Die folgende Befragtenübersicht, die mithilfe einer Onlineumfrage während der Fallstudie an der FU Berlin generiert wurde, dient als Einstieg in die Analyse kollektiver Deutungsmuster und akademischer Subjektivierungsweisen (vgl. Tabelle 6.1: Befragtenübersicht).

Zunächst ist mithilfe der Tabelle 6.1 zu konstatieren, dass innerhalb der erhobenen Variablen eine Varianz herrscht, wodurch sich das Interviewmaterial zur Rekonstruktion von Deutungsmustern eignet (vgl. Ullrich 2020: 73). Insbesondere die Merkmale der Statusgruppe, Disziplin, Kind(er), Jahr Doktorgrad, Soll- und Ist-Arbeitszeit, Stellenfinanzierung, Beschäftigungsverhältnis und der Arbeitsvertragslaufzeit weisen eine mitunter hohe Streuung auf. Bei den Befragten im MittelbauFootnote 1 verfügen 73,7 Prozent über einen befristeten Arbeitsvertrag mit einer durchschnittlichen Arbeitsvertragslaufzeit von ca. 3,5 Jahren. Dies liegt innerhalb der deutschen Hochschullandschaft über dem Durchschnitt, denn hier beläuft sich die Arbeitsvertragslaufzeit bei 82,8 Prozent der Mittelbauangehörigen auf einschließlich drei Jahre (Ambrasat & Heger 2020: 10). Darüber hinaus sind fünf der Befragungsteilnehmer*innen im Mittelbau mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag angestellt. Die Befragten im Mittelbau an der FU Berlin dokumentieren damit auch eine geringere Befristungsquote als im bundesweiten Durchschnitt (ebd.: 5). 31,6 Prozent der Befragten befinden sich in einer Teilzeitbeschäftigung. Überdies kann der Befragtenübersicht entnommen werden, dass 60 Prozent der Stellen über Haushaltmittel der FU Berlin finanziert werden. Über Drittmittel finanzieren 28 Prozent der Studienteilnehmer*innen ihren Arbeitsplatz vollständig und mittels einer Hybridfinanzierung aus Dritt- und Haushaltsmitteln 12 Prozent. Weiterhin haben 52 Prozent der Befragten ein bis drei Kind(er). Ein Großteil der Studienteilnehmer*innen arbeitet über ihre vertraglich festgelegte Arbeitszeit hinaus. Insbesondere fünf der sechs TeilzeitbeschäftigtenFootnote 2 leisten mit durchschnittlich 16,8 Stunden zu einem erheblichen Teil unbezahlte Arbeit. Auffällig ist ebenfalls, dass sich insbesondere Doktorand*innen in einer Teilzeitbeschäftigung befinden und einen hohen Anteil unbezahlte Arbeit verrichten. Diese statusgruppenspezifische Verteilung von schlecht bezahlter Teilzeitbeschäftigung deckt sich mit den Beobachtungen der Wissenschaftsbefragung. Hier sind ebenfalls 60,2 Prozent der Promovierenden teilzeitbeschäftigt (Ambrasat & Heger 2020: 11). Daraus wird ersichtlich, dass die berufliche Lage der Befragten im Mittelbau – zumindest quantitativ betrachtet – besser ist als im bundesweiten Durchschnitt. An dieser Stelle sind folgende Fragen zu beantworten:

  • Wie deuten die Studienteilnehmer*innen ihre berufliche Situation und Arbeitsbedingungen?

  • Stehen diese Deutungsmuster in einem Spannungsverhältnis zur Wissens- und Identitätspolitik des Managementdiskurses?

Tabelle 6.1 Befragtenübersicht

Zunächst legen die quantitativen Befunde nahe, dass die Seinsverbundenheit des Wissens durch Arbeitsbedingungen im Kontext diverser Disziplinen und Statusgruppen zu status- und disziplinspezifischen Deutungsmustern führen (vgl. Mannheim 1985 [1929]: 233). Weiterhin lässt sich aus der Befragtenübersicht ein erster Hinweis darauf erkennen, dass sich sowohl befristet als auch unbefristet wissenschaftlich Beschäftigte selbst ausbeutenFootnote 4. Dadurch werden Traditionsnarrative des NPM-Diskurses konterkariert, weil hier mitunter unbefristet Beschäftigten unterstellt wird, faul zu sein (vgl. Deutschlandfunk 1999).

Die Befragtenübersicht zeigt gleichwohl eine gewisse Schieflage in der Verteilung der unterschiedlichen Statusgruppen und Disziplinen zugunsten von Postdoktorand*innen in den Naturwissenschaften. Dieser Umstand ist dem theoretical sampling mit seiner induktiven Vorgehensweise geschuldet, denn im Verlauf der Fallstudie zeigte sich, dass es äußerst schwierig war, Teilnehmer*innen aus den Sozial- und Rechtswissenschaften für die Studie zu gewinnen. In den Rechtswissenschaften konnten auf diese Weise beispielsweise mit 32 Interviewanfragen über einen Zeitraum von sechs Monaten lediglich zwei Interviewteilnehmer*innen gewonnen werden. Um den Verzerrungseffekt einer Überrepräsentation der Postdoktorand*innen in den Naturwissenschaften zu kontrollieren, werden persönliche Deutungen in der vorliegenden Analyse erst als kollektive Wissensbestände berücksichtigt, wenn Deutungsmuster bei mindestens fünf Befragten über drei verschiedene Disziplinen hinweg erkennbar werden. Weiterhin gestaltete es sich als schwierig, Doktorand*innen und (Junior-)Professor*innen zur Teilnahme an der Befragung zu motivieren. Im Fall der Doktorand*innen schien die mangelnde Teilnahmebereitschaft an Unsicherheit und Zeitknappheit gelegen zu haben. Bei den Hochschullehrer*innen wurden Absagen mit Zeitknappheit, Skepsis gegenüber der Studie bis hin zu Angst vor Repressionen seitens der Hochschulleitung und Drittmittelgeber*innen begründet. In diesem Zusammenhang berichtet eine angefragte Hochschullehrerin über einen persönlichen Konflikt mit einem Kollegen und dem Präsidium der FU Berlin – dazu hält sie resümierend fest: „Seitdem habe ich eher Angst vor der FU und würde mich eher ungern irgendwo äußern, wo mir auch noch,Widerstand‘ (zu dem ich ja nichts in der Hand habe) zugeschrieben wird“ (angefragte Hochschullehrerin).

Insgesamt wurden 107 Interviewfragen gestellt, von denen letztlich 25 Interviewteilnehmer*innen gewonnen wurden. Die Interviews wurden ausschließlich online über Zoom geführt und dauerten von 35 Minuten bis ca. zwei Stunden. Die induktive Vorgehensweise bei der Befragtenauswahl erwies sich zwar als zeitaufwendig. Jedoch ließ die Zwischenauswertung nach den ersten Interviews während der Datenerhebung Anpassungen im Fragebogen zu und förderte dergestalt einen Erkenntnisgewinn. Im Folgenden werden aus dem Interviewmaterial unter Berücksichtigung der Onlineumfrageergebnisse kollektive Wissensbestände zu zentralen Bezugsproblemen rekonstruiert.

6.1 Deutungsmuster und Subjektivierungsweisen von Wissenschaftler*innen an der Freien Universität Berlin

Insgesamt konnten aus den persönlichen Deutungen der Studienteilnehmer*innen 19 Deutungsmuster zu den Bezugsproblemen Arbeitsbedingungen, Drittmittel, Publikationen, Wettbewerb, Lehre, manageriale Steuerung, Wissenschaft sowie Wissenschaftler*innen gebildet werden. Dass es sich um Bezugsprobleme handelt, wurde während der Interviews durch kontroverse Diskussionen und beschriebene Handlungsambivalenzen im Arbeitsalltag der Befragten deutlich. Insbesondere die Arbeitsbedingungen in der deutschen Hochschullandschaft im Allgemeinen und an der FU Berlin im Besonderen sorgten bei den Studienteilnehmer*innen für Kontroversen, zu denen unterschiedliche Deutungen mit (nicht-)diskursiven Praktiken und nicht-intendierten Effekten entstanden. Die kollektiven Wissensbestände der befragten Wissenschaftler*innen an der FU Berlin lassen sich mit der folgenden Tabelle darstellen (vgl. Tabelle 6.2: Kollektive Wissensbestände von Wissenschaftler*innen an der FU Berlin zu zentralen Bezugsproblemen).

Tabelle 6.2 Kollektive Wissensbestände von Wissenschaftler*innen an der FU Berlin zu zentralen Bezugsproblemen

Bezugsproblem Arbeitsbedingungen

Die Arbeitsbedingungen im deutschen Wissenschaftssystem sind bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts prekär (vgl. Weber 2002 [1894–1922]: 477). Mit der Einführung von NPM verschärft sich die berufliche Unsicherheit vieler Wissenschaftler*innen in der deutschen Hochschullandschaft. Die Wissenspolitik des Managementdiskurses suggeriert, dass träge wissenschaftliche Mitarbeiter*innen und „faule Professoren“ (Deutschlandfunk 1999) lediglich durch Anreize eines (Ausscheidungs-)Wettbewerbs mobilisiert werden können, effizienter zu arbeiten (vgl. HRK 1998c). Vor diesem Hintergrund wird nutzbar gemachte akademische Prekarität zu einem neoliberalen Modus von akademischer Subjektivierung, woraus sowohl persönlicher Widerstand als auch balancierendes Anpassungsverhalten erwachsen (vgl. Lenk 2022). Von den Befragten wird Prekarität als Normalität betrachtet.

Deutungsmuster „Prekarität als Normalität“: Eine Postdoktorandin (Wirtschaft) stellt fest:

„Ich habe auch mein Problem mit dem akademischen Mittelbau. Das ist aber glaube ich nichts, was mit der Universität an sich zu tun hat, sondern das ist einfach unser Forschungs- und Wissenschaftssystem. Und da erzähle ich Ihnen auch nichts Neues, wenn ich Ihnen einfach sage, dass für Nachwuchswissenschaftler […] eine langfristige Planung schwer möglich ist und dass das natürlich zu einer gewissen Dropout-Rate führt, weil einfach bestimmte Lebenswege sich nicht damit vereinbaren lassen. Ich bin jetzt Mitte dreißig und ich habe befristete Arbeitsverträge und wenn ich in der Wissenschaftswelt bleiben möchte, dann werde ich auch in Zukunft noch befristete Arbeitsverträge für die nächsten Jahre haben und muss sozusagen in meiner persönlichen Lebensgestaltung entweder damit zurechtkommen oder das anders ausbalancieren, beispielsweise durch einen Ehepartner oder wie auch immer, Verhältnisse die mir erlauben, eine Sicherheit irgendwie in mein Leben zu bringen.“

Neben der Annahme, dass die Angehörigen des akademischen Mittelbaus schon immer von Prekarität betroffen waren und sich daran auch in Zukunft nichts ändern wird, spiegelt sich in der Aussage ein Anpassungsverhalten wider. Diese persönliche Anpassungsleistung an die prekären Arbeitsbedingungen im deutschen Hochschulsystem kann im Sinne des NPM-Diskurses als diskursive Praktik interpretiert werden.

In diesem Kontext werden die empirischen Befunde der vorliegenden Fallstudie genutzt, um Theorieangebote von diskursiven Praktiken zu schärfen (vgl. Bührmann & Schneider 2012: 47; Foucault 2015: 99; Keller 2011: 228). In der folgenden Analyse werden diskursive Praktiken als Vollzug von Handlungsskripten unterschiedlicher Diskurse verstanden, wodurch sich zwar verschiedene Handlungsoptionen ergeben, aber das Ziel einer Handlung von Diskursen determiniert wird. Demzufolge kann das „Ausbalancieren [von akademischer Prekarität] beispielsweise durch einen Ehepartner“ (Postdok Wirtschaft) als diskursive Praktik betrachtet werden, um sich an die Arbeitsbedingungen anzupassen und letztlich seine berufliche Unsicherheit als Normalität zu deuten. Eine weitere diskursive Praktik zur Anpassung an die prekäre berufliche Lage ist das kontinuierliche Einwerben von Drittmitteln, denn es stehen für einen Großteil der befristet beschäftigten Interviewteilnehmer*innen im Wesentlichen nur zwei Optionen für einen dauerhaften Verbleib in der deutschen Hochschullandschaft zur Verfügung: „Entweder man bleibt lebenslanger Postdok und bewirbt sich immer wieder auf Drittmittel und auf neue Stellen oder man strebt halt eine Professur an“ (Postdok Natur 6). Deswegen beeinflusst akademische Prekarität sowohl die wissenschaftliche Arbeitsweise als auch die private Lebensführung.

