Ein Schutzrecht benötigt einen klar definierten Schutzgegenstand.Footnote 1 Die rechtliche Einordnung eines Gegenstandes setzt zunächst ein sprachliches Grundverständnis voraus.Footnote 2

2.1 Daten und Informationen im sprachlichen Sinne

„Daten“ ist der Plural von „Datum“, womit in der Alltagssprache typischerweise das Kalenderdatum gemeint ist. Die Verwendung der Formulierung „Daten“ für „Kalenderdaten“ ist dagegen weniger üblich. Eher werden unter dem Begriff „Daten“ in Zahlen ausgedrückte Werte oder durch Messung und Beobachtung gewonnene Befunde verstanden.Footnote 3 Häufig wird der Begriff synonym für den der „Informationen“ benutzt,Footnote 4 wobei letzterer auch einen von Zahlenwerten unabhängigen Gegenstand, etwa eine Aussage oder eine Bedeutung, umschreiben kann.Footnote 5 Der Informationsbegriff selbst ist notorisch vage,Footnote 6 da er sowohl als Vorgang eines Wissenszuwachses („sich über etwas informieren“), als Synonym für Wissensinhalte („Informationen über etwas“) als auch als Zustand der Kenntnis („informiert sein“) definiert werden kann.Footnote 7 Damit sind zugleich die terminologischen Grenzen zum Begriff „Wissen“ fließend, das stark vereinfacht als die Menge der aktuell verfügbaren Information eines Menschen oder eines sonstigen informationsverarbeitenden Systems bezeichnet werden kann.Footnote 8 Während Informationen typischerweise Angaben über konkrete Subjekte enthalten, stellt sich Wissen als eine eher subjektiv verarbeitete Form von Information dar.Footnote 9 Wissen lässt sich überdies aus Informationen ableiten,Footnote 10 d. h. es setzt sie gedanklich voraus.Footnote 11 Nach allgemeinsprachlichem Verständnis sind Daten demnach schlicht Informationsinhalte, die meistens aber nicht zwingend einen nummerischen Bezug aufweisen.

2.2 Daten und Informationen im technischen Sinne

Im Folgenden soll erörtert werden, ob außerhalb des allgemeinsprachlichen Verständnisses ein vom Informationsbegriff abgrenzbarer Datenbegriff existiert und anhand welcher Kriterien ein solcher identifiziert werden kann. Die Ermittlung dieses „technischen“ Begriffsverständnisses erfolgt anhand einer Übersicht historischer Entwicklungen in der Informationstheorie, im Informationsrecht sowie in der Rechtsinformatik.

2.2.1 Informationstheoretische Entwicklung des Informationsbegriffes

Die Entwicklung eines eigenständigen Datenbegriffes ist eng mit dem Aufkommen der Informations- und Kommunikationstechnik verbunden.Footnote 12 Begründet wurde die zugrundeliegende Informationstheorie von den US-Amerikanischen Mathematikern Norbert Wiener und Claude E. Shannon Ende der 1940er Jahre.Footnote 13 Während sich Wiener dem Informationsbegriff ontologisch näherte, indem er die Information auf eine Stufe mit naturwissenschaftlichen Grundkategorien stellte („Information ist Information, nicht Materie und nicht Energie“),Footnote 14 entwickelte Shannon zusammen mit seinem Kollegen Warren Weaver einen Informationsbegriff, der sich vom allgemeinen Sprachverständnis abgrenzte. Das Wort Information wird bei diesem Ansatz in einem speziellen Sinn verwendet, der nicht mit dem gängigen Sprachgebrauch verwechselt werden darf. Insbesondere darf Information nicht mit Bedeutung gleichgesetzt werden. Es können nämlich zwei Mitteilungen, von denen die eine sehr aussagekräftig, die andere aber gänzlich unsinnig ist, unter dem vorliegenden (informationstechnischen) Gesichtspunkt hinsichtlich der Information völlig gleichwertig sein.Footnote 15

Nach diesem speziellen Begriffsverständnis muss die Information nicht zwingend „etwas bedeuten“ oder „etwas aussagen“, sondern kann auch ohne spezifischen Sinnzusammenhang, die bloße Möglichkeit einer Bedeutung oder Aussage vermitteln.Footnote 16 Die Information wird demnach als Signal verstanden, dessen Informationsgehalt sich an der in Zahlen ausgedrückten Genauigkeit zugrundeliegender Ja-Nein-Entscheidungen bestimmen lässt.Footnote 17 Über einen möglichen Wert dieser BinärentscheidungenFootnote 18 im qualitativen Sinne braucht die Informationstheorie keine Aussage zu treffen,Footnote 19 da sie davon ausgeht, dass der Empfänger das Signal passiv übernimmt.Footnote 20

Eine Weiterentwicklung dieses Ansatzes erfolgte in Deutschland vor allem durch Informatiker wie Karl W. Steinbuch,Footnote 21 für den Informationen „Stoff[e sind], aus [denen] Entscheidungen gemacht werden können“.Footnote 22 Diese pragmatische Komponente des Informationsbegriffs kam auch in den Feststellungen Klaus Haefners (“Information kann als eine Nachricht definiert werden, die für den Empfänger eine Bedeutung hat; durch ihre Aufnahme wird der Empfänger in aller Regel verändert”)Footnote 23 sowie Carl Friedrich von Weizsäckers („Information ist nur, was verstanden wird, […] was Information erzeugt“)Footnote 24 zum Ausdruck. Die Einbeziehung des Empfängers bei der Betrachtung der Information stellt eine der Semiotik entnommene Betrachtungsweise dar.Footnote 25 In dieser Wissenschaft der Zeichen und ZeichensystemeFootnote 26 wird ein Zeichen traditionellFootnote 27 anhand der folgenden drei Ebenen beschrieben:

  • Syntaktik: die Beziehungen zwischen Zeichen untereinander,

  • Semantik: die Beziehungen zwischen Zeichen und bezeichneten Gegenständen,

  • Pragmatik: die Beziehungen zwischen Zeichen und ihren Benutzern.Footnote 28

Im Rahmen der Sprachwissenschaften dient diese Unterteilung dazu, verbale und non-verbale Kommunikation zu kategorisieren.Footnote 29 Daneben wird das Modell auch zur Analyse literarischer Texte herangezogen.Footnote 30

Im Rahmen der Informationswissenschaften gewann das semiotische Modell an Bedeutung, als Anfang der 1970er Jahre die Entwicklung von Systemen zur Ordnung und Dokumentation nötig wurde, um der zunehmenden Menge an Informationen in der Wirtschaft und Verwaltung Herr zu werden.Footnote 31 Unter den deutschen Rechtswissenschaftlern war es wohl Wilhelm Steinmüller, der die semiotischen Grundsätze erstmals zur rechtlichen Bestimmung des Informationsbegriffes anwandteFootnote 32 und damit den Grundstein für die Begründung der sog. Rechtsinformatik legte.Footnote 33 Ein Ziel dieser Disziplin besteht darin, den natürlich-sprachlichen Rechtscode zumindest bei der Reglementierung von Sachverhalten mit informationstechnischem Bezug durch einen formal-legistischen zu ersetzen.Footnote 34 Eine praktische Ausprägung dieses Ansatzes liegt in der Heranziehung sog. Industrienormen oder Standards bei der Auslegung von Rechtsnormen.

2.2.2 Daten nach DIN/ISO

Bereits in den 1980er Jahren beschrieb die Norm 44300 Nr. 19 (1988) des Deutschen Instituts für Normung e. V. (DIN) „Daten“ als „Gebilde aus Zeichen oder kontinuierlichen Funktionen, die aufgrund bekannter oder unterstellter Abmachungen Informationen darstellen, vorrangig zum Zwecke der Verarbeitung und als deren Ergebnis“ definiert.Footnote 35 Die Nachfolgenorm „ISO/IEC 2382–1“ (2015) der Internationalen Organisation für Normung (ISO) verzichtet dagegen auf jegliche Zweckbindung und beschreibt den Begriff rein objektiv als „a reinterpretable representation of information in a formalized manner, suitable for communication, interpretation or processing“,Footnote 36 also eine neu bzw. um-interpretierbare Darstellung von Informationen in einer formalisierten Form, die für die Kommunikation, Interpretation oder Verarbeitung geeignet ist. Beiden Definitionsansätzen liegt damit der Gedanke der formalisierten Informationsdarstellung zugrunde.

Die Datenkommunikation lässt sich wiederum mit dem sog. Open Systems Interconnection Reference Model bzw. OSI-Referenzmodell beschreiben, einem Schnittstellenstandard, der losgelöst von speziellen Implementierungen auf alle Computersysteme anwendbar ist.Footnote 37 Hiernach wird der Vorgang der Datenübertragung in sieben übereinander liegenden und aufeinander aufbauenden Schichten (layer) eingeteilt.Footnote 38 Zu diesen Schichten gehört unter anderem der physical layer, der die bits-Übertragung regelt (z. B. elektrischer Spannungszustand, Übertragungsdauer),Footnote 39 sowie der presentation layer, der Syntax und Semantik der übertragenen Daten so festlegt, dass die Daten auf jedem angeschlossenen Computersystem – unabhängig vom dort verwendeten Zeichensatz – dargestellt werden können.Footnote 40

Wird in Gesetzesmotiven oder Erwägungsgründen auf Industrienormen Bezug genommen, können diese zur Auslegung der zugrundeliegenden Rechtsnorm herangezogen werden.Footnote 41 Ohne besondere Abrede sind technische Normen von sich aus jedoch weder für die Mitglieder der jeweiligen Normungsorganisation noch allgemein verbindlichFootnote 42 und somit lediglich als private Empfehlungen ohne Rechtswirkung zu betrachten.Footnote 43 Da auf die oben genannten DIN / ISO – Normen weder im PatG / EPÜ selbst, noch in den Motiven hierzu Bezug genommen wird, kann der darin definierte Datenbegriff zumindest nicht unmittelbar zur Auslegung herangezogen werden.

2.2.3 Informationen als Naturkraft

Zum Beginn der 1990er Jahre entstanden daher Tendenzen, die rechtliche Behandlung von Informationen im Rahmen einer einzelnen rechtlichen Disziplin zusammenzufassen. Zur dogmatischen Begründung eines solchen „Informationsrechts“Footnote 44 argumentierte etwa Sieber in Anknüpfung an Wieners ontologische Begriffsbestimmung, die Information sei – neben Energie, Immaterialgüter- und sonstigen Vermögensrechten –Footnote 45 ein eigenständiges unkörperliches Rechtsobjekt.Footnote 46

Daran anknüpfend unternahm Beyer den Versuch, die informationstheoretischen Grundätze mit denen der Naturwissenschaften in Einklang zu bringen, um so die Information als eine Art dritte Entität neben materiellen und energetischen Erscheinungen der Natur zu etablieren.Footnote 47 Dabei bezog er sich unter anderem auf das semiotische Informationsmodell von Gitt, das sich wie folgt zusammenfassen lässt:

  • Syntaktik: die Regeln zur Verknüpfung von Zeichen, Wörtern;

  • Semantik: Aussage, Sinn, Bedeutung;

  • Apobetik: Zielvorgabe des Senders

  • Pragmatik: die durch Information beim Empfänger ausgelöste Handlung nach bestimmten Freiheitsgraden.Footnote 48

Im Einzelnen unterschied Gitt zwischen Handlungsweisen ohne jeglichen Freiheitsgrad (z. B. Programmabläufe in Computern, maschinellen Herstellungsvorgängen, Aufbau biologischer Zellen sowie dem Ablauf von Organfunktionen), mit eingeschränktem Freiheitsgrad (z. B. tierisches Instinktverhalten) und solchen mit maximalem Freiheitsgrad (insb. menschliches Verhalten).Footnote 49

Nach Ansicht von Beyer lässt sich die Information dann als eigenständige mess- und objektivierbare Größe der Natur verstehen, wenn sich die durch ihren Empfang ausgelöste Handlung des Empfängers mit naturgesetzlichen Prinzipien nachvollziehen und erklären lässt.Footnote 50 Dies sei jedenfalls bei Computern der Fall, da deren Ja-Nein-Entscheidungen algorithmisch und damit nach einer quasi-naturgesetzlichen Logik erfolgten. Ist der Empfänger dagegen kein Computer sondern ein Mensch, sei hingegen entscheidend, ob den Informationen – zumindest auch – physikalische, naturgegebene oder technikbedingte Messgrößen zugrundeliegend und, inwieweit diese Informationen „eine Antwort auf eine gezielt an einen begrenzten Bereich der Natur gestellte Frage“ geben bzw. sich zur „Lösung einer bestimmten Aufgabe geeigneten Weise [auswerten lassen]“.Footnote 51 In der Interpretation von Wiebe ist eine solche Objektivierung der Information auf der Ebene des Empfängers demnach möglich, soweit der Inhalt der zu verarbeitenden Daten „technisch“ ist oder „man die Naturgesetzlichkeit des zu erzielenden Erfolges feststellen kann.“Footnote 52 Der Beyer’sche Ansatz, Informationen als objektiv messbare Naturkraft anzuerkennen, wurde von einigen Autoren teilweise unkritisch,Footnote 53 erweiterndFootnote 54 sowie subjektiv modifiziert, übernommen,Footnote 55 konnte sich in der Literatur insgesamt jedoch nicht durchsetzen,Footnote 56 was insbesondere darauf zurückzuführen ist, dass man aus funktional-ökonomischer Sicht eine zu starke Ausdehnung des Bereichs der Technik vermeiden wollte.Footnote 57 Die Annäherung des Informationsbegriffes über die Semiotik blieb jedoch bestehen.Footnote 58

2.2.4 Daten als maschinenlesbar codierte Informationen

Zech unterteilt in seiner Habilitationsschrift von 2012Footnote 59 den Begriff Information – unter anderem in Anlehnung an den US-amerikanischen Professor der Rechtswissenschaften LessigFootnote 60 in die folgenden drei Ebenen:

  • Semantische Ebene: Inhalt der Information

  • Syntaktische Ebene: Darstellung der Information

  • Strukturelle Ebene: Verkörperung der Information

Dieses 3-Ebenen-Modell lässt sich an den folgenden Beispielen verdeutlichen: Versteht man die semantische als die Bedeutungsebene, kann sich eine Information inhaltlich beispielsweise auf eine Person, eine kreative Leistung oder eine technische Beschreibung beziehen. Verkörpern lassen sich diese Informationen wiederum im Rahmen eines niedergeschriebenen Lebenslaufs, eines gesungenen Lieds oder einer zusammengebauten Rechenmaschine. Die zuletzt beschriebene strukturelle Ebene ist in diesen Beispielen von der syntaktischen, also der Zeichenebene, noch sinnlich weitestgehend trenn- und abstrahierbar. Denn die Darstellung der Information auf der Zeichenebene erfolgt beim Lebenslauf durch die Anordnung der die Person beschreibenden Wörter bzw. Buchstaben, beim Lied in der Anordnung der gespielten oder gesungenen Noten und bei der Rechenmaschine in der baulichen Anordnung der Einzelteile. Besteht die strukturelle Ebene dagegen aus einem Datenträger wie z. B. einer Festplatte, einer CD oder einem USB-Stick, kann die syntaktische Ebene nur als Menge von „Nullen und Einsen“, d. h. dem Binär- oder Maschinencode,Footnote 61 dargestellt werden,Footnote 62 da der Datenträger die semantischen Informationen, genauer gesagt die an ihn gerichtete Anweisung, ansonsten nicht „versteht“.Footnote 63

Entsprechend definiert Zech „Daten“ rein syntaktisch als „maschinenlesbar codierte Information“.Footnote 64 Zur Information werden diese Daten erst durch die Wahrnehmung durch den Menschen, der sie versteht und durch sie zu Handlungen veranlasst wird.Footnote 65 Daten können demnach nicht allein, sondern nur im Zusammenhang mit einer Information eine inhaltliche Bedeutung erhalten,Footnote 66 wobei je nach Codierung sowohl mehrere Daten eine einzige Information als auch ein einziges Datum mehrere Informationen repräsentieren können.Footnote 67

2.2.4.1 Kritik am Zech’schen 3-Ebenen-Modell

In der zivilrechtlichen Literatur ist der Zech‘sche Ansatz zuletzt häufiger im Rahmen der Diskussion um die Einführung eines Dateneigentums- bzw. Zugangsrechtes erwähnt und konzeptionell weitestgehend unkritisch übernommen worden.Footnote 68 Wiebe sieht das Konzept der Daten als Informationen im Zustand der Verarbeitung, Übertragung oder Speicherung dagegen für nicht hinreichend bestimm- bzw. abgrenzbar.Footnote 69 Auch Becker hält nur eine theoretische Trennung für möglich, da Informationen nie auf einer Ebene liegen, sondern immer mehrere, wenn nicht alle Ebenen umfassen. Liege z. B. eine Datei auf einer Festplatte als Struktur des physischen Speichers vor, die sinnvolle (d. h. für Menschen unter Zuhilfenahme eines Computers bedeutsame) Zeichen enthält, sind sämtliche Informationsebenen, d. h. Struktur, Zeichen und Bedeutung, angesprochen.Footnote 70 Demnach existierten Daten nicht autonom, sondern benötigen stets einen Datenträger.Footnote 71 Eine Information oder ein Signal mag laut Hoppe-Jänisch von einem Medium unabhängig sein, sie könne aber nicht ohne ein Medium existieren.Footnote 72 Laut Kerber sind Daten kein physischer Gegenstand, sondern nur eine andere Form der Information. Da alle Informationen in Daten umgewandelt werden könnten, bestehe die Gefahr, dass der Schutz nicht auf die rein syntaktische Ebene beschränkt bleibt, sondern auch die Vermittlung des Informationsinhalts umfasst.Footnote 73 Die Anerkennung eines de-lege-ferenda-Schutzes der syntaktischen Ebene laufe stets Gefahr, die „dahinterliegenden“ Informationsinhalte auf der semantische Ebene „indirekt“ bzw. „mittelbar“ zu erfassen.Footnote 74 Determann sieht in der Anwendung des 3-Ebenen-Modells aufgrund „impraktikabler Abgrenzungsprobleme“ und „unnötig [erhöhter] Komplexität des Themas“ gar die „Gefahr der Rechtszersplitterung“.Footnote 75 Vorzuziehen sei daher ein einheitlicher Begriff von Daten und Informationen.Footnote 76

2.2.4.2 Diskussion und eigene Stellungnahme

Für die terminologische Trennung zwischen Daten, Informationen und Datenträgern spricht die eingangs genannte formal-legistische Tradition der Rechtsinformatik.Footnote 77 Zum einen illustriert bereits der Informationsbegriff nach Shannon/Weaver, dass die syntaktische Ebene eine vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichende Information darstellen kann.Footnote 78 So kann ein in diesem Sinne vorliegendes „Signal“, beispielsweise ein äußeres Zeichen, eine bestimmte Art der Datencodierung darstellen.Footnote 79 Zum anderen ist es in der Informatik mittlerweile üblich, technische Vorgänge (wie z. B. der Datenkommunikation innerhalb eines Computersystems) anhand von Schichtenarchitekturen zu beschreiben.Footnote 80 Darüber hinaus ist die Aussage, Daten könnten ohne den zugrunde liegenden Datenträger nicht existieren, in ihrer Pauschalität nicht haltbar, wenn man die unterschiedlichen Arten von Datenträgern betrachtet. Während die Codierung optischer (z. B. CD, DVD)Footnote 81 sowie magnetischer (z. B. Festplattenlaufband)Footnote 82 Speichermedien von einer gewissen Dauerhaftigkeit geprägt ist – zumindest bis die jeweilige Träger- bzw. Magnetschicht geändert wird –, verweilen Daten in Halbleiterspeichern wie insb. dem Random Access Memory (RAM), also dem Arbeitsspeicher, nur „flüchtig“ in Form von elektrischen Spannungen.Footnote 83 Solche volatilen, nicht-persistenten Daten werden nicht dauerhaft auf einen Datenträger geschrieben, sondern in der Regel lediglich visualisiert (etwa im Rahmen einer Temperatur- oder Motordrehzahlanzeige), sodass sie nach Erfüllung ihres jeweiligen Verwendungszweckes nicht mehr zugänglich sind.Footnote 84 Die immanente Flüchtigkeit von Daten wird besonders deutlich bei der Wiedergabe von Audio- und/oder Videodaten im Rahmen des Streaming, wo Datenelemente nur nach und nach, jedoch nie zeitgleich und in einer zusammenhängenden Form im lokalen Speicher (Cache) gespeichert werden.Footnote 85 Daten können mithin unbeschränkt auf beliebigen Speichermedien vervielfältigt, drahtlos über das Internet verschickt werden und damit an verschiedenen Orten gleichzeitig existieren.Footnote 86 Die Trennung der semantischen, syntaktischen und strukturellen Ebene ist demnach mit dem informatischen Grundverständnis vereinbar und stellt eine brauchbare Grundlage für eine patentrechtliche Betrachtung dar.

2.2.4.3 Fazit

In der semiotischen Informationstheorie hat sich ein Begriffsverständnis der Information entwickelt, welches die Information vom zugrundeliegenden Inhalt abstrahiert, um das Verhältnis zwischen Sender und Empfänger ohne den zugrundeliegenden semantischen Gehalt der Information betrachten zu können. Diese Trennung zwischen Semantik und Syntaktik ist in der Informatik zum Zwecke der Beschreibung der verschiedenen Schichten von Datenmodellen aufgegriffen worden. In der rechtswissenschaftlichen Diskussion sind daraufhin verschiedene Ansätze entwickelt worden, um das informatorische Schichtenmodell in den juristischen Sprachgebrauch einzugliedern. Durchgesetzt hat sich hierbei das Modell, das den Datenbegriff sowohl von der zugrundeliegenden Information als auch von dem zugrundeliegenden Datenträger trennt und als maschinenlesbar codierte Information definiert.

2.3 Daten im patentrechtlichen Sinne

Im Folgenden soll untersucht werden, ob das 3-Ebenen-Modell mit dem Begriffsverständnis des deutschen sowie des europäischen Patentrechts in Einklang steht. Zu diesem Zweck werden zunächst die wenigen gesetzlichen Anknüpfungspunkte auf etwaige Anhaltspunkte für ein terminologisches Grundverständnis des Gesetzgebers überprüft. Im Anschluss erfolgt eine Auswertung einzelner Entscheidungen des BGH, des BPatG sowie der Beschwerdekammern mit dem Ziel, Gemeinsamkeiten bei der Definition von Daten und Information herauszuarbeiten.

2.3.1 Datenbegriff im PatG / EPÜ

Weder im PatG noch im EPÜ findet sich ein eigenständig definierter Datenbegriff.Footnote 87 Gesetzliche Anknüpfungspunkte bieten jedoch der in § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. c EPÜ verwendete Begriff der „Datenverarbeitungsanlage“ sowie der in § 1 Abs. 3 Nr. 4 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. c EPÜ verwendete Begriff der „Information“.

2.3.1.1 Programme für Datenverarbeitungsanlagen i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. c EPÜ

Der Begriff „Daten“ fällt im Rahmen des Tatbestandes „Programme für Datenverarbeitungsanlagen“ gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. c EPÜ. Datenverarbeitungsanlagen im patentrechtlichen Sinne sind Vorrichtungen.Footnote 88 Eine Vorrichtung lässt sich in der Regel durch ihre körperlichen (äußeren) Merkmale kennzeichnen.Footnote 89 Entsprechend kann man eine Datenverarbeitungsanlage als den materiellen (physischen) Anteil eines Datenverarbeitungssystems,Footnote 90 mithin als Hardware bezeichnen.Footnote 91 Zur Hardware zählt typischerweise der Computer (inkl. seiner Bestandteile wie z. B. Laufwerk, Lesekopf der Festplatte)Footnote 92, der als „Universalrechner“ definitionsgemäß nicht auf einen bestimmten Zweck festgelegt ist,Footnote 93 sondern grundsätzlich jeden Algorithmus berechnen kann.Footnote 94 Nach heutigem Sprachgebrauch wird der Computer vielfach synonym für elektronische Datenverarbeitungsanlagen verwendet,Footnote 95 wie auch anhand der Wortwahl der englischen Sprachfassung von Art. 52 Abs. 2 lit. c EPÜ zu erkennen ist („programs for computers“). Anhand der abstrakten Formulierung „Datenverarbeitungsanlage“ wird jedoch deutlich, dass unter die Vorschrift nicht nur Rechen- bzw. Computersysteme, sondern jede Anlage, die Daten verarbeitet, zu fassen ist.Footnote 96 So kann beispielsweise selbst das Betätigen des Schalters an einem Haartrockner als Dateneingabe gewertet werden.Footnote 97 Die Datenverarbeitung erfolgt unter Ausnutzung der physikalischen Eigenschaften der zugrundeliegenden Schaltkreise der Anlage.Footnote 98 Was jedoch genau unter den Verarbeitungsbegriff fällt, wird im PatG / EPÜ – anders als etwa in Art. 4 Nr. 2 DSG-VO –Footnote 99 nicht definiert. Das BPatG versteht unter Datenverarbeitung (teilweise wird hier auch von „Softwaremaßnahmen“ gesprochen)Footnote 100 insb. die Bereitstellung von Informationen, deren Anordnung in Datenstrukturen und deren Auswertung nach Regeln der Logik,Footnote 101 deren grafische AufbereitungFootnote 102 sowie deren AbrufFootnote 103. Der BGH wiederum erkennt beispielsweise die diskrete Verschlüsselung von Informationen durch Steuersignale, elektronische Ströme und Speicherzustände als die maßgebliche Eigentümlichkeit der Datenverarbeitung an.Footnote 104

2.3.1.2 Wiedergabe von Informationen iSd. § 1 Abs. 3 Nr. 4 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. c EPÜ

Der Informationsbegriff in § 1 Abs. 3 Nr. 4 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. d EPÜ wird ebenfalls nicht gesetzlich definiert.Footnote 105 In den Materialien zu den Regeln 39.1 V und 67.1 V des Vertrages über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens (Patent Cooperation Treaty, PCT), auf denen die beiden Vorschriften beruhen, werden lediglich Beispiele für Informationen aufgezählt (z. B. Tabellen, Formulare, Schriftanordnungen).Footnote 106 Aus der Formulierung „Wiedergabe von“ lässt sich schließen, dass die Informationen Gegenstand einer Tätigkeit sind: Sie werden wiedergegeben, präsentiert oder dargestellt.Footnote 107 Über alles weitere schweigt das Gesetz jedoch. So wird aus dem bloßen Wortlaut weder klar, in welcher Form die Wiedergabe erfolgt und welche Art der Information gemeint ist, noch an wen oder was sich die Wiedergabe richtet.Footnote 108

2.3.1.2.1 Keine klare Rechtsnatur der Information

In zwei Entscheidungen Anfang der 1990er Jahre beschäftigte sich das BPatG mit der Frage, welche Rechtsnatur die Information haben könnte. So stellt der Senat in seiner Entscheidung Chinesisches Textprogramm fest, dass der wissenschafts-philosophische Gedanke Beyers, die Information könne als eine Art dritte Entität neben den naturwissenschaftlichen Kräften Materie und Energie betrachtet werden, bisher kein „allgemeines Gedankengut“ ist und es entsprechend an brauchbaren Abgrenzungskriterien fehlt.Footnote 109 Auch in der Entscheidung Herstellungsverfahren für ein elektronisches Gerät – dort betraf die Patentanmeldung ein Prüfverfahren in der industriellen Fertigung, bei dem die Produkte in verschiedenen Stadien geprüft, die Ergebnisse der Prüfung gespeichert und zur Steuerung nachfolgender Herstellungs- und Prüfungsschritte benutzt werden konnten –Footnote 110 grenzt der Senat die Information von Naturkräften materieller und energetischer Art ab, lässt letztlich aber offen, ob die Information als „dritte Grundgröße von Naturwissenschaft und Technik“ einzuordnen sei.Footnote 111 Jedenfalls aus Sicht des OLG Düsseldorf kann derzeit noch nicht davon ausgegangen werden kann, dass die „Information“ selbst schon eine Naturkraft darstellt, deren planmäßige Beherrschung den Technikbegriff ausfüllt.Footnote 112

2.3.1.2.2 Der Mensch als Empfänger

In der Entscheidung Datenstrukturprodukt/Phillips geht die Beschwerdekammer unter Bezugnahme auf die informationstheoretischen Thesen von Shannon/Weaver davon aus, dass bei Abfassung des EPÜ der Informationsbegriff im gängigen Sinne, d. h. als kognitiver Inhalt, zugrunde gelegt worden und dieser noch heute für die Auslegung der Vorschrift relevant ist.Footnote 113 Der “kognitive Inhalt” ziele dabei ausschließlich auf die mentalen Aktivitäten des Menschen ab.Footnote 114 Aus Sicht des BGH betrifft die Vorschrift ebenfalls die „Vermittlung bestimmter Inhalte, [die] darauf zielen, auf die menschliche Vorstellung oder Verstandesfähigkeit einzuwirken“.Footnote 115 In der herrschenden Kommentarliteratur wird die Information i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 4 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. d EPÜ demnach als eine an den Menschen, genauer gesagt, an den menschlichen Geist gerichtete Mitteilung verstanden.Footnote 116

2.3.1.2.3 Inhalt der Information

Der Informationsbegriff wird im Gesetz überdies nicht auf einen bestimmten Inhalt beschränkt. Als Informationsinhalte wurden beispielsweise bereits elektrischen Signale,Footnote 117 bewegte Bilder eines Fernsehsystems,Footnote 118 die Töne der Tasten eines Tasteninstruments,Footnote 119 die Umrissform eines Kinderspielzeugs,Footnote 120 eine Kfz-Gangschaltanzeige,Footnote 121 Rechenergebnisse,Footnote 122 Farben und Helligkeitsstufen,Footnote 123 Diagramme,Footnote 124 eine Prozessbeschreibung,Footnote 125 Gerüche,Footnote 126 Gewinnchancen,Footnote 127 DiamantenkategorienFootnote 128, eine Schmetterlings-Form,Footnote 129 Freitextinformationen,Footnote 130 Bedienungsanweisungen,Footnote 131 Kontonummern und Abrechnungswährung,Footnote 132 Werbung und BestellhistorieFootnote 133 sowie Informationen betreffend FahrzeugnavigationssystemeFootnote 134 eingeordnet. An diesen Beispielen wird deutlich, dass es für die Einordnung als Information anscheinend unerheblich ist, ob die Informationen einen technischen oder einen untechnischen Sachverhalt betreffen.Footnote 135 Die Beschreibung eines Getriebes mag – so bringt es eine Beschwerdekammer auf den Punkt – intuitiv „technischer“ erscheinen als ein Stück von William Shakespeare, es handelt sich jedoch bei beiden Beispielen um kognitive Inhalte.Footnote 136

2.3.1.2.4 Art und Weise der Wiedergabe

Neben dem Informationsinhalt („Was“) spielt die Art und Weise der Informationsdarstellung („Wie“) für den Begriff der Information ebenfalls keine Rolle.Footnote 137 Denn der Mensch kann die Information sowohl über das Sehen und Hören, als auch das Tasten, Riechen und/oder Schmecken aufnehmen.Footnote 138 Entsprechend kann die gleiche Information (z. B. „Stopp“) verschiedene Gestalten annehmen, etwa als geschriebenes oder gesprochenes Wort, als physischer Gegenstand (eine Absperrung) oder sogar als Geruch (z. B. schwefelig) oder Geschmack (z. B. bitter).Footnote 139 Umgekehrt lässt sich daraus schließen, dass der semantische Gehalt der Information nicht zwingend in körperlicher Form vorliegen muss. So kann etwa ein medizinisches Testergebnis ohne jede Verkörperung sinnvoll übermittelt (z. B. im Rahmen eines Telefonats) und auch nach einer ersten schriftlichen Verkörperung beliebig oft weitere Male verkörpert werden.Footnote 140

2.3.1.3 Zusammenfassung

Der Datenbegriff wird gesetzlich nicht definiert. Datenverarbeitungsanlagen können als körperliche Vorrichtungen mit der strukturellen Ebene beschrieben werden. Eine Information stellt aus patentrechtlicher Sicht einen an den Menschen gerichteten Inhalt jeglicher Art und Form dar. Der Informationsbegriff im Gesetz lässt sich damit auf der semantischen Ebene einzuordnen.

2.3.2 Datenbegriff in der Rechtsprechung

Im Folgenden soll erörtert werden, wie die deutsche und europäische Rechtsprechung mit der fehlenden gesetzlichen Festlegung des Datenbegriffs umgeht. Die Betrachtung unterscheidet zwischen relevanten Entscheidungen des BGH, des BPatG und der Beschwerdekammern, um etwaig vergleichbare Herangehensweisen der Spruchkörper herauszuarbeiten.

2.3.2.1 Begriffsverständnis des BGH

Bereits in früheren Entscheidungen hat der BGH angedeutet, dass einer bestimmten Codierung ein unterschiedlicher Bedeutungsinhalt zugrunde liegen kann.Footnote 141 Dem Datenbegriff selbst hat der Senat sich später recht bildlich genähert.

2.3.2.1.1 Daten als Verpackung

Im Signalfolge-BeschlussFootnote 142 wurde unter anderem ein gebrauchsmusterrechtlicher Sachschutz für eine Signalfolge beansprucht, die für die Übersendung über das Internet geeignete Informationen repräsentierte und nicht auf einem Datenträger gespeichert war.Footnote 143 Trotz Fehlens eines körperlichen Substrats bejaht der Senat im Ergebnis die Schutzfähigkeit und führt in diesem Zusammenhang aus:

Eine solche (elektromagnetische) Signalfolge kann, […], ein und dasselbe Programm wie die auf einem Datenträger gespeicherte Datenfolge […] enthalten, es stellt in diesem Sinn nur eine andere ‚Verpackung‘ desselben Programminhalts dar.“Footnote 144

Maßgeblich sei, dass zwischen Datenfolgen, die auf einem Datenträger gespeichert sind, und solchen die lediglich über das Internet übermittelt werden, für die Erfordernisse der Datenverarbeitung kein erheblicher Unterschied besteht. Dem Datenträger selbst komme für die bestimmungsgemäße Nutzung der Daten in der Datenverarbeitung keine Bedeutung zu, sondern er diene lediglich als Speichermedium.Footnote 145

Im Folgenden ist die – bereits von Beier verwendete –Footnote 146 „Verpackungs“-Metapher auch in patentrechtlichen Streitigkeiten wiederholt vom LG DüsseldorfFootnote 147 und schließlich vom OLG Düsseldorf aufgegriffen worden.Footnote 148

In dem hier zugrundeliegenden Verfahren hatte die Klägerin Ansprüche aus einem europäischen Patent mit Wirkung für Deutschland geltend gemacht, das ein Verfahren zum Codieren und Decodieren von Videobilddaten schützt. Das Funktionsprinzip des zugrundeliegenden Kompressionsverfahrens nach dem ISO/IEC 13818 Standard MPEG2Footnote 149 beruht auf der Eliminierung von Redundanzen im Datenstrom, was dadurch erreicht wird, dass sich wiederholende Datenfolgen durch kürzere Codewörter ersetzt werden. Im Falle längenvariabler und längenfestgelegter Kodierung werden diese aus einer Tabelle gewonnen. Dabei werden den Datenabschnitten, die sich mit hoher Frequenz wiederholen, Codewörter mit kurzer Länge zugewiesen, während den sich mit niedriger Frequenz wiederholenden Sequenzen Codes mit größerer Länge zugewiesen werden.Footnote 150 Die Daten waren in diesem Fall selbst nicht streitgegenständlich.Footnote 151 Die Klägerin bezog im Rahmen eines Testkaufs aber DVD von der im Patent-freien Ausland ansässigen Beklagten, die diese dort unter Anwendung des patentierten Verfahrens hergestellt hatte. Die hierbei durch das Kodierungsverfahren erzeugten Daten wurden dazu auf einen DVD-Master übertragen, den die Beklagte als Vorlage für die Pressung der in Auftrag gegebenen DVDs im Ausland verwendete. Die DVDs wurden anschließend nach Deutschland geliefert.Footnote 152

In seiner Entscheidung MPEG2-Videosignalcodierung billigt der BGH schließlich den DVDs, auf denen die erfindungsgemäß gewonnene Videodatenfolge gespeichert worden war, den Schutz unmittelbarer Verfahrenserzeugnisse zu.Footnote 153 In seiner Begründung nimmt der Senat zunächst Bezug auf die bereits erwähnte Metapher und vergleicht die auf den DVDs codierten Videodaten mit einer „wechselbar verpackten Ware“.Footnote 154 Mit unkörperlichen Verfahrenserzeugnissen wie Elektrizität, Wärme, Licht und gegebenenfalls auch Schallwellen, die unmittelbar mit ihrer Erzeugung ge- oder verbraucht werden, sei das Abspielen von in eine DVD eingeprägten oder in anderer Form gespeicherten Gesamtheiten von Videodaten schon deshalb nicht vergleichbar, weil diese mittels der dafür vorgesehenen Geräte und unter Einsatz entsprechender Decodierungsvorrichtungen und -verfahren als Videoereignisse ausgelesen und wahrnehmbar gemacht und auf diese Weise wie körperliche Gegenstände beliebig oft bestimmungsgemäß genutzt werden können. Es erscheine wegen dieser Eignung, wie eine Sache genutzt und als Gegenstand des Handelsverkehrs dienen zu können, auch sachlich angemessen, der durch das Verfahren hervorgebrachten Datenfolge den Schutz eines unmittelbaren Verfahrenserzeugnisses zuzubilligen.“Footnote 155

Die hierin bereits angedeuteten Kriterien zur Bejahung des unmittelbaren Verfahrenserzeugnisschutzes für Daten fasst derselbe Senat einige Jahre später in der Entscheidung Rezeptortyrosinkinase II noch einmal wie folgt zusammen:

„Voraussetzung für einen solchen Schutz von Daten als Verfahrenserzeugnis ist zum einen, dass das Ergebnis des patentierten Verfahrens in einer üblichen Form wahrnehmbar gemacht und auf diese Weise wie ein körperlicher Gegenstand beliebig oft bestimmungsgemäß genutzt werden kann (BGHZ 194, 272 Rn. 23 = GRUR 2012, 1230 – MPEG-2-Videosignalcodierung). Zum anderen muss auch in diesem Fall die das Verfahrensergebnis verkörpernde Datenfolge ihrer Art nach als tauglicher Gegenstand eines Sachpatents in Betracht kommen.“Footnote 156

Die das Verfahrensergebnis verkörpernde Datenfolge sei jedoch nur dann ein tauglicher Gegenstand eines Sachpatents, wenn sie sachlich-technische Eigenschaften aufweist, die ihr durch das Verfahren aufgeprägt worden sind.Footnote 157

2.3.2.1.2 Zusammenfassung

Der BGH unterscheidet demnach zwischen Datenträgern (wie z. B. einer DVD) und den darauf gespeicherten Daten. Während der Senat Datenträger zweifelsohne als etwas Gegenständliches, Verkörpertes, Physisches einordnet, äußert er sich nicht explizit zur möglichen Beschaffenheit oder Struktur der darauf gespeicherten Daten. Diesen Daten können jedoch unterschiedliche Bedeutungsinhalte zugrunde liegen. Damit unterscheidet der Senat im Grunde zwischen der körperlichen Ebene (Datenträger), der Zeichenebene („Datenfolge“, „Verpackung“) und der Bedeutungsebene („Information“, „Informationsgehalt selbst“).Footnote 158

2.3.2.2 Begriffsverständnis des BPatG

Das BPatG äußert sich zur Auslegung des Begriffes „Daten“ eher zurückhaltend. Begriffsbestimmungen werden meist nur in Nebensätzen angedeutet und selten näher ausgeführt.

2.3.2.2.1 Daten als codierte Begriffe

So vergleicht der Senat in der Entscheidung Farbontologie Daten etwa mit „codierten Begriffen“.Footnote 159 Der beanspruchten Lehre lag ein computerimplementiertes Verfahren zur Zuordnung von Worten zu bestimmten Farbwerten zugrunde, mithilfe dessen Datenbestände auch sprachübergreifend ohne Übersetzung recherchiert werden konnten.Footnote 160 In seiner Begründung stellt der Senat fest, dass der für eine Recherche zum Einsatz kommende Computer diese Daten „unabhängig von deren Bedeutungsinhalt [verarbeite], also unabhängig davon, ob sie eine Farbe symbolisieren oder ein Wort.“Footnote 161 Auch in anderen Entscheidungen erkennt der Senat an, dass Daten je nach Art einen unterschiedlichen Bedeutungsinhalt haben,Footnote 162 sich inhaltlich also ebenso auf „technische oder physikalische“ (z. B. medizinische Messwerte)Footnote 163, wie „untechnische“ (z. B. über Verkaufsgeschäfte)Footnote 164 Inhalte beziehen können. Dabei sind solche Informationsinhalte nach der Rechtsprechung des BPatG sowohl vom zugrundliegenden Trägermedium als auch von den darauf aufgezeichneten Informationsstrukturen zu unterscheiden.Footnote 165 Unter einem Speichermedium verstehe der Fachmann einen „nichtflüchtigen Datenträger, d. h. alle zur materiellen Verkörperung oder Aufnahme von Daten geeigneten Stoffe bzw. Materialien“.Footnote 166 Dazu zählten etwa Disketten, CDsFootnote 167 oder ChipkartenFootnote 168. Unter den Begriff „strukturierte Informationen“ fasst der Senat dagegen „Signalfolgen“ und vergleicht diese mit Codierungsarten wie der Binärcodierung oder dem Morsecode.Footnote 169 Das legt den Schluss nahe, dass der Senat unter „strukturierten“ nichts anderes als „codierte“ Informationen versteht.Footnote 170 Ersetzt man „Informationen“ mit „Begriffe“ ähnelt die Formulierung wiederum dem eingangs erwähnten Vergleich mit codierten Begriffen. Der Begriff der Datenstruktur wird demgegenüber nur anhand von Beispielen erwähnt, wie etwa einer BaumstrukturFootnote 171 bzw. einem VerzweigungsbaumFootnote 172.

Zur Frage, inwieweit ein Mensch solche Datenstrukturen wahrnehmen kann, finden sich Ausführungen in der Entscheidung Magnetplattenspeicher. Der Kern der Lehre bestand darin, dass durch das beanspruchte Verfahren bestimmten Bereichen der Plattenoberfläche, unterschiedliche Bedeutungsklassen (wie z. B. Index- oder Servoinformationen) zugeordnet werden können. Das BPatG wertete den Anmeldegegenstand lediglich „als Muster von unterschiedlichen Bedeutungen“, da die verschiedenen Bedeutungsklassen der Magnetisierungssignale, mit denen die jeweiligen Platten beschrieben worden sind (hier in Form von O-Bit und L-Bit-Strukturen), durch schlichte physikalische Betrachtungen (wie z. B. Messung der Aufzeichnungsfelder) weder erkennbar noch voneinander unterscheidbar waren. Ohne Zuhilfenahme einer speziellen technischen Schaltung sei der Fachmann nicht in der Lage, einen Rückschluss auf die Bedeutung der Magnetisierungssignale und deren Bereichsgrenzen zu ziehen.Footnote 173

2.3.2.2.2 Zusammenfassung

Das BPatG unterscheidet mithin zwischen Speichermedien, Informations- bzw. Datenstrukturen und Informationsinhalten. Diese Begrifflichkeiten lassen sich konzeptionell der semantischen, der strukturellen sowie der syntaktischen Ebene zuordnen. Gleichzeitig scheinen syntaktische Strukturen aus Sicht der Senate zumindest nicht unmittelbar für einen menschlichen Betrachter erkennbar zu sein.

2.3.2.3 Begriffsverständnis der Beschwerdekammern

Im Vergleich zur deutschen Rechtsprechung haben die Beschwerdekammern einen ungleich differenzierteren Ansatz zur terminologischen Bestimmung des Datenbegriffs entwickelt. Daten an sich werden „digital“, d. h. in Form elektrischer Signale (bits und bytes) verstanden,Footnote 174 die auf einem Datenträger in binärer Form gespeichert werden.Footnote 175 Im Speicherzustand auf einem Datenträger werden die Datenströme auch als „Dateien“ bezeichnet.Footnote 176 Im Rahmen eines computerimplementierten Prozesses unterscheidet die Große Beschwerdekammer wiederum zwischen Eingabe- und Ausgabedaten.Footnote 177

2.3.2.3.1 Unterscheidung zwischen kognitiven Inhalten und funktionalen Daten

Bereits in der Entscheidung Farbfernsehsignal/BBC vom 14.03.1989 hält es die Beschwerdekammer für richtig, zwischen „zwei Arten von Informationen“ zu unterscheiden: Die erste Art betreffe ein bewegtes Fernsehbild, die zweite ein Fernsehsignal, welches diese Bilder in einer bestimmten Art und Weise moduliert.Footnote 178 Letzteres sei so definiert, dass es inhärent die technischen Merkmale des Fernsehsystems aufweist, in dem es vorkommt. Es stelle trotz seines „flüchtigen Charakters“ eine „physische Realität“ dar, – also ein „materielles Objekt“, das in der „realen Welt existiert –Footnote 179 da es „durch technische Mittel direkt festgestellt werden kann.Footnote 180

Diese Unterscheidung ist von der Beschwerdekammer in der bereits erwähnten Entscheidung Datenstrukturprodukt/Philips aufgegriffen worden. Verfahrensgegenstand war dort ein Bildwiederauffindungssystem mit einer Leseeinrichtung und einem Datenträger, auf dem sowohl die Bilddaten als auch Informationen für die Synchronisation codierter Bildzeilen, Zeilennummern und Adressen aufgezeichnet waren, um Bildausschnitte problemlos zugänglich zu machen.Footnote 181 In Analogie zum modulierten Fernsehsignal unterscheidet die Beschwerdekammer zwischen Daten, die einen kognitiven Inhalt codieren, und sog. „funktionellen Daten“, die inhärent die technischen Merkmale des zugehörigen Wiedergabesystems aufweisen.Footnote 182 Abstrakt ausgedrückt, werden durch funktionelle Daten die physischen Strukturen des zugrundeliegenden Datenträgers als technische Funktionsmerkmale materialisiertFootnote 183 bzw. abgebildetFootnote 184.

Der Unterschied wird anhand der folgenden hypothetischen Überlegung erläutert: Während der Verlust des kognitiven Inhalts in einem technischen System lediglich ein bedeutungsloses Bild liefere, wie „Schnee“ auf einem Fernsehbildschirm, führe der Verlust der funktionellen Daten zum Absturz des kompletten Systems,Footnote 185 sodass in diesem Fall überhaupt kein Bild angezeigt wird und der Bildschirm „schwarz“ bleibt. Im Gegensatz dazu würde beispielsweise der Algorithmus einer Vorrichtung zur Berechnung eines kapitalisierungsgewichteten Aktienindex auch ohne die zugrundeliegende Aktieninformationen funktionieren – allein die berechneten Ergebnisse wären unbrauchbar.Footnote 186 In der deutschen Rechtsprechung ist der vorstehende Ansatz bisher erst in zwei Entscheidungen des BPatG explizit aufgegriffen und angewendet worden.Footnote 187

2.3.2.3.2 Zusammenfassung

Die Beschwerdekammern differenzieren also zwischen Informationen, die der Unterrichtung des Menschen dienen oder jedenfalls hierfür geeignet sind, und funktionalen Daten, welche die technische Funktion eines Gerätes betreffen, d. h. die mit diesem in gewisser Weise zusammenwirken und damit letztlich bestimmen.Footnote 188

2.3.3 Zwischenergebnis

Weder der BGH noch das BPatG geben einen einheitlichen Datenbegriff vor. Allerdings wird eine Trennung zwischen dem Inhalt einer Information, dem zugrundeliegenden Informationsträger sowie der Verpackung bzw. der Codierung dieser Informationen durchaus in verschiedenen Entscheidungen anerkannt, ohne dass hierbei ausdrücklich auf das Zech’sche 3-Ebenen-Modell zurückgegriffen wird. Daten und Informationen scheinen demnach im Gegensatz zu den jeweiligen Trägermedien etwas Nicht-körperliches bzw. Nicht-physisches, wie z. B. ein elektronischer Spannungszustand, darzustellen. Um vom menschlichen Empfänger erkannt und wahrgenommen zu werden, bedarf es eines bestimmten Aktes des „Wahrnehmbar-Machens“. Die Beschwerdekammer unterscheiden dagegen bewusst zwischen den rein an den menschlichen Geist gerichteten, kognitiven Informationen und den sog. funktionellen Daten, die stets in einer gewissen Art und Weise mit dem zugrundeliegenden Datenträger verbunden sein müssen. Übertragen auf das 3-Ebenen-Modell lassen sich die kognitiven Informationen auf der semantischen und die funktionellen Daten auf der syntaktischen Ebene einordnen. In der Gesamtschau spiegelt sich die Unterteilung in die semantische, syntaktische sowie strukturelle Ebene sowohl in der Rechtsprechung des BGH und als auch in der des BPatG wider. Die Beschwerdekammern legen ihrer Rechtsprechung mit der Unterscheidung zwischen Informationen einerseits und funktionalen Daten andererseits ein 2-Ebenen-Modell zugrunde, ohne die strukturelle Datenträger-Ebene näher zu problematisieren.

