratie insgesamt durch eher demokratische administrative Strukturen gekennzeichnet, etwa in Gremien, in denen Entscheidungen vielfach gemeinsam und kollegial getragen werden. Die Führungskraft ist gemäß Mintzberg (1992) bemüht, die Organisation weiterzuentwickeln und effektiver zu gestalten, ohne jedoch die professionellen Mitarbeitenden direkt leiten zu können, nicht zuletzt, weil hierarchische Steuerung als direktes Eingreifen in die Autonomie der professionellen Mitglieder der Schule wahrgenommen wird. Dieses Phänomen wird auch als Autonomie-Paritäts-Muster (Lortie 1975) beschrieben.

Das Autonomie-Paritäts-Muster (Lortie 1975) meint, dass Lehrkräfte für ihr berufliches Handeln Autonomie beanspruchen, (externe) Eingriffe zurückweisen und die gleiche (paritätische) Behandlung aller Kollegiumsmitglieder einfordern – ungeachtet differierender Erfahrung und Expertise, auch wenn sie formal eine gleiche Qualifikation haben und sich die Arbeit grundsätzlich ähnlich gestaltet (Rolff 2023).

Dies wird mitunter als Bewältigungsstrategie für den Umgang mit den unsicheren Bedingungen pädagogischen Handelns beschrieben. Persönliche Weisung und direkte Führung sind in der Schule somit schwierig. Stattdessen gilt das Kollegialitätsprinzip; vor diesem Hintergrund sei es grundsätzlich schwierig, Differenzen zu thematisieren und als „Ausgangspunkte für Auseinandersetzungen und somit als Lernchance“ zu nutzen (Rolff 2023, S. 1357).

Mit der zunehmenden Übernahme von Dienstvorgesetzten-Funktionen (inkl. Weisungsbefugnis im Rahmen der Dienst- und Fachaufsicht gegenüber den Lehrkräften und dem weiteren Schulpersonal) und der Teilung von Verantwortung mit der Schulaufsicht können sich Schulleitungen eigentlich nicht mehr als primus inter pares (eine Person in herausgehobener Stellung innerhalb einer Gruppe gleichberechtigter Mitglieder) verstehen, auch wenn sie selbst aus der Gruppe der Lehrkräfte rekrutiert werden. So heißt es beispielsweise im Schulgesetz NRW (BASS 2022/2023) in § 59(5): „Zur Stärkung der Selbstverwaltung und Eigenverantwortung der Schulen werden den Schulleiterinnen und Schulleitern Aufgaben der oder des Dienstvorgesetzten übertragen.“

Exkurs: Aufgaben von Schulleitungen an allgemeinbildenden Schulen

Zu den zentralen formalen Aufgaben von Schulleitungen (Schulleiter*in und ständige Vertreter*in) gehören u. a. (vgl. Kultusministerkonferenz 2021a, S. 55 ff.):

  • Sicherung der Unterrichtsqualität; Verantwortung für die Unterrichts-, Personal- und Organisationsentwicklung sowie für die Fortbildungsplanung, die Personalführung und je nach Land die Verwaltung der Haushaltsmittel

  • Unterrichtsverteilung und Festlegung von Stunden-, Aufsichts- und Vertretungsplänen, sofern diese Aufgabe nicht anderen Lehrpersonen übertragen wurde

  • Unterrichtsbesuche und Einsicht in schriftliche Arbeiten im Sinne des Überblicks über die Arbeit in den Klassen, inkl. Koordinierung der Notengebung

  • Beachtung der Erfüllung der Schulpflicht durch die Schülerinnen und Schüler, der Einhaltung der Schulordnung und weiterer Vorschriften (Unfallverhütung, Schulgesundheitspflege)

  • Außenvertretung der Schule gegenüber Schulträger und Öffentlichkeit,

  • Wahrnehmung des Hausrechts (z. B. Hausverbot für schulfremde Personen, die den Schulbetrieb stören)

  • Erledigung äußerer Schulangelegenheiten in Zusammenarbeit mit dem Schulträger (z. B. Anschaffung von Lehrmitteln, digitaler Ausstattung), dessen Anordnungen hierbei für Schulleitung verbindlich sind.

