Das besondere Subjektivierungs- und Ausbeutungsregime in der deutschen Hochschullandschaft erfordert auch ein Nachwort sui generis. Wie eingangs angekündigt, folgt nun die politische Botschaft der wissenschaftlichen Arbeit. Dazu werden im Folgenden – entgegen traditionellen akademischen Imperativen – politische Forderungen formuliert. Eine empirische Bodenhaftung erhalten die politischen Schlussfolgerungen durch Aussagen der Interviewteilnehmer*innen zu ihren Zukunftsperspektiven und Wünschen (vgl. Electronic Supplementary Material).

Mit der wissenschaftlichen Praktik, die Befragten sprechen zu lassen, ist auch die erste Forderung verbunden: Entscheidungen sollen durch Entscheidungsbetroffene gefällt werden. Mit einer Demokratisierung von Hochschulen erhalten alle Statusgruppen nicht nur ein Mitspracherecht, sondern werden aktiv an Entscheidungen in ihrer Arbeitswelt beteiligt. Einerseits werden damit Lehrende und Studierende stärker an der Einführung von Studiengängen und der Änderung von Studieninhalten beteiligt, da sie die Hauptbetroffenen dieser Entscheidung sind. Oder anders formuliert:

„Die [Studierenden] sind zwar überall mit vertreten, aber groß sagen und Einfluss nehmen, können sie nicht. Und da sollte […] man jetzt die Studierenden nicht über alles entscheiden lassen (lacht) […], aber man kann sie in bestimmten Dingen vielleicht doch stärker mit einbinden. Ich glaube, da würden sie sich auch freuen und fühlten sich auch angenommen“ (Prof Recht).

Hier wären Formen der direkten Demokratie denkbar. So könnte eine Entscheidung über Studienangebote innerhalb von Hochschulen durch eine Abstimmung aller Entscheidungsbetroffenen verhandelt werden. Selbstverständlich werden alle Stimmen gleichberechtigt gezählt, ohne die Berücksichtigung der jeweiligen Statusgruppe. Kurzum: „Jede Statusgruppe sollte bei den entscheidenden Fragen, die sie betreffen, mit bestimmen können, stärker als es jetzt der Fall ist“ (ebd.) Andererseits gilt es, eine gesellschaftliche Nachfrage zu berücksichtigen, sofern die Hochschule mit öffentlichen Mitteln gefördert wird. Manageriale Anreizsysteme hingegen, die zu einer Zentralisierung der Macht auf das Hochschulmanagement beitragen, müssen zugunsten einer Dezentralisierung und Demokratisierung von Hochschulen abgebaut werden.

Der persönliche Wunsch nach „mehr Freiheiten, mehr Demokratie zwischen den verschiedenen Akteur(.)innen“ (Postdok Natur 1) ist unweigerlich mit der zweiten Forderung nach „flacheren Hierarchien […] zwischen Institutsleitungen, Gruppenleitungen und den Angestellten“ (ebd.) verbunden. Denn die persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse zwischen unterschiedlichen akademischen Statusgruppen sind in feudale Strukturen eingelassen, die eine Demokratisierung und persönliche Freiheit verhindern. Für eine Ent-Feudalisierung müssen vor allem die Privilegien von Hochschulmanager*innen und Hochschullehrer*innen fallen. Denn die Subjektivierungsanalyse hat gezeigt, dass traditionelle Abhängigkeitsverhältnisse sowohl von Hochschullehrer*innen zur Nutzenmaximierung herangezogen werden als auch von herrschenden managerialen Subjekten, um über einen Kaskadeneffekt ihre Interessen durchzusetzen (vgl. Deutungsmuster „Manageriale Steuerung als Autonomieeingriff“). Insbesondere die mehrfunktionale Rolle von Hochschullehrer*innen als Chef*innen, Betreuer*innen und Notengeber*innen erzeugt für wissenschaftliche Mitarbeiter*innen persönliche Abhängigkeitsverhältnisse, aus denen sie sich nur schwer emanzipieren können. Aus diesem Grund muss eine personelle Trennung zwischen Vorgesetzten, Betreuer*innen und Notengeber*innen stattfinden. Hochschullehr*innen könnten mit ihrer langjährigen Forschungs- und Lehrerfahrung die Rolle der Betreuer*innen übernehmen. Die Betreuer*innen unterstützen Promovierende und Habilitierende in ihren wissenschaftlichen Interessen und werden zu einem Drittel an der Bewertung von Qualifikationsarbeiten beteiligt. Den restlichen Teil der Bewertung übernehmen zwei unabhängige Gutachter*innen aus einer anderen Hochschule. Weiterhin empfiehlt es sich, auch Gutachter*innen aus der Statusgruppe der Postdoktorand*innen zu gewinnen, um Absprachen zwischen Hochschullehrer*innen bezüglich der Bewertung zu vermeiden. Denn es hat sich herauskristallisiert, dass ein institutionalisierter Nichtangriffspakt zwischen Hochschullehrer*innen aus Gruppenhochschulen die Reorganisation unter NPM überstanden hat (vgl. WR 2018a: 29). Weiterhin kann festgehalten werden, dass „diese ganze Lehrstuhlstruktur […] unfassbar alt [ist] und da würde ich auch etwas ändern, denn das ist nicht gesund diese Art von Autorität in den Händen weniger, das führt zu Konflikten“ (Postdok Geist 3). Insofern sind Verhandlungen über Arbeitsverträge zwischen wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen und Hochschullehrer*innen problematisch, weil Angestellte auf die Gunst ihrer Vorgesetzten angewiesen sind, um ihren Verbleib an Hochschulen zu sichern. Diese Verhandlungen sollten von einer Personalabteilung geführt werden, die im Interesse der Wissenschaft und Gesellschaft für sichere und faire Beschäftigungsverhältnisse sorgt. Denn in der Subjektivierungsanalyse wurde deutlich, dass befristete Arbeitsverträge mit teilweise sehr kurzen Laufzeiten zu einer Selbstausbeutung und der Vermeidung von wissenschaftlichen Wagnissen führen. Zu den am häufigsten geäußerten Wünschen der Befragten zählen sichere, entfristete Beschäftigungsverhältnisse jenseits einer Professur.