2.3.4 Eigener Ansatz

In der Rechtsprechung wird angedeutet, dass neben der Information i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 4 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. d EPÜ und dem physischen Träger dieser Information noch eine weitere Ebene existiert, welche sich dem Datenbegriff des Zech’schen 3-Ebenen-Modells zuordnen lässt. Ein gesetzlicher Anknüpfungspunkt für die Zuordnung dieser syntaktischen Ebene ergibt sich möglicherweise aus dem Patentausschlussgrund der „Programme für Datenverarbeitungsanlagen“ i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. c EPÜ.

2.3.4.1 Das „Programm“ als normativer Begriff

Eine Definition des Begriffs des „Programms“ i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. c EPÜ ist weder dem Gesetzeswortlaut noch der Gesetzesbegründung zu entnehmen.Footnote 189 Während der diplomatischen Konferenz zum Abschluss des EPÜ wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass vergeblich versucht worden sei, die Begrifflichkeiten zur Patentierung von computerbezogenen Lehren auszufüllen und, dass die Auslegung der Rechtspraxis zu überlassen bleibe.Footnote 190 Der Begriff des Computerprogramms ist jedoch derart vielschichtig, dass sich bisher keine eindeutige Definition im patentrechtlichen Diskurs herausgebildet hat.Footnote 191 Bei einem Programm kann es sich um einen schriftlich fixierten Quellcode oder einen Datenflussplan handeln, um ein Betriebs- oder Anwendungssystem, es kann sich physisch in einer unveränderlichen Struktur in der Hardware unmittelbar verkörpern (z. B. durch ein festes Verdrahtungsschema) oder diese (veränderliche) Struktur durch Mikrobefehle und damit gesteuerte Schaltungsfunktionen erst konfigurieren, es kann ohne menschliches Eingreifen direkt Regelungs- oder Steuerungsfunktionen innerhalb einer mechanischen Vorrichtung auslösen oder auf das Sichtbarmachen von gespeicherten Informationen beschränkt sein.Footnote 192 Das Programm im patentrechtlichen Sinne ist mithin ein normativer, wertausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriff. Gleichzeitig erscheint es angemessen, die juristische Sichtweise mit dem technischen Verständnis der Informatik in Einklang zu bringen.Footnote 193

2.3.4.2 Syntaktische Beziehung zwischen Programm und Datum

Ein Programm (griechisch: Vorschrift) im informatischen Sinne ist die Formulierung eines Algorithmus, also eines endlichen Satzes wohldefinierter Regeln zur Lösung eines Problems in endlichen Schritten,Footnote 194 und der zugehörigen Datenstrukturen,Footnote 195 also der physischen oder logischen Beziehung zwischen Datenelementen wie z. B. array, linked list, stack, tree, hash table.Footnote 196 Im Sinne der Informatik kann ein Computerprogramm als Maschinenprogramm/Objektcode oder als Quelltext/Quellcode vorliegen,Footnote 197 wobei das Maschinen- oder Objektprogramm nichts anderes als eine maschinenlesbare Kodierung des in einer Programmsprache geschriebenen, für den Fachmann verständlichen Quellenprogramms ist.Footnote 198 Ein maschinenlesbares Format weisen beispielsweise Binärdaten wie „0“ und „1“ auf,Footnote 199 mit denen bestimmte Spannungsschwellwerte beschrieben werden können.Footnote 200 Computerprogramme können solange als reine Daten behandelt werden, wie sie im Hauptspeicher oder in peripheren Speichern in binärer Form vorhanden sind, ohne selbst die Steuerung des Computers zu veranlassen. In diesem Zustand dienen Programme allein der Bereitstellung von Ordnungs- und Mengeninformationen als Bezugsobjekt der Datenverarbeitung. Erst sobald den Daten eine Steuerungsfunktion zukommt, ist die informatorische Grenze zum Computerprogramm überschritten.Footnote 201 Computerprogramme sind zugleich syntaktische Einheiten,Footnote 202 die sich auch als Daten beschreiben lassen.Footnote 203 Auf der Ebene der Syntax besteht mithin eine funktionale Beziehung zwischen Programmen und Daten.

2.3.4.3 Die Zuordnung des Datumbegriffs zum „Programm“ i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. c EPÜ

Am folgenden Schaubild soll illustriert werden, wie sich die semantische, syntaktische und strukturelle Ebene und der jeweiligen patentrechtlichen Terminologie zuordnen lassen.

Semantische Ebene

Informationen

„Informationen“, i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 4 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. d EPÜ

Syntaktische Ebene

Daten

„Programme“, i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. c EPÜ

Strukturelle Ebene

Datenträger

„Datenverarbeitungsanlagen“, i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. c EPÜ

Das Datum (z. B. Wert „0“ oder „1“) ist patentrechtlich zunächst von der verkörperten, rein geistigen Information (z. B. „Nein“ oder „Ja“) abzugrenzen.Footnote 204 Zu diesem Zweck lässt sich mithilfe der semantischen Ebene die „Information“ im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 4 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. d EPÜ beschreiben, worunter Nachrichten fallen, die ausschließlich an den menschlichen Geist bzw. die menschliche Verstandesfähigkeit gerichtet sind, unabhängig von der Art und Weise der Mitteilung. Die strukturelle Ebene wiederum beschreibt den Datenträger, also ein Medium, welches das Datum in maschinell lesbarer Form „trägt“ oder speichert.Footnote 205 Hierbei handelt es sich um körperliche, materielle bzw. physische Vorrichtungen, wie insbesondere Computer und sonstige Datenverarbeitungsanlagen i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. c EPÜ. Der syntaktischen Ebene sind wiederum diejenigen Daten zuzuordnen, welche die Information codieren und damit so „verpacken“, dass sie von einer Datenverarbeitungslage verarbeitet, d. h. z. B. erzeugt, verändert, versendet, ausgewertet, gespeichert oder gelöscht werden können. Gleichzeitig können die Daten in Kombination mit den jeweiligen algorithmisierten Befehlen die Datenverarbeitungsanlage befähigen, bestimmte Berechnungs- und Steuerungsfunktionen auszuführen. Daten können also ebenso wie Programme bestimmte Informationen verpacken, die für bestimmte Funktionen, Aufgaben oder Problemlösungen benötigt werden. Die jedem Datum innewohnende Eignung zur Anweisung bestimmter Funktionen rechtfertigt es, den Datumsbegriff dem Programmbegriff zuzuordnen und ihn als eine Unterkategorie hiervon zu verstehen.

2.3.4.4 Die funktionale Wechselwirkung zwischen Informationen, Daten und Datenträger

Die syntaktische Daten-Ebene nimmt hiernach eine selbstständige Stellung ein und bildet zugleich das Bindeglied zwischen der semantischen Informations- und der strukturellen Datenträger-Ebene. Denn für den menschlichen Nutzer ist die codierte Information ohne Datenverarbeitungsanlage unkörperlich und damit nicht sinnlich wahrnehmbar, sondern stellt allenfalls einen elektrischen Spannungszustand dar. Ohne die Codierung wiederum sind die darin enthaltenen Informationen für die zugrundeliegende Datenverarbeitungsanlage nicht „verständlich“. Es besteht damit zwischen der semantischen, syntaktischen und strukturellen Ebene eine gewisse funktionale Wechselwirkung. Um diese Wechselwirkung zwischen den verschiedenen Ebenen patentrechtlich einordnen zu können, sollen zunächst Grenzen des patentrechtlichen Schutzes aufgezeigt werden. Hierfür bietet es sich an, aufgrund des Sinn und Zwecks des Ausschlusstatbestandes in § 1 Abs. 3 Nr. 4 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. d EPÜ zunächst davon auszugehen, dass Informationen als solche nicht dem Patentschutz zugänglich sind. So gehört es z. B. zum Wesen jeder geschäftlichen Tätigkeit, dass sie in Wechselwirkung mit der physischen Welt erfolgt und die Auswertung diesbezüglicher Informationen umfasst. Würden diese Merkmale ausreichen, um Patentfähigkeit zu bejahen, wäre der Ausschluss von Geschäftsverfahren nach Art. 52 Abs. 2 lit. c EPÜ gegenstandslos.Footnote 206 Aufgrund des generell engen Verständnisses der Patentausschlussgründe ist jedoch zu erwarten, dass die Berücksichtigung der semantischen Ebene sowie des menschlichen Empfängers des semantischen Bedeutungsgehalts allein die Annahme eines patentrechtlichen Schutzes nicht ausschließen dürfte. Gleichzeitig können Vorrichtungen wie Computer oder sonstige Datenverarbeitungsanlagen unzweifelhaft Gegenstand einer patentrechtlich geschützten Erfindung sein. Auf der syntaktischen Ebene dürfte wiederum weitestgehend Einigkeit darüber herrschen, dass in der bloßen Definition einer Informationen in alphanumerischen Zeichen nichts Technisches zu sehen ist,Footnote 207 da die hierzu notwendigen gedanklichen Konzepte eher eine schöpferische als eine technische Leistung darstellen.Footnote 208 Zugleich steht die Patentierbarkeit von nicht-körperlichen Energieformen wie elektrischer Strom in Konflikt mit dem üblicherweise als sachlich-körperlich verstandenen Erzeugnisbegriff i.S.d. § 9 PatG.Footnote 209 Werden mit einem Computerprogramm lediglich mathematische Größen in elektrische Spannungen umgewandelt,Footnote 210 lässt sich mithin bezweifeln, ob allein die Wechselwirkung zwischen dem Programm und der Datenverarbeitungsanlage dem beanspruchten Verfahren zur Patentierbarkeit verhelfen kann, ohne dass hierdurch das Patentierungsverbot für Computerprogramme als solche ausgehöhlt wird.Footnote 211 Damit wird auch für die Frage der Datenpatentierbarkeit zu klären sein, ob und welche funktionalen Wechselwirkungen zwischen der Information, dem Datum und dem Datenträger vorliegen müssen, um den Patentausschlussgrund des § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. c EPÜ zu überwinden.Footnote 212

2.3.4.5 Ergebnis

Bei Daten im patentrechtlichen Sinne handelt es sich um maschinenlesbar codierte Informationen, die in Form elektrischer Spannungen auf einem physischen Träger gespeichert werden können. Aufgrund ihrer funktionalen Vergleichbarkeit mit Computerprogrammen lassen sich Daten als Unterkategorie des Programmbegriffs i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. c EPÜ einordnen. Die Frage ihrer Patentierbarkeit ist in erster Linie anhand der funktionalen Wechselwirkung mit den ihnen innewohnenden Informationen einerseits und den ihnen zugrundeliegenden Datenträgern andererseits zu ermitteln.

2.4 Patentierbarkeit von Daten

Auf Grundlage eines vom Informationsbegriff abgrenzbaren Datenbegriffs soll nun im Folgenden untersucht werden, ob und unter welchen Voraussetzungen Daten selbst Gegenstand des Patentschutzes sein können. Ausgangspunkt der Betrachtung soll das bereits erwähnte Rezeptortyrosinkinase IIFootnote 213-Urteil vom 27.09.2016 sein, da der BGH sich hierin erstmals mit dem patentrechtlichen Schutz von unkörperlichen Datenfolgen als Ergebnis eines Herstellungsverfahrens i.S.d. § 9 S. 2 Nr. 3 PatG auseinandergesetzt hat. Dem logischen Aufbau besagter Entscheidung folgend, soll die Frage nach dem technischen Charakter von Daten zunächst inzident im Rahmen der Darstellung der Grundsätze des derivaten Erzeugnisschutzes geklärt werden. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse zum Verfahrenserzeugnisschutz von Daten sollen daraufhin – soweit möglich – auf den Sachpatentschutz im Sinne des § 9 S. 2 Nr. 1 PatG übertragen werden, da hierzu bisher keine einschlägige Rechtsprechung existiert.

2.4.1 Daten als Verfahrenserzeugnis (§ 9 S. 2 Nr. 3 PatG)

Das erfindungsgemäße Verfahren, dem der Entscheidung Rezeptortyrosinkinase II zugrunde lag, diente dazu, eine bestimmte Genmutation in einem Nukleinsäuremolekül nachzuweisen, die nach der technischen Lehre des Klagepatents als Indikator für eine Leukämieerkrankung genutzt werden kann. Das Ergebnis der Anwendung des Verfahrens war mithin ein biochemischer Befund, dessen Erhebung dem Fachkundigen bestimmte Informationen vermittelt.Footnote 214 Eine der Beklagten bereitete dabei von Dritten eingesandte Proben auf, wobei sie darin enthaltene Nukleinsäuren extrahierte, und leitete diese zur Untersuchung an eine andere, in der Tschechischen Republik ansässige, Beklagte weiter. Diese machte dort (also außerhalb des Geltungsbereiches des Patentgesetzes) von dem geschützten Verfahren für ihre Untersuchungen Gebrauch. Zu ihren Untersuchungen erstellte sie Testberichte und übersandter Kopien davon an eine der anderen Beklagten nach Deutschland sowie direkt an den betreffenden Auftraggeber.Footnote 215 Um über die Verletzung des patentgemäßen Verfahrens entscheiden zu können, musste sich der Senat insbesondere mit der Frage auseinandersetzen, ob dem ins Inland übersandten Untersuchungsbefund ein derivater Erzeugnisschutz zukommen kann.

2.4.1.1 Unmittelbares Ergebnis eines Herstellungsverfahrens

Zu Beginn seiner Begründung stellt der BGH fest, dass Erzeugnisse i.S.d. § 9 S. 2 Nr. 3 PatG „unmittelbar durch ein patentiertes Verfahren hergestellt sind“.Footnote 216 Nach § 9 S. 2 Nr. 3 PatG ist es „jedem Dritten […] verboten, ohne die Zustimmung [des Patentinhabers] das durch ein Verfahren, das Gegenstand des Patents ist, unmittelbar hergestellte Erzeugnis anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen“.Footnote 217 Die Norm verlangt demnach zunächst ein „Verfahren, das Gegenstand des Patents ist“.

2.4.1.1.1 Herstellungsverfahren als besondere Form des Verfahrens i.S.d. § 9 S. 2 Nr. 2 PatG

Der Wortlaut ist insofern mit dem des § 9 S. 2 Nr. 2 PatG identisch, nach dem es Dritten verboten ist, ein „Verfahren, das Gegenstand des Patents ist“ anzuwenden oder zur Anwendung anzubieten. Ist der Gegenstand des Patents ein Verfahren, spricht man von einem sogenannten Verfahrenspatent.Footnote 218 Das Verfahrenspatent schützt einen bestimmten Verfahrensablauf,Footnote 219 genauer gesagt ein aus mehreren Verfahrensmaßnahmen bestehendes technisches Handeln.Footnote 220 Verfahrenspatente können Verfahren zur Benutzung eines Gegenstands, zur Erzielung eines Ergebnisses oder eben zur Herstellung eines Erzeugnisses zum Inhalt haben.Footnote 221 Begrifflich unterscheidet man entsprechend zwischen Verwendungs-, Arbeits- und Herstellungsverfahren.Footnote 222 Solange die technische Natur des Verfahrens vorliegt, kommt es auf die Art des Verfahrens für § 9 S. 2 Nr. 2 PatG nicht an.Footnote 223

2.4.1.1.2 Sinn und Zweck des § 9 S. 2 Nr. 3 PatG

Der § 9 S. 2 Nr. 3 PatG erstreckt nun die Wirkung eines Verfahrenspatents auf die durch das Verfahren unmittelbar hergestellten Erzeugnisse.Footnote 224 Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, die Schutzrechtslücken zu schließen, die entstehen, wenn ein im Inland geschütztes Verfahrenspatent im schutzfreien Ausland angewendet wird, um die danach hergestellten Verfahrenserzeugnisse wiederum im Inland zu vertreiben.Footnote 225 Für Verfahren, die Daten und Informationen betreffen, welche über Staatsgrenzen hinaus verschickt werden können, hat die Regelung naturgemäß eine hohe Bedeutung.Footnote 226 Die Vorschrift stimmt inhaltlich mit Art 64 Abs. 2 EPÜ übereinFootnote 227 und gehört sowohl nach Art. 28 Abs. 1 lit. b TRIPS als auch nach Art. 5quarter PVÜ zum verbindlichen Mindeststandard der jeweiligen Vertragsstaaten.Footnote 228 Bereits vor der gesetzlichen Verankerung hat das RG in der Entscheidung Methylenblau seine Anerkennung für den durch ein Verfahren zur Herstellung eines Stoffs auf chemischem Wege „dargestellten“ Stoff damit begründet, dass der mittels des Verfahrens erzeugte Stoff nicht außerhalb des Gegenstands der Erfindung liege, sondern den das Verfahren patentrechtlich charakterisierenden Abschluss bilde.Footnote 229 Der Schutz eines auf ein Herstellungsverfahren gerichteten Verfahrenspatents ist damit weiter, als es der Erfindung entspricht.Footnote 230 Man könnte demnach von einem „erweiterten Verfahrensschutz“ sprechen. Nicht erfasst sind dagegen solche Erzeugnisse, die ohne Hilfe des geschützten Verfahrens hergestellt wurden. Insoweit bleibt der Schutz des Verfahrenserzeugnisses hinter dem des Erzeugnispatents gemäß § 9 S. 2 Nr. 1 PatG zurück, das den jeweiligen Gegenstand unabhängig von Herstellungsverfahren und Einsatzzweck erfasst.Footnote 231 Durch § 9 S. 2 Nr. 3 PatG / Art. 64 Abs. 2 EPÜ wurde damit ebenso ein bedingter bzw. eingeschränkter Erzeugnisschutz geschaffen.Footnote 232 Das Verfahrenserzeugnis wird zugleich „indirekt“ geschützt,Footnote 233 da es aus dem Verfahren abgeleitet werden muss. Man spricht daher auch vom „derivativen Erzeugnisschutz“.Footnote 234

2.4.1.1.3 Die Herstellung eines Erzeugnisses

Aus der Tatsache, dass § 9 S. 2 Nr. 3 PatG / Art. 64 Abs. 2 EPÜ ausdrücklich ein durch ein Verfahren unmittelbar „hergestelltes“ Erzeugnis verlangt, lässt sich schließen, dass sich die Norm auf Herstellungsverfahren bezieht.Footnote 235 Allein aufgrund des Wortlautes sollte der Anwendungsbereich der Vorschrift jedoch nicht hierauf beschränkt werden,Footnote 236 da Erzeugnisse auch im Rahmen von Verwendungsverfahren entstehen können.Footnote 237 Beim originären Herstellungsverfahren besteht die Lehre zum technischen Handeln in der Beschreibung der beiden eigentlichen Verfahrensmaßnahmen, nämlich der Wahl der Ausgangsstoffe und der Art der Einwirkung auf diese Stoffe.Footnote 238 Voraussetzung für die Schutzfähigkeit ist, dass das Verfahren nach Ausgangsstoff, Arbeitsweise und Endergebnis von anderen denkbaren Herstellungsverfahren unterscheidbar ist.Footnote 239

2.4.1.1.3.1 Daten oder Informationen als Ausgangsstoff

Solange der Ausgangsstoff sich hinreichend identifizierbar beschreiben lässt,Footnote 240 kann er fest, flüssig oder gasförmig sein, eine Energieform oder eine Welle darstellen.Footnote 241 Die Auswahl kann dabei einen, aber auch mehrere Ausgangsstoffe betreffen.Footnote 242

Als Ausgangsstoffe kommen Informationen und Daten in Betracht. Informationen können anhand ihres zugrundeliegenden Inhalts beschrieben werden. Dagegen lassen sich Daten in der Maschinensprache als eine Folge von bits spezifizieren.Footnote 243 Eine pauschale, syntaktische Beschreibung ist jedoch kaum möglich,Footnote 244 da das Format des Maschinencodes stets abhängig von der verwendeten Programmiersprache, dem Compiler sowie der zugrundeliegenden Maschine ist.Footnote 245 Datenstrukturen können beispielsweise in den Programmiersprachen „Structured Query Language“ (SQL-), „Document Type Definition“ (DTD-) oder XSD geschrieben sein.Footnote 246 Anhand eines Datenmodells lassen sich wiederum sämtliche Strukturen, Datentypen und die Zusammenhänge der Daten (sog. Metadaten)Footnote 247 in einem Softwaresystem untereinander darstellen.Footnote 248

2.4.1.1.3.2 Die Einwirkungsmöglichkeiten auf Daten und Information

Weiterhin müsste auf die Informationen oder Daten als Ausgangsstoff „eingewirkt“ werden. Die Einwirkung kann sich etwa auf die äußere Formgebung des Ausgangstoffes beziehen, wie z. B. durch Fräsen, Schmieden, Lochen, Auspressen, Ziehen, Stanzen oder Schweißen.Footnote 249 Neben der mechanisch-physikalischen Außeneinwirkung kann auch allein die innere, stoffliche Beschaffenheit des verwendeten Materials von Bedeutung sein.Footnote 250 Die Einwirkung erfolgt dann meist auf chemischem Wege,Footnote 251 wobei auch mikrobiologische Verfahren als Herstellungsverfahren geschützt sind.Footnote 252 Wesentlich ist, dass auf den Ausgangsstoff technisch zum Zweck bzw. mit dem Ziel der Veränderung eingewirkt wird.Footnote 253 Das bedeutet, es geht in der Regel um Tätigkeiten, die eine Veränderung des Naturzustandes bewirken und gewöhnlich die Umwandlung oder Verarbeitung einer Form von Materie oder Energie beinhalten.Footnote 254

Betrachtet man allein die strukturelle Ebene von Daten, kommt als Einwirkungshandlung der physische Eingriff in die Sachsubstanz des Datenträgers in Betracht, wie z. B. ein Schaltungswechsel. Auf der semantischen Ebene wäre eine Änderung des Sinngehaltes der Information denkbar.Footnote 255 Eine Änderung des materiellen bzw. energetischen Naturzustandes wird hierdurch jedoch nicht erreicht, da auch eine inhaltlich geänderte Information nach wie vor eine Information bleibt.Footnote 256 Eine strukturelle Änderung der Information kann allerdings durch ihre erstmalige Codierung als Datum erreicht werden, da es hierdurch zu einem Substratwechsel in Form von elektrischem Strom kommt.Footnote 257 So lassen sich beispielsweise akustische Signale mehrkanalig codieren, indem die hörbaren Frequenzen in zwei separate Teilbänder unterteilt werden.Footnote 258

Schwieriger erweist sich die Beurteilung der Einwirkungsmöglichkeiten auf der syntaktischen Ebene, d. h. wenn die Information bereits codiert ist. In diesem Fall liegt es nahe, in erster Linie mögliche Veränderungen der Codierung zu betrachten.Footnote 259 Da mit der Codierungsart grundsätzlich jede Art und Weise der Codierung von Information gemeint ist,Footnote 260 können hierunter beispielsweise die bereits genannten Datenkompressionsverfahren fallen.Footnote 261 Auch hierfür ist jedoch eine hinreichend bestimmte Individualisierung erforderlich.Footnote 262 Dementsprechend greift der Schutz nach § 9 S. 2 Nr. 3 PatG / Art. 64 Abs. 2 EPÜ nur ein, wenn das geschützte und angewendete Verfahren „entweder ein Erzeugnis hervorbringt oder zu einer Veränderung der äußerlichen oder inneren Beschaffenheit eines Erzeugnisses führt“.Footnote 263 Rein terminologisch lässt sich hierbei mit Bacher zwischen (Neu-)Herstellung im engeren Sinn und der Bearbeitung als Herstellung im weiteren Sinn differenzieren.Footnote 264 Im Folgenden soll erörtert werden, ob und inwieweit sich diese Maßstäbe überhaupt auf die Datencodierung anwenden lassen.

2.4.1.1.3.2.1 Datenerzeugung als Neuherstellung

Ein Erzeugnis ist dann hervorgebracht, wenn es sich im Verhältnis zum Ausgangsstoff als etwas Neues darstellt.Footnote 265 Trotz des mit § 950 BGB ähnlichen Wortlautes („neue bewegliche Sache“) sollte sich die Frage der „Neuheit“ nicht an zivil- sondern allein an patentrechtlichen Wertungen orientieren.Footnote 266 Ein Anhaltspunkt für diese patentrechtliche Betrachtung liefert die Verfahrensvorschrift des § 139 Abs. 3 S. 1 PatG,Footnote 267 die als Tatbestandsmerkmal ausdrücklich „ein Verfahren zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses“ voraussetzt. Ist ein Verfahrenserzeugnis demnach „neu“, greift im Rahmen eines Verletzungsprozesses zugunsten des Patentinhabers die widerlegbare Vermutung, dass das angegriffene Erzeugnis unter Anwendung des geschützten Verfahrens hergestellt wurde. Der potenzielle Verletzer muss dann beweisen, dass er selber tatsächlich ein anderes Verfahren verwendet hat und trotzdem zum „gleichen“ Ergebnis gekommen ist.Footnote 268 Eine entsprechende Beweislastregelung ist zwar nicht dem EPÜ, wohl aber Art. 34 Abs. 1 TRIPS zu entnehmen.Footnote 269 Neben dieser Rechtsfolge macht der § 139 Abs. 3 S. 1 PatG jedoch – ebenso wenig wie das TRIPS –Footnote 270 keine Aussage darüber, wann ein solch neues Erzeugnis vorliegt. Teilweise wird daher vertreten, den sogenannten absoluten Neuheitsbegriff i.S.d. § 3 Abs. 1 S. 1 PatG / Art. 54 Abs. 1 EPÜ als Maßstab für § 139 Abs. 3 S. 1 PatG heranzuziehen.Footnote 271 Eine Erfindung gilt demnach „als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört.“ Das bedeutet, dass die patentfähige Erfindung gegenüber allen technischen Lehren neu sein muss, die gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 PatG / Art. 54 Abs. 2 EPÜ irgendwann, irgendwo in irgendeiner Weise vor dem maßgebenden Zeitpunkt der Anmeldung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind.Footnote 272 Gegen die Heranziehung der Wertungen des absoluten Neuheitsbegriffs wird eingewandt, dass bereits durch die bloße Existenz eines vorbekannten Produkts mit gleichen Eigenschaften belegt sei, dass die Herstellung des geschützten Verfahrenserzeugnisses auch unter Anwendung eines anderen als der geschützten Verfahrenslehre möglich war.Footnote 273 Die beiden Neuheitsbegriffe müssten sich nicht stets decken.Footnote 274 Es widerspricht auch nicht dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung, in einem Gesetz wiederholt verwendete Begriffe unterschiedlich auszulegen. Schließlich handelt es sich bei § 3 PatG / Art. 54 EPÜ um eine materielle, bei § 139 Abs. 3 S. 1 PatG um eine prozessuale Vorschrift. Der Gesetzgeber hätte bei gegenteiligem Deutungswillen problemlos einen Klammerverweis auf § 3 PatG in den Wortlaut einfügen können. Es erscheint daher überzeugend, von einem eigenständigen Neuheitsbegriff im Rahmen des § 139 Abs. 3 S. 1 PatG auszugehen.

Letztlich kann die Frage, ob im Rahmen des derivaten Verfahrenserzeugnisschutzes der absolute oder ein anderer Neuheitsbegriff zu verwenden ist, allerdings offenbleiben. Denn nach der neueren Rechtsprechung genügt es für die Annahme der Neuheit bereits, wenn sich das geschützte Verfahrenserzeugnis im Prioritätszeitpunkt des VerfahrenspatentsFootnote 275 in wenigstens einer Eigenschaft von den vorbekannten Produkten unterscheidet.Footnote 276 Dies lässt bereits der Umkehrschluss aus § 139 Abs. 3 S. 1 PatG zu, der nicht auf neue Erzeugnisse hätte beschränkt werden brauchen, wenn ohnehin keine anderen Erzeugnisse vom Schutz des § 9 S. 2 Nr. 3 PatG / Art. 64 Abs. 2 EPÜ erfasst wären.Footnote 277 Da neben der Neuherstellung auch bereits eine Bearbeitung die Herstellung begründen kann,Footnote 278 kommt es im Rahmen der Prüfung des i.S.d. § 9 S. 2 Nr. 3 PatG / Art. 64 Abs. 2 EPÜ nicht auf das Sachmerkmal der Neuheit an.Footnote 279

2.4.1.1.3.2.2 Umcodierung als Bearbeitung

Es kann daher ebenfalls genügen, dass der hervorgebrachte Gegenstand vorher schlicht noch nicht vorhanden war, ohne dass es – wie in den zuvor genannten Fällen der Neuherstellung – auf die Unterscheidbarkeit der Eigenschaften von auf anderem Wege hergestellten gleichartigen Gegenständen ankommt.Footnote 280 Demnach könnte auch in einer bloßen Umcodierung von Daten eine „Bearbeitung“ liegen.Footnote 281 Hierfür spricht, dass mit jeder Codierung eine gewisse Art von Umwandlung von Ausgangsdaten in andere Daten verbunden ist,Footnote 282 wie z. B. bei einem Verfahren zum Umcodieren einer Folge Datenbits in eine Folge Kanalbits,Footnote 283 zur Umwandlung digitaler, als Steuerzeichen für den Drucker fungierender DatenFootnote 284 oder zur Festlegung der zeitlichen Abfolge eines Datenformats.Footnote 285

Ließe man jedoch jede Umcodierung von Daten zur Einordnung als Herstellungsverfahren ausreichen, würde dies den Anwendungsbereich des § 9 S. 2 Nr. 3 PatG / Art. 64 Abs. 2 EPÜ allzu weit ausdehnen. Als Begrenzungsmaßstab könnte man daher die zu sog. Arbeitsverfahren entwickelten Grundsätze heranziehen.

2.4.1.1.3.2.3 Abgrenzung zum Arbeitsverfahren

Nicht in den Anwendungsbereich von § 9 S. 2 Nr. 3 PatG / Art. 64 Abs. 2 EPÜ fallen laut der Rechtsprechung Ergebnisse reiner Arbeitsverfahren, bei denen keine neue Sache geschaffen wird, sondern lediglich auf eine Sache eingewirkt wird, ohne Veränderungen an ihr vorzunehmen.Footnote 286 Behält die behandelte Sache ihre bereits vorhandene Zweckbestimmung und Funktion bei, ist mithin kein Verfahrenserzeugnis anzunehmen.Footnote 287 Maßgeblicher Betrachtungsmaßstab ist die Verkehrsauffassung,Footnote 288 für welche in erster Linie die berechtigten Erwartungen der Mehrheit der Abnehmer des Erzeugnisses von Bedeutung sind.Footnote 289

2.4.1.1.3.2.3.1 Abgrenzungsbeispiele aus der Rechtsprechung

Die in der Rechtsprechung existierenden Beispiele für Arbeitsverfahren gehen häufig von einem körperlichen Verfahrensgegenstand aus. So soll etwa das bloße „Fördern, Wenden, Ordnen, Zählen oder Reinigen“ des Ausgangsstoffes nicht unter den Begriff der „Herstellung“ fallen.Footnote 290 Gleiches gilt für Veränderungen, die lediglich auf die Oberfläche des betroffenen Gegenstandes einwirken, wie z. B. das Streichen oder Polieren.Footnote 291 Der BGH hat überdies ein Verfahren zur Reparatur eines Motorenblocks nicht als Herstellungsverfahren angesehen und dem reparierten Motorenblock dementsprechend die Verfahrenserzeugnisqualität abgesprochen, da dieser auch im defekten Zustand nicht völlig wertlos („Schrott“) war und die Reparatur demnach seine ursprüngliche Zweckbestimmung und Funktion nicht wesentlich verändert hatte.Footnote 292

Dem streitgegenständlichen Verfahren der Rezeptortyrosinkinase II-Entscheidung lagen dagegen Daten und damit unkörperliche Gegenstände zugrunde. Als beispielhafte Arbeitsverfahren nennt der BGH in diesem Zusammenhang Fälle, in denen der Gegenstand lediglich „untersucht, gemessen oder befördert“ wird.Footnote 293 In ähnlicher Weise zählen die Beschwerdekammern neben Messverfahren auch bloße Test- und Auswahlverfahren nicht zu Herstellungsverfahren i.S.d. Art. 64 Abs. 2 EPÜ, sofern diese „nur Informationen hervorbringen“.Footnote 294 Auch für das OLG Düsseldorf ist die Gewinnung einer Erkenntnis das „typische Kennzeichen eines Arbeitsverfahrens“.Footnote 295

2.4.1.1.3.2.3.2 Abgrenzungsmaßstäbe aus der Literatur

Die Ansichten in der Literatur zur Abgrenzung zwischen Herstellungs- und Arbeitsverfahren sind uneinheitlich und im Einzelnen nicht eindeutig geklärt.Footnote 296 Der überwiegende Teil der Literatur urteilt ebenfalls vorwiegend anhand der objektiven Verkehrsanschauung,Footnote 297 wobei sich die Ansichten lediglich in der Schwerpunktsetzung unterscheiden. Während Mes beispielsweise den Grad der Übereinstimmung zwischen Ausgangs- und Endprodukt für entscheidend hält,Footnote 298 schlägt Scharen dagegen vor, nach dem Grad der Einwirkung zu differenzieren.Footnote 299 Kraßer/Ann lehnen es ab, jede wirtschaftlich nicht ganz unbedeutende Veränderung eines Ausgangsstoffes als Herstellungsverfahren einzuordnen.Footnote 300 Die bloße Überprüfung eines Ausgangsstoffes sprenge überdies die Wortlautgrenze der „Herstellung“.Footnote 301 Allein Mellulis zieht es vor, in erster Linie nach dem „sachlich gewollten“ Inhalt der Patentschrift zu urteilen. Habe etwa ein Verfahren zur Schädlingsbekämpfung lediglich den Zweck, die betroffenen Insekten zu töten, bedürfe es so gar nicht der – in diesem Fall wohl bewusst absurden – begrifflichen Zuordnung, ob nun die körperlichen Überreste als Verfahrenserzeugnis einzuordnen sind oder nicht. Schweige die Patentschrift allerdings darüber, ob die unter Schutz gestellte Lehre auch auf die Erzeugung eines Produktes gerichtet ist, könne „auch die Verkehrsanschauung hilfreich sein“.Footnote 302

2.4.1.1.3.2.3.3 Diskussion und eigene Stellungnahme

Betrachtet man die vom BGH beispielhaft genannten Arbeitsverfahren im Bereich der Datenverarbeitung („untersucht, gemessen oder befördert“), liegt es aus Gründen der Rechtssicherheit nahe, die Abgrenzung zum Herstellungsverfahren in erster Line anhand der Verkehrsanschauung, und damit des tatsächlichen Verständnisses des angesprochenen Verkehrskreises, vorzunehmen. Denn im informatorischen Sinne lässt sich das „Befördern“ von Daten ohne weiteres als deren Übertragung oder Übermittlung vom Absender zum Empfänger verstehen.Footnote 303 Messungen sind Ermittlungen einer quantitativen Aussage über eine physikalische Größe,Footnote 304 und beinhalten damit Akte des „Zählens“ im weiteren Sinne. Die Datenmessung lässt sich auch als Datenerfassung umschreiben. Eine Untersuchung zielt vorrangig auf die Gewinnung einer intellektuellen Erkenntnis ab, sei es aus kommerziellem, therapeutischem oder sonstigem Informationsinteresse heraus.Footnote 305 Entsprechend können auch Akte der reinen Datenanalyse bzw. AuswertungFootnote 306 als Arbeitsverfahren eingestuft werden. Eine solche Betrachtungsweise würde jedoch dazu führen, dass die Annahme eines Herstellungsverfahrens bereits dann ausscheidet, sobald im Rahmen der erfindungsgemäßen Lehre Verfahrensschritte beansprucht werden, die jeglicher Datenverarbeitung immanent sind.

Um eine derart weitreichende Einschränkung des Verfahrenserzeugnisschutzes zu verhindern, bedarf es also zusätzlicher Kriterien, anhand derer die Verkehrsanschauung eine Abgrenzung vornehmen kann. Die in der Literatur hierzu entwickelten Ansätzen, wie der Grad der Einwirkung auf die Sache oder der Grad der Übereinstimmung zwischen Ausgangsstoff und hergestellter Sache, mögen bei körperlicher Einwirkung auf den erfindungsgemäßen Gegenstand hilfreich sein. Im Bereich der nicht-körperlichen Gegenstände bereitet die tatsächliche Feststellung von Abweichung oder Übereinstimmung in der stofflichen Konsistenz jedoch naturgemäß Schwierigkeiten. So ist es zwar möglich, dass sich eine patentgemäß codierte Signalfolge anhand der objektiv messbaren Datenmenge von den ursprünglichen Ausgangsdaten unterscheiden lässt.Footnote 307 Setzt das Codierungsverfahren jedoch eine spiegelbildliche Decodierung voraus, um die erzeugten Daten wirtschaftlich brauchbar zu nutzen, wird der Verkehr lediglich die decodierten Daten wahrnehmen.Footnote 308

Lässt sich die Verkehrsauffassung nicht eindeutig feststellen, sollte mithin eine wertende Betrachtung vorgenommen werden,Footnote 309 die sich in erster Linie an der Patentschrift und dem daraus zum Ausdruck kommenden funktionalen Zweck des Verfahrenserzeugnisses orientiert.Footnote 310 Denn wenn bereits objektiv kleinste Veränderungen am Ausgangsstoff die Annahme eines Herstellungsverfahrens rechtfertigen können, kommt letztlich nur die in der Patentanmeldung ausgedrückte Zweckrichtung des Verfahrens als Korrektiv zur Begrenzung des Verfahrenserzeugnisschutzes in Betracht. Gleichzeitig wird der Schutzumfang des Verfahrenserzeugnisses durch die gesetzlich vorgegebenen Ausschlussgründe des Patentschutzes begrenzt. Ein vorrangig auf die Erlangung von „Informationen“ i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 4 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. d EPÜ gerichtetes Datenverarbeitungsverfahren stellt damit kein Herstellungsverfahren i.S.d. § 9 S. 2 Nr. 3 PatG / Art. 64 Abs. 2 EPÜ dar.

2.4.1.1.3.2.3.4 Fazit

Für die Annahme eines Arbeitverfahrens ist es mithin erforderlich, aber auch ausreichend, wenn das erfindungsgemäße Verfahren bereits nach der Verkehrsanschauung oder – falls diese nicht festzustellen ist – anhand des sachlich gewollten Inhalts der Patentschrift die bloße Erzielung einer Erkenntnis oder Information bezweckt, was wiederum typischerweise bei Verfahren zur Messung, Übertragung und/oder Analyse von Daten der Fall ist.

2.4.1.1.3.3 Daten als Enderzeugnis

Das Endergebnis der Verfahrensmaßnahmen ist das Enderzeugnis,Footnote 311 auch Verfahrenserzeugnis genannt. Das Verfahrenserzeugnis muss nach der Rechtsprechung kein körperlicher Gegenstand sein.Footnote 312 Darüber hinaus kommt es für die Anerkennung des derivaten Erzeugnisschutzes nicht darauf an, ob die Daten langfristig auf einem physischen Trägermedium gespeichert werden oder nur vorübergehend, etwa in einem flüchtigen Cache-Speicher, gesichert und nach der Verwendung sofort „verbraucht“ werden.Footnote 313 Folglich kann ein Verfahren zur Erzeugung von elektromagnetisch übertragenen Fernsehbildern ein dem Schutz der Vorschrift unterfallendes Erzeugnis hervorbringen, weil das Verfahrenserzeugnis (das elektromagnetische Signal als elektromagnetische Welle) bestimmte physikalische Eigenschaften besitzt.Footnote 314 Handelt es sich um ein chemisches Verfahren und lässt sich der hervorgebrachte Stoff durch seinen technischen Fachbegriff vollständig definieren, ist dessen chemische Struktur-Formel nicht zwingend im Verfahrensanspruch aufzunehmen.Footnote 315 Entsprechend genügt die konkrete Bezeichnung des hergestellten Datenformats bzw. der Datenstruktur, um die dahinter liegende Anordnung der bits bestimmbar zu beschreiben.

Als Formulierungsbeispiel kann etwa der in der MPEG2-Entscheidung streitgegenständliche Anspruch 11 herangezogen werden, der ein Verfahren zur Erzeugung des Signals – unabhängig von einem bestimmten Datenträger –Footnote 316 beschreibt:

„Verfahren zum Codieren von Videodaten, die aufeinander folgende Vollbilder von Videobildern repräsentieren,

(1) bei dem die Videodaten für jedes Vollbild verschachtelte erste und zweite Teilbilder besitzen […]“.Footnote 317

Die weiteren Schritte des beanspruchten Verfahrens enthielten unter anderem das „Empfangen“, „Separieren“, „Ableiten“, „Bestimmen“, Speichern“ und „Erzeugen“ der zugrundeliegenden Video-, Bild- und/oder Pixeldaten.Footnote 318

Ein Irrtum über die Konstitution des Endprodukts steht der Patentierung dabei nicht entgegen, solange die Verfahrensmaßnahmen hinreichend offenbart sind.Footnote 319 Das Verfahren selbst muss im Erzeugnis nicht unbedingt wahrnehmbar, d. h. äußerlich erkennbar sein.Footnote 320 Entscheidendes Kriterium bleibt, dass es sich um einen Gegenstand handelt, der bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen dem Schutz durch ein Erzeugnispatent zugänglich ist.Footnote 321

2.4.1.1.3.4 Zusammenfassung

Es lässt sich festhalten, dass Daten durch eine erstmalige Codierung oder Umcodierung taugliche Gegenstände eines Herstellungsverfahrens sein können. Für den Verfahrenserzeugnisschutz von Daten ist es notwendig, aber auch ausreichend, wenn die hergestellte Datenstruktur so vor der Codierung noch nicht vorgelegen hat.Footnote 322 Zur Verneinung eines bloßen Arbeitsverfahrens genügt es bereits, wenn sich aus der Patentschrift ergibt, dass die erzeugte oder geänderte Datenstruktur nicht ausschließlich zur Erlangung, Gewinnung oder Auswertung der darin codierten Informationen dient, was typischerweise bei reinen Mess-, Übertragungs- und Analyseverfahren der Fall ist.

2.4.1.1.4 Unmittelbarkeit des Herstellungsverfahrens

Der Schutz des § 9 S. 2. Nr. 3 PatG / Art. 64 Abs. 2 EPÜ ist auf die durch das Verfahren „unmittelbar“ hergestellten Erzeugnisse beschränkt.Footnote 323 Nach dem Kommissionsbericht der XI. Reichstagskommission bei der Vorlage des § 4 S. 2 PatG – dem heutigen § 9 S. 2 Nr. 3 PatG – ist das Tatbestandsmerkmal in die Norm mit aufgenommen worden, um den Schutz nicht so weit auszudehnen, insbesondere um zu verhüten, dass etwa Gegenstände, die mit Stoffen zusammen verarbeitet sind, welche nach einem patentierten Verfahren hergestellt werden, auch von dem Patent erfasst werden.Footnote 324

Ziel des Gesetzgebers war es, durch das Tatbestandsmerkmal der „Unmittelbarkeit“ eine zu weite Ausdehnung des Erzeugnisschutzes zu verhindern,Footnote 325 da er in der etwaigen Einbeziehung erfindungsfremder Gegenstände eine zu starke Beschränkung des freien Warenverkehrs sah.Footnote 326 Die genaue Bestimmung der Unmittelbarkeit zwischen Verfahren und Erzeugnissen bereitet jedoch seit Einführung des Kriteriums Schwierigkeiten.Footnote 327

2.4.1.1.4.1 Das Unmittelbarkeitserfordernis in der Literatur

Die Ansichten in der Literatur waren und sind in diesem Zusammenhang nicht immer verständlich,Footnote 328 sodass vieles im Einzelnen nach wie vor streitig ist.Footnote 329 Einigkeit herrscht zumindest darüber, dass ein hinreichender Zusammenhang zwischen Verfahren und Erzeugnis bestehen muss.Footnote 330 Die bloße Kausalität i.S.d. conditio sine qua non genügt hingegen nicht.Footnote 331 Dass das geschützte Verfahren mehrere Schritte aufweist, steht an sich der Unmittelbarkeit nicht entgegen.Footnote 332 Gleichzeitig erscheint es angesichts der Vielzahl der in Betracht kommenden Verfahrensarten nicht zielführend, allein anhand der Anzahl der Verfahrensschritte eine Aussage über die Unmittelbarkeit zu treffen.Footnote 333 Ebenso unerheblich ist es, ob die Verfahrensschritte nur von einer oder verschiedenen Personen ausgeführt werden.Footnote 334

2.4.1.1.4.1.1 Der Chronologische Ansatz

Eine „Unmittelbarkeit“ zwischen Verfahren und Erzeugnis i.S.d. § 9 S. 2 Nr. 3 PatG wird jedenfalls dann zu bejahen sein, wenn es sich bei dem angegriffenen Produkt um einen Gegenstand handelt, der mit Abschluss des allerletzten Schritts des geschützten Verfahrens hergestellt wird.Footnote 335 Das soll dann der Fall sein, wenn dem patentgemäßen Verfahren keine weiteren Bearbeitungs- oder Behandlungsmaßnahmen nachfolgen, um zum Enderzeugnis zu gelangen.Footnote 336 Bei einem mehrstufigen Produktionsablauf muss das geschützte Verfahren den letzten Verfahrensschritt darstellen, sonst wäre der Unmittelbarkeitszusammenhang unterbrochen. Ist beispielsweise „V“ das geschützte Verfahren, so ist das Produkt „P“ nicht mehr unmittelbares Verfahrenserzeugnis, wenn nach dem Verfahren „V“ zusätzlich noch der Schritt „S“ durchgeführt wird oder werden muss, um „P“ zu erhalten. Ein solcher zusätzlicher Schritt „S“ könnte beispielsweise das Polieren eines Metallteils oder die Konfektionierung eines pharmazeutischen Wirkstoffs zu einem Arzneimittel darstellen.Footnote 337 Anklänge dieses – von Beier/Ohly als „chronologisch“ bezeichneten –Footnote 338 Ansatzes finden sich bereits in der Rechtsprechung des RG.Footnote 339

2.4.1.1.4.1.1.1 Argumente für den Chronologischen Ansatz

Für den chronologischen Ansatz spricht der Wortlaut des § 9 S. 2 Nr. 3 PatG / Art. 64 Abs. 2 EPÜ, da man „unmittelbar“ am ehesten mit „ohne Zwischenschritte“ umschreiben kann.Footnote 340 Auch ist eine rechtssichere Handhabung in der Praxis nicht von der Hand zu weisen. Denn das Verfahrenserzeugnis ließe sich hiernach eindeutig und ausschließlich anhand der Formulierung des Patentanspruches bestimmen.Footnote 341 Immerhin wird der Schutzbereich des Patents durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt gemäß § 14 S. 1 PatG / Art. 69 Abs. 1 S. 1 EPÜ.Footnote 342

2.4.1.1.4.1.1.2 Argumente gegen den Chronologischen Ansatz

Den Umfang des Sachschutzes von Formulierungsfragen abhängig zu machen, wird teilweise als zufällig und nicht sachgerecht empfunden.Footnote 343 Es sei dem Patentanmelder kaum zuzumuten, alle in Betracht kommenden Verfahrensarten – etwa die verschiedenen Applikationsformen zur Herstellung eines Arzneimittels – in den Anspruch aufzunehmen, ohne gleichzeitig gegen das KnappheitsgebotFootnote 344 des Art. 84 S. 2 EPÜ (bzw. das Erfordernis in § 34 Abs. 3 Nr. 2 PatG, die Erfindung „kurz“ zu bezeichnen) zu verstoßen.Footnote 345 Als Hauptargument gegen diese enge Auslegung des Unmittelbarkeitserfordernisses wird jedoch angeführt, dass in der modernen industriellen Produktion mehrstufige Verfahren üblich sind und der eigentlich innovative Verfahrensschritt nicht immer der letzte sein muss, sondern zu einem früheren Zeitpunkt des Produktionsprozesses stattfinden kann.Footnote 346 Um den Patentinhaber für diese Fälle nicht schutzlos zu stellen, sei der rein naturwissenschaftlich-formalen eine patentrechtliche Wertung vorzuziehen.Footnote 347

2.4.1.1.4.1.2 Die Eigenschaftstheorie

Dementsprechend fragt der maßgeblich von Bruchhausen entwickelte Ansatz, die sogenannte Eigenschaftstheorie,Footnote 348 danach, inwieweit die „wesentlichen Eigenschaften“ eines durch ein patentgeschütztes Verfahren hergestelltes Erzeugnis durch eine weitere Behandlung „verändert“ werden.Footnote 349 Als weitere Behandlungsschritte kommen etwa die Verarbeitung oder Umbildung sowie die Verbindung oder Vermischung des (Zwischen-)Produkts in Betracht.Footnote 350 Wesentlich seien diejenigen Eigenschaften, welche die erfinderische Leistung der jeweiligen Erfindung „konkretisieren und […] prägen“.Footnote 351 Nur wenn diese wesentlichen Eigenschaften im Endprodukt auch nach weiteren Verfahrensschritten noch vorhanden sind, könne weiterhin ein unmittelbares Verfahrenserzeugnis angenommen werden.Footnote 352

Die Eigenschaftstheorie dürfte mittlerweile die herrschende Lehre darstellen,Footnote 353 innerhalb derer die Begriffe „Eigenschaft“ und „Wesentlichkeit“ jedoch unterschiedlich ausgelegt werden.

