1.1 Theorie

Die Welt befindet sich an einem Wendepunkt. Neue Technologien, wie bspw. Künstliche Intelligenz (KI; bspw. ChatGPT bzw. GPT-4) oder Fragen und Handlungsmuster im Bereich der Ökologie (bspw. Klimawandel, CO2-Emissionen) sind für die Wirtschaft und Gesellschaft von hoher Bedeutung. Im Bereich der Reduktion der CO2-Emissionen und der allgemeinen Fragen der Nachhaltigkeit sowie globaler gesellschaftlicher Entwicklungen sind die Sustainable Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen von besonderer Bedeutung (siehe zu den SDG United Nations, 2023).

Damit die SDG und die Klimaziele von Paris nur annähernd erreicht werden können, sind tiefgreifende Veränderungen, sprich Paradigmenwechsel, im Wirtschafts- und Gesellschaftssystem nötig. Beschleunigt durch die vierte industrielle Revolution mit Themenkontexten, wie bspw. Digitalisierung, KI, Datenanalyse etc. werden im Moment die Arbeitsweisen, Führungskultur, Geschäftsmodelle, Organisationen, Technologien, Konsummuster etc. geändert, um proaktiv und nachhaltig die Zukunft zu gestalten und Antworten auf die großen Herausforderungen wie Energiekrise, Klimawandel und Biodiversitätsverlust zu finden.

Wandel, Change und Transformation. Diese Begriffe sind somit aktuell von hoher Bedeutung in Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Grundsätzlich können Wandel und Change als zwei synonyme Begriffe angesehen werden, die sich nur in der Zugehörigkeit der Sprache Wandel (deutsch) und Change (englisch) unterscheiden. Doch wie verhalten sich diese beiden synonymen Begriffe zum Begriff der Transformation?

Wandel kann entlang von zwei Dimensionen, dem Umfang des Wandels (Neuausrichtung; Fundamental) und der Art des Wandels (Inkrementell; Disruption) in einer 2x2-Matrix dargestellt werden, in der sich vier Wandelkonzepte (Adaption, Evolution, Rekonstruktion, Revolution) einordnen lassen (siehe Abb. 1.1).

Abb. 1.1
figure 1

Art und Umfang des Wandels. (In Anlehnung an Messner, 2017, S. 9)

Die Begriffe Adaption, Rekonstruktion, Evolution und Revolution werden wie folgt verstanden (Messner, 2017, S. 9–10 auf Basis von Muzyka et al., 1995, S. 348–350 mit den abweichenden Konzepten Reengineering; Restructuring; Renewing; Regenerating, wobei hier bei allen vier Konzepten von Transformation gesprochen wird. Dieser Begriffsverwendung wird bei Messner, 2017, und auch im vorliegenden Kapitel nicht gefolgt.):

  • Die Adaption (Anpassung) ist die häufigste Form des Wandels in Organisationen. Es handelt sich um einen Wandel, der innerhalb des aktuellen Organisationsparadigmas vollzogen wird. Der Wandel kann einmalig (episodische Anpassung) oder schrittweise (kontinuierliche Anpassung) erfolgen. Hierbei handelt es sich um „geringe“ Anpassungen „im laufenden Betrieb“ der Organisation.

  • Die Rekonstruktion (Reorganisation) führt zu großen Veränderungen in einer Organisation. Im Wandel wird das Organisationsparadigma aber nicht grundlegend verändert. Vielmehr werden Produkt-, Organisations- und Prozessveränderungen realisiert. Beispiele hierfür sind Kostensenkungsinitiativen, Outsourcing- oder Offshoring-Entscheidungen und Produkt-Marktkonsolidierungen.

  • Im Rahmen der Evolution (Weiterentwicklung) wird ein langfristiger Wechsel des Organisationsparadigmas vollzogen. Das Management kann durch vorausschauende Einschätzungen und Handlungen die Notwendigkeit eines disruptiven Wandels vorwegnehmen. So bleibt genug Zeit, um den neuen Zustand durch inkrementelle und moderate Schritte auf einem evolutionären Weg aus der gegenwärtigen Situation heraus zu erreichen. Dabei ist die Evolution langfristig angelegt und steht der Revolution diametral gegenüber.