  • Recht bzw. Verpflichtung zur Verabschiedung, Umsetzung und Evaluation spezifischer Schulprogramme

Zu den Anforderungen an Schulleitungen, wie sie z. B. im Schulgesetz NRW (Fassung vom 23.02.2022 in § 60) aufgeführt sind, gehören Fähigkeiten in:

  1. 1.

    Führung, Teamarbeit und Konfliktlösung,

  2. 2.

    Organisation und Weiterentwicklung einer Schule,

  3. 3.

    pädagogischen Beurteilung von Unterricht und Erziehung,

  4. 4.

    engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Schulträger und

  5. 5.

    Zusammenarbeit mit schulischen und außerschulischen Partnern.

Weiterführende Aufgaben der Qualitätsentwicklung finden sich in den Referenz- und Qualitätsrahmen der Länder (vgl. Abschn. 5.2.2.1).

Viele Bundesländer sind mittlerweile dazu übergegangen, künftige Schulleiterinnen und Schulleiter vor Amtsübernahme auszubilden, wenn auch mit unterschiedlichem Verpflichtungsgrad, Ausbildungsdauer und Modalitäten (im Überblick Tulowitzki et al. 2019), nicht zuletzt weil der Schulleitung für die Qualität von Schule besondere Bedeutung zukommt.

Schulleitung hat direkten Einfluss auf die Bedingungen innerhalb der Schule sowie indirekten Einfluss auf die Leistungen von Schülerinnen und Schülern (international Heck und Hallinger 2014; national Pietsch et al. 2018).

Die obere Schulaufsichtsbehörde kann Schulleiterkonferenzen einrichten. Die Schulleiterkonferenz berät und verständigt sich schulübergreifend über Angelegenheiten aus dem Aufgabenbereich der Schulen, die eine einheitliche Behandlung erfordern. Sie dient auch der Zusammenarbeit der Schulen mit den Schulträgern und außerschulischen Partnern.

4.4.5.3 Koordinierung durch Standardisierung der Qualifikation der Mitarbeitenden

Durch eine nach formalen inhaltlichen Kriterien und Strukturvorgaben standardisierte Ausbildung der Beschäftigten können diese arbeitsteilig tätig sein, ohne dass ein hoher Koordinierungsbedarf entsteht. Ein außerschulisches Beispiel stellt das Operationsteam in einem Krankenhaus dar: Chirurg*in, Anästhesist*in und operationstechnische Assistent*innen wissen bei einer Routineoperation jede*r für sich aufgrund ihrer wechselseitig bekannten Qualifikation sehr genau, was jede*r von ihnen zu tun hat; ihr Abstimmungsbedarf ist minimal.

Das Zusammenfließen der von den vielen einzelnen Lehrenden geleisteten Teilaufgaben im Ziel der Bildung und Ausbildung von Schülerinnen und Schülern soll im deutschen Schulsystem ebenfalls durch die Standardisierung der Qualifikation der Beteiligten gesichert werden:

Die Lehrkräftebildung ist in Deutschland eine Ausbildung an wissenschaftlichen Hochschulen, üblicherweise an Universitäten (1. Phase der Lehrerausbildung), und an schulpraktisch ausgerichteten Seminaren (2. Phase der Lehrerausbildung, Studienseminare oder z. B. auch Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung: ZfsL) nach allgemeinen gemeinsamen Standards für die Lehrerbildung der Kultusministerkonferenz im Bereich der Bildungswissenschaften (Kultusministerkonferenz 2019b) sowie für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrkräftebildung (Kultusministerkonferenz 2019a). Allerdings erweist sich die konkrete Ausgestaltung der Ausbildungscurricula in den Ausbildungsphasen faktisch als sehr heterogen (Terhart 2014).

Die Qualität der wissenschaftlichen Ausbildung sichert das jeweilige Land an den Hochschulen über ein Studium, das nur noch in wenigen Ländern mit dem Ersten Staatsexamen abschließt, oder über ein gestuftes, konsekutives Studium (mit Bachelor- und Master-Abschluss), bei dem sich die Länder aus Qualitätssicherungsgründen und aufgrund des besonderen staatlichen Interesses weiterhin Einflussmöglichkeiten auf die Ausbildungsstruktur vorbehalten. Entsprechende Prüfungsordnungen regeln das Studium detailliert, indem Inhalte und zu erreichende Kompetenzen beschrieben und ihre Erreichung überprüft wird. Die Qualität der Seminarausbildung, die in den Schulministerien unterstehenden Studienseminaren erfolgt, überwacht das Land durch diese Zuordnung direkt. Angesichts des Lehrkräftemangels finden sich jedoch zunehmend auch Wege des Quer- und Seiteneinstiegs in den Schuldienst (Tillmann 2020).

