12.1 Einleitung

Personalentwicklung ist ein wesentlicher Bestandteil des Personalmanagements, wird jedoch je nach Unternehmen unterschiedlich gehandhabt. Mitarbeitende intern zu entwickeln, sichert Unternehmen nachhaltig Ressourcen (Von Contzen & Nehrig, 2022) und durch den Erhalt der Mitarbeitenden werden Kosten für die Rekrutierung und Einarbeitungsphase gespart. In einer zunehmend hybriden Arbeitswelt gilt es, die Personalentwicklung zukunfts- und mitarbeitendenorientiert zu gestalten. Bis anhin werden Mitarbeitende in Unternehmen oft aufgrund ihrer schulischen und beruflichen Qualifikation und ihrer Leistung am Arbeitsplatz befördert (Niedermann, 2020). Es stellt sich die Frage: Sind solche Kriterien in einer Arbeitswelt, in welcher Präsenzzeit im Büro und Arbeiten von zu Hause verschmelzen, noch ausreichend? Dabei stehen Führungskräfte vor der Herausforderung, relevante Kriterien für die Entwicklung von Mitarbeitenden in einer sich dynamisch verändernden Arbeitswelt zu entwickeln. Daraus ergibt sich ein akuter Veränderungsbedarf für die Personalentwicklung in Unternehmen.

In der vorliegenden Studie wurde untersucht, welche Kriterien Unternehmen in der Deutschschweiz für die Personalentwicklung aktuell anwenden und in welche Richtung sich ihre Personalentwicklung im Kontext einer zunehmend hybriden Arbeitswelt verändern wird.

Nachfolgend werden die theoretischen Grundlagen der Personalentwicklung dargestellt, das methodische Vorgehen der Arbeit erläutert und die Resultate der Untersuchung vorgestellt. Abschließend folgen nach einer Diskussion der Resultate Empfehlungen für Führungskräfte und die Unternehmenspraxis.

12.2 Grundlagen der Personalentwicklung

Die Grundlagen der Personalentwicklung werden vorgestellt und spezifische Aspekte vertieft, um dann ausgewählte Kriterien zu diskutieren, die bei Entscheidungen zur (Weiter-)Entwicklung von Mitarbeitenden berücksichtigt werden. Die Gestaltung der Personalentwicklung wird entlang der Berücksichtigung des Lebenszyklus, unter dem Aspekt des lebenslangen Lernens und dem aktuellen Veränderungsbedarf ausgeführt.

Personalentwicklung beinhaltet Training und Entwicklung, Karriere- und Organisationsentwicklung (McLagan, 1989, zitiert nach Werner, 2014, S. 128). Dabei wird sie von Kultur, Organisationsstruktur und Strategie des Personalmanagements beeinflusst (Mankin, 2001, S. 79). Mittels Personalentwicklung sollen nicht nur die einzelnen Mitarbeitenden lernen und sich entwickeln, sondern auch die Organisation (Werner, 2014, S. 130–131; Becker, 2013, S. 3–5; Graf, 2014, S. 189). Im engeren Sinne besteht Personalentwicklung aus Berufsbildung, Weiterbildung und Umschulung, im erweiterten Sinne ergänzt die Förderung der Mitarbeitenden den Bildungsaspekt. Dazu gehören Arbeitsplatzwechsel, Nachfolgeplanung, strukturierte Mitarbeitenden- und Entwicklungsgespräche sowie Coaching (Becker, 2013, S. 3–5). Durch Personalentwicklung werden die Ressourcen im Unternehmen (sog. Resource-based-view) in Leistungsfähigkeit (sog. Competence-based-view) verwandelt (Becker, 2013, S. 74).

Drei unterschiedliche Modelle für die Personalentwicklung werden in der Literatur diskutiert: ein Systemmodell (Thom, 1987), die Orientierung am Lebenszyklus (Graf, 2001) und das Leistung-Potenzial-Portfoliomodell (Hilb, 2017).

  • Das Systemmodell (Thom, 1987) beschreibt das Zusammenspiel zwischen Entwicklungsmaßnahmen aus Weiterbildung, Informationen der Potenzialbeurteilung und on-the-job-Maßnahmen. Ebenso beinhaltet es erste Ansätze des Lebenszyklus.

  • Das Leistung-Potenzial-Portfoliomodell (Hilb, 2017) sieht Mitarbeitende in einer der vier Phasen Einführung, Wachstum, Reife und Sättigung. Mitarbeitende wechseln vorwiegend durch on-the-job-Maßnahmen von einer Phase zur anderen, Bildungsaktivitäten können diese Wechsel ergänzen.

  • Das Modell des Lebenszyklus der Personalentwicklung (Graf, 2001) greift das grundsätzliche Zusammenspiel innerhalb des Systemmodells (Thom, 1987) sowie die vier Phasen des Leistung-Potenzial-Portfoliomodells (Hilb, 2017) auf. Zusätzlich werden die Mitarbeitenden ins Zentrum gestellt, indem der betriebliche Lebenszyklus von Unternehmenseintritt bis -austritt berücksichtigt wird.

Weitere Forschungsarbeiten verdeutlichen die Zukunftsfähigkeit von lebensphasenorientierter Personalentwicklung (Gül et al., 2016; Kels et al., 2015, S. 118), vor allem bei der Planung von internen Beförderungen (Sander et al., 2022). Mit dem Lebenszyklusmodell (Graf, 2001) wird die Individualität der Mitarbeitenden am deutlichsten berücksichtigt. Durch das Aufkommen von hybriden Arbeitsformen haben Unternehmen bereits erste Erfahrungen gesammelt, auf die individuellen Bedürfnisse und Wünsche der Mitarbeitenden einzugehen (Sander et al., 2022). Ebenso ist im Modell des Lebenszyklus der Trend zu lebenslangem Lernen (Eilers et al., 2020) erkennbar.

Aussagen über konkrete Kriterien zu Personalentwicklung in der hybriden Arbeitswelt gibt es in der bisherigen Forschung erst vereinzelt (Gedro et al., 2020; Sander et al., 2020; Murphy, 2020; Delany, 2021). Vor diesem Hintergrund wird in den nächsten vier Kapiteln vertieft auf die Kriterien für die Personalentwicklung, die Berücksichtigung von Lebensphasen, das lebenslange Lernen sowie den Veränderungsbedarf in der Personalentwicklung eingegangen.

12.2.1 Kriterien für die Personalentwicklung – heute und in Zukunft

Ein wichtiges Thema innerhalb der Personalentwicklung sind die angewendeten Kriterien zur (Weiter-)Entwicklung von Mitarbeitenden. Relevant sind dabei die Themen Leistung und Potenzial, Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit, die Vielfalt der Mitarbeitenden sowie die Transparenz über Stärken zum Beispiel mit einer Skills-Matrix. Die anhaltende Relevanz dieser Kriterien, um Mitarbeitende nachhaltig im Unternehmen halten und entwickeln zu können, wurde am World Economic Forum 2023 von der Adecco Group bestätigt (The Adecco Group, 2023). Neu für Unternehmen ist hingegen oft die Herausforderung Kriterien zur Beförderung bei weniger Präsenz im Büro, und daher weniger unmittelbarer Sichtbarkeit, zu entwickeln.

