10.1 Einleitung

“Treating different things the same can generate as much inequality as treating the same things differently.” (Kimberlé Crenshaw)

Vielfalt, Chancengerechtigkeit und Inklusion oder Diversity, Equity and Inclusion (DEI) sind oft gebrauchte Schlagwörter, die speziell im Personalmanagement zunehmend in den Fokus gerückt werden. Der demografische Wandel des Arbeitsmarktes beeinflusst die Zusammensetzung der Teams in Organisationen. Die Pensionierung der geburtenstarken Babyboomer-Generation verschärft den Kampf um Fachkräfte. Organisationen sehen sich also mit zwei unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert. Einerseits müssen sie genügend nachkommende Fachkräfte rekrutieren, andererseits die Bedürfnisse der immer heterogener werdenden Belegschaft befriedigen. Ein Managementansatz, der versucht, die Heterogenität der Belegschaft, deren Bedürfnisse und Vorteile anzuerkennen, ist das DEI-Management. Dieses ist ein ursprünglich US-amerikanisches Managementkonzept, dessen Wurzeln auf die „Equal Employment“ und Chancengleichheitsbewegungen der 1960er- und 1970er-Jahre zurückzuführen sind (Mcdonald, 2010). Mittlerweile ist DEI-Management insbesondere in größeren und internationalen Unternehmen weit verbreitet. Das Konzept hat sich als wichtiger Impulsgeber für die Transformation von Unternehmen erwiesen und es kann zu gesteigerter Innovation und Kreativität führen (Ahmed et al., 2022; Leroy et al., 2021).

Modelle und Maßnahmen, die für größere Organisationen entwickelt wurden, weisen nicht immer eine direkte Übertragbarkeit auf kleinere Organisationen auf (Kroon & Paauwe, 2022). So gibt es beispielsweise nicht in allen KMUs überhaupt Personen, die die Verantwortung für das strategische Personalmanagement tragen und sich solcher Initiativen annehmen könnten. Daher hat sich die vorliegende Studie zum Ziel gesetzt, die Möglichkeiten der Implementierung von Konzepten von Diversity, Equity and Inclusion (DEI) in unterschiedlich großen Unternehmen zu untersuchen. Dazu wurden zwölf Interviews geführt, drei davon mit Vertreter:innen aus schweizerischen KMUs und neun mit Vertreter:innen aus großen Unternehmen in der Schweiz. Durch die theoretische und empirische Auseinandersetzung liefert die Studie Einsicht in eine mögliche Ausgestaltung von DEI-Management in unterschiedlich großen Organisationen, in die notwendigen Schritte zu dessen Implementierung und die Herausforderungen, die dabei zu erwarten sind. Im Zentrum dabei stehen folgende Forschungsfragen:

RQ1:

Aus welchen Gründen setzen Organisationen auf ein DEI-Management und inwiefern fokussieren sie sich?

RQ2:

Welche Implementierungsschritte können Organisationen bei einer Einführung eines DEI-Managements begleiten?

RQ3:

Welche Herausforderungen können bei der Implementierung von DEI-Maßnahmen in Organisationen auftreten?

Das vorliegende Kapitel hat zum Ziel, neben der Beantwortung der Forschungsfragen, konkrete Handlungsempfehlungen in Form eines detaillierten Prozessplans zu präsentieren. Dieser Prozessplan soll Organisationen unterschiedlicher Größenordnung bei der Implementierung eines DEI-Managements unterstützen.

10.2 Diversity, Equity and Inclusion Management

Die Begriffe Diversity, Equity und Inclusion sind für das Verständnis der Fragestellung von grundlegender Bedeutung und werden deshalb hier kurz eingeführt. Obwohl oft gemeinsam genannt, unterscheiden sich die Definitionen von Diversity und Inclusion. Unter Diversity versteht man die Unterschiede innerhalb einer Gruppe. Diese Unterschiede können nahezu unveränderbaren Merkmalen entspringen, wie etwa dem Alter, der Herkunft, der Nationalität oder dem Geschlecht, aber auch flexibleren Merkmalen wie dem Familienstand, dem Einkommen oder der Ausbildung (Charta der Vielfalt, 2023). Das Konzept der Inclusion geht über die Unterschiede innerhalb von Personengruppen hinaus und meint einen Zustand, in dem sich Personen, unabhängig davon welchen Gruppen sie sich zuschreiben, geschätzt, respektiert und unterstützt fühlen (Coppin, 2017). Ein inklusiver Arbeitsplatz sollte sicherstellen, dass Bedingungen vorhanden sind, die die unterschiedlichen Bedürfnisse aller Mitarbeitenden innerhalb einer Organisation erfüllen.

Speziell im US-amerikanischen Kontext wird zunehmend von Diversity, Equity and Inclusion gesprochen. Wenn von diesen drei Begriffen die Rede ist, meint Diversity nur das Spektrum der menschlichen Unterschiede, Equity bezieht sich auf Chancengerechtigkeit und Inclusion befähigt alle Menschen, die gleichen Chancen und Herausforderungen zu nutzen, indem man ihnen mit Respekt und Wertschätzung gegenübertritt (Bernstein et al., 2020; Harris, 2019). Equity oder Chancengerechtigkeit bezieht sich dabei auf die Abwesenheit von systematischen Ungleichheiten bzw. sozialen Vor- oder Nachteilen (Bernstein et al., 2020). Während Diversity und Inclusion auf kleinster Organisationsebene gelebt werden kann, hat Equity das Ziel, systemische und strukturelle Ungerechtigkeiten zu beheben (Bernstein et al., 2020). Beispielhaft für eine strukturelle Gleichberechtigung wäre eine faire Lohnverteilung über die ganze Organisation (Equity). Eine inklusive Kultur hingegen könnte in jedem noch so kleinen Team gelebt werden.