Aber auch die Qualifikation der Lernenden und deren Standardisierung trägt – zumindest wird dies angestrebt – zur Koordinierung und zur Sicherung der Qualität des Arbeitsergebnisses bei. In der einzelnen Lerngruppe befinden sich Schülerinnen und Schüler, die in ihren qualifikatorischen Voraussetzungen vorgegebenen ‚Standards‘ entsprechen (sollen). Beispiel: Die Schülerin einer achten Klasse eines Gymnasiums hat ein bestimmtes Alter, kam aufgrund bestimmter Leistungen in das Gymnasium und erreichte die Versetzung in die Klasse 8 auf der Basis erbrachter Leistungen (Probleme, die gleichwohl bei Übergangsentscheidungen und Leistungsbeurteilungen entstehen und somit Abweichungen vom Standard darstellen, sind in Kap. 3 beschrieben worden).

Die Ausbildung angehender Lehrkräfte (professionals) ist nicht zuletzt ein Sozialisierungsprozess in ein professionelles Wertesystem (code of ethics). Sie arbeiten an Problemen von Klienten und lösen Probleme fallorientiert; ihr Handeln ist nicht technisierbar (Böttcher 2008; zum Technologiedefizit s.a. Abschn. 4.4.1), insofern lassen sie sich den Professionen zuordnen. Dennoch, so Böttcher, verfügen sie auch über (standardisierbare) Fertigkeiten und routinierte Handlungsstrategien, etwa beim Classroom Management.

4.4.5.4 Koordinierung durch Standardisierung des Arbeitsprozesses

Da, wo der Arbeitsprozess hoch standardisiert ist und die einzelnen Teilaufgaben detailliert festgelegt sind, erübrigt sich Koordinierung weitgehend. Ein typisches außerschulisches Beispiel ist das der Fließbandarbeit, in der die Anordnung der Teilaufgaben am Band und der Takt des Bandes die Koordinierung übernehmen. Mintzberg (1992) spricht auch von der Maschinenorganisation. Hier liegt das Hauptaugenmerk auf dem Bemühen, alle Prozesse innerhalb der Organisation zu standardisieren.

In der Schule erfolgt die Erledigung von Teilaufgaben in folgenden Bereichen nach detailliert festgelegten Regeln:

  • Die unterrichteten Fächer, die ihnen gewidmete Unterrichtszeit, die in ihnen verfolgten Lehrpläne und die dazu verwendeten Lehrbücher sind vorgegeben bzw. – bei Lehrbüchern – unterliegen der staatlichen Kontrolle.

  • Die Art und Weise der Unterrichtung ist durch die Taylorisierung (Prozesssteuerung von Arbeitsabläufen, begründet vom US-Amerikaner F.W. Taylor) des Unterrichts (üblicherweise der 45-min-Takt), durch das – mit Ausnahme der Grund- und Sonderschulen – dominierende Fachlehrkraftprinzip und über die Lehrkräftebildung faktisch normierten Unterrichtsstile determiniert.

  • Die formalen Verfahren der Leistungsbewertung durch Notengebung, Versetzung und Erteilung von Schulabschlüssen sind hoch standardisiert.

Die genannten Aspekte prozessbezogener Standardisierung haben sich allerdings zugunsten einzelschulischer Gestaltungsräume erweitert. Ein Beispiel stellen Kontingentstundentafeln dar: Sie legen für jede Schulart fest, wie viele Jahreswochenstunden insgesamt in den Schuljahren bis zum Abschluss des Bildungsgangs zu erteilen sind. Wie diese Jahreswochenstunden jedoch auf die einzelnen Klassenstufen verteilt werden, entscheiden die einzelnen Schulen. Sie erhalten damit pädagogischen Freiraum und können die Verteilung der Stunden nutzen, um Schwerpunkte zu setzen und die Schulkonzepte zu gestalten. Auch bei der für eine Schulstunde vorgesehenen Zeit weichen zunehmend mehr Schulen von der alten preußischen 45-min-Taktung ab und sehen z. B. 60 bis 70 min vor; dies lässt mehr Mitarbeit und neue Unterrichtskonzepte zu (etwa im Sinne der Förderung projektförmigen und selbstständigen Lernens).