Es liegt zwar nahe, dass das Deutungsmuster – Prekarität als Normalität – überwiegend von Postdoktorand*innen verwendet wird, da „der Drittmitteldruck […] dort viel dramatischer [ist], weil eine ganze Reihe Postdoks die Stellen für sich selber einwerben müssen“ (Jun.prof Wirt 1). Aber auch Hochschullehrer*innen greifen auf dieses Deutungsmuster zurück, denn sie werden von der beruflichen Unsicherheit ihrer Mitarbeiter*innen tangiert. So erläutert der befragte Juniorprofessor, dass „die FU Berlin tendenziell wenig Haushaltsmittel zur Verfügung stellt, sprich irgendwann würde ich das Problem haben, dass ich keine Mitarbeiter hätte“ (ebd.). Folglich stellt das Einwerben von Drittmitteln zur (Weiter-)Beschäftigung von wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen unter den befragten Hochschullehrer*innen eine diskursive Praktik dar, um sich an nutzbar gemachte akademische Prekarität anzupassen. Des Weiteren passen sich die Befragten an ihre berufliche Unsicherheit an, indem sie sich einen „Plan B im Kopf zurechtlegen“ (Jun.prof. Wirt 2). Das Entwerfen von Ausstiegsplänen aus der Wissenschaft kann zudem als diskursive Praktik eingestuft werden, da der inszenierte Wettbewerb um sichere Arbeitsplätze zu einer „Bestenauslese“ (WR 2005: 73) führen soll.

Der Wettbewerb um knappe Ressourcen führt jedoch nicht nur zu einer vermeintlichen Auslese der besten Wissenschaftler*innen, sondern mitunter zu unbeabsichtigten Effekten, die durch nicht-diskursive Praktiken sichtbar werden. Auch an dieser Stelle kann eine etablierte Definition von nicht-diskursiven Praktiken mithilfe der empirischen Befunde verfeinert werden (vgl. Keller 2011: 256). Dazu dient folgendes Beispiel aus dem unerwünschten Umgang mit akademischer Prekarität:

„Ich bin so ein Warrior und wenn ich mehr Sicherheit hätte, dann hätte ich einfach so viel mehr Kapazitäten frei. Und diese Postdokfalle, dass mit dem fünfundvierzig und […] dann hast du keine Alternativen mehr. Da haben wir alle so viel Angst und ich sehe, dass das so lähmend ist […] [und] es ist nicht der richtige Wettbewerb, irgendetwas Produktives zu machen, also es gibt ja destruktive Energien und produktive Energien. Und ich glaube, es ist eher so etwas Destruktives diese Angst, die dich dann auch verzweifeln lässt und eventuell Datenfälschen, damit du halt auch irgendetwas hast, denn du hast ja keine Alternativen. Und wir wissen alle, dass alternativlose Menschen viel rücksichtsloser sind als andere, weil du halt nichts mehr zu verlieren hast“ (Dok Natur 1).

Dieser Aussage kann entnommen werden, dass akademische Prekarität nicht nur zu einer Mobilisierung wissenschaftlicher Arbeitskräfte sowie einer effizienten Arbeitsweise führt, sondern zudem wissenschaftliches Fehlverhalten provoziert und Konkurrenz verursacht (vgl. Lenk 2022: 155 f.). Insofern erzeugt die Erzählung einer Bestenauslese eine Selektion über die persönliche Anpassungsfähigkeit, denn „wenn du das evolutionsbiologisch betrachtest, werden da halt auch bestimmte Persönlichkeiten selektiert. Du könntest jetzt auch fragen, sind diese Persönlichkeiten skrupelloser, wenn es um die Manipulation von Daten geht, um ihr Ziel jetzt zu erreichen“ (Dok Natur 1). Mit diesen nicht-diskursen Praktiken werden sowohl Anrufungen des NPM-Diskurses durchkreuzt als auch jene eines wissenschaftlichen Spezialdiskurses, da Wissenschaftler*innen im Erkenntnisprozess gemeinsam und ohne Fehlverhalten voranschreiten sollten (vgl. Merton 1972: 51 ff.). Vor diesem Hintergrund können nicht-diskursive Praktiken als persönliche Handlungsweisen verstanden werden, die sich außerhalb diskursiv verordneter Handlungsweisen befinden, wodurch unbeabsichtigte Effekte entstehen können.

In diesem Zusammenhang stellt eine Doktorandin (Recht) fest: „Bei mir ist es eher so, dass Wettbewerbsdenken oder dieses klassische Ellenbogendenken mich eher an meiner Arbeit hindert.“ Die ungewollten Effekte von akademischer Prekarität führen schließlich zu einer geringeren Bereitschaft neues Wissen zu generieren, wie an folgender Aussage ersichtlich wird:

„Mich hat das nicht zu Wagnissen ermuntert, um jetzt irgendetwas ganz tolles auszuprobieren. Ich habe eigentlich immer geschaut, wie kann ich sicherstellen, dass ich überhaupt den nächsten Schritt erreichen kann. Also ich würde nicht sagen, dass es mich ermuntert hat, da irgendetwas Tolles zu machen. Immer dann, wenn ich eine Stelle hatte, wenn ich eine gewisse Sicherheit hatte und wusste, ich habe für die nächsten zwei, drei Jahre keine Sorgnis, dann habe ich geschaut, ok da gibt es noch viele tolle Möglichkeiten, es gibt Stipendien, zum Beispiel ins Ausland zu gehen, und dann habe ich mich auf so etwas beworben. Also da war ich dann eher kreativer und hatte mehr Freiheiten, auch im Geist mir Gedanken zu machen“ (Postdok Geist 3).

Diesbezüglich werden mit nicht-diskursiven Praktiken, wie die Vermeidung wissenschaftlicher Wagnisse, Narrative des Managementdiskurses unterlaufen, da hier davon ausgegangen wird, dass eine gezielte Prekarisierung mit akademischer Mobilität zu einer Steigerung der Produktivität führt (vgl. HRK 2004d: 4; WR 2006: 34; 2011a: 11 f.).

Es gibt jedoch auch Befragte, die durch ihre Prekarität mobilisiert werden, effizienter zu arbeiten, indem sie sich selbst ausbeutenFootnote 5. Die berufliche Unsicherheit führt allerdings bei einem Großteil der Betroffenen zu einer Minderung der persönlichen Leistungsfähigkeit und wissenschaftlichen Wagnisbereitschaft. Dies kann für den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt und die Gesellschaft problematisch werden, da die Wissenschaftsgeschichte zeigt, dass mitunter für neue Erkenntnisse, wie beispielsweise bei der Entdeckung von Penicillin, viel Zeit und berufliche Sicherheiten notwendig gewesen sind (vgl. Pieroth 1992). Es kann also festgehalten werden, dass die Vermeidung von wissenschaftlichen Wagnissen und „Ellenbogendenken“ (Dok Recht) zu unbeabsichtigten Effekten führen, welche durch nicht-diskursive Praktiken sichtbar werden, weil die Denk- und Handlungsweise der Studienteilnehmer*innen weder zum Skript des NPM-Diskurses noch zu Normativen eines wissenschaftlichen Spezialdiskurses passen.

Weiterhin fällt im Interviewmaterial auf, dass insbesondere die hoch intrinsisch motivierten Wissenschaftler*innen durch den Druck von akademischer Prekarität demotiviert werden und an persönlicher ErschöpfungFootnote 6 leiden. Einen Anhaltspunkt für den Zusammenhang von akademischer Subjektivierung und Erschöpfungskrankheiten liefert eine Juniorprofessorin (Wirt 2), indem sie feststellt:

„Ich stresse mich und drücke mich selber schon genug, also ich brauche das nicht mehr von außen […] und deshalb habe ich in der Doktorarbeit schon gemerkt, weil ich die ersten Kolleginnen und Kollegen hatte, die Probleme hatten, auch gesundheitlich durch den Druck und durch den Wettbewerb.“

Demgemäß wird akademische Prekarität für einen Teil der Studienteilnehmer*innen nicht zur Motivation, ihre Leistungsfähigkeit zu steigern, sondern zur Quelle der persönlichen Erschöpfung. Oder mit anderen Worten formuliert:

„Die Unsicherheit macht mich krank und macht mich unproduktiver. Ich weiß, dass wenn ich mehr Sicherheit habe, zum Beispiel jetzt gerade weiß ich, dass ich am Anfang von meinen drei Jahren stehe. Ich bin im Moment viel produktiver, ich bin viel optimistischer, ich bin viel waghalsiger, weil ich weiß, oh ich habe noch drei Jahre, ich habe noch Zeit. Ich habe Sicherheit, ich kann an diesem Ort bleiben. […] Das gibt mir Ruhe und macht mich produktiver. Der Stress macht mich unproduktiv und unglücklich und krank“ (Dok Natur 1).

Infolgedessen entstehen ungeachtet der Deutung von akademischer Prekarität als Normalität und persönlichen Anpassungsleistungen durch diskursive Praktiken ein individueller Widerstand durch nicht-diskursive Praktiken und ungewollte Effekte. Einerseits begründet sich darin die vorliegend vorgeschlagene Perspektive der Soziologie des individuellen Widerstands. Andererseits wird damit Foucaults (1978: 125 f.) Annahme widerlegt, dass eine binäre Unterscheidung zwischen Diskursiven und nicht-Diskursiven für die Untersuchung von Wissen und Macht wenig bedeutsam sei. Demnach lassen sich für die Unterscheidung zwischen diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken nicht nur theoretische Argumente finden, sondern ebenfalls eine Heuristik, die durch das empirische Material der Fallstudie an der FU Berlin fundiert wird (vgl. Bührmann & Schneider 2012: 14 f.; Waldenfels 1991: 281, 291).

Aus der Analyse des ersten Deutungsmusters kann folgende übergreifende Analysestruktur abgeleitet werden: Im ersten Schritt werden Differenzen zwischen persönlichen und diskursiven BegründungenFootnote 7 sowie Narrativen von (kollektiven) Wissensbeständen rekonstruiert, um anschließend den Fokus auf (nicht-)diskursive Praktiken und (nicht-)intendierte Effekte zu richten. Vor dem Hintergrund nicht-diskursiver Praktiken und unbeabsichtigter Effekte, die im Rahmen des Deutungsmusters „Prekarität als Normalität“ entstehen, wird von einigen Befragten die Karriere in der deutschen Hochschullandschaft auch als persönlicher „All-in“Footnote 8 (Dok Wirt) gedeutet.

Deutungsmuster „Wissenschaftliche Karriere als persönlicher All-in“: Dieses Deutungsmuster wird insbesondere von „Leute[n verwendet], die praktisch All-in direkt nach dem Master promovieren“ (ebd.). Hierbei handelt es sich um Studienteilnehmer*innen, die keine anderen beruflichen Sicherheiten als beispielsweise eine Berufsausbildung haben oder Chancen sehen, in einem anderen Feld beruflich tätig zu werden. Demnach spiegelt sich in der Perspektive der Befragten eine Alternativlosigkeit zur wissenschaftlichen Arbeit wider, weshalb die persönliche Karriere als hochriskantes Wagnis betrachtet wird. Für die akademische Karriere in der deutschen Hochschullandschaft gilt die Maxime: „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt“ (Dok Natur 1). Diesbezüglich aktualisiert das Deutungsmuster der „wissenschaftlichen Karriere als persönlicher All-in“ sowohl die Narrative eines wissenschaftlichen Spezialdiskurses als auch die sinnstiftenden Erzählungen des NPM-Diskurses mit ihren Versprechen einer Bestenauswahl durch einen Wettbewerb um Arbeitsplätze (vgl. Weber 2002 [1894–1922]: 477; WR 2005: 73 f.).

Mit dem persönlichen All-in kann eine erhöhte Opferbereitschaft unter den Studienteilnehmer*innen beobachtet werden (vgl. Dok Natur 1). Insbesondere die interviewten Wissenschaftlerinnen fühlen sich stärker aufgefordert, persönliche Opfer zu bringen als ihre männlichen Kollegen. So stellt eine Postdoktorandin (Soz) fest: „Das, was ich mache, das ist halt auch das Ergebnis von viel Wagemut (lacht), dass ich alles durchgehalten habe, irgendwie, wie gesagt als Frau ohne akademischen Background.“ Der Aussage kann entnommen werden, dass das Geschlecht und das (akademische) Elternhaus nicht nur an traditionellen Hochschulen zu Diskriminierungs- und Priviligierungsmomenten führt, sondern WissenschaftlerinnenFootnote 9 an unternehmerischen Hochschulen es zusätzlich schwer haben, den unternehmerisch-managerialen Subjektivierungsformen nachzukommen (vgl. Costas & Michalczyk 2018: 237 f.). Demnach wird soziale UngleichheitFootnote 10 im reformierten Hochschulsystem unter NPM verstärkt. Gleichzeitig kristallisiert sich in dem beschriebenen „Wagemut“ und dem „alles durchgehalten“ (Postdoktorandin Soz) eine diskursive Praktik heraus, da das persönliche Glücksspiel eine Widerstandskraft gegenüber prekären Arbeitsbedingungen als Zugangsvoraussetzung zur Wissenschaft nach sich zieht. Infolgedessen konstatiert ein Befragter, dass „eine Resistenz gegenüber allen Widrigkeiten, die einem entgegenfliegen vielleicht das Wichtigste [ist]“ (Postdok Natur 3). In diesem Zusammenhang strahlt die berufliche Unsicherheit bis in die private Lebensführung aus und lässt traditionelle Geschlechterrollen erodieren (vgl. Goebel 1997: 137 ff.),

„denn die Frauen, die ich kenne, die Familie haben wollen, können das nur mit einem Mann, der zurücksteckt, deswegen sage ich, für Männer ist es schon relativ viel einfacher, weil oft die Frauen dann einstecken und eben dann, wenn man Kinder haben möchte, dann meistens die Partnerin zu Hause bleiben muss. Einen Partner zu finden, der bereit ist, das andersrum zu tun, gibt es natürlich genauso, aber da muss man sich bei der Partnerwahl wirklich Gedanken machen“ (Dok Natur 1).