  • Eine Revolution (Umwälzung) geht mit einem umfassenden und weitreichenden Wechsel des Organisationsparadigmas einher. Die Revolution wird vollzogen, wenn der äußere Druck zur Veränderung extrem ist. Beispiele hierfür sind neue Wettbewerber, neue Geschäftsmodelle oder neue Technologien, die zu weitreichenden Veränderungen führen. Auch kann eine Revolution nach einer Akquisition oder Fusion notwendig sein, um die Identität eines Unternehmens neu auszurichten bzw. zu entwickeln. Revolutionäre Umgestaltungsbemühungen sind in der Regel reaktiv, wenn ein Unternehmen bspw. „zum Opfer seines eigenen Erfolgs“ geworden ist, und wenn die bisherigen Geschäftsmodelle und die Art und Weise Geschäfte zu betreiben tief in die Unternehmenskultur eingebettet sind und als selbstverständlich angesehen werden. Revolutionäre Veränderungen sind schnell, umfassend und von unternehmerischem Denken und Handeln geprägt, aber diskontinuierlich angelegt.

Nun stellt sich die Frage, welche der vier Konzepte des Wandels (Adaption, Rekonstruktion, Evolution, Revolution) als Transformation bezeichnet werden können.

Transformation ist eine besondere Form des Wandels (O’Neal, 2018a, S. 287). Sie stellt die Entwicklung oder Revolution hin zu einem Paradigma dar, das Realitäten einschließt, die im bisherigen Bezugsrahmen nicht erlaubt, nicht berücksichtigt oder nicht enthalten waren. Transformation findet im Allgemeinen statt, wenn die Grenzen des derzeitigen Bezugsrahmens erreicht werden (Neal, 2018, S. 10).

Wird diesen zuvor präsentierten Definitionen gefolgt, so ist die Transformation ein „starker“ Wandel mit hoher Tragweite für ein Unternehmen bzw. andere Organisationen, wie bspw. Stiftungen, Vereine oder auch öffentliche bzw. öffentlich-rechtliche Organisationen und die Gesellschaft im Allgemeinen. Da eine Transformation die Veränderung eines Paradigmas, so auch eines Organisationsparadigmas, realisiert, können Evolution (Weiterentwicklung) und Revolution (Umwälzung) als zwei Konzepte einer Transformation betrachtet werden, da dies bei beiden Wandelkonzepten der Fall ist. Bei der Rekonstruktion (Reorganisation) und der Adaption (Anpassung) bleibt jeweils das Organisationsparadigma bestehen, somit kann nicht von Transformation gesprochen werden.

Die Definition und Diskussion zu den Begriffen Wandel, Change und Transformation ist nicht nur akademischer Natur. Vielmehr ist eine Unterscheidung auch in der Praxis wichtig, um die Notwendigkeit eines Wandels bzw. die Initiierung eines Wandels, bspw. eines Unternehmens, an die Stakeholder (u. a. Aufsichtsgremien, Führungskräfte, Mitarbeitende, Finanzgeber oder Kund:innen) zu vermitteln. Dabei sind die Konzepte der Proaktivität und Reaktivität von besonderer Bedeutung (Evolution; Revolution). Sie beziehen sich auf die temporale Dimension und bringen zum Ausdruck, dass Transformation eine Antizipation und Gestaltung der Zukunft (Proaktivität) voraussetzt, während sich Wandel oftmals auf die Behebung von Problemen aus der Vergangenheit bezieht. Folgendes Zitat bringt diese „Management-Weisheit“ gut auf den Punkt:

„Change fixes the past, transformation creates the future.“ (Tanmay Vora, Direktor F&E, BASWA, Indien. Transformation.work, 2022, o. S.)

Mohr et al. (2010a) sind der Auffassung, dass sich die Wirtschaft und Gesellschaft nach einer längeren Zeit des Stillstands an einem globalen Wendepunkt befinden. Ein Wandel vollzieht sich auf unterschiedlichen Ebenen in Wirtschaft, Politik, Kunst, Kultur sowie bei öffentlichen und privaten Institutionen bzw. Organisationen. Der Wandel vollzieht sich mit zunehmend steigender Geschwindigkeit. Unternehmen und andere Organisationen stehen vor der Herausforderung diesen Wandel anzuerkennen, die Chancen zu nutzen, den Wandel zu managen und eine nachhaltige Organisationsveränderung vorzunehmen. Dies erfordert eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Chancen und Risiken und vor allem mit sich selbst als Unternehmen. Der Wandel ist dabei tiefgreifend im Sinne der Transformation zu verstehen. Und es sind Methodiken und Praktiken im Unternehmen zu implementieren, die eine kontinuierliche Auseinandersetzung und Nutzung dieser im Sinne der Sicherung des Unternehmensbestands ermöglichen (Mohr et al., 2010a, S. 1–2).

