Für diesen Dialogprozess werden die theoretischen Überlegungen zu einem gouvernementalen Dispositiv mit dem empirischen Material angereichert (vgl. Abschnitt 3.4 Gouvernementales Dispositiv). Zusätzlich wird mit den empirischen Erkenntnissen eine forschungspraktische Verhältnisbestimmung innerhalb und zwischen den Dimensionen eines Dispositivs vorgenommen (vgl. Bührmann & Schneider 2012: 126–132). Damit bewegt sich die abschließende Analyse von akademischer Subjektivierung in einem Dispositiv neoliberaler Gouvernementalität zwischen den Dimensionen Diskurse/Rationalitäten, Praktiken/Herrschaftstechnologien und Vergegenständlichungen/Subjektivierung (vgl. Bröckling & Peter 2017: 285 f.). Schließlich werden mit der Dispositivanalyse folgende Forschungsfragen diskutiert: (3) Findet mit der Einführung von NPM in der deutschen Hochschullandschaft sowohl ein Wandel von akademischen Subjektivierungsformen als auch von akademischen Subjektivierungsweisen statt und eignen sich akademische Subjekte neoliberale Selbsttechnologien an? (4) Welche (nicht-)intendierten Effekte hat der NPM-Diskurs auf akademische Subjekte und den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt?

7.1 Ergebnisse in der Dimension von Diskursen/Rationalitäten

Die erste Dimension des Dispositivs neoliberaler Gouvernementalität im universitären Feld der BRD ist durch das strategische Arrangement des Managementdiskurses mit einem Elementardiskurs, einem neoliberalen Diskurs sowie einem wissenschaftlichen Spezialdiskurs gekennzeichnet, wie im Folgenden ersichtlich wird (vgl. Abbildung 7.1: Diskursformation im Dispositiv neoliberaler Gouvernementalität im universitären Feld der BRD).

Abbildung 7.1
figure 1

Diskursformation im Dispositiv neoliberaler Gouvernementalität im universitären Feld der BRD

Der Abbildung 7.1 kann entnommen werden, dass keine direkte Kommunikation zwischen einem Elementardiskurs und einem wissenschaftlichen Spezialdiskurs erfolgt. Die Kommunikationslücke zwischen Wissenschaft und Gesellschaft überbrücken herrschende Subjekte des Managementdiskurses, indem sie spezialisiertes Wissen für die Allgemeinheit über Kennzahlen zugänglich machen (vgl. FU Berlin 2019b; WR 2010b: 25 f.). Weiterhin werden gesamtgesellschaftliche Problemlagen mit Krisenszenarien an Hochschulen verknüpft und konkrete Lösungsvorschläge entwickelt. Exemplarisch wird die Übersetzungsleistung von Vertreter*innen des Managementdiskurses an der Problematisierung eines drohenden Fachkräftemangels in der Wissensgesellschaft deutlich (vgl. HRK 2013a: 2 f.; WR 2018b: 34). Diese Entwicklung wird auf traditionelle Steuerungsmodelle und auf fehlende Investitionen in das Humankapital im Hochschulsystem zurückgeführt (vgl. HRK 2011c: 4). Es kann konstatiert werden, dass sich das deutsche Hochschulsystem in einem Zustand knapper Ressourcen befindet, weshalb öffentliche Mittel wettbewerbsförmig und leistungsorientiert über manageriale Steuerungsinstrumente verteilt werden sollen, um Notstände mit einer Leistungs- und Effizienzsteigerung zu lösen (vgl. HRK 2000; WR 1993: 24).

An dieser Stelle können Unterschiede zwischen dem NPM-Diskurs und einem neoliberalen Diskurs beobachtet werden. Denn anders als neoliberale Klassiker, die Politiker*innen wie Margaret Thatcher die Verwirklichung ihrer Utopie überließen und die praktische Umsetzung ihrer Ideen relativ offen hielten, inszenieren sich herrschende Subjekte des Managementdiskurses „als politische Stimme von […] deutschen Hochschulen“ (HRK 2011b: 4) und als Krisenmanager*innen mit konkreten Handlungsanweisungen für alle Beteiligten (vgl. Hayek 1981: 40; Thatcher 1995: 50; Abschnitt 5.2 Phänomenstruktur des New Public Management-Diskurses). Des Weiteren ist eine soziale Wettbewerbsordnung für Subjekte des Managementdiskurses kein vorrangiges Ziel, sondern ein strategisches Instrument, um Herrschaftsinteressen durchzusetzen (vgl. WR 2018a: 39). Hier eignen sich Vertreter*innen des NPM-Diskurses Fragmente eines neoliberalen Diskurses an und nutzen diese als Vehikel für eine manageriale Wissens- und Identitätspolitik. Infolgedessen generiert der Management- als Interdiskurs eine Verbindung zwischen verschiedenen Wissensordnungen und kann Fragmente anderer Diskurse zu seinen Gunsten transformieren. Diese Diskursguerilla-Strategie erinnert an das Spiel „Stille Post“, bei dem Informationen durch die Weitergabe (bewusst) verfälscht bzw. einer anderen Wahrheit zugeführt werden.