10.2.1 Maßnahmen und Ziele von Diversity, Equity and Inclusion

Für Organisationen gibt es unterschiedliche Beweggründe einen DEI-Management Ansatz zu verfolgen. Moralisch-ethische Beweggründe können ebenso eine Rolle spielen, wie ökonomische Aspekte (Hermann & Erten, 2018). Wenn von moralisch-ethischen Beweggründen die Rede ist, ist die freiwillige Verantwortungsübernahme sozialer Verpflichtung von Organisationen gemeint. Das bedeutet etwa Mitarbeitende fair zu behandeln, unabhängig davon, wie sie sich voneinander unterscheiden. Wenn Organisationen von ökonomischen Gründen angetrieben werden, versprechen sich diese oft eine erhöhte Produktivität. Es gibt Anzeichen dafür, dass diverse und inklusive Organisationen profitabler wirtschaften (Hunt et al., 2018). Solche Kosten-Nutzen-Modelle sind aus theoretischer Perspektive nicht unumstritten, da sie eine direkte Kausalität zwischen Diversität und Erfolg propagieren (Hanappi-Egger, 2012) In der Forschung sind diese Kausalitäten zwischen Diversität und Profitabilität schwierig nachzuweisen. Eine 2015 durchgeführte Metaanalyse zum Beispiel konnte keine signifikante Beziehung zwischen einer erhöhten geschlechterspezifischen Vielfalt im Exekutivrat und der Performance des Exekutivrates belegen (Post & Byron, 2014).

Während es also unklar bleibt, ob Diversität ökonomisch rentabel ist, gibt es viele Hinweise darauf, dass ein inklusives Organisationsumfeld wirtschaftliche Vorteile mit sich bringt und als Treiberin von Transformationsprozessen fungieren kann. Positive Effekte auf Arbeitsleistung und Kreativität der Mitarbeitenden wurden hinreichend nachgewiesen (Ahmed et al., 2022; Leroy et al., 2021). Nebst der Rentabilität gibt es weitere ökonomische Beweggründe, die für ein DEI-Management sprechen. Unternehmen werden von jeglichen Stakeholdern sorgfältig beobachtet. Bei Kaufentscheiden achten Kunden und Kundinnen nicht nur auf die Produkte oder Dienstleistungen, sondern zunehmend auch auf die Organisationskultur und die CSR des Unternehmens, mit dem sie Geschäfte eingehen. Studien belegen den Übertragungseffekt solcher Initiativen auf die Kundenzufriedenheit (Ghanbarpour & Gustafsson, 2022). Der gesellschaftliche Wandel bringt Erwartungen an Unternehmen mit sich, sozial verantwortlich zu handeln. DEI-Management ist daher nicht nur eine Strategie innerhalb des Unternehmens – im Sinne einer HR-Maßnahme –, sondern auch ein kommunikatives Mittel gegenüber der Öffentlichkeit (Schuster-Zulechner, 2016).

DEI-Management wirkt, wie viele Ansätze im betriebswirtschaftlichen Umfeld, auf drei verschiedenen Ebenen: der normativen, der strategischen und der operativen Ebene (Sander & Hartmann, 2016). In Anlehnung an Sander und Hartmann (Sander & Hartmann, 2016) unterscheiden sich die Ebenen darin, welche Fragen beantwortet werden sollen: die Frage nach dem Warum, nach dem Wie und nach dem Was.

Normative Ebene: Die Frage nach dem Warum?

Wesentlicher Bestandteil der normativen Ebene ist es, ein gemeinsames Verständnis für die Thematik zu schaffen. Ferner ist es von großer Bedeutung, die Dringlichkeit für diese Thematik aufzeigen zu können. Dies dient der Rechtfertigung von Ressourceninvestitionen (Zeit oder Geld) in das DEI-Management (O’Donovan, 2018). Sobald ein gemeinsames Verständnis innerhalb des Unternehmens und die Verpflichtung seitens des Topmanagements besteht, kann eine Strategie definiert werden.

Strategische Ebene: Die Frage nach dem Was?

Auf dieser Ebene beschäftigen sich Organisationen damit, was mit einem DEI-Management erreicht werden soll. Bei einer Strategieentwicklung sollen zu Beginn kritische Themengebiete und spezifische Herausforderungen identifiziert werden, um die Lücke zwischen dem aktuellen Stand und dem gewünschten Ziel schließen zu können (Sweeney & Bothwick, 2016). Ziele können entweder als „softe“ Kriterien oder als „harte“ Kriterien definiert werden. Als softe Kriterien verstanden werden eine inklusive Organisationskultur und ein kultursensibler Umgang unter den Mitarbeitenden. Harte Kriterien hingegen sind Quotenziele, Beförderungsratenziele, Fluktuationsziele, Verbesserte Ergebnisse aus Mitarbeitendenbefragungen, Team-Performance-Indikatoren, Entwicklung von Fehlzeiten und Absenzen (Voß & Reimund, 2016).

Operative Ebene: Die Frage nach dem Wie?

Auf der operativen Ebene werden Maßnahmen definiert, die es in der Umsetzung zur Zielerreichung benötigt. DEI-Maßnahmen können entweder dazu beitragen, die Diversität zu erhöhen, die Arbeitsbedingungen innerhalb einer Organisation diversitätssensibler zu gestalten oder eine inklusive Organisationskultur zu etablieren.

Um sicherzustellen, dass DEI-Strategien umgesetzt werden, können diese in die jährlichen Controlling- und Reportingprozesse der Organisation eingebunden werden. Empfohlen wird eine regelmäßige Überprüfung sowohl auf Organisations- wie auch auf Teamebene. Ziele auf der Teamebene können auch innerhalb von Leistungsüberprüfungen der Vorgesetzten kontrolliert werden. Darüber hinaus wirkt eine Organisation glaubwürdiger, wenn sie regelmäßig intern wie auch extern über die erreichten Ziele berichtet (O’Mara & Richter, 2017). Tab. 10.1 präsentiert eine Auswahl an möglichen Maßnahmen, ist jedoch nicht als vollständig zu betrachten.