Der global-technologisch indizierte und zielgerichtete Wandel verlangt von Organisationen und Unternehmen zunehmend die Nutzung von weitreichenden Transformationsprozessen. Eine Transformation ist die Umgestaltung bzw. Umwandlung des Bestehenden in eine andere Form. Dabei geht es um die Analyse und Neugestaltung von – in vielen Fällen auch um ein „Brechen mit“ alten Strukturen, Prozessen und Verhaltensweisen. Das Bestehende wird „zerstört“ oder aufgegeben und gleichermaßen wird etwas Neues eingerichtet und institutionalisiert (Mohr et al., 2010b, S. 8). Der Wandel erfordert ein Engagement, welches über das übliche Maß hinausgeht (O’Neal, 2018a, S. 284), indem es sich auch auf die Entwicklung eines neuen soziokulturellen Systems bezieht. Auch ist festzustellen, dass im Rahmen der Transformation die Komplexität zugenommen hat. So ist die Zeit auch ein entscheidender Faktor. Konnten „früher“ große Projekte (wie bspw. die Einführung eines ERP-Systems) lange geplant und umgesetzt werden, so hat sich diese Zeit verkürzt. Dabei war eine solche Einführung oftmals ein einziges Großprojekt. Aktuell laufen viele (IT-)Projekte bzw. Veränderungsprojekte parallel innerhalb der Organisation. Gleichermaßen ist neben dem Anstieg der Komplexität der Transformationsprojekte auch ein Anstieg der Ansprüche der Mitarbeitenden an die Arbeit und die Organisation bzw. das Unternehmen als solches zu beobachten, was nicht unterschätzt werden sollte (Joergens & Dahm, 2019, S. 63–64). Im Kontext des fundamentalen Wandels von Organisationen bzw. Unternehmen kann von organisationaler Transformation (organizational transformation) gesprochen werden (O’Neal, 2018a, S. 49).

Die besondere Bedeutung der Digitalisierung für die aktuelle Transformation

Da die aktuell stattfindende Transformation durch digitale Technologien ermöglicht und vorangetrieben wird, kann von digitaler Transformation gesprochen werden. Verbunden hiermit sind aufgrund der ökologischen Herausforderungen, wie bspw. dem Klimawandel und der Ressourcenknappheit, auch Fragen der (digitalen) Nachhaltigkeit.

Die digitale Transformation ist ein komplexes Phänomen mit einer Vielzahl beteiligter und betroffener Akteure, wie bspw. Organisationen und Institutionen (Regierungen, öffentliche und private Organisationen/Unternehmen, Medien) bis hin zu (individuellen) Menschen und der Gesellschaft im Allgemeinen. Die digitale Transformation hat ein breites Wirkungsspektrum. Sie betrifft alle Branchen und Sektoren, ob privat, öffentlich oder non-profit. Sie hat globale Auswirkungen und ist auf keine geografische Lage beschränkt. Sie ermöglicht unvorstellbare Gelegenheiten bzw. Chancen (Opportunities) und bringt gleichermaßen auch hohe Ungleichheiten hervor (Padua, 2021, S. 40). Somit bestehen neben den Chancen auch unterschiedliche Nebeneffekte. Für Za, Winter und Lazazzara (2023) sind die Digitale Transformation und Nachhaltigkeit disruptive Imperative, die zu einem Paradigmenwechsel in der Funktionsweise von Organisationen bzw. Unternehmen und Gesellschaften führen (Za et al., 2023, S. 1).

Die digitale Transformation kann als „finale“ Stufe im Rahmen eines dreistufigen „Evolutionsmodells“ betrachtet werden. Die erste Stufe ist die „Digitization“. Diese besteht aus der Umwandlung von Informationen aus einer analogen Form (bspw. Text, Fotos, Sprache) in eine digitale Form. Bestehendes, wie bspw. Prozesse, wird „einfach“ digitalisiert. Die analoge Welt wird in die digitale Welt überführt. Dabei gilt: „If you digitize mess, you get digitized mess“. Die zweite Stufe ist die „Digitalization“. Hierbei handelt es sich um die Integration digitaler Technologien in das „tägliche Leben“ (z. B. Sprachassistenten). Im organisationalen Kontext ist dies die Neugestaltung bzw. das Weiterdenken von Prozessen im Rahmen der Digitalisierung, um bspw. Prozesse kostengünstiger bzw. effizienter zu gestalten. Wichtig zu berücksichtigen ist, dass die Stufen eins und zwei nach obiger Definition der Logik eines Wandels folgen. Die dritte Stufe hingegen ist der kreative Schritt der „digitalen Transformation“. Hier werden neue Geschäftsmodelle, bspw. auf Basis von Daten, entwickelt und eine starke strategische, organisationale und kulturelle Transformation des Unternehmens realisiert, die sich fundamental von allem Bisherigen unterscheiden und in dem Sinne nicht anschlussfähig sind, sondern etwas genuin Neues – und somit eine Transformation – darstellen (Padua, 2021, S. 43; Tokarski et al., 2021, S. 6–7). Siehe hierzu Abb. 1.2.