Leistung und Potenzial

Die Leistungsbeurteilung von Mitarbeitenden bringt Unternehmen wenig Nutzen, da die Leistung von Mitarbeitenden kaum verlässlich gemessen werden kann. Mitarbeitende beurteilen die eigene Leistung (zum Beispiel im Rahmen eines Mitarbeitendengesprächs) meist höher als Führungskräfte, was zu Enttäuschung und Demotivation führen kann. Ebenso ist über die Leistungsbeurteilung keine Differenzierung zwischen Mitarbeitenden möglich, was individuelle Entwicklungsmaßnahmen verhindert. Hingegen kann mittels einer coachenden Rolle der Führungskraft besser auf Stärken und Schwächen der Mitarbeitenden eingegangen und so die individuelle Entwicklung gefördert werden (Murphy, 2020).

Leistung und Potenzial von Mitarbeitenden sollten unabhängig voneinander beurteilt werden, weil die Leistung auf das Potenzial von Mitarbeitenden hindeuten kann, jedoch als Indikator nicht ausreicht (Robledo-Ardila & Roman-Calderon, 2019). Bei der Potenzialanalyse gilt zu beachten, dass Führungskräfte mit ihrer Wahrnehmung Verzerrungen unterliegen und deshalb vorschnelle Folgerungen oder subjektive Gewichtungen zu vermeiden sind. Eine Beurteilung soll nach objektiven und professionellen Kriterien erfolgen (Müri, 2001 S. 76–83).

Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit

Beförderungen finden gehäuft im Alter zwischen 31 und 40 Jahren statt. Berücksichtigt werden insbesondere Mitarbeitende, die in hohem Pensum (im Mittel 94 bis 99 %) arbeiten und keine Karriereunterbrüche aufweisen (Niedermann, 2020; Sander et al., 2020, S. 36–37). Allerdings arbeiten im Alter zwischen 30 und 40 Jahren Mitarbeitende oft Teilzeit oder unterbrechen ihre Karriere wegen der Familie oder anderen Verpflichtungen. Das betrifft im heutigen Umfeld vor allem Frauen, die dann Gefahr laufen, als nicht mehr förderungswert wahrgenommen und entsprechend nicht mehr entwickelt zu werden. Neben der Forderung nach einer Erhöhung des Beschäftigungsgrades bietet sich ein Perspektivenwechsel an, Mitarbeitende als Individuen zu sehen, die auch in Teilzeit und bei flexibler Arbeitsweise ihre Leistung erbringen und entsprechend auch weiterentwickelt und befördert werden sollen (Sander et al., 2022).

Vielfalt

Die Identifikation von Talenten sollte sich an relevanten Fertigkeiten und Potenzialen sowie den Chancen einer vielfältigen Belegschaft orientieren, und damit Mitarbeitende bei Beförderungen unabhängig von beispielsweise bestimmten Alters- oder Geschlechtsstereotypien berücksichtigt werden. Die bisherige Beförderungspraxis aufgrund von Arbeitserfahrung und schulischer oder beruflicher Ausbildung genügt nicht mehr (Niedermann, 2020). Um die Vielfalt vor allem in Kaderpositionen zu erhöhen, wird empfohlen, mit internen Entwicklungsmaßnahmen gezielt diese Vielfalt an u. a. Geschlechtern, Werten und Kompetenzen abzubilden (Sander et al., 2022).

Skills-Matrix

Mittels einer Skills-Matrix werden Kompetenzen und Potenziale der Mitarbeitenden sichtbar gemacht. Die Matrix dient Führungskräften und Mitarbeitenden dazu zu sehen, wo Kompetenzen vorhanden sind und wo Potenzial für einen Ausbau besteht (Herrmann et al., 2012, S. 232; Von Contzen & Nehrig, 2022). Es wird empfohlen, die Mitarbeitenden in diesen Prozess einzubeziehen oder die Matrix selber ausfüllen zu lassen (Herrmann et al., 2012, S. 232). Um interne Sichtbarkeit und Mobilität zu erhöhen, kann ein Netzwerk, welches Mitarbeitende und Führungskräfte aufbauen, unterstützend wirken (Gratton, 2020). In der hybriden Arbeitsweise werden die Werte von Mitarbeitenden und deren Fähigkeiten, basierend auf ihrem Potenzial, zunehmend wichtiger (Han & Stieha, 2020; Hite & McDonald, 2020; Robledo-Ardila & Roman-Calderon, 2019; Graf et al., 2022).

Beförderungskriterien bei weniger Präsenz im Büro

Eine Schwierigkeit mit der Zunahme von hybrider Arbeit ist die Beurteilung von Mitarbeitenden, die weniger sichtbar sind. Führungskräfte tendieren dazu, präsente Mitarbeitende besser zu beurteilen (Kropp, 2021). So glauben 64 % der Führungskräfte, vor Ort präsente Mitarbeitende lieferten eine bessere Leistung als Mitarbeitende, die im Homeoffice arbeiten. Mitarbeitende im Homeoffice oder mit Teilzeitpensum werden für Beförderungen übersehen, weil sie in einer hybriden Arbeitsweise gegenüber Vollzeitmitarbeitenden stärker an Sichtbarkeit verlieren (Niedermann, 2020). Durch die Festlegung von Teamtagen mit Büropräsenz können entsprechende Karrierenachteile reduziert werden (Bloom, 2021). Die Förderung von Mitarbeitenden über Distanz ist erschwert durch langwierigeren Vertrauensaufbau, mehr notwendige Führungsarbeit und anspruchsvolleren Informationsaustausch (Hay Group, zitiert nach Akin & Rumpf, 2013).

Insgesamt zeigt sich, dass Faktoren, die in der bisherigen Literatur im Fokus standen, bei virtueller oder hybrider Arbeitsweise überprüft und oft neu interpretiert und gestaltet werden müssen (Niedermann, 2020; Sander et al., 2022; Gedro et al., 2020).

Insbesondere wird das Konzept der Leistungs- und Potenzialbeurteilung aufgrund fehlender Individualisierung und als alleiniger Indikator für Entwicklungsschritte kritisch diskutiert (Murphy, 2020; Robledo-Ardila & Roman-Calderon, 2019). Als Orientierungsrahmen für Führungskräfte wird empfohlen, sich für die Personalentwicklung auf im konkreten Kontext zu definierende Kriterien zu stützen (Sander et al., 2020, S. 42).

Innerhalb der Personalentwicklung wird die Bereitschaft zum Lernen und damit einhergehend das Dazulernen von neuen Fähigkeiten während der gesamten beruflichen Laufbahn an Stellenwert gewinnen (Hite & McDonald, 2020). Auf diesen Aspekt wird in den beiden nachfolgenden Kapiteln eingegangen.