Ferner entsteht durch die eigensinnige Übersetzungsleistung von herrschenden Subjekten des Managementdiskurses eine Intergouvernementalität in der Diskursformation, die sowohl Analogien zur politischen Rationalität des europäischen Neoliberalismus als auch zu einer pastoralen Regierungsweise aufweist (vgl. Foucault 2004a: 189; 2004b: 188 f.; WR 2018a: 39; 2018b: 5). Innerhalb dieses intergouvernementalen Regimes wird allerdings deutlich, dass eine pastorale politische Rationalität wesentlich schwächer ausgeprägt ist als die einer neoliberalen Regierungsweise. Denn insbesondere zur Transformation eines wissenschaftlichen Spezialdiskurses und akademischer Subjekte wird die politische Rationalität einer neoliberalen Regierungsweise genutzt (vgl. WR 2018a: 39). Mithilfe dieser neoliberalen Rationalität wird eine manageriale Wissens- und Identitätspolitik in den wissenschaftlichen Spezialdiskurs manövriert. Gleichzeitig sind Vertreter*innen des Managementdiskurses auf (neo-)feudale Strukturen in der deutschen Hochschullandschaft angewiesen, um ihren Geltungsanspruch aufrechtzuerhalten und zu expandieren (vgl. van Dyk & Reitz 2017: 67 ff.). Die unter dem wissenschaftlichen Spezialdiskurs legitimierten feudalen Strukturen erfüllen für den Managementdiskurs eine Doppelfunktion: Zum einen werden die persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse zwischen unterschiedlichen akademischen Statusgruppen zur Zirkulation von Anrufung und zur Erweiterung eines unternehmerisch-managerialen Geltungsanspruchs in der deutschen Hochschullandschaft genutzt (vgl. Dok Natur 1Footnote 1; Postdok Natur 5Footnote 2; Postdok SozFootnote 3). Zum anderen problematisieren herrschende Subjekte des NPM-Diskurses die feudalen Strukturen im deutschen Hochschulsystem (vgl. HRK 2018a: 3; WR 1996: 57). Aus diesen Gründen sind Subjekte des Managementdiskurses auf den Erhalt feudaler Herrschaftsverhältnisse angewiesen, da diese traditionellen Strukturen sowohl als Katalysator der Macht genutzt werden als auch für die diskursive Selbstpositionierung als Krisenmanager*in eine fundamentale Bedeutung aufweisen (vgl. Abschnitt 5.2 Phänomenstruktur des New Public Management-Diskurses). Insofern wird mit dem Managementdiskurs ein strategisches Scheitern verfolgt, weil Problematisierungen im universitären Feld zwar kontinuierlich und mit wachsendem Aufwand bearbeitet, aber nicht gelöst werden (vgl. Abschnitt 5.1 Ein historischer Abriss des Managementdiskurses im universitären Feld der BRD). Deswegen nutzen herrschende Subjekte des NPM-Diskurses auch persönliche Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Hochschullehrer*innen und wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen als Vehikel für ihre Herrschaftsinteressen. Denn mithilfe dieser feudalen Herrschaftsverhältnisse kann beispielsweise die Anrufung, „die selbständige Antragstellung von Nachwuchswissenschaftlern noch stärker zu fördern“ (WR 1996: 57), verwirklicht werden (vgl. Deutungsmuster „Drittmittel als Rettung“). Vor dem Hintergrund einer Symbiose zwischen einem universitären Feudalsystem und dem Managementdiskurs drängt sich indes die Frage auf, ob mit dem strategischen Scheitern ebenfalls eine diskursspezifische Eigendynamik verbunden ist?

Über die Sollbruchstellen des Managementdiskurses kristallisiert sich eine besondere Eigendynamik heraus, denn mit dem strategischen Scheitern ist keine Lösung von gesellschaftlichen und wissenschaftspolitischen Problemlagen verbunden, sondern eine (Re-)Produktion teilweise selbstgemachter Notstände (vgl. DFG 2009; HRK 2007: 19; WR 2006: 70; 2010a: 133). Diese unbeabsichtigten Effekte von Transformationsprozessen bilden einen Kreislauf in der Diskursformation rund um den Managementdiskurs. Bei diesem Zirkulationsprozess werden Problematisierungen und Lösungsvorschläge hervorgebracht, die alte Probleme aktualisieren und neue durch nicht-intendierte Folgen schaffen, wodurch der Kreislauf von vorne beginnt. Sichtbar wird die Eigendynamik des Managementdiskurses u. a. an der Einführung einer leistungsorientierten und wettbewerbsförmigen Verteilung von öffentlichen Mitteln ab Mitte der 1990er-Jahre (vgl. HRK 1995b; 1998c, 1999b; WR 1993: 48). Das meritokratische Verteilungsprinzip versprach, die Leistung und Effizienz zu steigern sowie feudale Strukturen des deutschen Hochschulsystems zu beseitigen. Infolge der Implementierung einer LOM über Hochschulverträge und Zielvereinbarungen sowie durch einen flächendeckenden Drittmittelwettbewerb rücken ab den 2010er-Jahren zunehmend unbeabsichtigte Folgen dieser Transformationsprozesse in den Fokus des NPM-Diskurses (vgl. WR 2011a: 27; 2014: 21; 2018a: 7; DFG 2013: 46). Diese nicht-intendierten Effekte werden von herrschenden Subjekten des Managementdiskurses in Form neuer Problematisierungen eingehegt und führen nicht dazu, dessen Wissenspolitik grundsätzlich infrage zu stellen. Sie tragen dagegen zu einer Expansion managerialer Praktiken bei, indem beispielsweise Kennzahlen und Wettbewerb auf „unmarked spaces“ (Heintz 2008: 121) ausgeweitet werden (vgl. HRK 2016a: 2; WR 2011a: 29; 2015b: 109; 2018b: 60). Zur Bearbeitung von universitären Problemlagen greifen herrschende Subjekte des NPM-Diskurses auf die politische Rationalität des europäischen Neoliberalismus zurück, da Interessen von Hochschulangehörigen mit Infrastrukturen des Wettbewerbs kanalisiert und gesteuert werden (vgl. Röpke 1997: 52). Im Verhältnis zwischen NPM und der Gesellschaft wird hingegen auch die politische Rationalität einer pastoralen Regierungsweise sichtbar, wenn beispielsweise Absolvent*innenzahlen für Lehramtsstudierende in Hochschulverträgen festgelegt werden, um den gesellschaftlichen Bedarf an Lehrkräften zu sichern (vgl. FU Berlin 2014b: 38; WR 2018a: 35). Weiterhin beziehen sich Angehörige des Elementardiskurses auf die Narrative und die symbolische Ordnung des Managementdiskurses, wie an einer normativ aufgeladenen und kennzahlenbasierten Leistungsbewertung von Hochschulen und ihren Angehörigen seitens der Öffentlichkeit deutlich wird (vgl. Deutschlandfunk 1999; Land Berlin 2018: 25 f.; Warnecke 2018; WR 1996: 10). Aufgrund dieser Verbindung unterschiedlicher Rationalitäten in der Diskursformation rund um den Managementdiskurs lässt sich in die diskursiven Praktiken und Herrschaftstechnologien des NPM-Diskurses eine Intergouvernementalität erkennen.