Abb. 1.2
figure 2

Digitale Transformation von Organisationen. (Tokarski et al., 2021, S. 4)

Etablierte Unternehmen, die verspätet einen organisationalen Wandel auf Basis des (drei) Stufenmodells vollziehen und „spät“ in das „digitale Zeitalter“ eintreten, sind oftmals gezwungen, ihre Geschäftsprozesse und -modelle zu ändern (oft keine bzw. eine geringe Proaktivität). Eine Optimierung reicht oftmals nicht mehr aus. Nach Kozak-Holland und Procter (2020) bedingt dies auch einen hohen Wandel im Kontext der verwendeten Technologien an IT-Systemen und -Applikationen (Kozak-Holland & Procter, 2020, S. 4). Somit zeigt sich hier auch die Bedeutung der Zeit und der hiermit verbundenen proaktiven Einstellung gegenüber dem Wandel. Wie kann diese Proaktivität erreicht werden?

Transformationen gestalten

Der erste Schritt im Transformationsprozess besteht darin, dass ein Mensch bzw. Menschen (und somit eine Führungskraft und auch die Mitarbeitenden) daran glauben müssen, dass Transformation möglich und nötig ist. Dies gilt für alle Ebenen: Individuum und Team (Mikroebene), Organisation (Mesoebene) und Akteure auf nationaler, internationaler sowie globaler Ebene (Makroebene). Die Offenheit gegenüber Neuem ist dabei ein wichtiger Punkt. So ist daran zu glauben, dass die Möglichkeit besteht, dass sich Dinge verbessern können, und zwar auf eine Weise, welche nicht einen Rückfall in ein altes (aufgegebenes) Paradigma bedeutet. Ohne diese Überzeugung ist eine Transformation nicht möglich (Neal, 2018, S. 4–5). Dem Menschen kommt somit im Rahmen der Transformation eine besondere Bedeutung zu. So beginnt Veränderung mit Selbsterkenntnis bzw. Selbstwahrnehmung (self-awareness). Self-awareness bedeutet schlicht, sich selbst zu kennen. Selbsterkenntnis ist der erste Schritt, um das Leben (und die Gesellschaft und Organisationen) aktiv zu gestalten. Sich selbst zu kennen bedeutet, die verschiedenen Aspekte dessen zu erkennen, was einen Menschen als einzigartige Person ausmacht, denn der Mensch ist vielschichtig. Selbsterkenntnis zu entwickeln, bedeutet zu verstehen, was den Menschen antreibt, die Dinge zu tun, die er tut. Es geht darum, die persönliche Energie und die Leidenschaft zu nutzen, um Veränderung voranzutreiben. Dabei erleichtert Selbsterkenntnis Widerstandsfähigkeit, Engagement, Konfliktmanagement und effektive Entscheidungsfindung im privaten und beruflichen Leben (Kay, 2018, S. 186). Große Veränderungen können auch durch große Ziele vorangetrieben werden. Große, herausfordernde Ziele werden nach Collins und Porras (1994) „Big Hairy Audacious Goals“ (große, haarige, ehrgeizige Ziele. Siehe Collins & Porras, 1994) genannt. Diese Ziele dienen als Vision und werden trotz ihrer Schwierigkeit und einer scheinbaren „Unerreichbarkeit“ verfolgt und realisiert. Diese herausfordernden Ziele sind langfristig angelegt. Sie inspirieren und motivieren die Mitarbeitenden diese zu erreichen. Dies alles sind bedeutende Voraussetzungen und Eigenschaften, um Wandel und Transformationen voranzureiben. Hier besteht also kein Unterschied.

Für Führungskräfte ist ein spezifisches, entrepreneurial Mindset wichtig. So ist die Offenheit gegenüber Neuem ein wichtiger Punkt. Chancen sollen als Chancen des Wandels betrachtet werden, auch wenn sich diese Chancen aktuell noch gar nicht zeigen (siehe hierzu die Konzepte „awareness“; „opportunity recognition“). Aber es geht um die Offenheit gegenüber diesem Unbekannten. Transformationsarbeit umfasst Fokussierung (des Denkens), Emotionen und die Entwicklung von Intuition (über Wissen und Erfahrungen). Gleichermaßen sind auch soziale Aspekte von Bedeutung. Fähigkeiten wie Vertrauen, Geduld sowie das Aushalten von Ungewissheit und Selbsterkenntnis sind unerlässlich für eine erfolgreiche Transformation (O’Neal, 2018b, S. 48). Nochmal: Transformation ist ein Wandel, deswegen gelten viele Einsichten aus früherer Forschung zu Wandel auch in der aktuellen Situation. Analog zur Wachstumsentwicklung bei einem Menschen kann es zu „Transformations- oder Wachstumsschmerzen“ kommen. Diese vorgenannten Eigenschaften und Aspekte leisten einen Beitrag zum „Durchhalten“ oder „Aushalten“ der Transformation; dies für die Führungskraft persönlich, aber auch als Begleiter:in des Wandels für die Kolleg:innen bzw. Mitarbeitenden. Neben dem entrepeneurial mindset kann weiter in fixed und growth mindset unterschieden werden. 