2.4.1.1.4.1.2.1 Arten wesentlicher Eigenschaften

Die charakteristischen Eigenschaften können beispielsweise in der Form, im Aussehen, in der sinnlichen Wahrnehmbarkeit oder in sonstigen Gebrauchsmerkmalen liegen.Footnote 354 Als funktionale Eigenschaft eines Halbleiterbauelements kommen etwa die die Leitungsgeschwindigkeit beeinflussende Abmessung oder die Lage der Leiterbahnen in Betracht.Footnote 355 Entsprechendes kann für dessen Widerstandswert oder Induktivität gelten.Footnote 356 Vor dem Hintergrund volkswirtschaftlicher Erwägungen und dem Belohnungsgedanken zugunsten des Patentinhabers wollen Rinken/Kühnen auch die Höhe der für die Herstellung des Erzeugnisses anfallenden Produktionskosten als Eigenschaft werten.Footnote 357 Bereits in der Vergangenheit gab es Stimmen in der Literatur, die solch rein wirtschaftliche Vorteile des Verfahrenserzeugnisses berücksichtigen wollten.Footnote 358 Kraßer/Ann sehen darin die Gefahr der grenzenlosen Ausuferung des Verfahrenserzeugnisschutzes.Footnote 359

2.4.1.1.4.1.2.2 Abgrenzungskriterien für die Annahme der Wesentlichkeit

In der Literatur werden zur Annahme der Wesentlichkeit verschiedene Abgrenzungskriterien vorgeschlagen. So will beispielsweise Ensthaler in der Tradition mehrerer Entscheidungen des RG darauf abstellen, ob das Erzeugnis als unselbstständiger Teil eines neuen Ganzen anzusehen ist.Footnote 360 Diese Ansicht wird von Kraßer/Ann als zu formalistisch und zu stark an den zivilrechtlichen Wertungen des „wesentlichen Bestandteils“ nach den §§ 93 ff., 946 f. BGB orientiert abgelehnt.Footnote 361 Dieses Argument kann dem Ansatz der Autoren jedoch selbst entgegengehalten werden, da sich die von ihnen aufgeworfene Frage – nämlich ob ein Erzeugnis bei der Zusammenfügung mit einem anderen Material „aufgeht“, mithin „wirtschaftlich als verbraucht“ anzusehen ist –Footnote 362 ebenfalls eindeutig der Wertung des § 92 BGB („verbrauchbare Sachen“) entlehnt ist.

Kühnen gibt zu bedenken, dass die Wahrnehmung der Verkehrsauffassung, ob ein bestimmter technischer Aspekt für die Verkehrsanschauung wesentlich oder prägend sei, häufig maßgeblich von der werblichen Präsentation der jeweiligen Eigenschaft abhängt. Da die Intensität und Dauer dieser Außendarstellung jedoch wiederum von der Komplexität der Erfindung und dem momentanen Kundeninteresse beeinflusst sei, berge dies die Gefahr, letztlich einen Verfahrenserzeugnisschutz nach dem Zufall des Zeitgeistes zu schaffen.Footnote 363 Anstelle der Verkehrsauffassung sei daher eine „natürliche Betrachtung“ anzustellen, die sich an patentrechtlichen Wertungen orientiert.Footnote 364 Kühnen schlägt mithin vor, zur Abgrenzung die Grundsätze zur Rechtsfigur der sogenannten verschlechterten AusführungsformFootnote 365 heranzuziehen.Footnote 366 Hiernach kann eine Patentverletzung im Äquivalenzbereich nur dann angenommen werden, wenn der patentgemäße Vorteil zumindest in einem praktisch relevanten Umfang in der angegriffenen Abwandlung vorhanden ist.Footnote 367 Dementsprechend könne von Unmittelbarkeit nicht mehr die Rede sein, wenn die besagten Eigenschaften der patentgemäßen Erfindung nicht mehr in einem praktisch relevanten Umfang existieren.Footnote 368 Zudem müsse sich das Verfahrenserzeugnis nach natürlicher Betrachtung bloß als eine andere Erscheinungsform des Ausgangserzeugnisses darstellen.Footnote 369

2.4.1.1.4.1.2.3 Kritik an der Eigenschaftstheorie

Keukenschrijver kritisiert, dass das Abstellen auf das Fortwirken der Eigenschaften den Schutz für das Verfahrenserzeugnis über Gebühr ausdehne.Footnote 370 Jestaedt/Osterrieth lehnen die Eigenschaftstheorie mit der Begründung ab, dass nur der chronologische Ansatz mit dem in § 14 S. 1 PatG / Art. 69 S. 1 EPÜ niedergelegten Grundsatz der Schutzbereichsbestimmung in Einklang zu bringen sei.Footnote 371 Der Patentanmelder könne zusätzliche Angaben zum gewünschten Verfahrensprodukt oder Arbeitsergebnis im Patentanspruch machen, ohne Gefahr zu laufen, den Schutzbereich seines Verfahrenspatentes dadurch zu beschränken.Footnote 372

2.4.1.1.4.2 Das Unmittelbarkeitserfordernis in der neueren Rechtsprechung

Die Rechtsprechung hat den Begriff lange Zeit nicht einheitlich ausgelegt.Footnote 373 So hat das BPatG etwa bei einem Verfahren zur Herstellung von Kautschukmischungen für die Erzeugung von Luftreifen, die aus Mischungen und Zusätzen hergestellten Reifen, nicht als unmittelbare Verfahrenserzeugnisse angesehen.Footnote 374 Dagegen wurde die isolierte Verbindung einer kristallinen Form, die beim Aufarbeiten eines Reaktionsgemisches angefallen war, als das unmittelbare Ergebnis eines chemischen Herstellungsverfahrens eingeordnet.Footnote 375 Eine ähnlich eingeschränkte Betrachtung galt für die bloße Konfektionierung von Arzneimittelwirkstoffen mit Verdünnungsmitteln und Trägerstoffen, durch welche die therapeutische Eigenschaft der Wirkstoffe nicht verändert wurde.Footnote 376

In aktuelleren Entscheidungen der Instanzrechtsprechung lässt sich eine deutliche Tendenz hin zur Eigenschaftstheorie ausmachen, da der chronologische Ansatz in den Begründungen meist zwar leitsatzartig vorangestellt, jedoch nicht tragender Urteilsgrund wird.Footnote 377 So muss das patentierte Verfahren laut dem OLG Düsseldorf nicht in jedem Fall der allerletzte Schritt in der zum angegriffenen Produkt führenden Herstellungskette sein. Denn losgelöst von der vorstehenden, rein zeitlich-chronologischen Betrachtung sei eine „Unmittelbarkeit“ auch dann gegeben, wenn sich das angegriffene Erzeugnis zwar nicht als Resultat des zeitlich letzten Verfahrensschritts darstellt, sondern als ein Zwischenprodukt, das im Anschluss an das patentgeschützte Verfahren weiteren Behandlungsmaßnahmen unterzogen worden ist, sofern das patentierte Verfahren zur Hervorbringung des Erzeugnisses bestimmungsgemäß und nach der Verkehrsanschauung wesentlich beigetragen hat und das durch die Erfindung geschaffene Erzeugnis seine charakteristischen Eigenschaften und seine Selbstständigkeit durch die weiteren Behandlungsschritte nicht eingebüßt hat.Footnote 378

Der BGH hat diesen Ansatz im vorliegenden Fall zumindest insofern gebilligt, als dass er der Vorinstanz bei der Bejahung des unmittelbaren Verfahrenserzeugnisses „im Ergebnis beipflichtet“.Footnote 379 In der Sache wertete der BGH die ins Inland eingeführten DVDs jedoch nicht als Vervielfältigungen oder „Weiterverarbeitung“ der darauf gebrannten Datenstruktur, sondern als die von einem Substrat losgelöste Datenfolge in einer konkret „materialisierten“ Form.Footnote 380 Damit stellte sich für den BGH die Frage der Unmittelbarkeit des Verfahrenserzeugnisses nicht.Footnote 381 Eine eindeutige höchstrichterliche Entscheidung zum Verhältnis zwischen chronologischem Ansatz und der Eigenschaftstheorie fehlt damit bislang.Footnote 382

2.4.1.1.4.3 Diskussion und eigene Stellungnahme

Die mit dem chronologischen Ansatz verbundene Rechtssicherheit für Dritte ist nicht isoliert zu betrachten, sondern konkurriert mit dem gleichfalls zu beachtenden Belohnungsgedanken zugunsten des Erfinders.Footnote 383 So hat der BGH in einem Fall zur Patentverletzung mit äquivalenten Mitteln ausgeführt, dass „die Einbeziehung einer Ausführungsform in den Schutzbereich eines Patents nicht allein deshalb abgelehnt werden [könne], weil der Patentinhaber es versäumt hat, seinem Patent eine Fassung zu geben, bei der die Ausführungsform vom Wortsinn des Patentanspruchs erfasst wäre“.Footnote 384 Überträgt man nun diese wertende Betrachtung auf die Bestimmung des Schutzbereichs von Verfahrenspatenten, ließe sich der von Jestaedt/OsterriethFootnote 385 angeführte Widerspruch mit der Pflicht zur Bestimmung des Schutzbereiches zumindest für diejenigen Verfahrenserzeugnisse entkräften, die auch nach weiteren Be– oder Verarbeitungsschritten den Sinn und Zweck der Erfindung, mithin den Erfindungsgedanken, weiter in sich tragen. Dieser wertenden Betrachtung sollte auch Vorrang vor einer allzu strengen Auslegung des Wortes „unmittelbar“ nach der tatsächlichen oder natürlichen Verkehrsanschauung eingeräumt werden. Denn je schneller, umfangreicher und komplexer Datenverarbeitungsverfahren ausgestaltet sind, desto schwieriger lässt sich bei natürlicher Betrachtung bestimmen, wann ein bestimmter Codierungsschritt endet und wann ein neuer beginnt. Die Eigenschaftstheorie bietet daher grundsätzlich den flexibleren Ansatz zur Bestimmung des Unmittelbarkeitskriteriums.

Bei der Bestimmung der wesentlichen Eigenschaften von Daten wird man allerdings nicht ausschließlich auf deren fehlenden Materialität, Abnutzbarkeit, Rivalität und Exklusivität abstellen können, da diese Negativ-Kriterien naturgemäß sämtlichen Daten zu eigen sind. Die von Kraßer/AnnFootnote 386 und EnsthalerFootnote 387 aufgestellten, an den Vorschriften der §§ 90 ff. BGB orientierten Abgrenzungskriterien zur Bestimmung der Wesentlichkeit erweisen sich ebenfalls als wenig hilfreich, da Daten als unkörperliche Gegenstände weder den Bestandteil einer Gesamtsache ausmachen noch verbraucht werden können. Die von KühnenFootnote 388 herangezogene Berücksichtigung wirtschaftlicher Erwägungen zur Bestimmung der wesentlichen Eigenschaften mag noch Rückhalt in der MPEG2-Entscheidung haben, da der BGH darin die Gleichstellung des Verfahrenserzeugnisschutzes mit dem des Sacherzeugnisschutzes unter anderem dadurch rechtfertigt, dass die Daten „Gegenstand des Handelsverkehrs“Footnote 389 sein können. Ein solche wirtschaftliche Betrachtungsweise würde es beispielsweise ermöglichen, die Höhe des Investitionsaufwandes bei der Datenerzeugung oder Umwandlung als Eigenschaft zu zählen. Die Frage, ob ein Erzeugnis ein selbstständig handelbares Wirtschaftsgut darstellt, erscheint jedoch sachfremd für die Bestimmung der Grenzen der Ausschließlichkeitsrechte im Rahmen § 9 S. 2 Nr. 3 PatG.Footnote 390 Dafür spricht, dass der BGH das Kriterium der Handelbarkeit in seiner späteren Entscheidung Rezeptortyrosinkinase II nicht mehr explizit aufgegriffen hat. Dort wurde lediglich darauf abgestellt, dass das Ergebnis des Verfahrens ein „prinzipiell taugliches Objekt eines Sachpatents“ sein kann.Footnote 391 Die Wesentlichkeit von Daten im Sinne der Eigenschaftstheorie scheint sich damit in diesem „prinzipiellen Sachpatentschutz“ zu kumulieren, d. h. darin aufzugehen.

2.4.1.1.4.4 Fazit

Das Kriterium der Unmittelbarkeit im Rahmen des Verfahrenserzeugnisschutzes kann nicht allein anhand des chronologischen Ansatzes bestimmt werden, da insbesondere mehrstufige Datencodierungsverfahren einer räumlich-zeitlichen Einteilung einzelner Verfahrensschritte nicht zugänglich sind. Da sich die wesentlichen Eigenschaften von Daten ebenfalls nicht an körperlichen Kriterien festlegen lassen, kann die Begrenzungsfunktion des Unmittelbarkeitskriterium nur dadurch erfüllt werden, dass die hergestellten Daten prinzipiell taugliche Gegenstände des Sacherzeugnisschutzes darstellen. Daten gelten damit stets als unmittelbar hergestellt, solange sie ihren erfindungsgemäßen Zweck erfüllen, unabhängig davon, wie viele und welche Datenverarbeitungsschritte die Daten bereits durchlaufen haben und in welchem Daten- oder Speicherformat die Daten materialisiert sind. Der Begrenzungsfunktion des Unmittelbarkeitskriteriums ist dadurch genüge getan, dass und sofern die Daten einen prinzipiell tauglichen Gegenstand eines Sachpatents darstellen.

2.4.1.2 Prinzipieller Sachpatentschutz des Enderzeugnisses

Der § 9 S. 2 Nr. 3 PatG fingiert einen Sachschutz, der mit demjenigen Schutz übereinstimmt, der bestehen würde, wenn das Verfahrenserzeugnis selbst durch ein Sachpatent geschützt wäre.Footnote 392 Die Erstreckung des Schutzes auf die unmittelbaren Verfahrenserzeugnisse gilt auch dann, wenn das Verfahrenserzeugnis selbst nicht patentierbar wäre, sei es, dass eine Patentierungsvoraussetzung – z. B. die Neuheit – fehlt, sei es, dass das hergestellte Erzeugnis vom Patentschutz ausgenommen ist, wie z. B. Pflanzensorten oder Tierarten.Footnote 393

2.4.1.2.1 Wahrnehmbarkeit in üblicher Form

Eine Voraussetzung für den Schutz von Daten als Verfahrenserzeugnis ist aus Sicht des BGH zum einen,

„dass das Ergebnis des patentierten Verfahrens in einer üblichen Form wahrnehmbar gemacht […] werden kann.“Footnote 394

Dabei geht der Senat jedoch nicht darauf ein, was genau unter „wahrnehmbar gemacht“ oder der „üblichen Form“ zu verstehen ist.

2.4.1.2.1.1 Mittelbare Sinneswahrnehmung

Versteht man Daten als maschinenlesbar codierte Informationen ist ihnen gemein, dass sie nicht unmittelbar wahrgenommen werden können.Footnote 395 Mit der Frage der Wahrnehmbarkeit eines Verfahrenserzeugnisses hat sich, soweit ersichtlich, jedoch bisher weder die patentrechtliche Rechtsprechung noch die Literatur näher auseinandergesetzt.Footnote 396 Zur Eingrenzung eines möglichen Begriffsverständnisses sollen daher im Folgenden Wertungen zu parallelen Fragestellungen aus dem BGB und dem StGB näher beleuchtet werden.

2.4.1.2.1.1.1 Wahrnehmbarkeit im bürgerlich-rechtlichen Sinne

Nach bürgerlich-rechtlichem Verständnis ist mit „Wahrnehmbarkeit“ die Möglichkeit der sinnlichen Wahrnehmung durch den Menschen gemeint. Denn, wie Schardt es treffend formuliert, der Mensch funktioniert nicht digital, sondern nach analogen Methoden. Die Schwingungen, die das Trommelfell als Klang oder Sprache entziffert, sind ebenso wenig in ‚Ein – Aus‘ oder ‚Ja – Nein‘ aufzulösen, wie das Bild auf der Netzhaut des Auges.Footnote 397 Daher müsse jede digitale Quelle zunächst zurückverwandelt werden in etwas, was der „analoge“ Organismus des Menschen sinnlich wahrnehmen und verarbeiten kann.Footnote 398

In der h.L. wird die sinnliche Wahrnehmbarkeit eines Gegenstandes darüber hinaus als Indiz für dessen Beherrschbarkeit angesehen.Footnote 399 Ist ein Gegenstand nicht beherrschbar, fehlt ihm die „Körperlichkeit“ i.S.d. § 90 BGB.Footnote 400 Maßgeblich für die Betrachtung ist dabei nicht der letzte Stand der Technik, sondern die Verkehrsanschauung.Footnote 401 Aus diesem Grund wird etwa Energie in Form von elektrischem Strom nicht als Sache angesehen,Footnote 402 obwohl man diesen ohne Zweifel mit technischen Mitteln beherrschbar machen kann.Footnote 403 Betrachtet man Daten als „elektrische Spannungen“ oder „magnetische Polungszustände“ ist ihnen ebenfalls die Körperlichkeit abzusprechen.Footnote 404 Mangels Körperlichkeit fehlt Daten nach bürgerlich-rechtlichen Verständnis damit zwar die Sachqualität. Allerdings lässt sich aus der fehlenden Sachqualität allein nicht auf die fehlendende Wahrnehmbarkeit schließen. Denn auch unkörperliche Gegenstände wie Strom sind für den Menschen sinnlich erfahrbar, wie z. B. durch das Sehen, Hören oder Fühlen eines Funkenschlages. Damit lässt sich anhand der bürgerlich-rechtlichen Verkehrsanschauung keine eindeutige Aussage darüber treffen, welche Anforderungen an die Wahrnehmbarkeit zu stellen sind.

Die Wahrnehmbarkeit im bürgerlich-rechtlichen Sinne beschränkt sich mithin auf die Eigenschaft, durch den Menschen sinnlich wahrgenommen werden zu können. Das Patentrecht gehört im Kernbereich dem Privatrecht an,Footnote 405 so dass das BGB anwendbar ist, soweit das Patentrecht keine abschließenden Sonderregelungen enthält.Footnote 406 Mangels eines speziellen Verständnisses zur Wahrnehmbarkeit im PatG oder EPÜ gilt die bürgerlich-rechtliche Begriffsbewertung mithin auch für das Patentrecht.

2.4.1.2.1.1.2 Wahrnehmbarkeit im strafrechtlichen Sinne

Möglicherweise ergeben sich zusätzliche Erkenntnisse über das Verständnis der Wahrnehmbarkeit aus dem Strafrecht. Dem StGB liegt kein einheitlicher Datenbegriff zugrunde.Footnote 407 Die h.L. unterscheidet jedoch zwischen einem weiten und einem engen Datenbegriff.Footnote 408 Nach § 202a Abs. 2 StGB betrifft das „Ausspähen“ in Abs. 1 nur solche Daten, „die elektronisch, magnetisch oder sonst nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind oder übermittelt werden“. Die nicht unmittelbare Wahrnehmbarkeit ist mithin Voraussetzung für den Datenbegriff der Norm.Footnote 409 Die Einschränkung des Datenbegriffs i.S.d. § 202a StGB auf codierte Informationen, die nicht wahrnehmbar sind, beruht auf dem Gedanken, dass wahrnehmbare, nicht codierte Information ausreichend durch § 201 StGB („Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“) und § 202 StGB („Verletzung des Briefgeheimnisses“) geschützt sind.Footnote 410 Bezugspunkt für diese Wahrnehmbarkeit ist nach überwiegender Ansicht allein die visuelle Erkennbarkeit der Zeichen, die zur Datendarstellung benutzt werden (der Syntax), nicht dagegen die Erkennbarkeit der Bedeutung dieser Zeichen (die Semantik).Footnote 411 Daten i.S.d. des § 202a Abs. 2 StGB sind also nicht unmittelbar wahrnehmbar, wenn ihr Bedeutungsgehalt nicht ohne Weiteres, sondern erst nach technischer Umformung oder mittels technischer Hilfsmittel einer sinnlichen Wahrnehmung zugänglich sind.Footnote 412 Sichtbare Zeichenstrukturen wie z. B. LochkartenFootnote 413 sowie Bar- oder sonstige StrichcodesFootnote 414 sind mithin vom strafrechtlichen Schutz ausgeschlossen. Der Ausschluss gilt dagegen nicht für den sog. Maschinencode, der als binäre Abfolge von „1“ und „0“ allein an den Prozessor eines Computers gerichtet und für einen Menschen so gut wie nicht lesbar ist.Footnote 415 Demnach stellt beispielsweise ein verschlüsseltes Fernsehsignal ein taugliches Tatobjekt des Ausspähtatbestandes dar.Footnote 416

Die zu § 202a Abs. 2 StGB entwickelten Grundsätze zur Auslegung der „unmittelbaren Wahrnehmbarkeit“ lassen sich mit Rücksicht auf die Einheit der Rechtsordnung auf die patentrechtliche Diskussion übertragen. Die Einheit der Rechtsordnung gebietet es, gleiche Begriffe soweit möglich gleich auszulegen.Footnote 417 Zwar wird der Begriff der „unmittelbaren Wahrnehmbarkeit“ im PatG nicht verwendet. Für die Notwendigkeit eines vergleichbares Begriffverständnisses spricht jedoch die Wertung des § 142 Abs. 5 S. 1 PatG, wonach Gegenstände eingezogen werden können, auf die sich die Straftat – d. h. eine patentverletzende Handlung i.S.d. § 142 Abs. 1 PatG i.V.m. § 9 Abs. 1 PatG – bezieht. Geht man nun davon aus, dass Daten dem Verfahrenserzeugnisschutz i.S.d. § 9 S. 2 Nr. 3 PatG zugänglich sind, sollte die Frage, ob Daten taugliche Einziehungsgegenstände i.S.d. §§ 73 ff. StGB bilden können,Footnote 418 aus Gründen der Effektivität und Rechtssicherheit nach möglichst einheitlichen Kriterien beantwortet werden.

Daten im patentrechtlichen Sinne sind mithin wie Daten i.S.d. § 202a StGB nur mittelbar, d. h. unter Zuhilfenahme technischer Mittel, für den Menschen sinnlich wahrnehmbar.

2.4.1.2.1.1.3 Zwischenergebnis

Für die Wahrnehmbarkeit im patentrechtlichen Sinne genügt es mithin, wenn für den menschlichen Empfänger zumindest die Möglichkeit besteht, den semantischen Bedeutungsgehalt des Datums mithilfe eines technischen Mittels sinnlich wahrzunehmen. Dem Schutzbereich des abgeleiteten Erzeugnisschutzes unterfallen damit keine Daten, die sich – möglicherweise technisch bedingt – überhaupt nicht sinnvoll darstellen lassen oder die zumindest während eines bestimmten Verfahrensschrittes ausschließlich für eine Maschine „verständlich“ bzw. lesbar sind.

2.4.1.2.1.2 Übliche Form

Fraglich ist darüber hinaus, welche sinnliche Wahrnehmungsmöglichkeit „üblich“ im Sinne der Rechtsprechung ist. In Betracht kommen grundsätzlich alle Geräte, die sinnlich wahrnehmbare Ergebnisse produzieren können.Footnote 419 Allerdings wird es dabei in der überwiegenden Anzahl der Fälle, um die optische sowie die akustische Wahrnehmung gehen (z. B. Computerbildschirm, Lautsprecher). Daneben können gerade im Bereich der Benutzerschnittstellen auch haptische Wahrnehmungsformen eine komplementäre Rolle spielen. Die ausschließliche Darstellung von Daten als GeschmackFootnote 420 oder GeruchFootnote 421 dürfte zumindest zum jetzigen Zeitpunkt eher unüblich sein. Dies schließt jedoch nicht aus, dass mit zunehmender Etablierung und Ausreifung der Technologien, die Mensch-Computer-Kommunikation betreffen, auch solche Wahrnehmungsmöglichkeiten eine größere Rolle spielen werden. Welche Form der Wahrnehmung „üblich“ ist, lässt sich im Ergebnis nur anhand der Verkehrsanschauung unter Berücksichtigung des jeweiligen Standes der Technik ermitteln.

2.4.1.2.2 Wiederholbare, bestimmungsgemäße Nutzbarkeit

Die weitere Voraussetzung für die Annahme des prinzipiellen Sachpatentschutzes für Daten ist,

„dass das Ergebnis des patentierten Verfahrens […auf diese Weise] wie ein körperlicher Gegenstand beliebig oft bestimmungsgemäß genutzt werden kann.“Footnote 422

Den Ausgangspunkt für die Frage der wiederholbaren, bestimmungsgemäßen Nutzbarkeit des patentgemäßen Verfahrensergebnis bildet zunächst der Schutzbereich des beanspruchten Verfahrenspatents. Der Schutzbereich des Patents wird durch die Patentansprüche bestimmt gemäß § 14 S. 1 PatG / Art. 69 Abs. 1 EPÜ. Das positive Nutzungsrecht des Patentinhabers gemäß § 9 S. 1 PatG / Art. 64 Abs. 1 EPÜ wird damit zumindest auf solche Handlungen beschränkt, die dem Wortsinn der Patentansprüche entsprechen.Footnote 423 Da der in § 9 S. 1 PatG / Art. 64 Abs. 1 EPÜ genannte Benutzungsbegriff die in § 9 S. 2 PatG genannten Benutzungshandlungen umschließt,Footnote 424 muss die sich an den Patentansprüchen orientierte Benutzungsbeschränkung auch für das unmittelbar hergestellte Verfahrenserzeugnis gelten. Das Erfordernis der Nutzbarkeit erschöpft sich damit letztlich im Benutzungsumfang, den bereits der § 9 S. 2 Nr. 3 PatG / Art. 64 Abs. 2 EPÜ gebietet.

2.4.1.2.2.1 Bestimmungsgemäße Nutzbarkeit

Grundsätzlich fällt unter die Benutzungsart des Gebrauchens nach § 9 S. 2 Nr. 3 PatG jedwede Verwendung des unmittelbaren Verfahrenserzeugnisses, die irgendwie als bestimmungsgemäß oder sinnvoll gelten kann.Footnote 425 Aus bürgerlich-rechtlicher Sicht kann sich eine solche Einschränkung der Sach-nutzung etwa aus Vertrag (z. B. „bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme“, § 346 Abs. 2 Nr. 3 BGBFootnote 426; „bestimmungsgemäße Nutzung der Unterkunft“, § 657b Abs. 2 BGBFootnote 427), tatsächlichen Umständen („bestimmungsgemäße[n] Gebrauchs [des Bauwerks]“, § 650a Abs. 2 BGBFootnote 428) oder dem Gesetz (insb. dem Widmungszweck öffentlicher SachenFootnote 429) ergeben. Mithin wird sich auch im Patentrecht nur unter Abwägung der Gesamtumstände im Einzelfall anhand der Verkehrsauffassung feststellen lassen, wann eine bestimmte Datennutzung bestimmungsgemäß erfolgt ist. Ist beispielsweise ein Mobiltelefon werkseitig mit Mitteln zum Abspielen von Standard-Videodatei-Formaten ausgestattet (wie z. B. dem Google Chrome Browser zum Abspielen von MPEG-4-Dateien), so stellt bereits das Speichern mit der Möglichkeit des späteren Abspielens von nach den gängigen Standards codierten Videos einen bestimmungsgemäßen Gebrauch der patentgemäß codierten Signalfolgen dar, da die Abspielmöglichkeit für den Endkunden einen Nutzwert aufweist.Footnote 430 Wirtschaftlich sinnvolle Datenverarbeitungsschritte, wie die hier zum Abspielen zwangsläufig notwendige Videodecodierung, können also auch dann einen bestimmungsgemäßen Gebrauch des Verfahrenserzeugnisses darstellen, wenn sie von der patentgemäßen Lehre nicht beansprucht worden sind.Footnote 431

2.4.1.2.2.2 Wiederholbare Nutzbarkeit

Damit verbleibt jedoch die Frage, was genau der BGH unter „beliebig oft“ versteht. Versteht man „beliebig oft“ rein zeitlich i.S.v. „immer wieder“, „für immer“, „ewig“ oder „unendlich“, verwundert diese Eigenschaftszuschreibung zunächst. Denn selbst wenn es sich bei dem körperlichen Gegenstand, mit dem hier verglichen wird, nicht um eine „verbrauchbare“ Sache i.S.d. § 92 BGB handelt, so ist doch mit jedem Gebrauch die unvermeidbare Abnutzung bzw. der Verschleiß der Sachsubstanz verbunden.Footnote 432 Auch robusteste Sachen lassen sich nicht „ewig lang“ benutzen.

Daten dagegen sind mangels verschleißbarer Sachsubstanz beliebig oft und nahezu ohne Qualitätsverlust reproduzier- bzw. kopierbar.Footnote 433 Während etwa ein Buch nach mehrmaligem Lesen zerfleddern kann, nutzt sich ein E-Book durch den bloßen Abruf oder die Einräumung von Nutzungs- oder Zugangsrechten in keiner Weise ab.Footnote 434 Gleichzeitig ist bei einem Verfahrenserzeugnispatent naturgemäß die mindestens einmalige Herstellung des Verfahrenserzeugnisses erforderlich, aber auch ausreichend.Footnote 435 „Beliebig oft“ kann somit nur i.S.v. „wiederholbar“ zu verstehen sein, und zwar insofern, als dass das unmittelbar hergestellte Verfahrenserzeugnis (bestimmungsgemäß) verwendet werden kann, ohne dass das zugrunde liegende Herstellungsverfahren vor bzw. bei jeder Verwendung des Erzeugnisses aufs Neue angewendet werden muss.Footnote 436 Auch für diese Nutzungseinschränkung lässt sich das zuvor genannte Beispiel heranziehen. Denn ist die patentgemäß codierte Videodatei einmal auf einem abspielfähigen Mobilfunkgerät gespeichert, kann sie vom Endnutzer beliebig oft abgespielt und decodiert werden, ohne dass dieser zugleich vom beanspruchten Codierungsverfahren Gebrauch machen müsste.

2.4.1.2.2.3 Zwischenergebnis

Für die Annahme einer wiederholbaren und bestimmungsgemäßen Nutzung des Verfahrenserzeugnisses genügt demnach die Möglichkeit, dass Dritte die unmittelbar hergestellten Daten nach der Verkehrsauffassung wiederholbar wirtschaftlich sinnvoll nutzen können.

2.4.1.2.3 Sachlich-technische Prägung

Zuletzt kommt nach Ansicht des BGH eine das Verfahrensergebnis verkörpernde Datenfolge nur dann ihrer Art nach als tauglicher Gegenstand eines Sachpatents in Betracht,

„wenn sie sachlich-technische Eigenschaften aufweist, die ihr durch das Verfahren aufgeprägt worden sind.“Footnote 437

Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen genau eine solche Prägung – man könnte auch von „technischem Stempel“ sprechen –Footnote 438 vorliegt, hat sich der BGH bisher nicht geäußert. Eine Zergliederung der Formulierung in ihre begrifflichen Bestandteile („sachlich“, „technisch“, „aufgeprägt“) erscheint gekünstelt und zum besseren Begriffsverständnis nicht notwendig. Die Entscheidung beruht insbesondere auf der Erwägung, dass durch den Verfahrenserzeugnisschutz gemäß § 9 S. 2 Nr. 3 PatG die gesetzlichen Patentausschlusstatbestände gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1–4 PatG nicht unterlaufen werden dürfen.Footnote 439 Im Kern geht es hierbei um das Erfordernis der Technizität.Footnote 440

2.4.1.2.3.1 Technizitätskriterium im Gesetz

Der Begriff der Technizität kommt weder im PatG noch im EPÜ wörtlich vor.Footnote 441 Es handelt sich um ein Kunstwort, das erstmals Ende 1999 im Beschluss LogikverifikationFootnote 442 vom BGH als Synonym für die „technische Natur“ oder den „technischen Charakter“ einer Erfindung verwendet wurde.Footnote 443 Der Grundsatz, der besagt, dass der Gegenstand eines Patents einen technischen Bezug haben muss – anders ausgedrückt, dass eine Erfindung Technizität impliziertFootnote 444 bzw. Technizität erfindungsimmanent istFootnote 445 – gilt in Deutschland „seit den Anfängen des modernen Patentrechts als sicher“,Footnote 446 ist also gewohnheitsrechtlich anerkanntFootnote 447 und bildet zumindest in den meisten Vertragsstaaten des EPÜ seit jeher die Grundlage der Rechtspraxis.Footnote 448 Während teilweise argumentiert wurde, dies ergebe sich indirekt aus den Vorschriften zum „Stand der Technik“Footnote 449 oder denen zum technischen Sachverstand der Senatsmitglieder des BPatGFootnote 450, ist – in Angleichung an den Wortlaut des im Jahre 2000 revidierten Art. 52 Abs. 1 EPÜ und damit letztlich an den des Art. 27 Abs. 1 S. 1 TRIPS –Footnote 451 der § 1 Abs. 1 PatG mit Wirkung zum 13.12.2007 um die Formulierung „auf allen Gebieten der Technik“ redaktionell ergänzt worden.Footnote 452 Neben den sonstigen Erwähnungen der „Technik“ im GesetzFootnote 453 bildet § 1 Abs. 1 / Art. 52 Abs. 1 EPÜ nunmehr den wichtigsten gesetzlichen Anknüpfungspunkt für die Technizität.Footnote 454 Ungeachtet ihrer unterschiedlichen Entstehungsgeschichte lassen sich die Konzepte der „Technizität“ sowie der „Technik“ kaum trennscharf voneinander abgrenzen. Zugleich sind sie derart eng mit dem Erfindungsbegriff verbunden, dass sich ein einheitliches Verständnis nur unter Berücksichtigung der hierzu existierenden Auslegungshistorie ermitteln lässt.

2.4.1.2.3.1.1 Erfindung auf allen Gebieten der Technik (§ 1 Abs. 1 PatG / Art. 52 Abs. 1 EPÜ)

Nach § 1 Abs. 1 PatG / Art. 52 Abs. 1 EPÜ werden Patente für „Erfindungen auf allen Gebieten der Technik“ erteilt. Der Begriff der „Technik“ wird weder im PatG noch im EPÜ definiert.Footnote 455 Zum Begriff der „Erfindung“ existiert ebenfalls keine gesetzlich vorgegebene Definition.Footnote 456 Die gesetzgeberische Zurückhaltung wird in erster Linie mit der Vielfalt der schöpferischen Gestaltungsmöglichkeiten auf den technischen Gebieten sowie der ständigen Weiterentwicklung der Technik erklärt.Footnote 457 So sei es schwierig, die patentrechtlich relevanten von den nicht schutzfähigen Gegenständen abzugrenzen, ohne den Patentschutz für künftige, nicht vorhersehbare Entwicklungen unverhältnismäßig zu beschränken.Footnote 458 Während sich eine zu breite Definition in der Praxis leicht als wirkungslos erweisen könnte, bestünde bei einer zu engen Definition die Gefahr, dass diese im gesetzgeberischen Verfahren wiederholt angepasst und nachgebessert werden muss.Footnote 459 Letztlich solle die Auslegung der Rechtspraxis überlassen bleiben.Footnote 460 Statt die Erfindung also positiv zu definieren, legt der Gesetzgeber im folgenden Absatz lediglich fest, was nicht als Erfindung angesehen werden darf.

2.4.1.2.3.1.2 Nicht als Erfindung angesehene Gegenstände und Tätigkeiten (§ 1 Abs. 3 PatG / Art. 52 Abs. 2 EPÜ)

In § 1 Abs. 3 Nr. 1–4 PatGFootnote 461 / Art. 52 Abs. 2 lit. a-d EPÜ ist aufgezählt, was insbesondere nicht als Erfindungen im Sinne des Absatzes 1 angesehen wird. Bereits aus der Formulierung „insbesondere“ wird deutlich, dass es sich um eine beispielhafte, nicht abschließende Aufzählung handelt.Footnote 462 Daraus folgt zum Einen, dass auch andere, nicht unter diese Negativliste fallenden Gegenstände oder Tätigkeiten von der Patenterteilung ausgeschlossen sein können.Footnote 463 Zum Anderen ist damit nicht gleichzeitig all das als patentfähig anzusehen, was in Abs. 3 / Abs. 2 nicht erwähnt ist.Footnote 464 Denn ein neuer Erfindungsbegriff wird durch die Aufzählung nicht definiert.Footnote 465 Vielmehr geht die Gesetzesformulierung auf den vom Gesetzgeber übernommenen Erfindungsbegriff zurück, der den Bereich praktischer naturwissenschaftlicher Anwendungen vom Bereich allgemein geistiger Leistungen abgrenzt.Footnote 466 Hieraus schließen vor allem die Beschwerdekammern, dass es sich bei den ausgeschlossenen Aufzählungen quasi um „Nicht-Erfindungen“ handelt, die als gemeinsames Merkmal einen fehlenden technischen Charakter erkennen lassen,Footnote 467 mithin das Schicksal fehlender Technizität teilen. Dagegen wird eingewandt, dass der Vergleich der im Einzelnen unterschiedlich ausgestalteten Ausschlusstatbestände, die Annahme einer solch einheitlichen Ratio nicht zulasse,Footnote 468 gar einer „nicht zu rechtfertigenden Fiktion“ gleichkäme.Footnote 469 Gegen diese enge Betrachtungsweise spricht wiederum der Umstand, dass einer bestimmten Menge von Gegenständen durchaus ein negatives Merkmal zugeschrieben werden kann, sofern sie dieses Merkmal nicht aufweisen, was eine Beschwerdekammer an folgendem Bild illustriert: Sowohl einem blauen Ball als auch einem gelben Ball kann die Eigenschaft „nicht-rot“ zugeschrieben werden.Footnote 470 In jedem Fall ist das Gemeinsame im gesetzlich gewollten Ausschluss von der Patentierung zu sehen.Footnote 471

Die Vorschrift stellt demnach klar,Footnote 472 dass die dort genannten Gegenstände und Tätigkeiten von der „Erfindung“ in § 1 Abs. 1 PatG / Art. 52 Abs. 1 EPÜ ausgenommen sind.Footnote 473 Ob bereits der Ausnahmecharakter von § 1 Abs. 3 PatG / Art. 52 Abs. 2 EPÜ dazu führt, dass die dort genannten Tatbestände eng auszulegen sind,Footnote 474 erscheint fraglich. Schließlich ist auch bei Ausnahmeregeln eine erweiternde Auslegung oder Analogie nicht schlechthin ausgeschlossen.Footnote 475 Ein Hinweis auf die enge Auslegung der Negativliste ergibt sich eher aus der Formulierung „als solche“ im folgenden Absatz.Footnote 476

2.4.1.2.3.1.3 Gegenstände oder Tätigkeiten als solche (§ 1 Abs. 4 PatG / Art. 52 Abs. 3 EPÜ)

Nach § 1 Abs. 4 PatG steht „Absatz 3 […] der Patentfähigkeit nur insoweit entgegen, als für die genannten Gegenstände oder Tätigkeiten als solche Schutz begehrt wird.“ Die Einfügung des Absatzes in das PatG ist im Rahmen der Harmonisierung mit dem EPÜ erfolgt,Footnote 477 das in Art. 52 Abs. 3 EPÜ eine ähnliche Formulierung enthältFootnote 478 und zu dessen Revisionsverfahren ausgeführt wird, dass es die erklärte Absicht der Vertragsstaaten war, dieser Liste der „ausgeschlossenen“ Gegenstände keinen allzu weiten Anwendungsbereich zu geben, sondern Abs. 3 des gegenwärtigen Art. 52 EPÜ einzuführen, um einer weiten Auslegung von Art. 52 Abs. 2 EPÜ vorzubeugen.Footnote 479

Der Sache nach handelt es sich also um eine teleologische Reduktion der Ausschlusstatbestände,Footnote 480 mit der eine allzu weite Beschränkung des Erfindungsbegriffes verhindert werden soll. Eine großzügige Anwendung dieser „Einschränkung der Einschränkung“ steht wiederum im Einklang mit dem nun in § 1 Abs. 1 PatG / Art. 52 Abs. 1 EPÜ zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Willen der Patentierbarkeit von Erfindungen auf „allen Gebieten der Technik“.Footnote 481

2.4.1.2.3.2 Technizitätskriterium in der Rechtsprechung

Im Folgenden soll überprüft werden, inwieweit die deutsche und europäische Spruchpraxis dem vom Gesetz intendierten Ausgestaltungsauftrag zum Technizitätskriterium nachgekommen ist und welche gemeinsamen Grundsätze sich dabei im Hinblick auf daten- und informationsbezogene Erfindungen herausgebildet haben. Dazu werden zunächst die für die Behandlung der Technizität wesentlichen Entscheidungen des BGH, des BPatG und das EPA überblicksartig und in möglichst chronologischer Reihenfolge dargestellt, woraufhin im Anschluss Entscheidungen, die den Ausschlusstatbestand der „Wiedergabe von Informationen“ betreffen, näher analysiert werden können.

2.4.1.2.3.2.1 Technizitätskriterium in der Rechtsprechung des BGH
2.4.1.2.3.2.1.1 Von Wettschein bis Webseitenanzeige

Mit der „Lehre zum ‚technischen‘ Handeln wird in der Rechtspraxis seit jeher der Begriff der Erfindung umschrieben.Footnote 482 Mit Rücksicht auf die Entstehungsgeschichte und den Sinn und Zweck des Patentgesetzes verstand der BGH die Erfindung bereits in seiner im Jahre 1958 ergangenen Wettschein-Entscheidung als „eine angewandte Erkenntnis auf technischem Gebiet […], also eine Anweisung, um mit bestimmten technischen Mitteln zur Lösung einer technischen Aufgabe ein technisches Ergebnis zu erzielen“ und stellte diese einer nicht-technischen „Anweisung an den menschlichen Geist“ gegenüber.Footnote 483 Hieran anknüpfend unterschied der BGH in seiner Entscheidung Typensatz zwischen einer technischen „Welt der Dinge“ und einer nicht-technischen „Welt der Vorstellungen“,Footnote 484 ohne jedoch das Technische selbst begrifflich näher einzugrenzen.