7.2 Ergebnisse in der Dimension von Praktiken/Herrschaftstechnologien

Bei dieser Dimension geht es darum, den praktischen Vollzug der Wissenspolitik und die Herrschaftstechnologien des NPM-Diskurses ins Verhältnis zu anderen Diskursen und akademischen Subjektivierungsprozessen zu setzen. Zu den gängisten Herrschaftstechnologien des Managementdiskurses zählen strategische Steuerungsinstrumente wie Evaluierungen, Akkreditierungen, Rankings, Berichte, Leistungs- und Zielvereinbarungen sowie Hochschulverträge. Über die Infrastruktur dieser strategischen Steuerungsinstrumente werden andere Diskurse und (akademische) Subjekte orchestriert. Das Verhältnis zwischen Hochschulen und der Gesellschaft regeln herrschende Subjekte des Managementdiskurses weitestgehend über Rankings und Hochschulverträge. Mit dem Kontraktmanagement werden sowohl gesellschaftspolitische Interessen wie eine Nachfrage nach akademischen Fachkräften als auch Interessen der Hochschulleitung etwa nach finanziellen Ressourcen über diskursive Praktiken des NPM-Diskurses verbunden. Zum einen können diese diskursiven Praktiken als praktischer Vollzug der Wissenspolitik des Managementdiskurses in der Diskursformation in einem Dispositiv neoliberaler Gouvernementalität betrachtet werden. Zum anderen spiegeln sich in den diskursiven Praktiken von Vertreter*innen des NPM-Diskurses spezifische Herrschaftstechnologien wider, die auf unterschiedliche Regierungsweisen zurückzuführen sind. Der praktische Vollzug dieser Intergouvernementalität wird im Folgenden mit einer wettbewerbsförmigen und strategischen Verteilung knapper öffentlicher Ressourcen erklärt.

Mit der Vergabe von öffentlichen Mitteln über vertraglich festgelegte Kennzahlen werden einerseits wohlfahrtsstaatliche Interessen eingehegt. Andererseits ergibt sich auf der Mesoebene für die Hochschulleitung eine manageriale Autonomie, da Hochschulangehörige über Kennzahlen gezeigt haben, dass sie sich staatliche Zuwendungen verdient haben. Aus diesem Grund bildet die diskursive Praktik des Kontraktmanagements eine „Verbesserung der Möglichkeiten zur Selbststeuerung durch ein entscheidungsfähiges Hochschulmanagement“ (WR 1993: 24). Denn mit einer leistungsorientierten Finanzierung ist die Implementierung von Globalhaushalten verbunden, wodurch die Hochschulleitung erweiterte Handlungsspielräume über Ressourcen erhält und sich Hochschulen seit den Nullerjahren auch zunehmend über (öffentliche) Drittmittel finanzieren (vgl. Dohmen & Wrobel 2018: 87; WR 2005: 11). Diese unternehmerisch-manageriale Autonomie der Hochschulleitung ist mit einer zunehmenden Rechenschaftspflicht aller Hochschulangehörigen gegenüber der Gesellschaft verbunden (vgl. WR 2010b: 26; 2018a: 46 f.). Um der gesellschaftspolitischen Forderung nach mehr Transparenz nachzukommen, wird ein umfangreiches Berichtswesen eingeführt, in dem sich eine Herrschaft von managerialen Kennzahlen manifestiert (vgl. FU Berlin 2019h; WR 2015a: 7 f.; 2019: 26). Infolgedessen kann die diskursive Praktik des Verfassens von Berichten mithilfe von Kennzahlen ebenfalls als Herrschaftstechnologie betrachtet werden. Mit dieser Herrschaftstechnologie sind weitere diskursive Praktiken wie das Erstellen von Evaluierungen und Rankings verbunden (vgl. Land Berlin 2010: 8 f.; WR 2010b: 25 f.). Die Rankings sind ein praktisches Bindeglied des Managementdiskurses zum Elementardiskurs, einem wissenschaftlichen Spezialdiskurs und einem neoliberalen Diskurs, da die objektive Wirklichkeit eines inszenierten Wettbewerbs um knappe Ressourcen und Prestige über die Kennzahlenvergleiche vermittelt wird. Durch die Leistungsbewertung über Kennzahlen werden Wahrheits- zu Machtfragen, weil mit der Reduktion von wissenschaftlichem Wissen auf Kennzahlen definiert wird, was und wie akademische Subjekte leisten sollen (vgl. HRK 1995b; WR 2004: 45 f.).