Tab. 10.1 Beispiele operative Maßnahmen DEI

Personengruppenspezifische Maßnahmen

Während bereits erwähnte Maßnahmen meist von allen Personengruppen gleichermaßen genutzt und geschätzt werden können, gibt es auch Maßnahmen, die sich speziell an den Bedürfnissen einzelner Personengruppen ausrichten. Beispiele dafür sind flexible Feiertage, die andere Religionen berücksichtigen, indem sie die christlichen Feiertage in „bewegliche“ Feiertage umwandeln, und Mitarbeitende selber entscheiden, an welchen Feiertagen sie freinehmen wollen (Booysen & Gill, 2020). Ein weiteres Beispiel sind Maßnahmen, die die Bedürfnisse von trans Personen berücksichtigen, sind etablierte Namens- und Geschlechtsänderungsprozesse oder genderneutrale Toiletten (Martins et al., 2016; Sawyer et al., 2016). Welche spezifischen Maßnahmen in einer Unternehmung richtig und relevant sind, ergibt sich oft aus einer betrieblichen Notwendigkeit. Organisationen brauchen nicht alle Bedürfnisse aller Personengruppen zu befriedigen, viel wichtiger ist es, die Bedürfnisse der eigenen Belegschaft zu identifizieren und darauf aufbauend die passenden Maßnahmen zu ergreifen (Hucke, 2017a).

10.2.2 Akteur:innen in der Organisation

Die Ziele und Maßnahmen von DEI sind also vielfältig. Einerseits beabsichtigen Unternehmen, das Potenzial einer diversen Belegschaft vollständig auszuschöpfen. Andererseits übernehmen sie eine soziale Verantwortung, indem sie eine diskriminierungsfreie Arbeitsumgebung anstreben. Obwohl die Theorie von DEI-Management attraktiv und sinnvoll erscheint, kommt es in der Praxis immer wieder zu Herausforderungen und Widerständen aus der Belegschaft. Eine der größten Herausforderungen sind neben widerstrebenden Mitarbeitenden auch die Führungskräfte.

Widerstände auf Mitarbeitendenebene entstehen vor allem aufgrund von fehlendem Verständnis oder auch einem befürchteten Machtverlust. Wenn Mitarbeitende wenige oder keine Kenntnisse im Bereich DEI haben, sehen sie die Notwendigkeit solcher Maßnahmen nicht ein. Strukturelle Ungleichbehandlungen sind ihnen oft nicht bewusst oder bekannt. Fehlendes Problembewusstsein erschwert dann die Einführung und Etablierung von Maßnahmen (Wiggins-Romesburg & Githens, 2018). Ängste hinsichtlich anstehendem Machtverlust können vor allem bei Mitgliedern der dominanten Gruppe innerhalb einer Organisation entstehen, wenn sie befürchten, dass die veränderten Arbeitsbedingungen oder eine vermeintliche Bevorzugung von marginalisierten Gruppen ihre eigenen Privilegien bedrohen könnten (Saba et al., 2021). Solche Widerstände lassen sich vor allem minimieren, in dem man Mitarbeitende über Veränderungsprozesse informiert und sie bei der Ausgestaltung neuer Strategien partizipieren lässt (van Dam et al., 2021).

Eine weitere, ebenso wichtige Personengruppe sind die Führungskräfte, die eine fundamentale Rolle bei der Einführung eines DEI-Managements spielen. Eine glaubwürdige Repräsentation der DEI-Werte und ein inklusiver Führungsstil beeinflussen die Einstellungen der Mitarbeitenden gegenüber DEI (Leroy et al., 2021). Wenn eine Führungskraft alle Mitarbeitenden innerhalb des Teams aktiv dazu einlädt und motiviert, ihre unterschiedlichen Standpunkte und Stärken einzubringen, so können durch Kreativität und Innovation die Vorteile der Vielfalt und Inklusion sichtbar gemacht werden (Leroy et al., 2021). Wenn Führungskräfte die Richtlinien und Praktiken eines DEI-Managements in ihre Arbeits- und Führungstätigkeit integrieren, fördern und prägen sie die angestrebte inklusive Unternehmenskultur (Vito & Sethi, 2020). Führungskräfte können Brücken schlagen und zu einem erfolgreichen DEI-Management beitragen, indem sie die vorgegebenen Praktiken und Strategien an ihr Team vermitteln. Genauso können sie aber die Verbreitung von DEI-Maßnahmen auch erheblich erschweren, wenn sie sich dagegen stellen und die nötigen Veränderungsprozesse blockieren (Colley et al., 2021). Wie bei jedem Veränderungsprojekt müssen sich die Führungskräfte dem Thema der Veränderung annehmen, um dieses glaubwürdig in die Organisation zu tragen (Colley et al., 2021).

10.2.3 KMU im Schatten von Großunternehmen

In diesem Abschnitt werden speziell die Herausforderungen von KMUs beleuchtet, da sich diese Unternehmen in Bezug auf ihre Struktur und möglichen Initiativen deutlich von größeren Organisationen unterscheiden dürften.

KMUs sind Organisationen mit weniger als 250 Beschäftigten. In der Schweiz sind über 99 % aller Unternehmen KMUs und 67 % aller Arbeitnehmenden arbeiten für ein KMU (BFS, 2021). Durch die Verankerung von DEI-Ansätzen in KMUs kann somit die Arbeitserfahrung einer Vielzahl von Personen mitbestimmt werden.

Wie größere Organisationen sehen sich auch KMUs mit der Herausforderung des Fachkräftemangels konfrontiert. Als attraktiver Arbeitgebender wahrgenommen zu werden, gewinnt somit zunehmend an Bedeutung. KMUs haben es oft schwer auf dem Arbeitgebermarkt zu bestehen. Ihnen werden durch Arbeitnehmende schlechtere Arbeitsbedingungen und weniger Entwicklungsperspektiven zugeschrieben (Grote, 2015, S. 70). Während große Organisationen oft von der Bekanntheit ihrer Produkte auf dem Arbeitsmarkt profitieren können (Grote, 2015, S. 70), stehen kleinere Unternehmen im Schatten der Großunternehmen. Eine attraktive Arbeitgebermarke zu etablieren, indem man auf DEI-Management setzt, kann von Vorteil sein (Gardi & Ruch, 2016, S. 148; Tripp et al., 2016).