Die Dynamisierung des Technikbegriffes

Erst in seinem berühmten Rote Taube-Beschluss von 1969 stellte der BGH fest, dass es sich bei der Erfindung um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, der nicht historisch, sondern anhand des jeweiligen Standes naturwissenschaftlicher Erkenntnisse auszulegen ist,Footnote 485 und beschrieb die Erfindung darin als

„Lehre zum planmäßigen Handeln unter Einsatz beherrschbarer Naturkräfte zur Erreichung eines kausal übersehbaren Erfolgs“.Footnote 486

Das zentrale Leitmotiv der Technik ist nach diesem Verständnis die Beherrschung der Natur durch den Menschen.Footnote 487 Zu den beherrschbaren Naturkräften wurden beispielsweise elektronische Schaltungen gezählt,Footnote 488 nicht aber die menschliche Verstandesfähigkeit bzw. das menschliche Denken.Footnote 489

Im Technikbegriff sah die Rechtsprechung im Laufe der 1970er Jahre das „einzig brauchbare Abgrenzungskriterium“, um geistige Leistungen des Menschen vom Erfindungsbegriff auszunehmen.Footnote 490 Das ging teilweise so weit, dass die Technizität einer Lehre bereits dann verneint wurde, wenn die erfindungsgemäße Lösung nicht unmittelbar ohne Zwischenschaltung der menschlichen Verstandesfähigkeit erreicht werden konnte.Footnote 491 Diese recht enge Betrachtungsweise führte in den folgenden zwanzig Jahren dazu, dass manche Anmeldegegenstände als im „Kern“ nicht als technisch betrachtet wurden, sobald einzelne Merkmale von nicht-technischer Natur waren – etwa weil sie auf gedankliche Operationen, d. h. Gedankenschritten wie z. B. dem Ordnen oder dem Rechnen beruhten.Footnote 492

In der Entscheidung Tauchcomputer von 1992 erklärte der BGH diese Betrachtung des Erfindungsgedanken zunächst als zu „einseitig“ und ermöglichte es damit, bei der Prüfung auch nicht-technische Merkmale zu berücksichtigen – wenn auch erst auf der Ebene der erfinderischen Tätigkeit gemäß § 4 PatG.Footnote 493 In der kurz vor der Jahrtausendwende ergangenen Entscheidung Logikverifikation verzichtete der Senat schließlich auf das Erfordernis des „unmittelbaren“ Einsatzes beherrschbarer Naturkraft mit der Begründung, dass bestimmte industrielle Fertigungsprozesse – vorliegend ging es um die computerprogrammgestützte Überprüfung der Topographie eines herzustellenden Silizium-Chips – „nicht ohne entsprechende technische Überlegungen zu erledigen“ seien.Footnote 494 Der Technikbegriff sei mithin nicht statisch, d. h. nicht ein für alle Mal als feststehend zu verstehen, sondern könne nur im Rahmen einer Gesamtbetrachtung bewertet werden.Footnote 495

Computerimplementierte Erfindungen

Auf dieser dogmatischen Grundlage präzisierte der BGH in den folgenden 12 Jahren die Anforderungen an die Technizität vor allem anhand der sogenannten „computerimplementierten Erfindungen“,Footnote 496 die teilweise auch unscharf als „Softwarepatente“ bezeichnet werden.Footnote 497 So stellte er in Sprachanalyseeinrichtung klar, dass Vorrichtungen wie insbesondere Datenverarbeitungsanlagen bereits aufgrund des Verbrauchs von Energie technischen Charakter haben,Footnote 498 selbst wenn deren Betrieb durch Menschen eingeleitet oder ausgelöst wird.Footnote 499 Der bloße Einsatz eines Computers genüge jedoch nicht, um das hierauf laufende Programm ebenfalls als patentfähig zu werten.Footnote 500 Dafür spreche unter anderem der durch § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wille, wonach Entwicklungen auf dem Gebiet der Computertechnik – das anders als etwa die Ingenieurwissenschaften, die Physik, die Chemie oder die Biologie nicht zu den herkömmlichen Gebieten der Technik zähle – nicht durch die uferlose Ausdehnung des Patentschutzes behindert werden sollten.Footnote 501 Die beanspruchte Anweisung müsse vielmehr „die Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln zum Gegenstand haben,Footnote 502 […,wobei] die technische Lösung danach zu bestimmen [sei], was die Erfindung tatsächlich leistet“.Footnote 503 Außerhalb der Technik liegende Anweisungen seien nur in dem Umfang von Bedeutung, in dem sie auf die Lösung des technischen Problems mit technischen Mitteln Einfluss nehmen.Footnote 504 Entsprechend wurde in der Entscheidung Rentabilitätsvermutung ein Verfahrensschritt, der die Ermittlung von Daten zu betriebswirtschaftlichen Zwecken betraf, als außertechnisch gewertet, auch wenn es sich um „technische“ Gerätedaten gehandelt hatte.Footnote 505

In der Entscheidung Steuerungseinrichtung für Untersuchungsmodalitäten kristallisierte sich daraufhin eine Prüfungsreihenfolge heraus, wonach im ersten Schritt die Technizität der Lehre im Rahmen von § 1 Abs. 1 PatG, im zweiten die Ausschlusstatbestände im Rahmen des § 1 Abs. 3 und 4 PatG und im dritten etwaige Kombinationen von technischen und nicht-technischen Merkmalen im Rahmen des § 4 PatG betrachtet werden.Footnote 506

Demnach genügt es zur Bejahung der Technizität eines Verfahrens bereits, wenn es der „Verarbeitung, Speicherung und Übermittlung von Daten mittels eines technischen Geräts dient“Footnote 507 oder allgemeiner ausgedrückt, wenn es die Nutzung von Komponenten eines solchen Geräts lehrt und es damit eine Anweisung zum technischen Handeln gibt.Footnote 508

Der Patentierungsausschluss „Programm für Datenverarbeitungsanlage als solche“ werde daneben erst überwunden, wenn mithilfe des programmierten Computers ein konkretes technisches Problem gelöst wird, das über die außertechnischen Vorgänge der Sammlung, Speicherung, Auswertung und Verwendung von Daten hinausgeht.Footnote 509 Eine solche technische Problemlösung könne etwa vorliegen, wenn das Verfahren Gerätekomponenten modifiziert, grundsätzlich abweichend adressiert, Gegebenheiten außerhalb der Datenverarbeitungsanlage bestimmt oder Gegebenheiten innerhalb der Datenverarbeitungsanlage berücksichtigt werden,Footnote 510 wobei die genannten Beispiele keinen abschließenden Katalog darstellen.Footnote 511 In jedem Fall genüge es, wenn lediglich ein Teilaspekt der geschützten Lehre ein technisches Problem bewältigt, denn die vorgelagerte Prüfung auf das Vorliegen eines Ausschlusstatbestands dien nur einer Art Grobsichtung zur Ausfilterung derjenigen Fälle, in denen der Patentanspruch überhaupt keine technische Anweisung enthält, die sinnvollerweise der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit zu Grunde gelegt werden kann.Footnote 512

Dieser – laut BGH im Einklang mit der Rechtsprechung des EPA stehende –Footnote 513 Ansatz zur Prüfung des technischen Charakters von Datenverarbeitungsverfahren darf spätestens mit der Entscheidung Webseitenanzeige als ständige Rechtsprechung bezeichnet werden.Footnote 514

2.4.1.2.3.2.1.2 Die Bildstrom-Entscheidung

Für die anderen Tatbestände des § 1 Abs. 3 PatG / Art. 52 Abs. 2 EPÜ gelten diese Grundsätze nach Ansicht des BGH entsprechend,Footnote 515 also auch für die gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 4, Abs. 4 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. d, Abs. 3 EPÜ ausgeschlossene „Wiedergabe von Informationen als solche“.Footnote 516 Anweisungen, welche die Informationen betreffen, die nach der Lehre eines Patents wiedergegeben werden sollen, können demnach auch unter dem Gesichtspunkt der erfinderischen Tätigkeit die Patentfähigkeit der erfindungsgemäßen Lehre nur dann und nur insoweit stützen, als dass sie die Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln bestimmen oder zumindest beeinflussen.Footnote 517

Dies ist eine direkte Folge der Definition des Ausschlusstatbestands, wie sie auch in der „Bildstrom“-Entscheidung angewandt wurde.Footnote 518 In der Entscheidung lag dem streitgegenständlichen Patent ein Anzeigesystem zugrunde, das es dem menschlichen Betrachter ermöglichte, einen Bildstrom in zwei Teilsätzen parallel zu betrachten, um so die Effektivität der Auswertung zu erhöhen.Footnote 519 Der Bildstrom stammte dabei von einer Kapsel, die von einem Patienten geschluckt wird und während der Wanderung z. B. durch den Magen-Darm-Trakt fortlaufend Bilder aufnimmt, welche dem behandelnden Arzt über einen Monitor angezeigt werden.Footnote 520 Laut Senat dienen solche, die Vermittlung bestimmter Inhalte betreffende Anweisungen, der Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln, wenn die Informationswiedergabe

„auf die physischen Gegebenheiten der menschlichen Wahrnehmung und Aufnahme von Informationen Rücksicht nimmt und dabei darauf gerichtet ist, die Wahrnehmung der gezeigten Informationen durch den Menschen in bestimmter Weise überhaupt erst zu ermöglichen, zu verbessern oder zweckmäßig zu gestalten“Footnote 521

Das bloße Anzeigen von Daten sei dagegen nicht zu berücksichtigen,Footnote 522 da dies die Vermittlung bestimmter Inhalte betrifft und damit darauf zielt, auf die menschliche Vorstellung oder Verstandesfähigkeit einzuwirken.Footnote 523 Bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit sind ferner solche Anweisungen nicht zu berücksichtigen, nach denen bestimmte Inhalte durch Abweichungen in der Farbe, der Helligkeit oder dergleichen hervorgehoben werden.Footnote 524

Diese Grundsätze hat der BGH in darauffolgenden Entscheidungen wiederholt aufgegriffen. So erkannte der Senat etwa im Bewegen bzw. Verschieben eines Entsperrbildes entlang eines vordefinierten Pfades auf einer berührungsempfindlichen Anzeigevorrichtung (sog. „swipe to unlock“-Funktion) die technische Lösung des technischen Problems, dem Benutzer den Entsperr-vorgang optisch kenntlich zu machen und damit die Bedienungssicherheit zu erhöhen.Footnote 525 Die wiedergegebene Information (die visuell wahrnehmbare Bestätigung der Steuerungsbewegung) wurde mithin als „Ausführungsform des technischen Lösungsmittels“ gewertet.Footnote 526 Auch wurde der technische Charakter einer Vorrichtung zum Schutz vor unbefugter Verwendung von Software unter anderem deshalb bejaht, da hiermit die Struktur der von der Vorrichtung ausgegebenen Daten so verändert werden konnte, dass auch bei deren Analyse kaum Rückschlüsse auf den Zusammenhang mit den ursprünglich eingegebenen Daten möglich waren.Footnote 527 Es kam mithin nicht darauf an, ob die Merkmale, welche die Ausgabedaten betreffen, für sich genommen technisch sind oder ein technisches Problem lösen, sondern ob sie „im Kontext der erfindungsgemäßen Lehre zur Lösung des dieses zu Grunde liegenden Problems beitragen, die Analysierbarkeit der Datenausgabe des Datengenerators zu erschweren.“Footnote 528 Als technisch angesehen wurde weiterhin ein Verfahrensschritt, der die Effizienz der Datenübertragung zwischen einer Codierungs- und Decodierungseinrichtung sowie die Decodierungsleistung des nur mit einer begrenzten Empfangsbitrate arbeitenden Decoders in Bezug auf die Qualität der darzustellenden Videosequenz betraf.Footnote 529 Nach Ansicht des BGH lag auch einem Verfahren und System zur inkrementellen Bewegung von Zähnen ein technisches Problem zugrunde. Im Rahmen des Verfahrens konnte auf der Grundlage von Daten über die Ausgangsstellung der Zähne des Patienten ein Bild erzeugt werden, anhand dessen die Zahnstellung ebenso wie an einem herkömmlichen Gipsmodell manipuliert werden konnteFootnote 530 Diejenigen Merkmale, welche die Beschaffenheit des virtuellen Zahnmodells definierten, bestimmten oder beeinflussten gleichzeitig die Lösung des technischen Problems.Footnote 531 Zuletzt erkannte der BGH im Rahmen der Entscheidung Rotierendes Menü ein technisches Lösungsmittel in einer bestimmten räumlichen Anordnung von ansonsten nicht vollständig darstellbaren Menüpunkten an, da diese Art der Informationsdarstellung in der Lage war, den räumlich begrenzten Anzeigebereich der zur Verfügung stehenden Bildschirmfläche effizient und zweckmäßig auszunutzen.Footnote 532

2.4.1.2.3.2.1.3 Zusammenfassung

Der BGH überträgt die zur Frage der Patentierbarkeit von computerimplementierten Erfindungen entwickelten Grundsätze auf die der Informationsvermittlung dienenden Lehren insofern, als dass in einem ersten Schritt bereits die Verwendung eines Datenverarbeitungsgeräts genügt, um den technischen Charakter der Erfindung zu bejahen. In einem zweiten Schritt muss insofern auf die physische Wahrnehmung des Menschen Rücksicht genommen werden, als dass die Informationsinhalte überhaupt, besser oder in einer zweckmäßigen Art und Weise dargestellt werden.

2.4.1.2.3.2.1.4 Diskussion und eigene Stellungnahme

Die Anwendung der hergebrachten Grundsätze zu computerimplementierten Erfindungen auf die der Informationsvermittlung dienenden Lehren ist jedenfalls im Hinblick auf die erste zu nehmende Hürde der Technizität konsequent. Denn geht man davon aus, dass die den Daten zugrundeliegenden Informationen als solche nicht unmittelbar wahrnehmbar sind, bedarf es zur Möglichkeit der unmittelbaren Wahrnehmung in jedem Fall einer Anbindung an einen Datenträger, mit Hilfe dessen die Darstellbarkeit gewährleistet wird. Durch diese Implementierung der Daten in ein technisches Mittel dürfte das Kriterium des technischen Charakters regelmäßig zu bejahen sein und damit weiterhin seine Stellung als Vorfilter bei der Prüfung der Patentierungsvoraussetzungen behalten.

Unklares Kriterium der Rücksichtnahme

Dagegen erweist sich die zweite Hürde im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit als weniger griffig. Zum einen erklärt der Senat nicht, wann genau auf die physischen Gegebenheiten der menschlichen Aufnahme und Wahrnehmung Rücksicht genommen wird. Stellt man „physisch“ im Sinne von „körperlich“ dem „Psychischen“ also „Geistigen“ gegenüber, könnten damit schlicht die Wahrnehmungsorgane des Menschen, wie z. B. Augen, Nase, Mund und Ohren, gemeint sein. Ein Computerbildschirm, der die wiederzugebende Information abbildet und damit der visuellen Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen zugänglich macht, würde somit bereits „Rücksicht“ auf die körperliche Wahrnehmung nehmen.Footnote 533 In der bloßen Verwendung eines technischen Mittels liegt jedoch noch nicht die Lösung einer technischen Aufgabe.

Unklare Kriterien der Informationswahrnehmung

Der BGH geht auch nicht näher darauf ein, wann die Lehre darauf ausgerichtet ist, „die Wahrnehmung der gezeigten Informationen durch den Menschen in bestimmter Weise überhaupt erst zu ermöglichen, zu verbessern oder zweckmäßig zu gestalten“.

Muss die Wiedergabe erst „ermöglicht“ werden, lässt sich daraus schlussfolgern, dass es zuvor nicht möglich gewesen ist, die jeweiligen Informationsinhalte überhaupt wahrzunehmen. Der Umstand der fehlenden Wahrnehmbarkeit ist den Daten wie beschrieben jedoch inhärent. Ein Verfahren kann nicht bereits deshalb dem Patentschutz zugänglich sein, nur weil es eine Wahrnehmungsmöglichkeit des Dateninhalts schafft. Damit dem Begriff dennoch ein Anwendungsbereich verbleibt, könnte es daher um Daten gehen, die für den Menschen bisher nur eingeschränkt wahrnehmbar waren (z. B. nur sichtbar), und mithilfe der patentgemäßen Lehre zusätzlich im Rahmen einer weiteren Wahrnehmungskategorie wahrnehmbar werden (z. B. auch hörbar). Diese These würde in Einklang mit den Feststellungen stehen, die der BGH in der Entscheidung Fahrzeugnavigationssystem getroffen hat. Dort wurde ein technisches Mittel darin gesehen, dass der Nutzer mithilfe des beanspruchten Navigationssystems Informationen, welche die Routenführung betreffen, die er bislang nur hatte sehen können, nunmehr auch hören konnte, um so nicht mehr allein von der optischen Routenanzeige abhängig zu sein.Footnote 534 Die auf die Informationsvermittlung gerichtete Anweisung fand im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit letztlich nur deshalb keine Berücksichtigung, weil diese sich in der Vorgabe erschöpfte, dass der Inhalt der Information – in diesem Fall die jeweiligen Straßennamen – Bestandteil der Audiowiedergabe von Fahranweisungen sein sollten.Footnote 535 Ein nicht auf einen bestimmten Informationsinhalt beschränktes Merkmal hätte die technische Problemlösung daher durchaus bestimmen oder beeinflussen können. Allerdings wäre es im Ergebnis kaum begründbar, warum die erstmalige Ermöglichung der Informationswahrnehmung vom Patentschutz ausgeschlossen bleiben soll, nicht jedoch jede darüberhinausgehende Wiedergabemöglichkeit.

Eine „verbesserte“ Wahrnehmung kann wiederum nur anhand eines Vergleichsmaßstabes ermittelt werden. Der Stand der Technik im Sinne des § 3 Abs. 2 PatG / Art. 54 Abs. 3 EPÜ ist hierfür allerdings wenig geeignet, da die Patentfähigkeit eines Gegenstandes nicht davon abhängt, ob dieser einen technischen Fortschritt mit sich bringt. Es soll vielmehr genügen, wenn mit ihm im Vergleich zum Stand der Technik ein anderer Weg aufgezeigt wird.Footnote 536 Ein solcher Alternativweg könnte etwa bei solchen Lehren gegeben sein, die einen Wechsel zwischen den bisherigen Wahrnehmungskategorien ermöglichen (z. B. erst sichtbar, nun hörbar). Auch hier ergäbe sich jedoch erneut das Problem, dass die bloße Ermöglichung der Wiedergabe an sich keine technische Problemlösung darstellen kann.

Damit verbleibt die Frage, ob und inwieweit sich die Wahrnehmbarkeit der Information „zweckmäßig“ gestalten lässt, um eine technische Problemlösung zu begründen. Der Senat hat in der Entscheidung Wiedergabe topografischer Informationen die für Navigationszwecke zweckmäßige Projektion topografischer Daten nicht als Teil der vom dortigen Streitpatent zur Verfügung gestellten technischen Lösung angesehen, sondern deren Auswahl als einer der Lösung lediglich vorgelagerten Vorgabe eines Kartografen, Geografen oder Geodäten gewertet.Footnote 537 Die besagten Informationen waren zwar durch ihre zentralperspektivische Darstellungsweise für den Benutzer des Systems besonders leicht aufnehmbar, erfüllten damit jedoch aus Sicht des Senats allein ergonomische und keine darüber hinausgehende technischen Zielsetzungen.Footnote 538 Ähnlich hatte sich der BGH zuvor bereits zu einem Merkmal geäußert, das dem Nutzer des von der Patentanmeldung betroffenen Fahrzeugnavigationssystems die Bestätigung der Fahrtziel-Auswahl ersparte, indem es das System bei nicht näher konkretisiertem Fahrtziel anwies, stets die Stadtmitte anzusteuern. Dieses Merkmal wurde im Rahmen der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit nicht berücksichtigt, da es aus Sicht des BGH lediglich die Erhöhung des Komforts bei der Handhabung des Geräts (die schnellere Eingabe des Fahrtziels) bezweckte und damit keine technische Problemlösung erzielte.Footnote 539

Ergonomie als Zweckmäßigkeitskriterium

Ob diese recht enge Betrachtungsweise des BGH vor dem Hintergrund der Bildstrom-EntscheidungFootnote 540 heute noch vertretbar ist, lässt sich zumindest in Frage stellen. So ist Teufel zuzustimmen, wenn dieser zur bisherigen Entscheidungspraxis betreffend Fahrzeugnavigationsverfahren anmerkt, dass die Wiedergabe topographischer Informationen in zielbezogener Weise zur Steuerung eines Fahrzeugs erfolge und somit direkt dessen Bedienbarkeit beeinflusse.Footnote 541 Als mögliche technische Vorteile topographischer Daten kämen zum Beispiel eine besonders effiziente Art und Weise der Speicherung, Auswahl oder Aufbereitung der die aktuelle Fahrzeugposition wiedergebenden Informationen in Betracht, etwa zum Zwecke der Erhöhung der Bedienungssicherheit oder der effektiven Ausnutzung der verfügbaren Bildschirmfläche.Footnote 542 Eine benutzerfreundliche, komfortable und ergonomische Darstellung der Information mit gleichzeitiger Auswirkung auf das zugrundeliegende technische Mittel (wie z. B. das Fahrzeug) lässt sich daher als konkretes technisches Problem anerkennen und damit auch bei der Prüfung auf der Ebene der erfinderischen Tätigkeit berücksichtigen.

Dieses Verständnis steht auch in Einklang mit der Spruchpraxis der Beschwerdekammern. In ähnlicher Weise hat sich eine Beschwerdekammer zu einer Anmeldung geäußert, die auch der BGH-Entscheidung Routenplanung zugrunde lag. Nach Ansicht der Kammer ist es eine technische Aufgabe, einem Benutzer in Abhängigkeit von seiner realen Position in Echtzeit Routenführungsinformationen zur Verfügung zu stellen, da es sich hierbei um eine Interaktion zwischen dem Benutzer und dem Navigationssystem auf Grundlage von kontinuierlich gemessenen Positionsdaten handelt, die es dem Nutzer ermöglichen, das Fahrzeug zu einem gewünschten Ziel zu bewegen.Footnote 543

Dagegen mag eingewendet werden, dass die Erfüllung der technischen Aufgabe letztlich davon abhängt, ob und wie der Benutzer auf die bereitgestellten Routenführungsinformationen reagiert. Diese möglichen subjektiven Überlegungen des Benutzers ändern jedoch nichts am technischen Charakter der Navigationsinformationen, die als eine Art interaktives Werkzeug in einem technischen Prozess eingesetzt werden sollen. Nach dieser Interpretation leistet die Anzeige der Routeninformationen mithin einen Beitrag zur technischen Aufgabe, indem es ein Fahrzeug mithilfe eines technischen Mittels (dem Navigationssystem) zu einem bestimmten Ziel bewegt. Dadurch, dass der Fahrer, über die ihm zur Verfügung gestellten Umgebungsinformationen im ständigen Dialog mit dem technischen Mittel steht, wird nicht nur der Bedienkomfort- sondern auch die Bediensicherheit erhöht. Der BGH ist jedoch weder in seiner Entscheidung Wiedergabe topographischer Informationen noch Fahrzeugnavigationssystem ausdrücklich auf die Frage eingegangen, ob die Verbesserung der Fahrsicherheit technisch ist oder das jeweils betroffene Merkmal glaubhaft zur Verbesserung der Fahrsicherheit –und nicht nur zum Benutzerkomfort – beiträgt.Footnote 544 Erkennt man die Erhöhung der Bedienungs- und Fahrsicherheit als Zweck der Fahrzeugnavigationslehre an, kann eine besonders ergonomisch ausgestaltete Informationsvermittlung die Informationswahrnehmung des Fahrers „zweckmäßig“ gestalten.

Fazit

Die recht offen formulierten Kriterien zur Patentierbarkeit informationsbezogener Lehren lassen einerseits genügend Interpretationsspielraum, um sämtliche menschlichen Wahrnehmungskategorien im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit berücksichtigen zu können. Andererseits ermöglicht es die Bildstrom Entscheidung, die ergonomische Verbesserung der Bediensicherheit- und des Benutzerkomforts als technischen Zweck der Informationswahrnehmung zu werten.

2.4.1.2.3.2.2 Das Technizitätskriterium in der Rechtsprechung des BPatG

Bereits vor Erlass des Rote-Taube-Beschlusses betonte das BPatG die Bedeutung der Naturkräfte für die Feststellung des technischen Charakters einer Erfindung.Footnote 545 Zu den beherrschbaren Naturkräften zählen beispielsweise die physikalischen Eigenschaften der Schaltkreise einer Datenverarbeitungsanlage.Footnote 546 Nicht zu diesen „Kräften materieller und energetischer Art (Materie, Energie)“ gehört die bloße Information an sich. Das BPatG hat sich bisher jedoch nicht eindeutig zur Frage positioniert, ob eine solche „dritte Grundgröße von Naturwissenschaft und Technik“ anerkannt werden sollte.Footnote 547 Ebenso wie der BGH zählt das BPatG die Informatik – anders als etwa die Ingenieurwissenschaften, die Physik, die Chemie oder die Biologie – nicht zu den herkömmlichen Gebieten der Technik.Footnote 548 Dabei erkennt es jedoch an, dass „das Gebiet der Technik […] nicht die Erkenntnisse grundsätzlicher naturgesetzlicher Zusammenhänge, sondern […] lediglich die Anwendungen oder Umsetzungen dieser Erkenntnisse zu einem konkreten Zweck, nämlich als Lehre zum Handeln, [umschließt]“.Footnote 549

2.4.1.2.3.2.2.1 Konkretisierung der Webseitenanzeige-Entscheidung

Die in Webseitenanzeige zusammengefasste ständige Rechtsprechung des BGH hat das BPatG in einigen Entscheidungen präzisiert.

Fallgruppen zu computerimplementierten Erfindungen

Das BPatG hat sich insbesondere zu den Voraussetzungen der drei vom BGH entwickelten Fallgruppen computerimplementierter Erfindungen geäußert.

Nach der ersten Fallgruppe kann ein technisches Mittel zur Lösung eines technischen Problems vorliegen, wenn Gerätekomponenten modifiziert oder abweichend adressiert werden. Mit Gerätekomponenten ist die Hardware des Computersystems gemeint,Footnote 550 nicht der Inhalt der zugrundeliegenden Information.Footnote 551 Unter „adressiert“ versteht das BPatG, ob die Gerätekomponenten in einer grundsätzlich anderen Weise als üblich in den Verfahrensablauf einbezogen werden bzw. im Verfahrensablauf zusammenarbeiten.Footnote 552 Unter „Modifikation von Gerätekomponenten“ wiederum ist eine Anpassung des technischen Geräteaufbaus oder des technischen Zusammenwirkens der Geräteteile zu verstehen.Footnote 553 Nicht hierunter falle die bloße „Nutzung üblicher und nicht näher spezifizierter Komponenten zur Kommunikation zwischen Programm- und Datenmodulen zum Anfordern, Verarbeiten und Weitergeben von Anfragen, Befehlen und Ergebnissen“.Footnote 554

Auf technische Gegebenheiten innerhalb der Datenverarbeitungsanlage werde insbesondere dann Rücksicht genommen, wenn der Verfahrensablauf auf bestimmte Rechnerarchitekturen oder auf die vorhandenen Rechnerressourcen zugeschnitten sei,Footnote 555 worunter etwa die begrenzte Leistungsfähigkeit eines Leitrechners falle,Footnote 556 wie z. B. Prozessorleistung oder der Speicherkapazität.Footnote 557

Demgegenüber bestimme das zu patentierende Verfahren technische Gegebenheiten außerhalb der Datenverarbeitungsanlage etwa durch die Abfrage physikalischer Eigenschaften von Systemkomponenten,Footnote 558 wie z. B. die Bewegungen einer WerkzeugmaschineFootnote 559 oder die aktuellen Stellgrößen eines Roboters.Footnote 560 Solche technischen Gegebenheiten außerhalb der Datenverarbeitungsanlage können auch gemessene Sensordaten sein, die Einfluss auf das Verfahren haben, z. B. durch technische Wechselwirkung oder Rückkopplung mit einem später zu verwendenden NavigationsgerätFootnote 561 oder der Simulation einer AugenlaserbehandlungFootnote 562. Es muss also entweder in den Verfahrensablauf von außen her steuernd eingegriffen werden, oder das Verfahren muss eine steuernde Außenwirkung entfalten.Footnote 563

In der Gesamtschau sollte die beanspruchte Lehre aus Sicht des BPatG „Kenntnisse der physikalischen Welt“, etwa über die technischen Eigenschaften eines Computers verlangen, um den Bereich der Technik zu betreten.Footnote 564

Abgrenzung technischer Überlegungen von reinen Softwaremaßnahmen

Dem Konzept der technischen Überlegungen im Sinne der Logikverifikation-Entscheidung des BGH wird häufig das nicht-technische „Problem der reinen Datenverarbeitung“ – teilweise wird hier auch von „reinen Softwaremaßnahmen“ gesprochen –Footnote 565 gegenübergestellt. Hierunter versteht das BPatG insbesondere die bloße Bereitstellung von Informationen, deren Anordnung in Datenstrukturen und deren Auswertung nach Regeln der Logik,Footnote 566 deren grafische Aufbereitung,Footnote 567 deren AbrufFootnote 568 oder deren SpeicherungFootnote 569. Auch rein „mathematische Erkenntnisse“ sollen nicht zu den technischen Überlegungen zählen.Footnote 570 Erforderlich seien vielmehr technische Erkenntnisse, die auf Überlegungen und Informationen beruhen, die sich wiederum auf körperliche bzw. physikalische Gegebenheiten konzentrierenFootnote 571 bzw. sich damit auseinandersetzen.Footnote 572 Dabei dürften sich die technischen Überlegungen nicht in zweckfreien Erkenntnissen auf dem Gebiet der theoretischen Wissenschaft selbst erschöpfen, vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 1 PatG / Art. 52 Abs. 3 lit. a EPÜ,Footnote 573 wie z. B. in naturgesetzlichen Zusammenhängen, welche die Kapazität einer integrierten Schaltung bestimmen (Leiterflächen, Abstände, Dielektrizitätskonstante).Footnote 574 Die wissenschaftlichen Erkenntnisse müssten vielmehr zu einem konkreten Zweck Anwendung finden,Footnote 575 was etwa für ein Verfahren zur vereinfachten Erstellung von Kabelbäumen bejaht worden ist, da das zugrundeliegende gedankliche Konzept (der Algorithmus) ohne den Vergleich mit den tatsächlichen physikalischen Gegebenheiten (z. B. die Segmente des Kabelbaums) nicht sinnvoll anwendbar war.Footnote 576 Auch in die anspruchsgemäße Umrechnung von Pixelkennwerten eines Röntgenbildes unter Verwendung einer modifizierten Häufigkeitsverteilung zur Verbesserung des Bildkontrastes in Pixelkennwertbereichen bei gleichzeitiger Begrenzung des Rauschens können technische Überlegungen über die Erkennbarkeit realer Bildstrukturen einfließen.Footnote 577

Die Grenze zu den gedanklichen Konzepten als solche sah der Senat wiederum für ein lediglich als Planungshilfe dienendes Verkehrsfluss-Simulationsprogramm erreicht, welches es dem Nutzer überließ, welche Vorgaben dieser jeweils hinsichtlich Straßenverlauf und Fahrzeugsituation macht und welche Zusammenhänge dieser bei der Auswertung zwischen diesen Vorgaben und den Simulationsergebnissen herstellt, d. h. welche Erkenntnisse er letztlich aus den Simulationen gewinnt.Footnote 578

Irrelevanz des technischen Inhalts von Daten

Aus den in Rentabilitätsvermutung getroffenen Feststellungen des BGH schließt das BPatG überdies in mittlerweile ständiger Rechtsprechung, dass der Bedeutungsinhalt von gespeicherten und verarbeiteten Daten allein nicht die Zugänglichkeit zum Patentschutz begründen kann.Footnote 579 Teilweise wurde der Bezug zu „technischen Größen“ (wie z. B. einem Übertragungssignal oder einem Steuerbefehl) bereits als Indiz für die Bejahung der Technizität des zugrundeliegenden Verfahrens angesehen.Footnote 580 Diese Betrachtungsweise wertete der Senat allerdings als FehldeutungFootnote 581 der Tauchcomputer-EntscheidungFootnote 582 und wandte sich schließlich davon ab.Footnote 583

2.4.1.2.3.2.2.2 Konkretisierung der Bildstrom-Entscheidung

Neben den Grundsätzen der Webseitenanzeige-Entscheidung hat das BPatG auch Konkretisierungen an denjenigen Voraussetzungen vorgenommen, die der BGH in der Bildstrom-EntscheidungFootnote 584 zu informationsbezogenen Erfindungen aufgestellt hat. Der Umstand, dass die graphische Darstellung von Prozessdaten im Rahmen eines Verfahrens „überschaubarer“ gestaltet und damit der menschlichen Auffassungsgabe angepasst wird, beurteilte das BPatG bereits in einer Entscheidung aus dem Jahre 2005 nicht als konkrete technische Problemlösung.Footnote 585

Ergonomie grundsätzlich kein Gebiet der Technik

Eine Rechtsprechungslinie zum Ausschlusstatbestand der „Wiedergabe von Informationen“ entwickelte sich im Folgenden vor allem anhand von Patentanmeldungen, die graphische Benutzerschnittstellen (graphical user interfaces, GUI)Footnote 586 betrafen. Die technische Aufgabe liegt bei solchen Anmeldungen häufig darin, die Bedienung von Darstellungsgeräten, wie z. B. einem Mobilfunkgerät für eine Bedienperson möglichst einfach zu gestalten. In seiner Grundsatzentscheidung Benutzeroberfläche fasst der Senat die Aufgabenstellung letztlich als Forderung nach einer ergonomischen, d. h. auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Bedienperson zugeschnittenen Gestaltung der Bedienschnittstelle zwischen dem Mensch und einer technischen Einrichtung zusammen.Footnote 587 Eine solche ergonomische Gestaltung der Bedienschnittstelle orientiere sich an menschlichen Bedürfnissen und Eigenheiten und eben nicht daran, wie Bedienhandlungen auf einfache Weise mit technischen Mitteln implementiert werden können.Footnote 588

So stehe bei der Aufteilung und Anordnung von Feldern und Symbolen auf einem Bildschirm für die Bedienung von bestimmten FunktionenFootnote 589 im Vordergrund, wie der Nutzer die jeweilige Art der Darstellung empfindet.Footnote 590 Derartige benutzerfreundliche Verbesserungen bei der Informationswiedergabe lösten jedoch in der Regel kein technisches Problem.Footnote 591 Gleichzeitig wäre es nicht zu rechtfertigen, die technischen Wirkungen der Anweisungen an den menschlichen Geist nur deshalb nicht in die Patentprüfung auf erfinderische Tätigkeit einzubeziehen, weil sie im Patentanspruch nur in Gestalt einer bestimmten Information beansprucht werden.Footnote 592 Für die Annahme einer technischen Problemlösung muss nach Ansicht des BPatG die Aufgabe daran orientiert sein, wie eine Informationswiedergabe auf einfache Weise mit technischen Mitteln implementiert werden kann.Footnote 593 Letzteres wurde z. B. für ein konkretes technisches Verfahren zum Messen und Einstellen von Werkzeugen und Werkstücken bejaht, das ohne die Einbindung einer ergonomischen Gestaltung nicht den erstrebten Erfolg erreichen konnte.Footnote 594 Bloße Überlegungen zur Gestaltung oder zum „Design“ sind dem technischen Problem dagegen allenfalls vorgelagert.Footnote 595

Liberalisierung des Ausschlusses der Ergonomie

Eine gewisse Liberalisierung dieses bis dato als ständige RechtsprechungFootnote 596 einzustufenden Ansatzes zeichnete sich in der Entscheidung Informationsdarstellung vom 19.06.2018 ab. Die patentgemäße Lehre betraf dort eine Auswahl von Informationen eines medizinischen Bildwiedergabegeräts, welche mittels einer Benutzerschnittstelle angezeigt werden konnten. In seiner Begründung grenzt sich der Senat ausdrücklich von den Feststellungen ab, die der BGH zuvor in der Entscheidung Automatische Fahrtzielauswahl getroffen hatte.Footnote 597 Laut BPatG darf die Argumentation des BGH nicht dahingehend verallgemeinert werden, dass jegliche Art der Komfort-Erhöhung für einen Benutzer – allein deswegen, weil der Komfort erhöht wird – grundsätzlich vom Patentschutz ausgeschlossen ist.Footnote 598 Entscheidend sei vielmehr, ob überhaupt irgendein konkretes technisches Problem gelöst wird. Gleichzeitig schloss sich der Senat den zuvor genannten Ausführungen der Bildstrom-EntscheidungFootnote 599 an.Footnote 600 Das dort zugrundeliegende konkrete technische Problem habe darin gelegen, wie eine geordnete Bildfolge – unabhängig von deren Inhalt – so angezeigt werden kann, dass der Nutzer in die Lage versetzt wird, diese schnell und effizient zu erfassen.Footnote 601 Dass der Benutzer möglicherweise eine gewünschte Datei schneller findet, ist jedoch nicht stets das unmittelbare Ergebnis der Darstellung von den Inhalten der Datei, sondern wird gegebenenfalls erreicht durch eine geistige Leistung des Benutzers.Footnote 602 Auch vertreten die Senate nach wie vor die Auffassung, dass die Erhöhung der Bedienungssicherheit nicht als technische Problemstellung anzuerkennen ist.Footnote 603 Entsprechend stelle die inhaltliche Zuordnung von bestimmten Berühr-Abläufen zu bestimmten Menü-Befehlen keine technische Problemlösung dar, nur weil die Bedienung für den Benutzer möglicherweise intuitiver, schneller und bequemer erscheint.Footnote 604 Auch die bloße Darstellung zweier Sicherheitsgurtzustandsbilder in der Form, als dass das eine Bild visuell größer als das andere Bild angezeigt wird, um die Gefahrensituation besonders zu veranschaulichen, trägt nach Ansicht der Senate dagegen allein dem menschlichen Vorstellungsvermögen Rechnung und löst demnach kein technisches Problem.Footnote 605

Überwindung wahrnehmungsspezifischer Beschränkungen

In jüngeren Entscheidungen des BPatG scheint die Darstellung der Information in der Regel dann auf physische Gegebenheiten der menschlichen Wahrnehmung und Aufnahme von Informationen Rücksicht zu nehmen, wenn die Wahrnehmung der jeweiligen Information durch den Benutzer irgendwie unzureichend oder eingeschränkt ist.Footnote 606

So billigte der Senat etwa die Patentierbarkeit eines sog. Augmented-Reality-Systems, also einer Art Mensch-Technik-Interaktion, die dem Anwender Informationen in sein Sichtfeld einblendet und so seine Wahrnehmung erweitert.Footnote 607 In der zugrundeliegenden Entscheidung wurden zwei Verfahren beansprucht, bei denen der Betrachter ein reales und ein damit korrespondierendes virtuelles Bild als überlagert wahrnimmt. Dazu wird anhand bestimmter Merkmale das korrespondierende virtuelle Bild aus einer Datenbank ausgewählt – nämlich indem aus dem realen Bild ein Kantenbild des real sichtbaren Objektes gebildet wird – und ein Vergleich mit einer Menge vorhandener, „möglicher“ Kantenbilder durchgeführt wird. Bei einer Übereinstimmung mit einem der hinterlegten Kantenbilder gilt das real sichtbare Objekt als „identifiziert“. Das mit Kantenbild übereinstimmende virtuelle Bild wird folglich als Überlagerung angezeigt.Footnote 608 Die den beiden Patentansprüchen zugrundeliegende Aufgabe wurde darin gesehen, einen technischen Gegenstand (z. B. einen Bauzustand) möglichst einfach aber so präzise zu erkennen, dass ein korrektes diesem Gegenstand zugeordnetes Bild abgerufen und dargestellt wird. Da es hierbei nicht auf den Inhalt des wiedergegebenen Bildes ankam, sah der Senat den Patentierungsausschluss der bloßen Wiedergabe von Informationen als solche nicht als gegeben an.Footnote 609

In einer weiteren Entscheidung sah der Senat eine objektiv zu lösende Aufgabe darin, eine Zeicheneingabevorrichtung bereitzustellen, die eine verbesserte Korrektur von eingegebenen Zeichenketten (d. h. Wörter wie z. B. Namen oder Adressen) ermöglicht, bei der aber gleichzeitig die im Dateneingabesystem zur Verfügung stehende Tastaturfläche (z. B. eines Mobiltelefons) nicht erweitert wird.Footnote 610 Die beanspruchte Zeicheneingabevorrichtung war dazu ausgelegt, Zeichenketten vorherzusagen, die chinesische Zeichen aufweisen und deren phonetische Informationen beinhalten, und verfügte zugleich über eine Korrekturtaste, bei deren Betätigung entweder ein einzelnes Zeichen der auf der Anzeigeeinheit widergegebenen Zeichenkette gelöscht wird oder aber eine Änderung der angezeigten Zeichenkette in phonetische Information stattfindet, wenn die angezeigte Zeichenkette unmittelbar davor aus vorhergesagten Kandidaten ausgewählt wurde.Footnote 611 Nach Ansicht des Senats bildet die Speicherung der phonetischen Information einer vorhergesagten Zeichenkette die Grundlage dafür, Worte in kompakter Silbenschrift darzustellen, die für einen Benutzer prinzipiell schneller als Zeichen- oder Alphabetschrift zu erfassen ist und die einen geringeren Speicherungsaufwand als diese mit sich bringt. Darüber hinaus gestatte die Speicherung sowohl per Korrekturtaste auf die zur dargestellten Zeichenkette passende phonetische Information unmittelbar und schnell zuzugreifen als auch in Verbindung mit der hinterlegten Bestätigungsinformation eine Änderungsfunktion auszuwählen und diese konsistent auszuführen.Footnote 612

Anders beurteilte das BPatG ein Verfahren zur automatischen adaptiven Generierung von hörbarem Sound in Abhängigkeit von einem Systemzustand eines Fahrzeuges in Form eines Elektroautos, Hybridautos oder E-Bikes. Nach Ansicht des Senats bewirken Merkmale, die den Ausgabesound (z. B. die Erhöhung der Frequenz und Lautstärke bei zunehmender Geschwindigkeit) betreffen, lediglich eine Anpassung an das Hörempfinden des jeweiligen Hörers (z. B. Fahrer oder Passanten) sowie das Hervorrufen einer entsprechenden Assoziation – gemeint ist wohl das Bild eines beschleunigenden und potentiell herannahenden Fahrzeugs – und damit nicht die Lösung eines technischen Problems.Footnote 613

2.4.1.2.3.2.2.3 Zusammenfassung

Das BPatG hat sich den Grundsätzen die der BGH zu den Patentierungsausschlüssen gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 3 (insb. WebseitenanzeigeFootnote 614) sowie Nr. 4 (insb. BildstromFootnote 615) entwickelt hat weitestgehend angeschlossen und diese teilweise konkretisiert. Im Hinblick auf die Berücksichtigung von Aspekten der Ergonomie im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit befürwortet der Senat eine restriktive Auslegung der in der Bildstrom-Entscheidung festgelegten Grundsätze des BGH. Demnach leistet eine technische, auf die Informationsvermittlung ausgerichtete Lehre nur dann einen technischen Beitrag, wenn sie dazu geeignet ist, eine bestimmte wahrnehmungsspezifische Beschränkung der menschlichen Sinneswahrnehmung zu überwinden.

2.4.1.2.3.2.2.4 Diskussion und eigene Stellungnahme

Die vom BPatG bemühten Konkretisierungsansätze zur Bestimmung der Patentierbarkeit von Computerprogrammen sind nicht nur aus Klarstellungsgründen zu begrüßen. Anhand der dabei aufgezeigten Abgrenzung zur bloßen Datenverarbeitung lassen sich wiederum Rückschlüsse ziehen, welche der hierunter fallenden Verfahrensschritte eher dem Bearbeitungs– und welche eher dem Arbeitsverfahren im Rahmen des derivativen Verfahrenserzeugnisschutzes zuzuordnen sind. Denn während die „Bereitstellung“ sowie der „Abruf“ Prozesse im Rahmen der Datenwiedergabe darstellen und die „Auswertung“ letztlich ebenfalls eine Datenanalyse ist, hat die „grafische Aufbereitung“ oder „Anordnung in Datenstrukturen“ eindeutig einen ordnenden Charakter. Insoweit können Verfahrensschritte, die ausschließlich der Erlangung, Gewinnung oder Auswertung der darin codierten Informationen dienen, auch keinen Beitrag zu einer technischen Problemlösung leisten. Daraus wird eine gewisse Wechselwirkung zwischen der für § 9 S. 2 Nr. 3 PatG verlangten „sachlich-technischen Prägung“ sowie dem Technizitätskriterium in § 1 PatG / Art. 52 EPÜ deutlich. Die Parallelität der Schutzkonzepte ist aus systematischen Gründen nachvollziehbar, da sich das dem Patentinhaber zugebilligte Ausschließlichkeitsrecht des § 9 S. 1 PatG letztlich nur auf die „patentierte Erfindung“ beziehen kann, die den technischen Erfindungsgedanken auch nach der Erst- oder Umcodierung in sich trägt.

Hinsichtlich der technischen Auswirkungen der Informationswahrnehmung durch einen Menschen lässt das BPatG bisher keine ernsthafte Bereitschaft erkennen, Aspekte der Ergonomie und Bedienungssicherheit im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigen, was in Anbetracht der recht weiten Bildstrom-Grundsätze inkonsequent erscheint. Zugleich bleiben die Ausführungen des BPatG zur Frage, unter welchen Voraussetzungen genau, eine informationsbezogene Lehre Rücksicht auf die physischen Gegebenheiten des menschlichen Empfängers nimmt, nach wie vor vage. So kristallisiert sich in der Gesamtschau der Entscheidungen zwar heraus, dass es insbesondere darauf ankommen soll, dass die Wahrnehmungsmöglichkeit der jeweiligen Information zuvor unzureichend oder eingeschränkt gewesen ist. Ohne Vergleichsmaßstab wird allerdings nicht deutlich, woraus sich diese wahrnehmungsspezifische Einschränkung ergibt, welche die patentgemäße Lehre letztlich überwinden soll.

Eine Gemeinsamkeit in der Beurteilungspraxis der beiden Gerichte lässt sich wiederum in den Fällen erkennen, in denen die wahrzunehmende Information einem in der Realität entsprechenden Objekt bzw. Gegenstand (z. B. ein Gebiss oder Bauzustand) entspricht und in einer 3-D-Optik wiedergegeben wird. Es ist die Tendenz zu erkennen, dass jenen Lehren, die einen solchen Aspekt der Informationsvermittlung beinhalten, eher ein technischer Gesamtcharakter zugebilligt wird, als solchen, bei denen die darzustellende Information keine gegenständliche Entsprechung in der „realen“ Welt findet. Das mag zum einen daran liegen, dass der Umgang mit derlei bekannten Darstellungsformen der menschlichen Wahrnehmungsgewohnheit entspricht. Zum anderen stellen solche virtuellen Objekte letztlich eine abstrahierte Version der vom Technikbegriff typischerweise umfassten, körperlichen Materie dar.

Darüber hinaus legen beide Gerichte zu Recht Wert darauf zu betonen, dass der jeweilige Bedeutungsinhalt, also die semantische Ebene, der dargestellten Daten letztlich nicht darüber entscheiden darf, ob dem zugrundeliegenden Verfahren eine erfinderische Tätigkeit zugesprochen werden kann oder nicht. Denn eine dem Patentrecht zugängliche Wechselwirkung zwischen semantischer und syntaktischer Ebene lässt sich durch die bloße Codierung einer lediglich an die menschliche Wahrnehmung gerichtete Nachricht gerade nicht erreichen.

2.4.1.2.3.2.2.5 Fazit

Das BPatG legt die Bildstrom-Grundsätze des BGH tendenziell streng aus, was vor dem Hintergrund der recht offen formulierten Kriterien nicht zwingend erscheint. So fordert der Senat zur Berücksichtigung menschlicher Wahrnehmungskategorien beispielsweise, dass bestimmte körperliche Beschränkungen des Menschen überwunden werden müssen, ohne dass Art und Umfang solcher Beschränkungen näher bestimmt werden. Zugleich bleibt die Berücksichtigung ergonomischer Gesichtspunkt im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit ungeachtet gewisser Liberalisierungstendenzen auf Ausnahmenentscheidungen beschränkt, denen 3-D-Simulationen von in der realen Welt existierenden Gegenständen zugrunde liegen.