Bei der Suche nach einem*er Partner*in, der seine*ihre persönliche Karriere zurückstellt, sowie beim Verzicht auf Kinder handelt es sich um diskursive Praktiken. Die Betroffenen passen sich mit diesen Praktiken an die Anforderungen ihrer prekären Berufswelt an und gehen ein hohes persönliches Risiko ein, da sie trotz einer „Aufopferungsbereitschaft“ (Dok Natur 1) scheitern können. Aus diesem Grund eignen sich die Befragten Anrufungen der Subjektivierungsform von akademischen Entrepreneur*innen an, da sie eigenverantwortlich handeln und sich mit strukturellen Risiken persönlich arrangieren, um im reorganisierten deutschen Hochschulsystem erfolgreich zu sein (Peter 2017: 111).

Paradoxerweise sind diese Studienteilnehmer*innen teilweise zufrieden, „denn wenn du nicht glücklich bist, dann wirst du nicht die Kraft haben, all diese Opfer zu bringen, die für die Wissenschaft nötig sind“ (Dok Natur 1). Oder anders formuliert:

„Im Moment bin ich sehr zufrieden. Ich meine, es läuft vier Jahre. Ein Jahr ist jetzt schon rum. Es ist eine recht lange Zeit (lacht) von Anstellungen, die ich bisher hatte. Generell hätte ich schon gern eine feste Stelle, aber im Moment macht das Thema mir Spaß und das kollegiale Miteinander, meine Chefs, ist alles sehr gut“ (Postdok Natur 4).

Die Befragten mit einer hohen Arbeitszufriedenheit, intrinsischen Motivation, Risikobereitschaft und beruflichen Alternativlosigkeit greifen vermehrt auf Praktiken der „Selbstausbeutung“ (Postdok Natur 4) zurück, um nicht zu scheitern, weil „man natürlich daran interessiert [ist] diese Zeit, die man hat, effektiv zu nutzen, um daraus einmal etwas zu ziehen, wo man sich dann wieder weiter bewerben kann“ (Postdok Natur 6). Die Selbstausbeutung ruft allerdings keinen politischen Widerstand gegen ein unternehmerisch-manageriales Subjektivierungsregime hervor, dessen Angehörige mit wenig Geld viel leisten, sondern führt zu einem Anpassungsverhalten, da „man immer mehr arbeitet“ (Dok Natur 2) anstatt zu protestieren (vgl. van Dyk & Reitz 2017: 64). In diesem Kontext deutet ein Studienteilnehmer an, dass „es Stellen [gibt], die befristet sind und das ist eben die reine Ausbeutung“ (Postdok Geist 1). Legitimiert wird die Selbstausbeutung mit der Annahme, dass

„natürlich eine Befristung schon zu einer höheren Produktivität führt. Das sind halt die, die befristet sind, die verheizen sich selber noch stärker, weil halt im Prinzip immer dieses Damoklesschwert über einem schwebt und das schwebt bei mir auch noch darüber“ (Postdok Natur 5).

Insofern liegt es nahe, dass Initiativen wie „Frist ist Frust“ und Kampagnen wie „#IchBinHanna“ mit ihrem Anliegen bisher gescheitert sind, die prekäre Situation vieler Wissenschaftler*innen in der deutschen Hochschullandschaft zu verbessern (vgl. Bahr, Eichhorn & Kubon 2021; Neis 2020). Denn mit der Annahme, dass „eine Befristung schon zu einer höheren Produktivität führt“ (Postdok Natur 5), werden Narrative des NPM-Diskurses von Betroffenen reproduziert (vgl. HRK 1998c). Das Menschenbild der „faulen Professoren“ (Deutschlandfunk 1999) und der Langzeitstudierenden steht auch in einer Traditionslinie mit den Vorstellungen neoliberaler Klassiker (vgl. Hayek 1991: 76 f.; WR 2006: 91 f.). Deswegen wird ein Wettbewerb um (sichere) Arbeitsplätze inszeniert, um akademische Subjekte zu mobilisieren, effizienter zu arbeiten (vgl. WR 2005: 73 f.). Neben den diskursiven Praktiken mit den erwünschten Effekten einer Mobilisierung und Effizienzsteigerung kann ebenfalls eine Reihe nicht-diskursiver Praktiken und ungewollte Effekte rekonstruiert werden.

Zu den unerwünschten Folgen des Deutungsmusters des Karrierepokers zählt die Abwanderung hochqualifizierter akademischer Arbeitskräfte aus der deutschen Hochschullandschaft in andere Wissenschaftssysteme, denn „die [deutsche] Wissenschaft verliert extrem viele super gute Leute auch aufgrund dieser Beschäftigungsverhältnisse“ (Dok Natur 2). Und somit muss „man eine gute Wissenschaftlerin, Wissenschaftler gehen lassen […], weil man sonst in die Entfristung kommt, die die Uni nicht wünscht“ (Postdok Natur 1). Gemäß dieser Aussagen führt die nicht-diskursive Praktik des Abwanderns zum unbeabsichtigten Effekt des „brain drain“ (vgl. HRK 2004a: 6; WR 2010a: 123). Oder um es zuzuspitzen: Die strategische Prekarisierung von wissenschaftlicher Arbeit unter NPM führt nicht zu einer Internationalisierung der deutschen Hochschullandschaft, sondern zu einer effizienten Vernichtung von Humankapital, da akademische Prekarität eine Flucht von gut ausgebildeten Wissenschaftler*innen ins Ausland nach sich zieht und eine abschreckende Signalwirkung auf ausländische Wissenschaftler*innen entfaltet (vgl. HRK 2012c: 2). Besonders deutlich wird dieser Zusammenhang an der persönlichen Motivation eines Befragten, in die deutsche Hochschullandschaft zurückzukehren, indem er klarstellt: „Ohne Dauerstelle wäre ich nicht wieder in das Wissenschaftssystem zurückgegangen“ (Postdok Geist 2). Vor diesem Hintergrund bemerkt ein Privatdozent (Human):

„Ich erinnere mich noch, was mein alter Chef früher sagte als das Wissenschaftszeitgesetz dann verabschiedet wurde, […] da gibt es nur zwei Möglichkeiten, Taxifahrer oder ins Ausland gehen. Und viele sind auch tatsächlich, die ich kenne, ins Ausland übergewechselt, um diese Zeitbeschränkung zu umgehen.“

Wie schon bei dem ersten Deutungsmuster „Prekarität als Normalität“ wird durch das Karrierepoker wissenschaftliches Fehlverhalten provoziert. Grundsätzlich kann bei Fehlverhalten und akademischer Prekarität angenommen werden, dass es „wahrscheinlich eine Korrelation gibt, da die Befristung schon wahrscheinlich eine Rolle gespielt hat“ (Postdok Natur 5). Anders jedoch als bei Wissenschaftler*innen, die sich einen „Plan B im Kopf zurechtlegen“ (Jun.prof Wirt 2), erhöht das berufliche Wagnis die Wahrscheinlichkeit für wissenschaftliches Fehlverhalten, da „der Druck so groß wird, dass man geneigt ist, irgendetwas zu tun, um diesen Druck zu reduzieren“ (Jun.prof Wirt 1). Resümierend merkt eine Professorin (Soz) für die Karriere im deutschen Hochschulsystem an, dass „du auch flüchtiger [bist] oder schreibst gegebenenfalls auch einmal ab. Richtig hartes wissenschaftliches Fehlverhalten hatten wir jetzt gerade in unserem Fach, wenn das so stimmt. Das war für mich persönlich ein Rätsel.“ Dass das Fehlverhalten für die Befragte „ein Rätsel“ (ebd.) ist, liegt an ihrer exklusiven Sprecher*innenposition in der deutschen Hochschullandschaft, da die Professorin an einer mehrfach ausgezeichneten Exzellenzuniversität in leitender Position tätig ist. Dadurch spürt sie den Druck des Wettbewerbs um (sichere) Arbeitsplätze und Prestige nicht mehr so stark und wird folglich auch nicht durch ein hochriskantes berufliches Wagnis zu wissenschaftlichem Fehlverhalten hingerissen. Demzufolge können berufliche Sicherheiten die Wahrscheinlichkeit reduzieren, gegen grundlegende akademische Werte und Normen zu verstoßen. Weiterhin fördern berufliche Sicherheiten den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt, da Prekarität unproduktiver macht (vgl. Dok Natur 1). Unter akademischer Prekarität werden weniger wissenschaftliche Wagnisse eingegangen, weil Betroffene ihre Zukunft riskieren und nicht zusätzlich bereit sind, sich wissenschaftlich auf unsicheres Terrain zu begeben (vgl. Dok Recht; Postdok Geist 3; Postdok Soz).

Die zwei Deutungsmuster zum Bezugsproblem der Arbeitsbedingungen in der deutschen Hochschullandschaft verdeutlichen, dass die Seinsverbundenheit des Wissens die Denk- und Handlungsweise von akademischen Subjekten mitunter stark beeinflusst. Dies verleiht der folgenden Analyse eine gewisse Bodenhaftung, da das Interviewmaterial mit der Onlinebefragung fundiert wird. Aus diesem Grund lässt sich festhalten, dass kollektive Wissensbestände zum Bezugsproblem der Arbeitsbedingungen erheblich vom Beschäftigungsverhältnis, dem Geschlecht und der Statusgruppe abhängen. Folglich deutet eine befristet beschäftigte Postdoktorandin (Wirt) mit einer geringen Vertragslaufzeit und einer empfundenen beruflichen Alternativlosigkeit die Arbeitsbedingungen im deutschen Hochschulsystem als ein höheres persönliches Risiko als ein Doktorand (Wirt) in der gleichen Disziplin mit Berufsalternativen und einer längeren Vertragslaufzeit. Dessen ungeachtet ist akademische Prekarität eine Art Türöffner für neoliberale Herrschaftstechnologien des NPM-Diskurses, da über die berufliche Unsicherheit vieler Wissenschaftler*innen ein gouvernementaler Zugriff auf deren Verhaltensweise hergestellt wird. Sichtbar wird die Gatekeeper-Funktion von nutzbar gemachter akademischer Prekarität beim kontrovers diskutierten Thema Drittmittel.

Bezugsproblem Drittmittel

Deutsche Hochschulen sind mit einer sinkenden Grundfinanzierung zunehmend darauf angewiesen, dass ihre Angehörigen kontinuierlich und in einem steigenden Umfang Drittmittel akquirieren (vgl. Dohmen & Wrobel 2018: 87; van Dyk & Reitz 2017: 65 ff.). Innerhalb des Managementdiskurses gelten Drittmittel als Zeichen der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit von Hochschulen und deren Angehörigen (vgl. FU Berlin 2019b). Infolgedessen werden Drittmittel als Indikator zur Beurteilung der Qualität von wissenschaftlichen Leistungen herangezogen (vgl. DFG 2018: 13). Hier drängt sich die Frage auf: Wie positionieren sich akademische Subjekte in Bezug auf diese managerialen Praktiken und Deutungsangebote? Dahingehend wurden die interviewten Wissenschaftler*innen an der FU Berlin mit Deutungsmustern von herrschenden Subjekten des Managementdiskurses konfrontiert (vgl. FU Berlin 2019b). Eine wesentliche Aneignung von kollektiven Wissensbeständen des NPM-Diskurses entsteht durch das Deutungsmuster der Studienteilnehmer*innen, Drittmittel als persönliche Rettung zu betrachten.

Deutungsmuster „Drittmittel als Rettung“: Dieses Deutungsmuster wird insbesondere von Befragten verwendet, deren Stelle vollständig oder partiell über Drittmittel finanziert wird (vgl. Postdok Geist 1; Postdok Natur 4; 5; 6; Postdok Soz 1). Auch die Statusgruppe ist für diesen kollektiven Wissensbestand entscheidend, da überwiegend Postdoktorand*innen darauf zurückgreifen. In diesem Kontext bemerkt eine Studienteilnehmerin: „Wenn ich jetzt weiter an der Uni bleiben will, werde ich zwangläufig hundert Prozent von Drittmitteln abhängig, weil es einfach gar keine Postdokstellen gibt“ (Postdok Natur 6). Folglich müssen zum Verbleib in der deutschen Hochschullandschaft kontinuierlich Drittmittel eingeworben werden. Ansonsten ist man „raus aus dem Spiel“ (Postdok Natur 5). Aber auch Befragte anderer Statusgruppen stellen fest:

„Wir sind ein Institut, das eigentlich nur zwei Haushaltsstellen hat. Das sind einmal die Sekretärin und dann noch einmal eine, die in der Lehre eingebunden ist. Also selbst mein Chef, der den Lehrstuhl hat, der hat […] keine feste Stelle, was sehr ungewöhnlich ist. Und wir sind alle über Drittmittel finanziert und das macht natürlich einen enormen Druck, weil […] wir sind alle prekär. Und ja, das Institut existiert eigentlich nur durch diese Drittmitteleinwerbung“ (Dok Human 1).