12.2.2 Personalentwicklung nach Lebensphasen – flexibel und individuell

Personalentwicklung beschränkt sich nicht auf eine definierte Altersgruppe oder Karrierephase. Vielversprechender ist eine Personalentwicklung, die sich an individuellen, beruflichen und privaten Lebensphasen orientiert.

Lebenszyklusorientierte Personalentwicklung

Mit einer Personalentwicklung nach den Phasen des betrieblichen Lebenszyklus vom Unternehmenseintritt bis -austritt sollen Entwicklungsschritte für alle Mitarbeitenden, unabhängig vom biologischen Alter, ermöglicht werden. Mit diesem Ansatz kann die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Mitarbeitenden erhalten und gefördert werden, indem sie in den vier Phasen Einführung, Wachstum, Reife oder Sättigung wahrgenommen und entwickelt werden. Die Zuordnung erfolgt aufgrund der Leistung und des Entwicklungspotenzials. Für die Einteilung der Mitarbeitenden müssen Führungskräften allerdings die Risiken von Wahrnehmungs- und Beurteilungsfehlern bewusst sein (Graf, 2001, S. 416–417; Kels et al., 2015, S. 118).

Lebenssituation und Alter

Das Alter von Mitarbeitenden korreliert nicht mehr zwingend mit den Lebensphasen. Vielversprechender ist deshalb, die individuellen Entwicklungsschritte in enger Abstimmung mit den Mitarbeitenden und deren Lebenssituation zu planen (Sander et al., 2020, S. 30). Für lebensphasenorientierte Entwicklungskonzepte wird empfohlen, Teilzeitarbeit zu ermöglichen, Karriereverläufe mit Unterbrechungen zu fördern, das Talentmanagement auch für Personen über 45 Jahren zu öffnen, die Akzeptanz des Alterns zu fördern sowie transparent Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen (Gül et al., 2016).

12.2.3 Lebenslanges Lernen – zentral in hybrider Arbeit

Die dynamische Transformation der Arbeitswelt mit zunehmend hybriden Arbeitsformen unterstreicht die Forderung nach lebenslangem Lernen. Die Personalentwicklung unterstützt und fördert lebenslanges Lernen durch entsprechende Angebote.

Lernen ermöglicht Entwicklungsschritte

Um Potenziale von Mitarbeitenden während der ganzen betrieblichen Laufbahn zu entwickeln, braucht es lernfördernde Angebote. Dadurch können Mitarbeitende gebunden und intern entwickelt sowie bei Veränderungen in der Organisation neupositioniert werden (Bentner & Dylong, 2015, S. 29). Generell wird Lernen durch Erfahrung und entsprechende Angebote on-the-job für die Personalentwicklung als Konzept wichtiger. Ergänzend können Aktivitäten aus der betrieblichen Bildung eingesetzt werden (Hilb, 2017, S. 133–135; Graf et al., 2022). Traditionell liegt, insbesondere in Europa, der Fokus noch (zu) stark auf off-the-job-Maßnahmen (Seminare, Schulungen) (Hilb, 2017, S. 133–135; Eilers et al., 2019, S. 35).

Up- und Reskilling

Durch die Vertiefung oder den Erwerb von Fertigkeiten werden Mitarbeitende im Unternehmen auf nächste Karriereschritte vorbereitet. Mit Reskilling werden Mitarbeitende für Karrierewechsel vorbereitet, mittels Upskilling für nachfolgende Schritte innerhalb des aktuellen Karrierewegs (Bennett & McWhorter, 2021). Es ist die Aufgabe der Personalentwicklung, im Sinne von lebenslangem Lernen, die Entwicklung der Kompetenzen im Unternehmen sicherzustellen, um in der Personalstrategie Lücken beim Personal durch Falsch- oder Fehlqualifikationen zu vermeiden (Graf et al., 2022). Dafür plant und realisiert die Personalentwicklung Lernchancen bei der Arbeit (on-the-job-Maßnahmen), organisiert interne und externe Aus- und Weiterbildungen und fördert die Fähigkeit und Bereitschaft der Mitarbeitenden für das lebenslange Lernen (Lippe-Heinrich, 2019, S. 119). Der größte Hebel in diesem vielfältigen Lernprozess mit Training, Erwachsenenbildung und Kompetenzentwicklung liegt bei der Motivation der Mitarbeitenden (Hummelgaard, 2020). Eine unternehmensinterne Entwicklung bietet den Vorteil, dass Mitarbeitende doppelt so lange im Unternehmen bleiben (Linkedin Learning Workplace Learning Report, 2021). In der aktuellen Debatte rund um digital und future Skills wird die Relevanz von Up- und Reskilling besonders relevant.

Kürzere, virtuelle Weiterbildungen

Für das Weiterbildungsbedürfnis von Mitarbeitenden sind kürzere und virtuelle Weiterbildungen in den Fokus gerückt. E-Learnings haben an Bedeutung gewonnen und tragen zu einer Lernkultur bei, in der Mitarbeitende ihren Lernprozess selber gestalten können (Geisenhainer, 2020; Bennett & McWhorter, 2021; Kropp, 2021, Sieber Bethke & Klein, 2021). Allerdings wird dieses Potenzial noch nicht ausgeschöpft, wie aktuelle Studien zeigen. So beurteilen Mitarbeitende die Entwicklungsmöglichkeiten als nicht ausreichend und empfinden eine mangelhafte Förderung durch die Führungskraft (Fritschi & Kraus, 2020). Ebenso sind die Anzahl Weiterbildungstage pro Mitarbeitende und Jahr am Sinken (Schneider et al., 2022).

Die Orientierung an relevanten, zukunftsgerichteten Kriterien, die Berücksichtigung von individuellen und beruflichen Lebensphasen sowie die Ausrichtung an lebenslangem Lernen benennen zentrale Dimensionen der Personalentwicklung. Vor dem Hintergrund sich verändernder individueller Bedürfnisse und gesellschaftlicher Entwicklungen resultiert auch für die Personalentwicklung ein Veränderungsbedarf, der nachfolgend erläutert wird.

12.2.4 Veränderungsbedarf der Personalentwicklung

Verändern sich Umfeld und Bedürfnisse von Mitarbeitenden und Arbeitgebenden, muss sich auch die Personalentwicklung anpassen. Nachfolgend werden mit dem Wandel am Arbeitsmarkt, der Digitalisierung und den veränderten Anforderungen an Mitarbeitendengespräche drei zentrale Aspekte vorgestellt.

Wandel am Arbeitsmarkt

Die Digitalisierung und der demografische Wandel weisen der Personalentwicklung einen hohen Wert zu und stärken damit auch die strategische Bedeutung des HRM. Der demografische Wandel und die zunehmende Komplexität in Unternehmen führen zu sich schnell verändernden Kompetenzanforderungen an die Mitarbeitenden. Die Personalentwicklung ist gefordert, sich den neuen Herausforderungen inhaltlich und konzeptionell stetig anzupassen (Schüll, 2020). Dafür sind innovative Strategien und Ansätze willkommen (Lippe-Heinrich, 2019). Auch sind Mitarbeitende zunehmend weniger bereit, ihre Bedürfnisse wie Reisen und Hobbies hinter der Arbeit zurückzustellen oder auf die Zeit nach dem Arbeitsleben zu verschieben. Entwicklung im Beruf und der Freizeit finden parallel statt (Sander et al., 2020, S. 42; Wightman, 2020).