2.4.1.2.3.2.3 Das Technizitätskriterium in der Entscheidungspraxis der Beschwerdekammern

Das EPA hat bis heute stets auf die Formulierung einer in sich geschlossenen Definition des Begriffs des technischen Charakters verzichtet.Footnote 616 Ende 2010 erkannte die Große Beschwerdekammer lediglich die im Rote-Taube-Beschluss des BGH aufgestellten Grundsätze zur Technizität als mit dem Konzept der Erfindung in Art. 52 Abs. 1 EPÜ vereinbar an.Footnote 617 Entsprechend müsse das Konzept der Technizität weit verstanden und jede Definition einer technischen Erfindung erweiterbar bleiben, um neue technische oder wissenschaftliche Entwicklungen zu berücksichtigen oder gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung zu tragen.Footnote 618

2.4.1.2.3.2.3.1 Von Vicom bis Unzulässige Präsidentenvorlage

In der GrundsatzentscheidungFootnote 619 Computerbezogene Erfindung/VICOM wurde erstmals danach gefragt,Footnote 620 „welchen technischen Beitrag die im Anspruch definierte Erfindung als Ganzes zum Stand der Technik leistet“.Footnote 621 Man spricht hier auch vom sogenannten contribution-approach.Footnote 622

Der Beitrags-Ansatz (contribution approach)

Die beanspruchte Erfindung in diesem Fall betraf ein Verfahren zur digitalen Verarbeitung von Bildern in Form zweidimensionaler Datenfelder, das sich einer mathematischen Methode als Bestandteil eines Computerprogramms bediente und auf einem geeigneten Rechner ablief.Footnote 623 Dabei wurden Bildpunkte eines Ausgangsbildes in einem dem Stand der Technik bekannten Computer verarbeitet und schließlich in Form eines bearbeiteten Bildes ausgegeben.Footnote 624 Der technische Beitrag wurde darin gesehen, dass die Anwendung des an sich abstrakten Verfahrens unter Verwendung eines technischen Mittels (dem Computer) eine gewisse Veränderung an einer physikalischen Erscheinung (dem als elektronisches Signal gespeicherten Bild) bewirkt hatte.Footnote 625 Die Beschwerdekammer differenzierte mithin zwischen abstrakten Konzepten (wie der mathematischen Methode) und der „physikalischen Erscheinung“Footnote 626 als etwas „Reales“,Footnote 627 – wenn auch das Bild lediglich eine körperlose Information darstellte.Footnote 628 Die Veränderung dieser physikalischen Erscheinung lag schließlich darin, dass das Bild auch bei Verzerrungen wiederherstellbar war und sich der Grad der Wiederherstellbarkeit objektiv messen ließ.Footnote 629

In der Entscheidung Röntgeneinrichtung/KOCH stellte die Beschwerdekammer klar, dass die im Computer vorherrschenden elektrischen Signale allein nicht als technischer Effekt bzw. technische WirkungFootnote 630 angesehen werden dürften.Footnote 631 Bei der zugrundeliegenden Erfindung repräsentierten die mit Hilfe des nicht-technischen Programmteils verarbeiteten Daten, Betriebsparameter einer Vorrichtung (eines Röntgengeräts), wobei diese Daten nach ihrer Verarbeitung auf die physikalisch-technische Arbeitsweise des Röntgengeräts so einwirkten, dass sie die Spannungen, die Anodendrehgeschwindigkeiten und Brennfleckgrößen der darin vorhandenen Röntgenröhren veränderten.Footnote 632 Gleichzeitig wurde in dieser Entscheidung der Grundsatz aufgestellt, dass die Verwendung von einzelnen nicht-technischen Merkmalen der gesamten Lehre nicht ihren technischen Charakter nehmen könne.Footnote 633 Durch diese Gesamtbetrachtung wandte sich die Beschwerdekammer ausdrücklich gegen die zu dieser Zeit noch teilweise vom BGH vertretene „Kerntheorie“Footnote 634 und ließ demgegenüber zu, dass auch eine Mischung technischer und nicht-technischer Merkmale beansprucht werden kann, solange bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nur der technische Teil der Erfindung zugrunde gelegt wird.Footnote 635 Dies setzte jedoch nach wie vor voraus, dass der technische Beitrag zum Stand der Technik von einem Merkmal geleistet wurde, das einem vom Patentschutz nicht ausgeschlossenen Gebiet zuzuordnen war.Footnote 636

Mit der Entscheidung SOHEI/ComputermanagementsystemFootnote 637 erfolgte eine weitere Liberalisierung des Beitrags-Ansatzes.Footnote 638 Nach den dort getroffenen Feststellungen kann der Umstand, dass die zur Lösung des Problems angestellten Überlegungen technischer Natur sind, ebenfalls für das Vorliegen der Technizität sprechen.Footnote 639 Diese technischen Überlegungen wurden im zugrundeliegenden Sachverhalt bereits darin gesehen, dass das beanspruchte Computersystem in der Lage war, mehrere Datenverarbeitungsverfahren zur Finanz- und Bestandsverwaltung jeweils unabhängig voneinander durchzuführen, wobei jede Datenart auch für das entsprechende andere Verfahren relevant war und unter Verwendung eines einzigen, auf einem Bildschirm angezeigten Formulars (sog.“Transferabschnitt”) vom Nutzer eingegeben werden konnte.Footnote 640

Der weitere technische Effekt (further technical effect)

In der darauffolgenden Entscheidung Computerprogrammprodukt/IBM legte die Beschwerdekammer erstmals fest, dass ein beanspruchtes Computerprogramm nur dann nicht von der Patentierbarkeit nach Art. 52 Abs. 2 lit. c EPÜ ausgeschlossen ist, wenn es einen „technischen Effekt bewirkt oder bewirken kann, der über die „normale“ physikalische Wechselwirkung (wie z. B. elektrische Ströme) zwischen dem Programm (Software) und dem Computer (Hardware), auf dem es läuft, hinausgeht“.Footnote 641 Gleichzeitig entschied die Beschwerdekammer in Abkehr des bisher vertretenen contribution approach,Footnote 642 dass es für die Bejahung dieses „weiteren technischen Effekts“ nicht darauf ankomme, ob dieser dem Stand der Technik bekannt sei.Footnote 643 Entscheidend sei allein, dass der weitere technische Effekt bei der Ausführung des Programms auf jeder geeigneter Hardware oder Laufzeitumgebung, erzielt werden kann.Footnote 644

In der Entscheidung Pensionssystem/PBS wurde weiterhin festgehalten, dass ein auf eine physikalische Entität oder ein Erzeugnis gerichteter Vorrichtungsanspruch – in diesem Fall ein Computersystem –, das Vorhandensein technischer Merkmale und damit das Vorliegen eines technischen Charakters impliziert.Footnote 645 Einem Verfahren könne dagegen nur dann ein technischer Charakter zugesprochen werden, wenn bei dessen Anwendung mindestens ein technisches Mittel zum Einsatz kommt,Footnote 646 wie dies insbesondere bei computerimplementierten Verfahren der Fall ist.Footnote 647 Fehlt es dagegen an jeglichem technischen Mittel, handele es sich bei dem Verfahren um ein abstraktes geistiges Konzept ohne technischen Bezug.Footnote 648

Der Comvik-Ansatz

Da es bei computerimplementierten Verfahren häufig Schwierigkeiten bereitet, eine ausschließlich technische Aufgabe im Rahmen der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit nach Art. 56 EPÜ zu formulieren, erachtete es die Beschwerdekammer in Zwei Kennungen/COMVIK für zulässig, auch eine Zielsetzung auf einem nicht-technischen Gebiet in der Formulierung der Aufgabe als Teil der Rahmenbedingungen für die zu lösende technische Aufgabe anzugeben.Footnote 649 Bei diesem sog. Comvik-Ansatz werden zunächst die Unterschiede der beanspruchten Gegenstände gegenüber dem Stand der Technik ermittelt, woraufhin die Wirkung jeder Differenz gegenüber dem Stand der Technik festgestellt werden kann, woraus sich wiederum ableiten lässt, inwieweit die jeweilige Differenz zum technischen Charakter beiträgt.Footnote 650 Nicht-technische Merkmale werden demnach bei der Bewertung der erfinderischen Tätigkeit nur soweit berücksichtigt, als dass sie mit dem technischen Gegenstand des Anspruchs auf Lösung eines technischen Problems oder gleichwertig auf Erzielung einer technischen Wirkung interagieren.Footnote 651 Das hat den Vorteil, dass jedes nicht-technische Merkmal, das aus diesem Stand der Technik bekannt ist, nicht als Unterschied erscheint und in den nachfolgenden Schritten nicht berücksichtigt werden muss.Footnote 652 Der Comvik-Ansatz wurde im Folgenden mit Art. 27 Abs. 1 TRIPS für vereinbar erklärt.Footnote 653

Die weiteren technischen Überlegungen (further technical considerations)

Divergenz herrschte in der Entscheidungspraxis zu diesem Zeitpunkt dennoch insoweit, als dass die Übertragbarkeit der ursprünglich für computerimplementierte Erfindungen entwickelten Grundsätze auf die übrigen Patentauschlussgründe des Art. 52 Abs. 2 EPÜ in verschiedenen Entscheidungen teilweise verneintFootnote 654 und teilweise bejahtFootnote 655 wurde. In der Entscheidung Computerprogramme/Unzulässige PräsidentenvorlageFootnote 656 konsolidierte die Große Beschwerdekammer schließlich die bisherige Rechtsprechung zur Patentierbarkeit von ComputerprogrammenFootnote 657 und stellte darin – insbesondere zur Vermeidung etwaiger Verwirrungen hinsichtlich der Reichweite des in SOHEI geprägten Begriffes der „technischen Überlegungen“ – fest, dass einem Computerprogramm nicht bereits deshalb ein technischer Charakter zugesprochen werden kann, weil der Programmierer bei der Programmierung ein Verfahren definiert, das von einer Maschine ausgeführt werden kann. Die hierbei angestellten technischen Überlegungen müssten vielmehr über “das bloße Auffinden eines Computeralgorithmus zur Durchführung eines Verfahrens” hinausgehen.Footnote 658

Eine solche „weitere technische Überlegung“ läge nicht bereits vor, wenn sie ausschließlich darauf gerichtet ist, dass der beanspruchte computerimplementierte Algorithmus schneller rechnet als andere,Footnote 659 da die Rechengeschwindigkeit grundsätzlich ein rein mathematisches Problem darstellt.Footnote 660 Ebenso wenig genüge die geringere Komplexität,Footnote 661 der geringere SpeicherbedarfFootnote 662 oder die höhere EnergiesparsamkeitFootnote 663 eines Algorithmus den Anforderungen per se. Im Rahmen der weiteren technischen Überlegungen müsse vielmehr eine Änderung der Funktionsweise des Computers oder der Computernetze zum Ausdruck kommen.Footnote 664 Das bedeutet, dass technische Überlegungen (wie z. B. die Verbesserung der Verarbeitungsgeschwindigkeit, der Verfügbarkeit oder der Skalierbarkeit, der Verringerung des Speicherbedarfs oder des Netzwerkverkehrs) nur in Kombination mit technischen Merkmalen dazu beitragen können, eine technische Wirkung oder einen physikalischen Effekt zu erzielen.Footnote 665 Um festzustellen, ob solche technischen Überlegungen vorliegen, ist testweise zu überlegen, ob die nicht-technischen Merkmale von einer technischen Person wie z. B. einem technischen Programmierer formuliert worden wären.Footnote 666 So könne etwa ein Komprimierungsalgorithmus zum technischen Charakter des beanspruchten Kompressionsverfahrens beitragen, wenn er zur Reduzierung der zu speichernden oder zu übertragenden Datenmenge verwendet wird.Footnote 667 Auch die Verbesserung des Datenkonsistenzniveaus bei der Datenspeicherung kann auf weiteren technischen Überlegungen basieren.Footnote 668

2.4.1.2.3.2.3.2 Funktionale Daten

Ausgehend von den in den Entscheidungen Farbfernsehsignal/BBC und Datenstrukturprodukt/Philips aufgestellten Grundsätzen zu „funktionalen Daten“, können codierte Informationen nach Sicht der Beschwerdekammern einen patentierbaren Gegenstand darstellen.Footnote 669 Dabei stelle die reine Datenstruktur etwa in Form eines BaumsFootnote 670, das DatenformatFootnote 671 oder ein IconFootnote 672 für sich genommen weder ein technisches MittelFootnote 673 noch eine physikalische EntitätFootnote 674 dar: Denn eine Codierungsvorschrift sei ihrem Wesen nach eine Regel für eine gedankliche Tätigkeit, vgl. Art. 52 Abs. 2 lit. a EPÜ.Footnote 675 Der Information könne vielmehr nur dann selbst ein technischer Charakter zugeschrieben werden, wenn sie in einem technischen System derart verwendet wird – wie z. B. durch eine spezifische Formatierung oder Verarbeitung –, dass sie dessen Eigenschaften widerspiegelt.Footnote 676 Mit anderen Worten ausgedrückt: die Natur der Daten muss einen gewissen technischen Unterschied implizieren,Footnote 677 der sich beispielsweise dadurch ausdrückt, dass eine Beschädigung oder ein Defekt der Daten Einfluss auf die Funktion oder den Ablauf des beanspruchten Verfahrens hat.Footnote 678

Beispiele funktionaler Daten

Ausdrücklich bejaht wurde dies bisher etwa für ein moduliertes Fernsehsignal,Footnote 679 Synchronisierungsdaten,Footnote 680 Drucker-Steuerzeichen,Footnote 681 eine Datenstruktur, welche das empfangende Nachrichtensystem anweisen kann, wie die Nachricht ihrem Endempfänger präsentiert wird,Footnote 682 ein Clipboard-Format, also der Zwischenablagefunktion eines Computers, welche den Datenaustausch zwischen verschiedenen Anwendungsprogrammen ermöglicht,Footnote 683 Index-Datenstrukturen, die den Computer anleiten, den Ort der abzurufenden Verwaltungsinformationen im Speicher zu finden,Footnote 684 funktionelle Magnetresonanztomographie-Daten,Footnote 685 ein Datenbus, der die Kompatibilität mit technischen Rahmenbedingungen definiert, welche sich auf Funktionen und Sicherheit beim Betrieb von Flugzeugsystemen auswirkenFootnote 686 sowie spezifizierte Fehlertypregeln zur Reparatur eines GenotypensatzesFootnote 687.

Funktionale Daten als Oberbegriff für Computerprogramme

Funktionale Daten seien demnach vergleichbar mit “Befehlen”,Footnote 688 die bezwecken, ein technisches System (wie z. B. ein Datenbankverwaltungs- oder Computersystem)Footnote 689 zu “steuern”.Footnote 690 Nach diesem recht weiten Verständnis der Beschwerdekammern ließen sich auch Computerprogramme als funktionale Daten interpretieren.Footnote 691 Denn die Datenausgabe durch einen Computer ist eine notwendige Voraussetzung für jegliche potenzielle Auswirkungen der Software.Footnote 692 Die notwendige technische Problemlösung könne damit letztlich ebenfalls nur auf der Ebene der Implementierung liegen.Footnote 693

Technische Wirkung auf technisches Mittel

Funktionale Daten sind der Ansicht der Beschwerdekammern nach nicht immer technisch, sondern nur dann, wenn sie einen technischen Effekt in Verbindung mit einem technischen Mittel bewirken.Footnote 694 In solchen Fällen kann entweder die technische Wirkung, die sich aus der beabsichtigten Verwendung der Daten ergebt, als durch den Anspruch „impliziert“ angesehen werden, oder es kann davon ausgegangen werden, dass sich die beabsichtigte Verwendung der Daten (d. h. die Verwendung in Verbindung mit einer technischen Vorrichtung) im Wesentlichen auf den gesamten Anwendungsbereich des beanspruchten Verfahrens erstreckt.Footnote 695 Ein technischer Effekt könne etwa in der gezielten Optimierung der Speicherung, des Abrufs und des Zugriffs von Daten auf einem Speichermedium liegen.Footnote 696 Außerdem ist die Kammer der Ansicht, dass eine Verringerung des Speicherbedarfs, die sich lediglich aus einer Änderung eines abstrakten Datenmodells ergibt, dem Datenmodell keinen technischen Charakter verleiht. Die Speicherung, Auswahl oder Verarbeitung von Daten an sich – so wie sie ein Mensch beim Ausfüllen eines Formulars mit Hilfe eines Computers statt mit Stift und Papier vornehmen würde – sei ebenfalls von rein administrativer Natur.Footnote 697

2.4.1.2.3.2.3.3 Technische Information

Sind die Anforderungen an funktionelle Daten nicht erfüllt, kann hieraus im Umkehrschluss nicht auf das Vorliegen des Tatbestandes der Wiedergabe von Informationen als solche geschlossen werden.Footnote 698 Denn auch ohne konkrete technische Umsetzung kommt für ein Erfindungsmerkmal, welches die Wiedergabe von Informationen betrifft, eine Patentierbarkeit in Betracht, sofern die wiedergegebenen Informationen einen technischen Effekt hervorrufen.Footnote 699

Information kein technisches Mittel

Da der semantische Informationsgehalt an sich nicht-technischer Natur ist,Footnote 700 müsse auch hier – analog zur Situation betreffend Computerprogramme –Footnote 701 zunächst ein Bezug zu einer physischen Entität also einem technischen Mittel, hergestellt werden.Footnote 702 Ein solcher Bezug könne etwa dadurch hergestellt werden, dass die Information interne Zustände eines technischen Systems in Form einer visuellen Rückmeldung an den Menschen wiedergibt, der mit diesem System interagiert.Footnote 703 Dieser Grundsatz wurde erstmals in der Entscheidung Computerbezogene Erfindung/IBMFootnote 704 aufgestellt. Beansprucht wurde dort ein Verfahren zur Anzeige eines Satzes vorgegebener Meldungen, die bestimmte Ereignisse einer Ein-/Ausgabevorrichtung eines Textverarbeitungssystems (inkl. eines Prozessors, einer Tastatur, einer Anzeige, einem Speicher sowie eines Mittels zum Erfassen der Ereignisse) betrafen.Footnote 705 Ohne es ausdrücklich zu benennen, geht die Beschwerdekammer davon aus, dass ein solches “Ereignis” bzw. ein solcher “Zustand” von technischer Natur sein kann, wenn dieses Ereignis bzw. dieser Zustand beispielsweise eine Fehlermeldung umfasst,Footnote 706 die darauf abzielt, eine menschliche Interaktion mit dem System einzuleiten, um etwa eine technische Störung zu vermeiden.Footnote 707

Eine Fortführung dieses Ansatzes erfolgte in der Entscheidung Searching Image Data/CanonFootnote 708. Die Erfindung in diesem Fall betraf eine Vorrichtung zum Suchen eines digitalen Bildes aus einer Datenbank. Bei dem damals konventionellen Verfahren musste der Nutzer die Bilder einzeln auf dem Display in hoher Auflösung durchgehen, um ein bestimmtes Bild für die Ausgabe auszuwählen. Indem mit dem erfindungsgemäßen Verfahren eine Vielzahl von Bildern bei niedriger Auflösung nebeneinander angeordnet und eine hierarchische Darstellung bei höheren Auflösungen dargestellt werden konnte, war eine umfassende Übersicht sowie eine schnelle Überprüfung auf Details möglich.Footnote 709 Die technische Problemlösung ergab sich mithin aus dem technischen Charakter der niedrig auflösenden Bildformatierung und der damit verbundenen Möglichkeit, mehrere Bilder gleichzeitig anzuzeigen,Footnote 710 da so die physikalische Beschränkungen der Größe und Auflösung des Computerbildschirms überwunden werden kann.Footnote 711

Die Darstellung der Information („Wie“)

Der vereinzelt geäußerten Annahme, bereits durch die Verwendung eines Computerbildschirms könne der Informationsdarstellung (dem “Wie”) ein technischer Charakter zugesprochen werden,Footnote 712 sind die Beschwerdekammern mit dem Argument entgegengetreten, dass eine auf einem Bildschirm dargestellte Information nicht “technischer” ist als eine auf einem Blatt Papier dargestellte Information, etwa in Form einer Bedienungsanleitung.Footnote 713 Allerdings könne die Verbesserung der Ergonomie grundsätzlich eine technische Aufgabe darstellen.Footnote 714 So ist in der Entscheidung Videospiel/KonamiFootnote 715 die visuelle Kenntlichmachung eines virtuellen Mitspielers einer Fußballmannschaft, der sich außerhalb des für den Nutzer sichtbaren Blickfeldes aufhielt, als technischer Beitrag gewertet worden, da die physische Beschränkung des Bildschirmrandes dadurch überwunden werden konnte, dass der Spieler auch bei der Betrachtung eines Bildausschnittes nicht die Übersicht über das Gesamtgeschehen verlor.Footnote 716

Der Zweck der Information („Wozu“)

Der bloße Umstand, dass der Nutzer die Informationen auf eine Weise vermittelt bekommt, die er intuitiv als besonders ansprechend, übersichtlich oder logisch empfindet,Footnote 717 – z. B. aufgrund einer bestimmten Farb- oder Ebenenwahl –Footnote 718 oder ohne größere geistige Anstrengung (“lower cognitive burden”) verstehen kann, genüge dagegen nicht zum Nachweis einer technischen Wirkung.Footnote 719 Die präsentierten Inhalte müssten den Benutzer vielmehr glaubwürdig dabei unterstützen, eine technische Aufgabe durch einen kontinuierlichen Mensch-Maschine-Interaktionsprozess zu erfüllen (das „Warum“, d. h. „zu welchem Zweck“). Mit anderen Worten, es muss nach Sicht der Beschwerdekammern festgestellt werden, ob es sich bei den präsentierten Informationen um „technische Informationen“ handelt, die es dem Nutzer ermöglichen, das zugrundeliegende technische System ordnungsgemäß zu bedienen.Footnote 720 So kann z. B. bei einem Kfz-Navigationssystem die unmittelbare Wahrnehmung der dargestellten Informationen dazu führen, dass der Fahrer weniger von der Straße und dem Verkehr abgelenkt wird.Footnote 721 Dient die Information mithin der Erhöhung der Sicherheit beim Fahren eines FahrzeugsFootnote 722 oder bei der Landung eines FlugzeugsFootnote 723, kann darin ein technischer Zweck begründet liegen.

Der technische Inhalt der Information („Was“)

Von einer solchen “technischen Information” könne zum einen nur dann die Rede sein, wenn sich der zugrunde liegende Inhalt (das “Was”) auf technische und realeFootnote 724 Ereignisse bzw. Zustände des Systems bezieht,Footnote 725 wie z. B. der Gangschaltung eines Fahrzeuggetriebes,Footnote 726 dem Status einer Dialysemaschine,Footnote 727 dem Buffer eines Mobilfunkgerätes,Footnote 728 der Flughöhe eines Flugzeuges,Footnote 729 die messbare Größe eines auszudruckenden Stück PapiersFootnote 730 oder der automatisch gewonnenen Bewegungsinformation über die aktuelle Position eines Fahrzeugs im Verhältnis zu einer nahen KreuzungFootnote 731. Hierbei handelt es sich also in der Regel um berechnete Zustandsinformationen oder physikalische Eigenschaften, die ein physikalisches Objekt betreffen und möglicherweise in der realen Welt auftretende Eigenschaften widerspiegeln können, z. B. um wissenschaftliche Erkenntnisse über ein technisches oder natürliches System zu gewinnen, um Entscheidungen über Schutzmaßnahmen zu treffen oder auch um eine technische Wirkung zu erzielen.Footnote 732 Bloße mathematische Modelle, Gleichungen oder Algorithmen sind dagegen untechnische Informationen.Footnote 733

Die Ursächlichkeit der Information („verlässlich und kausal“)

Die zugrunde liegende Aufgabe müsse durch das die Information betreffende Merkmal „verlässlich und kausal“ bzw. „tatsächlich und zwangsläufig“ gelöst werden.Footnote 734 Aus diesem Grund ist die (an sich zeitlich messbare) Geschwindigkeit, in der eine Testperson auf einen ihr gegenüber zugeführten Geruch reagiert, nicht als „technische Information“ gewertet worden.Footnote 735 Denn die menschliche Wahrnehmung hängt nach Ansicht der Beschwerdekammern – abgesehen von den komplexen neurologischen Prozessen im menschlichen Gehirn – im Allgemeinen von persönlichen Faktoren (wie z. B. kultureller Hintergrund, Geschlecht, Alter, Erfahrungen, Emotionen, Subjektivität der Wahrnehmung usw.) ab, die selbst bei ein und derselben Person je nach Situation schwanken können, sodass sich hierauf bezogene Messungen auch unter denselben oder analogen Bedingungen kaum durchgängig objektiv verifizieren und zuverlässig reproduzieren lassen.Footnote 736 Entsprechend lasse sich die intuitivere Bedienbarkeit bzw. die kognitive Bedienfreundlichkeit einer Mensch-Maschinen-Schnittstelle (sog. Software-Ergonomie) in der Regel nicht mit herkömmlichen Methoden der Ingenieurswissenschaften oder der Informatik quantifizieren, sondern bedürfe typischerweise des Rückgriffs auf Fachwissen der angewandten Psychologie oder Empirie.Footnote 737

Physiologische und psychologische Effekte

Löst die Information beim Nutzer demnach lediglich einen psychologischen Effekt aus (z. B. besseres Verständnis), spiele es keine Rolle mehr, ob das Verhalten des Nutzers im Anschluss ein technisches Problem löst (z. B. Energieeinsparung durch effektiveren Umgang mit einem Computer), da die zugrundeliegende Kausalkette unterbrochen wurde (sog. broken chain fallacy).Footnote 738 Abstrakt ausgedrückt: der technische Charakter der Implementierung wird dadurch wieder seinem nicht-technischen Ursprung zugeführt.Footnote 739 In Abgrenzung zu solchen nicht-technischen psychologischen Effekten sind Phänomene der menschlichen Physiologie bereits als technische, nachweisbare Parameter eingeordnet worden, wie z. B. der Zusammenhang zwischen der 3-D-Gestaltung einer Navigationskarte und dem räumlichen Sehen,Footnote 740 der Zusammenhang zwischen dem Grad der Aufmerksamkeit bzw. Abgelenktheit eines Fahrer und der Fahrsicherheit,Footnote 741 der Fähigkeit zur (optischen) Lokalisierung akustischer Signalquellen,Footnote 742 dem Zusammenhang zwischen der geringen Sichtbarkeit einer Lichtquelle und der Ermüdung der AugenFootnote 743 oder der Möglichkeit auf die Gefühlslage eines Nutzers durch die Ermittlung seiner Mimik und HerzfrequenzFootnote 744 zurückschließen zu können. Auch die Wirkung der Bildauflösung auf die Augen und/oder das visuelle System des Benutzers ist eine objektive physiologische Wirkung, die als glaubwürdige technische Wirkung eingestuft werden kann.Footnote 745

2.4.1.2.3.2.3.4 Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit festzustellende technische Effekt entweder durch die Implementierung von funktionalen Daten in einen technischen Prozess oder durch die Wiedergabe technischer Informationen über einen technischen Prozess erreicht werden kann.Footnote 746 Während Ausgabedaten häufig von den subjektiven Präferenzen des Menschen abhängen, erfordern Eingangsdaten dagegen meist lediglich die Kompatibilität mit dem zugrundeliegenden Maschinenprotokoll, sodass letzteren tendenziell seltener der technische Charakter abzusprechen ist.Footnote 747 Das EPA versteht die Ergonomie als die angewandte Wissenschaft von der Gestaltung von Produkten, um diese für den menschlichen Gebrauch zu optimieren, sowie als technisches Gebiet,Footnote 748 sodass hierauf bezogene technische Überlegungen durchaus einen Beitrag zur erfinderischen Tätigkeit leisten können.Footnote 749 Die Unterscheidung zwischen subjektiven psychologischen Faktoren und objektiven physiologischen Faktoren ist jedoch keine weitere Kategorie von Erfindungen, welche die Darstellungen von Informationen betreffen, sondern ein Kriterium für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des behaupteten technischen Effekts.Footnote 750

2.4.1.2.3.2.3.5 Diskussion und eigene Stellungnahme

Die Beschwerdekammern geben mit den Konzepten der funktionalen Daten sowie der technischen Informationen zwei auf den ersten Blick stringente und in sich schlüssige Pfade vor, nach denen die Patentierbarkeit informationsbezogener Merkmale bestimmt werden kann.

Funktionale Daten als kleines Computerprogramm

Die funktionalen Daten werden von den Beschwerdekammern als Oberbegriff verwendet, unter den auch Computerprogramme fallen können. Demgegenüber erscheint es treffender, funktionale Daten dem Computerprogrammbegriff unterzuordnen. Aus patentrechtlicher Sicht ermöglicht die Einordnung der funktionalen Daten als „kleines“ Computerprogramm wiederum, die im Rahmen des Comvik-Ansatzes entwickelte Zwei-Stufen-Prüfung von Technizität und technischem Beitrag anzuwenden.Footnote 751 Während die Implementierung der Daten in ein technisches System regelmäßig einen technischen Gesamtcharakter des Patentierungsgegenstandes zur Folge haben wird, lässt sich im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit nach wie vor im Einzelfall bestimmen, ob und inwieweit die Daten tatsächlich zur Lösung eines technischen Problems beitragen.

Inkonsistente Schutzvoraussetzungen der technischen Informationen

Was das Konzept der technischen Informationen angeht, lassen die Beschwerdekammern dagegen eine einheitliche Rechtsanwendung vermissen. Bereits der Begriff “technische Information” ist unglücklich gewählt, da hiermit in Art. 85 EPÜ beschrieben wird, zu welchem Zweck der Patentanmeldung nach § 36 Abs. 1 PatG / Art. 78 Abs. 1 lit. e EPÜ eine Zusammenfassung des Offenbarungsinhalts beizufügen ist: nämlich zur “technischen Information” der Allgemeinheit.Footnote 752 Außerdem hat sich in der deutschen Rechtsprechung etabliert, mit dem Begriff der „technischen Information“ dasjenige zu umschreiben, was der Fachmann bei der sinngemäßen Auslegung einer Offenbarungsquelle als potentiell neuheitsschädlich identifizieren könnte.Footnote 753

Abgesehen von der begrifflichen Unschärfe wenden die Beschwerdekammern die von ihnen aufgestellten Grundsätze zur „technischen Informationen“ nicht konsequent an:

Erstens steht die inklinierte Voraussetzung, es müsse sich um einen „technischen“ Zustand oder Vorgang handeln, in einem gewissen Widerspruch zu der vormals getroffenen Feststellung, nach der die Natur der Information irrelevant für die Annahme eines technischen Beitrags sei.Footnote 754 Wenn die Information auch patentrechtlich gemeinfrei bleiben soll, darf ihr semantischer Bedeutungsgehalt keine entscheidende Rolle bei der technischen Lösung technischer Probleme spielen, sondern höchstens Indizwirkung hinsichtlich der etwaigen Technizität der erfindungsgemäßen Lehre haben.

Zweitens wird mit dem broken chain fallacy-Ansatz eine Art Unmittelbarkeitskriterium in die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit eingeführt, auf das in der deutschen Rechtsprechung seit der Logikverifikation-Entscheidung des BGH nicht mehr zurückgegriffen worden und, kaum mit dem Comvik-Ansatz zu vereinbaren ist. Denn hiernach sollten nur rein gedankliche Tätigkeiten oder menschliche Wahrnehmungsphänomene nicht unter den Erfindungsbegriff fallen bzw. an der Eingangshürde des Art. 52 Abs. 2 lit. c EPÜ scheitern müssen.Footnote 755 Ein Vorgang verliert jedoch nicht bereits dann seinen technischen Charakter, sobald er sich an den menschlichen Verstand richtet und seine Wirkungen dort eintreten.Footnote 756 Dass die Rechtsprechung der Beschwerdekammern in diesem Punkt nicht konsistent ist,Footnote 757 zeigt eine Entscheidung, in der ein durch die bestimmte Gestaltung eines Symbols (unterschiedliche Helligkeitszustände in den Randbereichen in unterschiedlicher zeitlicher Abfolge) hervorgerufene 3-D-Effekt als technisch eingeordnet wurde, obwohl dieser Effekt lediglich “im Gehirn” des Betrachters entsteht.Footnote 758 Zur Begründung zieht die Beschwerdekammer dort einen Vergleich zu einem sog. Kinematograph, dem Vorgänger heutiger Filmkameras und Projektoren, da dieser ebenfalls in der Lage ist, durch die Projektion einer schnellen Folge von Standbildern auf eine Leinwand die Illusion einer fließenden Bewegung zu erzeugen. Obwohl die Illusion, eine reale Handlung wahrzunehmen, nur im Gehirn des Zuschauers entsteht, bestreitet nach Ansicht der Kammer niemand ernsthaft, dass der Kinematograph eine auf technischen Merkmalen beruhende Erfindung ist. Man könne daher argumentieren, dass der Apparat des Kinematographen technische Elemente enthält, die letztlich dazu dienen, die Illusion von Bewegung im Gehirn des Zuschauers zu erzeugen.Footnote 759

Würde man beim vorstehenden Beispiel dagegen den broken chain fallacy-Ansatz anwenden, dürfte in der Zielrichtung des Kinematographen, nämlich dem Erzeugen von Bildern im Gehirn des Zuschauers an, kein technischer Zweck zu sehen sein.

Dagegen sind die Anforderungen an den Ursachenzusammenhang, der zwischen dem eingesetzten Mittel und der Problemlösung bestehen soll („verlässlich und kausal“ bzw. „tatsächlich und zwangsläufig“), grundsätzlich zu begrüßen. Denn naturgesetzliche Kausalhypothesen sind ein zentraler und damit nur schwer trennbarer Bestandteil von Wissenschaft und Technik.Footnote 760 Allerdings scheinen die Beschwerdekammern unterschiedlich hohe Voraussetzungen an die Nachweisbarkeit des Kausalzusammenhangs zu stellen. In der Entscheidung Cockpit Display wurde beispielsweise schlicht angenommen, dass die Darstellung von Daten betreffend die Zeit oder Entfernung vom Aufsetzpunkt, es dem Piloten ermöglicht, die Landung gegebenenfalls rechtzeitig abzubrechen und damit die Landesicherheit zu erhöhen.Footnote 761 Die Risikoabwägung, die ein Pilot bei solchen durchaus riskanten Flugmanövern vornimmt und die je nach Ausbildungsstand des Piloten durchaus unterschiedlich ausfallen kann, blieb in der Erwägung außen vor. In einer anderen Entscheidung wurde nicht in Frage gestellt, ob die Anzeige eines anpassbaren Symbols auf dem Bildschirm eines mobilen Kommunikationsgeräts, welches die genaue Anzahl der im physischen Speicher des Geräts neu gespeicherten Nachrichten angibt, dazu beiträgt, dass der Nutzer das Gerät weniger und damit ergonomischer nutzt.Footnote 762 Zu dem Umstand, wie die Beschwerdekammer zu dieser Einschätzung gekommen ist, wurde nichts verlautbart. In einer weiteren Entscheidung betreffend eine Fahrzeugnavigationsanzeige hat das EPA schlicht unterstellt, dass „jeder Mensch zu jeder Zeit stärker abgelenkt ist, wenn eine Werbung angezeigt wird, als wenn sie nicht angezeigt wird.“Footnote 763 Jedoch ließen sich ebensolche Aspekte der Ergonomie und des Benutzerkomforts anhand empirischer Studien verlässlich ermitteln und belegen.

Drittens lässt sich die von den Beschwerdekammern eingeführte Gegenüberstellung von psychologischen und physiologischen Merkmalen naturwissenschaftlich kaum nachvollziehen, was im Rahmen des folgenden Exkurses zum medizinischen Verständnis der Physiologie des Menschen kurz erläutert werden soll:

Exkurs: Sinnesphysiologie des Menschen

Die Physiologie beschreibt in der Humanmedizin die Gesamtheit aller physikalischen und biochemischen Lebensvorgänge im Organismus eines Menschen. Die Sinnesphysiologie hat eine objektive und eine subjektive Dimension.Footnote 764

Im Rahmen der objektiven Sinnesphysiologie lässt sich der Weg der Sinnesreize (also der Umwelteinflüsse, die unsere Sinnesorgane beeinflussen) über afferente sensorische Nervenfasern bis hin zum zentralen Nervensystem im Gehirn als Kausalkette physikochemischer Ereignisse beobachten und analysieren. Die subjektive Sinnesphysiologie beschäftigt sich dagegen mit dem Zusammenhang von Sinnesreizen und der Wahrnehmung. Die menschliche Wahrnehmung ist stets geprägt von Erfahrungen (z. B. Beruf) und wird von vielen verschiedenen psychischen Faktoren (z. B. der Gemütslage) beeinflusst. Die subjektive Dimension der Sinnesphysiologie bezeichnet man daher auch als Wahrnehmungspsychologie. Die Intensität der menschlichen Reizempfindung lässt sich beispielsweise durch die Festlegung und den Vergleich von empirisch erhobenen Grenz- bzw. Schwellwerten an Testpersonen ermitteln.Footnote 765 Einzelne Bewusstseinsphänomene (z. B. die Bewegungswahrnehmung, die Objekt-, Gesichts- oder Farberkennung)Footnote 766 lassen sich wiederum anhand verschiedener Aktivitäten (z. B. Durchblutung, Sauerstoffverbrauch)Footnote 767 in der jeweiligen Hirnregion objektiv nachweisen.Footnote 768 Zum Zusammenhang zwischen neuralen Prozessen und der subjektiven Wahrnehmung (sog. „Hirn-Bewusstsein-Problem“) existieren zwar eine Reihe philosophischer Hypothesen, bisher jedoch keine umfassende naturwissenschaftliche Erklärung.Footnote 769

Der vorstehende Exkurs macht deutlich, dass psychologische Merkmale stets einen Teil der Physiologie des Menschen ausmachen und sich mithilfe von Schwellwertkonzepten durchaus messen und statistisch beschreiben lassen. Diese Merkmale mangels „Verlässlichkeit“ nicht zu berücksichtigen würde bedeuten, die Objektivität ganzer Wissenschaftszweige wie der Psychologie oder Empirie in Frage zu stellen. Überdies wird zur Analyse von etwaigen Bedienungsfehlern im Umgang mit Benutzerschnittstellen in der Produktentwicklung seit Jahrzehnten auf die sog. Human Faktor Analysis (HFA) zurückgegriffen, die ergonomische, psychologische und biologische Aspekte des Anwenders berücksichtigt, um die physische und psychische Belastung für den Anwender bei voller Ausnutzung der Systemleistung so gering wie möglich zu halten.Footnote 770 Andererseits lassen sich anhand objektiver Parameter wie beispielsweise der Hirnaktivität oder dem Blutdruck bisher nur einzelne Aspekte der Reizempfindung darstellen, nicht jedoch sämtliche Beziehungen der Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen untereinander erklären. Streng genommen dürfte man also bei einer rein physiologischen Betrachtung individuelle, von der Norm abweichende Faktoren (z. B. genetisch bedingte Hirnschädigung, Übergewicht) nicht gänzlich unberücksichtigt lassen.

Betrachtet man vor diesem Hintergrund die Fälle erneut, in denen ein sog. „physiologisches Merkmal“ angenommen wurde – wie z. B. dem Zusammenhang zwischen der 3-D-Gestaltung einer Navigationskarte und dem räumlichen Sehen, der Fähigkeit zur (optischen) Lokalisierung akustischer Signalquellen, dem Zusammenhang zwischen der geringen Sichtbarkeit einer Lichtquelle und der Ermüdung der Augen oder der Möglichkeit des Rückschlusses auf die Gefühlslage eines Nutzers durch die Ermittlung seiner Mimik und Herzfrequenz – fällt auf, dass die beschriebenen Erkenntnisse ebenfalls nicht ohne wahrnehmungspsychologische Methoden wie der Befragung und Beobachtung hätten gewonnen werden können.

Fazit

Das EPA prüft die Patentierbarkeit funktionaler Daten auf nachvollziehbare Weise anhand der Grundsätze der computerimplementierten Erfindungen. Zur Prüfung informationsbezogener Erfindungen erscheint das Konzept der technischen Informationen dagegen weniger tauglich, da dieses von der Prämisse ausgeht, die zugrundeliegenden Informationen müssen technischer Natur sein. Auch bleibt zweifelhaft, ob sich das Konzept der broken chain fallacy sowie die Unterscheidung zwischen physiologischem und psychologischem Merkmal in der Praxis stets einheitlich anwenden lässt.

2.4.1.2.3.3 Technizitätskriterium in der Literatur

Das „Technische“ an der Erfindung wurde bereits vor der Rote-Taube-Entscheidung in Zusammenhang mit dem Einsatz von Kräften bzw. Stoffen der Natur gesetzt.Footnote 771 Heute versteht man darunter jede Beherrschung, d. h. gezielte Verwendung oder Ausnutzung von NaturkräftenFootnote 772 bzw. NaturgesetzenFootnote 773. Zu diesen Kräften sollen jedenfalls Materie und Energie,Footnote 774 einschließlich deren Wechselwirkungen untereinander,Footnote 775 nicht jedoch das menschliche Denken bzw. die menschliche Verstandesfähigkeit,Footnote 776 zählen.

2.4.1.2.3.3.1 Keine Technizität der Information

Teilweise wird dafür plädiert, die Information zusätzlich zu („und Information“)Footnote 777, neben („oder Information“)Footnote 778 oder gar anstattFootnote 779 Materie und Energie als Naturkraft anzuerkennen.Footnote 780 Information habe allerdings eine andere Qualität als Materie und Energie – die ineinander überführbar sind und aus sich heraus existieren – da sie nur in Zusammenhang mit Kommunikationsprozessen durch Interpretation beim Empfänger entstehen kann.Footnote 781 Die Information könne sich zwar inhaltlich auf den Einsatz von naturwissenschaftlichen Kausalzusammenhängen beziehen und damit als angewandtes Wissen vom Erfindungsbegriff erfasst sein.Footnote 782 Aus der Tatsache heraus, dass die Anwendung der Naturgesetze ohne Wissen und damit Information nicht möglich ist, folgt laut Mellulis allerdings nicht deren technischer Charakter, da Information auch im Fachjargon der Informatiker als das zweckbezogene, menschliche Wissen verstanden wird, das ein Handelnder im Hinblick auf die Erreichung eines Ziels benötigt. Dass zur Entwicklung und Beherrschung einer technischen Lehre auch Wissen und damit Information gehört, mache diese selbst nicht technisch. Technischen Charakter könne allenfalls die Verarbeitung der Information unter Benutzung der physikalischen Eigenschaften und Fähigkeiten der Hardware aufweisen.Footnote 783

Nack schlägt dagegen vor, zugunsten einer rein leistungsbezogenen Betrachtung der Erfindung völlig auf das Erfordernis des Einsatzes von Naturkräften zu verzichten. Folglich gehöre ein Bereich des menschlichen Schaffens erst dann zu einem Gebiet der Technik, wenn dieser Bereich sich als eine Fortentwicklung des Wissens und Könnens aus einem Bereich darstellt, welcher in der Vergangenheit bereits als Gebiet der Technik anerkannt wurde.Footnote 784 Diese sog. Traditionstheorie gibt damit keine inhaltliche Definition, sondern ein historisch entwickeltes Leitbild der Technik vor,Footnote 785 nämlich die Tradierung von Wissen und Können aus bisherigen Gebieten der Technik.Footnote 786 So könnte man argumentieren, dass sich die Informatik aus der Mathematik ebenso entwickelt hat wie etwa die Elektrotechnik und der Maschinenbau aus der Physik.Footnote 787 Ein solches Konzept der Wissenstradition sei jedoch schwerlich in Bereichen zu erkennen, die traditionell außerhalb des Patentschutzes vorangetrieben worden sind, wie z. B. bei computergestützten Entwurfsmethoden.Footnote 788 Ensthaler hält eine Anknüpfung an das traditionelle Technikverständnis darüber hinaus für zu schematisch und sieht keine Anhaltspunkte für ein entsprechendes politisches Leitbild in der Gesellschaft.Footnote 789

Ein gesetzgeberisches Leitbild zum Technizitätskriterium wird letztlich nur darin zu sehen sein können, dass der Erfindungsbegriff dynamischFootnote 790 d. h. für künftige technologische Entwicklungen anpassbar bleiben soll.Footnote 791 Angesichts der Abstraktheit von „Technik“ wäre eine darüber hinausgehende begriffliche Annäherung wohl nur mithilfe philosophischer Umschreibungen möglich.Footnote 792 Das zeigt insbesondere die nach wir vor aufgegriffene, bildhafte Gegenüberstellung der „technischen“ Welt der Dinge bzw. des körperlich Greifbaren mit der „nicht-technischen“ Welt der Vorstellungen und Bewusstseinsinhalte.Footnote 793 Auf dieser abstrakten Ebene ließe sich ebenso argumentieren, dass das Patentsystem mittlerweile „aus der Welt der Dinge herausgetreten [sei] und die Welt der Vorstellungen vereinnahmt [habe]“.Footnote 794 Gegenüber dem hierin zum Ausdruck kommenden naturwissenschaftlich geprägten Technikverständnis sollte einer normativ-wertenden Betrachtung der Vorzug gegeben werden.Footnote 795 Denn dadurch könnten Erkenntnisse aus nicht zu den herkömmlichen Technikgebieten zählenden Disziplinen wie den InformationswissenschaftenFootnote 796 oder der InformatikFootnote 797 bei der Beurteilung der Technizität mit einfließen.Footnote 798

2.4.1.2.3.3.2 Filterfunktion des Technizitätskriteriums

Damit bleibt zuweilen unklar, was genau an einer Erfindung technisch sein muss.Footnote 799 Es wird jedoch überwiegend anerkannt, dass sich im Laufe der Zeit in der deutschen Rechtsprechung relativ feste Konturen entwickelt haben, anhand derer im Einzelfall beurteilt werden kann, ob eine Erfindung vorliegt oder nicht.Footnote 800 Auch die Beschwerdekammern haben laut Steinbrenner durch die Zusammenstellung und Kommentierung bestimmter Einzelfallentscheidungen in Richtlinien eine strukturierte Herangehensweise entwickelt, um zumindest den Grenzbereich des Technischen abzustecken zu können.Footnote 801

Die patentgemäße Lehre wird zunächst auf ihren technischen Charakter und sodann auf das Vorliegen einer konkreten technischen Problemlösung hin geprüft.Footnote 802 Während das Technizitätskriterium dabei in der Praxis eine in der Regel leicht zu nehmende Hürde darstellt,Footnote 803 verlagert sich der Schwerpunkt der Beurteilung der technischen und nicht-technischen Elemente auf die Ebene der erfinderischen Tätigkeit.Footnote 804

Diese Vorgehensweise mag auf den ersten Blick unnötig kompliziert erscheinen.Footnote 805 Einen gänzlichen Verzicht auf die Technizitätsprüfung, wie teilweise gefordert,Footnote 806 rechtfertigt dieser Umstand jedoch nicht. Denn eine auf die Patentausschlussgründe beschränkte Prüfung würde voraussetzen, dass der technische Charakter einer jeden angemeldeten Lehre zunächst vermutet wird, um dann zu erörtern, ob nicht doch Gründe bestehen könnten, die gegen die Technizität sprechen. Eine solche Vermutung ist dem Gesetz jedoch nicht zu entnehmen. Der Begriff der schutzfähigen Erfindung setzt vielmehr eine technische Lehre voraus, bei deren Fehlen ein Patentierungsausschluss nicht gesondert bestimmt werden muss.Footnote 807 Umgekehrt würde eine Streichung der Ausschlussbestimmungen in PatG und EPÜ an der bestehenden Rechtslage nichts ändern, weil das Erfordernis technischen Charakters, auf dem diese maßgeblich beruht, unberührt bliebe.Footnote 808 Zuletzt steht die „Zwischenprüfung“ der Ausschlusstatbestände in Einklang mit Art. 27 Abs. 1 TRIPS, da hierdurch keine Erfindung auf einem Gebiet der Technik ausgenommen wird, die ohne diesen Prüfungsschritt Patentschutz erlangen könnte.Footnote 809

2.4.1.2.3.3.3 Keine Gefahr der Wissensmonopolisierung

Der Ausschlusstatbestand gemäß § 1 S. 2 Nr. 4 PatG / Art. 52 Abs. 3 lit. d EPÜ ist dahin zu verstehen, das Lehren zur „Wiedergabe von Informationen“ keine technischen Lehren sind, weil sich ihre Anwendung nicht unmittelbar in technischen Veränderungen, sondern in Erkenntnissen niederschlägt.Footnote 810 Es geht mithin um Regeln für die Informationsdarstellung, durch deren Befolgung lediglich Vorstellungen erzeugt werden.Footnote 811 Laut Mellulis korrespondiert die Vorschrift demnach mit dem zu den Grundrechten gehörenden Recht auf Informations- und Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und soll die Monopolisierung von Informationen durch die Gewährung patentrechtlichen Schutzes verhindern.Footnote 812 Denn Information, so stellte das BVerfG bereits in seinem Volkszählungsurteil von 1983 fest, „stellt ein Abbild sozialer Realität dar, das nicht ausschließlich dem Betroffenen allein zugeordnet werden kann“.Footnote 813 Ob sich ihr Ausschluss vom Patentschutz unabhängig von dessen traditioneller Ausrichtung auf das Gebiet der Technik rechtfertigen lässt, hängt demnach davon ab, wie die Schutz- und Belohnungsinteressen im Vergleich zu den Freihaltebedürfnissen zu werten sind,Footnote 814 genauer gesagt, inwieweit das Interesse der Allgemeinheit an einer freien Entfaltung und Nutzbarmachung des technischen Fortschritts das Interesse des Erfinders an einem zeitlich begrenzten Monopolschutz als Belohnung für seinen Beitrag zum technischen Fortschritt überwiegt.Footnote 815

Diese Abwägungsproblematik stellte sich bereits im Hinblick auf die Frage, ob es patentrechtlichen Schutz von Skalen, Text- und Symbolträgern sowie dem Bedeutungsgehalt der hierauf befindlichen Flächenmuster, Markierungen, Symbole oder Texte geben kann. Dort hat sich schließlich eine Abgrenzung in dem Sinne durchgesetzt, als dass die Skala bzw. der Text- oder Symbolträger selbst als technischer Gegenstand Schutz genießen kann, nicht aber der Bedeutungsgehalt der aufgedruckten Markierungen, Symbole oder Texte.Footnote 816

Im Rahmen der Diskussion um die Patentierbarkeit von computerimplementierten Erfindungen wurde in ähnlicher Weise zum Teil darauf abgestellt, ob der dem Programm zugrundeliegende Inhalt technisch ist.Footnote 817 Die Ansicht, dass die Verwendung technischer Daten im Programmablauf auch bereits ein technisches Programm impliziert, ohne dass ein konkretes technisches Problem gelöst werden muss, hat sich jedoch nicht durchsetzen können.Footnote 818 Denn, so stellen Winterfeld/Engels fest, selbst wenn die Daten in irgendeiner Weise von den technischen Daten der Produktionsmaschinen abgeleitet und somit im weitesten Sinne „technische“ Daten sind, kann der Umstand, dass „technische“ Daten ausgewertet werden sollen, den technischen Charakter einer Lehre aus sich heraus nicht begründen. Die beanspruchte Lehre löse per se zumindest dann kein technisches Problem, wenn sich die prägenden Anweisungen gerade nicht mit der technischen Natur der Daten befassen – etwa mit der Frage, wie sie automatisch erfasst, umgesetzt, übertragen werden könnten –, sondern in erster Linie mit deren Definition.Footnote 819

Damit werde auch die Gefahr der Monopolisierung des Denkens ausgeschlossen, weil sich der Patentschutz für Software bei nicht technischen Inhalten auf die technische Umsetzung der Programmidee beschränkt, diese selbst aber nicht unter Schutz stellt.Footnote 820

Ferner wird diskutiert, ob und inwieweit die Einführung und Gewährung eines absoluten Rechtes an Daten auf syntaktischer Ebene zugleich zu einer Monopolisierung der semantischen Bedeutungsebene führt.Footnote 821 Laut Wiebe führt die Beschränkung des Zugriffes auf Daten zumindest “indirekt” zu einer Beschränkung und damit Monopolisierung der Information.Footnote 822 Teilweise wird sogar vor der drohenden Schaffung von „Informationsmonopolen“ durch die Gewährung ausschließlicher Zugangsrechte zu Daten gewarnt.Footnote 823 Zur Begründung merkt Drexl an, dass sich der Nutzungsakt von Daten z. B. bei der Datenanalyse, nicht auf die syntaktische Ebene als eine bloße Aneinanderreihung von Einsen und Nullen beschränkt, sondern auf die Gewinnung neuen Wissens als statistische Ableitung aus den in den vorhandenen Datensätzen enthaltenen Informationen gerichtet ist. Damit sei sowohl die Nutzung als auch die Wertschöpfung von Daten auf der semantischen Bedeutungsebene der Daten anzusiedeln. Der Schutz von Daten auf der syntaktischen Ebene konzentriere den Zugriff auf die entsprechenden Rohdaten jedoch in den Händen des Dateneigentümers. Der Umstand, dass die Informationen digital gespeichert werden, könne deren Schutz allein nicht begründen.Footnote 824 Die Bedenken führen so weit, dass darüber diskutiert wird, mit welchen regulatorischen Mitteln man den „Datenmonopolisten“Footnote 825 Herr werden kann. Vorgeschlagen werden hier beispielsweise die Anerkennung von Daten als ein von der Information abgegrenztes Produkt im Rahmen des Art. 102 AEUV,Footnote 826 die Standardisierung von Datenformaten und BenutzerschnittstellenFootnote 827 oder die Anwendung der Grundsätze zur ZwangslizenzierungFootnote 828.