Trotzdem ist DEI-Management in KMUs nicht breit etabliert. Fehlende Strukturen könnten ein Grund dafür sein. Während in größeren Organisationen oft Personen des strategischen Personalmanagements DEI-Aufgaben übernehmen, sind Personalabteilungen in KMUs häufig knapp mit HR-Generalist:innen besetzt. Vordergründig übernehmen diese Aufgaben des operativen Tagesgeschäfts und strategische Überlegungen wie DEI-Management werden oft Opfer von fehlenden personellen Ressourcen (Helbich & Herzig, 2021). Falls KMUs bereits Engagement zeigen, geschieht dies meist aufgrund ausgeprägter internationaler Tätigkeiten oder aus persönlichem Interesse seitens der Geschäftsleitung (Franken, 2015). Die folgende Studie soll daher Möglichkeiten aufzeigen, wie KMUs DEI-Management ressourcenschonend in ihrer Organisation einbetten können.

10.3 Methodisches Vorgehen

Es wurden zwölf halbstandardisierte Interviews mit Personen aus größeren Unternehmen und KMUs geführt. Um gezielt Unternehmen anzusprechen, die bereits aktiv DEI-Konzepte in ihr Unternehmen integriert haben, wurde nach Unternehmen mit verschiedenen Auszeichnungen oder Qualitätslabeln gesucht, beispielsweise das Swiss LGBTI-LabelFootnote 1 oder das Prädikat UND.Footnote 2 Es konnten drei KMUs, sieben regionale oder schweizweite Unternehmen, ein internationales Großunternehmen und ein Forschungsinstitut befragt werden. Die Unternehmen sind aus unterschiedlichsten Branchen und haben ihren Hauptsitz in der Schweiz. Die Zusammensetzung des Samples ist in Tab. 10.2 ersichtlich. Die Interviews wurden mit Personen geführt, die entweder allein für das DEI-Management verantwortlich sind oder in einer DEI-Arbeitsgruppe tätig sind. Vier der interviewten Personen sind in der Geschäftsleitung der jeweiligen Organisationen tätig, die übrigen sind im Personalbereich oder in der Personalvertretung angesiedelt. Die Interviews wurden online durchgeführt und aufgezeichnet. Im Anschluss wurden die Interviews wörtlich transkribiert und mit dem qualitativen Datenanalysetool ATLAS.ti codiert. Dabei wurde ein deduktives Verfahren angewandt, die Codes wurden nach der Logik der Forschungsfragen kategorisiert. Zusätzlich wurden im Verlauf weitere Aussagen zu Codes zusammengefasst und so auch ein induktives Vorgehen angewandt.

Tab. 10.2 Interview-Sample. (Quelle: Eigene Darstellung)

10.4 Ergebnisse

Im Mittelpunkt dieses Kapitels stehen die Erkenntnisse, die aus den durchgeführten Interviews gewonnen wurden. Entlang der gestellten Forschungsfragen liegt der Fokus auf der Motivation hinter der Umsetzung von DEI-Management, auf den Schritten zur Implementierung und auf den Herausforderungen, die dabei auftreten.

10.4.1 Beweggründe für ein DEI-Management und Fokusdimensionen

Beweggründe für ein DEI-Management

Alle interviewten Firmen betreiben ein DEI-Management. Die Begrifflichkeiten, unter denen Aktivitäten im Bereich DEI zusammengefasst werden, unterscheiden sich je nach Unternehmen. So sind etwa Begriffe wie „Diversity und Inclusion“, nur „Diversity“ oder der deutsche Begriff „Vielfalt“ geläufig. Auch die Beweggründe für ein DEI-Management sind divers. Besonders bei großen Organisationen, die unter Beobachtung der Öffentlichkeit stehen, ist der Druck von außen ein ausschlaggebender Beweggrund für DEI-Management. U1 und U5 sind beides staatsnahe Unternehmen, die einerseits gewisse Vorgaben einhalten müssen, andererseits ihre Vorbildfunktion wahrnehmen wollen. U2, ein international tätiges Unternehmen, verspürte ebenfalls den Druck von verschiedenen Stakeholdern:

„In einer internationalen, modernen Unternehmung gehört das ein bisschen zur Governance.“

Weitere genannte Beweggründe sind im Bereich der Arbeitgeberattraktivität zu finden. DEI-Management wird als Maßnahme gegen den Fachkräftemangel, insbesondere in Anbetracht der bevorstehenden Pensionierungswellen, eingesetzt (U1, U3, U5, U6). Die befragten KMUs nannten weitgehend andere Beweggründe. Für sie standen ethisch-moralische Motivationen im Vordergrund. Ein Interviewee aus KMU2 betont:

„Ich denke, jede individuelle Persönlichkeit von jedem Menschen hat das Recht, gelebt zu werden, solange es niemandem anderen schadet oder verletzt. Ich denke, das ist ein Human Right, ganz einfach für mich“

Diversity Dimensionen

DEI-Management in größeren Organisationen umfasst oft mehrere Dimensionen. Besonders im Fokus stehen: das Alter, das Geschlecht und die Herkunft (U2, U3, U5, U6, U7, U8). Während Großunternehmen oft strategische Schwerpunkte setzen, wird der Fokus bei den KMUs durch die diverse Belegschaft selbst bestimmt. So erläutert beispielsweise KMU3, dass sie über einen diversen Mitarbeitenden-Pool verfügen und dies daher eines der wichtigsten Themen sei (KMU3). Ähnlich ist dies bei KMU1, welches einen großen Wert auf die Dimensionen sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität sowie Religion und Herkunft legt. Dies aufgrund der multikulturellen Charakteristiken des Teams. KMU2 setzt keinen bestimmten Fokus, sondern versucht, die verschiedenen Dimensionen gleichmäßig anzusprechen. Einzig KMU3 wurde ein Ziel vom Verwaltungsrat auferlegt, welches den Fokus auf das Geschlecht legt.

10.4.2 Implementierungsschritte

Im Folgenden wird aufgezeigt, wo innerhalb der Organisation die Verantwortlichkeit für DEI-Management liegt. Es wird aufgezeigt, welche Methoden eingesetzt werden, um eine Bestandsaufnahme zu machen, um anschließend Problemfelder zu identifizieren. Des Weiteren wird beschrieben, welche Strategien und Ziele die Organisationen festgelegt haben und inwiefern sie diese innerhalb eines Controlling Prozesses überprüfen. Die nachfolgend aufgezeigten Möglichkeiten entsprechen den in der Praxis genutzten Vorgängen. Nachfolgend werden die verschiedenen Verantwortlichkeiten, Strategien und Maßnahmen der befragten Organisationen vorgestellt. Im letzten Kapitel wird daraus ein möglicher Implementierungsprozess abgeleitet.