Aus den Anrufungen in den diskursiven Praktiken von Berichten, Leistungs- und Zielvereinbarungen, Hochschulverträgen, Evaluierungen und Rankings resultieren akademische Subjektivierungsformen des Managementdiskurses. Hiermit werden Wissenschaftler*innen – ohne unmittelbaren Zwang – aufgefordert, Drittmittel einzuwerben, möglichst viel in Fachzeitschriften mit einem hohen Impact-Faktor zu publizieren, andere zu mobilisieren und sich selbst auszubeuten (vgl. Abschnitt 5.4 Akademische Subjektivierung im Wandel von New Public Management – Anrufungen des akademischen Selbst an unternehmerischen Universitäten). Mithilfe dieser Subjektivierungsformen sollen akademische Subjekte an Herrschaftsinteressen des Managementdiskurses gebunden werden. Fundiert werden Subjektnormierungen und manageriale Praktiken durch einen inszenierten Wettbewerb um knappe Ressourcen und Prestige. Dahingehend organisieren herrschende Subjekte des NPM-Diskurses seit Anfang der Nullerjahre verschiedene Wettbewerbe in der deutschen Hochschullandschaft. So werden innerhalb von Hochschulen beispielsweise Lehrpreise mit wechselnden Schwerpunkten vergeben (vgl. FU Berlin 2014b: 26). Darüber hinaus können akademische Subjekte an Hochschulen um Sach- und Personalmittel über Anreizsysteme der internen LOM konkurrieren (vgl. WR 2011b: 24). Diese hochschulinternen Wettbewerbe weisen jedoch im Vergleich zu einem hochschulübergreifenden Drittmittelwettbewerb lediglich eine geringe Strahlkraft auf akademische Subjekte auf (vgl. Deutungsmuster „Drittmittel als Statussymbol“). Denn über die diskursiven Praktiken des Drittmittelerwerbs wird ein erheblicher Anteil der verfügbaren Ressourcen verteilt und Symbole des wissenschaftlichen Erfolgs generiert (vgl. Dohmen & Wrobel 2018: 87). Dieses Set aus Symbolen, diskursiven Praktiken und Herrschaftstechnologien bildet Anreizsysteme aus einem Konglomerat von Belohnung, Kontrolle, kollektiven und individuellen Sanktionen, Fristen, (Un-)Gewissheiten und (Un-)Sichtbarkeit. Schlussendlich erzeugen die Anreizsysteme symbolische Vergegenständlichungen und Subjektivierungsformen, die sich Wissenschaftler*innen aneignen, umdeuten, unterlaufen oder transformieren.

7.3 Ergebnisse in der Dimension von Vergegenständlichungen/Subjektivierung

Zu den sichtbarsten Symbolen des Managementdiskurses zählen Drittmittel der DFG, die zum Symbol des wissenschaftlichen Erfolgs geworden sind (vgl. Deutungsmuster „Drittmittel als Statussymbol“; WR 2010b: 25 f.). Diese symbolische Vergegenständlichung dient akademischen Subjekten als referenzieller Bezugsrahmen, wodurch Symbole eines wissenschaftlichen Spezialdiskurses unterlaufen und unsichtbar werden. So sind in der symbolischen Ordnung des Managementdiskurses Publikationen in Fachzeitschriften mit (hohen) Impact-Faktoren sichtbarer als Monografien (vgl. DFG 2013: 20; Münch 2011: 148 f.). Auch die Befragten beziehen sich in ihren Deutungsmustern auf die Vergegenständlichungen des Managementdiskurses. So konstatiert eine Doktorandin (Natur 1), dass „Monografien in der Regel keine Option [sind], das gilt […] als gescheitert“. Demnach verschieben die Vergegenständlichungen des NPM-Diskurses eine qualitative hin zu einer quantitativen Leistungsbewertung, wodurch nur Leistungen sichtbar werden, die auch messbar sind. Oder anders formuliert: „Man will irgendetwas qualitativ messen und versucht, es in quantitative Indikatoren zu pressen“ (Jun.prof Wirt 2). Deswegen müssen sich Hochschulen und ihre Angehörigen konform zum NPM-Diskurs verhalten, um in einem Dispositiv neoliberaler Gouvernementalität sichtbar zu werden sowie Ressourcen und Anerkennung zu erhalten.

Ebenfalls mit viel Prestige sind eingeworbene Drittmittel der Exzellenzstrategie und des Europäischen Forschungsrats verbunden (WR 2010a: 107; 2010b: 25 f.; ERC 2019: 24). Mit diesen Symbolen des wissenschaftlichen Erfolgs werden akademische Subjektivierungsweisen transformiert, weil Wissenschaftler*innen so lehren und forschen, dass manageriale Kennzahlen erfüllt werden. Aus diesem Grund betrachten die Interviewteilnehmer*innen High-Impact-Journalbeiträge teilweise als Zeichen von wissenschaftlicher Qualität und werben Drittmittel aus Prestigegründen ein (vgl. Deutungsmuster „High-Impact-Journalbeiträge als Zeichen von wissenschaftlicher Qualität“; „Drittmittel als Statussymbol“). Gleichzeitig verifizieren einige Studienteilnehmer*innen über die Drittmitteleinwerbung ihre persönliche Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit (vgl. Deutungsmuster „Drittmittel als Zeichen der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit“).