Andere halten die Befürchtung einer Monopolisierung von Informationen dagegen patentrechtlich für unbegründet.Footnote 829 Laut Nack ist „nicht ein einziger Fall zu finden […], in dem es tatsächlich um eine Erfindung geht, welche sich in der gewillkürten inhaltlichen Bedeutung von Daten auf einem Datenträger erschöpft.“ Darüber hinaus sei es auch nur schwer vorzustellen, dass je ein Anmelder versucht haben könnte, ein Patent (d. h. ein Monopol) auf einen Bedeutungsgehalt dieser Art zu bekommen.Footnote 830 Für Graf Ballestrem/Reissner hat der BGH in seiner Rezeptortyrosinkinase-II-Entscheidung mit dem Erfordernis der sachlich-technischen Prägung den Preis für den patentrechtlichen Datenschutz formuliert. Nur wenn dieses Erfordernis erfüllt werden kann, ist ein patentrechtliches Datenmonopol gerechtfertigt, ansonsten bleiben Daten patentrechtlich frei.Footnote 831

2.4.1.2.3.3.4 Zusammenfassung

Die h.L orientiert sich bei der Bestimmung der Technizität einer Lehre an den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen. Das bedeutet, dass das Vorliegen einer Erfindung nach wie vor anhand der Beherrschbarkeit von Materie und Energie gemessen wird, ohne dass dabei der Information eine eigenständige Bedeutung zukommen würde. Gegen den patentrechtlichen Schutz von Daten werden vereinzelt verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Monopolisierung von Wissen geäußert..

2.4.1.2.3.4 Zwischenergebnis

Den Begriff der sachlich-technischen Prägung des derivaten Verfahrenserzeugnisschutzes mit den zur Technizität entwickelten Grundsätzen auszufüllen, erweist sich insoweit als schwierig, als dass der Erfindungsbegriff bzw. das „Technische“ daran weder selbstständig noch über die in § 1 Abs. 2 PatG / Art. 52 Abs. 3 EPÜ aufgezählten Ausschlusstatbestände abschließend zu definieren ist. Gleichzeitig aber bieten allein die Ausschlusstatbestände einen gesetzlichen Anknüpfungspunkt, um bei der Frage nach dem technischen Lösungsmittel ansatzweise zwischen gewissen Ausprägungen dieser Grundsätze differenzieren zu können. Die Rechtsprechung lässt zumindest die Tendenz erkennen, Lehren, denen beispielsweise ein Computerprogramm zugrunde liegt, in der Regel eher an § 1 Abs. 2 Nr. 3 PatG / Art. 52 Abs. 3 lit. c EPÜ zu messen, als etwa an § 1 Abs. 2 Nr. 1 PatG / Art. 52 Abs. 3 lit. a EPÜ, obwohl die jedem Computerprogramm zugrunde liegenden Algorithmen durchaus auch als „mathematische Methoden“ qualifiziert und demnach beurteilt werden könnten. Betrifft die angemeldete Lehre in erster Linie die Vermittlung von Informationsinhalten an den Menschen, wird dagegen meist der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 2 Nr. 4 PatG / Art. 52 Abs. 3 lit. d EPÜ herangezogen, wenn auch der initiale Vorbehalt gegen die Patentierbarkeit solcher Verfahren in der Freihaltebedürftigkeit „gedanklicher Tätigkeiten“ begründet liegt, und damit ebenso unter § 1 Abs. 2 Nr. 3 PatG / Art. 52 Abs. 3 lit. c EPÜ gefasst werden könnte

2.4.2 Eigener Ansatz

Um dem dynamischen Ansatz der Rechtsprechung zur Auslegung des Erfindungsbegriffes sowie der Patentausschlussgründe angemessen Rechnung zu tragen, kann man sich der Frage der Technizität von Daten und Informationen letztlich nur über Fallgruppen nähern, die zum einen keine abschließende Gültigkeit für sich beanspruchen dürfen und zum anderen konkret genug sind, um einen rechtssicheren Umgang damit zu gewährleisten.

2.4.2.1 Typologische Einordnung in zwei Fallgruppen

Da sich der patentrechtliche Datenbegriff am ehesten dem Programmbegriff i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. c EPÜ zuordnen lässt und der patentrechtliche Informationsbegriff wiederum an § 1 Abs. 3 Nr. 4 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. d EPÜ anknüpft, bietet es sich im Interesse der Einheit der Rechtsordnung an, zwei Fallgruppen zu bilden, welche die Grundsätze der computerimplementierten Erfindungen berücksichtigen und die hierzu existierenden Rechtsprechungslinien des BGH und des BPatG mit derjenigen des EPA in Einklang bringen.

Die erste Fallgruppe der computerimplementierten Daten basiert auf dem von den Beschwerdekammern entwickelten Konzept der funktionalen Daten. Es handelt sich mithin um Daten auf der syntaktischen Ebene, die bestimmte semantische Informationsinhalte codieren und mit einem zugrundeliegenden Datenträger, der strukturellen Ebene, derart zusammenwirken, dass dort ein gewisser technischer Effekt ausgelöst wird.

Die zweite Fallgruppe der Mensch-Computer-Informationen basiert zumindest im Ansatz auf dem von den Beschwerdekammern entwickelten Konzept der technischen Informationen. Im Kern sollen hiernach Merkmale patentgemäßer Lehren beurteilt werden können, welche zwar die Vermittlung von Informationsinhalten an einen Menschen bezwecken, aber dennoch nicht die Schwelle des Ausschlusstatbestandes der bloßen „Wiedergabe von Informationen“ gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 4 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. d EPÜ überschreiten. Gleichzeitig ist es auch hier das Ziel, die Ansätze der Beschwerdekammern mit der Rechtsprechungslinie des BGH und des BPatG, d. h. insb. mit den Bildstrom-Grundsätzen, in Einklang zu bringen.

2.4.2.2 Computerimplementierte Daten

Die Daten selbst sind keine technischen Mittel. Für die Annahme der Technizität genügt jedoch bereits der Umstand, dass die Daten mit einem technischen Mittel, nämlich dem zugrundeliegenden Datenträger, zusammenwirken, etwa indem sie durch diesen verarbeitet werden. Dass bei diesem Vorgang elektrische Spannungen entstehen, reicht wiederum nicht zur Bejahung der technischen Lösung eines technischen Problems auf der Ebene der erfinderischen Tätigkeit aus, da ansonsten jedes Datum als technisches Lösungsmittel verstanden werden könnte.

Zur Bestimmung eines darüberhinausgehenden, weiteren technischen Effekts kann wiederum der von den Beschwerdekammern herangezogene Vergleich der funktionalen Daten mit Computerprogrammen aufgegriffen werden, der insoweit zutrifft, als dass Computerprogramme ebenfalls aus Daten bestehen und mit einem Datenträger wie insbesondere einem Computer zusammenwirken können. Mit der Einordnung der „Programme für Datenverarbeitungsanlagen“ gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 3 PatG / Art. 52 Abs. 3 lit. c EPÜ unter den Begriff der funktionalen Daten lassen sich auf letztere die vom BPatG konkretisierten Webseitenanzeige-Grundsätze des BGH anwenden. Die drei darin enthaltenen, nicht abschließenden Anwendungsfälle der technischen Problemlösung können sowohl alternativ als auch kumulativ vorliegen.

2.4.2.2.1 Anpassung der Datenstruktur an den Datenträger

Erstens müsste die Struktur und/oder das Format der Daten derart „modifiziert“ bzw. „abweichend adressiert“ sein, dass die Daten an den technischen Aufbau des zugrundeliegenden Datenträgers angepasst sind und in einen Verfahrensablauf einbezogen werden können, der über die bloße Übermittlung von Eingabeinformationen hinausgeht. Die Datenstruktur und/oder das Datenformat muss mithin die technischen Eigenschaften des Systems, in dem sie verwendet wird, implizieren, was z. B. bei einem Fernsehsignal,Footnote 832 Synchronisierungsdaten,Footnote 833 Drucker-SteuerzeichenFootnote 834 und einem Clipboard-FormatFootnote 835 der Fall ist.

2.4.2.2.2 Rücksichtnahme auf die innere Funktionsfähigkeit des Datenträgers

Zweitens müssten die Daten auf technische Gegebenheiten innerhalb des Datenträgers Rücksicht nehmen, was insbesondere dann erfüllt ist, wenn die Datenstruktur auf die vorhandenen Rechnerarchitekturen bzw. Ressourcen derart zugeschnitten ist, dass physische Beschränkungen, wie z. B. die Rechenleistung oder Speicherkapazität überwunden werden können. Grundsätzlich müssen die Daten lediglich die Eigenschaften des Systems berücksichtigen, wie z. B. steuerungstechnischen Eigenschaften einer drucktechnischen Maschine,Footnote 836 und nicht auf die Eigenschaften des Benutzers des Systems.Footnote 837

2.4.2.2.3 Einbindung der Daten in externe technische Abläufe

Drittens kann eine technische Problemlösung dann angenommen werden, wenn die Daten technische Gegebenheiten außerhalb des Datenträgers bestimmen können, wie z. B. die Ausgabe eines Sicherheitscodes, der je nach Aufbau der Sicherheitslogik eine andere technische Wirkung hat.Footnote 838

2.4.2.2.4 Anwendungsbeispiel

Ein Anwendungsbeispiel für die Datenpatentierbarkeit könnte sich im Rahmen des sog. autonomen Fahrens ergeben.Footnote 839 Als „autonom“ bezeichnet man allgemein ein Fahrzeug, das zumindest teilweise ohne menschliche Unterstützung navigieren kann (z. B. Lenkung, Geschwindigkeit).Footnote 840 Diese Fahrzeuge sind häufig mit Sensoren ausgestattet, die Umgebungsinformationen aufnehmen und an den Boardcomputer des Fahrzeugs übermitteln können.Footnote 841 Stellt man sich nun vor, dass die während der Fahrt aufgenommenen Informationen (z. B. Fahrtgeschwindigkeit, Windstärke, Außentemperatur, Bodenbelag, Lichtverhältnisse) derart codiert werden können, dass die dadurch entstehende Datenstruktur unter Rücksichtnahme auf die physikalischen Beschränkungen von Fahrzeug und Umgebung, das Fahrverhalten des Fahrzeugs in bestimmten Fahrsituationen (z. B. Unebenheiten, Hindernisse) unmittelbar beeinflussen kann, ließe sich darin durchaus ein weiterer technischer Effekt erkennen, der im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigen wäre.

2.4.2.2.5 Zwischenergebnis

Die Prüfung der Technizität sowie der technischen Problemlösung funktioneller Daten richtet sich demnach nach den zu Computerprogrammen entwickelten Grundsätze der computerimplementierten Erfindung. Um die Übertragung der Grundsätze auch sprachlich zum Ausdruck zu bringen, sollte anstelle von funktionellen Daten die Terminologie „computerimplementierte Daten“ verwendet werden. Solche computerimplementierten Daten sind typischerweise im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit zu prüfen, wenn ihre Struktur an die technischen Eigenschaften des zugrundeliegenden Datenträgers angepasst ist, wenn sie Rücksicht auf die innere Funktionsfähigkeit des Datenträgers nehmen und/oder wenn sie in externe technische Abläufe eingebunden werden können.

2.4.2.3 Mensch-Computer-Information

Vorab erfordert die Fallgruppe der Mensch-Computer-Information die Klarstellung, dass Informationen selbst nicht-technischer Natur sind. Wird dem menschlichen Empfänger der Bedeutungsgehalt der Information jedoch unter Verwendung eines technischen Mittels visuell oder akustisch wahrnehmbar gemacht, lässt sich in aller Regel der technische Gesamtcharakter und damit die Technizität des zugrundeliegenden Verfahrens bejahen.

Bei der Frage, unter welchen Bedingungen die Informationsvermittlung eine technische Problemlösung darstellen kann, müssen wiederum die zwei folgenden Voraussetzungen erfüllt sein:

2.4.2.3.1 Rücksichtnahme auf physiologische Aspekte der Informationswahrnehmung

Die erste Voraussetzung betrifft die Frage, welche Rolle der menschliche Faktor in der Bestimmung der technischen Problemlösung spielt bzw. spielen darf. Die Forderung des BGH nach der Rücksichtnahme „auf die physischen Gegebenheiten der menschlichen Wahrnehmung“ sowie die Differenzierung der Beschwerdekammern zwischen physio- und psychologischen Merkmalen informationsbezogener Lehren stellen letztlich zwei Seiten derselben Medaille dar. Denn beiden Ansätzen ist gemein, dass rein psychische bzw. psychologische Aspekte keinen Beitrag zur Lösung eines technischen Beitrages leisten können.Footnote 842

Wie der Exkurs zur Sinnesphysiologie gezeigt hat, lassen sich physiologische und psychologische Aspekte der menschlichen Sinneswahrnehmung jedenfalls aus medizinischer Sicht kaum trennscharf voneinander abgrenzen. Allerdings ist eine solche strenge Trennung für die Frage der Patentierbarkeit informationsbezogener Erfindung auch nicht zwingend notwendig. Denn die Berücksichtigung physiologischer Merkmale ist nicht als eigenständige Erfindungskategorie zu verstehen, sondern dient vielmehr der wiederholbaren Ausführbarkeit der Erfindung. Um eine verlässliche Wiederholbarkeit zu gewährleisten, ist zu fordern, dass die Wahrnehmung der Information bestimmte körperliche, objektiv messbare Reaktionen oder Reflexe beim menschlichen Empfänger auslöst, die dieser bewusst weder steuern noch verhindern kann.

Zu diesen körperlichen, objektiv messbaren Reaktionen kann beispielsweise die Veränderung der Pupillengröße, die Erhöhung der Herzfrequenz oder Aktivierung von Schweißdrüsen zählen. Hierzu gehören aber ebenso wahrnehmungsspezifische Umstände wie etwa das räumliche Sehen (z. B. 3-D-Effekte), die Farbwahrnehmung (z. B. das Mischen von blau und gelb erscheint grün), das eingeschränkte Hören bestimmter Frequenzbereiche, die begrenzten Geschmackssinne (insb. süß, salzig, sauer, bitter, umami) oder die eingeschränkte Oberflächensensibilität (z. B. Verwechslung von sehr heißem mit sehr kaltem Material). Löst die von den Wahrnehmungsorganen des menschlichen Empfängers aufgenommene Information eine körperliche und kausal nachvollziehbare Reaktion aus, lässt sich diese als indirekt-technischer Effekt beschreiben.Footnote 843 In der Patentanmeldung müssen solch indirekt-technischen Effekte zur Erfüllung des zugrundeliegenden technischen Problems entsprechend beansprucht und beschrieben werden.

Die Anforderung an die objektive Messbarkeit dieser Effekte sollte dabei im Vergleich zur Praxis der Beschwerdekammern weniger streng betrachtet werden. Denn der Nachweis der physiologischen Aspekte kann neben klassischen Methoden der Ingenieurwissenschaften oder der Informatik auch mithilfe von statistischen Modellen und empirischen Studien erbracht werden. Nimmt beispielsweise der Fahrer eines Fahrzeuges während der Fahrt etwa ein plötzlich die Straße überquerendes Objekt wahr (z. B. eine Katze), lässt sich als körperliche und kausal nachvollziehbare Reaktion die optische Fixierung des Tieres verbunden mit einer daraus resultierenden, ausweichenden Lenkbewegung zur Kollisionsvermeidung werten. Die Mehrzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an einem simulierten Kollisions-Test würde wahrscheinlich instinktiv eine Ausweichlenkung vollziehen, obwohl ein Zufahren auf das vergleichsweise kleine Objekt weniger potentielle Unfallrisiken (z. B. Fahren in den Gegenverkehr oder straßenseitige Bepflanzung) birgt.

Anders als nach dem von Beyer und Wiebe vertretenen Ansatz reicht der Umstand der objektiven Messbarkeit der durch die Information ausgelösten körperlichen Reaktion nicht aus, um der Information selbst einen technischen Charakter zuschreiben zu können. Denn ebenso wie bei der Überprüfung des technischen Effekts von Daten auf das zugrundliegende technische Mittel genügt das bloße Zählen, Messen und Auswerten nicht, um eine technische Problemlösung annehmen zu können. Eine solche Problemlösung kann sich daher nur in einem darüberhinausgehenden Wechselspiel mit dem menschlichen Benutzer und dem zugrundeliegenden technischen Mittel ergeben.

2.4.2.3.2 Ergonomischere Mensch-Computer-Kommunikation

Die zweite Voraussetzung betrifft daher die Frage, inwieweit die Rücksichtnahme der Lehre auf die wahrnehmungsspezifischen Aspekte dazu führen kann, dass ein technisches Problem gelöst wird. An dieser Stelle sollte einer liberalen Auslegung der Bildstrom-EntscheidungFootnote 844 gefolgt werden, wonach Aspekte der Bedienungssicherheit, der Bedienungsfreundlichkeit sowie des Benutzerkomforts, mithin der Ergonomie, grundsätzlich einen technischen Zweck darstellen können. Die gezeigten Informationen führen mithin dann zu einer „zweckmäßigen Gestaltung“ für die menschliche Wahrnehmungsfähigkeit, wenn die Interaktionen des Menschen mit dem zugrunde liegenden technischen Mittel erleichtert und Bedienungsfehler vermieden werden.

Bleibt es nicht bei einer einseitigen Interaktion mit der Maschine, sondern folgt aus der Bedienung des Mittels eine fortlaufende Ein- und Ausgabe von Daten und Informationen, liegt eine ergonomische Mensch-Maschinen-Kommunikation vor, die als technische Problemlösung gewertet werden kann.

2.4.2.3.3 Anwendungsbeispiel

Auch hier kann wieder ein Anwendungsbeispiel aus dem Bereich des autonomen Fahrens herangezogen werden. Denn das teil- und hochautomatisierte Fahrzeug muss mit dem Fahrer in einen ständigen Dialog treten, damit dieser beispielsweise entscheiden kann, unter welchen Bedingungen (z. B. Unwetter, technische Störung) er die Fahrzeugkontrolle rechtzeitig wieder übernehmen will.Footnote 845 Die Informationsvermittlung kann dabei etwa durch akustische Signaltöne, durch auf die Frontscheibe projizierte Anzeigen (sog. Heads Up DisplayFootnote 846) oder durch das Lenkrad übertragene Vibrationen erfolgen, denen der Fahrer seine Aufmerksamkeit schenkt, um daraufhin eine bestimmte Fahrentscheidung treffen zu können. Denkbar ist auch, dass das Fahrzeug durch eine fortlaufende Gestik- und BerührungserkennungFootnote 847 Ermüdungserscheinungen des Fahrers erkennt (z. B. abwandernder Blick, zufallende Augenlieder) und den Fahrstil entsprechend anpasst. Der indirekt-technische Effekt (z. B. die erhöhte Aufmerksamkeit) wirkt sich insoweit direkt auf das technische Mittel (das Fahrzeug) aus und erhöht somit Fahrsicherheit.Footnote 848

2.4.2.4 Zwischenergebnis

Mit den „Computerimplementierten Daten“ einerseits und den „Mensch-Computer-Informationen“ andererseits lassen sich zwei Fallgruppen bilden, denen zur Folge Daten eine direkte und Information eine indirekte technische Wirkung auf ein technisches Mittel haben können, um somit im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit Berücksichtigung zu finden.

2.4.2.5 Normative Korrektur durch Substitutionstest

Es ist nicht auszuschließen, dass gerade gegenüber der zweiten Fallgruppe Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit § 1 Abs. 3 Nr. 4 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. d EPÜ sowie dem dahinterstehenden Schutz der Meinungsfreiheit geäußert werden. So wurde bereits die Behauptung aufgestellt, dass ein auf die „Eingrenzung von Informationen“ abzielender Patentschutz auf einen Geheimnisschutz hinausliefe.Footnote 849 Demgegenüber lässt sich jedoch erwidern, dass dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit und Wirtschaft, insbesondere durch die Vorschriften über die Offenlegung der Anmeldung (§ 32 f. PatG / Art. 98 EPÜ) Rechnung getragen wird,Footnote 850 die Offenlegung der Erfindung also gerade eine Voraussetzung des Patentschutzes ist,Footnote 851 die nur aus überwiegenden Staatsschutzinteressen unterbleiben darf, vgl. §§ 50 ff. PatG i.V.m. § 93 StGB. Soweit nicht solchen gemeinnützigen Gründen Vorrang einzuräumen ist, hat der Patentinhaber grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass ihm der wirtschaftliche Nutzen seiner Arbeit eigentumsrechtlich im Sinne des Art. 14 Abs. 1. S. 1 GG zugeordnet und angemessener Lohn für die Bereicherung der Allgemeinheit ein ausschließliches Nutzungsrecht gewährt wird.Footnote 852

Um jegliche Bedenken hinsichtlich der Gefahr der Wissensmonopolisierung zu zerstreuen, sollte der Ansatz dennoch normativ korrigiert werden. Vorgeschlagen wird hierzu ein Test, der sich an der in der Datenstruktur/Philips-Entscheidung der Beschwerdekammer aufgeworfenen Frage zur Abgrenzung funktionaler Daten von kognitiven Informationen orientiert. Dort ging es darum zu entscheiden, ob durch das Hinwegdenken der betroffenen Informationsart das zugrundeliegende technische System nur einen anderen als den gewollten Informationsinhalt vermittelt (dann kognitive Informationen) oder, ob hierdurch das gesamte technische System zum Erliegen kommt (dann funktionale Daten). Zur Klärung der Rolle des Bedeutungsgehaltes der betroffenen Informationen soll nun eine ähnliche, hypothetische Fragestellung angesetzt werden, und zwar:

„Ist der konkrete Inhalt der Information entscheidend für die Beurteilung der ergonomischeren Mensch-Computer-Kommunikation?“

Muss die Frage bei der betrachteten Lehre bejaht werden, sollte die indirekte technische Wirkung unter Anwendung des Ausschlusstatbestandes der „Wiedergabe von Informationen“ (§ 1 Abs. 3 Nr. 4 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. d EPÜ verneint werden. Ist das Vorliegen einer bestimmten Information für das Hervorrufen des indirekten technischen Effektes dagegen nicht erforderlich, findet der Ausschlusstatbestand keine Anwendung. Mit anderen Worten: Ist der konkrete Bedeutungsinhalt der Informationen austausch- oder ersetzbar, besteht keine Gefahr, dass einzelne Informationen durch den patentrechtlichen Schutz monopolisiert werden.

2.4.2.6 Ergebnis

Daten weisen dann die für die Begründung des derivaten Verfahrenserzeugnisschutz notwendige sachlich-technische Prägung auf, wenn sie computerimplementiert sind und einen technischen Effekt erzeugen und/oder wenn die ihnen zugrundeliegende Information – unabhängig vom konkreten Bedeutungsgehalt – zu einer ergonomischeren Mensch-Computer-Kommunikation führt.

2.4.3 Daten als Erzeugnis (§ 9 S. 2 Nr. 1 PatG)

Daten sind in der Regel nicht Gegenstand eigener Sachansprüche.Footnote 853 Im Folgenden soll untersucht werden, ob Daten trotz ihrer fehlenden Körperlichkeit nicht nur unter den Verfahrenserzeugnisschutz, sondern auch unter den Erzeugnisschutz nach § 9 S. 2 Nr. 1 PatG fallen können.

2.4.3.1 Erzeugnisschutz als Sachschutz

Erfindungen lassen sich neben den verschiedenen Herstellungsverfahren auch in verschiedene Erzeugnis-Arten unterteilen.Footnote 854 So wie sich der Verfahrensschutz in Herstellungs-, Arbeits- oder Verwendungsverfahren untergliedern lässt, existieren für den Erzeugnisschutz Sub-Kategorien, wie z. B. Vorrichtungs-, Stoff- oder Anordnungspatente.Footnote 855 Die Fassung des Patentanspruchs ist für die Frage, ob ein Sachpatent oder ein Verfahrenspatent vorliegt, zwar nicht unbedingt maßgebend. Jedoch weist die Rechtsprechung den Erfindungsgegenstand in Zweifelsfällen stets derjenigen Kategorie zu, die dem Wesen der Erfindung entspricht.Footnote 856

2.4.3.1.1 Keine zwingende Sachqualität des Erzeugnisses

Im allgemeinen Sprachgebrauch wird ein Erzeugnis bzw. „etwas Erzeugtes“ mit einem körperlichen Gegenstand assoziiert, mithin einer Sache, wie sie in § 90 BGB definiert ist. Danach ist ein Erzeugnispatent weitgehend identisch mit einem Sachpatent, das sich auf bewegliche oder unbewegliche körperliche Gegenstände wie z. B. Vorrichtungen oder Maschinen bezieht.Footnote 857 Es liegt mithin nahe, im Zusammenhang mit einem Erzeugnispatent die „Körperlichkeit“ des Erzeugnisses vorauszusetzen.Footnote 858 Da § 9 S. 2 Nr. 1 PatG jedoch nicht zwischen „körperlich“ und „unkörperlich“ unterscheidet, ist diese einschränkende Auslegung nicht zwingend.Footnote 859 Wie der Einschub „[das Erzeugnis], das Gegenstand des Patents ist“ in § 9 S. 2 Nr. 1 PatG klarstellt,Footnote 860 ist der Gegenstand eines solchen Patents nicht das Erzeugnis als körperlich, physikalisch oder chemisch erfassbarer Gegenstand.Footnote 861 Gegenstand des Patents ist vielmehr der das Erzeugnis betreffende Erfindungsgedanke, mithin die technische Lehre, die beschreibt, wie eine bestimmte Aufgabe aufgrund der äußeren oder inneren Beschaffenheit des Erzeugnisses gelöst werden kann – unabhängig davon, auf welche Weise das Erzeugnis hergestellt wurde oder wozu es verwendet wird.Footnote 862 Der Schutz des Erzeugnispatents bezieht sich damit nicht auf bestimmte Sachen, sondern Gegenstände (im Rechtssinne), die spezifische technische Eigenschaften aufweisen.Footnote 863

2.4.3.1.2 Räumlich-körperliche Merkmale des Erzeugnisses

Die immaterielle Erfindung, nämlich die Gestaltung, Konstruktion oder der Entwurf eines Erzeugnisses, muss jedoch – um es mit den Worten von Bacher zu sagen – „in die Welt des körperlich Fassbaren“ übertragen werden.Footnote 864 Im Patentanspruch muss der Gegenstand daher grundsätzlich durch bestimmte räumlich-körperliche Gestaltungsmerkmale wie z. B. physikalische oder chemische Parameter gekennzeichnet werden,Footnote 865 die wiederum die Grenze der funktionsorientierten Auslegung bilden.Footnote 866 Lässt sich die erfinderische Lehre durch körperliche Merkmale nicht oder nicht praktikabel erfassen, was insbesondere bei chemischen Stoffen der Fall sein kann, ist allerdings auch jede andere, hinreichend bestimmbare Form der Beschreibung zulässig,Footnote 867 wie z. B. die Angabe eines Verbindungszweckes.Footnote 868 Das beanspruchte Erzeugnis muss vom Stand der Technik und nicht-beanspruchten Erzeugnissen lediglich identifiziert werden können, damit sowohl der Patentinhaber als auch Dritte in rechtssicherer Art und Weise in der Lage sind, den jeweiligen Umfang der Benutzungsbefugnisse des § 9 S. S. 2 Nr. 1 PatG voneinander zu unterscheiden.Footnote 869 Nach der Definition von Moufang sind Erzeugnisse i.S.d. § 9 S. 2 Nr. 1 PatG demnach körperliche Gegenstände „im weitesten Sinne“.Footnote 870

2.4.3.1.3 Unklares Verhältnis zum Erzeugnisbegriff i.S.d. § 9 S. 2 Nr. 3 PatG / Art. 64 Abs. 2 EPÜ

Der Erzeugnisbegriff des § 9 S. 2 Nr. 1 PatG wird ebenso wenig wie derjenige in § 9 S. 2 Nr. 3 PatG / Art. 64 Abs. 2 EPÜ gesetzlich definiert. Laut der Rezeptortyrosinkinase-II-Entscheidung des BGH muss das Verfahrenserzeugnis i.S.d. § 9 S. 2 Nr. 3 PatG nicht zwingend körperlicher Natur sein.Footnote 871 Zur Auslegung des Erzeugnisbegriffes i.S.d. § 9 S. 2 Nr. 1 PatG fehlt eine solche Rechtsprechungslinie. Die Verwendung des gleichen Begriffs „Erzeugnis“ innerhalb derselben Norm legt nahe, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf die Qualifizierung des Erzeugnisses in § 9 S. 2 Nr. 1 und Nr. 3 PatG keinen Unterschied machen wollte.Footnote 872 Gleichzeitig fehlen konkrete Anhaltspunkte, warum die Erzeugnisbegriffe zwingend identisch sein müssten.Footnote 873 Immerhin ist nach § 9 S. 2 Nr. 3 PatG das „Verfahren“ Gegenstand des Patents und eben nicht das Erzeugnis wie in § 9 S. 2 Nr. 1 PatG. Eine klare gesetzgeberische Wertung hinsichtlich des möglichen Verhältnisses der beiden Erzeugnisbegriffe im Rahmen des § 9 S. 2 PatG lässt sich nicht erkennen. Allein aus dem Umstand, dass das Verfahrenserzeugnis gemäß § 9 S. 2 Nr. 3 PatG unkörperlich sein kann, lässt sich mithin nicht ohne weiteres schließen, dass sich diese Wertung automatisch auf § 9 S. 2 Nr. 1 PatG übertragen lässt.

2.4.3.1.4 Diskussion und eigene Stellungnahme

Einige Stimmen in der Literatur bezeichnen die Bindung des patentrechtlichen Schutzes an die Körperlichkeit schlicht als „unhaltbar“.Footnote 874 So wird teilweise bereits aus der Signalfolge-EntscheidungFootnote 875 des BGH geschlossen, dass ein Erzeugnis auch ein Gegenstand sein kann, „der nur kurzfristig existiert, aber zuverlässig herstellbar ist und funktioniert“,Footnote 876 die dauerhafte Existenz mithin kein Charakteristikum eines Erzeugnisses sein müsse.Footnote 877 Erzeugnisse könnten danach auch aus unkörperlichen Gegenständen wie Signal- oder Datenfolgen bestehen, deren Struktur nach bestimmten technischen Regeln vorgegeben ist.Footnote 878

Bei dieser Auslegung wird jedoch übersehen, dass der Signalfolge-Entscheidung ein gebrauchsmusterrechtlicher Sachverhalt zugrunde lag und die dort getroffene Abgrenzung des Erzeugnis- zum Verfahrensschutz vor dem Hintergrund, der im GebrMG nicht vorhandenen Schutzfähigkeit von Verfahrenserfindungen getroffen wurde. Keukenschrijver bezweifelt daher zu Recht, dass in dieser Präzisierung des Abgrenzungskriteriums zum Gebrauchsmusterrecht gleichzeitig auch eine Neudefinition des patentrechtlichen Erzeugnisbegriffs zu sehen ist.Footnote 879 Außerdem hat der BGH in der zitierten Entscheidung Signalfolge nicht etwa die Signalfolge als solche unabhängig von jeglichem Medium für gebrauchsmusterfähig erklärt, sondern lediglich festgestellt, dass das Fehlen eines beständigen körperlichen Substrats dem Gebrauchsmusterschutz nicht entgegenstehe.Footnote 880

Andere vertreten die Ansicht, der BGH habe mit der Bejahung des Verfahrenserzeugnisschutzes für Daten in Rezeptortyrosinkinase II gleichzeitig auch die Notwendigkeit der Körperlichkeit des Erzeugnisses i.S.d § 9 S. 2 Nr. 1 PatG verneint.Footnote 881 Eine solche Aussage ist dieser Entscheidung jedoch nicht ausdrücklich zu entnehmen.Footnote 882 Im Gegenteil: Die dort entwickelten Erfordernisse der „wiederholbaren Nutzbarkeit“, „üblichen Wahrnehmbarkeit“ sowie der „sachlich-technischen Prägung“ scheinen im Bereich der Datenpatentierung vielmehr eine Annäherung des Verfahrenserzeugnisschutzes an den des Sachpatents nahezulegen. Denn über das Kriterium der „sachlich-technischen Prägung“ hat letztlich die Technizitätsprüfung Eingang in den § 9 S. 2 Nr. 3 PatG / Art. 64 Abs. 2 EPÜ gefunden, wonach der Schutz des Verfahrenserzeugnisses zumindest eine Anbindung an ein „technisches Mittel“ und damit in aller Regel an einen körperlichen Gegenstand erfordert. Zwar ist auch der semantische Gehalt von Informationen unzweifelhaft unkörperlich.Footnote 883 Deren Ausschluss vom Erzeugnisschutz stellt sich jedoch nicht im Rahmen des § 9 S. 2 PatG, sondern ergibt sich bereits unmittelbar aus der Wertung des § 1 Abs. 3 Nr. 4 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. d EPÜ.Footnote 884 Für sonstige unkörperliche Gegenstände wie z. B. elektrischer StromFootnote 885 oder Daten bleibt die Frage nach der Notwendigkeit eines körperlichen Sachmerkmals dagegen auch im Rahmen des Erzeugnisschutzes von Bedeutung.

2.4.3.1.5 Fazit

Der Erzeugnisbegriff ist nicht gesetzlich definiert. Mangels eines eindeutigen gesetzgeberischen Willens scheint die „Körperlichkeit“ das einzig sinnvolle Kriterium zur Abgrenzung des Erzeugnisanspruches von dem des Verfahrensanspruches darzustellen. Die Abschwächung oder gar Auflösung der strikten Erzeugnis- und Verfahrensbezogenheit des Patentschutzes sollte aus Gründen der Rechtssicherheit vermieden werden.Footnote 886 Versteht man Daten als unkörperliche Gegenstände, kann ihnen kein Erzeugnisschutz zugebilligt werden. Die zum Verfahrenserzeugnisschutz entwickelten Patentierungsgrundsätze sind insofern nicht auf den Erzeugnisschutz übertragbar.

2.4.3.2 Product-by-process-Schutz von Daten

Möglicherweise lässt sich das Hindernis der fehlenden Körperlichkeit jedoch unter Anwendung des sog. product-by-process-Anspruches überwinden.

2.4.3.2.1 Der pbp-Anspruch als subsidiärer Erzeugnisanspruch

Während die technischen Merkmale des Erzeugnisanspruches die physikalischen Parameter des zugrundeliegenden Gegenstandes darstellen, lassen sich die technischen Merkmale eines Verfahrensanspruches über die physischen Schritte der zugrundeliegenden Tätigkeit definieren.Footnote 887 Mit einem sog. product-by-process-Anspruch (pbp-Anspruch) können Erzeugnisse auch durch die Art ihrer Herstellung gekennzeichnet werden.Footnote 888 Das ist jedoch nur zulässig, wenn die Erzeugnisse als solche die Voraussetzungen für die Patentierbarkeit erfüllen und die Anmeldung keine anderen Angaben enthält, die es dem Anmelder ermöglichen würden, das Erzeugnis durch seine Zusammensetzung, seine Struktur oder sonstige nachprüfbare Parameter hinreichend zu kennzeichnen.Footnote 889 Der pbp-Anspruch ist demnach ein subsidiärerFootnote 890 Erzeugnisanspruch.Footnote 891 Die Kennzeichnung beschränkt das Erzeugnis nicht auf die angegebenen Herstellungsverfahren.Footnote 892 Vielmehr ist durch Auslegung des Anspruchs zu ermitteln, ob und inwieweit sich aus dem angegebenen Herstellungsweg Merkmale ergeben, anhand derer das erhaltene Erzeugnis als anspruchsgemäß qualifiziert werden kann.Footnote 893 Auch hier ist eine funktionsorientierte Auslegung vorzunehmen.Footnote 894

2.4.3.2.2 Keine direkte Anwendung der pbp-Grundsätze auf Daten (Aufzeichnungsträger)

Die vorstehenden Grundsätze zum pbp-Anspruch wurden in erster Linie im Rahmen von Entscheidungen entwickelt, bei denen chemische Stoffe oder biologisches Material Gegenstand der patentgemäßen Lehre waren. Ihre Anwendbarkeit ist jedoch nicht auf bestimmte Technikbereiche beschränkt.Footnote 895 In der Literatur wurde daher bereits früh über die Möglichkeit von Sachpatenten diskutiert, die auf einem zweckgerichteten Informationseinsatz beruhen.Footnote 896 Im Rahmen der Aufzeichnungsträger-Entscheidungen wurden die Grundsätze des pbp-Anspruchs erstmals auf computerimplementierte Erfindungen angewendet.

2.4.3.2.2.1 Erstinstanzliche Entscheidung des LG Düsseldorf (Aufzeichnungsträger)

Am Anfang des Jahres 2002 entschied das LG Düsseldorf über die Verletzung zweier Patente, denen jeweils ein bestimmtes Codierungsverfahren sowie ein Daten- bzw. Aufzeichnungsträger (wie z. B. eine CD) zugrunde lag. Mit Hilfe der patentgemäßen Verfahren konnten Datenwörter sowie eine bestimmte Informationsstruktur erzeugt werden.Footnote 897 Das technische Problem der Verfahren lag darin, die Korrigierbarkeit der Datenwörter sowie die optische Auswertbarkeit der Informationsstruktur zu verbessern.Footnote 898 Die Kammer bejahte eine patentverletzende Benutzung des angegriffenen Trägermediums (ebenfalls eine CD), weil die hierauf gespeicherten Daten identisch mit denen waren, die durch das patentgemäße Verfahren erzeugt werden konnten.Footnote 899 Die auf den Datenträgern der Klagepatente gespeicherten Daten konnten damit „mittelbar“ durch das Verfahren ihrer Herstellung gekennzeichnet werden – und beschrieben gleichzeitig den Datenträger selbst.Footnote 900

2.4.3.2.2.2 Nichtigkeitsentscheidung des BPatG (Aufzeichnungsträger)

In den parallelen Nichtigkeitsverfahren vor dem BPatG verneinte der Senat –unter Bezugnahme auf die in Datenstrukturprodukt/Philips entwickelten Grundsätze zu funktionalen Daten – das Vorliegen des Ausschlusstatbestandes der § 1 Abs. 3 Nr. 4 PatG mit der wortgleichen Begründung, dass der vorliegend beanspruchte Aufzeichnungsträger durch eine funktionelle, d. h. auf das System abgestimmte Datenstruktur gekennzeichnet war, ohne dass der kognitive Gehalt der aufgezeichneten Daten für die Verwendbarkeit innerhalb des Systems eine Rolle gespielt hätte.Footnote 901

2.4.3.2.2.3 Revisionsentscheidung des BGH (Aufzeichnungsträger)

In der Berufungsentscheidung Aufzeichnungsträger bestätigte der BGH das Vorliegen der technischen Lehre und stellte zudem unter Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung fest, dass der Patentanspruch als pbp-Anspruch bezeichnet werden kann, da es sich um einen auf einen Aufzeichnungsträger gerichteten Sachanspruch handelt, der nicht durch räumlich-körperlich oder funktional umschriebene Sachmerkmale, sondern durch das Verfahren definiert ist, das die erfindungsgemäße Informationsstruktur erzeugt.Footnote 902

In diesem Zusammenhang sei es ohne Belang, ob sich der Anspruch als ein Verfahren zur Herstellung eines Datenträgers bezeichnen lässt. Vielmehr komme es allein darauf an, inwieweit sich den verfahrensmäßig definierten Merkmalen in ihrem technischen Sinngehalt über die Merkmale hinausgehende Angaben über die erfindungsgemäße Beschaffenheit des beanspruchten Datenträgers entnehmen lassen.Footnote 903 Durch die physikalischen Eigenschaften der Aufzeichnungsstruktur erhielt das Codierungsverfahren eine „greifbare Materialisierung“.Footnote 904 Damit ist es aus Sicht des BGH möglich, Datenstrukturen allein durch den Weg ihrer Erzeugung, d. h. ein bestimmtes Codierungsverfahren zu kennzeichnen. In einer kurz zuvor veröffentlichten Entscheidung wertete eine Beschwerdekammer in einer ähnlichen Fallgestaltung die Definition eines Aufzeichnungsträgers (einer CD) ebenfalls als das Erzeugnis eines Verfahrens (hier: ein Modulationsverfahren).Footnote 905

2.4.3.2.2.4 Zwischenergebnis

In den vorgenannten Sachverhalten wurden die Datenstrukturen nicht isoliert, sondern stets in Zusammenhang mit einem Daten- bzw. Aufzeichnungsträger beansprucht, mithin in Verbindung mit einem körperlichen, abgrenzbaren und beherrschbaren Gegenstand im Sinne von § 90 BGB.Footnote 906 Die Grundsätze zum pbp-Anspruch können damit nicht direkt angewendet werden, wenn der Herstellungsweg der zu erzeugenden Daten ohne ein körperliches, physisches bzw. materialisiertes Bezugsobjekt beschrieben wird.

2.4.3.2.3 Analoge Anwendung der pbp-Grundsätze auf Daten

Die Annahme eines Erzeugnisschutzes für Daten lässt sich jedoch möglicherweise durch eine analoge Anwendung der Grundsätze erreichen. Eine Analogie setzt allgemein eine planwidrige Regelungslücke sowie vergleichbare Interessen voraus.

2.4.3.2.3.1 Planwidrige Regelungslücke

Die Frage, ob unkörperliche Gegenstände wie Daten unter den Erzeugnisbegriff i.S.d. § 9 S. 2 Nr. 1 PatG fallen können, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Der Erzeugnisbegriff findet sich bereits in der Fassung des PatG von 1891.Footnote 907 Dass der Gesetzgeber sich zu diesem Zeitpunkt bereits bewusst gegen die Erfassung von Daten- oder Informationserzeugnissen entschieden hat, ist zu bezweifeln. Die gegenwärtige Situation ist mithin vergleichbar mit der Situation Ende des 19. Jahrhunderts, als es noch einen Patentierungsausschluss für chemische Stoffe gab und die Einführung des derivativen Erzeugnisschutzes in das deutsche Patentgesetz notwendig machte.Footnote 908 Zur Zeit des Stoffschutzverbotes war das Verfahrenspatent ebenfalls die einzige Möglichkeit, auf einen erfundenen neuen Stoff wenigstens ein deriviertes Ausschlussrecht über den damaligen § 6 S. 2 PatG zu erlangen.Footnote 909 Seit Beseitigung des Stoffschutzverbotes sind Erfindungen, die auf chemischem Wege hergestellte Stoffe betreffen, nach denselben Regeln zu behandeln wie Erfindungen auf allen übrigen Gebieten der Technik, sodass der Patentinhaber grundsätzlich jeglichen gewerbsmäßigen Gebrauch der erfindungsgemäßen chemischen Stoffe untersagen kann.Footnote 910 Daten sind mittlerweile ebenso wie chemische Stoffe wirtschaftlich relevante und auf dem internationalen Markt handelbare Gegenstände. Vor dem Hintergrund der Belohnungs- und Anreizfunktion des Patentrechts besteht mithin ein wirtschaftliches Bedürfnis, dem Erfinder technischer, neuer, erfinderischer und gewerblich anwendbarer Datenstrukturen einen Sachpatentschutz zuzubilligen und die Informatik als herkömmliches Gebiet der Technik anzuerkennen. Es liegt demnach eine planwidrige Regelungslücke vor.

2.4.3.2.3.2 Vergleichbarkeit der Interessenlage

Weiterhin müsste die Interessenlage hinsichtlich des Schutzes von körperlichen im Vergleich zu unkörperlichen Erzeugnissen vergleichbar sein. Das wäre jedenfalls dann der Fall, wenn Daten als physisches Objekt der realen Welt qualifiziert werden könnten. Alternativ könnte eine Vergleichbarkeit gegeben sein, wenn Daten physische Objekte der realen Welt simulieren oder zumindest substituieren.

2.4.3.2.3.2.1 Daten als physische Objekte der realen Welt

Einen Anknüpfungspunkt für die Annahme, dass Daten selbst als physische Objekte der realen Welt einzuordnen sind, enthält die Begründung der Beschwerdekammer in den Entscheidungen Datenstrukturprodukt/Philips, Farbfernsehsignal/BBC und Computerbezogene Erfindung/Vicom.

2.4.3.2.3.2.1.1 Datenstrukturprodukt/Philips-Entscheidung des EPA

Nach der Entscheidung Datenstrukturprodukt/Philips kann eine Analogie zwischen einem Aufzeichnungsträger, auf dem Daten aufgezeichnet sind, und einem modulierten Fernsehsignal angenommen werden. Die Kammer sah keinen Grund, einem in Form digitaler Daten, z. B. in Form einer vorgegebenen binären Zeichensequenz, aufgezeichneten Synchronisationssignal weniger technischen Charakter zuzubilligen als einem analogen Synchronisationssignal, das als speziell geformter Impuls übertragen und aufgezeichnet wird.Footnote 911 Die Beschwerdekammer schließt mithin aus der Technizität eines analogen Synchronisationssignals auf die Technizität eines digitalen Synchronisationssignals. Zur Begründung dieser Analogie verweist die Beschwerdekammer wiederum auf die Feststellungen der früheren Entscheidung Farbfernsehsignal/BBC.Footnote 912

2.4.3.2.3.2.1.2 Farbfernsehsignal/BBC-Entscheidung des EPA

Der Farbfernsehsignal/BBC-Entscheidung liegt ebenfalls ein Fernsehsignal als Anmeldegegenstand zugrunde, das als „transient“, d. h. „flüchtig“ und damit nicht-dauerhaft bezeichnet wird.Footnote 913 Im Rahmen dieser Entscheidung problematisierte die Beschwerdekammer jedoch nicht, ob es sich bei dem Fernsehsignal – möglicherweise gerade aufgrund dessen Flüchtigkeit – um einen „unkörperlichen“ Gegenstand handelt. Einen Anhaltspunkt für diese Schlussfolgerung ergibt sich auf den ersten Blick aus einer Formulierung, welche in der Entscheidung Computerbezogene Erfindung/Vicom verwendet wird, auf welche die Entscheidung Farbfernsehsignal/BBC wiederum Bezug nimmt.