Damit besteht die dritte Forderung in einer Ent-Prekarisierung von (wissenschaftlicher) Arbeit an Hochschulen. Demzufolge „sollte [man] mehr Dauerstellen für Postdoks schaffen, weil ich das in unserer eigenen Arbeitsgruppe sehe, dass einfach diese Instanz fehlt und auch von vielen Doktoranden vermisst wird“ (Postdok Natur 6). Erstaunlich ist, dass diese Forderung auch von indirekt betroffenen Hochschullehrer*innen artikuliert wird, die sich zuweilen mit ihren prekär beschäftigten Mitarbeiter*innen solidarisieren (vgl. Lenk 2022: 156 f.). Dementsprechend konstatiert ein Professor (Wirt): „Ich glaube, wichtiger für die Doktorandenphase und insbesondere für die Postdoktorandenphase ist eine längerfristige Sicherheit, Planungssicherheit […]. Das sollte dann nach erfolgreichem Doktorabschluss der Lohn sein.“ In Rekurs auf den angloamerikanischen Hochschulraum haben die Befragten konkrete Vorstellungen zur Ausgestaltung einer Ent-Prekarisierung des Mittelbaus.

„Einer meiner größten Wünsche wäre, wenn es das in Deutschland mehr gäbe wie in amerikanischen oder englischen Universitäten, dass du Lecturer hast, […] wo du eben die Stabilität und Kontinuität hast. Und die Leute wirklich solide und gut ausgebildet werden von Leuten, die gerne Lehre machen und die gute Lehre machen und nicht von irgendwelchen Profs, die das machen müssen und kein Bock haben und das irgendwie abarbeiten“ (Dok Natur 1).

Ergänzend dazu sollten nach der Promotion unbefristete Stellen mit einem Schwerpunkt in der Forschung angeboten werden. Sowohl bei Researcher- als auch bei Lecturer-Stellen empfiehlt es sich jedoch, zugunsten einer fruchtbaren Einheit von Lehre und Forschung einen kleinen Lehr- bzw. Forschungsanteil in die jeweiligen Stellenmodelle zu integrieren. Denn mit eigenen Forschungsvorhaben bleiben Lehrende auf dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand und haben eine Abwechslung zum Lehralltag. Wohingegen es sich bei Researchern anbietet, mit Studierenden eigene Forschungsansätze in Lehrveranstaltungen zu erproben und wissenschaftliche Erkenntnisse diskutieren zu lassen. Eine Entfristung von Lecturer- und Researcher-Stellen aufgrund von Ziel- und Leistungsvereinbarungen mit festgelegten Kennzahlen wird vor dem Hintergrund der empirischen Erkenntnisse der Arbeit abgelehnt, da hiermit manageriale Herrschaftsinteressen oktroyiert werden. Außerdem sinkt damit die Arbeitsautonomie des Einzelnen und Anreize für Fehlverhalten entstehen. Warum also sollten Arbeitsverträge für wissenschaftliche Mitarbeiter*innen mit Doktortitel nicht nach maximal zwei Jahren entfristet werden? In anderen Worten: „Wir brauchen entfristete Stellen“ (PD Human). Mit einer Ent-Prekarisierung sind nicht nur unbefristete Stellen nach der Promotion verbunden, sondern ein Arbeitspensum, das ohne Selbstausbeutung bewältigt wird. Deshalb werden auch unbefristete Stellen in der Lehre mit einem Deputat von 18 Semesterwochenstunden abgelehnt. Je nach Fach und ArbeitsaufwandFootnote 1 sind für eine Vollzeitstelle in der Lehre 8 bis 12 Semesterwochenstunden angemessen.