Gemäß dieser Aussage kann das Einwerben von Drittmitteln als diskursive Praktik betrachtet werden – mit dem erwünschten Effekt, dass einige Studienteilnehmer*innen sich die politische Rationalität des NPM-Diskurses aneignen. Demzufolge entscheiden maßgeblich die „Regeln von diesem Wettbewerb“ (Jun.prof Wirt 1) und das „Buhlen um Drittmittel“ (Prof Human) über die berufliche Zukunft vieler Wissenschaftler*innen.

Außerdem führt die diskursive Praktik der Akquirierung von Drittmitteln zur persönlichen Anpassung an Partikularinteressen, um die berufliche Zukunft zu sichern. Zu diesem Zweck wird von einigen Studienteilnehmer*innen eine Antragsprosa verfasst, die gesellschaftspolitische Trends bedient, denn „diese Förderlinien […] geben schon thematisch bestimmte Richtungen vor“ (Jun.prof Wirt 2). Neben speziellen Thementrends passen die Befragten ihre Forschungsvorhaben an die Profile der Drittmittelgeber*innen an. Dazu

„muss [man] sich natürlich immer die Institutionen anschauen, die so die Gelder vergeben und jeder hat so ein bisschen Vorlieben, also ob die eher Grundlagenforschung betreiben oder eher angewandte Sachen und dann eben einen konkreten Outcome nach den drei Jahren haben wollen. Und je nachdem muss man den Antrag schreiben. Ich sage einmal, wenn ich jetzt den gleichen Antrag bei unterschiedlichen Institutionen einreichen würde, muss man den doch ein bisschen in die Richtung jeweils anpassen und den Outcome schmackhaft machen“ (Postdok Natur 6).

Zum „Outcome schmackhaft machen“ (ebd.) versprechen die Befragten Forschungsergebnisse. Dies wird insbesondere von drittmittelunabhängigeren Studienteilnehmer*innen kritisch betrachtet. So moniert ein interviewter Professor (Recht),

„wenn jemand Drittmittel einwirbt und sehr viele Drittmittel hat, dann ist es jemand, der die Wissenschaft zu einer Hure macht. […] Wissenschaft sollte unabhängig sein und wenn Wissenschaft […] von Geld abhängig ist, dann kann sie in irgendeine Richtung tendieren. Ich will auch da ein Beispiel geben, wenn Sie zum Beispiel gewerkschaftsnah forschen, dann werden Sie wohl kaum den Arbeitgebern Recht geben. Und wenn Sie arbeitgebernah forschen, dann werden Sie wohl kaum den Gewerkschaften Recht geben.“

Dieser Zusammenhang betrifft eine der zentralen Thesen der vorliegenden Arbeit. Es wird ersichtlich, dass diskursive Praktiken wie das Einwerben von Drittmitteln nicht zwangsläufig den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt steigern, sondern zu einem Anpassungsverhalten an Partikularinteressen und einer Verengung von wissenschaftlichem Wissen führen. Erhärtet wird die Annahme durch eine Befragte, die andeutet,

„dadurch, dass es im Grunde so einen großen Run gibt, und dadurch, dass die Drittmittel so knapp sind und man im Grunde auch immer beweisen muss, was die Vorarbeiten sind, gibt es da eigentlich wenig Mut zum Risiko. Ja es ist, weil man natürlich immer im Grunde sehr viel Vorleistung bringen muss. Das heißt, man bleibt sozusagen, wo man legitimieren kann, dass man das machen kann, man riskiert nicht unbedingt etwas Neues“ (Prof Soz).

Diese nicht-diskursive Praktik, wenig wissenschaftliche Wagnisse einzugehen, kann ebenfalls bei den Deutungsmustern des Karrierepokers und Prekarität als Normalität beobachtet werden, wodurch die Gatekeeper-Funktion von akademischer Prekarität bei neoliberalen Subjektivierungsprozessen im deutschen Hochschulsystem deutlich wird. Plausibilisiert wird die Annahme durch drittmittelunabhängigere Studienteilnehmer*innen, die im Interview klarstellen, „nicht mehr jeden Quatsch mit[zu]machen“ (ebd.) oder „nicht unreflektiert jedes Geld nehmen und dafür einfach eine Forschung machen, die man persönlich nicht vertreten kann“ (Postdok Geist 2). Einerseits bilden diese subversiven Verhaltensweisen weitere nicht-diskurse Praktiken, die den Managementdiskurs durch individuellen Widerstand erodieren lassen. Andererseits bleiben diese Fluchtpunkte in einem unternehmerisch-managerialen Subjektivierungsregime allein jenen vorbehalten, die über berufliche Sicherheiten in Form von unbefristeten Arbeitsverträgen verfügen und gering auf die Mittel von Dritten angewiesen sind (vgl. Befragtenübersicht: Postdok Geist 2; Prof Soz). Hier könnte vorschnell der Eindruck entstehen, dass sich die Befragten mit beruflichen Sicherheiten neoliberalen Herrschaftstechnologien vollkommen entziehen, was eine Ent-Subjektivierung zur Folge hätte. Dem ist jedoch nicht so. Die weniger prekär beschäftigten Studienteilnehmer*innen betrachten Drittmittel zuweilen als persönliche Freiheit.

Deutungsmuster „Drittmittel als Freiheit“: In diesem Zusammenhang bemerkt ein unbefristet beschäftigter Interviewteilnehmer, es

„wird natürlich immer gerne gesehen, dass man Drittmittel einwirbt. Ich habe jetzt auch gerade ein DFG-Projekt eingeworben und habe das aber weniger gemacht wegen der Drittmittel, sondern weil ich so eine Thematik ganz spannend fand. Und das haben die Gutachterinnen dann auch gesehen und dadurch kann ich jetzt einen Doktoranden einstellen, der zu einem Thema arbeitet, was ich spannend finde und dann hat man sozusagen wieder jemandem die Möglichkeit gegeben, sich weiter zu qualifizieren, deswegen habe ich das eigentlich vornehmlich getan. Und ich habe jetzt keinen Druck im dem Sinne, dass ich da alle vier Jahre da neue Projektmittel einwerben soll“ (PD Human).

Der Befragte wirbt Drittmittel demnach nicht zum Verbleib in der deutschen Hochschullandschaft ein wie jene Studienteilnehmer*innen, die Drittmittel als persönliche Rettung betrachten, sondern um seine (wissenschaftlichen) Interessen zu verwirklichen.

Neben der Verwirklichung von persönlichen Interessen nutzen insbesondere Hochschullehrer*innen die Mittel von Dritten, um mehr Räumlichkeiten und Mitarbeiter*innen zu erhalten, denn

„Drittmittel [sind] schon wichtig, um Forschung auch so voranzutreiben und die Ergänzungsausstattung ist schon auch ein Punkt, der einen auch Freiheiten gibt, bestimmte Sachen auch einmal zu machen, die jetzt nicht so einfach zu machen sind“ (Prof Soz).

Ein weiterer Hochschullehrer schließt sich der Aussage an, indem er konstatiert, dass

„die FU Berlin tendenziell wenig Haushaltsmittel zur Verfügung stellt, sprich irgendwann würde ich das Problem haben, dass ich keine Mitarbeiter hätte. Und das ist in der öffentlichen Universität ein Problem, weil die Strukturen hier schon so sind, man baut sich seinen Lehrstuhl auf. Es gibt bei uns in Wirtschaftswissenschaften so riesen oder so ganze Unternehmen, also so ganze Fürstentümer, die sich manche Professoren aufbauen“ (Jun.prof Wirt 1).

„Fürstentümer“ (ebd.) ist ein passendes Stichwort, warum Drittmittel von einigen Studienteilnehmer*innen mitunter auch noch als persönliche Freiheit betrachtet werden. In diesem Kontext nimmt eine Befragte Rekurs auf ein traditionelles akademisches Feudalwesen, das die Transformation des deutschen Hochschulsystems unter NPM überstanden hat (vgl. Reitz 2021). Demnach ist

„das Lehrstuhlprinzip in Deutschland […] irgendwie so Feudalwesen, wo es so viele Königreiche gibt und ich sehe natürlich die ganze Ökonomisierungsproblematik mit den Anträgen schreiben und den Ablehnungsquoten und so, dass ist schon alles irgendwie (..) total fürchterlich, […] aber vorher dieses feudalistische Prinzip, da würde ich jetzt auch nicht unbedingt hin zurückwollen“ (Postdok Soz).

Deswegen wirbt die Befragte Drittmittel ein, um sich von persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen zu Lehrstuhlinhaber*innen zu emanzipieren. Denn solange die Postdoktorandin Drittmittel akquiriert, legt sie ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte weitestgehend unabhängig von den Vorgaben der Lehrstuhlinhaber*innen fest. Dazu resümiert die Befragte:

„Ich habe mir ein großes Maß an Freiheit erkämpft und zwar ist das so, dass ich selber ausschließlich Drittmittelprojekte leite. Und das ist eher die Ausnahme als Regel oder das ist eine besondere Konstellation, weil bei den meisten BMBF-Projekten haben die Projektleitungen Lehrstuhlinhaber(.)innen. Die Projekte, zu den ich arbeite, da bin ich die Projektleiterin“ (ebd.).

Aus diesem Grund dient die diskursive Praktik des Drittmitteleinwerbens nicht alleinig der Umsetzung von Forschungsideen, sondern um „nicht von einem Prof abhängig [zu sein]“ (ebd.).

Demnach wurden die „verkrusteten Strukturen“ nicht, wie von Hornbostel (2011: 8) behauptet, erneuert, sondern sie werden vom NPM-Diskurs strategisch genutzt, um akademische Subjekte über ökonomische Anreize der Freiheit zu mobilisieren, unternehmerisch tätig zu werden. Hinter diesen Drittmittelanreizen verbirgt sich eine neoliberale Philosophie des Wettbewerbs, die sich die Befragten aneignen, denn von neoliberalen Klassikern wird angenommen, dass Freiheit in einem Wettbewerb um knappe Ressourcen entsteht und sich individuelle Freiheiten aus der unternehmerischen Tätigkeit der Akteur*innen auf einem (Quasi-)Markt ergeben (vgl. Eucken 1949: 27). Des Weiteren kann festgehalten werden, dass – zumindest auf der Mikroebene – keine „Entmachtung der Feudalherren“ (Reitz 2021: 69) und ein Wandel zur Prestigekonkurrenz stattgefunden hat. Vielmehr besitzen Professor*innen bei akademischen Subjektivierungsprozessen innerhalb von Lehrstühlen stets noch eine feudale Machtposition. Ansonsten würden wissenschaftliche Mitarbeiter*innen nicht versuchen, sich über die Anreizsysteme eines Drittmittelwettbewerbs von persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen zu Hochschullehrer*innen zu emanzipieren. Demzufolge wird das neoliberale Programm des „Konsumentenplebiszits“ (Röpke 1997: 52) mit dem kollektiven Wissensbestand, Drittmittel als persönliche Freiheit zu betrachten, verwirklicht, denn akademische Subjekte werben Drittmittel ein, um persönliche Interessen durchzusetzen. Zudem verpufft möglicher politischer Widerstand von Wissenschaftler*innen durch das „Konsumentenplebiszit“ (ebd.), denn Drittmittel werden als Infrastruktur genutzt, Interessen durchzusetzen, und als persönliche Freiheit gedeutet (ebd.).

Sichtbar wird dieser Zusammenhang ebenfalls an Verhandlungen über Lehrverpflichtungen zwischen der Hochschulleitung und Professor*innen, die mit einem Lehrdeputat von neun Semesterwochenstunden und Verpflichtungen in der akademischen Selbstverwaltung nur sehr wenig Zeit für persönliche Forschungsvorhaben aufweisen (vgl. Prof Soz). Infolgedessen werden Betroffenen unter der Voraussetzung, viele Drittmittel einzuwerben, zusätzliche Forschungsfreisemester angeboten, mit denen sie ihre wissenschaftlichen Interessen verwirklichen können, weil sie von ihren Lehrverpflichtungen entbunden werden. An dieser Stelle berichtet ein Postdoktorand (Geist 2) davon,

„dass, wenn man eine gewisse Menge an Drittmitteln einwirbt, dass man dann weniger Lehre machen muss. Huijuijui, ja (lacht), das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Also das trägt sehr dazu bei, dass man Lehre als eine Bürde ansieht, von der man sich frei kaufen kann, wenn man sehr erfolgreich in der Forschung ist. Also viele Drittmittel eingeworben, heißt, du musst dich nicht mehr mit diesen lästigen Studierenden rumschlagen.“

Dementsprechend führen Praktiken von herrschenden Subjekten des Managementdiskurses nicht zwangsläufig zu einer Qualitätssteigerung in Lehre und Forschung, sondern dass Hochschullehre zugunsten von höher anerkannten Forschungstätigkeiten abgewertet wird (vgl. WR 2010a: 107). Deshalb avancieren Drittmittel bei den Studienteilnehmer*innen zum Zeichnen der persönlichen Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit, da „Forschung das Maß aller Dinge [ist]. Ja, so für die Studierenden, würde ich sagen […], das sind eher die Verlierer in dieser Gleichung“ (Postdok Geist 3).