Digitalisierung verändert Führungsarbeit

Entscheidend für virtuelle oder hybride Personalentwicklung ist der Fokus auf Ergebnisse statt auf Präsenzzeit (Millard 2020, zitiert nach Gratton, 2020). Virtuelle Personalentwicklung basiert auf Vertrauen, Mikro-Management von Seiten der Führungskräfte ist zu vermeiden (Bennett & McWhorter, 2021). Führungs- und Entwicklungsarbeit wird in einer virtuellen Arbeitsweise anspruchsvoller, es braucht Zeit, um nachzufragen und hinzuhören (Niedermann, 2020). Mitarbeitende erwarten von einer Führungskraft, dass sie als Personalentwickler agieren (Eilers et al., 2019, 2020, 2021) und Mitarbeitende begleiten (Sieber Bethke & Klein, 2021). Hier ist ein Generationenunterschied zu erkennen: über 50-jährige sehen sich selber verantwortlich für das lebenslange Lernen, unter 40-jährige sehen die Führungskraft in der Verantwortung (Eilers et al., 2020, S. 11). Diese Diskrepanz in den Erwartungen lässt sich nur mit offener und ehrlicher Kommunikation und mit einem Bewusstsein für die Generationenunterschiede lösen.

Regelmäßige Mitarbeitendengespräche

Gemäß einer aktuellen Studie des Schweizer HR-Barometers (Schneider et al., 2022), in der 2000 Mitarbeitende befragt wurden, erhält die Hälfte der Mitarbeitenden keine regelmäßige Leistungsbeurteilung im Rahmen eines Gesprächs. Ohne regelmäßige Gespräche zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden, können weder die individuellen Entwicklungswünsche identifiziert noch die gegenseitigen Erwartungen abgeholt und Angebote abgestimmt werden. Zudem fördern fehlende Gespräche die Fluktuation und wirken sich negativ auf die Mitarbeitendenzufriedenheit aus (Pfrombeck et al., 2020).

Betrachtet man diese veränderten Anforderungen an die Personalentwicklung, kommen auf die Führungskräfte in der Begleitung ihrer Mitarbeitenden neue und große Herausforderungen zu. Hier kann die Personalabteilung durch zukunftsweisende und flexible Ansätze unterstützend wirken.

In der vorliegenden Studie wurden Interviews mit Führungskräften, Personalverantwortlichen und Expert:innen in der Schweiz geführt, um zu erfahren, wie sie aktuell die Herausforderungen der Personalentwicklung in der hybriden Arbeitswelt beurteilen und darauf reagieren. Im Zentrum steht dabei die Frage, welche Kriterien für die Personalentwicklung in der hybriden Arbeitswelt angewendet und wie diese von Personalverantwortlichen und Führungskräften wahrgenommen werden.

12.3 Methodisches Vorgehen

Mittels einer qualitativen Datenerhebung erfolgte im Frühling 2021 die Befragung von fünf Fachpersonen aus dem Human Resources Management und fünf Führungskräften anhand von leitfadengestützten Interviews (Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2019; Helfferich, 2019). Zusätzlich wurden drei Interviews mit Expertinnen von Schweizer Hochschulen geführt, um die Sicht der Praktiker:innen in einer Triangulation zu kontrastieren und zu ergänzen (Flick, 2019, S. 477; Jonker & Pennink, 2009, S. 104).

Sample

Bei der Rekrutierung von Fachpersonen für die Interviews wurde darauf geachtet, in Bezug auf Größe wie auch Branche ein heterogenes Sample zu erreichen. Zudem wurden Unternehmen gesucht, die im Jahr 2020 bereits mit der virtuellen Arbeitsweise Erfahrungen gesammelt hatten. Die Tab. 12.1 gibt eine Übersicht über das Sample der Untersuchung.

Tab. 12.1 Deskriptive Beschreibung der Stichprobe. (Quelle: Eigene Darstellung)

Die Interviews wurden per Video und Audio aufgezeichnet und anschließend transkribiert (Kuckartz & Rädiker, 2019). Die Daten wurden für die Arbeit anonymisiert, in die Software Atlas.ti eingelesen und codiert. Für die Codierung, Kategorisierung und Auswertung der Daten wurde das Vorgehen des NCT-Modells der qualitativen Datenanalyse angewendet (Friese, 2019).

12.4 Resultate: Mitarbeitende in der hybriden Arbeitswelt entwickeln

Im Folgenden werden die Ergebnisse der Studie vorgestellt. Dabei werden zuerst Aussagen zu den Kriterien zur Identifikation des Entwicklungsbedarfs und deren Eignung für die Personalentwicklung dargestellt. Anschließend werden Resultate zu den drei spezifischen Themenbereichen lebenszyklusorientierte Entwicklung, lebenslanges Lernen und spezifische Herausforderungen in der hybriden Arbeitswelt dargestellt und eingeordnet.

12.4.1 Kriterienrahmen für die Personalentwicklung

In den Interviews wurde darauf hingewiesen, dass ein Kriterienrahmen Führungskräfte leiten und unterstützen kann, um individuelle Personalentwicklungsschritte zu ermöglichen. Sinnbildlich wird Personalentwicklung als lebenslanges Entwickeln und Lernen beschrieben, bei welchem das Individuum ins Zentrum gestellt wird, denn das Bedürfnis nach Entwicklung schlummere in jeder Person:

„(…) die Bedürfnisse und Entwicklungswünsche vom Mitarbeitenden sind ein wichtiges Kriterium, (…) alle sieben Jahre macht man einen Entwicklungssprung oder hat Lust auf eine Veränderung.“ (E3)

Bevor ein Kriterienrahmen abgeleitet werden kann, werden im Folgenden die Äußerungen aus den Interviews zu den Entwicklungskriterien dargestellt.

Leistung und Potenzial

In den Interviews zeigte sich, dass Potenzial- und Leistungsbeurteilungen immer noch stark verbreitet sind (HR1; HR3; HR4 und FK5), bei einigen Unternehmen jedoch auch in den Hintergrund rücken (HR1; FK2). Andere Unternehmen betonen, dass Mitarbeitende nach ihrem Potenzial und ihren persönlichen Zielen und im Sinne der Unternehmensziele entwickelt werden, damit ein Mehrwert fürs Unternehmen resultiert (HR2; HR3).

Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit

Die Vereinbarkeit wird teilweise als Organisationsthema wahrgenommen, das nur am Rande die Personalentwicklung betrifft (HR3; HR5):

„Nachher haben wir auch das Gesundheitsmanagement, das ich jetzt nicht gerade ganz konkret in die Personalentwicklung tun würde, das gehört aber auch dazu, die physische und psychische Gesundheit der Mitarbeitenden, dass man da ein Auge darauf wirft.“ (HR5, 14:5)

Um die Vereinbarkeit zu fördern, wird von Führungskräften erwartet, dass sie flexible Arbeitszeiten in der hybriden Arbeitsweise und die Erwartungen innerhalb des Teams thematisieren (HR2; HR5). Dabei unterstützen können Kursangebote in Resilienz oder Arbeitszeitmanagement (HR5). Diese Themen gewinnen an Wichtigkeit, weil Mitarbeitende neu von zu Hause aus arbeiten (E2).

Vielfalt

Die Vielfalt der Mitarbeitenden und ihrer Fertigkeiten ist bei der Entwicklung zu berücksichtigen, um die Individualität und Vielfalt in Teams zu fördern (HR2; HR5):

„(…) in dem man mehr aufs Individuum eingeht, und vielleicht weniger auf einen Ausbildungsweg den einfach alle durchlaufen müssen, sondern eben die individuellen Fähigkeiten weiterentwickelt.“ (HR5, 14:29)

Ferner soll Personalentwicklung für alle Mitarbeitenden angewendet werden, nicht nur für strategisch relevante Talente (FK3; FK4):

„Das Ziel sollte eher sein, jeden Mitarbeitenden zu entwickeln (…)“ (FK4 8:31)

Ein Beispiel dafür ist ein Unternehmen, dass in der Personalentwicklung offen ist für alle möglichen Talente und Fähigkeiten von Mitarbeitenden und diese auffordert, ihre individuellen Talente zu entdecken (HR5):

„(…) wir wollen wegkommen von‚ wenn du die fünf Kompetenzen hast, bist du ein Talent bei uns‘, weil wir finden, man weiß ja schon in zwei oder drei Jahren nicht mehr, sind das die richtigen fünf Kompetenzen oder hat sich die Welt so schnell geändert, dass es dann ganz andere Kompetenzen braucht (…)“ (HR5, 14:17)

Auch wurde darauf hingewiesen, dass Personalentwicklung im Alter wichtig bleibt und nicht aufhört, nur weil jemand zum Beispiel das Alter 50 erreicht hat (HR1; FK1).

Skills-Matrix

Nur in einem Unternehmen wird eine sogenannte Skills-Matrix eingesetzt (HR1). Es wird ein Dokument eingesetzt, in dem die Namen der Mitarbeitenden und vordefinierte Fertigkeiten (Skills) notiert sind, in dem sich die Mitarbeitenden einstufen können. So wird sichtbar, welche Stärken vorhanden sind und wo die Mitarbeitenden untereinander Fachwissen bei den gewünschten Personen einholen können oder wo noch Potenziale liegen (HR1; E3).

Hybride Arbeitsweise Büro und Homeoffice

Mitarbeitende werden gefordert, im Homeoffice spürbar und proaktiv zu sein, weil die Kommunikation durch die reine Anwesenheit im Büro weggefallen ist (FK2). Ferner schwindet durch eine Kombination aus Büro- und Homeoffice-Tagen das Netzwerk der Mitarbeitenden (E2, FK5). Ebenso führt ein Teilzeitpensum zu weniger Sichtbarkeit am Arbeitsplatz (zusätzlich zu Homeoffice) und kann sich negativ auf die Beförderung auswirken (E2).

Kriterien für die Personalentwicklung

Auch wenn Kriterien im Einzelfall nicht schriftlich festgehalten werden, findet die praktische Personalentwicklung (unbewusst) aufgrund von Kriterien statt. Diese konnten in der Befragung erschlossen und gegliedert werden. Auf dieser Basis wurde ein Orientierungsrahmen für Führungskräfte mit Kriterien für die Entwicklung von Mitarbeitenden in der hybriden Arbeitswelt entwickelt. Tab. 12.2 führt die Kriterien für die Personalentwicklung auf, die Führungskräfte und HR-Fachpersonen für Entscheidungen zur Entwicklung von Mitarbeitenden berücksichtigen und zur Anwendung empfehlen, die sie mit Vorsicht anwenden, oder die veraltet sind und nicht angewendet werden sollten. In den Interviews wurden vierzehn Kriterien genannt, die für die Personalentwicklung angewendet und empfohlen werden.

Tab. 12.2 Kriterien für die Personalentwicklung. (Quelle: Eigene Darstellung)

Mit Vorsicht anwendbare Kriterien

In den Interviews wurden vier Kriterien nur bedingt empfohlen, da sie nur mit Vorsicht von Führungskräften für die Personalentwicklung angewendet werden sollten. Die Berücksichtigung dieser vier Kriterien sei für den nächsten Entwicklungsschritt wichtig, dürften jedoch nicht als alleiniges Kriterium herangezogen werden (siehe Abschn. 12.2.1)

Nicht anwendbare Kriterien

Acht weitere Kriterien wurden in den Interviews als in der hybriden Arbeitsweise als veraltet bezeichnet, die auf keinen Fall für die Personalentwicklung angewendet werden sollen. Die Interviewpartnerinnen betonen, dass diese Kriterien in den Unternehmen keine Anwendung finden.

Fasst man die Kernaussagen aus den Interviews zu den Kriterien zusammen, lässt sich festhalten, dass die Kriterien als Inspiration und Unterstützung für Führungskräfte zu verstehen sind. Mit diesen Kriterien sind Führungskräfte und Unternehmen offen für Fähigkeiten, von denen sie noch nicht wissen, dass die Mitarbeitenden diese künftig brauchen können. Diese Kriterien sind in Gesprächen mit Mitarbeitenden transparent zu kommunizieren (E2; E3; FK1). Bei der Entwicklung von Mitarbeitenden sollen sich Führungskräfte den Verzerrungen und Beurteilungsfehlern bewusst sein (E1; E2; E3; HR4; HR5). Betont wurde, dass durch aktives Fragen und Zuhören, sei es im Büro oder über ein Telefongespräch, Führungskräfte die Mitarbeitenden wahrnehmen und vor dem Hintergrund der Kriterien deren Entwicklungsbedarf einschätzen können (FK5; HR2; HR5). Dafür sollten sich Führungskräfte im Arbeitsalltag Zeit für Führungsarbeit nehmen, um achtsam Veränderungen wahrzunehmen, statt selbst zu interpretieren (E2; FK5). Zudem sind Feedbacks aus mindestens zwei Perspektiven sinnvoll, das heißt mindestens die Selbsteinschätzung des Mitarbeitenden und die Fremdeinschätzung der Führungskraft sind für eine Beurteilung zu berücksichtigen (E1; E3; HR4; HR5).

Wenn Unternehmen eine lebenszyklusorientierte Personalentwicklung anwenden, ist eine Individualisierung möglich und alle Mitarbeitenden könnten von Lern- und Entwicklungsmaßnahmen profitieren (E1). Auf dieses Thema wird im nächsten Kapitel eingegangen.