Ferner ist mit einer Ent-Prekarisierung von wissenschaftlicher Arbeit an deutschen Hochschulen gleichfalls eine bedingungslose Grundförderung von Forschenden verbunden. Diese Finanzierung muss ausreichend sein, um regelmäßig eigene Forschungsvorhaben zu realisieren, denn die unternehmerische Fähigkeit, sich selbst und sein Wissen zu vermarkten, darf nicht über den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt entscheiden. An dieser Stelle geht die Ent-Prekarisierung von wissenschaftlicher Arbeit auch mit einer Ent-Feudalisierung in Drittmittelstrukturen einher. Denn wenn Gutachter*innen von Forschungsanträgen gleichzeitig an einem Wettbewerb um Drittmittel teilnehmen, sind Wettbewerbsvorteile seitens privilegierter Wissenschaftler*innen unumgänglich. Somit ist es fraglich, wer mit welchen Kriterien über Forschungsanträge entscheiden soll. Es können also grundlegende Zweifel an einem staatlich inszenierten Wettbewerb und aufgeblähten Managementstrukturen an Hochschulen gehegt werden, die den Eindruck erwecken, man habe es mit Großkonzernen zu tun (vgl. WR 1996: 4 f.). Da weder gewährleistet werden kann, dass ein fairer Wettbewerb organisiert wird, noch Hochschulen über ausreichendes Eigenkapital verfügen, für das Verantwortliche ein volles Verlustrisiko tragen, empfiehlt es sich, Hochschulen und ihre Angehörigen bedarfsorientiert zu finanzieren und ressourcenschluckende Wettbewerbs- und Managementstrukturen zu minimieren.

Deswegen lautet die vierte Forderung: Hochschulen sollen bedarfsorientiert finanziert und wissenschaftliche Erkenntnisse vergesellschaftet werden. Mit dieser Trendwende in der Hochschulfinanzierung und der Verwertung von wissenschaftlichen Erkenntnissen wird dem unternehmerisch-managerialen Treiben an deutschen Hochschulen Einhalt geboten. Das Hochschulmanagement würde öffentliche Mittel nicht mehr mit Eigenkapital verwechseln und Patente an den Höchstbietenden verkaufen, sondern die Hochschulautonomie, die gegenwärtig zur Freiheit der Hochschulleitung erklärt wird, wäre eine Autonomie aller Hochschulangehörigen und der Gesellschaft. Diese kollektive Freiheit erfordert jedoch auch ein direktes Mitspracherecht von gesellschaftlichen Vertreter*innen in Hochschulen. Hier sollten gesellschaftliche Interessen direkt in Hochschulgremien vertreten werden, anstatt öffentliche Mittel über Hochschulverträge zu vergeben und der Hochschulleitung zu überlassen, wie diese Mittel im Rahmen eines Globalhaushalts verteilt werden.

Zusammenfassen lassen sich die politischen Forderungen unter dem Leitbild einer demokratischen Hochschule. Der Wandel von unternehmerischen zu demokratischen Hochschulen wird durch eine Demokratisierung, Ent-Prekarisierung, Ent-Feudalisierung sowie durch eine bedingungslose, bedarfsorientierte Grundfinanzierung und Vergesellschaftung angetrieben. Mit der demokratischen Hochschule rücken sowohl persönliche Interessen von Hochschulangehörigen als auch gesellschaftliche Bedürfnisse in den Mittelpunkt des organisatorischen Handelns. Mithilfe einer Dezentralisierung von Macht und Ent-Prekarisierung von (wissenschaftlicher) Arbeit werden zum einen faire Arbeitsbedingungen geschaffen. Zum anderen gewährleistet eine bedingungslose, bedarfsorientierte Grundfinanzierung und Ent-Feudalisierung, dass sich der wissenschaftliche Erkenntnisfortschritt abseits von wissenschaftspolitischen Thementrends und der Bevormundung über feudale Gutachter*innenstrukturen entfalten kann. Damit wird die demokratische Hochschule zu einem Ort der persönlichen und kollektiven Freiheit. Letztlich haben die Erkenntnisse der Arbeit gezeigt, dass man als Einzelner die gegenwärtigen Herrschaftsverhältnisse zwar verwünschen, aber nicht wegwünschen kann. Was nicht bedeutet, dass eine Praxis der Selbstbefreiung und alternative Organisationformen in der deutschen Hochschullandschaft unmöglich sind. Gleichwohl verdeutlicht die Analyse von akademischer Subjektivierung in einem Dispositiv neoliberaler Gouvernementalität, dass eine Revolution von beherrschten Subjekten vorerst ausbleiben wird, da die Spielarten des (akademischen) Kapitalismus im universitären Feld nicht zur Solidarität und einem politischen Bewusstsein unter direkt Betroffenen führen, sondern zu einem Anpassungsverhalten und einem stahlharten Gehäuse der Konkurrenz. Dahingehend haben Marx und Engels (1967 [1848]: 10) ihren politischen Wunsch zum Vater der Gesellschaftsdiagnose gemacht und die Anpassungsfähigkeit der Menschen an strukturelle Spannungsverhältnisse des Kapitalismus unterschätzt. Es ist jedoch naheliegender, dass eine Erosion des Status quo durch Reformen einen politischen Protest gegen das bestehende Subjektivierungs- und Ausbeutungsregime in der deutschen Hochschullandschaft schürt und möglicherweise zu einem fundamentalen Umbruch führt (vgl. Tocqueville 2012 [1867]: 178–182).