Die Unterscheidung zwischen fixed mindset und growth mindset basiert auf den Arbeiten von Carol S. Dweck. Im fixed mindset wird angenommen, dass Fähigkeiten statisch sind. Im growth mindset wird davon ausgegangen, dass das (wahre) Potenzial noch unentdeckt ist und der Mensch sich weiterentwickeln kann. Das fixed und growth mindset wirken sich unterschiedlich auf die Motivation zur Bewältigung von Herausforderungen aus. Im fixed mindset herrscht die Denkweise vor, dass Misserfolge zu vermeiden sind. Große Herausforderungen stellen in der Wahrnehmung ein Risiko dar. Beim growth mindset hingegen stellen sich Menschen Herausforderungen. Dies mit dem Ziel, diese zu bewältigen und um von der Herausforderung zu lernen und sich persönlich weiterzuentwickeln. Eine geringe Anstrengung ist ein Risiko, weil sie eine verpasste Gelegenheit darstellt, um zu lernen und sich weiterzuentwickeln (und das Problem zu lösen). In beiden Denkweisen haben Rückschläge und Misserfolge unterschiedliche Bedeutungen. Für Menschen mit einem fixed mindset bedeuten Rückschläge den Verlust des Selbstwertgefühls. Für Menschen mit einem growth mindset hingegen wird aus Rückschlägen gelernt (somit wird immer gelernt, egal welches Ergebnis erzielt wird). Um Misserfolge zu vermeiden, verzichten Menschen im fixed mindset oft auf Gelegenheiten, welche eine persönliche Entwicklung (Wachstum) erfordern, und entscheiden sich für Vermeidungsstrategien oder Maßnahmen zum „Bestandsschutz“. Dies u. a. da eine Angst vor dem Versagen herrscht. Eine weitere Eigenschaft, die Menschen mit einem growth mindset von Menschen mit einem fixed mindset unterscheidet, ist die Tendenz, sich auf andere, statt auf sich selbst zu konzentrieren. Entscheidend ist, dass ein growth mindset entwickelt werden kann. Dabei ist das Lernen über persönliche Erfahrungen wichtig. Menschen sind motiviert sich zu verändern, wenn sie erkennen, dass sie sich, ihre Denkweise und Handlungen (und dann auch die Bewältigung von Herausforderungen) beeinflussen können. Dazu ist es wichtig, dass sich der Mensch über die beiden Mindsets bewusst ist bzw. wird. Denn die meisten Menschen sind sich ihrer Einstellungen, Überzeugungen und dem dahinterliegenden Konstrukt des fixed mindset oder growth mindset nicht direkt bewusst. Vielmehr sind diese implizit (Stanford & Stanford, 2018, S. 131–132; siehe grundlegend Dweck, 2006). Die persönliche Transformation liegt im Menschen selbst und kann bewusst vollzogen, aktiviert sowie gefordert und gefördert werden. Es gilt:

„Jede:r ist des eigenen Glückes Schmid“.

Allerdings lässt sich oftmals feststellen, dass Menschen und Organisationen in ihrem aktuellen Systemzustand bleiben und Mühe haben, bestehende Muster und Verhaltensweisen etc. aufzugeben und eine Veränderung vorzunehmen. Denn etwas zu wandeln ist u. a. auch mit Risiko verbunden. Daher muss der Anreiz oftmals (sehr) hoch sein, um eine Transformation zu starten. Da es (scheinbar) gut läuft, ist die Bereitschaft für einen Wandel oftmals gering. Ohne Bereitschaft ist Transformation gleichwohl kaum möglich (Mohr et al., 2010b, S. 8).