12.4.2 Lebenszyklusorientierte Personalentwicklung berücksichtigt alle Mitarbeitendengruppen

Um alle Mitarbeitendengruppen für Entwicklungsschritte zu berücksichtigen, wurde in den Interviews auch die Individualität der Mitarbeitenden angesprochen. Personalentwicklung soll individuell sein, unabhängig von der virtuellen Arbeitswelt (HR4). Jedoch besteht die Gefahr, dass durch Homeoffice und Teilzeitarbeit die Sichtbarkeit und damit Wahrnehmung von Mitarbeitenden reduziert wird. Dabei werden Mitarbeitende nicht mehr als Individuen wahrgenommen, auf die Vorgesetzte auch im digitalen Kontext individuell eingehen und entsprechenden Entwicklungsbedarf erkennen und ansprechen, sondern Personalentwicklung wird nach Schema abgehandelt (HR4).

Individualität

Ein erster Schritt zur Berücksichtigung der Individualität von Mitarbeitenden ist eine lebenszyklusorientierte Personalentwicklung (E1). Ein Ansatz dafür ist, dass Mitarbeitende ein individuelles Portfolio mit Entwicklungsthemen pflegen und darüber nicht nur die Führungskraft, sondern auch das Team oder Arbeitskolleg:innen Bescheid wissen. Ein weiterer Ansatz für mehr Individualität ist, dass Mitarbeitende ein Budget für Weiterbildung, zum Beispiel für Online-Kursplattformen, erhalten (E2). Individuelle Erwartungen bei der Personalentwicklung sind zu berücksichtigen, weshalb dies in einem Unternehmen in Führungslehrgängen thematisiert wird (HR2):

„(…) weil wir haben alle das Leben lang das Bedürfnis uns irgend in einer Art und Weise zu entfalten. Gewisse wollen weiter und andere weniger weit fliegen, (…) seid euch bewusst das hört nicht irgendwann auf, und nehmt das in den Fokus damit ihr die Leute nicht verliert.“ (HR2, 11:24)

Alle Mitarbeitendengruppen von jung bis alt

Im Angesicht knapper Personalressourcen soll Personalentwicklung nicht nur Talente, sondern alle Mitarbeitenden für Beförderungen berücksichtigen. Ein Talentprogramm kann zusätzlich angeboten werden (E3). Alle Mitarbeitenden haben einzigartige Talente und es sollen nicht nur Starperformer gefördert werden, sondern alle Mitarbeitenden. Um eine Personalentwicklung über alle Mitarbeitenden(alters)gruppen zu ermöglichen (E3), kann die Übersicht gemäß Tab. 12.3 angewendet werden, die auf den Erkenntnissen der Datenerhebung und zwei bisherigen Forschungsarbeiten (Graf, 2008 und Sander et al., 2020) basiert. Sander et al. (2022, S. 40) erläutert die Mitarbeitendengruppen zwischen 20 und 30 Jahren, in der Männer und Frauen im gleich hohen Arbeitspensum arbeiten sowie jene zwischen 30 und 40 Jahren, in der die meisten Beförderungen sowie die Familienzeit stattfinden. Graf (2008, S. 273) erwähnt ergänzend die beiden Gruppen von 40 bis 50 Jahren, in der die Krise der Lebensmitte vorbei ist und eventuell eine Umorientierung im Beruf stattfindet und jene ab 50 Jahren bis zur Pensionierung, in der Freizeitwünsche erfüllt werden und die flexible Pensionierung an Bedeutung gewinnt. Bei der Datenerhebung wurde erwähnt, zusätzlich die Lehrabgänger:innen für die Personalentwicklung zu berücksichtigen, um sie im Unternehmen zu halten (FK1) und als Zusatz für die Personalentwicklung ein Talentprogramm für ausgewählte Mitarbeitende anzubieten (E2; E3, HR2). Die Entwicklung über die Gruppen ist eingebettet zwischen den Bedürfnissen der Mitarbeitenden (HR1; E3; FK3) und der Personalstrategie des Unternehmens (HR3; HR5).

Tab. 12.3 Übersicht Personalentwicklung über alle Mitarbeitendengruppen. (Quelle: basierend auf Datenerhebung, Graf (2008, S. 273) und Sander et al. (2020, S. 40))

Eigenverantwortung der Mitarbeitenden

Interviewte HR-Fachpersonen weisen auch darauf hin, dass Mitarbeitende in der Verantwortung stehen, sich mit ihrer Entwicklung auseinanderzusetzen und mit Führungskräften zu besprechen. Denn Führungskräfte und HR-Fachpersonen erwarten, dass Mitarbeitende von sich aus aktiv werden und sich zeigen (HR2):

„Aber ich bin ganz fest der Meinung, dass die betroffenen Personen, die sich entwickeln wollen, den Weg selber gehen müssen.“ (HR2, 11:4)

Die Verantwortung von Führungskräften liegt dann darin, die Mitarbeitenden aktiv durch den Entwicklungsprozess zu begleiten (HR4).

Zu einer stetigen Personalentwicklung gehört auch die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen, die nachfolgend vorgestellt wird.

12.4.3 Lebenslanges Lernen ermöglichen

In den Interviews wurde ebenfalls thematisiert, wie lebenslanges Lernen gestaltet werden kann. Dabei stehen kürzere online-Weiterbildungen und Re- und Up-Skilling im Zentrum.

Kürzere (online-)Weiterbildung

Es wird davon ausgegangen, dass Lernen mit kürzeren (Online-)Weiterbildungen die Zukunft prägen wird (HR1; HR2). Der Schwerpunkt der Weiterbildungen für Mitarbeitende soll stärker auf kurzen Lernpaketen statt auf längeren Weiterbildungen liegen (E3). Dies bringt den Vorteil, dass alle Mitarbeitenden profitieren und sich fachlich entwickeln können:

„(Fokus) viel mehr auf fortlaufendes Lernen, online, Kurzausbildungen, Self-Take-Learnings im Sinne von neuen Lernmethoden, um Re- und Up-Skilling zu machen, um künftige Skills in kleine Pakete zu packen im Sinne von lebenslangem Lernen.“ (E3 3:7)

Die Weiterbildungsangebote sollen von einer klassischen Tagesweiterbildung zu modernen und flexiblen Lernsequenzen wechseln, indem eine Person in einem vorgegebenen Zeitrahmen selbstständig die Sequenz erarbeitet (HR2). Eine Möglichkeit dazu sind E-Learnings, die individuell und flexibel ausgewählt und absolviert werden können (HR2; HR5).

Interne Karrieremobilität mittels Up- und Reskilling

Unternehmen sollen sich Gedanken machen, welche Fähigkeiten es künftig brauchen wird (FK3; E3). Die Planung innerhalb der Personalentwicklung erfolgt in einem Unternehmen gemeinsam mit der Bildungsabteilung (FK1). Es ist wichtig, durch Angebote eine interne Entwicklungsperspektive zu bieten, damit keine Fluktuation entsteht (FK5). Ein Beispiel hierfür ist die Prüfung des internen Mitarbeitendenpotenzials vor der Ausschreibung einer offenen Stelle (FK1; HR5). Diese Prüfung unterstützt wiederum einen aktiven Up- und Reskilling-Prozess im Unternehmen.