Deutungsmuster „Drittmittel als Zeichen der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit“: Bei diesem kollektiven Wissensbestand findet eine persönliche Aneignung der Wissenspolitik des NPM-Diskurses statt, da Drittmittel hier ebenfalls zur Bewertung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit herangezogen werden (vgl. HRK 1998b; WR 2010b: 25 f.). Folglich ist es als Wissenschaftler*in so, „wenn du Drittmittel bekommst, dann zeigst du, wie wettbewerbsfähig du bist“ (Dok Natur 1). Dieses Deutungsmuster wird von den Studienteilnehmer*innen unabhängig von ihrer Statusgruppe, Disziplin und Drittmittelabhängigkeit reproduziert, weshalb auch ein sonst eher kritischer Hochschullehrer konstatiert,

„den Wettbewerb selber sehe ich nicht negativ. Ich sehe den Wettbewerb durchaus positiv, denn er führt dazu, dass eben Ideen und Vorstellungen der Hochschullehrenden dann auch umgesetzt werden in Anträge. Das war früher nicht immer so. Da hatte man dann entsprechende Gelder schon von vornherein zur Verfügung oder man hatte überhaupt keinen Antrag gestellt, wenn man sich gedacht hat, wozu das Ganze, schreibe ich einen Aufsatz, reicht schon. Heutzutage ist man durch den Wettbewerb auch sehr viel ambitionierter geworden“ (Prof Recht).

In der Aussage des Befragten wird ein Rekurs zu Krisennarrativen des NPM-Diskurses hergestellt, die beispielsweise eine traditionelle Mittelverteilung „mit der Gießkanne“ (DFG 2009) problematisieren und damit den Drittmittelwettbewerb sinnstiftend für akademische Subjekte erklären. Dementsprechend wird es von einem Großteil der Studienteilnehmer*innen akzeptiert, dass „wir uns mit allen Universitäten und allen Fachbereichen in einem irgendwie gearteten Wettbewerb um Drittmittel befinden [und] klar kann man die Bilanz am Ende als eine Art Erfolg dafür ansehen“ (Postdok Geist 2). Die gängigste diskursive Praktik zur Steigerung der persönlichen Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit stellt somit das Einwerben von Drittmitteln dar.

Kreative Umdeutungen der Anrufung, Drittmittel einzuwerben, führen mitunter zu nicht-diskursiven Praktiken, von denen insbesondere Wissenschaftler*innen in einem fortgeschrittenen Karrierestadium Gebrauch machen. Hier ist von Postdoktorand*innen und Juniorprofessor*innen die Rede, die sich an eingeworbenen Drittmitteln messen lassen müssen. In diesem Zusammenhang „sind Drittmittel natürlich eine ganz wichtige Voraussetzung dafür, eine unbefristete Stelle an der Uni zu bekommen, also ich glaube, eine W3 oder eine W2 kriegt man nicht, wenn [man] nicht auch schon erfolgreich eingeworbene Drittmittel vorweisen kann“ (Prof Human). Dieser Eindruck wird von einer Juniorprofessorin bestätigt, indem sie sich auf ihre bevorstehende Leistungsevaluierung im Kontext eines gescheiterten Drittmittelantrags bezieht und davon ausgeht, „also wenn ich das jetzt geschafft hätte, wäre eigentlich alles klar gewesen“ (Jun.prof Wirt 2). Gelegentlich greifen ebenfalls unbefristet beschäftigte Hochschullehrer*innen auf nicht-diskursive Praktiken zurück, um ihre Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Dahingehend werden persönliche Konflikte zwischen Wissenschaftler*innen, die sowohl durch wissenschaftliche Kontroversen als auch durch die Konkurrenz um Drittmittel entstehen, über Begutachtungsverfahren von Drittmittelprojekten ausgetragen. Es kommt also vor, dass

„Gutachter auch schon einmal versuchen, eigene Leute reinzubringen, wenn die zum Beispiel sehr gute Kontakte mit irgendwelchen Analytiklabors haben. Dann werden die eigenen Leute die Analytik machen, wenn man so ein Projekt aufbaut, die werden dann plötzlich als kompetenzlos dargestellt und viel besser sind die und die. Und wenn man dann einmal genauer hinschaut, da merkt man, die arbeiten zusammen“ (Postdok Human).

Von den Folgen der nicht-diskursiven Praktik des strategischen Abwertens anderer in Begutachtungsprozessen sind besonders junge Wissenschaftler*innen ohne eine exklusive Sprecher*innenposition betroffen. Demnach hat

„ganz viel von dem, wie Drittmittel vergeben werden […], mit Politik zu tun [… und] damit zu tun, an welchen Reviewer du gerätst. Und auf meine Disziplin bezogen, die ist so klein, da kennt jeder jeden und da gibt es nichts, was objektiv bewertet ist. Wenn du Pech hast, landest du bei einem Reviewer, der dich halt nicht leiden kann oder der weiß, dass du an etwas forscht, was ein bisschen gegenteilig zu dem ist, was er gerne vertreten will, der wird dir ganz bestimmt keinen positiven Review ausdrücken. Und dann hast du halt einen negativen Output und kriegst die Drittmittel nicht, das heißt nicht, dass du nicht wettbewerbsfähig bist, das heißt, dass du wettbewerbsfähig bist in diesem Konstrukt und deine Position verteidigst und das deswegen nicht bekommst, weil du Pech hast und an die falsche Person geraten bist. Da ist ganz viel Glück dabei“ (Dok Natur 1).

Die nicht-diskursive Praktik des strategischen Abwertens anderer Wissenschaftler*innen in Begutachtungsprozessen führt also zu persönlichem Widerstand und dadurch wird das vorliegende Deutungsmuster mitunter erodiert. Ein anderer Befragter bemerkt entsprechend, dass

„man jetzt auch irgendeinen interessanten Vorschlag machen [muss], aber dann trifft man bei den Gutachtern auf jemanden, der das auch so sieht oder hat man das probiert, in irgendwelche Schulen reinzutappen, wo dann die Gegenschule das gerade ganz fürchterlich findet und so weiter. Also da gibt es auch total viel Kontingenz“ (Postdok Geist 1).

Weiterhin wird der Drittmittelerfolg und die persönliche Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Studienteilnehmer*innen durch soziales Kapital beeinflusst. Soziale Beziehungen zu Gutachter*innen, die Mitgliedschaft in Wissenschaftler*innengruppen und die erfolgreiche Durchführung von Drittmittelprojekten sorgen für eine gewisse Kreditwürdigkeit bei Drittmittelgeber*innen und führen damit zu Wettbewerbsvorteilen von älteren, etablierten Wissenschaftler*innen (vgl. Prof Recht). Darüber hinaus verstärkt der Matthäus-EffektFootnote 11 im Drittmittelwettbewerb traditionelle Abhängigkeitsverhältnisse, da junge Wissenschaftler*innen auf das symbolische Kapital etablierter Wissenschaftler*innen angewiesen sind (vgl. Merton 1988: 616). In diesem Zusammenhang deutet eine Postdoktorandin (Soz) an,

„also vielleicht hätte ich es ohne meinen Prof nicht geschafft, der einen großen Namen hat und eine große Expertise. Und irgendwie braucht es aber einen etablierten Dampfer beim BMBF, so innovativ (lacht) sind die dann auch nicht, dass die da jetzt irgendwie so einer relativ jungen Frau so alleine die ganz große Verantwortung geben.“

Durch die nicht-diskursiven Praktiken in Begutachtungsverfahren wird das neoliberale Glücksversprechen der Chancengleichheit im inszenierten Wettbewerb der deutschen Hochschullandschaft nicht verwirklicht (WR 1996: 62). Vielmehr legen die Beobachtungen der Studienteilnehmer*innen nahe, dass es eine „Startgerechtigkeit“ (Rüstow 1949: 153) in der deutschen Hochschullandschaft nie gegeben hat und somit der Wettbewerb um Drittmittel, die Analogie eines fairen, sportlichen Wettkampfs, verfehlt. Möchte man Rüstows (ebd.) Vergleich aktualisieren, offenbaren die empirischen Erkenntnisse einen Wettlauf, bei dem ein Teil der Läufer*innen kurz vor der Ziellinie startet. Die restliche Teilnehmer*innenschaft befindet sich, mit einer Bleiweste ausgestattet, hinter der Startlinie. Einen wesentlichen Grund dafür bildet die fehlende Nivellierung akademischer Feudalverhältnisse. Durch diese feudalen Strukturen verstärkt ein staatlich inszenierter Wettbewerb den Matthäus-Effekt in der deutschen Hochschullandschaft, weil akademische Subjekte mit einer exklusiven Sprecher*innenposition traditionelle Abhängigkeitsverhältnisse und soziales Kapital nutzen, um ihre persönliche Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Darüber hinaus werden Drittmittel auch als Statussymbol betrachtet.

Deutungsmuster „Drittmittel als Statussymbol“: Mit diesem Deutungsmuster wird Reitz’ (2021: 69) Annahme gestützt, dass „die akademische Prestigekonkurrenz die Spielräume der zuvor kaum kontrollierten Ordinarien ein[hegt]“. Dieses Deutungsmuster wird überwiegend von drittmittelunabhängigeren Befragten genutzt, die Drittmittel nicht als Rettung einwerben, sondern aus Prestigegründen (vgl. Deutungsmuster „Drittmittel als Rettung“). Dazu bemerkt eine Studienteilnehmerin, dass Drittmittel „finanziell […] jetzt nie eine Rolle gespielt [haben], es war eher so eine Prestigesache (lacht), dass man eine bestimmte Förderung bekommt“ (Dok Recht). Auch bei diesem kollektiven Wissensbestand handelt es sich um eine Aneignung der Wissenspolitik des Managementdiskurses, da hier davon ausgegangen wird, dass der Drittmittelerfolg etwa bei der DFG über das Renommee von Wissenschaftler*innen und Hochschulen entscheidet (vgl. WR 2010b: 25 f.).

Infolge dieser Bewertungsprozesse entstehen Rankings, die als diskursive Praktik betrachtet werden können, da nicht nur Hochschulen über den Erfolg bei bestimmten Drittmittelgeber*innen bewertet werden, sondern auch akademische Subjekte die Drittmittelgeber*innen über eine Rangordnung bewerten (HRK 2015a: 3). Somit sind Mittel der DFG und des ERC mit besonders viel Prestige verbunden, weil der „Wettbewerb [da] doch ziemlich hart ist, also dass da einen der Wind schon ins Gesicht bläst“ (Postdok Human). Durch das Prestige bestimmter Drittmittelgeber*innen ist das Renommee der Antragsteller*innen mitentscheidend für den Erfolg des Drittmittelantrags, denn bei

„DFG-Karrieren, die mit kleinen Projekten beginnen und dann, wenn man sich erfolgreich ein kleines Projekt eingeworben hat, dann hat man sich ein Renommee aufgearbeitet in der DFG und dann kann man das nächste Projekt akquirieren“ (Jun.prof Wirt 1).

Eine andere Studienteilnehmerin bemerkt, dass es

„eine qualitative Unterscheidung von Drittmitteln [gibt] und das finde ich auch ganz interessant. Also ich war gerade vier Jahre als Juniorprofessorin an der Uni Augsburg und da wurde bei den Overheads von Drittelprojekten pari pari zwischen der Verwaltung und mir aufgeteilt, das heißt, ich habe zum Beispiel für ein BMBF-Projekt zehn Prozent bekommen, aber an der FU gibt es zweikommafünf Prozent. Und es gibt aber fünfzehn Prozent zum Beispiel für ERC Grants, das heißt, da werden zusätzliche Anreize gesetzt, um eben bestimmte Drittmittel auch einzuwerben“ (Prof Human).

Einerseits kann diese „qualitative Unterscheidung von Drittmitteln“ als diskursive Praktik von herrschenden Subjekten einer unternehmerischen Hochschule verstanden werden, die mit strategischen Anreizen versuchen, auf die Verhaltensweisen ihrer Angehörigen einzuwirken. Anderseits eignen sich akademische Subjekte diese diskursive Praktik an, um sich selbst und andere Subjekte aufgrund akquirierter Drittmittel zu bewerten. Die persönliche Prestigebewertung ist über das Renommee von Drittmittelgeber*innen an den Selbstanspruch der Befragten gekoppelt, denn „wenn es eher ein wissenschaftlicher Anspruch ist, dann Deutsche Forschungsgemeinschaft und andere Kandidaten. Wenn es eher ein praxisrelevantes Thema ist, dann BMBF und andere Bundesministerien“ (Prof Wirt). Insofern versieht das Hochschulmanagement der FU Berlin prestigeträchtige Drittmittelgeber*innen wie die DFG und das ERC mit stärkeren Anreizen als das BMBF, weil dadurch wissenschaftliche Exzellenz und kollektive Statussymbole hergestellt werden. Mitunter wird das persönliche Renommee in Form von Besoldungsgruppen bei Begutachtungsprozessen im Rahmen der Exzellenzstrategie sichtbar und ist mitentscheidend für den Antragserfolg, denn

„diese Unterscheidung in W2- und W3-Professuren, also wir machen genau die gleiche Arbeit und kriegen irgendwie tausend bis zweitausend Euro weniger Lohn und genießen vielleicht auch noch einmal ein anderes Ansehen, was jetzt zum Beispiel auch im Zuge der Exzellenzinitiative deutlich wird, wo dann zwischen Antragstellenden zwischen W2- und W3-Stellen unterschieden wird, auch wenn beide unbefristet sind“ (Prof Human).