Mit diesen Aneignungsprozessen entwickeln die Befragten ein Selbstverständnis, das an die Subjektivierungsformen des Managementdiskurses erinnert. So betrachten sich die Interviewteilnehmer*innen selbst und andere akademische Subjekte als Unternehmer*innen und Manager*innen (vgl. Deutungsmuster „Wissenschaftler*innen als Unternehmer*innen und Manager*innen“). Auf diese Weise wird der akademische Quasi-Markt für die Befragten zu einem Ort der Wahrheitsfindung und der Wettbewerb als soziale Selbstvergewisserung genutzt (vgl. Foucault 2004b: 56). Denn handeln die Interviewteilnehmer*innen quasi-marktkonform profitieren, sie von den Anreizsystemen des NPM-Diskurses, wodurch sie denken, das Richtige zu tun (vgl. Deutungsmuster „Wettbewerb als soziale Selbstvergewisserung“). Zu den relevantesten diskursiven Praktiken von unternehmerisch-managerialen Subjektivierungsweisen zählt das Einwerben und Verwalten von Drittmitteln, die strategische Vernetzung, das Mobilisieren von Mitarbeiter*innen sowie möglichst viele Artikel in (High-Impact-)Journals zu publizieren, denn „der Markt [sagt], Publikationen und […] Drittmittel“ (Jun.prof Wirt 1). Demzufolge hat zwar unter NPM ein Wandel von akademischen Subjektivierungsformen und -weisen stattgefunden. Die Subjektivierungsformen des Managementdiskurses bilden jedoch keine Kopie von akademischen Subjektivierungsweisen, auch wenn diese Ähnlichkeiten zu akademischen Entrepreneur*innen, Wissenschaftsmanager*innen und dienstfertigen Wissenschaftler*innen aufweisen (vgl. Abschnitt 5.4 Akademische Subjektivierung im Wandel von New Public Management – Anrufungen des akademischen Selbst an unternehmerischen Universitäten). Weiterhin unterlaufen akademische Subjektivierungsweisen teilweise neoliberale Subjektivierungsformen wie das unternehmerische Selbst, weil es sich bei den Befragten um Lohnabhängige mit einer Teilkaskomentalität handelt (vgl. Bröckling 2007; Bührmann 2012). In diesem Zusammenhang kann konstatiert werden, dass nicht nur die Rationalität, Praktiken und Herrschaftstechnologien des NPM-Diskurses mitunter einem neoliberalen Diskurs widersprechen, sondern auch akademische Subjektivierungsweisen, die durch Subjektivierungsformen des Managementdiskurses entstehen (vgl. Abschnitt 2.3 Neoliberale Formen der Subjektivierung). Denn so etwas wie sozialversicherungspflichtig angestellte Unternehmer*innen und verbeamtete Manager*innen lassen eine neoliberale Wissens- und Identitätspolitik erodieren (vgl. Eucken 1949: 24 f.). Insofern wird die oft beschworene Analogie zwischen Unternehmertum und Wissenschaft in der sozialen Wirklichkeit von Hochschulen brüchig (vgl. FU Berlin 2019f; HRK 1998d; WR 2018a: 80 f.). Ungeachtet des Spannungsverhältnisses zwischen neoliberalen und managerialen Subjektivierungsformen sowie akademischen Subjektivierungsweisen orientieren sich die Befragten an der Wirtschaft und betrachten Wissenschaft als „Businesssystem“ (Dok Natur 1). Sie vergleichen weiterhin das berufliche Scheitern von Wissenschaftler*innen mit der Insolvenz einer Firma, die „kein Konzept [hat], das im Kapitalismus (lacht) funktioniert“ (Dok Wirt). Diese ökonomisierte Perspektive auf sich selbst und andere akademische Subjekte führt zu einer quasi-marktkonformen Verhaltensweise der Interviewteilnehmer*innen. Sichtbar wird die Quasi-Marktkonformität u. a. am strategischen Aufgreifen von Thementrends der Wissenschaftspolitik, die mit diskursiven Praktiken der Antragsprosa bedient werden (vgl. Deutungsmuster „Wissenschaft als Mode“). Zugespitzt formuliert: Es gibt Wissenschaftler*innen, die „warten nur darauf, dass das große Elbhochwasser 2002 oder Oderhochwasser 97 kommt, weil dann ist das auf der Tagesordnung und dann kriegt man eher Geld für die Anträge“ (Postdok Natur 3). Mit diesem „Aggregatszustand betriebsamer Konformität“ (Bröckling 2007: 241) ähneln die Befragten stark der Subjektivierungsform von dienstfertigen Wissenschaftler*innen (vgl. Abschnitt 5.4 Akademische Subjektivierung im Wandel von New Public Management – Anrufungen des akademischen Selbst an unternehmerischen Universitäten).