Verantwortlichkeiten innerhalb der Organisation

Die Verantwortung liegt bei den befragten Organisationen an unterschiedlichen Stellen innerhalb der Organisation. In größeren Organisationen wird DEI-Management oft durch die Personalabteilung gesteuert. Je nach Organisation liegen zwischen dem DEI-Management und der Geschäftsleitung ein oder zwei Hierarchiestufen. Nur eines der größeren Unternehmen hat das DEI-Management direkt in der Geschäftsleitung angesiedelt, um Engagement und Verpflichtung seitens des Topmanagements zu signalisieren. Ähnlich agieren KMUs, mit Ausnahme von KMU3 liegt das DEI-Management jeweils in der Verantwortung der Geschäftsleitung.

Nebst den Verantwortlichkeiten ist in der Tab. 10.3 ebenfalls ersichtlich, ob und wie die Organisationen eine Bestandsaufnahme machen, ob sie über eine Strategie verfügen und ob sie sich quantitative oder qualitative Ziele setzen.

Tab. 10.3 Verantwortliche Abteilung für das DEI-Management. (Quelle: Eigene Darstellung)

Problemfelder identifizieren

Um später zielgerichtet ein DEI-Management/Maßnahmen identifizieren/aufbauen zu können, sollen Organisationen in einem ersten Schritt die Problemfelder in der Organisation identifizieren, dies kann mit einer Bestandsaufnahme hinsichtlich DEI-Thematiken erfolgen. Zur Bestandsaufnahme stehen den Organisationen unterschiedliche Instrumente zur Verfügung. Bei den befragten Organisationen kamen zwei unterschiedliche Instrumente zur Anwendung. Einerseits gibt es Personalstrukturanalysen, bei welchen die Diversität im Unternehmen oder in einzelnen Teams gemessen werden kann (U2, U6, U7). Kennzahlen wie Geschlechterverteilung, Anteil Personen in einem Teilzeitpensum oder Altersstruktur stehen in solchen Analysen im Zentrum (U2, U6, U7). Andererseits kann mit Mitarbeitendenbefragungen und persönlichen (Gruppen-)Gesprächen erfragt werden, inwieweit Mitglieder der Organisation die Kultur als inklusiv wahrnehmen. U1 und U8 führen regelmäßige Mitarbeitendenbefragungen durch. U8 führt diese sogar monatlich durch und will nun auch vermehrt DEI-Themen einfügen. Momentan evaluiert die Unternehmung, ob Maßnahmen für die Dimension LGBTI benötigt werden. Dieses Thema wurde entsprechend in die monatliche Befragung integriert. Weitere Instrumente, um den Puls der Organisation zu messen sind Themen-Ambassador:innen, wie sie in U2 zum Einsatz kommen. Das sind Mitarbeitende in einzelnen Abteilungen, die die Meinungen und Bedürfnisse unterschiedlicher Organisationsmitglieder in Erfahrung bringen können.

Die untersuchten KMUs hingegen verfügen meist über weniger Instrumente, um solche Analysen durchzuführen. KMU1 beispielsweise fällt es schwer, den Grad der Inklusion zu messen:

„Wie stellen wir das fest? Also eine Evaluation, da haben wir eigentlich kein Instrument, das wir das messen könnten, nicht wahr?“.

Auch KMU4 macht keine statistischen Analysen über die Personalstruktur. KMU3 hat sich das Ziel gesetzt, dass eine ausgeglichene Geschlechterverteilung erreicht werden soll, eine Analyse wird allerdings nicht durchgeführt.

Strategieentwicklung

Nachdem die IST-Situation erfasst und Problemfelder identifiziert wurden, entwickeln viele Großunternehmen eine Strategie mit Zielen. U6 hat die DEI-Strategie in der HR-Strategie verankert und U8 integriert die DEI-Thematik in der Nachhaltigkeitsstrategie. U4 und U5 befinden sich in der Strategiefindung. Obwohl U5 noch keine Strategie definiert hat, hat man sich bereits verbindliche Ziele gesetzt: 25 % mehr Frauen sollen in der ganzen Belegschaft und 20 % mehr Frauen in leitenden Funktionen arbeiten. Die Genderthematik stand auch bei anderen Unternehmen im Fokus, Ziele wie eine erhöhte Frauenquote in Führungspositionen sind oft angestrebte Kennzahlen (U1, U2, U3, U8). Einen großen Bestandteil vieler DEI-Strategien inkludieren „softe“ Ziele. So strebt beispielsweise U1 eine inklusive Unternehmenskultur an und U6 möchte die Genderkompetenz (beispielsweise um die Geschlechterverhältnisse innerhalb der eigenen Organisation reflektieren zu können) der Mitarbeitenden erhöhen, sowie den chancengleichen Zugang zu Führungspositionen ermöglichen (U1, U6).

Die befragten KMUS haben alle keine Strategie oder Maßnahmenpläne festgelegt, trotzdem haben sie sich Ziele gesetzt. KMU1 beispielsweise will einen diskriminierungsfreien Raum darstellen und alle Mitarbeitenden gleichermaßen wertschätzen. KMU1 ist überzeugt, dass es keine Strategie benötigt, viel wichtiger sei, dass DEI-Management mit konkreten Maßnahmen im Unternehmen gelebt wird:

„Also indem man etwas tut, wird ja bereits etwas sichtbar und das ist manchmal viel wirkungsvoller. Und wenn man sich etwas im Team erzählt, das wird so und so gemacht, als wenn wir das nur in eine Strategie schreiben würden. Also ich glaube, im Moment haben wir ausreichende und sichtbare Maßnahmen, um das Thema im Bewusstsein zu halten.“

Auch KMU2 hat bis jetzt keine Strategie definiert, sich jedoch zum Ziel gesetzt, als Betrieb wahrgenommen zu werden, der das Individuum respektiert und unterstützt. KMU3 hat auch keine Strategie definiert, jedoch Richtlinien und gewisse Themen für alle ersichtlich in einem Mitarbeitendenhandbuch eingefügt. Als Ziel haben sie sich ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis gesetzt. KMU4 hat bis zum jetzigen Zeitpunkt weder eine Strategie noch explizit Ziele definiert. Sichtbar wird also, dass große Organisationen sehr strategie- und zielgerichtet agieren, während die befragten KMUs auf Einzelmaßnahmen und die Wirkung einer normativen Einstellung setzen.