Koordinierung durch Standardisierung der ‚Arbeitsprodukte‘

Dort, wo Arbeitsprodukte genau standardisiert, also präzise beschrieben sind, erübrigt sich auch ein Teil der Koordinierung, da die Mitarbeitenden bei der Lösung ihrer Teilaufgabe das Endprodukt genau vor Augen haben und sich dies auf ihre Arbeit koordinierend wirkt. Die einzelne Taxifahrerin bzw. der Taxifahrer der Organisation Taxibetrieb muss beispielsweise nur das Ziel des Kunden genannt bekommen. Unter Wahrung der Vorgabe, Wegstrecke und Transportzeit zu minimieren, kann das Produkt, das Transportieren des Gastes an den gewählten Ort, ohne weitere Koordinierung erstellt werden.

Im Schulbereich werden die in den unterschiedlichen Bildungswegen zu erreichenden Bildungs- und Ausbildungsziele in Lehrplänen (auch Bildungspläne genannt) und Richtlinien festgelegt; diese Lehrpläne und Richtlinien werden durch die Formulierung von Bildungsstandards ergänzt (vgl. Abschn. 5.1.2.1). Die tradierten Richtlinien und Lehrpläne sind in der Regel nach einem vergleichbaren Muster aufgebaut: Nach der Formulierung des Bildungsauftrags für die jeweilige Schulform werden die Bedeutung und grundlegenden Ziele des Unterrichtsfaches erläutert, Hinweise für die Benutzer des Lehrplans gegeben und die Themen mit den Richtstundenzahlen aufgelistet. Häufig enthalten die Hinweise für die verschiedenen Lernbereiche neben den verbindlichen Zielen und Inhalten auch unverbindliche Beispiele, die als Anregungen für die Unterrichtsgestaltung gedacht sind und die das Niveau der erwarteten Leistungen charakterisieren.

Das Ausmaß der Erreichung der Zielvorgaben wird bei Abschluss des Bildungsgangs nach einzelnen Bundesländern und nach Schultypen auf unterschiedliche Weise festgestellt (vgl. vertiefend Kap. 5):

  • durch überregional angelegte Vergleichsarbeiten innerhalb der Länder und

  • durch die Vergabe eines Abschlusszeugnisses, der in einzelnen Schulformen und Ländern eine Abschlussprüfung, die mittlerweile vielfach als zentrale Prüfung angelegt ist (dies gilt insbesondere für die Abiturprüfung), vorangeht.

Mit der Einführung von Bildungsstandards und darauf bezogenen landesweit einheitlichen Test- und Prüfungsaufgaben sind Schulen – zumindest in den geprüften Fächern – herausgefordert, die Wirkungen ihrer Arbeit stärker im schulischen Alltag zu berücksichtigen (vgl. Abschn. 5.1.2.1).

Insgesamt kann im Schulbereich faktisch – schon abgesehen vom im Bildungsbereich schwierigen ökonomischen Begriff – kaum von einer Standardisierung des ‚Produkts‘ gesprochen werden. „Die Bandbreite des Wissens und Könnens der Schüler wird bereits durch die Varianz der Benotungen für Absolventen mit gleichen Abschlüssen deutlich“ (Böttcher 2008, S. 189).

4.4.6 Organisationskultur

Als ein zentraler Hebel der Schulentwicklung wird schließlich auch die Kultur einer Schule beschrieben (u.a. Hascher, Kramer und Pallesen 2021 zur Differenzierung von Schulkultur und Schulklima; Helsper et al. 1998; Holtappels 1995).

Bei der Organisationskultur handelt sich um ein System aus mehr oder weniger geteilten Deutungs- und Bewertungsmustern, Prinzipien und Überzeugungen, Normen und Werten, die das Denken und Handeln der Mitglieder der Organisation (auch in Hochschulen, Unternehmen etc.) eher implizit und unbewusst prägen, und zwar jenseits der diversen administrativen Regelungen, etwa im Hinblick auf akzeptierte und gewünschte bzw. ggf. auch tabuisierte Handlungsweisen.