7.3.1 Das Spannungsverhältnis zwischen akademischen Subjektivierungsformen und -weisen

Für akademische Subjektivierungsformen und -weisen in einem Dispositiv neoliberaler Gouvernementalität kann festgehalten werden, dass sich Wissenschaftler*innen zum Teil wie Unternehmer*innen und Manager*innen verhalten, auch wenn sie keine sind. An dieser diskursiven Konstruktionsleistung werden der Geltungsanspruch und die Deutungsmacht des NPM-Diskurses sichtbar, weil es herrschenden Subjekten gelingt, Wissenschaftler*innen von einer objektiven Wirklichkeit aus Wettbewerb, Kennzahlen und Prekarität zu überzeugen, auch wenn diese diskursiv konstruierte Realität mitunter stark von modernen kapitalistischen Produktions- und Beschäftigungsverhältnissen abweicht. Denn welches Unternehmen würde Geld in Humankapital investieren, ohne dafür eine Verwendung zu haben, und hochqualifizierte Arbeitskräfte über Jahrzehnte befristet beschäftigen? Die nicht mehr zeitgemäße BeschäftigungspolitikFootnote 4 in der deutschen Hochschullandschaft bildet jedoch die Basis eines unternehmerisch-managerialen Subjektivierungsregimes, weil akademische Prekarität für herrschende Subjekte des Managementdiskurses eine Gatekeeper-Funktion besitzt. Bei dieser Vorgehensweise wird die berufliche Unsicherheit vieler Wissenschaftler*innen genutzt, um einen gouvernementalen Zugriff auf deren Verhaltensweise herzustellen (vgl. Deutungsmuster „Prekarität als Normalität“; „Wissenschaftliche Karriere als persönlicher All-in“). Deutlich wird der fundamentale Stellenwert von strategisch nutzbar gemachter akademischer Prekarität an dem Verhältnis zwischen der Seinsverbundenheit und persönlichem Widerstand. Zwar erzeugen die Anrufungen des NPM-Diskurses ebenfalls bei den prekären Befragten ein Spannungsverhältnis, doch der individuelle Widerstand führt nicht wie bei den Interviewten mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag und anderen beruflichen Sicherheiten zum Umdeuten, Unterlaufen und Transformieren einer managerialen Wissens- und Identitätspolitik. So betrachten vorwiegend ent-prekarisierte Befragte High-Impact-Journalbeiträge nicht als Zeichen von wissenschaftlicher Qualität und entziehen sich über nicht-diskursive Praktiken einer Herrschaft über (bibliometrische) Kennzahlen, während prekäre Interviewteilnehmer*innen aufgrund ihrer beruflichen Unsicherheit empfänglicher für Herrschaftstechnologien und Subjektivierungsformen des Managementdiskurses sind. In diesem Kontext äußern sich subversive Verhaltensweisen zum Skript des Managementdiskurses in Form deutschsprachiger Monografien und der Verweigerung „mindestens zwei peer reviewed Artikel pro Jahr [zu] publizieren“ (Postdok Natur 3; vgl. Prof Recht; Prof Soz). Damit eröffnet und schließt die Seinsverbundenheit des Wissens Fluchtpunkte der Ent-Subjektivierung in einem Dispositiv neoliberaler Gouvernementalität.

Vor diesem Hintergrund wird das akademische Selbst in mehrfacher Hinsicht zu einem zentralen Problem in einem Dispositiv neoliberaler Gouvernementalität: Erstens problematisieren Vertreter*innen des Managementdiskurses nonkonforme akademische Verhaltensweisen als Ausgangspunkt für die Transformation von deutschen Hochschulen und ihren Angehörigen. Deutlich wird dieser Zusammenhang bei der Thematisierung einer mangelnden Leistungsfähigkeit von Wissenschaftler*innen (vgl. Deutschlandfunk 1999; HRK 1998c). Ein gewisses Maß an abweichendem Verhalten wird demnach nicht nur toleriert, sondern ist sogar notwendig. Denn ohne Gegenkräfte gibt es keinen Grund Macht auszuüben (vgl. Foucault 1987: 116). Zweitens formiert sich um das akademische Selbst ein Deutungskampf, denn in der sozialen Wirklichkeit herrscht Unklarheit darüber, wie Wissenschaftler*innen sein sollen und sind. Zum einen können diese Diskrepanzen zwischen akademischen Subjektivierungsformen und -weisen auf die Subjektivierungseffekte unterschiedlicher Diskurse im universitären Feld der BRD zurückgeführt werden. Hierbei handelt es sich vorrangig um einen Stellvertreter*innenkampf zwischen einem wissenschaftlichen Spezialdiskurs und dem NPM-Diskurs, der über akademische Subjekte ausgetragen wird. Zum anderen zeigt sich in der Deutungsmuster- und Subjektivierungsanalyse, dass Wissenschaftler*innen nicht nur stellvertretend aus der Position von Wissensordnungen denken und handeln, sondern mithilfe ihrer interpretativen Kompetenz Subjektivierungsformen umdeuten, unterlaufen und transformieren. So wird beispielsweise ein messbarer, bibliometrischer Impact zu einem „inhaltlichen Impact“ (Dok Natur 1) umgedeutet, wodurch sich die Befragte teilweise einer Herrschaft managerialer Kennzahlen entzieht. Letztlich wird das akademische Selbst zu einem Problem, weil Subjektivierungsformen nicht imstande sind, die Denk- und Handlungsweisen von Wissenschaftler*innen vollständig zu kanalisieren und zu steuern.

Demgemäß kann Foucaults (1987: 116) Annahme über das Verhältnis von Macht, Subjektivierung und (individuellem) Widerstand erweitert werden. Aus Macht ergeben sich neben Widerstand Fluchtpunkte, wodurch sich Akteur*innen temporär von Subjektivierungsformen emanzipieren. Auch wenn diese Ent-Subjektivierungsmomente in Form von subversiven Denk- und Handlungsweisen eine Ausnahme darstellen, sind sie dennoch vorhanden. Zunächst macht das Unbehagen über den Status quo bei sämtlichen Interviewteilnehmer*innen deutlich, dass die Macht des NPM-Diskurses einen persönlichen Widerstand erzeugt. Der Widerstand des Einzelnen resultiert aus unterschiedlichen Subjektivierungsformen und persönlichen Interessen. Denn fragt man Wissenschaftler*innen an der FU Berlin danach, was sie sich für ihre Arbeit wünschen, antworten die prekären Befragten berufliche Sicherheit (vgl. Electronic Supplementary Material). Währenddessen es den Interviewteilnehmer*innen mit unbefristeten Arbeitsverträgen und anderen beruflichen Sicherheiten mehr um die Freiheit geht, eigene wissenschaftliche Interessen zu verwirklichen. Demzufolge bilden Freiheit und Sicherheit zentrale Interessen der Befragten. Diese Interessen erzeugen sowohl zur Wissens- und Identitätspolitik des NPM-Diskurses als auch zu einem wissenschaftlichen Spezialdiskurs individuellen Widerstand. Da akademische Prekarität kein neues Phänomen ist, kann die Ursache des persönlichen Widerstands der Befragten in der Tradition der deutschen Hochschullandschaft verortet werden (vgl. Weber 2002 [1894 1922]: 477). Allerdings wird akademische Prekarität durch die Ökonomisierung der deutschen Hochschullandschaft unter NPM als Ressource der Menschenführung und Effizienzsteigerung erschlossen und verstärkt das persönliche Sicherheitsbedürfnis vieler prekär beschäftigter Wissenschaftler*innen (vgl. Lenk 2022). Aus diesem Grund geraten Wissenschaftler*innen in ein Spannungsfeld aus verschiedenen Interessen. Hierbei handelt es sich – zumindest aus der Perspektive des Managementdiskurses – um notwendigen individuellen Widerstand, weil dadurch (prekäre) akademische Subjekte mobilisiert werden, an einem inszenierten Wettbewerb um (sichere) Arbeitsplätze teilzunehmen (vgl. Deutungsmuster „Drittmittel als Rettung“; WR 2018b: 31). Im Verlauf des Ausscheidungswettbewerbs beuten sich die Befragten selbst aus. Diese Selbsttechnologie erzeugt die gegenwärtige Effizienz des deutschen Hochschulsystems. Ferner entstehen durch den persönlichen Widerstand einiger Befragter auch nicht-diskursive Praktiken, die zwar durch Anrufungen des NPM-Diskurses provoziert werden, aber sich dessen Wissens- und Identitätspolitik entziehen und teilweise auch unbeabsichtigte Effekte erzeugen.