Controlling

Um zu überprüfen, ob ihre DEI-Strategie erfolgreich ist, wenden die Unternehmen verschiedene Controlling-Instrumente an. U1 arbeitet wie bei der Bestandsaufnahme auch im Controlling mit Mitarbeitendenbefragungen. Zahlen wie die Fluktuation werden beobachtet, um softe Ziele zu überprüfen. In U2 können alle Führungskräfte in einem Dashboard die effektive und die gewünschte Personalstruktur ihres Bereiches einsehen. U6 überprüft bei den Sensibilisierungsmaßnahmen beispielsweise, ob die Mitarbeitenden die Schulungen besucht haben, oder die Kommunikationsinitiativen gestartet wurden. Ob diese die gewünschte Wirkung zeigen, wird nicht überprüft. Keines der KMUs nutzt Kennzahlen oder andere Controllinginstrumente, um zu überprüfen, ob die gesetzten Ziele erreicht wurden.

10.4.3 Herausforderungen und Lösungsansätze

Die Praxis zeigt, dass trotz Bemühungen von DEI-Verantwortlichen in fast allen Organisationen Widerstand auftreten kann. Dimensionen-spezifische Maßnahmen und die Aufmerksamkeit einzelner Personengruppen können bei Mitarbeitenden auf Ablehnung stoßen. In den Interviews wurden immer wieder ähnliche Arten des Widerstandes ersichtlich; Gründe für Widerstand können unter anderem fehlendes Verständnis, das Gefühl, benachteiligt zu werden, Ermüdung, verankerte Denkmuster und Ressourcenkonflikte sein.

Fehlendes Verständnis

Ein häufiger Grund für Widerstand in Bezug auf DEI-Thematiken ist das Fehlen von Verständnis. Oft fühlen sich Menschen, insbesondere Mitglieder der dominanten Gruppe, von DEI-Initiativen belehrt und reagieren mit Unverständnis auf Sensibilisierungsmaßnahmen, die auf diskriminierendes Verhalten aufmerksam machen (U1, U3, U4).

Empfinden von Benachteiligung

Dimensionenspezifische Maßnahmen, wie beispielsweise ein Netzwerk für LGBTIQ+ oder Mentoringprogramme für Frauen, können bei Mitgliedern der dominanten Gruppe Widerstand hervorrufen. Dies kann auf Ängste vor Machtverlust und das Empfinden von ungerechter Behandlung zurückzuführen sein und führt oft zu Unverständnis (U1, U2, U5, U8).

Ermüdung

DEI-Management erfordert langfristige Anstrengungen. Um tiefgreifende Veränderungen in der Unternehmenskultur zu bewirken, müssen DEI-Maßnahmen in die Strukturen und Prozesse eingebettet werden. Dies kann jedoch bei einigen Mitarbeitenden zu Ermüdung führen, da das Thema sie überfordert oder sie sich von dem ständigen Fokus darauf überfordert fühlen (U1, U6, U8).

Verankerte Denkmuster und Organisationskultur

Die Unternehmenskultur kann sowohl förderlich als auch hinderlich für das DEI-Management sein. Mitarbeitende halten an bestehenden Strukturen und Denkmustern fest und stehen Veränderungen kritisch gegenüber. Stereotype Vorstellungen darüber, was zum Beispiel von einer Frau oder einem Mann erwartet wird, sind nach wie vor vorhanden und können die Bemühungen um eine inklusivere Arbeitsumgebung erschweren (U1, U3, U5).

Ressourcenkonflikt

In Unternehmen kommt es häufig zu Debatten über die Verteilung von Ressourcen. Das DEI-Management ist davon nicht ausgenommen und kann sowohl finanzielle (U1) als auch zeitliche Ressourcen der Mitarbeitenden (U2, U5, U9) betreffen. Dies kann zu Unstimmigkeiten und Konflikten führen.

Zusammenfassend zeigen sich die Herausforderungen für DEI-Management auf individueller Ebene durch fehlendes Verständnis, auf der Ebene von Gruppen, die sich benachteiligt fühlen, ganz allgemein durch Ermüdung in einem langen Prozess und schließlich auf der übergeordneten Ebene durch stark verankerte Denkmuster und Organisationskulturen sowie beschränkte oder fehlende Ressourcen.

Um Widerständen entgegenzutreten, verfolgen die interviewten Organisationen unterschiedliche Strategien. Aufklärung und Beratung, Austausch und Mitbestimmung sowie Druck durch Hierarchiestufen werden als nützliche Strategien angesehen, um Widerstände im Bereich des DEI-Managements zu vermindern und die Akzeptanz zu fördern. Diese Ansätze werden im weiteren Verlauf detailliert erläutert.

Aufklärung und Beratung

Sensibilisierung und ein Bewusstmachen der DEI-Thematik sind wichtige Aspekte im DEI-Management und ein wirksames Mittel, um Widerständen entgegenzutreten. Niederschwellige Anlaufstellen oder Themen-Ambassador:innen (U2) innerhalb einer Organisation können Mitarbeitende bei ihren Fragen und Zweifeln unterstützen. Offensivere Methoden beinhalten DEI-Events, Vorträge, Podiumsdiskussion und Schulungen, die ein breiteres Verständnis für die Thematik vermitteln und die Aufklärung fördern (U4, U9, KMU1). Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass nicht alle Mitarbeitenden mit denselben Argumentationssträngen überzeugt werden können. Einige Mitarbeitende können durch ökonomische Vorteile der DEI-Thematik überzeugt werden, wie zum Beispiel DEI-Management als Mittel zur Bekämpfung des Fachkräftemangels oder diverse Teams als Treiber der Transformation. Ein Beispiel hierfür ist U1, das mit einem Mangel an Fachkräften in technischen Berufen kämpft. Führungskräfte erleben diesen Mangel persönlich, wenn sie versuchen, ein neues Teammitglied zu rekrutieren. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass das DEI-Management ein wirksames Instrument zur Lösung des Problems darstellt. Andere Organisationen berichten hingegen, dass sich Mitarbeitende eher durch ethisch-moralische Argumente überzeugen lassen (U3). Es gibt also unterschiedliche Anknüpfungspunkte und Motivationen, welche Mitarbeitende überzeugen lassen, die je nach Person variieren können.