In diesem Zusammenhang wird auch das Konzept der Ressourcenorientierung thematisiert, gegenüber einer ‚Defizitorientierung‘ (international deficit thinking, vgl. z.B. Bremm 2020; Valencia 2010), bei der die vermeintlichen oder tatsächlichen Schwächen der Lernenden und ein hoher Anspruch, diese zu kompensieren, bei der Gestaltung von Unterricht im Vordergrund stehen. Der Fokus auf das, was Schülerinnen und Schüler nicht können, kann sich z.B. besonders dann als ungünstig erweisen, wenn die Leistungsfähigkeit von Lernenden unterschätzt wird, Ansprüche im Unterricht abgesenkt werden oder Lernende selbst negative Perspektiven für sich übernehmen.

Bis heute weit verbreitet und anerkannt ist die bereits Mitte der 1980er Jahre entwickelte theoretische Konzeption von Organisationskultur nach dem amerikanischen Organisationspsychologen Edgar Schein (vgl. Schein 1991). Das Drei-Ebenen-Modell leistet eine systematische und vielfältige Verknüpfung der materiellen Ausdrucksformen von Kultur mit den dahinter wirkenden mentalen bzw. psychologischen Tiefenkräften kultureller Systeme, vergleichbar einem Eisberg mit sichtbaren und unmittelbar zugänglichen Elementen der Organisationskultur sowie nicht sichtbaren, verdeckten Elementen ‚unter Wasser‘.

  1. 1.

    Level 1 (Oberflächenstruktur, sichtbare Manifestation der Organisationskultur): Auf der obersten Ebene zeigt sich die Kultur einer Organisation in künstlich geschaffenen Objekten und Verhaltensweisen (Artefakten), in sichtbaren Gegebenheiten, deklarierten Zielen, Logos, Strukturen und Prozessen (Begrüßungsformeln, Besprechungsrituale, Entscheidungsverhalten), Geschichten über die Organisation.

  2. 2.

    Level 2 (höherer Bewusstseinsgrad als Level 3, Wertvorstellungen und Verhaltensstandards): Auf dieser Ebene liegen die mehrheitlich bekundeten und getragenen Werte der Organisationsmitglieder. Diese steuern mehr noch als die Artefakte das Verhalten der Organisationsmitglieder.

  3. 3.

    Level 3 (Tiefenstruktur, unbewusste Handlungsgrundlagen, tacid, also ‚stillschweigend‘): Hier liegen allgemeine Vorstellungen und Annahmen über die eigene Organisation sowie über grundlegende Zusammenhänge in der Realität; gebildet aus zuverlässigen und erfolgreichen Werten. Sie werden nicht mehr hinterfragt und sind stark handlungsleitend, insofern kommt ihrer Entschlüsselung für organisationalen Wandel besondere Bedeutung zu.

Im Sinne der Entwicklung der Einzelschule stellt sich dabei die Frage, wie die Tiefenstrukturen und die Normen, Werte und Grundannahmen von Schulen beeinflusst werden können. Schönig (2002) verweist in diesem Zusammenhang auf eine Studie von Ekholm (1997) im Rahmen einer grundlegenden Strukturreform im schwedischen Schulsystem, wo sich über einen Zeitraum von 25 Jahren keine Qualitätsentwicklung zeigte und sich die inneren Arbeitsroutinen trotz der äußeren Reformen praktisch nicht veränderten. In der Studie wurde die Bedeutung von Mentalitäten (heute auch mindset) und Kultur für Veränderungsprozesse besonders hervorgehoben.

4.4.7 Organisationstheorien und -ansätze im Hinblick auf Schule – ein kursorischer Überblick

Zum Schluss dieses Kapitels soll noch ein knapper Blick auf verschiedene weitere organisationstheoretische Ansätze geworfen werden, die den Zweck, die Genese, die Funktionsweise und Entwicklung von Organisationen zu beschreiben und zu erklären versuchen, wobei sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts einige bis heute rezipierte zentrale Theorietraditionen nachzeichnen lassen.

Die Schulentwicklungsforschung, die insbesondere mit Entwicklungs- bzw. Wandlungsprozessen der Schule als Organisation befasst ist und darüber hinaus auch analysiert, wie Reformansätze im Bildungssystem von Schulen aufgegriffen werden (Emmerich und Feldhoff 2021, S. 11), bedient sich entsprechender theoretischer Ansätze.