Die mangelnde Bereitschaft zu einem Wandel kann ein Risiko sein. Es gibt aber auch noch andere Gründe, die „energietechnisch“ erklärt werden können. Denn es ist anzumerken, dass die oftmals geringe Bereitschaft von Menschen oder Organisationen nicht als bewusst bzw. intendiert oder nicht böswillig zu sehen ist. Vielmehr kann dies aus systemtheoretischer Sicht, mit Anleihen an die Physik, erklärt werden. Systeme neigen dazu, den aktuell niedrigsten Energiezustand einzunehmen. Wenn eine Veränderung des Systems vorgenommen werden soll, dann ist dem System Energie hinzuzufügen bzw. Energie zu verbrauchen. Bei einer intendierten Transformation wird eine (große) Menge an Energie benötigt, um das System Unternehmen (mit seinen Mitgliedern, Einstellungen, Strukturen, Prozessen etc.) aus seinem aktuellen Energiezustand in einen neuen (besseren/anderen) Energiezustand zu bewegen. Die Änderung eines Systemzustandes gibt so somit nicht „umsonst“. Alles kostet Energie (und vor allem auch Zeit). Für kleinere und größere Wandelprozesse ist dies wichtig zu wissen und zu verstehen und eine systemische Betrachtungsweise einzunehmen, um geeignete Maßnahmen des Wandels realisieren zu können. Wenn der Energiezustand bereits geschwächt ist, durch zunehmende Intensivierung der Arbeit, COVID-19-Pandemie, oder andere Krisenmomente, dann ist die Ausgangslage bereits prekär.

Um einen Wandel und Transformation erfolgreich initiieren und realisieren zu können, kann man auch auf „Alt-Bewährtes“ zurückgreifen. Die Organisationsentwicklung verweist seit vielen Jahren darauf, dass es drei zentrale Dimensionen gibt, die zur Gestaltung von Wandel bzw. Transformation wichtig sind: Wandlungsbedarf, Wandlungsbereitschaft, Wandlungsfähigkeit. Die Wandlungsbereitschaft repräsentiert dabei die Notwendigkeit des Wandels (im Sprachgebrauch von Kotter, 1996, ist das u. a. „sense of urgency“, also die Dringlichkeit), das heißt warum der Wandel vollzogen werden muss. Hier sind eine subjektive Wahrnehmung und Anerkennung notwendig (Erkennung und Anerkennung des Wandels). Die Wandlungsbereitschaft ist die Einstellung, Haltung oder das oben beschriebene „Mindset“, das eine Offenheit und Zustimmung zum (benötigten) Wandel durch die Führung und die Mitarbeitenden ausdrückt. Die Wandlungsfähigkeit spiegelt das „Können“ der Führung und Mitarbeitenden wider, den Wandel (erfolgreich) umsetzen und realisieren zu können. Hierzu gehören viele unterschiedliche Methoden und Instrumente erfolgreicher Wandelprozesse bzw. -projekte, aber auch die systemischen Befähiger, wie bspw. Strategie, Struktur und Kultur sowie die IT (Krüger, 2014, S. 14–23).

Anzumerken ist noch, dass in Literatur und Praxis oftmals das „alte“ dreistufige Konzept und Paradigma von Kurt Lewin des „unfreeze“, „change“ und „refreeze“ für Wandlungsprojekte aufzufinden ist und angewendet wird. Hierbei wird angenommen, dass sich die Organisation in einem Gleichgewichtszustand befindet, der unterbrochen werden muss, sodass die Organisation einem Wandel unterzogen werden kann. Doch dieses episodische, statische Konzept und Denken, das am Ende davon ausgeht, dass Organisationen bzw. Unternehmen in einen Zustand der „Ruhe“ und „Stabilität“ kommen, kann als (teilweise) veraltet angesehen werden. Vielmehr wird Wandel heutzutage nicht episodisch, sondern kontinuierlich und agil gedacht. Denn wenn das dreistufige Konzept angewendet wird, dann werden in Organisationen „Changeprojekte auf Changeprojekte“ realisiert und wenn dabei dem Konzept von Lewin gefolgt wird, dann überfordert dieses „Stop-and-go“ (von unfreeze, change, refreeze) die Unternehmen und die Mitglieder (Gerks, (2016), S. 196–197). Grundsätzlich lässt sich in einer dynamischen Welt des Wandels nicht eher fragen, ob nicht genau der umgekehrte Fall eines „freeze“, „change“ und „unfreeze“ stattfinden müsste, da sich Organisationen oft in einem kontinuierlichen Wandel mit vielen parallelen Projekten befinden (siehe zu einer neueren Sichtweise auf Wandel und Organisationsentwicklung die Arbeiten von Robert J. Marshak. Einen umfassenden Überblick zu seinen Arbeiten liefert Wagner, 2018).

Auf Basis des Vorherigen bleibt als letzte Frage, ob eine Transformation im klassischen Sinne geplant werden kann. Auch hier lohnt ein Blick in bestehende Taxonomien: Als Alternative eines geplanten Wandels wird eine generative Theorie des Wandels vorgeschlagen, welche in der „dialogischen Organisationsentwicklung“ vorliegt (Marshak & Bushe, 2018, S. 99. Siehe grundlegend Bushe & Marshak, 2014, 2016). Die Schwerpunkte des geplanten und generativen Wandels sind in Tab. 1.1 dargestellt.