Darüber hinaus werden Drittmittel als Statussymbol bei Berufungskommissionen relevant, wohingegen Hochschullehre für das Renommee angehender Hochschullehrer*innen lediglich eine untergeordnete Rolle spielt. Im Kontext prestigeträchtiger Drittmittel stellt eine Juniorprofessorin (Wirt 2) fest, „wenn die Wahrnehmung ist, man kann nur Karriere machen, wenn man in Drittmittel und in Forschung Zeit investiert, dann wird die Lehre eben immer weiter hinten runterfallen“. Folglich kann die nicht-diskurse Praktik des Abwertens von Lehre als unbeabsichtigter Effekt eines zentralistischen Prestigewettbewerbs und von managerialen Bewertungspraktiken über Kennzahlen in Berufungskommissionen betrachtet werden. Dementsprechend führt die Aneignung der Anrufungen des NPM-Diskurses bei den Befragten nicht zu einer Qualitätsverbesserung in Lehre und Forschung, sondern zu einem Anpassungsverhalten an Kennzahlen, die Statussymbole in der deutschen Hochschullandschaft erzeugen und auf diese Weise die Deutungen akademischer Subjekte beeinflussen. Im Kampf um Prestige durch Drittmittelforschung übertragen einige Hochschullehrer*innen auch wenig angesehene Arbeitsaufgaben auf ihre Mitarbeiter*innen. Dies führt dazu, „dass der Mittelbau natürlich sozusagen gekniffen ist, weil da sehr viel an Verwaltungs- und Lehraufgaben hängenbleibt, die Professorinnen und Professoren gerne delegieren“ (PD Human). Einerseits wird hier eine Intergouvernementalität durch ein akademisches Feudalwesen und einen zentralistischen Wettbewerb um knappe Ressourcen und Prestige sichtbar. Anderseits offenbart die nicht-diskursive Praktik – schlecht angesehene Verwaltungs- und Lehrtätigkeiten zu delegieren – ein Herrschaftsverhältnis zwischen beherrschten und herrschenden akademischen Subjekten, die qua ihres Drittmittelerfolgs und durch traditionelle Abhängigkeitsverhältnisse Macht in der deutschen Hochschullandschaft ausüben. Damit herrschen privilegierte akademische Subjekte nicht über Diskurse, aber durch eine Intergouvernementalität, die aus einer Verbindung des wissenschaftlichen Spezialdiskurses mit Herrschaftstechnologien des NPM-Diskurses entsteht.

Mitunter löst die nicht-diskursive Praktik, Lehre zugunsten von prestigeträchtiger Drittmittelforschung zu vernachlässigen, bei den Studienteilnehmer*innen individuellen Widerstand aus, weshalb ein Befragter moniert, dass „Wissenschaft laut Definition Forschung und Lehre [ist]“ (Postdok Natur 5). Folglich führt das vorliegende Deutungsmuster nicht nur zu weniger Ansehen der Hochschullehre, sondern auch zu einem persönlichen Konflikt mit verinnerlichten traditionellen akademischen Werten und Normen. Im Kontext des individuellen Widerstands zwischen angesehener Drittmittelforschung und traditionellen akademischen Imperativen in der deutschen Hochschullandschaft stufen einige Studienteilnehmer*innen Drittmittel auch als Ressourcenverschwendung ein.

Deutungsmuster „Drittmittel als Ressourcenverschwendung“: Auf dieses Deutungsmuster wird vorwiegend von interviewten Postdoktorand*innen und (Junior-)Professor*innen zurückgegriffen, die zumeist weniger persönliche Ressourcen wie Zeit besitzen und sich stärker mit traditionellen Imperativen identifizieren als Doktorand*innen (vgl. Merton 1972: 48–55). Oder in anderen Worten:

„Der Wettbewerb ist immens für die akademische Karriere, das heißt, man hat einen gewissen Zugzwang, auf der Forschungsseite deutlich zu performen. Auf der anderen Seite ist es aber so für mich persönlich, dass die Lehre nicht ausgespannt werden kann. Also für mich als Hochschulmitarbeiter ist die Lehre essenzieller Bestandteil und ich würde gerne mehr Zeit investieren, um sie besser zu machen“ (Postdok Wirt).

Gleichzeitig bemerkt ein interviewter Hochschullehrer: „Mir fehlt manchmal die Zeit, vollumfänglich Probleme zu analysieren, also insbesondere seitdem ich Professor bin (lacht)“ (Prof Wirt). Die Zeitknappheit in Lehre und Forschung wird von den Betroffenen auf Tätigkeiten in der Drittmittelakquise zurückgeführt. In diesem Zusammenhang stellt ein Studienteilnehmer fest,

„je höher man nachher intern klettert, desto mehr wird man dann natürlich Manager und desto weniger Forscher. Da kenne ich halt Kollegen, die machen im Prinzip den ganzen Tag nichts anderes als Managing, teilweise bis runter ins Mikromanaging. Also das ist dann immer überraschend, was die dann noch so zeitlich hinkriegen. Bei anderen, die dann in den oberen Bereich unterwegs sind W3 oder so, die kriegen das beides immer noch ganz gut vereint. Also so ein W3 Professor, der ist dann nicht mehr primärer Betreuer, weil das geht zeitlich nicht, sondern er hat dann irgendwo aus der Mittelebene noch einen Promovierenden oder einen Postdok dazwischen geschaltet, der dann primär natürlich dafür verantwortlich ist“ (Postdok Natur 5).

Der Wandel von Forscher*innen zu (Drittmittel-)Manager*innen führt mitunter zum Delegieren von Forschungsarbeit, weil sonst die Zeit für arbeitsaufwendige Managementtätigkeiten rund um die Drittmitteleinwerbung zu knapp wird. Dieses Anpassungsverhalten verschlechtert die Betreuungssituation, da Wissenschaftler*innen in Qualifikationsphasen sowie Studierende sich teilweise selbst überlassen werden. Auch ein Juniorprofessor thematisiert, wie sich sein Problem mit dem Drittmittelmanagement in seinem Karriereverlauf zugespitzt hat:

„Ich fange an als Doktorand, man nimmt noch nicht wahr, dass man mega viele Freiheiten hat, dass ich super viel Zeit auf ein Projekt legen kann. Dann beginne ich aber als Professor zunehmend Manager zu werden, weil es darum geht, ich muss Projekte einwerben, ich muss Projekte managen. Das nimmt schon immer mehr Zeit ein […] und man erwartet obendrein, dass man weniger selber Daten sammelt und mehr dann das Management von Leuten macht, die Daten sammeln. Und das ist ärgerlich“ (Jun.prof Wirt 1).

Ein weiterer unbeabsichtigter Effekt der diskursiven Praktik des Projektmanagements ist eine Demotivation von erfahrenen und hochqualifizierten akademischen Arbeitskräften, da „man manchmal so einen gewissen Überhang an Papierarbeit [hat], der so anfällt. Das ist jetzt nicht so extrem motivierend, weil es auch mit der Wissenschaft nichts zu tun hat“ (Postdok Natur 5). Darum betrachten einige Studienteilnehmer*innen das Management rund um Drittmittelprojekte als einen

„großen Verlust, [weil] Professoren im Grunde Drittmittelmanager sind. Wir haben […] nicht die Zeit, um in den Projekten wirklich mitzuarbeiten, was auch eine merkwürdige Asymmetrie dann doch ergibt. Man kann eben nicht drei, vier Projekte bearbeiten inhaltlich, eigentlich nicht einmal zwei. Aber im Grunde wird das erwartet und da das alle machen und alle sollen, einschließlich der Hochschulen und das ist, glaube ich das Neue […]. Damit haben wir jetzt seit fünfzehn Jahren so massiv zu tun. Und da auch die Bewertung der Universitäten daranhängt und das Standing und die Hierarchie, ist es dadurch viel viel härter geworden. Die Finanzierung der Universitäten hängt daran, der Status der Universität in Deutschland hängt daran. Das heißt, dieser Druck ist natürlich sehr viel größer geworden, auch für Universitätsleitungen, indem sie diesen dann auch weitergeben und dem kann man sich begrenzt entziehen. Aber die Verluste sind doch erheblich, sich eben […] wirklich länger einem Thema hinzugeben“ (Prof Soz).

Aufgrund der ungewollten Effekte des Drittmittelmanagements werden Drittmittel von den Befragten mitunter als Ressourcenverschwendung betrachtet. Die persönliche Ressourcenverschwendung durch Drittmittelmanagement machen die Studienteilnehmer*innen u. a. daran fest, dass „der Aufwand und die Erfolgsaussichten so etwas von gestiegen sind, […] dass der Aufwand, etwas zu platzieren, so groß geworden [ist], dass davon sehr viel intellektuelle Lebensleistung und so weiter draufgeht“ (ebd.) bzw. „zu schrägen, ressourcenschluckenden irgendwie Antragszyklen und auch irgendwie unnötigen, die ganze Zeit bei Meetings, bei denen nicht (lacht) so viel rauskommt, [führt]. Also ich meine, da vergeht wahnsinnig viel Zeit“ (Postdok Geist 1). Sichtbar wird die persönliche Ressourcenverschwendung beim Drittmittelmanagement insbesondere durch eine Vernachlässigung traditioneller akademischer Tätigkeiten wie Forschung, „denn je höher man kommt, desto weniger forscht man. Man ist mehr der, der im Hintergrund steht, der organisiert, der sich um die Mittel kümmert und die Anträge schreibt“ (Postdok Natur 2).

Diesbezüglich versuchen die Befragten, den Zeitmangel durch ein Anpassungsverhalten in der Drittmitteleinwerbung zu kompensieren. Aus diesem Grund thematisieren die Studienteilnehmer*innen, wie man besonders effektiv und effizient Drittmittel einwirbt. Auf die Frage nach einer Strategie zur erfolgreichen Drittmitteleinwerbung antwortet ein Befragter:

„Ja, das Patentrezept ist, dass das Projekt eigentlich schon fast abgeschlossen sein muss, bevor man den Antrag stellt, weil dann hat man üblicherweise das Problem fast durchdrungen und deshalb wird auch der Antrag besser sein, den man da stellt“ (Prof Wirt).

Jedoch entsteht mit dieser Vorgehensweise ein individueller Widerstand, weil traditionelle akademische Imperative wie Ergebnisoffenheit mit der unternehmerischen Praktik unterlaufen werden, ein scheinbar abgeschlossenes Forschungsprojekt als ergebnisoffene (Grundlagen-)Forschung zu verkaufen. Mit der diskursiven Praktik des Planens und Versprechens von wissenschaftlichen Erkenntnissen in Drittmittelanträgen wird wissenschaftliches Scheitern unsagbar und unsichtbar, denn

„das Scheitern spielt eine ganz große Rolle, das was wir im Wissenschaftssystem kaum thematisieren. Also wenn Sie so einen Antrag schreiben für das BMBF oder für jedes andere Ministerium […], klar das muss alles extrem terminiert sein und Wissenschaftsprozesse lassen sich nicht so einfach terminieren. Also das ist nicht immer so, ich komme von A nach B nach C, sondern da sind auch viele Unbekannte. Und was ich immer wieder feststelle, ist einfach eine fehlende Vorstellung darüber, dass wir nicht alles bis zum Ende planen können“ (Postdok Wirt).

Schließlich lässt sich konstatieren, dass das Deutungsmuster der Ressourcenverschwendung durch Drittmittelmanagement nicht nur zu einem Anpassungsverhalten von akademischen Subjekten über diskursive Praktiken des Planens und Versprechens von wissenschaftlichen Erkenntnissen führt, sondern auch einen persönlichen Widerstand hervorruft, der mitunter ungewollte Effekte wie eine „Kurzatmigkeit in den Projekten“ (Prof Soz) provoziert. Damit tragen die diskursiven Praktiken des NPM-Diskurses zu einer Verengung des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses bei. Ferner werden hochqualifizierte akademische Arbeitskräfte von ihren Kerntätigkeiten in Lehre und Forschung abgehalten, da aus der persönlichen Ressourcenverschwendung durch Drittmittel eine Zeitknappheit resultiert, die zu Teilen von den Betroffenen versucht wird, durch nicht-diskursive Praktiken wie das Delegieren von Arbeitsaufgaben bis hin zu wissenschaftlichem Fehlverhalten auszugleichen. Auch hier erfolgt eine Fusion zwischen einem akademischen Feudalwesen und neoliberalen Herrschaftstechnologien,

„denn die meisten Professoren, das sind diejenigen, die die Gelder eintreiben, es sind aber nicht die, die die Paper publizieren. Also das fällt auch auseinander, also die Leute, die da selektiert werden, die offensichtlich so kompetitiv und sonst etwas sind, das sind nicht notwendigerweise die, die die Daten produzieren und Daten veröffentlichen. Die stehen zwar immer hinten mit drauf, aber ganz im Ernst, wer hat die Arbeit gemacht, nicht die“ (Dok Natur 1).