In früheren Zeiten wurde oft das Bürokratiemodell nach Max Weber herangezogen, das dieser bereits vor einhundert Jahren insbesondere für den Bereich der öffentlichen Verwaltung entwickelte. Dabei sind

  • hierarchische und bürokratische Strukturen

  • mit horizontaler und vertikaler (über Amtshierarchie) Differenzierung der Aufgabenbearbeitung,

  • spezielle Qualifikation des Personals sowie

  • rationelle Zweckerfüllung

zentrale Stichworte (vgl. bezogen auf den Schulbereich z.B. Terhart 2018); Aspekte, denen Schulen jedoch nur (noch) bedingt entsprechen, etwa angesichts erweiterter Handlungsspielräume und Verantwortung auf Ebene der Einzelschule, was die „individueller Lern- und Kooperationsbereitschaft“ in der Organisation hervortreten lässt (Kuper und Thiel 2018, S. 602).

Vor diesem Hintergrund sind u.a. organisationspsychologische Ansätze der human relations-Forschung in den Vordergrund gerückt, die auf Wahrnehmungs- und Aushandlungsprozesse in Organisationen ausgerichtet ist, die auch jenseits von Rationalitätsprinzipien liegen (Terhart 2018, S. 50), da das Verhalten von Individuen „durch ein Streben nach Selbstverwirklichung und Persönlichkeitsentfaltung motiviert“ ist (Kuper und Thiel 2018, S. 598):

  • Arbeitsbedingungen

  • Arbeitszufriedenheit,

  • Belastung und Beanspruchung u.ä.

stehen hierbei im Fokus.

Aus den Wirtschaftswissenschaften wiederum kommt die Theorie der rationalen Entscheidung (rational choice theory), die

  • vom rationalen und

  • dabei nutzenmaximierenden Verhalten

der handelnden Akteure ausgeht (als homo oeconomicus). Dem Rational Choice-Ansatz wird auch das Wert-Erwartungs-Modell zugerechnet, wonach Akteure in dem Bestreben, ihren individuellen Nutzen zu maximieren, eine Kosten-Nutzen-Kalkulation vornehmen, die wiederum ihr Handeln beeinflusst (bezogen auf den Schulbereich z.B. Kuper und Thiel 2018). Für die Organisation Schule sind vor dem Hintergrund dieses Analyseansatzes Anreize notwendig, um Organisationsmitglieder zu Beiträgen zu motivieren.

Der mikropolitische Ansatz (Burns 1961) wiederum betrachtet in der Interaktion von Organisation und Individuum,

  • welche Rolle Machtinteressen (z. B. zur Durchsetzung von Beförderung, besserer Bezahlung, Ausstattung etc.) der Organisationsmitglieder spielen

  • und wie sie versucht werden mit welchen (verdeckten bzw. oft tabuisierten) Taktiken (z. B. Informationskontrolle, Hinhalten, Bildung strategischer Allianzen, Seilschaften, Rebellion, Emotionalisierung etc.) durchzusetzen.

Produktives und stabiles organisationales Handeln hängt dann davon ab, dass mikropolitische Spiele bzw. nicht förderliche Wirkungen dieser unterbunden bzw. eingeschränkt werden (etwa über klare Ziele, transparente Kommunikation, klare Kompetenz- und Befugnisregelungen etc.).

Im Rahmen der sogenannten institutionenökonomischen Theorien wird mit der Prinzipal-Agent-Theorie (Ross 1973) die Beziehung von Vertragsparteien (Prinzipal und Agent genannt) analysiert, wobei

  • Informationen zwischen unterschiedlichen Hierarchieebenen nicht gleich verteilt sind

  • und Ziele voneinander abweichen.

So es für den Prinzipal, beispielsweise die Schulleitung (oder auch die Schulaufsicht), schwierig, Leistungen im Hinblick auf mögliche nicht-intendierte Handlungen und Wirkungen einzuschätzen, da die Agenten (z.B. Lehrkräfte) auf der unteren Hierarchieebene im Sinne von hidden action, die der Prinzipal nur unvollständig beobachten kann, und auch aufgrund der asymmetrischen Informationsverteilung Spielräume in ihren Handlungen haben.