Um eine interne Entwicklung zu ermöglichen, braucht es ein neues Zusammenspiel zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden. In welche Richtung dieses gehen könnte, wird nachfolgend erläutert.

12.4.4 Transformierte Personalentwicklung für die hybride Arbeitsweise

Neue Generationen mit dem Wunsch nach Teilzeitarbeit, technische Veränderungen durch die Digitalisierung oder die hybride Arbeitsweise mit Homeoffice haben einen Einfluss auf die Personalentwicklung (HR3; HR4; HR5). Dabei wurden in den Interviews mit Führungsarbeit und Mitarbeitendengesprächen zwei Bereiche beschrieben, die sich stark verändert haben.

Führungsarbeit

Wegen Homeoffice ist mehr Einsatz und Zeitaufwand der Führungskräfte nötig, weil die Betreuung nicht durch die Anwesenheit in einer Gruppe im Büro abgefangen werden kann (FK2; FK3, FK4; FK5). Gute Führungskräfte sind mit ihren Mitarbeitenden in Kontakt, auch über die Entfernung (E2). Hier kann ein coachender Führungsstil unterstützen (E1). Bei einem Entwicklungswunsch von Mitarbeitenden soll dieser intern sichtbar gemacht werden (E1), indem zum Beispiel unternehmensintern Plattformen bestehen, auf denen Mitarbeitende ihre Stärken außerhalb des eigenen Teams unter Beweis stellen können (FK5).

Mitarbeitendengespräche

Aufgrund der starken Veränderungen reichen die halbjährlichen und jährlichen Beurteilungsgespräche nicht mehr aus (E1; E2). Zwei Unternehmen wenden bei jüngeren Mitarbeitenden bereits einen intensiveren Rhythmus an (FK2; FK3):

„(…) einmal pro Monat ein Coachinggespräch, in dem es grundsätzlich um die fachliche Entwicklung geht und man dann in unregelmäßigen Abständen Themen über die mittel- oder langfristige Zukunftsplanung wieder aufgreift, dann funktioniert das.“ (FK3 7:50)

Die Gespräche basieren in der hybriden Arbeitswelt auf Vertrauen (FK1; HR5). Durch regelmäßigen Austausch kann Vertrauen aufgebaut und entwickelt werden. Unsicherheiten und Missverständnisse können zeitnah angesprochen und somit Enttäuschungen oder Vertrauensverlusten vorgebeugt werden.

Es ist zu erwarten, dass sich digitale Meetings und Gespräche in Zukunft zunehmend durchsetzen werden (HR3). Umso bewusster und sorgfältiger muss die Kommunikation gestaltet und wo möglich sollten auch vertrauensbildende Gespräche vor Ort vorgesehen werden.

Fasst man die Ergebnisse der Interviews zusammen, zeigt sich, dass den Interviewpartner:innen die Herausforderungen der Personalentwicklung in einem zunehmend hybriden Arbeitsumfeld in unterschiedlichem Ausmaß bewusst sind. Entsprechend reagieren die Unternehmen unterschiedlich schnell auf die neuen Herausforderungen. Personalentwicklung soll einfach zugänglich sein. Deshalb hat noch keines der befragten Unternehmen aufgrund der virtuellen oder hybriden Arbeitsweise die Art und Weise, wie Personalentwicklung gelebt wird, fundamental angepasst. Allerdings wurden leichte Anpassungen aufgrund der veränderten Zusammenarbeit und Führung (aufgrund Homeoffice) und in den Weiterbildungsangeboten vorgenommen. Das Bewusstsein, für einen Veränderungsbedarf der Personalentwicklung in einer sich rasch ändernden Arbeitsumgebung ist allerdings vorhanden:

„ich glaube man muss das Wort Personalentwicklung ein wenig weicher machen, (…) es ist nicht ein Programm, ein Laufbahnschritt, nein es kann auch kleiner sein (…)“ (HR2, 11:33)

So ist allen Interviewpartner:innen klar, dass es nicht mehr ausreicht, einmal jährlich im Rahmen der Leistungsbeurteilung über die Entwicklungswünsche zu sprechen. Die individuelle Situation der Mitarbeitenden am Arbeitsplatz und im Leben sind zu berücksichtigen und Entwicklungsschritte transparent zu besprechen. Die Unternehmen erkennen, dass in der hybriden Arbeitswelt und durch die Unsicherheit, welche Fähigkeiten in Zukunft gefragt sein werden, die Anforderungen an lebenslanges Lernen zunehmen und dass sich die Art der Weiterbildung in Richtung kürzere, virtuelle, on-the-job und auf den Beruf bezogene Weiterbildungen in aktiven Up- und Reskilling-Prozessen entwickelt.

Im nächsten Kapitel werden die Ergebnisse aus der Untersuchung auf ihre Relevanz hin und die Anwendung in der Praxis diskutiert.

12.5 Fazit aus den Ergebnissen

In diesem Kapitel werden die beiden Fragen beantwortet, welche Kriterien bei Entscheidungen zur Personalentwicklung relevant sind und berücksichtigt werden und wie Personalentwicklung unter hybriden Arbeitsbedingungen identifiziert und gestaltet werden kann.

Entscheidungsfindung Personalentwicklung

Vor dem Hintergrund einer zunehmend hybriden Arbeitswelt verlieren bewährte Aspekte bei der Identifikation von Personalentwicklungsbedarf an Relevanz, während andere an Gewicht gewinnen. Während bisherige Themen wie die traditionelle Leistungsbeurteilung in den Hintergrund rücken, erhält die Schaffung von Transparenz über Stärken zum Beispiel mit einer Skills-Matrix an Bedeutung. Die Forderung nach Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit sowie die Berücksichtigung der Vielfalt von Mitarbeitenden und Lebensentwürfen rückt sowohl die lebenszyklusorientierte Personalentwicklung mit ihrer Ausrichtung an den Phasen des betrieblichen Lebenszyklus wie auch die jeweilige Lebenssituation stärker in den Fokus. Das Alter von Mitarbeitenden korreliert nicht mehr zwingend mit privaten Lebensphasen oder beruflicher Karriereentwicklung. Damit kommt der Berücksichtigung der individuellen Lebensentwürfe zunehmende Bedeutung zu.

In einem hybriden Arbeitsumfeld, mit Homeoffice und Teilzeitarbeit ist die individuelle Wahrnehmung allerdings erschwert und stellt Führungskräfte vor große Herausforderungen. Die Interviewpartner:innen sind sich in unterschiedlichem Maße dieser Herausforderungen bewusst, bzw. stellen sich diesen in ihrem Unternehmen. Dabei orientieren sich die Führungskräfte in ihren Entscheidungen zur Personalentwicklung an konkreten Kriterien, die in Tab. 12.2 zusammengefasst wurden. Diese Kriterien für Entwicklungsentscheidungen geben Führungskräften Sicherheit und Orientierung und stellen sicher, dass relevante Kriterien für alle Mitarbeitenden Anwendung finden. Kritisch anzumerken ist allerdings, dass auch diese Kriterien die Individualität der Mitarbeitenden nur bedingt berücksichtigen. Korrigierend kann dabei die Berücksichtigung von Mitarbeitengengruppen (Tab. 12.3) sein, damit Mitarbeitende unter Berücksichtigung  sowohl ihres betrieblichen Lebenszyklus wie auch ihrer Lebenssituation Entwicklungsmöglichkeiten erhalten und vielfältige interne Entwicklungswege ermöglicht werden. So kann lebenslanges Lernen über alle Mitarbeitendengruppen hinweg ermöglicht und dem Fokus auf Up- und Reskilling Rechnung getragen werden.