Demnach kann Euckens (1997: 6) Annahme über die Wirkung des Wettbewerbs auf Organisationen und ihre Angehörigen reformuliert werden: Die „Peitsche der Konkurrenz“ (ebd.) wirkt nicht gegen feudale Herrschaftsverhältnisse, sondern fördert diese. Im Kontext persönlicher Abhängigkeitsverhältnisse sowie eines inszenierten Wettbewerbs um knappe Ressourcen und Prestige wird von den Studienteilnehmer*innen auch das Thema Publikationen kontrovers diskutiert. Mit der Kontroverse während der Studie an der FU Berlin werden Publikationen zu einem Bezugsproblem. Dadurch lassen sich mehrere Deutungsmuster rekonstruieren.

Bezugsproblem Publikationen

Publikationen werden innerhalb des NPM-Diskurses als Indikator herangezogen, um „Leistungsstärken und -schwächen von Fachbereichen“ (HRK 1995b) und ihren Angehörigen sichtbar zu machen. Infolgedessen werden wissenschaftliche Publikationen, neben Drittmitteln, zur relevantesten Kennzahl bei der Leistungsbewertung von akademischen Subjekten (vgl. WR 2004: 45 f.). In den letzten zwei Dekaden wurden insbesondere bibliometrische Indikatoren wie Zitationszahlen für Bewertungsverfahren genutzt, die aber auch immer wieder dafür kritisiert werden, Publikationszwänge und wissenschaftliches Fehlverhalten hervorzurufen (vgl. DFG 2013: 46). Die wissenschaftspolitisch viel diskutierten nicht-intendierten Effekte ab den 2010er-Jahren erhärten sich durch das rekonstruierte Deutungsmuster „Publish or perish“ (vgl. DFG 2013: 43; HRK 2018c: 5 f.; WR 2010b: 82).

Deutungsmuster „Publish or perish“: Dieses Deutungsmuster wird von Befragten über alle Statusgruppen und Disziplinen hinweg verwendet, um den herausragenden Stellenwert von Publikationen für die persönliche Karriere sinnstiftend zu erklären. Gleichwohl spielt die Seinsverbundenheit eine wesentliche Rolle bei der Deutung, etwas zu veröffentlichen, um den persönlichen Verbleib im Wissenschaftssystem zu sichern, da insbesondere Studienteilnehmer*innen in Qualifikationsphasen mit einem befristeten Arbeitsvertrag auf das Deutungsmuster zurückgreifen. In diesem Zusammenhang bekräftigt ein Doktorand (Wirt), dass „in den Wirtschaftswissenschaften schon publish or perish [ist]“. Wohingegen ein unbefristet beschäftigter Befragter bemerkt, dass „für die Masse der Wissenschaftler […] dieses publish or perish gilt, publiziere oder verschwinde. Das gilt für mich zum Glück nicht mehr in dem Sinne, sondern wenn ich etwas publiziere, dann […] hat es mir auch Spaß gemacht“ (Postdok Human). Die Ursachen, warum die Studienteilnehmer*innen das Publizieren als Druck empfinden, sind vielfältig. Eine interviewte Hochschullehrerin bemerkt, dass

„man natürlich oft aus Drittmitteln heraus publiziert. Und dann vor allem, wenn die […] Projekte zum Beispiel vom BMBF oder so finanziert sind, dann ist der Druck natürlich da, am Ende etwas zu publizieren. Also es geht mit der Förderung im Prinzip einher, aber ich sehe jetzt nicht […] so einen kollegialen Druck oder so, dass da jemand in meinem Umfeld ein Auge drauf hätte, das kommentieren würde oder in der Fachcommunity sehe ich da jetzt auch keinen Druck. Das sah ein bisschen anders aus, bevor ich die Stelle bekommen habe, also da ist das natürlich so die erste Währung für Professuren, also für Bewerbungen“ (Prof Human).

Demnach fördern sowohl ein Drittmittelwettbewerb als auch manageriale Bewertungspraktiken in Berufungskommissionen einen Publikationsdruck, der zur diskursiven Praktik des Vielpublizierens führt – oder in anderen Worten: „Mit jedem Artikel fließt halt ein kleines bisschen Geld und man ist halt auf dieses Geld angewiesen, deswegen muss (…) jedes Ergebnis irgendwie gewinnbringend verkauft werden, (…) das ist ein Problem“ (Postdok Natur 2).

Mit diesem Problem werden von den Befragten unbeabsichtigte Effekte thematisiert. Vor allem eine Verschiebung von der Qualität zur Quantität treibt die Studienteilnehmer*innen um. So stellt ein Befragter fest:

„Es herrscht ein Druck zu publizieren, insbesondere wenn man als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Gruppen forscht, Forschergruppen oder Forschungsverbünden, dann gibt es Druck von oben, Ergebnisse zu publizieren, um das Projekt sichtbar zu machen, auch weil andere Leute daran hängen, auch die über einem stehen, die auch davon profitieren, dass sie etwas zu Papier gebracht haben indirekt. Das heißt, es gibt Druck zu publizieren, auf jeden Fall. Und das ist auch nicht unbedingt förderlich, weil es geht gar nicht so sehr um Qualität, sondern es geht dann eher um Quantität, wo hat man überall publiziert, wie schnell hat man publiziert, hat man gewisse Felder besetzt, hat man bestimmte Leute einbezogen, hat das weitere Türen geöffnet, um solche Dinge geht es eher“ (Postdok Geist 3).

Auch eine andere interviewte Wissenschaftlerin thematisiert den Wandel von der Qualität zur Quantität durch Publikationszwänge in ihrer Disziplin, da „man […] dann schnell einfach den Stand, den man so hat[, veröffentlicht]. Das passiert bei uns auf jeden Fall auch aufgrund dieses Zeitdrucks oder aus Gründen der erfolgreichen Zeitschrift, weil man unbedingt diese Publikation haben muss“ (Postdok Natur 1). Damit führt der Zwang, viel zu publizieren, um Drittmittel und Stellen einzuwerben sowie das persönliche Ansehen zu steigern, nicht nur zu einer Qualitätsminderung und Stärkung traditioneller Abhängigkeitsverhältnisse zwischen unterschiedlichen Statusgruppen, sondern zu Kooperationszwängen, Fehlverhalten und strategischen Publikationspraktiken. Im Rahmen des vorliegenden Deutungsmusters berichten die Studienteilnehmer*innen von nicht-diskursiven Praktiken wie der „Salamitaktik“ (Prof Soz). Mit dem Zerstückeln der Forschungsergebnisse in die kleinstmögliche publizierbare Einheit geht auch eine mangelnde Gewissenhaftigkeit einher, da

„dieser Publikationsdruck so groß ist […]. Die Salamitaktik [… führt dazu,] dass man im Grunde nicht mehr selber nachliest, was man zitiert. Ich glaube, das ist extrem verbreitet. Und da gibt es auch schon Studien zu, wie sich bestimmte Fehler fortschreiben, weil keiner nachschaut, was hat der denn tatsächlich geschrieben. Das gehört zum kleinen Einmaleins guten wissenschaftlichen Arbeitens, dass man niemanden zitiert, den man zu mindestens nicht selber überprüft hat. Also, wenn jemand wirklich Panik hat und da dann zu so etwas greift, das kann eben auch passieren“ (ebd.).

Der Umstand, dass die diskursive Praktik des Vielpublizierens durch den NPM-Diskurs zum „selling point“ (Postdok Natur 6) bzw. zur „Währung“ (Dok Wirt) von akademischen Subjekten geworden ist, ruft dementsprechend ebenfalls nicht-diskursive Praktiken wie das Fälschen von Forschungsergebnissen auf den Plan. Besonders sichtbar wird der Zusammenhang von publish or perish und wissenschaftlichem Fehlverhalten an Verzweiflungstaten einzelner Wissenschaftler*innen. In diesem Kontext berichtet ein Studienteilnehmer von einer offensichtlichen Datenfälschung auf einer Fachkonferenz:

„Ich denke, wenn man sich das manchmal so anschaut, was da denn gemacht wird, also was ich damals da aufgedeckt habe, das war wirklich auch dumm gemacht. Also das war nicht einmal mein Themenfeld und ich konnte es trotzdem aufdecken, weil es so offensichtlich war. Und das zeigt, da muss ein Zwang dagewesen sein, ansonsten macht jemand so etwas nicht“ (Postdok Natur 5).

Eine andere Befragte konstatiert in diesem Kontext, dass

„wenn du mit reinen Zahlen arbeitest, dann ist es leicht, Dinge zu manipulieren, sodass die dann halt passen oder halt grenzwertig signifikante Sachen dann deutlich signifikanter sind als sie vorher waren. Das ist halt nicht schwierig, das zu drehen und das liegt nahe, weil wir alle diesem Druck standhalten müssen, weil wir wollen weiterhin Geld verdienen“ (Dok Natur 1).

Auch hier beeinflusst die Seinsverbundenheit in Form von Fachkulturen, die mit Zahlen arbeiten und die unter starken Publikationszwängen in ihrer Karriere stehen, das (Fehl-)Verhalten von akademischen Subjekten. Denn „publish or perish befähigt bestimmt den einen oder anderen dazu, solange zu forschen, also p-Hacking, bis ich dann irgendwie eine Signifikante bekommen habe“ (Postdok Geist 2). Zudem ist

„je nach Statuspassage der Druck massiv, weil im Grunde an diesem Publizieren eigentlich die ganze Karriere hängt. […] Und dem muss man sich ein Stück weit verweigern, jedenfalls da wo man es kann. Und ich tue das in gewisser Weise. Ja, also ich muss jetzt nicht den Xten englischsprachigen Aufsatz schreiben, ich habe genug auf Englisch publiziert. Wie gesagt, ich schreibe jetzt, das ist völlig dysfunktional, ein Buch, nicht einmal in einem Wissenschaftsverlag. Will ich auch auf Deutsch schreiben, weil ich das Gefühl habe, ich muss einmal wieder etwas auf Deutsch schreiben. Einmal etwas für ein deutsches Publikum“ (Prof Soz).

Insofern führen Publikationszwänge auch zu subversiven Verhaltensweisen etablierter Wissenschaftler*innen mit unbefristeten Arbeitsverträgen oder anderen beruflichen Sicherheiten wie relativ lange Vertragslaufzeiten von 5 Jahren (vgl. Befragtenübersicht). Während die befragte Professorin in den Sozialwissenschaften strukturelle Publikationszwänge unterläuft, indem sie nicht in gerankten, englischsprachigen Fachjournals publiziert, sondern eine deutschsprachige Monografie verfasst, die weder quantitativ messbar noch international sichtbar ist, verweigert sich ein anderer Befragter zugunsten persönlicher Qualitätsansprüche und Freiheiten managerialen Anrufungen durch Entzug. Denn

„was die Freiheiten mindert, ist so ein bisschen auch wieder der Publikationszwang, dass man mindestens zwei peer reviewed Artikel pro Jahr publizieren muss, dass man sonst (atmet tief ein)/ ja sonst das irgendwann problematisch wird. Aber man kann sich auch die Freiheit rausnehmen, das einfach nicht zu tun. Bisher bin ich damit auch ganz gut gefahren, einfach mehr auf den Inhalt zu achten als auf die Schnelligkeit. Hat bisher ganz gut funktioniert. Insofern sehe ich eine gewisse Freiheit darin, dass man sich diesem Rahmen auch entziehen kann, wenn man das einfach nicht macht. Also man kriegt natürlich immer wieder gesagt, dass ist so und so und so viel sind die Kennzahlen, aber (..) bisher habe ich keine negativen Folgen gespürt, also dass ich es nicht in irgendeiner Form erfüllt habe“ (Postdok Natur 3).

Im Kontext dieser subversiven Verhaltensweisen wird Foucaults (1996: 27) Theorie der Ent-Subjektivierung im Subjektivierungsregime der deutschen Hochschullandschaft empirisch greifbar. Vor diesem Hintergrund wird die Praxis der Ent-SubjektivierungFootnote 12 als Verweigerung und Entzug von Anrufungen und normativen Selbstbildern verstanden. Durch Ent-Subjektivierung erodiert ein Nexus aus Wissen, Macht und Subjektivierung, da sich der Einzelne von Anrufungen und Subjektivierungsformen emanzipiert. Deutlich wird jedoch daneben, dass eine Ent-Subjektivierung innerhalb eines Dispositivs neoliberaler Gouvernementalität jenen privilegierten Wissenschaftler*innen vorenthalten bleibt, die über ein Mindestmaß an (beruflichen) Sicherheiten verfügen. Darum ist die Seinsverbundenheit nicht nur ein Türöffner für neoliberale Herrschaftstechnologien und Subjektivierungsformen, sondern ermöglicht überdies eine Ent-Subjektivierung. Oder anders formuliert: Ent-Prekarisierung von wissenschaftlicher Arbeit ist „im Grunde noch eine Art Bremse in dem System“ (Prof Soz) und ermöglicht Selbstbefreiung. Der Zusammenhang von (Ent-)Prekarisierung und (Ent-)Subjektivierungsprozessen wird beim nächsten Deutungsmuster gleichfalls deutlich. Hier geht es um die Aneignung von managerialen Bewertungspraktiken von wissenschaftlichen Publikationen über bibliometrische Maße wie den Impact-Factor.