Mit dem situativen Ansatz (auch: Kontingenztheorie; Kontingenzfaktoren = situative Einflüsse) richtet sich das Augenmerk nicht mehr allein auf die innere Organisationsstruktur, sondern

  • auf das Verhältnis von Organisation und Organisationsumwelt,

  • wobei davon ausgegangen wird, dass die Umweltbedingungen Aufbau und Struktur der Organisation bedingen und eine optimale Passung zwischen Organisation und Ziel angestrebt wird.

Auch soll der Neoinstitutionalismus hier Erwähnung finden (Senge und Hellmann 2006; Koch und Schemmann 2009). Hierbei wird davon ausgegangen,

  • dass sich Organisationen solchen Organisationen annähern, die als vorbildlich, da rational und effektiv gelten.

  • Zentral ist dabei die Legitimation gegenüber der Umwelt bzw. Gesellschaft,

  • was dazu führt, Mythen über Rationalität und darauf bezogene Fassaden zu erzeugen.

Organisationen, wie Schulen, „‚wissen‘, so ließe sich formulieren, worauf es ‚draußen‘ ankommt und erzeugen dadurch Glaubhaftigkeit“ (Emmerich und Feldhoff 2021, S. 7). In dieser Hinsicht ergibt sich die Herausforderung, tatsächliche Veränderungen auf der Unterrichtsebene zu erreichen.

Schließlich sei noch auf das Konzept der resilienten Organisationen hingewiesen, das in jüngerer Zeit aufgegriffen wird. Das Phänomen der Kompensation von widrigen Umständen wurde in der Entwicklungspsychologie unter dem Begriff Resilienz bekannt und meint psychische ‚Widerständigkeit‘ gegenüber widrigen Bedingungen (Weiß 2011b).

Das Resilienzkonstrukt wurde zwischenzeitlich von der Individual- auch auf die Systemebene bezogen (seit Ende der 1990er Jahre im Unternehmensbereich, in den vergangenen Jahren auch für Bildungseinrichtungen; z. B. Fröhlich-Gildhoff 2022). Es sind Organisationen mit hoher Reaktionsfähigkeit, die sich in einem stetigen Lernprozess gegenüber äußeren Einflussfaktoren adaptiv weiterentwickeln (Ungericht und Wiesner 2011). Diese im Krisenumfeld operierenden Organisationen zeichnen sich durch eine wertschätzende Fehlerkultur und den lernenden Umgang mit Fehlerquellen aus sowie durch Flexibilität, die es ermöglicht, schnell in einen Normalzustand zurückzukehren und passgenaue Entscheidungen zu treffen. Das Thema ist auch mit dem Wechsel von der Defizit- hin zu einer Ressourcenorientierung verknüpft.

4.5 Fazit

In diesem Kapitel wurde herausgearbeitet, wie Schule – als System und als Einzelschule – im kooperativen Föderalismus im Zusammenspiel von Bund, Ländern und Kommunen in Deutschland gesteuert wird. Dabei ist die Länderhoheit in Fragen der Schulpolitik zwar immer wieder diskutiert, aber im Kern doch unumstritten. Zugleich wurden die Mitwirkungsmöglichkeiten des Bundes in jüngerer Zeit wieder leicht verstärkt, auch wenn es nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten zur (Mit-)Finanzierung bildungspolitischer Vorhaben gibt.

Schließlich bleibt festzustellen, dass es keine übergreifende Bildungsplanung gibt, die auf das deutsche Bildungssystem insgesamt ausgerichtet wäre (van Ackeren und Klemm 2022). Dies betrifft sowohl eine länderübergreifende, bundesweite Perspektive als auch eine integrierende Politik im Hinblick auf die verschiedenen Bildungsstufen im Lebensverlauf sowie das Zusammenspiel von formalen und non-formalen Bildungsangeboten. Dieser Kontext eröffnet, so wurde gezeigt, auch neuen Akteuren im Feld der Bildungspolitik ein weites Handlungsfeld, in dem etwa supranationale Organisationen, Stiftungen, Wirtschaft, aber auch Wissenschaft verstärkt mitwirken.