Austausch und Mitbestimmung

Austausch bezieht sich vor allem darauf, die Mitarbeitenden in die Entwicklung und Umsetzung von DEI-Strategien und -Maßnahmen einzubeziehen (U3, U6, KMU2) und unterschiedliche Personengruppen zusammenzubringen (U1, U3, KMU1). Eine Unternehmung organisierte beispielsweise Treffen für marginalisierte und dominante Personengruppen, um einen Erfahrungsaustausch zu ermöglichen und gleichzeitig Personen im Widerstand auf persönlicher Ebene anzusprechen (U2). Unter Mitbestimmung versteht man insbesondere die Einbeziehung von Mitarbeitenden in den Entwicklungsprozess von DEI-Initiativen. Wenn Mitarbeitende die Gelegenheit haben, bei der Erstellung der D&I-Strategie mitzuwirken, können nicht nur die Maßnahmen entsprechend den Bedürfnissen entwickelt werden, sondern es wird auch die Akzeptanz innerhalb des Unternehmens gefördert. Eine partizipative Herangehensweise, bei der Mitarbeitende aus allen Abteilungen in den Entwicklungsprozess der D&I-Maßnahmen einbezogen werden, wird von U3 angewendet. Durch diesen Prozess können potenzielle Kritikpunkte und Fragen im Vorfeld berücksichtigt werden. Auch U6 und KMU2 setzen bei der Entwicklung neuer DEI-Maßnahmen auf einen partizipativen Prozess.

Hierarchie

Schließlich gibt es auch die Möglichkeit, dem Widerstand mit klaren Standpunkten seitens der Geschäftsleitung entgegenzuwirken. In U1 und KMU3 übernimmt in beiden Fällen die Geschäftsleitung die Kommunikation von DEI-Themen und steht bei Widerständen hinter dem DEI-Konzept. Durch diesen Druck können Strategien und Verhaltensweisen in einem gewissen Umfang erzwungen werden.

Die Ergebnisse der Interviewanalyse legen nahe, dass die Widerstände und Überwindungsstrategien immer wieder ähnlichen Mustern entsprechen. Abhängig von der Art des Widerstands kann eine angemessene, akzeptanzfördernde Maßnahme eingesetzt werden. Die Diversität der Belegschaft spiegelt sich somit auch in ihrer Reaktionsweise auf neue Themen wider.

10.5 Fazit

Die Literatur sowie die Ergebnisse aus den durchgeführten Interviews zeigen, dass Unternehmen aus verschiedenen Gründen ein DEI-Management einführen. Veränderungen auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt und gesellschaftliche Megatrends stellen die Unternehmen vor große Herausforderungen. Während in der Literatur vor allem drei Beweggründe für das D&I-Management im Fokus stehen – ökonomischer Nutzen, Marketing, Kreativität und Innovation –, nannten die Organisationen vermehrt moralisch-ethische Beweggründe für die Einführung von Maßnahmen. Die in der Literatur vorgestellten Dimensionen (Charta der Vielfalt, 2023) werden auch in der Praxis beachtet und im DEI-Management berücksichtigt. Unsichtbare Dimensionen wie soziale Herkunft oder die Werte einer Person, die in der Theorie des DEI-Managements eine zentrale Rolle spielen, erhalten in der Praxis wenig Beachtung durch die Betriebe. Besonders prominent sind eher Dimensionen wie das Geschlecht, das Alter, die Herkunft oder die sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität. Die Erfahrungen aus den Unternehmen haben außerdem gezeigt, dass nicht alle Dimensionen in Betracht gezogen werden müssen. Viel wichtiger ist es, die Bedürfnisse der eigenen Belegschaft zu erkennen und dahingehend zu handeln.

Die drei verschiedenen Ebenen von DEI-Management; normativ, strategisch und operativ (Sander & Hartmann, 2016) werden in der Praxis nicht immer durchlaufen. Vor allem KMUs sehen davon ab, eine Strategie zu entwickeln und fokussieren sich auf operative Elemente, indem sie direkt DEI-Maßnahmen umsetzen. Eine Bestandsaufnahme, wie sie als wichtiges operatives Tool im DEI-Management gefordert wird (Sweeney & Bothwick, 2016; Goisauf, 2020), wird von einigen Unternehmen in Form von Personalstrukturanalysen oder Mitarbeitendenbefragungen praktiziert. Die Ergebnisse der Bestandsaufnahme werden genutzt, um die Leistung der Organisation im Hinblick auf DEI zu bewerten. Große Unternehmen können die Ergebnisse zwischen verschiedenen Abteilungen vergleichen, während KMUs die Ergebnisse mit anderen KMUs vergleichen können. Die Ergebnisse der Bestandsaufnahme werden ferner genutzt werden, um Ziele und Maßnahmen für die Verbesserung von DEI in der Organisation zu definieren. Je nach Betrieb werden qualitative Ziele oder quantitative Ziele gesetzt werden. Den Organisationen ist heutzutage oft noch nicht bewusst, wie weiche Ziele gemessen werden könnten.

Die größte Herausforderung in vielen Change-Projekten ist es, die Mitarbeitenden dazu zu bringen, den Change mitzutragen. Die Interviews haben gezeigt, dass der Widerstand der Mitarbeitenden eine große Herausforderung sein kann. Die Herausforderungen im Bereich des D&I-Managements können durch unterschiedliche Faktoren verursacht werden, wie zum Beispiel fehlendes Verständnis, Empfinden von Benachteiligung, Ermüdung, verankerte Denkmuster und Organisationskultur und Ressourcenkonflikte. Diese Dynamiken können Widerstand gegen D&I-Maßnahmen hervorrufen und die Akzeptanz beeinträchtigen. Um Widerstände zu verringern und die Akzeptanz zu fördern, können Unternehmen auf verschiedene Strategien zurückgreifen, wie Aufklärung und Beratung, Austausch und Mitbestimmung und Druck durch Hierarchiestufen.