In der Studie wurde zwar auf die Wichtigkeit einer individuellen und lebensphasenorientierten Personalentwicklung hingewiesen. Eine entsprechend gelebte Praxis konnte allerdings bei den befragten Unternehmen nicht erkannt werden. Eine Erklärung könnte sein, dass eine gewisse Flexibilität für die Anwendung des Lebenszyklusmodells nötig ist, diese aber in Großunternehmen nur teilweise gegeben ist (vgl. dazu auch Graf, 2001).

Anwendung in der hybriden Arbeitswelt

Personalentwicklung in der hybriden Arbeitswelt braucht mehr Führungszeit (Pletscher et al., 2022). Um Kriterien für die Personalentwicklung zu erkennen, sollten sich Führungskräfte mehr Zeit nehmen, um hinzuhören und Fragen zu stellen (Crocco & Grenier, 2021; McGuire et al., 2021; Niedermann, 2020). Beobachtungen und die Wahrnehmung der Mitarbeitenden werden zeitintensiver, weil ein jährliches Beurteilungsgespräch nicht mehr ausreicht. Ein möglicher Hauptgrund für den erhöhten Aufwand in der Führung ist der höhere Kommunikationsbedarf gegenüber Mitarbeitenden und anderen Führungskräften, damit Personalentwicklung im Unternehmen den Entwicklungsbedarf erkennt und entsprechende Angebote bereitstellen kann (Herrmann et al., 2012, S. 248). Es wird sich zeigen, ob dieser Aufwand von Führungskräften in der hybriden Arbeitswelt nachhaltig geleistet wird.

12.6 Empfehlungen für die Praxis

Es folgen Empfehlungen für Führungskräfte zur Gestaltung der Personalentwicklung in der hybriden Arbeitsweise und Fragestellungen für weitere Forschung.

12.6.1 Empfehlungen für Führungskräfte

Lern- und Kommunikationskultur leben

Führungskräfte integrieren Personalentwicklung in ihre Führungsarbeit und fokussieren dabei auf eine Lern- und Kommunikationskultur. Lernen und Personalentwicklung beeinflussen sich gegenseitig. Den Führungskräften kommt die Rolle zu, die Mitarbeitenden zum Lernen zu motivieren und auf Personalentwicklung anzusprechen, damit die Philosophie des lebenslangen Lernens gelebt werden kann (Graf et al., 2022). Den Mitarbeitenden kommt die Verantwortung zu, ihren Entwicklungsweg selbst zu gestalten und diesen zu gehen.

Individualisierte Personalentwicklung

Führungskräfte sollen in der Personalentwicklung alle Gruppen an Mitarbeitenden berücksichtigen und in Gesprächen mit Mitarbeitenden eine mögliche Entwicklung regelmäßig thematisieren. Dabei sollen die Mitarbeitenden und ihre Lebenssituation berücksichtigt werden, damit ein Entwicklungsschritt im Einklang zwischen den Unternehmenszielen und der individuellen Mitarbeitendensituation stattfindet. Durch die aktive Thematisierung wird dazu beigetragen, dass Personalentwicklung durch die Mitarbeitenden wahrgenommen wird und sie ein Zeichen erhalten, dass sich die Führungskraft und das Unternehmen um ihre Entwicklung kümmern. Die Forschungsarbeit hat gezeigt, dass bei allen Mitarbeitenden ein Entwicklungsbedarf besteht, unabhängig vom Alter und der Beschäftigungsdauer im Unternehmen.

Coachender Führungsstil

Für die Personalentwicklung in der hybriden Arbeitsweise wird ein coachender Ansatz empfohlen (Lippe-Heinrich, 2019; Pfrombeck et al., 2020; Senn, 2022). Mittels Coaching können auch on-the-job-Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt werden, die gegebenenfalls im Kontext von Up- und Reskilling sinnvoller sind als zum Beispiel der Besuch eines externen Kurses.

12.6.2 Fragestellungen für weitere Forschung

Durch die Untersuchung konnten Kriterien für die Personalentwicklung in hybrider Arbeitsweise erarbeitet werden. Aufgrund des abgesteckten Zeitraums konnten nicht alle Aspekte untersucht werden. Weitere Forschungsarbeiten können interessante Aspekte zu folgenden Themen liefern:

  • Diversität bei Beförderungen: wie kann diese in der Personalentwicklung gelebt werden?

  • Sichtbarkeit von Mitarbeitenden: wie kann die Sichtbarkeit von Mitarbeitenden in der hybriden Arbeitsweise erhöht werden?

  • Digitale Weiterbildung: wie können kurze, digitale Weiterbildungen dazu beitragen, die Arbeitsmarktfähigkeit von Mitarbeitenden aufrechtzuerhalten?

12.7 Ausblick

Zusammenfassend lassen sich folgende fünf Punkte für die Personalentwicklung in einer hybriden Arbeitswelt mitnehmen:

  1. 1.

    Führungskräfte wenden konkrete Kriterien für die Personalentwicklung an und kommunizieren diese transparent.

  2. 2.

    Personalentwicklung wird durch regelmäßiges Ansprechen durch die Führungskraft bei allen Mitarbeitenden greifbar gemacht und Mitarbeitende werden aufgefordert, für ihre Entwicklung Verantwortung zu übernehmen – ein formaler jährlicher Rhythmus im Rahmen des Mitarbeitendengesprächs reicht nicht mehr aus.

  3. 3.

    Vertrauen bildet die Basis für die Zusammenarbeit in der hybriden Arbeitsweise. Das aktive Erfragen der Bedürfnisse und aufmerksame Zuhören ist für die Führungsarbeit essenziell.

  4. 4.

    Personalentwicklung on-the-job rückt durch die hybride Arbeitsweise in den Fokus, Weiterbildungen werden kürzer und digitaler und zielen somit auf das Re- und Upskilling der Mitarbeitenden ab.

  5. 5.

    Personalentwicklung ermöglicht interne Entwicklungsschritte, um offene Stellen intern zu besetzen, Mitarbeitende nachhaltig zu binden und Diversität zu leben.

Aus der Perspektive dieser Untersuchung ist Unternehmen zu empfehlen, die Veränderungen zu einer hybriden Arbeitswelt als Chance zu nutzen, Bestehendes zu überprüfen und die Transformation so zu gestalten, dass Mitarbeitende nachhaltig produktiv und kreativ arbeiten und sich motiviert und gesund entwickeln können.