Überblickt man weiterhin die hier vorgetragene Durchmusterung der Koordinationsmechanismen auf der Ebene der Organisation Schule, so lässt sich das folgende Resümee ziehen: Lehrkräftehandeln ist einerseits durch strukturelle Autonomie gekennzeichnet, die andererseits durch den staatlichen Bildungsauftrag und dem Beamtenstatus der Lehrenden begrenzt ist. Es ergibt sich ein Spannungsfeld zwischen der staatlichen Fürsorge für das Bildungssystem mit vergleichbaren und auch standardisierten Lernbedingungen und -wirkungen, die auch kontrolliert werden, sowie der professionellen Autonomie der Lehrkräfte und der Gestaltung und Entwicklung von Schule im Sinne einer lernenden Organisation am jeweiligen Standort mit je spezifischen Bedingungen.

Bildungs- und Erziehungsprozesse sind auf der einen Seite nur teilweise zweckrationalisierbar und sehr begrenzt technologisierbar; sie sind durch die situative Interaktion gekennzeichnet. Auf der anderen Seite hat die organisationstheoretische Betrachtung von Schule auch einige Herausforderungen deutlich werden lassen, insbesondere in der Struktur zur Gestaltung von Veränderungen und Schulentwicklungsprozessen, etwa im Hinblick auf die Rolle von Führung an Schulen und das Autonomie-Paritäts-Muster in Kollegien.

4.6 Anregungen zur Wiederholung und Reflexion

  1. 1.

    Vergegenwärtigen Sie sich die föderale Verfasstheit des deutschen Bildungswesens in ihrer Bedeutung für die Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen.

  2. 2.

    Diskutieren Sie, was im Bildungsföderalismus für die starke Rolle der Länder und was für eine stärkere Beteiligung des Bundes, aber auch der Kommunen an bildungsbezogenen Fragen spricht.

  3. 3.

    Inwiefern stellen sich innere und äußere Schulangelegenheiten als klar abgegrenzte Kompetenzbereiche dar bzw. in welchen Bereichen beginnen sich Zuständigkeiten zu verändern?

  4. 4.

    Fassen Sie die Struktur und die Aufgabenbereiche der Schulaufsicht in Deutschland – auch in ihrem sich wandelnden Rollenverständnis – zusammen.

  5. 5.

    Sortieren Sie für sich die weiteren Akteure im Schulsystem danach, welchen Einfluss sie auf den verschiedenen Ebenen des Schulsystems nehmen und welche Rolle sie im schulischen Alltag spielen (können).

  6. 6.

    Inwiefern lassen sich Schulen nicht einfach durch die Bildungsadministration top down steuern und warum hat die Perspektive der Einzelschule als pädagogische Handlungseinheit in diesem Zusammenhang besondere Aufmerksamkeit erhalten?

  7. 7.

    Worauf bezieht sich der Paradigmenwechsel der Schulsteuerung?

  8. 8.

    Nennen Sie jeweils einige zentrale Indikatoren für die Kontext-, Input-, Prozess-, Output- und Outcome-Dimension schulischer Steuerung.

  9. 9.

    Benennen Sie zentrale Ziele und Funktionen von Schulqualitätsmodellen.

  10. 10.
    1. a)

      Was kennzeichnet eine Organisation?

    2. b)

      Was macht Schule zu einem Lernenden System?

  11. 11.
    1. a)

      Welche zentralen Dimensionen kennzeichnen die Kapazitäten organisationalen Lernens

    2. b)

      und warum sind Visionen und Ziele dabei der zentrale Ausgangspunkt?

  12. 12.

    Inwiefern sind die (a) Qualifikation von Lehrkräften sowie die (b) Arbeitsprozesse und (c) Arbeitsprodukte im pädagogischen Handlungskontext (nicht) standardisiert bzw. (nicht) standardisierbar?

  13. 13.
    1. a)

      Welche Strukturmerkmale der Organisation Schule tragen dazu bei, dass Kooperation und Teamarbeit in der Regel gering ausgeprägt ist?

    2. b)

      Welche Probleme bringt dies mit sich?

  14. 14.
    1. a)

      Was sind die sichtbaren und unsichtbaren Elemente von Schulkultur?

    2. b)

      Was können Folgen einer defizitorientierten Kultur sein?

  15. 15.

    Machen Sie sich die jeweils spezifische Perspektive der verschiedenen skizzierten organisationstheoretischen Ansätze für die Analyse und Erklärung der Funktionsweise von Schule als Organisation vergleichend klar.