2.4.3.2.3.2.1.3 Computerbezogene Erfindung/Vicom-Entscheidung des EPA

In der Entscheidung Computerbezogene Erfindung/Vicom deutet die Beschwerdekammer an, dass ein „Bild“ eine „physikalische Erscheinung“ und damit ein „materielles Objekt“ sein kann, wenn es „als elektrisches Signal“ gespeichert wird. Dort heißt es jedoch weiter, dass aus der Verwendung des abstrakten Begriffes „[Verfahren zum Filtern von] Daten“ nicht erkennbar sei, „welche physikalische Erscheinung durch die Daten dargestellt wird“ und damit den Gegenstand eines technischen Verfahrens bildet.Footnote 914

2.4.3.2.3.2.1.4 Zwischenergebnis

Die Entscheidungspraxis der Beschwerdekammern zur Vergleichbarkeit von körperlichen und nicht körperlichen Erzeugnissen fußt letztlich auf einer Entscheidung, in welcher die Frage, ob ein als elektrisches Signal dargestelltes Bild ein materielles Objekt der realen Welt darstellen kann, offen gelassen worden ist. Hieraus lässt sich mithin nicht schließen, dass Daten selbst physische Objekte der realen Welt darstellen können.Footnote 915

2.4.3.2.3.2.2 Daten als Simulation physischer Objekte der realen Welt

Möglicherweise steht die Entscheidung über die Notwendigkeit der Körperlichkeit von Erzeugnissen im Zusammenhang mit der Frage, ob das Merkmal einer angemeldeten Lehre einen technischen Effekt auf eine „physikalische Entität in der realen Welt“ („technical effect on a physical entity in the real world“) erzeugen muss, um einen Beitrag zum technischen Charakter der Erfindung leisten zu können. Denn ließe sich feststellen, dass bei Simulationen keine Verbindung zur physischen, materialisierten Welt notwendig ist, um deren technischen Charakter zu bejahen, könnte man die Simulationsergebnisse selbst als technisch einzustufen. Die Anerkennung eines technischen Charakters von Daten als Simulationen physikalischer Gegenstände der realen Welt wäre wiederum ein Argument für die Anerkennung eines Sacherzeugnisschutzes von Daten ohne Verbindung zu einem physischen Datenträger.

2.4.3.2.3.2.2.1 Computerprogramme/Unzulässige Präsidentenvorlage

Bereits im Jahre 2008 wurde der Großen Beschwerdekammer im Rahmen der Diskussion um die Patentierbarkeit von Computerprogrammen die Frage vorgelegt, ob ein computerprogrammbezogenes Merkmal eine technische Wirkung auf eine physische Einheit in der realen Welt hervorrufen muss, um zum technischen Charakter des Anspruchs beizutragen. Mangels Divergenz innerhalb der zu dieser Zeit existierenden Entscheidungspraxis hatte die Große Beschwerdekammer die Frage damals jedoch für unzulässig erklärt,Footnote 916 sodass es zu keiner abschließenden Stellungnahme kam.Footnote 917

2.4.3.2.3.2.2.2 Pedestrian simulation/CONNOR – Vorlageentscheidung

Über zehn Jahre später, auf eine Vorlage mit der Bezeichnung Pedestrian simulation/CONNOR vom 22.02.2019 (im folgenden Vorlageentscheidung genannt),Footnote 918 hatte die Große Beschwerdekammer in ihrer Entscheidung vom 10.03.2021 erneut zu entscheiden, ob das Erfordernis einer direkten Verbindung mit der physischen Realität sowohl für Simulationen als auch für andere computerimplementierte Erfindungen eines harmonisierten Ansatzes bedarf.Footnote 919

Computerimplementierte Simulation der Bewegung einer Gruppe von Fußgängern in einer bestimmten Umgebung

Die streitgegenständliche Lehre der Vorlageentscheidung bezieht sich auf ein computerimplementiertes Verfahren, namentlich ein Computerprogramm und eine Vorrichtung zur SimulationFootnote 920 der Bewegung einer Gruppe von Fußgängern in einer bestimmten Umgebung.Footnote 921 Bei der Ausführung des Verfahrens wird durch den zugrundeliegenden Algorithmus die aktuelle Position jedes einzelnen, als mathematisches Modell dargestellten Fußgängers berechnet und als Bildsequenz dargestellt.Footnote 922 Mithilfe dieser Simulation lassen sich Umgebungsmodelle erstellen, die wiederum zur Planung und zum Bau von z. B. Bahnhöfen oder Stadien verwendet werden können. Im Wesentlichen erstellt oder importiert der Nutzer des Programms den Entwurf eines Veranstaltungsorts, spezifiziert die für diesen Ort typischen Eigenschaften (z. B. Eingänge, Ausgänge) und die zu erwartenden Fußgängerströme und passt anhand der jeweiligen Simulationsergebnisse seinen Entwurf an.Footnote 923

Da das Verfahren „computerimplementiert“ beansprucht worden ist, mithin jede Verkörperung der Erfindung die Verwendung eines technischen Mittels beinhaltet, bestanden nach Ansicht der Beschwerdekammer keine Zweifel daran, dass die Lehre einen technischen Charakter aufweist und damit nicht von vorneherein von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist.Footnote 924 Da die Verwendung eines Computers zur Ausführung des Verfahrens jedoch nicht für die Annahme der erfinderischen Tätigkeit ausreicht, hatte die Beschwerdekammer zu entscheiden, ob und inwieweit die – an sich untechnische, da ausschließlich durch gedankliche Tätigkeiten i.S.d. Art. 52 Abs. 2 lit. a EPÜ durchführbare –Footnote 925 Simulation einen „weiteren technischen Effekt“ bzw. einen Beitrag zum technischen Charakter der Erfindung leisten kann.Footnote 926

Fußgänger-Elektronen-Vergleich nach Schaltkreissimulation I/Infineon Technologies

Eines der Hauptargumente für die Annahme des technischen Gesamtcharakters der Beschwerdeführerin war, dass die Fußgängersimulation im Wesentlichen auf den gleichen physikalischen Gesetzmäßigkeiten basiert wie die Bewegungssimulation eins Elektrons, also eines negativ geladenen Elementarteilchens, innerhalb eines Schaltkreises.Footnote 927

Dieses Argument lässt sich wiederum nur vor dem Hintergrund der hierfür von der Beschwerdeführerin herangezogenen Entscheidung Schaltkreissimulation I/Infineon TechnologiesFootnote 928 verstehen. Denn der dortigen Anmeldung lag ebenfalls ein computergestütztes Verfahren zugrunde, mit dem das Verhalten eines Schaltkreises unter Einfluss eines bestimmten stochastischen Prozesses (sog. 1/f Rauschen) simuliert werden konnte, der die zeitliche Dynamik einer physikalischen Größe wie z. B. der elektrischen Spannung beschreibt.Footnote 929 Da der Schaltkreis bestimmte technische Parameter wie (Rausch)Eingangs- und Ausgangskanäle aufwies und sein Verhalten durch Differenzialgleichungen beschrieben werden konnte, ordnete die dortige Beschwerdekammer ihn einer nach Art. 84 S. 2 EPÜ hinreichend bestimmbaren Klasse von „technischen Gegenständen“ zu.Footnote 930 Anders als ein bloßer „Entwurf“ bzw. „Bild“ eines Schaltkreises, hätte es sich damit um eine physikalische Größe gehandelt, die in der „realen Welt existiert“.Footnote 931 Indem die Simulation des Schaltkreises nun die realitätsnahe Vorhersage des Verhaltens eines entworfenen Schaltkreises erlaubte und den Anwender als eine Art „Werkzeug“ bei der Entwicklung und beim Bau eines Prototyps unterstützte,Footnote 932 erfüllte sie nach Ansicht der dortigen Beschwerdekammer einen hinreichend bestimmten und funktional beschränkten technischen Zweck.Footnote 933

In Analogie zu den sich innerhalb des Schaltkreises bewegenden Elektronen erkannte die hiesige Beschwerdekammer in der Vorlageentscheidung nun an, dass die Simulation von Umgebungen, durch die sich Fußgänger bewegen und die feste, in der physischen Welt existierende Hindernisse haben, technisch sind und dass das „Verhalten“ einer Umgebung, wenn sich eine Menge von Fußgängern durch sie hindurch bewegt, z. B. die Geschwindigkeit, mit der sich Fußgänger durch die Umgebung bewegen können, eine technische Eigenschaft der Umgebung ist.Footnote 934

Die Bewegungen der Fußgänger seien zwar durch subjektive Entscheidungen bestimmt, müssten aber gleichzeitig den „Gesetzen der Physik gehorchen“, da ein Fußgänger ebenso wenig durch eine Wand oder einen anderen Fußgänger hindurchgehen kann wie Regenwasser durch ein (intaktes) Dach.Footnote 935

Verbindung zur realen Welt als Minimalkriterium

Dieser Vergleich überzeugte die Beschwerdekammer jedoch nicht davon, dass die numerische Berechnung der Bewegungsbahn eines Objekts, wie sie durch die Gesetze der Physik bestimmt wird, an sich eine technische Aufgabe ist, die einen technischen Effekt erzeugt.Footnote 936 Der Schaltkreis oder die Umgebung könnten zwar ein in der Realität erzeugtes, technisches Objekt sein, der kognitive Prozess ihrer theoretischen Verifizierung scheint dagegen grundsätzlich nicht technisch zu sein.Footnote 937 Da alle Änderungen, die als Reaktion auf die Simulationsergebnisse an der Umgebung oder dem Schaltkreis vorgenommen werden, letztlich das Ergebnis der intellektuellen Tätigkeit des Nutzers sind, bestünde zudem keine Kausalität zwischen dem Simulationsverfahren und der Verbesserung des entworfenen oder gebauten Objekts.Footnote 938 Die Begründung der Vorentscheidung leite die Technizität einer computerimplementierten Simulation im Wesentlichen aus ihrer Bedeutung für moderne Produktentwicklungsprozesse ab.Footnote 939 Dieses – vor allem auf politischen Erwägungen basierende –Footnote 940 Argument ändert nach Ansicht der Beschwerdekammer nichts an der Tatsache, dass der computerimplementierten Simulation das Minimalkriterium zur Begründung einer technischen Wirkung fehlt: die direkte Verbindung mit einer physischen Realität, die sich etwa in der Änderung oder Messung einer physischen Entität äußert,Footnote 941 wie z. B. dem Wiegen von Banknoten oder Geldmünzen.Footnote 942.

2.4.3.2.3.2.2.3 Pedestrian simulation/CONNOR – Entscheidung der Großen Beschwerdekammer

In ihrer Entscheidung vom 10.03.2021 hat die Große Beschwerdekammer in erster Linie festgestellt, dass die Frage, ob die Simulation eines Systems oder Verfahrens zur Lösung eines technischen Problems beiträgt, anhand der gleichen Kriterien wie bei anderen computerimplementierten Erfindungen beurteilt werden muss.Footnote 943

Unabhängigkeit der Simulation vom zugrundeliegenden System

Die Große Beschwerdekammer bestätigt zunächst das Argument der Beschwerdeführerin, wonach die Bewegungen von Fußgängern in ähnlicher Weise beschrieben werden könnten wie die Bewegungen von Elektronen.Footnote 944 Bei der Simulation oder ModellierungFootnote 945 eines Systems oder Prozesses könnten durchaus dieselben Naturgesetze und mathematische Grundlagen gelten, unabhängig davon, ob es sich um ein technisches (in der Regel basierend auf menschlicher Kreativität) oder natürliches, physikalisches (wie z. B. das Wetter) System handelt.Footnote 946 Denn eine Simulation basiere notwendigerweise auf den Prinzipien, die dem simulierten System oder Prozess zugrunde liegen.Footnote 947 Doch selbst wenn das zu simulierende System technischer Natur sei, müsse es vor der Simulation in Modelle und Algorithmen übersetzt werden,Footnote 948 deren Formulierung wiederum eine rein gedankliche Tätigkeit darstellt.Footnote 949 Daher wäre es nach Ansicht der Großen Beschwerdekammer für die Erstellung eines Modells und dessen Formalisierung durch Gleichungen sogar unerheblich, ob das zu simulierende System oder der Prozess jemals in der physikalischen Welt existiert hat oder jemals existieren wird.Footnote 950

Das zu simulierende System ist laut Großer Beschwerdekammer mithin nicht Teil der Simulation, sondern bildet lediglich den Ausgangspunkt sowie die Grenze der Simulation. Die schöpferischen Beiträge von Simulationen lägen dagegen typischerweise in der Entwicklung, Auswahl oder Verbesserung der zugrunde liegenden Gleichungen oder Algorithmen, oder in spezifischen Verwendungen oder Anpassungen der für die Simulationen eingesetzten Computer.Footnote 951

Computerimplementierte Simulation als solche

Unter einer computerimplementierten „Simulation als solcher“ versteht die Große Beschwerdekammer einen Simulationsprozess, der die bloße Dateneingabe und Datenausgabe umfasst – unabhängig davon, ob diese Daten auf physikalischen Parametern beruhen – und mithin keine Interaktion mit der externen physikalischen Realität aufweist.Footnote 952 Solche Simulationen seien trotz der Formulierung „als solche“ nicht per se gemäß Art. 52 Abs. 3 EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen.Footnote 953

Um einen Beitrag zum Problem-Lösung-Ansatz im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit leisten zu können, müssten sie jedoch einen weiteren technischen Effekt bewirken, der über die einfache oder nicht-spezifizierte Implementierung der Simulation auf einem Standard-Computersystem hinaus geht.Footnote 954

Keine direkte Verbindung zur realen Welt notwendig

Nach Ansicht der Großen Beschwerdekammer enthalten computerimplementierte Prozesse häufig technische oder nicht-technische Merkmale, welche die Interaktion des Computers mit der Außenwelt widerspiegeln,Footnote 955 z. B. bei der Eingabe von Messdaten oder bei der Ausgabe eines Signals zur Steuerung einer Maschine.Footnote 956 Die Annahme des „weiteren technischen Effekts“ erfordere daher in der Regel „technische Wirkungen auf eine physische Einheit in der realen Welt“ oder technische Wirkungen, die „eine direkte Verbindung mit der physischen Realität“ aufweisen. Es könne sich aber auch um andere Wirkungen handeln, wie technische Wirkungen innerhalb des Computersystems oder Netzwerks (z. B. durch Anpassungen des Computersystems).Footnote 957

Unter Berücksichtigung der bisherigen Entscheidungspraxis des EPA sowie der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen sieht die Große Beschwerdekammer daher keine Notwendigkeit, in jedem Fall einen direkten Bezug zur (äußeren) physischen Realität zu verlangen. Es könne sich hierbei lediglich um hinreichendes, aber kein notwendiges Kriterium zur Begründung der Technizität handeln, um weiterhin ein offenes, weites Verständnis des Begriffes der Technizität zu gewährleisten.Footnote 958 Erst recht stelle die „materielle Greifbarkeit“ des technischen Effekts (tangebility) keine Patentierungvoraussetzung nach dem EPÜ dar.Footnote 959

Weitere technische Verwendung des Simulationsergebnisses

Die Simulation selbst liefert aus Sicht der Großen Beschwerdekammer Informationen über das ihr zugrunde liegende Modell. Wenn das Modell genau genug ist und sich in geeigneten Gleichungen und Algorithmen widerspiegelt, könne die Simulation Rückschlüsse auf die modellierte physikalische Realität zulassen und so angepasst werden, dass sie zu Daten führen, welche die modellierte physikalische Realität genauer widerspiegeln.Footnote 960 Diese berechneten Daten, die das physikalische Verhalten eines in einem Computer modellierten Systems widerspiegeln, können jedoch nur in Ausnahmefällen den technischen Charakter einer Erfindung begründen, selbst wenn das berechnete Verhalten das Verhalten eines realen Systems, das der Simulation zugrunde liegt, angemessen widerspiegelt.Footnote 961 Ob eine Simulation zum technischen Charakter des beanspruchten Gegenstands beiträgt, hänge nicht von der Qualität des zugrundeliegenden Modells oder davon ab, inwieweit die Simulation die „Realität“ abbildet.Footnote 962 Vielmehr hänge es von der weiteren Verwendung dieser Daten ab, ob eine daraus resultierende technische Auswirkung bei dieser Bewertung berücksichtigt werden kann.Footnote 963

Simulationen können demnach zur Technizität beitragen, wenn sie z. B. eine Ursache für die Anpassung des Computers oder seiner Funktionsweise sind oder wenn sie die Grundlage für eine weitere technische Nutzung der Simulationsergebnisse bilden (z. B. eine Nutzung mit Auswirkungen auf die physikalische Realität).Footnote 964 Dieser technische Effekt müsse dabei die direkte Folge des Simulationsergebnisses darstellen und nicht etwa nur aufgrund einer menschlichen Entscheidung eintreten.Footnote 965 So sei beispielsweise der eingesparte Kraftstoffverbrauch eines Fahrzeugs keine Folge des Ergebnisses einer Wettervorhersagesimulation, da es letztlich im Ermessen des Fahrers liegt, ob dieser sein Fahrzeug aufgrund der guten oder schlechten Wettervorhersage verwendet oder nicht.Footnote 966

Zusammenfassung

Die Große Beschwerdekammer stellt auf der einen Seite klar, dass weder Simulationsverfahren, noch andere computerimplementierte Erfindungen einen direkten technischen Effekt auf ein physisches Objekt in der Realität aufweisen müssen, um einen Beitrag zum technischen Charakter im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit zu leisten. Bei Anmeldungen könnte daher zukünftig darauf verzichtet werden, einschränkende Verfahrensschritte mit aufzunehmen, die mehr oder weniger gezwungen eine Verbindung zur physischen Realität herstellen.Footnote 967 Auf der anderen Seite lässt die Große Beschwerdekammer offen, ob technische Effekte, die nicht durch eine Interaktion mit der physischen Realität erzielt werden, sondern so berechnet werden, dass sie technischen Wirkungen oder physikalischen Einheiten entsprechen, als „reale“ technische Wirkungen behandelt werden sollten.Footnote 968 Letzteres ließe sich wohl nur unter Erweiterung des Technikbegriffes im Sinne einer Virtualisierung erwägen, wofür die Große Beschwerdekammer jedoch keine Veranlassung sah.Footnote 969 Für die Zukunft wird interessant sein, welche Anspruchsformulierungen als hinreichende implizite Angabe einer weiteren technischen Verwendung des Ergebnisses der Simulation beurteilt werden.Footnote 970

2.4.3.2.3.2.2.4 Zwischenergebnis

Indem die Große Beschwerdekammer das Kriterium des technischen Effekts von direkten Auswirkungen auf physische Objekte der realen Welt sowie greifbare Materialisierungen abstrahiert, lässt sie die Bereitschaft erkennen, auch nicht-verkörperte Merkmale einer Erfindung bei der Prüfung des erfinderischen Schrittes zu berücksichtigen. Zudem scheint es für die Frage der Technizität der Simulation nicht darauf anzukommen, ob das simulierte Objekt in der physikalischen Realität jemals existiert hat oder existieren kann. Eine gewisse Anbindung an das Körperlichkeitserfordernis bleibt jedoch bereits dadurch bestehen, dass die vorstehenden Grundsätze ausschließlich für computerimplementierte Erfindungen präzisiert wurden, die einen Computer, ein Computernetz oder eine sonstige programmierbare Vorrichtung umfassen und bei denen mindestens ein Merkmal ganz oder teilweise mit einem Computerprogramm realisiert wird. Auch wird nicht näher ausgeführt, ob und unter welchen Voraussetzungen möglicherweise ein rein „virtueller“ Effekt eines patentgemäßen Verfahrens technischer Natur sein kann. Aus der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer lässt sich mithin nicht ableiten, dass Daten ohne Anbindung an ein körperliches Substrat dem Sacherzeugnisschutz zugänglich sein können.

2.4.3.2.3.2.3 Daten als Substitution physischer Objekte der realen Welt

Es bleibt daher fraglich, ob eine Erfindung überhaupt noch eine Verbindung zu einer physikalischen Entität aufweisen muss, oder ob das Kriterium der Körperlichkeit nicht möglicherweise vollständig substituiert, d. h. ersetzt werden könnte. Ließen sich Daten etwa als funktional vergleichbare Substitution physischer Objekte verstehen, könnte man im Rahmen des Erzeugnisschutzes darauf verzichten, stets eine Beanspruchung der Daten in Verbindung mit einem Datenträger zu verlangen. Zur Begründung der vorstehenden Hypothese lässt sich möglicherweise das Konzept der technischen Überlegungen heranziehen.

2.4.3.2.3.2.3.1 Technische Überlegungen nach Sohei/Computermanagementsystem

Das Konzept der technischen Überlegungen geht zurück auf die am 31.05.1992 verkündete Entscheidung SOHEI/ComputermanagementsystemFootnote 971, in welcher die Beschwerdekammer festlegte, dass die Implementierung einer Benutzerschnittstelle in Form eines „Transferscheins“ nicht ein bloßer Akt der Programmierung sei, sondern technische Überlegungen erfordere, die der Programmierer anstellen muss, bevor er mit der Programmierung beginnen kann.Footnote 972 Nach Ansicht der Beschwerdekammer sind Erfindungen nicht von der Patentierbarkeit ausgeschlossen, bei denen technische Überlegungen bezüglich der Einzelheiten ihrer Implementierung angestellt werden müssen. Bereits die Notwendigkeit solcher technischen Überlegungen impliziere das Vorhandensein eines zu lösenden, zumindest impliziten technischen Problems und zumindest impliziter technischer Merkmale, die dieses technische Problem lösen.Footnote 973

Die Beschwerdekammern selbst sind von dieser recht weitgehenden patentrechtlichen Bewertung nach und nach abgerückt. So wird bereits in der kurz darauf ergangenen Entscheidung Computerprogrammprodukt/IBM darauf hingewiesen, dass der für die Begründung des technischen Beitrags notwendige „weitere technische Effekt“ sich zwar nicht direkt, aber zumindest „potentiell“ in der physischen Realität (d. h. beim Programmablauf auf dem Computer) manifestieren muss.Footnote 974 Die Beschwerdekammer äußert in der Vorlageentscheidung Zweifel daran, dass in technischen Überlegungen eine technische Problemlösung liegen kann, die keinen direkten technischen Effekt in der Realität erzeugen muss.Footnote 975 Die Entscheidung impliziere jedoch nicht, dass, sobald die Software auf einem Computer läuft, „potenzielle“ technische Wirkungen immer als „echte“ technische Wirkungen behandelt werden können. Die technischen Überlegungen müssten vielmehr zur Durchführung der Datenverarbeitung erforderlich sein und sich nicht lediglich auf die Art der verarbeiteten Daten oder auf deren geschäftlichen oder technischen Kontext beziehen.Footnote 976

Kritik der Literatur

Laut Betten lässt sich dieser Aussage entnehmen, dass das „Reich der Technik“ bereits dann betreten werden kann, wenn der beanspruchten Lehre Überlegungen zu entnehmen sind, die zu ihrer Realisierung bzw. Implementierung erforderlich sind. Entsprechend sei der Ausschluss der „Computerprogramme als solche“ lediglich auf die der Überlegung nachfolgenden, handwerkliche Programmier- und Codiertätigkeiten beschränkt.Footnote 977 Für Mellulis lässt sich aus der Notwendigkeit technischer Überlegungen bei der Realisierung eines Programms zur Beurteilung der Schutzfähigkeit nur wenig gewinnen. Da der Computer ein technisches Gerät sei und die Programmierung sich nach den technischen Möglichkeiten des Computers richte, seien im Ergebnis bei jeder Programmierung technische Überlegungen erforderlich.Footnote 978 Der Zweck eines Programms sei die Steuerung einer Maschine zur Lösung einer ihr gestellten Aufgabe.Footnote 979 Das Erfordernis der technischen Überlegung sei damit lediglich eine Hilfserwägung bzw. eine Umschreibung für das Erfordernis der Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln.Footnote 980 Nach Ansicht Steinbrenners kann die Notwendigkeit technischer Überlegungen ebenfalls nicht die technische Implementierung durch eine explizite Verwendung technischer Mittel ersetzen, da derartige Überlegungen auch bei der Ausführung rein abstrakter oder theoretischer Aktivitäten erforderlich sein können. Zudem merkt er an, dass auch der SOHEI/Computermanagementsystem-Entscheidung zugrundeliegende Anspruchsgegenstand explizite Hardware-Merkmale,Footnote 981 also auch körperliche Merkmale, aufwies.

Zwischenergebnis

Im Kern beinhalten technische Überlegungen im Verständnis von SOHEI/Computermanagementsystem bestimmte Umstände der Implementierung eines Computerprogrammes vor der eigentlichen Programmierung. Technische Überlegungen sind der Implementierung mithin vorgelagert.

2.4.3.2.3.2.3.2 Technische Überlegungen nach Logikverifikation

In der Entscheidung Logikverifikation vom 13.12.1999 hat der BGH die Notwendigkeit technischer Überlegungen ebenfalls als Gesichtspunkt zur Beurteilung der Patentschutzfähigkeit von Programmen herangezogen.Footnote 982

Bei dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt ging es um die Verifikation der korrekten Umsetzung des Logikplans einer integrierten Schaltung in ein entsprechendes Design, bei der mittels einer Datenverarbeitungsanlage ein Vergleich der Layout-Schaltung mit der Logikplan-Schaltung vorgenommen und auf diese Weise überprüft wird, ob eine bestimmte Spezifikation tatsächlich in ein entsprechendes Layout umgesetzt worden ist. Hierzu wurde mit dem Rechner eine aus dem physikalischen Layout der jeweiligen hochintegrierten Schaltung gewonnene hierarchische Layout-Schaltung mit einer durch einen Logikplan festgelegten hierarchischen Schaltung verglichen, d. h. dem Verfahren liegen aus technischen Größen abgeleitete Daten zugrunde, anhand derer eine Überprüfung eines konkreten Layouts auf die Erfüllung vorgegebener Spezifikationen vorgenommen wird.Footnote 983 Da das Verifikationsverfahren letztlich der erleichterten Herstellung von Chips diente,Footnote 984 erforderte dessen Anwendung nach Ansicht des BGH eine technische Erkenntnis, die auf Überlegungen beruht, die sich auf die Beschaffenheit der herzustellenden Produkte, mithin deren körperlichen bzw. physikalischen Gegebenheiten konzentrierte. Daran ändere auch nichts, dass der verfahrensmäßige Abgleich tatsächlich nicht anhand der technischen Größen der Chips selbst, sondern aufgrund der Auswahl, der Ordnung und vergleichenden Verarbeitung von Daten erfolgen soll.Footnote 985 Denn nach Ansicht des Senats hat die industrielle Entwicklung zwar dazu geführt, dass Chips bereits im Vorfeld ihrer maschinellen Fertigung durch computergestützte Programme entworfen und überprüft werden können, die keinen unmittelbaren Einsatz beherrschbarer Naturkräfte mehr erfordern. Diese Vorverlagerung der Entwicklungstätigkeit ändere jedoch nichts daran, dass der Fertigungsprozess für hochintegrierte Schaltungen nach wie vor dem industriellen Bereich der Technik angehört und nicht ohne entsprechende technische Überlegungen zu erledigen ist, weshalb dieser Bereich nicht vom Patentschutz ausgenommen werden könne.Footnote 986 Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Entscheidungen DispositionsprogrammFootnote 987 und SOHEI/Computercomputermanagementsystem stellt der BGH daraufhin fest, dass ein Programm für Datenverarbeitungsanlagen technischen Charakter aufweisen kann, wenn es durch eine Erkenntnis geprägt ist, die auf technischen Überlegungen beruht.Footnote 988

Kritik der Literatur

Nach Busche lässt der Senat erkennen, dass es ihm weniger um eine Erleichterung der Patentierung softwarebezogener Leistungen als um die Förderung der europäischen Patentrechtsharmonisierung geht.Footnote 989 Zugleich scheint die vom BGH hervorgehobene Vorverlagerung der technischen Überlegungen vom Gesichtspunkt des Vordringens der Computerisierung beeinflusst gewesen zu sein, durch die reale Vorgänge virtuell nach- oder vorgebildet und ohne Materialverbrauch bei begrenztem Energieaufwand erprobt werden können.Footnote 990

Inwieweit diese technischen Überlegungen jedoch einen hinreichend konkreten Niederschlag in den patentgemäßen Ansprüchen finden sollen, ist bislang nicht abschließend geklärt. Teilweise wird gefordert, das erforderliche Ausmaß technischer Überlegungen in der Praxis eher hoch anzusetzen.Footnote 991 Horns spricht hinsichtlich der Grenze zwischen dem beanspruchten Algorithmus und der Physik der Naturkräfte von einem „schmalen Band“, wonach alle Anspruchsgegenstände bereits dann als technisch angesehen werden, bei denen auch nur ein einziges Merkmal eine direkt physikalische Interaktion beinhaltet oder indirekt mit physikalischen Interaktionen mindestens begrifflich in Zusammenhang steht.Footnote 992 Für Schölch entfalten dagegen weder die Begriffe „technische Überlegungen“ noch „konkrete Lösung“ oder „konkrete Umsetzung“ eine greifbare Unterscheidungskraft. Aus seiner Sicht wird der Zugang zum Patentschutz bereits durch die Verwendbarkeit der Lehre (computerimplementierte Verfahren, Algorithmen, Regeln, Methoden, etc.) im technisch–industriellen Umfeld eröffnet, sodass die durch den unmittelbaren Einsatz von Naturkräften geforderte Körperlichkeit obsolet wird.Footnote 993 Für Kraßer bleibt dagegen die Beziehung zu einem Vorgang, der im Sinn der herkömmlichen Definition technisch ist – also im Einsatz beherrschbarer Naturkräfte zur unmittelbaren Herbeiführung eines kausal übersehbaren Erfolgs besteht – erforderlich.Footnote 994

Zwischenergebnis

Nach dem Verständnis der Logikverifikation Entscheidung des BGH muss eine Lehre keine unmittelbare Wirkung auf die „Naturkräfte“ entfalten,Footnote 995 d. h. das Erfordernis der unmittelbaren Kausalität wird entbehrlich.Footnote 996 Es genügt mithin, dass die Lehre indirekt auf den Einsatz von Naturkräften abzielt und mittels „technischer Überlegungen“ auf ihn abgestimmt ist.

2.4.3.2.3.2.3.3 Gedanken zu technischen Überlegungen in der Literatur

Auf Grundlage der vorstehenden Entscheidungen des EPA und des BGH diskutieren einige Stimmen der Literatur die Ersetzbarkeit von materialisierten Implementierungsschritten durch vorgelagerte technische Überlegungen.

Der Substitutionsgedanke von Busche

Busche spricht dem lediglich auf einem Datenträger gespeicherten Programm ebenfalls den technischen Charakter ab. Dabei scheint er von der gedanklichen Konzeption des Programms auszugehen, deren Manifestation auf einem Speichermedium die zugrundeliegende Lehre noch nicht zu einer technischen macht.Footnote 997 Zur Entscheidung Logikverifikation merkt er an, dass das Gericht jene Merkmale als prägend ansah, die es ermöglichen, aufgrund Kenntnis der technischen Zusammenhänge das Programm so aufzustellen, dass später auf bisher notwendige technische Verfahrensschritte verzichtet werden kann. Der technische Charakter des Programms liege mit anderen Worten in der Substitution technischer Vorgänge durch vorgelagerte Gedankenoperationen, die sich im Programm niederschlagen.Footnote 998

Entsprechend könne es sog. „Substitutionsprogramme“ geben, die darauf angelegt sind, technische Vorgänge, die herkömmlich in der Welt der Materie beheimatet sind, durch Gedankenoperationen zu substituieren.Footnote 999 Der Ansatzpunkt für den Substitutionsgedanken liegt in der Annahme, dass die durch Computertechnik mögliche Substitution von Vorgängen, die in der Realität einen planmäßigen Einsatz von Naturkräften einschließen, ihrerseits als technisch anerkannt werden können, weil sie diese Realität und die dabei auftretenden Wechselwirkungen abbilden und ihre Ergebnisse zu dem real angestrebten Erfolg beitragen.Footnote 1000 Man könnte daher auch von sog. „Substitutionserfindungen“ sprechen.Footnote 1001

Der Substitutionsgedanke von v. Hellfeld

Anders als Busche legt v. Hellfeld einen Technikbegriff zugrunde, der von jeglicher Anbindung an ein materielles Substrat befreit ist.Footnote 1002 Die herrschende Vorstellung darüber, dass technisches Handeln stets materiell sein müsse – z. B. indem es drehende Zahnräder, reagierende Substanzen oder körperliche Gegenstände erfordere –Footnote 1003, bezeichnet er als eine unzulässige „Verdinglichung“, die anthropologisch nicht haltbar sei, da der menschliche Geist gleichzeitig Schöpfer, Träger und Adressat der Technik ist.Footnote 1004 Diese Gleichsetzung der geistigen Verstandestätigkeit und des technischen Handelns begründet er insbesondere mit seiner Definition des Algorithmus, der für ihn „schlechthin das Automatisierbare“ bzw. das „maschinell-Machbare“ darstellt.Footnote 1005 Der Algorithmus beschreibe demnach nicht bloß eine Rechenregel, sondern „all das, was ein Computer kann“, und zwar unabhängig davon, ob es sich bei letzterem um einen festverdrahteten Spezialrechner (wie z. B. einen Schachcomputer) oder einen Universalrechner (im Sinne der Turing-Masche) handelt. Mit dem Algorithmus als Fundament der Informatik sei eine Differenzierung zwischen grundlegenden Algorithmen und jeweils programmspezifischen Algorithmen abzulehnen,Footnote 1006 Hard– und Softwareanwendungen seien mithin untereinander austauschbar.Footnote 1007 Um zu belegen, dass dieses Austauschverhältnis auch in der patentrechtlichen Spruchpraxis Berücksichtigung findet, zitiert er eine Passage aus der Entscheidung Computerbezogene Erfindung/VICOM, wonach es unangemessen ist, bei einer Erfindung Unterschiede zwischen Ausführungsformen in Hardware oder in Software zu machen, da die Wahl zwischen diesen beiden Möglichkeiten unwesentlich ist und auf technischen und ökonomischen Erwägungen beruht, die keinen Bezug haben zu der erfinderischen Idee als solcher.Footnote 1008

Unter der Prämisse, dass es für die Patentierbarkeit nicht darauf ankommt, ob ein Algorithmus in Hard- oder Software realisiert ist, schließt er auf die Patentierbarkeit desselben.Footnote 1009 Die Grenze der Patentierbarkeit möchte v. Hellfeld lediglich anhand des Sinn und Zwecks des PatG ziehen (z. B. Freihaltebedürfnis von mathematischer Methode, ästhetischer Formschöpfung) und nicht anhand des Technikbegriffes oder der inhaltsleeren „als solche“-Formel in § 1 Abs. 4 PatG.Footnote 1010 In der Interpretation von Wiebe sieht v. Hellfeld in einem datenverarbeitungstechnischen Algorithmus als konkrete Handlungsanweisung zur Lösung praktischer Probleme der Realwelt ein technisches Verfahren, das nicht unbedingt eines materiellen Substrats bedarf, solange es von der reinen Mathematik als „Denken in abstrakten Räumen“ zu unterscheiden sei.Footnote 1011

Diskussion und eigene Stellungnahme

V. Hellfelds Ansatz hat wenig Befürworter gefunden.Footnote 1012 Als Hauptkritikpunkt wird angeführt, dass ein rein teleologisch begrenzbarer Schutzbereich eines Patents bereits gegen den Wortlaut des Art. § 1 Abs. 1 PatG / Art. 52 Abs. 1 EPÜ verstoße, wonach „Erfindungen auf allen Gebieten der Technik“ geschützt sind.Footnote 1013 Außerdem sei der Erfindungsbegriff keineswegs auf körperliche Schutzgegenstände beschränkt.Footnote 1014 Laut Beyer deckt sich Hellfelds Darstellung des Algorithmus zwar mit dem mathematischen Grundverständnis, wonach dieser „als allgemeines Verfahren zur Lösung aller Aufgaben einer gegebenen Aufgabenklasse“ bezeichnet wird, durch das (beliebige) „Prozesse so beschrieben werden, dass sie von einer Maschine nachgebildet oder gesteuert werden können“.Footnote 1015 Das vorgeschlagene Verständnis der technischen Lehre missachte jedoch nicht nur das Erfordernis der Planmäßigkeit und die Zweckgerichtetheit der Erfindung zur Erzielung eines naturgesetzlich bestimmten Erfolges,Footnote 1016 sondern auch die unlösbare funktionale Bindung des Computerprogrammes an ein materielles und/oder energetisches Substrat, nämlich den zum Betrieb auf die Zufuhr von Energie angewiesenen Computer, und dessen Funktionsablauf.Footnote 1017 Bereits Kolle lehnte die Überlegung ab, dass jedem Computerprogramm und jeder algorithmisierten Rechenvorschrift ein bestimmter Schaltzustand bzw. eine bestimmte Schaltfolge im Computer entspreche, die ihrerseits nicht anders behandelt werden dürfe als eine Festschaltung in Form eines Spezialrechners für eben dieses Programm oder diesen Algorithmus.Footnote 1018 Trotz der aus der Sicht der Informatik grundsätzlich bestehenden Austauschbarkeit von Hardware und Software, die zur Annahme auch einer patentrechtlichen Gleichwertigkeit verführt, seien Computerprogrammierung und Computer-Engineering nach Ausgangssituation, Arbeitsweise und verwendeten Mitteln zwei Paar Stiefel.Footnote 1019 Denn ebenso, wie der Informatiker aus der Offenbarung eines komplexen Spezialschaltwerks nicht ersehen könne, wie er einen Universalrechner zu programmieren hätte, könne der Computeringenieur aus der bloßen Offenbarung eines Programms oder gar nur eines Algorithmus nicht ableiten, wie er einen Spezialrechner konstruieren müsste.Footnote 1020

Mellulis kritisiert vor allem den Ansatz v. Hellfelds, die Trennung zwischen der menschlichen Verstandesfähigkeit und den naturgesetzlichen Kausalverläufen der Technik aufzuweichen. Zwar führe die Arbeit des Computers und die des Menschen zu ähnlichen Ergebnissen und beruhe vielfach auf vergleichbaren oder identischen Ausgangswerten. Diese äußeren Übereinstimmungen gestatteten jedoch nicht, die Arbeit des Rechners und die des Menschen gleichzusetzen.Footnote 1021 So könne ein Computer keine gedanklichen oder verstandesmäßigen Leistungen erbringen, da dieser als Maschine nach der Physik arbeitet, die in seiner Hardware festgelegt ist. Die eigentliche Arbeit, d. h. die Entgegennahme der Eingaben des Menschen und die Darstellung der von ihm gewollten Zeichen in der vorgegebenen Reihenfolge, ihre Speicherung und die Bereitstellung für den Ausdruck, sei ein vom Verstand des Menschen unabhängiger Vorgang, der auf der Nutzung physikalischer, insbesondere elektronischer Regeln und Gegebenheiten beruht und damit rein technischer Natur sei.Footnote 1022 Vom Patentschutz ausgeschlossen seien daher Programme und Programmteile, die lediglich Äquivalente einer entsprechenden menschlichen Tätigkeit darstellen.Footnote 1023 Wird durch die Verwendung eines Computerprogramms nur die menschliche Verstandestätigkeit substituiert, so ergänzt Klopmeier, sind Problem und Lösung bereits bekannt. Der Lösungsvorgang werde lediglich auf ein anderes Medium transferiert.Footnote 1024

Der Kritik an Hellfelds Ansatz ist im Grunde uneingeschränkt zuzustimmen. Der patentrechtliche Schutz des Algorithmus ohne Anbindung an ein materielles Substrat muss bereits am Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. a EPÜ scheitern. Denn „mathematische Methoden“ – wie eben mathematische Algorithmen –Footnote 1025 stellen letztlich abstrakte Konzepte dar, die lediglich beschreiben, wie mit Zahlen zu verfahren ist, um ein in Zahlen ausgedrücktes Ergebnis zu erhalten.Footnote 1026 Die Problemlösung erfolgt also nicht „technisch“, d. h. mit Hilfe der Naturkräfte, sondern allein mit Mitteln der menschlichen Logik.Footnote 1027 Die Annahme der uneingeschränkten Austauschbarkeit von Software- und Hardwarelösungen kollidiert mit dem Freihaltebedürfnis gedanklicher Tätigkeiten und findet mithin keine dogmatische Stütze im Patentrecht.

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die fortschreitende Entwicklung der Informationstechnik nicht nur zur Ersetzung materieller Werkzeuge durch immaterielle Software (z. B. Kryptowährungen als ein auf das Internet angepasstes Substitut für BargeldFootnote 1028 oder Musikstreamingdienste als Substitut für die herkömmliche Verbreitung von TonträgernFootnote 1029), sondern zunehmend auch zur geistigen Tätigkeit des Menschen durch automatisierte Informationsverarbeitung führt.Footnote 1030 So lässt sich vermeintlich simplen geistigen Vorgängen wie etwa dem Schreiben mit einem Bleistift auf einem Blatt Papier ein technischer Charakter zuschreiben,Footnote 1031 da sowohl der Stift als auch das Papier technische Mittel darstellen.Footnote 1032 Ersetzt man nun das Blatt Papier durch eine beschreibbare Bildschirmoberfläche und den Bleistift durch einem Eingabestift, ist ebenfalls eine Verwendung technischer Mittel gegeben. Der Einsatz der Bildschirmoberfläche erscheint nicht nur “aktueller”,Footnote 1033 er substituiert auch gleichzeitig Stift und Papier.

Dieser von Busche angestoßene Substitutionsgedanke lässt sich noch weiter auf die Spitze treiben: Stellt man sich nun einmal vor, es existiere eine Lehre, die es ermöglicht, über die Übersetzung der jeweiligen Ströme und Synapsen im Gehirn, einen “gedachten” Text in das menschliche Blickfeld zu projizieren, wäre auf dieser nächsten Substitutionsstufe auch nicht mehr die Verwendung der beschreibbaren Bildschirmoberfläche notwendig. Einen solchen weitreichenden Blick in die Zukunft der Molekularelektronik und der damit verbunden Auswirkung auf die Medizin hatte Zipse bereits Anfang der 1970er Jahre gewagt und vermutet, dass Bauteile von Molekularschaltungen künftig in den Informationskreis des Zentralnervensystems eingeschaltet werden, wodurch utopische Vorstellungen in greifbare Nähe rücken würden wie z. B. die Kommunikation zwischen dem Menschen und der Maschine, die Direkteinspeicherung von Informationen und die Realisation des Cyborgs.Footnote 1034

Freilich existiert nun auch knapp 50 Jahre später noch kein „echter“ Cyborg.Footnote 1035 Allerdings bereitet die zunehmend „echte“ Kommunikation zwischen Mensch und Maschine – also eine solche, die im Verständnis von Beyer die ständige Mitwirkung des Nutzers bei der Lösung des technischen Problems verlangt, – bereits jetzt Schwierigkeiten, Sender und Empfänger klar zu trennen und folglich über den Ein- oder Ausschluss menschlicher Verstandesfähigkeit zu entscheiden.Footnote 1036

Solange die Technik die Stufe der Vollautomatisierung jedoch nicht erreicht hat, wovon laut v. Hellfeld erst die Rede sein kann, wenn die Verwendung menschlicher Sinnesleistungen und menschlichen Intellekts zur Erfüllung unmittelbarer Produktionsaufgaben vollständig ersetzt ist, lässt sich der registrierende und verarbeitende, kurz der denkende, Mensch nicht aus der Technik wegdenken.Footnote 1037 Denn kein Messinstrument sei vorstellbar, ohne dass der Mensch zur Erfassung des Messergebnisses ein Symbol, wie eine Zahl oder dergleichen, erkennen und geistig verarbeiten muss. Ohne eine derartige Wechselwirkung Mensch/Maschine sei die technische Lehre unvollständig, unbrauchbar.“Footnote 1038 Die Berücksichtigung menschlicher Verstandesfähigkeit die Bestimmung einer technischen Lehre ist damit keineswegs für ersetzbar, sondern vielmehr unersetzlich.

Allerdings lässt die Feststellung auch den Schluss zu, dass wenn einmal diese sog. „Stufe der Vollautomatisierung“ erreicht ist, mithin die menschliche Verstandestätigkeit vollständig durch eine „künstliche“, d. h. maschinelle ersetzt werden kann, kein Konflikt mehr mit dem Patentierungsausschluss der gedanklichen Tätigkeiten im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 PatG / Art. 52 Abs. 1 lit. a EPÜ besteht, da ab diesem Zeitpunkt keine menschliche Verstandestätigkeit im Einsatz ist.

Fazit

Das Konzept der technischen Überlegungen ermöglicht es, bereits im Vorfeld der Computerimplementierung operationalisierte Gedankenschritte einer technischen Lehre im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigen. Die technischen Überlegungen ersetzen jedoch weder den technischen Effekt noch das körperliche Substrat, auf den sich der technische Effekt zumindest potenziell auswirkt. Werden technische Überlegungen allein von einem Menschen ausgeführt, handelt es sich um „gedankliche Tätigkeiten“ im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. c EPÜ. Bezogen auf eine Maschine handelt es sich um algorithmische Rechenregeln, die wiederum nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. a EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen sind.

2.4.4 Eigener Ansatz

Ließe sich das Konzept der Substitution soweit fortentwickeln, dass technische Überlegungen anstelle materieller Sachmerkmale treten könnten, würde dies nicht-körperlichen Gegenständen wie Daten möglicherweise den Weg zum Erzeugnisschutz ebnen können. Bei der Vorstellung maschinell substituierbarer Geistestätigkeit drängt sich ein Vergleich mit dem Konzept der sog. Künstlichen Intelligenz (KI) auf. Unter KI wird allgemein die maschinelle Durchführung menschlicher – genauer gesagt von Menschen als intelligent empfundener –Footnote 1039 Fähigkeiten wie Lernen, Verstehen und Ableiten verstanden.Footnote 1040 Seit der Prägung des Begriffs durch den US-amerikanischen Informatiker John McCarthy im Jahre 1956Footnote 1041 existiert für diese Form der „Intelligenz“ allerdings bisher keine allgemeingültige Definition.Footnote 1042 Möglicherweise lässt sich das Konzept der KI dennoch für die vorstehende Fragestellung fruchtbar machen – dient doch das Patentrecht traditionell selbst dem Schutz von „intellectual achievement“.Footnote 1043

2.4.4.1 Daten als Ergebnis technischer Überlegungen von KI

Demnach erscheint es nicht ausgeschlossen, dass das Ergebnis eines KI-basierten Verfahrens eine im System verkörperte elektronische Information, mithin eine digitale Datenstruktur, darstellen kann.Footnote 1044 Erzeugt ein KI-Verfahren nun Daten allein dadurch, dass „es“ technische Überlegungen zu dessen Struktur anstellt, ohne dass gedankliche Tätigkeiten dabei eine Rolle spielen, könnte die somit substituierte menschliche Geistestätigkeit eine Anbindung des Erzeugnisses an eine körperlich-physische Realität entbehrlich machen. Dies würde jedoch zum einen voraussetzen, dass KI selbst keine Erfinderqualität aufweist, da rein menschliche Gedankentätigkeiten per se vom Patentschutz ausgeschlossen sind gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. c EPÜ. Zum anderen müssten die substituierten Gedankentätigkeiten das Kriterium der Technizität erfüllen, mithin als Verfahren zu qualifizieren sein, dass auf technischen Überlegungen beruht, und nicht als bloße algorithmische Rechenregeln gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. a EPÜ.

2.4.4.2 Keine Rechtspersönlichkeit von KI

In der patentrechtlichen Diskussion besteht bisweilen darüber Einigkeit, dass KI-Systeme mangels Rechtsfähigkeit keine Erfinder im Sinne des Gesetzes darstellen können.Footnote 1045 Auch das EPA hat kürzlich klargestellt, dass es keine Gesetzgebung oder Rechtsprechung gibt, welche die Rechtspersönlichkeit von KI-Erfindern begründet oder fingiert, sodass Maschinen oder Systeme keinerlei Erfinder- und/oder Patentrechte inne haben können.Footnote 1046 Da das KI-System selbst nicht Inhaber von Rechten sein könne, so heißt es in der Entscheidung weiter, könne auch nicht angenommen werden, dass der Maschine ihr eigener „output“ gehöre.Footnote 1047 Der dort nicht näher erklärte Begriff lässt sich sowohl mit „Erzeugnis“ als auch mit „Arbeitsergebnis“ oder schlicht „Leistung“ übersetzen. Das EPA hat damit offengelassen, ob es sich bei dem Ergebnis des KI-Systems um einen körperlichen oder einen unkörperlichen Gegenstand handeln muss bzw. kann.