10.6 Empfehlungen für die Praxis

In der Praxis agieren viele Organisationen vor allem auf der operativen Ebene. Trotzdem ist es empfehlenswert, einem strukturierten Prozess zu folgen. Dafür gibt es mehrere Gründe; Einerseits können die effektiven Bedürfnisse der Belegschaft identifiziert werden. Andererseits kann mit einer regelmäßigen Bestandsaufnahme der Erfolg des DEI-Managements gesichert werden. Darüber hinaus kann wie bereits beschrieben durch partizipative Prozesse Widerstand bereits frühzeitig innerhalb des Prozesses abgefangen werden. Eine mögliche Prozess-Abfolge ist in Abb. 10.1 ersichtlich.

Abb. 10.1
figure 1

DEI-Implementierungsprozess. (Quelle: Eigene Darstellung)

Wie in Abb. 10.1 ersichtlich ist, wird ein sechsstufiger Prozess vorgeschlagen:

  1. 1.

    Bestandsaufnahmen können auf mehrere Arten gemacht werden. Die Diversität kann mittels Personalstrukturanalysen gemessen werden. Inclusion kann entweder mit qualitativen Messmethoden, wie Mitarbeitendenbefragungen, persönlichen Gesprächen oder Fokusgruppen oder mit quantitativen Kennzahlen, wie beispielsweise der Fluktuation von Mitarbeitenden oder der Entwicklung von Fehlzeiten und Absenzen, gemessen werden.

  2. 2.

    Problemfelder identifizieren: Um zu identifizieren, wo im eigenen Unternehmen oder in gewissen Teams ein grundsätzlicher Bedarf vorliegt, können die ermittelten Kennwerte (bspw. Personalstrukturanalysen oder Personalbewegungsanalysen) mit anderen Teams innerhalb der Organisation oder mit Vergleichsunternehmen abgeglichen werden.

  3. 3.

    Ziele definieren: Nachdem die Schwachstellen identifiziert worden sind, können Ziele definiert werden. Ziele können ebenfalls quantitativ oder qualitativ sein. Ein Beispiel für ein qualitatives Ziel ist die Förderung der Genderkompetenz von Führungskräften, ein Beispiel für ein quantitatives Ziel ist die Reduzierung der Fluktuationsrate.

  4. 4.

    Maßnahmen definieren: Die Maßnahmen werden basierend auf den Zielen definiert. Mitarbeitende aus verschiedenen Abteilungen können mittels DEI-Arbeitsgruppen bei der Findung geeigneter Maßnahmen mitwirken. Maßnahmen, die von allen Mitarbeitenden gleichermaßen genutzt werden können, sind innerhalb einer Organisation ebenso anwendbar wie personengruppenspezifische Maßnahmen. Insbesondere kleinere Organisationen sind möglicherweise nicht in der Lage, alle Diversitätsdimensionen zu berücksichtigen und sollten sich stattdessen auf die Bedürfnisse ihrer eigenen Belegschaft konzentrieren.

  5. 5.

    Umsetzung und Kommunikation: Bevor das DEI-Management implementiert wird, muss innerhalb der Organisation ein gemeinsames Verständnis für die Thematik gefunden werden. Damit es später nicht zu Widerstand kommt, ist es wichtig, die Notwendigkeit und den Nutzen aufzuzeigen. Insbesondere Führungskräfte müssen von Anfang an involviert sein, da sie an verschiedenen Punkten im Mitarbeitendenzyklus (Rekrutierung, Beförderung, etc.) eine Schlüsselrolle spielen. Hierbei kann die Geschäftsleitung unterstützend wirken, in dem sie das DEI-Management mitträgt. Da Mitarbeitende unterschiedlich überzeugt werden können, sollen sowohl ökonomische Aspekte (gesteigerte Innovationskraft, DEI-Management als Treiber der Transformation) als auch moralisch-ethische Aspekte (soziale Verantwortung) kommuniziert werden.

  6. 6.

    Widerstand antizipieren: Maßnahmen können auf Widerstand stoßen. Damit das DEI-Management Wirkung zeigt, soll dieser Widerstand minimiert werden. Mittels verschiedener Vorgehensweisen; wie Aufklärung und Beratung oder der Beteiligung von Mitarbeitenden bei der Entwicklung von DEI-Strategien, können Mitarbeitende überzeugt werden. Der Prozess endet nicht bei Schritt sechs, sondern sollte zyklisch durchlaufen werden. Nach Schritt sechs soll erneut eine Bestandsaufnahme und somit auch ein Controlling gemacht werden.

Die Arbeitgebendenlandschaft der Schweiz ist geprägt von Unternehmen unterschiedlicher Größe, von KMUs bis hin zu größeren Organisationen. Immer mehr Organisationen nehmen sich der DEI-Thematik an und streben eine inklusive Organisationskultur an. Der oben vorgeschlagene sechsstufige Prozess zur Implementierung eines DEI-Managements kann hierfür eine Hilfestellung bieten. Eine effektive Gestaltung des DEI-Managements ist eng mit dem Verständnis der Bedürfnisse der Belegschaft verbunden. Die Auseinandersetzung mit DEI bietet zahlreiche Vorteile: Zum einen kann eine Organisation durch das DEI-Management ihre soziale Verantwortung gegenüber der Gesellschaft übernehmen. Zum anderen steigert das Befriedigen der Bedürfnisse einer heterogenen Belegschaft die Arbeitgebendenattraktivität auf dem umkämpften Markt für Fachkräfte. Zuletzt tragen diverse Teams in einer inklusiven Organisationskultur neue Perspektiven bei, welche Transformationsprozesse anstoßen und den Mehrwert einer vielfältigen Unternehmenskultur sichtbar und spürbar machen.