Tab. 1.1 Schwerpunkte des geplanten und generativen Wandels. (Vgl. Marshak & Bushe, 2018, S. 12)

Es ist anzumerken, dass das Konzept des generativen Wandels anschlussfähig an „moderne“ Führungskonzepte, wie bspw. „collaborative leadership“, „servant leadership“ oder „transformative leadership“ hinsichtlich der Ideen und Ansichten über die Organisation und Menschen ist.

1.2 Blick in die Werkstätten

Glaubt man den UNO-Berichten, steht die Welt an einem kritischen Punkt in der Geschichte und benötigt dringend Wandel und Transformation auf allen Ebenen. Der Umfang, das Ausmaß und die Geschwindigkeit, mit denen der Mensch (negative) Wirkungen auf die Erde ausübt, sind bisher beispiellos. Die Menschheit ist die dominierende Kraft bei der Gestaltung der Zukunft des Planeten. Die schwerwiegendsten und unmittelbarsten Risiken sind von Menschen gemacht und haben hohe Auswirkungen. Dies reicht vom Klimawandel über die COVID-19-Pandemie bis zum Verlust der biologischen Vielfalt und zunehmenden Ungleichheiten (siehe hierzu United Nations Development Programme, 2020). Im vorliegenden Sammelband zeigen die Beiträge im Sinne von Werkstattberichten auf, wie und unter welchen Bedingungen auf verschiedenen Ebenen Wandel und Transformation stattfinden, wie sie unterstützt und skaliert werden können.

In Kap. 2 analysieren Luca Perez, Joël Zumstein und Daniel Schwarz, wo die Digitalisierung/E-Government in den Gemeinden in der Schweiz im internationalen Vergleich steht und weisen darauf hin, dass den Digitalisierungsstrategien, dem situativen und partizipativen Führungsstil, aber auch der passenden Technologie große Bedeutung zukommt. Pia-Andrea Friedli und Flurina Wäspi beschäftigen sich in Kap. 3 mit naturbasierten Lösungen in der Smart City und zeigen auf, wie der stark technologieorientierte Smart-City-Ansatz mit dem Konzept der naturbasierten Lösungen transformiert und stärker auf Nachhaltigkeit und Resilienz ausgerichtet werden kann.

In Kap. 4 gehen Tim Wackernagel und Daniel Schwarz der Frage nach, wie sich Bürger:innen nach der Ablehnung der E-ID Vorlage, des staatlich anerkannten elektronischen Identifikationsnachweises, im Frühjahr 2021 zur Einführung einer Blockchain basierten E-ID in der Schweiz äußern und berichten von einer positiven Grundhaltung der Befragten. Die selbstbestimmte Verwaltung der eigenen Identitätsdaten ist dabei ein gewichtiges Argument für die Zustimmung. Alex Enrique Marquez und Thomas Gees beschäftigen sich im Kap. 5 mit Hackathons in der öffentlichen Verwaltung als Innovationsmethode und zeigen u. a. auf, dass Umsetzungsmaßnahmen im Anschluss unabdingbar sind, damit der innovative Input nicht verloren geht. Nils Grunder, Marie Peskova und Thomas Gees beschäftigen sich im Kap. 6 mit dem potenziellen Impact von digitalen Tools auf die Ressourceneffizienz im E-Commerce und der Logistik. Sie konstatieren einen positiven Zusammenhang, wenngleich in der Logistikbranche noch eine geringe digitale Maturität vorliegt. Das Kap. 7 von Flurin Bühlmann und Jochen Schellinger befasst sich mit Omni-Channel Strategien, u. a. Tablets in den Verkaufsstellen, eine verlängerte Ladentheke, Live-Videoberatung, QR-Codes auf Produkten oder im Store, Click & Collect, respektive Click & Reserve, Online-Retouren, im Non-Food Bereich. Sie konstatieren deren zunehmende Verbreitung.

Auch der NPO-Bereich bleibt vom Wandel nicht unberührt. Im Kap. 8 untersuchen Daniela Gubler und Jochen Schellinger an Leichtathletikverbänden, wie sich diese digitalisieren und (teil-)professionalisieren. Sie schlagen dazu ein Reifegradmodell mit Handlungsempfehlungen vor. Yasmin Bürgy und Deane Harder wenden sich im Kap. 9 dem prozessorientierten Wandel zu und untersuchen, wie Design-Thinking-Methoden, speziell die drei untersuchten Elemente Mindset, iteratives Vorgehen und User-Centeredness, die notwendigen Strategieprozesse grundsätzlich unterstützen und flexibel auf neue Herausforderungen reagiert werden kann. Die Förderung eines growth mindsets im strategischen Management ist dabei für den Erfolg zentral. Martina Becker und Andrea Gurtner zeigen im Kap. 10 wiederum, wie ein Diversity, Equity und Inclusion (DEI) Management in einer Unternehmung grundsätzlich wichtige Impulse für die Transformation produziert. In einem sechsstufigen Prozess wird dargelegt, wie DEI in Organisationen umgesetzt werden kann. Im Kap. 11 beschäftigen sich Til Rüegsegger und Sabrina Schell mit der Veränderung des Human- und Sozialkapitals als Erfolgsfaktor in der Gründungsphase eines Start-ups und zeigen, dass für deren Weiterentwicklung die Selbstreflexion der Gründer:innen eine wichtige Rolle spielt.