2.4.4.3 Keine Technizität von KI

Fraglich ist, ob einer KI selbst technischer Charakter zugesprochen werden kann.

KI als mathematische Methode i.S.d. Art. 52 Abs. 2 lit. a EPÜ

Die Beschwerdekammern zählen die KI-Forschung zur Informationstechnologie.Footnote 1048 Eines der „Hauptziele“ der Informationstechnologie sei es, mentale Prozesse des Menschen „zu unterstützen, zu ergänzen und/oder nachzuahmen“.Footnote 1049 Der Computer soll den Menschen nicht ersetzen, sondern ihm vielmehr als nützliches Werkzeug dienen, ohne den Umfang der dem Menschen überlassenen Entscheidungen zu gefährden.Footnote 1050

Unter KI-Routinen fassen die Beschwerdekammern typischerweise wissensbasierte Expertensysteme oder künstliche neuronale Netze.Footnote 1051 Deren Hauptziel wird wiederum in der Übernahme komplexer, normalerweise von Menschen ausgeführter Aufgaben gesehen,Footnote 1052 wie etwa der Muster-Footnote 1053 oder Spracherkennung.Footnote 1054 Allerdings äußern die Beschwerdekammern Zweifel daran, dass sich diese Begrifflichkeiten präzise definieren lassen.Footnote 1055 Nach den Prüfungsrichtlinien des EPA werden KI und maschinelles Lernen daher schlicht als eine Unterkategorie „mathematischer Methoden“ gemäß Art. 52 Abs. 2 lit. a EPÜ behandelt.Footnote 1056

KI als Programme für Datenverarbeitungsanlagen i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG

Das BPatG wertet KI-bezogene Verfahren in erster Linie als Computerprogramme als solche.Footnote 1057 Entsprechend versagte es in der Entscheidung Expertensystem von 2007 einer KI-bezogenen Lehre die Patentierbarkeit nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG, die einen Datenverarbeitungsfachmann anwies, Programmmittel zu schaffen, die Rückschlüsse aus eingegebenen Informationen nach logischen Regeln und der Nutzung von in Datenbanken gespeichertem Expertenwissen ziehen.Footnote 1058 Das beanspruchte Verfahren sollte einen Arzt bei der Verarbeitung medizinisch relevanter Daten unterstützen und selbstständig, d. h. automatisiert, abwägende gedankliche Entscheidungen treffen, die ansonsten nur von Experten der jeweiligen medizinischen Fachrichtung hätten getroffen werden können.Footnote 1059 In dieser Anweisung an eine Datenverarbeitungsvorrichtung – nämlich der Auswertung eingegebener Informationen, der Abfrage der Datenbanken nach Expertenwissen und der Auswahl von medizinischen Untersuchungsmodalitäten – sah der Senat keine Überwindung eines konkreten technischen Problems, da diese Anweisungen eine intellektuelle Durchdringung und Strukturierung des hierzu erforderlichen Auswert- und Entscheidungsprozesses unter Verwendung des in der Datenbank gespeicherten Expertenwissens verlangen. Der Wunsch nach Verwendung von Datenverarbeitungsmitteln zur automatisierten Ausführung des Auswerte- und Entscheidungsprozesses unter der Verwendung einer computergerecht formulierten Lehre stelle keinen ausreichenden technischen Bezug her.Footnote 1060 Da es zum Entscheidungszeitpunkt keine rechtliche Bewertung von Expertensystemen gab, die für ein automatisiertes Abwägen von gedanklichen Entscheidungen auf Grund von gespeichertem Expertenwissen ausgelegt war, sah der Senat sich veranlasst, die Rechtsbeschwerde zum BGH zuzulassen.Footnote 1061

Der BGH gab dem BPatG in der nachfolgenden Entscheidung Steuerungseinrichtung für Untersuchungsmodalitäten jedenfalls insoweit Recht, als dass er die automatisierten Entscheidungsfindungsprozesse als „außertechnische Vorgänge der Sammlung, Speicherung, Auswertung und Verwendung von Daten“ bezeichnete.Footnote 1062 Gleichzeitig verwies der BGH die Sache an das BPatG zurück, da dieses trotz des beanspruchten technischen Mittels in seiner Beurteilung die Technizität der Lehre verneint hatte, sodass abschließend über die Berücksichtigung der außertechnischen Umstände im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit zu entscheiden war.

Das BPatG stellte daraufhin fest, dass die Anweisung, ein Expertensystem für medizinische Zwecke zu verwenden, nicht auf technischem Gebiet liegt, sondern durch medizinische Erwägungen bestimmt ist, was das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit des Verfahrens nicht zu stützen vermag.Footnote 1063

2.4.4.4 Überwindung der fehlenden Technizität durch Lernfähigkeit der KI im Rahmen eines neuronalen Netzes?

Nach Watkin/Rau besteht ein untrainiertes künstliches neuronales Netz aus einer großen Anzahl zufällig ausgewählter elektronischer, nicht-physischer Komponenten, mithin Daten im Speicher des Computers, die auf zufällige Weise miteinander verbunden sind.Footnote 1064 Für die Frage der Patentierbarkeit mache es jedoch keinen Unterschied, ob das neuronale Netz in der physischen Realität existiert oder lediglich vom Computer simuliert wird.Footnote 1065

Das „Lehren“ bzw. „Trainieren“ von Algorithmen ist jedoch letztlich ebenfalls nur die Berechnung einer mathematischen Funktion, welche die Beziehung zwischen Eingangs- und Ausgangswerten möglichst genau beschreibt.Footnote 1066

So verneinte das BPatG in einer Entscheidung, dem ein Suchverfahren zur Auswertung von elektronisch gespeicherten Texten mittels eines Computersystems zugrunde lag, um eine Sortierung der Texte nach Relevanz zu ermöglichen,Footnote 1067 die Patentierbarkeit des beanspruchten Verfahrens mit der Begründung, dass die neuronalen Netze zur Berechnung von Zahlenwerten (Endaktivierungen) aus Eingabedaten dienen. Eine über eine rein deterministische mathematische Berechnung hinausgehende Lehre im Sinne eines automatischen Lernprozesses eines neuronalen Netzes – wobei etwa Verbindungsgewichte in Abhängigkeit von im zeitlichen Ablauf veränderlichen Eingabedaten automatisch verändert werden könnten – sei nicht ersichtlich.Footnote 1068 Der Senat sah die Lehre demnach gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 PatG als vom Patentschutz ausgeschlossen an, da das objektive Problem lediglich darin bestand, anhand einer Häufigkeit und einer vorgegebenen Priorisierung von Begriffen im Text die Relevanz der Begriffe zu ermitteln, und somit auf dem Gebiet der Mathematik lag.Footnote 1069 Dieser Einordnung ist die Andeutung zu entnehmen, dass der „automatische Lernprozess eines neuronalen Netzes“ möglicherweise ein über die reine mathematische Methode hinausgehendes, technischen Verfahren darstellen kann.

Der Umstand der „Lernfähigkeit“ eines Algorithmus allein führt mithin nicht um den Patentierungsausschluss herumführt,Footnote 1070 und zwar unabhängig davon, ob der „Lernprozess“ im Rahmen eines neuronalen Netzwerkes erfolgt.Footnote 1071 Diese restriktive Betrachtung wird wiederum von der Rechtsprechung der Beschwerdekammern gestützt, wonach es für die Bestimmung des technischen Charakters eines Algorithmus keine Rolle spielt, ob ein Mensch ähnlich wie dieser handelt bzw. handeln würde.Footnote 1072

2.4.4.5 Zwischenergebnis

Sowohl die deutsche als auch die europäische Entscheidungspraxis ordnet KI-bezogene Verfahren als mathematische Methoden oder Programme für Datenverarbeitungsanlagen als solche ein und versagt der KI damit einen innewohnenden technischen Charakter. Technische Überlegungen i.S.v. technischen Effekten ohne Anbindung an einen körperlichen bzw. physischen Gegenstand der Realität, kann es nicht in Form von maschinell substituierten Geistestätigkeiten geben, solange KI-bezogene Verfahren als „mathematische Methoden“, „gedankliche Tätigkeiten“ „Computerprogramme“ oder sonstige außertechnische Vorgänge gewertet werden, da in diesem Fall lediglich ein nicht-technisches Merkmal durch ein anderes nicht-technisches Merkmal ersetzt würden. Versteht man die KI als rein mathematische Methode zur Erreichung eines bestimmten Ziels, ist ihre Anwendung ohne Handeln in der Außenwelt möglich. Es handelt sich damit jedoch um einen rein geistigen Vorgang. Die Qualifizierung als technische Handlungsanweisung erfordert dagegen eine gewisse Ursache-Wirkungs-Beziehung mit der Außenwelt,Footnote 1073 sodass wiederum auf die Anbindung an das Körperlichkeitskriterium nicht verzichtet werden kann. Die Problematik der Feststellung des technischen Charakters der KI liegt damit nicht allein in der fehlenden Anerkennung der Informatik als einem von der Mathematik unabhängigen Technikgebiet. Die Abstrahierung der KI von der menschlichen Verstandesfähigkeit erfordert vor allem ein grundlegendes Verständnis sowohl der naturgesetzlichen Abläufe innerhalb eines KI-Algorithmus als auch innerhalb des menschlichen Gehirns. Solange das menschliche Denken selbst nicht verstanden ist, wird schwerlich zu beweisen sein, dass eine Schlussfolgerungstechnik nicht „künstlich“, sondern nur der Natur abgesehen ist.Footnote 1074 Bis dahin bleiben Videosignale oder Daten ohne Datenträger „rein virtuelle Gedanken ohne jegliche Materialisierung“Footnote 1075 und die Frage, ob eine Sache ohne Substrat, also ohne Substanz denkbar ist, eine philosophische.Footnote 1076

2.4.4.6 Ergebnis

Die vorausgegangenen Überlegungen haben gezeigt, dass sich der Sachpatentschutz von Daten weder mit der Übertragung der zum Verfahrenserzeugnisschutz entwickelten Grundsätze noch im Sinne einer Analogie zum pbp-Anspruch oder gar der Substitution des Körperlichkeitskriteriums durch technische Überlegungen einer sog. KI rechtfertigen lässt.

2.4.5 Folgeprobleme bei Annahme eines Sachschutzes für Daten

Der Ansatz, die Lernfähigkeit einer KI als weitere technische Überlegungen zu werten, ist offen für künftige technische Entwicklungen gestaltet. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die Verfahrensabläufe innerhalb einer KI eines Tages derart fortgeschritten sind, dass sie die Ebene der reinen mathematischen Logik verlassen, z. B. wenn die KI entscheidet, einen vorbestimmten Rechenschritt zu unterlassen, um dadurch möglicherweise schneller an das gewünschte Ergebnis zu gelangen. Für die Anerkennung von weiteren technischen Überlegungen einer KI müsste es mithin gelingen, die Beschränkungen der maschinellen Logik und Rationalität zu überwinden. Ob und wann ein solcher Stand der Technik jemals erreicht wird, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Fest steht jedoch, dass der unter dieser Prämisse zu billigende patentrechtliche Sacherzeugnisschutz für Daten mit einer Reihe von möglichen Folgeprobleme verbunden wäre, die im Folgenden überblicksartig erörtert werden sollen.

2.4.5.1 Rechtsunsicherheit im Erteilungs- und Verletzungsverfahren

Eine naheliegende Konsequenz der grundsätzlichen Gewährung eines Datenpatentschutzes betrifft dessen Prüfung im Rahmen des Anmelde- und Eintragungsverfahrens. Denn der Prüfer muss allein anhand der Angabe einer bestimmten Datenstruktur bzw. der darauf aufbauenden funktionalen Steueranweisung an ein technisches Mittel mögliche funktionale Daten projizieren, die er anschließend mit den im Stand der Technik vorgefundenen Datenstrukturen vergleicht.Footnote 1077 Es erscheint wesentlich schwieriger eine technische Lehre allein anhand von nicht-körperlichen, rein funktionalen Merkmalen anstelle von räumlich-körperlichen Merkmalen zu konkretisieren und zu identifizieren.Footnote 1078

Sollte sich die KI darüber hinaus jemals zu einem anerkannten Industriestandard entwickeln, könnten technische Überlegungen nicht nur das Körperlichkeitskriterium, sondern ebenso die Person mit gewöhnlichen Fertigkeiten auf dem Gebiet der Technik, nämlich den „Fachmann“ gemäß § 4 PatG / Art. 56 EPÜ, ersetzen. Geht man nun von der Hypothese aus, dass dieser maschinelle Fachmann den gesamten Stand der Technik auf einem bestimmten Gebiet besser kennt als jeder Mensch es je könnte, erscheint es naheliegend, den Umfang des Standes der Technik zu erweitern. Eine solche fortlaufende Expansion des Standes der Technik würde es wiederum schwieriger machen, Erfindungen als nicht naheliegend anzusehen.Footnote 1079 Gegen diese Bedenken lässt sich einwenden, dass die Erteilungspraxis stets und seit jeher mit dem Umgang von bisher unbekannten technischen und/oder materiell-rechtlichen Änderungen konfrontiert ist und hierdurch potentiell aufkommenden Rechtsunsicherheiten mit Auslegungs- und Interpretationshilfen wie den Prüfungsrichtlinien begegnen kann.Footnote 1080 Bereits jetzt wird bei der Recherche zum Stand der Technik in den Patentämtern KI-basierte Software verwendet, um die Qualität der Erteilungen zu erhöhen.Footnote 1081 Da ein Verzicht auf das Körperlichkeitskritierium jedoch eine grundlegende Abweichung der bisherigen Grundsätze bedeuten würde, ist zumindest zu erwarten, dass die entsprechende Anpassung der Praxis einen gewissen Zeitraum in Anspruch nehmen wird.

Handelt es sich darüber hinaus um einen pbp-Anspruch, lässt die Definition des zu patentierenden Erzeugnisses zwar einen möglichen Herstellungsweg, nicht aber den Schutzumfang des konkret hergestellten Produktes erkennen.Footnote 1082 Die Frage nach der Bestimmbarkeit des Schutzumfangs stellt sich spätestens im Rahmen von Rechtsmittel- und/oder Verletzungsverfahren. Die Verletzung eines Erzeugnispatents mittels eines substratlosen Erzeugnisses ist auf den ersten Blick schwer vorstellbar.Footnote 1083 Wenn nämlich jede funktionale Datenstruktur von entsprechenden technischen Überlegungen ersetzt werden kann, ist fraglich, wie ein Verletzungsrichter entscheiden soll, wann die technische Überlegung das Datum funktionsmäßig beschreibt und die Verletzungsform dieselben Funktionen in Software und/oder Hardwareanwendungen realisiert.Footnote 1084 Denn eine etwa über das Internet zum Download bereitgehaltene Datei als Verletzungsform stellt objektiv nur eine Folge von bits dar, deren patentrechtlich relevante Funktionalität sich nicht aus sich heraus erschließt, sondern erst im Zusammenhang mit dem realen oder virtuellen Prozessor, auf dem sie zur Ausführung gelangen soll, interpretierbar wird.Footnote 1085 Ohne Bezug zu einem solchen körperlichen, technischen Mittel, ist die patentverletzende Eignung der angegriffenen funktionalen Datenstruktur demnach kaum zu bestimmen.Footnote 1086 Da aus der Anwendung eines bestimmten Verfahrens eine Vielzahl verschiedener struktureller oder funktionaler Merkmale des Erzeugnisses resultieren können, werden Patentinhaber und Verletzer entsprechend veranlasst sein, nur die jeweils zu ihren Gunsten sprechenden Merkmale zu analysieren und darzulegen.Footnote 1087 Maßgebend ist dabei letztlich wie der angesprochene Fachmann die Angaben zum Herstellungsweg versteht und welche Schlussfolgerungen er hieraus für die erfindungsgemäße Beschaffenheit der auf diesem Wege herstellbaren Sache zieht.Footnote 1088 Damit können sich erhebliche Schwierigkeiten bei der Durchsetzung des patentrechtlichen Schutzes von Daten in virtuellen Infrastrukturen ergeben.Footnote 1089 Informationen auf syntaktischer Ebene sind gerade dort besonders durch Verletzungshandlungen wie das Ausspähen durch unberechtigten Zugriff, den unberechtigten Download, das unberechtigte Erstellen von Kopien sowie unberechtigte Änderungen im Datenbestand gefährdet.Footnote 1090 Der prozessual eher schwache Schutz muss daher nach wie vor durch tatsächliche Schutzmaßnahmen wie z. B. einen bestimmten Datenkopierschutz ergänzt werden.Footnote 1091

2.4.5.2 Erschöpfungsfragen

Neben diesen praktischen Problemen im Rahmen patentamtlicher und gerichtlicher Prüfungsverfahren stellt sich zudem die Frage, unter welchen Umständen, das Recht an nicht-körperlichen Datenerzeugnisse erschöpfen kann.

2.4.5.2.1 Objektbezogene Erschöpfung

Der Grundsatz der Erschöpfung ist im deutschen Patentgesetz – anders etwa als in § 24 MarkenG oder § 17 Abs. 2 UrhG – nicht ausdrücklich geregeltFootnote 1092 und findet auch keine gesetzliche Entsprechung in den Vorschriften des TRIPS.Footnote 1093 Die Erschöpfung ist jedoch Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes des Patentrechts und Folge der Veräußerung des unter den Patentschutz fallenden Gegenstands durch den Patentinhaber.Footnote 1094 Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist das Ausschließlichkeitsrecht aus einem Patent, das ein Erzeugnis betrifft, hinsichtlich solcher Exemplare des geschützten Erzeugnisses erschöpft, die vom Patentinhaber oder mit seiner Zustimmung in Verkehr gebracht worden sind, sodass der rechtmäßige Erwerber eines solchen Exemplars befugt ist, dieses bestimmungsgemäß zu gebrauchen, an Dritte zu veräußern oder zu einem dieser Zwecke Dritten anzubieten.Footnote 1095 Laut Kraßer/Ann beruht die Rechtfertigung des Erschöpfungsgrundsatzes im Wesentlichen auf den folgenden zwei Überlegungen: Einerseits soll der Rechtsverkehr in Bezug auf den Handel mit Sachen und ihr bestimmungsgemäßer Gebrauch durch die Erwerber, von patentrechtlichen Behinderungen frei bleiben, soweit sich dies mit den durch das Patent geschützten Interessen verträgt. Andererseits sollen die Befugnisse des Patentinhabers nicht weiter reichen, als es zur Erlangung einer den Marktwert der Erfindung repräsentierenden Gegenleistung erforderlich ist.Footnote 1096 Demgemäß stellt der Erschöpfungsgrundsatz eine immanente Schranke der Wirkungen des Patents dar.Footnote 1097 Ein patentgeschütztes Erzeugnis, das einmal berechtigterweise in den Verkehr gelangt ist, wird demnach gemeinfrei benutzbar.Footnote 1098 Eine die Zulässigkeit der Benutzung begründende Erschöpfung der Rechte aus einem mit Wirkung für Deutschland erteilten Patent tritt allerdings nur ein, wenn das geschützte Erzeugnis durch den Patentinhaber oder mit seiner Zustimmung in Deutschland, einem Mitgliedstaat der EU oder einem dem Abkommen über den EWR angehörigen Staat in Verkehr gebracht worden ist.Footnote 1099 Eine gesetzliche oder völkerrechtliche Verpflichtung zur Anerkennung einer internationalen Erschöpfung im Geltungsbereich des deutschen Patentrechts besteht indes nicht.Footnote 1100

Die im Wege der Erschöpfung erlaubten Benutzungshandlungen entsprechen weitestgehend den Benutzungshandlungen des § 9 S. 2 Nr. 1 PatG.Footnote 1101 Die Grenze des bestimmungsgemäßen Gebrauches ist spätestens dann erreicht, wenn die getroffenen Maßnahmen nicht mehr nur der Erhaltung und Wiederherstellung der Gebrauchstauglichkeit dienen (etwa nachdem die Funktions- oder Leistungsfähigkeit des konkreten Exemplars ganz oder teilweise durch Verschleiß, Beschädigung oder aus anderen Gründen beeinträchtigt oder aufgehoben ist), sondern darauf hinauslaufen, das patentgemäße Erzeugnis erneut herzustellen.Footnote 1102

Die Wirkung der Erschöpfung ist darüber hinaus streng objektbezogen, d. h. sie tritt stets nur für denjenigen konkreten Gegenstand ein, der tatsächlich mit Billigung des Schutzrechtsinhabers in Verkehr gebracht worden ist.Footnote 1103 Vor diesem Hintergrund liegt ein Inverkehrbringen dann vor, wenn der die Erfindung verkörpernde Gegenstand unter Aufgabe der eigenen Verfügungsgewalt tatsächlich in die Verfügungsgewalt einer anderen Person übergeht und der Schutzrechtsinhaber dadurch den wirtschaftlichen Wert der Erfindung realisieren kann.Footnote 1104

Ob und wann eine solche verwertbare Einräumung der Verfügungsmachung an Daten vorliegt, hängt jedoch maßgeblich davon ab, ob der zugrundeliegende Gegenstand auf der strukturellen, syntaktischen oder semantischen Ebene einzuordnen ist.

2.4.5.2.1.1 Erschöpfbarkeit von Datenträgern

Nach den zu § 24 Abs. 1 MarkenG entwickelten Grundsätzen ist ein „Inverkehrbringen“ auch dann anzunehmen, wenn der Gegenstand vom Hersteller als Anschauungs- und Testgerät zur Absatzförderung an einen Vertreiber geliefert wird, ohne dass die Pflicht besteht, den Gegenstand nach Gebrauch an den Hersteller zurückzugeben.Footnote 1105 Hieran anknüpfend wertete das OLG Düsseldorf in seiner Entscheidung Interframe Dropping die ausschließlich zu Testzwecken erfolgte Überlassung eines mit patentrechtlich geschützten Videodaten ausgestatteten Trägermediums (ein sog. Digital Linear Tape, DLT) an die potentielle Verletzerin nicht als erschöpfungsbegründendes Inverkehrbringen.Footnote 1106 Begründet wurde die Ablehnung der Erschöpfungswirkung mit dem Argument, dass die Patentinhaberin, die durch die Überlassungshandlung lediglich die Vertragstreue ihres Geschäftspartners verifizieren wollte, noch keinen wirtschaftlichen Nutzen aus der patentierten Erfindung gezogen hatte.Footnote 1107

Der BGH sah in der darauffolgenden Revisionsentscheidung MPEG2-Videosignalcodierung den wirtschaftlichen Wert der Erfindung dagegen bereits dadurch realisiert, dass die Patentinhaber der Testkäuferin überhaupt und unabhängig von jedem Zweck die Benutzung des Verfahrens gestattet hatten.Footnote 1108 Da der Datenträger demnach mit Zustimmung der Patentinhaberin in den Verkehr gebracht worden war, hielt sich auch die Herstellung der weiteren Datenträger – in diesem Fall die 500 auf Grundlage des DLT gepressten DVDs –, die unverändert die erfindungsgemäß codierte Datenfolge enthielten, im Rahmen der aus der Erschöpfung des Patentrechts folgenden Befugnis zum bestimmungsgemäßen Gebrauch der erzeugten Datenfolge.Footnote 1109 Dass der BGH aus dem berechtigten Inverkehrbringen der Original-Datenfolge auf die Erschöpfung sämtlicher Vervielfältigungsstücke schließt, ist in der Literatur teilweise als eine wirtschaftlich zu einseitige Belastung des Patentinhabers kritisiert worden.Footnote 1110

Laut Arnold führt die Betrachtung des Senats im Ergebnis dazu, dass der Verfahrenserzeugnisschutz durch eine einfache Kopie der gespeicherten Datenfolge umgangen werden könnte.Footnote 1111 Dagegen führt Meier-Beck jedoch zu Recht an, dass es im Ergebnis allein darauf ankommt, dass das erfindungsgemäße Verfahren ausschließlich vom Patentinhaber oder mit seiner Zustimmung vom Testkäufer ausgeführt worden ist und nur diese das Verfahrenserzeugnis (nämlich die codierte Datenfolge) hergestellt haben. Dass der DVD-Hersteller die bestellten 500 DVDs mit der auftragsgemäß eingebrannten Datenfolge an den Patentinhaber bzw. seinen Testkäufer zurückgeliefert habe, – ohne das erfindungsgemäße Verfahren erneut anzuwenden – stelle nicht dasjenige Inverkehrbringen dar, das dem Handeln des Patentinhabers bzw. seines Testkäufers selbst abgesprochen wird.Footnote 1112

2.4.5.2.1.2 Keine Erschöpfbarkeit von Informationen

Im Gegensatz zu einem physischen Datenträger wie einer DVD ist der darin gespeicherte semantische Gehalt, wie z. B. das Testergebnis einer medizinischen Untersuchung, unkörperlich. Das zeigt sich bereits daran, dass der Untersuchungsbefund auch nach einer ersten schriftlichen Verkörperung noch beliebig oft verkörpert, gleichzeitig aber auch ohne jede Verkörperung sinnvoll übermittelt werden kann, wie z. B. im Rahmen eines Telefonats.Footnote 1113 Dass der Umstand der Wiedergabe- und Weitergabemöglichkeit allein nicht den Zugang eines Informationsgehaltes zum Patentschutz begründen kann, ergibt sich bereits aus dem Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 4 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. d EPÜ.Footnote 1114

Entsprechend genügt ein Untersuchungsbefund, der nach Abschluss des patentgemäßen Verfahrens erhalten wird und der z. B. eine Aussage darüber enthält, ob eine untersuchte DNA-Probe einen bestimmten Gendefekt aufweist, nicht den Anforderungen des Verfahrenserzeugnisschutzes nach § 9 S. 2 Nr. 3 PatG / Art. 64 Abs. 2 EPÜ. Denn am Ende des Verfahrens steht kein Erzeugnis, auf das ein Sachpatent gerichtet werden könnte, sondern lediglich eine intellektuelle Erkenntnis,Footnote 1115 die bereits durch das menschliche Gedächtnis unkompliziert speicherbar ist und verbal kommuniziert werden kann.Footnote 1116 Dieses Wissen mag zwar therapeutisch und kommerziell bedeutsam sein, dessen wirtschaftlicher Wert erschöpft sich jedoch regelmäßig in der einmaligen Übermittlung für die Zwecke einer ärztlichen Diagnose.

Die Gewährung des derivaten Erzeugnisschutzes einer Information würde in letzter Konsequenz dazu führen, dass jemand, der sich das Ergebnis des im patentfreien Ausland angewendeten Untersuchungsverfahrens gemerkt hat, beim Übertreten der Landesgrenze eine Patentverletzung begeht, da er das dort wiederum geschützte Verfahrenserzeugnis „geistig“ bei sich trägt und damit „einführt“.Footnote 1117 Der Patentinhaber könnte diese Verletzungshandlung wiederum nur dadurch verhindern, dass er zuvor einen Unterlassungstitel gegen die Einreise des potentiellen Verletzers erwirkt.Footnote 1118 Eine parallele Problematik ergäbe sich im Übrigen mit der Anwendung von Rückrufs- oder Vernichtungsansprüchen des § 140a PatG, da es kaum möglich erscheint eine bestimmte Information bzw. ein durch eine bestimmte Information beeinflusstes Handeln zu vernichten bzw. rückgängig zu machen.Footnote 1119

Berücksichtigt man nun den Umstand, dass die dem Patentinhaber zustehenden Ausschließlichkeitsrechte nahezu spiegelbildlich durch die Erschöpfungswirkung begrenzt werden, lassen sich dieselben Gründe, die gegen die Annahme eines Schutzes des rein gedanklichen Verfahrensergebnisses sprechen, auch gegen die Annahme der Erschöpfung anführen.Footnote 1120 Ebenso wie es Verfahrenspatenten aufgrund ihrer mangelnden körperlichen Fixierung an einer immanenten Begrenzbarkeit der Veräußerungsmöglichkeiten fehlt,Footnote 1121 so findet auch die Annahme einer möglichen Erschöpfung von unkörperlichen Informationen keine dogmatische Stütze.

2.4.5.2.1.3 Keine Erschöpfbarkeit von Daten

Im Unterschied zur einfachen, an den menschlichen Geist gerichteten Informationen bedarf es zur Wahrnehmbarkeit von Daten in der Regel einer weiteren technischen Verarbeitung in einem Verfahren oder durch ein Erzeugnis.Footnote 1122 Das hat zur Folge, dass Daten sich bei der Konsumption gerade nicht erschöpfen, sondern weiterhin für jedermann verfügbar bleiben.Footnote 1123

Gleichzeitig stellt sich auch hier die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Daten mangels Körperlichkeit in Verkehr gebracht werden können. Es besteht weitestgehend Einigkeit darüber, dass der hierfür erforderliche Übergang der Verfügungsgewalt nicht mit einem Eigentumswechsel verbunden sein muss.Footnote 1124

Umstritten ist allerdings, ob auch ein nur auf zeitweilige Gebrauchsüberlassung zielendes Inverkehrbringen die Anwendung des Erschöpfungsgrundsatzes rechtfertigt.Footnote 1125 Dagegen wenden Kraßer/Ann ein, dass eine lediglich zeitweilige Gebrauchsüberlassung dem Patentinhaber noch keine hinreichende Gelegenheit zur Realisierung des Marktwerts der Erfindung bietet.Footnote 1126 Laut Bukow sind zudem die Interessen desjenigen, der die Sache erhalten hat, hier nur begrenzt schützenswert, da dieser nicht davon ausgehen dürfe, dass er die Sache bei einer temporären Übergabe vollständig gemeinfrei benutzen darf.Footnote 1127 Diese ablehnende Haltung mag in Sachverhaltskonstellationen, bei denen es um eine leih- oder mietweise übertragene Sache im Sinne des § 90 BGB geht, begründet sein. Dass sich der Wert von Daten auch bereits in der Bereitstellung einer flüchtigen Kopie voll realisieren kann, zeigen dagegen Geschäftsmodelle von Streamingdienstanbietern wie Netflix oder Spotify.Footnote 1128 Denn hier sind Benutzer durchaus gewillt, für die zeitweise Bereitstellung flüchtiger Daten Geld zu bezahlen. Das zugrundeliegende Vertragsverhältnis beruht hier in der Regel nicht auf einem einmaligen Leistungsaustausch, sondern besteht schwerpunktmäßig aus einem Dauerschuldverhältnis.Footnote 1129

Arnold schlägt daher vor, die Übertragung der Verfügungsmacht bereits dann anzunehmen, wenn dem Nutzer die Gelegenheit zur Wiedergabe, d. h. Wahrnehmbarmachung, der Audio- und Videodaten verschafft wird. Dies sei beim Streaming beispielsweise im Zeitpunkt der Übermittlung der Daten der Fall, da der Benutzer hierdurch in die Lage versetzt werde, diese zu decodieren.Footnote 1130 Auf die Vollständigkeit, Form oder Häufigkeit der Decodierung komme es als der eigentlichen Patenthandlung nachgelagerten Handlung ebenso wenig an wie auf die anschließende, beim Streaming standardmäßige Löschung der Daten aus dem Cache.Footnote 1131

Diese Ansicht mag zwar ausreichend berücksichtigen, dass der Patentinhaber ein Umsatz- und Veräußerungsgeschäft ermöglicht und damit einen hinreichenden Bezug zum Handelsverkehr herstellt. Fraglich ist jedoch, ob in der fortlaufenden Übermittlung von zwischengespeicherten und wieder gelöschten Daten tatsächlich ein Übergang der Verfügungsgewalt zu sehen ist. Denn hierfür ist auch nach patentrechtlicher Wertung grundsätzlich erforderlich, dass der Patentinhaber seine Veräußerungs- und Gebrauchsmöglichkeit am geschützten Gegenstand aufgibt und ein Dritter diese erwirbt.Footnote 1132 Aufgrund der fehlenden Rivalität von Daten, die zeitgleich in endlicher Art und Weise Dritten zur Verfügung gestellt werden können, verliert der Patentinhaber jedoch faktisch nicht die Verfügungsmacht über den Datenstrom, sondern kann ihn jederzeit einschränken, verlangsamen oder sogar unterbinden. Der Datenempfänger auf der anderen Weise erlangt die Verfügungsmacht über die Daten dagegen ausschließlich im Zeitraum des Gebrauchs, verliert sie jedoch gleich wieder, sobald die Gebrauchshandlung abgeschlossen ist. Die Daten selbst bleiben damit unter der faktischen Kontrolle eines anderen.Footnote 1133

Das „Bereitstellen“ zum Abruf der Daten kommt demnach einem bloßen „Anbieten“ gleich. Der Begriff des „Anbietens“ i.S.d § 9 S. 2 Nr. 1 PatG ist rein wirtschaftlich zu verstehen und umfasst jede im Inland begangene Handlung, die nach ihrem objektiven Erklärungswert den Gegenstand der Nachfrage in äußerlich wahrnehmbarer Weise zum Erwerb der Verfügungsgewalt bereitstellt.Footnote 1134 Das Bereitstellen zum Erwerb der Verfügungsgewalt stellt lediglich eine Vorstufe der tatsächlichen Übertragung der Verfügungsgewalt selbst dar, weshalb auch nach überwiegender Ansicht ein „Anbieten“ nicht ausreicht, um das In-Verkehr-Bringen zu bejahen.Footnote 1135 Im Rahmen des § 9 S. 2 Nr. 2 PatG mag die Reichweite des Begriffes „Anbieten“ zwar streitig sein.Footnote 1136 Bei Verfahrenspatenten ist das In-Verkehr-Bringen des Verfahrens als solches jedoch kein dem Patentinhaber vorbehaltener Benutzungstatbestand, sodass sich patentrechtliche Befugnisse nicht dadurch verbrauchen, dass das Verfahren in Verkehr gebracht wird.Footnote 1137 So erschöpft sich das Recht an einem Verfahrenspatent nicht etwa dadurch, dass eine Vorrichtung veräußert wird – selbst wenn mit deren Hilfe das patentgeschützte Verfahren ausgeübt werden kann.Footnote 1138

Eine an wirtschaftlichen Zwecküberlegungen orientierte Auslegung zugunsten der Erschöpfbarkeit von Daten, findet daher letztlich ihre Grenze in dem herkömmlichen, auf körperliche Erzeugnisse ausgerichteten Wortlautverständnis des In-Verkehr-Bringens.

2.4.5.2.1.4 Zwischenergebnis

Nach dem Grundsatz der Objektbezogenheit unterliegen lediglich körperliche Gegenstände wie Datenträger der Erschöpfung. Während sich der wirtschaftliche Marktwert von Information bereits durch die einmalige Informationsübermittlung erschöpft, scheitert ein In-Verkehr-Bringen von Daten letztlich an der fehlenden Möglichkeit der Einräumung der tatsächlichen Verfügungsgewalt.

2.4.5.2.2 Digitale Erschöpfung?

Ebenso wie im Patentrecht wird auch im Urheberrecht diskutiert, ob und unter welchen Voraussetzungen die Online-Übermittlung eines Werkes den Erwerb eines körperlichen Werkexemplars substituieren kann.Footnote 1139

2.4.5.2.2.1 Ansätze aus dem Urheberrecht

Die in § 17 Abs. 2 UrhG (Art. 4 Abs. 2 der RL 2001/29/EGFootnote 1140) geregelte Erschöpfung des Verbreitungsrechts findet grundsätzlich ebenfalls nur auf den das geschützte Werk oder dessen Vervielfältigungsstück verkörpernden Gegenstand Anwendung.Footnote 1141

In seiner Entscheidung UsedSoft/Oracle von 2012 hatte der EuGH dagegen zur Auslegung von § 69c Nr. 3 UrhG (Art. 4 Abs. 2 der RL 2009/24/EGFootnote 1142) angenommen, dass sich das Verbreitungsrecht des Urheberrechtsinhabers an einem Computerprogramm unter bestimmten Umständen auch mit dem Erstverkauf einer nichtkörperlichen Kopie desselben erschöpfen kann.Footnote 1143 In der urheberrechtlichen Literatur wird seitdem diskutiert,Footnote 1144 ob und inwiefern sich diese für Computerprogramme entwickelten Grundsätze auf andere unkörperliche Werke übertragenFootnote 1145 bzw. analog hierauf anwenden lassen.Footnote 1146 Die unterschiedlichen Rechtsgrundlagen mit Bezug auf die Erschöpfung legen es nahe, zwischen Computerprogrammen und „traditionellen“ Werkkategorien zu differenzieren.Footnote 1147 Immerhin betont der EuGH, dass die RL 2009/24/EG im Verhältnis zur RL 2001/29/EG lex specialis ist.Footnote 1148 Im Vordergrund der Diskussion steht jedoch, ob und inwieweit körperliche und unkörperliche Vervielfältigungsstücke wirtschaftlich-funktional vergleichbar sind.Footnote 1149 Bei Computerprogrammen macht es laut EuGH keinen Unterschied, ob sie im Internet zum Download oder auf materiellen Datenträgern zur Verfügung gestellt werden.Footnote 1150 Eine wirtschaftliche Vergleichbarkeit zwischen E-Books und Büchern als Druckerzeugnisse sah das Gericht in einer nachfolgenden Entscheidung von 2019 dagegen unter Berücksichtigung rein wirtschaftlicher Gesichtspunkte wie z. B. der fehlenden Abnutzbarkeit digitaler Kopien durch Gebrauch, der geringen Ersetzungskosten bei Verlust und des gleichbleibenden Werts auf dem Second-Hand-Markt als nicht gegeben an.Footnote 1151 Ob solch unterschiedliche Bewertungen ohne umfassende ökonomische Analyse zur Vergleichbarkeit körperliche und unkörperlicher Handelsgegenstände getroffen werden können, wird indes zu Recht bezweifelt.Footnote 1152

Der Streit über die Erschöpfbarkeit von permanent zum Download angebotenen digitalen Inhalten scheint mittlerweile jedoch durch die technische Entwicklung weitgehend überholt zu sein. Denn der Trend geht, wie die bereits erwähnten Streaming-Dienste für Filme und Musik sowie die Verleih-Angebote für E-Books zeigen, ohnehin in Richtung „Access statt Asset“, also hin zum zeitlich beschränkten Zugriff auf Inhalte.Footnote 1153 Bei Geschäftsmodellen, bei denen der Endnutzer lediglich einen temporären Zugang und eine vertraglich begrenzte Nutzungsdauer von digitalen Inhalten erwirbt, stellt sich nach überwiegender Ansicht – und damit ebenso wie im Patentrecht – die Erschöpfungsproblematik nicht.Footnote 1154 Denn ein In-Verkehr-Bringen „im Wege der Veräußerung“ nach § 17 Abs. 2 UrhG setzt ebenfalls voraus, dass der Erwerber das Werk selbst abspeichern und darauf wiederholt zugreifen kann. Es kommt also darauf an, ob der Empfänger auf Dauer freien Zugriff auf die Inhalte hat, ohne dass er hierfür fremde Zugangssperren überwinden muss.Footnote 1155 Beim Streaming erhält der Nutzer allerdings nicht die Verfügungsmacht über das Vervielfältigungsstück, sondern lediglich einen zeitlich beschränkten Zugang zum selben.Footnote 1156 Laut Grünberger kommt es für die Frage der Erschöpfung entscheidend darauf an, ob sich die objektiven Anforderungen an die Vertragsgemäßheit nach den Verbrauchererwartungen richten (z. B. aufgrund des dauerhaften Zugangs eines Downloads nach Kaufrecht oder aufgrund des temporären Zugangs zu Streaming-Angebotennach Mietrecht) oder ob sich die urheberrechtlichen Wertungen durchsetzen.Footnote 1157

Teilweise erscheint es einzelnen Literaturstimmen sinnvoller, sich vor allem auf die Art und den Umfang der Berechtigung der potenziellen Werkempfänger zu konzentrieren.Footnote 1158 Allen voran schlägt Hilty vor, mit der Datenübertragung gleichzeitig die Erteilung einer stillschweigenden Lizenz für eine „berechtigte Nutzung“ anzunehmen, sofern der Rechteinhaber zuvor Maßnahmen getroffen hat, die eine Nutzung faktisch ermöglichen und den Umständen nach mit Art und Umfang der Nutzung objektiv gerechnet werden musste.Footnote 1159 Dabei stellt sich die Frage, ob der Rechteinhaber es hinnehmen muss, dass nicht mehr sein ursprünglicher Vertragspartner Zugang zu seinem Werk erhält, sondern ein Dritter.Footnote 1160 Diese dem common law entnommene Perspektive des „implied licencing“, also der implizierten Lizenzerteilung, bestimmt die Erschöpfungswirkung vor allem nach objektiv-vertragsrechtlichen Gesichtspunkten. In seiner Entscheidung von 2019 zur Erschöpfbarkeit von E-Books hat der EuGH jedoch eher auf eine subjektiv-typisierende Vorstellung des Urhebers abgestellt, indem er annahm, dass der Urheber bei seiner Gestattung lediglich den Nutzer vor Augen hat, der das Werk im primären Handel erwirbt und auf diese Weise erhält, ohne etwaige Weiterveräußerungsakte auf dem Sekundärmarkt zu berücksichtigen.Footnote 1161 Eine Entscheidung darüber, welcher Betrachtungsmaßstab bei der Übertragbarkeit von Daten gelten sollte, existiert dagegen nicht.Footnote 1162

Insgesamt scheint es im Urheberrecht bisher nicht gelungen zu sein, eine schlüssige Theorie der digitalen Erschöpfung zu entwickeln.Footnote 1163

2.4.5.2.2.2 Diskussion und eigene Stellungnahme

Mangels einheitlicher Herangehensweise zur Bestimmung von Erschöpfungsregeln hinsichtlich unkörperlich veräußerter Werke fällt es schwer, dem Urheberrecht brauchbare Ansätze zur patentrechtlichen Behandlung der Datenerschöpfung zu entnehmen. Denn reine Datenformate und Strukturen ohne Steuerungsfunktion stellen bereits nach urheberrechtlichem Verständnis keine „Computerprogramme“ i.S.d. § 69a UrhG dar.Footnote 1164 Doch selbst wenn man davon ausgeht, dass zumindest funktionale Daten den „Programmen für Datenverarbeitungsanlagen“ aus § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG / Art. 52 Abs. 2 lit. c EPÜ gleichgestellt sind, führt diese Feststellung nicht zwangsläufig dazu, dass die vom EuGH in UsedSoft für Computerprogramme entwickelten Grundsätze zum In-Verkehr-Bringen auf die Patentrechtspraxis übertragbar wären.

Für eine solche Übertragbarkeit könnte sprechen, dass das Urheberrecht und das Patentrecht im Fall von Computerprogrammen denselben Schutzgegenstand abdecken.Footnote 1165 Die urheberrechtlichen Vorschriften verfolgen den Ansatz, den Schutz von Computersoftware im Wesentlichen durch das Urheberrecht zu gewährleisten.Footnote 1166 Entsprechend wären die „Programme für Datenverarbeitungsanlagen“ enger auszulegen, als es das gemeinhin übliche Verständnis des Begriffes „Computerprogramm“ impliziert.Footnote 1167

Aus dem fehlenden Verbot eines überlappenden Schutzes verschiedener Immaterialgüterrechte lässt sich jedoch nicht schließen, dass der Patentschutz dann einsetzt, wenn das Urheberrecht nicht mehr greift.Footnote 1168 Bereits 1976 stellte der BGH in seiner Dispositionsprogramm-Entscheidung fest, dass das System des deutschen gewerblichen und Urheberrechtsschutzes im Wesentlichen darauf beruht, dass für bestimmte Arten geistiger Leistungen je unterschiedliche, ihnen besonders angepasste Schutzbestimmungen gelten und dass Überschneidungen zwischen diesen verschiedenen Leistungsschutzrechten nach Möglichkeit ausgeschlossen sein sollen. Das Patentgesetz sei auch nicht als ein Auffangbecken gedacht, in welchem alle etwa sonst nicht gesetzlich begünstigten geistigen Leistungen Schutz finden sollen, sondern vielmehr als ein Spezialgesetz für den Schutz eines umgrenzten Kreises geistiger, namentlich technischer, Leistungen.Footnote 1169

Patentrechtlich geschützt wird nicht das Programm, sondern die Vorrichtung oder das Verfahren, in dessen Rahmen sie eingesetzt wird.Footnote 1170 Im Urheberrecht wiederum ist zwar die sprachliche oder sonstige Darstellung von Regeln und Verfahren, nicht aber die Regel oder das Verfahren selbst geschützt.Footnote 1171 Während eine Berücksichtigung des rein wissenschaftlich-technischen Gedankenguts beim urheberrechtlichen Programmschutz weitestgehend abgelehnt wird,Footnote 1172 spielt die Bewertung der urheberrechtlichen Schöpfungshöhe im Rahmen des Patentierungsverbotes keine Rolle.Footnote 1173 Darüber hinaus schützt das Urheberrecht den Schöpfer von Computerprogrammen im Wesentlichen nur gegen Vervielfältigung der Ausführungsform, während ein Patent gerade auch einen Schutz der technischen Lehre vor äquivalenten Benutzungen vermittelt.Footnote 1174 Zudem ist nur das Patent uneingeschränkt und damit frei verfügbar.Footnote 1175 Im Übrigen wird die von Hilty aufgeworfene Frage zur Reichweite des Gebrauchsrecht innerhalb des Patentrechts ebenfalls unterschiedlich beantwortet: Geht es um ein rechtmäßig in Verkehr gebrachtes Produkt, in dem ein Erzeugnispatent verkörpert ist, so darf dieses konkrete Produkt weiter veräußert werden. Geht es hingegen um eine Vorrichtung, mit der ein patentiertes Verfahren angewendet werden kann, führt das rechtmäßige Inverkehrbringen dieser Vorrichtung dazu, dass deren Erwerber das Verfahren auch ohne explizite Einwilligung des Inhabers des Verfahrenspatents anwenden darf.Footnote 1176

Mit unterschiedlichen Erklärungsmodellen für das Gebrauchsrecht ist nicht zu vermeiden, dass beide Schutzrechte in dieser Frage unterschiedlich beurteilt werden.Footnote 1177 In dem Umstand, dass sich nicht sämtliche Immaterialgüterrechte, die auf einem Gegenstand lasten, einheitlich erschöpfen, muss jedoch kein Widerspruch zu den Grundsätzen der übrigen Teilgebiete des gewerblichen Rechtsschutzes zu sehen sein.Footnote 1178 Denn die Frage der Erschöpfung ist stets anhand des konkreten Schutzrechts zu prüfen, sodass die Bewertung bei verschiedenen Schutzrechten am gleichen Produkt durchaus unterschiedlich ausfallen kann.Footnote 1179 Vor dem Hintergrund der zahlreichen Abweichungen zwischen den einzelnen Schutzbestimmungen erscheint es fernliegend, eine einheitliche, den gleichen Regeln folgende Erschöpfbarkeit von Patent- und Urheberrechten annehmen zu können.

2.4.5.2.2.3 Fazit

Sowohl das Urheberrecht als auch das Patentrecht laufen Gefahr, zunehmend die Hoheit über den Ausgleich der Interessen des Schutzrechtsinhaber, des Erwerbers und der Allgemeinheit an das Schuldrecht beim Weitervertrieb zu verlieren.Footnote 1180 Um Klarheit zu schaffen, wäre hierfür jedoch letztlich das Tätigwerden des Gesetzgebers erforderlich.Footnote 1181 Angesichts der grenzüberschreitenden Märkte im Online-Handel sowie der verschiedenen europarechtlichen Vorschriften allein auf europäischer Ebene wäre wohl eine grundlegende Neuregelung der Erschöpfungsvorschriften sinnvoll und möglich.Footnote 1182 Bis dahin wird Schutzrechtsinhabern und Verwertern wenig anderes übrig bleiben, als die Weiterveräußerung ihrer unkörperlichen Werke und Erzeugnisse durch Nutzungsbedingungen in Kombination mit technischen Lösungen (wie z. B. personalisierte Accounts, Passwörter, Fingerprint-Scans) so weit wie möglich einzuschränken.Footnote 1183