An dieser Stelle nutzen privilegierte akademische Subjekte feudale Strukturen zur persönlichen Nutzenmaximierung, indem sie beispielsweise ohne Eigenleistung als Autor*innen von Journalartikeln aufgenommen werden und Doktorand*innen raten, kumulativ zu promovieren, um ihren Publikationsoutput zu steigern (vgl. Dok Natur 1; Postdok Natur 5). Darüber hinaus können andere nicht-diskursive Praktiken wie die Salamitaktik bis hin zu einer bewussten Datenmanipulation beobachtet werden. Hiermit versuchen Wissenschaftler*innen akademischen Subjektivierungsformen und persönlichen Interessen Rechnung zu tragen (vgl. Dok Natur 1; Postdok Geist 2; Prof Soz). Zwar erfüllen diese nicht-diskursiven Praktiken mitunter auch manageriale Kennzahlen, aber weder wissenschaftliches Fehlverhalten, „leistungsloser Erfolg“ (van Dyk & Reitz 2017: 68) noch die Ausbeutung Anderer ist im Skript eines Dispositivs neoliberaler Gouvernementalität vorgesehen. In den Zukunftsnarrativen des Managementdiskurses wird sogar das Gegenteil behauptet: Prekäre Beschäftigungsverhältnisse führen zu mehr Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Hochschullandschaft sowie zu einer Steigerung des Wohlstands und der Innovationsfähigkeit in der BRD (HRK 2009: 7 f.; 2011c: 4). Betrachtet man allerdings akademische Subjektivierungsweisen, werden die Versprechen des NPM-Diskurses nicht eingelöst. Vielmehr neigen Wissenschaftler*innen durch ihre berufliche Unsicherheit dazu, weniger wissenschaftliche Wagnisse einzugehen, was den Erkenntnisfortschritt behindert und auch nicht die Innovationsfähigkeit und den Wohlstand in der Gesellschaft steigert (vgl. Deutungsmuster „Prekarität als Normalität“). Außerdem begünstigt die berufliche Unsicherheit vieler Wissenschaftler*innen wissenschaftliches Fehlverhalten (vgl. Jun.prof Wirt 1). In diesem Kontext können die Apologeten des akademischen Quasi-Arbeitsmarktes entlarvt und die Annahme des WR (2005: 73 f.) über die Bestenauswahl durch einen Wettbewerb um (sichere) Arbeitsplätze aktualisiert werden: Der Ausscheidungswettbewerb hat zu einer Selektion derjenigen geführt, die sich am besten an die Anrufungen des akademischen Quasi-Marktes und die prekären Arbeitsbedingungen in der deutschen Hochschullandschaft anpassen sowie ihre eigenen Interessen über unternehmerisch-manageriale Infrastrukturen integrieren, modifizieren, übergehen oder transformieren können.

Damit wird eine balancierende akademische Persönlichkeit zur zentralen akademischen Subjektivierungsweise in einem Dispositiv neoliberaler Gouvernementalität. Diese Subjektivierungsweise dient als Scharnier zwischen verschiedenen Subjektivierungsformen und persönlichen Interessen. Mithilfe einer balancierenden akademischen Persönlichkeit gelingt es den Befragten, sich unternehmerisch-manageriale Fähigkeiten anzueignen und zum Teil traditionelle akademische Werte und Normen zu bedienen. Sichtbar wird das Nivellieren eines strukturellen Spannungsverhältnisses an Bezugsproblemen, denn unter den Befragten herrscht keine Eindeutigkeit dahingehend, wie man Lehre betrachten soll. Einerseits wird Lehre als Motivationsquelle gedeutet und die Einheit von Lehre und Forschung betont (vgl. Deutungsmuster „Lehre als Motivationsquelle“), andererseits wird Lehre von den Befragten infolge einer Marginalisierung in der Leistungsbewertung und im Wettbewerb als Belastung wahrgenommen (vgl. Deutungsmuster „Lehre als Belastung“). Durch diese sich konterkarierenden Deutungsmuster entstehen Handlungsambivalenzen, die die Befragten lösen, indem sie zwischen verschiedenen Anrufungen wie ein Pendel hin- und herschwingen. Mit diesem Balanceakt werden strukturelle Spannungen und individueller Widerstand weitestgehend ausgeglichen. Letztlich kann mit der Subjektivierungsweise einer balancierenden akademischen Persönlichkeit erklärt werden, warum persönlicher Widerstand nicht zwangsweise zu einem politischen Protest gegen ein Subjektivierungsregime im universitären Feld der BRD führt, sondern einerseits zu einem Anpassungsverhalten von Wissenschaftler*innen, die so lehren und forschen, dass manageriale Kennzahlen erfüllt werden. Und andererseits bedienen akademische Subjekte mit dieser Subjektvierungsweise Imperative eines wissenschaftlichen Spezialdiskurses und persönliche Interessen.