Im Kap. 12 untersuchen Christa Breny-Müller und Andrea Gurtner die hybride Arbeitswelt mit Homeoffice und Teilzeitarbeit bezogen auf die Personalentwicklung und kommen zum Schluss, dass Personalentwicklung durch regelmäßige Ansprache der Vorgesetzten wie auch on the job in kürzeren Abständen nötig wird. Eric Postler und Christian Dellenbach analysieren zum Schluss im Kap. 13 die Einführung der neuen Arbeitswelten in einem Bundesamt und kommen zum Schluss, dass bezogen auf die Dimensionen „People“, „Place“ and „Technology“ hier durchaus noch Nachholbedarf besteht und die Veränderungen als Chance gesehen werden sollten.

Der bunte Strauß an Veränderungsinitiativen zeigt, dass alle Ebenen (Mikro, Meso, Makro), Systeme (Politik, Wirtschaft und Gesellschaft) und Dimensionen (Produkte/Dienstleistungen, Prozesse und Organisationen) von Transformationen betroffen sind. Dabei spielen bewährte Methoden und Techniken des Wandels weiterhin eine große Rolle und werden dementsprechend eingesetzt. Das Epochale dürfte aber wohl die gleichzeitige Veränderung und Transformation in allen Bereichen sein, gepaart mit der Geschwindigkeit und Agilität. Denn neue Technologien verbinden sich mit neuen Arbeitsformen und Geschäftsmodellen, die einen eigentlichen Paradigmenwechsel mit sich bringen und z. B. direkte Auswirkungen auf die Work-Life-Balance haben. Wirtschaft und Gesellschaft stehen damit erst am Anfang des Wegs einer grundlegenden Transformation und benötigen große Schritte in allen Bereichen, um nur annähernd die SDGs und Klimaziele zu erreichen.

1.3 Fazit und take-away messages

Die Liste an Konzepten, Modellen und Theorien ließe sich noch weiter ausführen. An dieser Stelle soll die angeführte Argumentation genügen. Wichtig ist, dass aktuell sehr viele Veränderungen in der Politik, der Wirtschaft, der Gesellschaft, der Technologie, der Ökologie (Natur) und des Rechts vorliegen und sich Chancen sowie Notwendigkeiten für Unternehmen und Organisationen bieten, einen Wandel im Sinne der Transformation zu realisieren. Diese Einleitung hat eine Grundlage gelegt, um den Begriff der Transformation in die existierende Debatte rund um Wandelvorhaben einzuordnen. Die Kapitel des vorliegenden Herausgeberwerkes decken eine Bandbreite an verschiedenen Transformationsprojekten ab, wobei einige stärker digital, markt- oder unternehmensintern getrieben sind. Sie alle liefern einen Beitrag zum Verständnis der Transformation aus theoretisch-praxisorientierter Perspektive im Sinne von Werkstattberichten.

Wichtige Botschaften der Argumentation zum Schluss:

  • Transformation ist eine Form des Wandels, die sich vor allem auf die zukunftsgerichteten Felder der Evolution und Revolution bezieht. Es geht um die Gestaltung der Zukunft mit neuen Parametern und weniger um die Optimierung und Anpassung von bestehenden Strukturen.

  • Die Digitalisierung ist ein wesentlicher Treiber der aktuellen Transformation, doch auch andere Faktoren spielen eine Rolle (ökologische Situation, Wertewandel der Gesellschaft, demografischer Wandel der Gesellschaft).

  • Zur erfolgreichen Gestaltung der Transformation ist das Attribut der Proaktivität entscheidend.

  • Bestehende Taxonomien zur Einordnung von Wandelvorhaben besitzen weiterhin ihre Gültigkeit – entscheidend sind vor allem die Entwicklung eines „sense of urgency“, eines entsprechenden proaktiven Mindsets auf Seiten der Führungskräfte und Mitarbeitenden und ihrer Wandlungsfähigkeiten, im Sinne von Kompetenzen und Skills.

  • Transformationswissen zur Erreichung der gesellschaftspolitischen Ziele, wie sie z. B. in den SDGs deutlich werden, bedingen ein neues, transformatives Mindset.