Der subjektive Kitt zwischen divergierenden Diskursen und persönlichen Interessen sind (Selbst-)Technologien, die in praktischen Handlungsvollzügen der (Selbst-)Ausbeutung sichtbar werden. Darum handelt es sich bei dem Subjektivierungsregime in der deutschen Hochschullandschaft gleichzeitig um ein Ausbeutungsregime, weil dessen Funktionalität durch die Ausbeutung der eigenen und der Arbeitskraft anderer akademischer Subjekte gewährleistet wird. Denn hielten sich Wissenschaftler*innen an ihre vertraglich festgelegte Arbeitszeit, würden strukturelle und individuelle Spannungsverhältnisse offen zutage treten. Ein fundamentaler Wandel wäre damit unausweichlich, weil Hochschulen und ihre Angehörigen nicht mehr handlungsfähig wären. Demzufolge wäre das wirksamste Mittel, um das Subjektivierungs- und Ausbeutungsregime rund um den Managementdiskurs mit seiner eigenen Ineffizienz zu konfrontieren, wenn sich Wissenschaftler*innen an ihre festgelegten Arbeitszeiten halten. Die empirischen Erkenntnisse der Analyse von akademischer Subjektivierung in einem Dispositiv neoliberaler Gouvernementalität lassen sich mit folgender Abbildung visualisieren (vgl. Abbildung 7.2: Akademische Subjektivierung im Dispositiv neoliberaler Gouvernementalität).

Abbildung 7.2
figure 2

Akademische Subjektivierung im Dispositiv neoliberaler Gouvernementalität

Vor dem Hintergrund dieser Abbildung kann konstatiert werden, dass akademische Subjektivierungsformen und -weisen in einem Dreieck aus einer Diskursformation, Praktiken/Herrschaftstechnologien und Vergegenständlichungen/Subjektivierung hervorgebracht werden. Dieses strategische Arrangement von Wissen, Macht und Subjektivierung sorgt dafür, dass sich Wissenschaftler*innen – ungeachtet einer Lohnabhängigkeit und Teilkaskomentalität – als Unternehmer*innen und Manager*innen auffassen. Die ökonomisierte Perspektive auf sich selbst und andere akademische Subjekte entsteht durch Erfolgssymbole und Subjektivierungsformen des Managementdiskurses. Die Vergegenständlichungen erzeugen allerdings bei den Befragten einen persönlichen Widerstand, weil die Wissens- und Identitätspolitik des NPM-Diskurses individuelle Interessen unterläuft und mitunter akademische Subjekte auffordert, mit traditionellen akademischen Werten und Normen zu brechen. Infolge dieser strukturellen und individuellen Interessenskonflikte entwickeln die Interviewteilnehmer*innen eine balancierende Subjektivierungsweise, mit der sie strukturelle Risiken ausgleichen. Auf diese Weise wird individueller Widerstand in die Diskursformation des Dispositivs neoliberaler Gouvernementalität in der deutschen Hochschullandschaft integriert. Das Nivellieren von strukturellen und individuellen Spannungen in einem akademischen Subjektivierungs- und Ausbeutungsregime wird an alltagspraktischen Handlungsvollzügen deutlich. Hier kann zwischen nicht-diskursiven und diskursiven Praktiken der Befragten unterschieden werden. Diskursive Praktiken sind diskurskonforme Denk- und Handlungsweisen, die keinen individuellen Widerstand zur Wissens- und Identitätspolitik des Managementdiskurses erzeugen. Nicht-diskursive Praktiken werden hingegen im Verhältnis zum NPM-Diskurs als nonkonforme Denk- und Handlungsweisen betrachtet. Hierbei kann zwischen zwei Arten von nicht-diskursiven Praktiken unterschieden werden: Erstere können trotz ihrer Nichtübereinstimmung zum Managementdiskurs in die Diskursformation des Dispositivs integriert werden. Bei diesen handelt es sich um nonkonforme Verhaltensweisen, die nicht-intendierte Effekte erzeugen, die wiederum von herrschenden Subjekten des Managementdiskurses zur Expansion genutzt werden. Insofern treiben nicht-diskursive Praktiken und unbeabsichtigte Folgen einen sozialen Wandel unter NPM im universitären Feld der BRD an, weil herrschende Subjekte des Managementdiskurses darüber – auch wenn es sich um selbstverursachte Probleme handelt – ihren Geltungsanspruch und ihre Deutungshoheit ausbauen können. Handelt es sich jedoch bei nicht-diskursiven Praktiken um subversive Denk- und Handlungsweisen, erzeugen diese einen persönlichen Widerstand, der sich nicht ohne Weiteres in die Wissens- und Identitätspolitik des Managementdiskurses einhegen lässt. Denn subversive Denk- und Handlungsweisen eröffnen einen Fluchtpunkt zur Ent-Subjektivierung in einem Dispositiv neoliberaler Gouvernementalität. Da es sich – zumindest in der Studie an der FU Berlin – lediglich um kurze Momente des Entziehens und des Aufbegehrens handelt, führt der individuelle Widerstand nicht zu einem Umsturz der sozialen Ordnung in der deutschen Hochschullandschaft, sondern zu einer Anpassung von akademischen Subjekten an die Wissens- und Identitätspolitik der Diskursformation des Dispositivs neoliberaler Gouvernementalität.