Deutungsmuster „High-Impact-Journalbeiträge als Zeichen von wissenschaftlicher Qualität“: Vorwiegend prekär beschäftigte Studienteilnehmer*innen in den Qualifikationsphasen betrachten Publikationen mit einem hohen Impact-Faktor als Zeichen von wissenschaftlicher Qualität. Ein Befragter zeigt auf, dass man eine „gute Publikation“ daran erkennt „wie oft die Publikation zitiert wurde oder ist die in einem guten Journal“ (Dok Natur 2). Insofern zeichnen sich gute Publikationen durch überdurchschnittlich hohe Zitationswerte aus, wodurch die Anrufung entsteht, in „High Ranked Journals“ (Prof Human) zu publizieren. Dazu thematisiert ein Befragter, „dass es sehr wichtig ist, gute, viele Publikationen zu erreichen für den CV, für die nächsten Drittmittel oder für die nächste Bewerbung“ (Postdok Natur 4). Aus diesen Gründen spielen „die deutschen Medien […] keine Rolle mehr, dann international publizieren und dann am besten noch bei den so genannten Top Ten“ (Prof Wirt).

Darüber hinaus resultiert die Aneignung der Berwertungspraktiken des Managementdiskurses bei stark drittmittelabhängigen Studienteilnehmer*innen in einer Erosion von traditionellen Publikationsformen wie der Monografie. Deshalb „sind Monografien in der Regel keine Option, das gilt als die bei dir ist nichts herausgekommen Variante, du Armer, du musst monografisch publizieren. In der Regel gilt das als gescheitert“ (Dok Natur 1). Um das berufliche Scheitern zu verhindern, greifen die Befragten zur diskursiven Praktik des Veröffentlichens ihrer Forschungsergebnisse in englischsprachigen, hoch gerankten Journals. Objektiviert wird diese Praktik beispielsweise durch Betreuungsvereinbarungen mit Doktorand*innen,

„das heißt ich empfehle allen Promovierenden bei mir immer eine kumulative Arbeit zu machen, weil das hinten heraus eigentlich weniger Ärger macht, weniger Aufwand ist. Was den Nebeneffekt natürlich auch für mich hat, dass das natürlich auch meine Publikationen sind, das ist jetzt nicht nur uneigennützig, das will man nicht so behaupten“ (Postdok Natur 5).

Neben der Menge an veröffentlichten Journalbeiträgen ist also auch deren Bewertung über bibliometrische Kennzahlen äußerst relevant für akademische Subjekte – oder als rhetorische Frage formuliert:

„Das ist natürlich die Währung, woran misst man denn sonst den Erfolg von Wissenschaftler(.)innen? Ich würde jetzt nicht sagen, es ist nur die Quantität. Ich glaube ganz umgedreht, dass wenn man einmal bewiesen hat, dass man auf niedrigem Niveau publizieren kann, interessiert das keinen mehr. Also Konferenzvorträge und Veröffentlichungen in Journals mit einem Impact-Faktor unter drei, wenn man davon sechs hat oder zehn oder so, dann glaubt einem das jeder, gerade wenn man die allein geschrieben hat. Und dann geht es vor allen Dingen darum, top-tier Journals zu erreichen, also wirklich sehr einflussreiche Artikel zu veröffentlichen. Und wenn man davon ein paar hat, das ist glaube ich dann ausschlaggebend, wenn man wirklich dann jetzt an einer großen Uni landen möchte. Ich glaube, dass gilt nicht für irgendwelche FHs oder es gibt auch kleinere Unis, wo man auch mit nischerigen Veröffentlichungen und so nischerigen Spezialthemen landen kann. Aber wer, sag ich einmal jetzt in der FU, TU München, Amsterdam, so amerikanische Tophochschulen landen möchte, der muss in […] extrem hochwertigen Journals veröffentlicht werden und dann […] zeigen, dass man das kann, dass man quasi auf internationalem Topniveau forscht“ (Dok Wirt).

Damit sorgt die Herrschaft mittels bibliometrischer Kennzahlen für eine Transformation der Denk- und Handlungsweisen von Wissenschaftler*innen, denn

„alles denkt in Paperformaten. Also wir haben uns wegbewegt von der Buchkultur, was ich schade finde. Selbst die Sammelbände […], die manchmal einen inhaltlichen Zusammenhang, einen größeren haben können, sind inzwischen verpönt. Es ist alles […] auf das Paperschreiben, möglichst im Englischen. Und das ist dann die Hartwährung“ (Prof Soz).

Auch für die Geisteswissenschaften vermerkt ein Befragter,

„dass die Publikationen über gewisse Formen von Journals [gehen], wo die Qualität daran gemessen wird, wo man publiziert hat. Was zu einem gewissen Grad alles nachvollziehbar ist […]. Und dann ist es halt so, […] dass das so wahnsinnig wichtig ist und man versucht genau, die Diskurse zu treffen, die da sozusagen gerade in Mode sind und einfach um die Kriterien zu erfüllen, mit denen man reinkommt. Man schreibt zu Dingen, zu denen es schon viel Forschung gibt. Man bezieht sich auf die Leute, die in diesen Journals sozusagen viel zitiert werden, […] also wo man denkt, ok damit kommt man irgendwie rein. Und damit reproduziert sich eine gewisse Form von Themen und Art zu schreiben und so. Und das ist in den Geisteswissenschaften, wo das eher neu ist, also dass diese Journals so wichtig geworden sind, schon eher so in den letzten zwanzig Jahren, fünfzehn Jahren und jetzt zunehmend merkt man auch eine Verengung der Themen und eine Verengung der Schreibweisen und so relativ zu mindestens in dem Bereich der Geisteswissenschaften“ (Postdok Geist 1).

Das vorliegende Deutungsmuster führt neben einem Anpassungsverhalten durch diskursive Praktiken wie der Auswahl von Fachzeitschriften nach bibliometrischen Kennzahlen auch zu nicht-diskursiven Praktiken wie der Zitation von Wissenschaftler*innen, die eine exklusive Sprecher*innenposition innerhalb von „High Ranked Journals“ (Prof Human) vorweisen können. An dieser Stelle lässt sich desgleichen eine Intergouvernementalität an nicht-diskursiven Praktiken bei Begutachtungsprozessen von wissenschaftlichen Beiträgen von Fachzeitschriften ablesen, denn Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Begutachteten und Gutachter*innen, die in einen Wettbewerb eingebettet sind, führen mitunter zu „Hygienezitaten“ (Jun.prof Wirt 1). So kommt es zur Situation, dass Gutachter*innen

„zum Beispiel das Zitieren eigener Publikationen einfordern, also das ist […] mir auch schon öfter passiert. Das ist double blind, man sieht natürlich nicht, wer das ist, aber man kann es trotzdem lesen. Also manchmal versteht man, wer es ist, also inhaltlich in welche Richtung die Kommentare gehen, sieht man, ok das wird der und der gewesen sein. Und wenn man dann auch noch sieht, was da noch vorgeschlagen wird, was da noch an Publikationen fehlt, dann kann man sich das schon denken und das passiert regelmäßig, also dass Zitate eingefordert werden“ (Postdok Natur 3).

Wie bereits an anderen Deutungsmustern gezeigt, schließen sich auch hier ein traditionelles akademisches Feudalwesen und eine neoliberale Regierungsweise nicht aus, sondern verstärken sich wechselseitig, wodurch ein Matthäus-Effekt entsteht, denn akademische Subjekte mit einer exklusiven Sprecher*innenposition können über wettbewerbsförmige Strukturen in der deutschen Hochschullandschaft ihre standesgemäße Herrschaft über Objekte und Subjekte ausbauen. Das Anpassungsverhalten von akademischen Subjekten an die Themen und Schreibweisen hochgerankter Fachzeitschriften führt gleichwohl zum ungewollten Effekt einer Verengung des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses, da Inhalte und Formate von wissenschaftlichen Publikation über exponierte akademische Subjekte normiert werden. In diesem Zusammenhang bemerkt eine Studienteilnehmerin, dass „oft auch Zeitschriften dann gewisse Dinge nur veröffentlichen, wenn man zum Beispiel eine gewisse Methodenwahl trifft“ (Dok Recht). Schließlich führt die Herrschaft über bibliometrische Kennzahlen zu einer Ökonomisierung der Denk- und Handlungsweise von akademischen Subjekten, was ein Studienteilnehmer exemplarisch mit einem Vergleich zwischen Unternehmensberater*innen und Wissenschaftler*innen erklärt, indem er festhält,

„weil es eben auch so wenig Prestige, Signaling gibt, ist eben dieses Prestige von den Journals so wichtig. Als Unternehmensberater(.)in kann man sein Prestige dadurch ausdrücken, dass man eine hunderttausend Euro Uhr anhat und ein zweihunderttausend Euro Auto fährt, aber in der Forschung gibt es nur diese Journals. Das ist alles, worauf die Leute schauen. Du kannst der letzte Gartenzwerg sein und dich nie duschen und ein Bart bis zum Boden haben, wenn du in Top Journals veröffentlichst, bist du ein anerkannter Wissenschaftler oder Wissenschaftlerin. Wissenschaftlerin (lacht) mit einem Bart zum Boden wäre vielleicht noch besser. Also das ist das einzige Prestige, was es in der Forschung gibt“ (Dok Wirt).

Das Ansehen von Wissenschaftler*innen in der akademischen Gemeinschaft und die Kreditwürdigkeit bei Drittmittelgeber*innen wird neben erfolgreich durchgeführten Drittmittelprojekten durch bibliometrische Kennzahlen bestimmt, wodurch wissenschaftliche Beiträge mit einem hohen Impact-Faktor auch als „Währung“ (Dok Wirt, Prof Human, Prof Soz) eingestuft werden (vgl. Deutungsmuster „Drittmittel als Zeichen der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit“).

Die unbeabsichtigten Effekte und nicht-diskursiven Praktiken des vorliegenden Deutungsmusters verursachen allerdings ein Spannungsverhältnis zu traditionellen akademischen Imperativen. Auf diese Weise entsteht insbesondere bei Studienteilnehmer*innen, die sich traditionelle Werte und Normen angeeignet haben, ein individueller Widerstand, da die Befragten sowohl vom Managementdiskurs als auch vom wissenschaftlichen Spezialdiskurs angerufen werden. Sichtbar wird der persönliche Widerstand zwischen NPM und traditioneller Wissenschaft an Stellvertreter*innenkämpfen von akademischen Subjekten, die sich kollektive Wissensbestände aneignen, unterlaufen oder gänzlich davon abgrenzen. Dahingehend werden High-Impact-Journalbeiträge von den Studienteilnehmer*innen auch nicht als Zeichen von wissenschaftlicher Qualität betrachtet.

Deutungsmuster „High-Impact-Journalbeiträge nicht als Zeichen von wissenschaftlicher Qualität“: Dieses Deutungsmuster konnte im Wesentlichen mit der Frage rekonstruiert werden, was eine gute Publikation ausmacht, weil bei den Befragten an dieser Stelle eine Verknüpfung zu traditionellen Normativen guter wissenschaftlicher Arbeit entstanden ist (vgl. Electronic Supplementary Material). Denn entgegen einer managerialen Qualitätsbewertung über Kennzahlen sei der Inhalt einer Publikation entscheidend. Hier gilt für einige Studienteilnehmer*innen die Maxime: „Weniger ist oftmals mehr. Wenn man zwei gute Monografien hat, kann man sehr viel besser sein als jemand, der zehn Monografien hat, aber die inhaltlich eben nicht viel bringen“ (Prof Recht). Insofern kann man „die wirkliche Qualität einer Arbeit […] immer nur dann beurteilen, wenn das in meinem Themenfeld ist, weil ich dann im Prinzip auch prüfen kann, was dort gemacht worden ist“ (Postdok Natur 5). Aufgrund eines traditionellen Selbstverständnisses der Studienteilnehmer*innen wird der „Drang zu widerstehen, viel zu publizieren, was nicht viel Qualität hat, also hochwertige Arbeit zu leisten“ (Postdok Natur 4) zu einer diskursiven Praktik des vorliegenden Deutungsmusters. Ebendiese ist jedoch nur für einen Teil der (privilegierten) Befragten umsetzbar, da der Wettbewerb um knappe Ressourcen und Prestige akademische Subjekte auffordert, möglichst viel in Fachzeitschriften mit einem hohen Impact-Faktor zu publizieren.

Dessen ungeachtet eignen sich indes auch prekär beschäftigte Studienteilnehmer*innen aufgrund internalisierter traditioneller Werte und Normen das vorliegende Deutungsmuster an. Deswegen bemerkt eine Doktorandin,

„dass Nature und Science Paper für die Massen und ziemlicher Müll sind. Wenn du die Methoden reproduzieren willst, dass ist sehr, sehr schwierig. Da steht so wenig zu den Methoden drin, dass die Ergebnisse oft nicht reproduzierbar oder nachvollziehbar sind. Grundsätzlich desto höher du gehst impactfaktortechnisch, desto schlechter werden die Publikationen, wenn du daraus wirklich etwas lernen willst. Der Effekt ist größer, desto höher du gehst, aber der eigentliche inhaltliche Impact wird höher, desto niedriger du gehst. Denn bei niedriger gerankten Journals hast du mehr Seiten, du kannst die Dinge ordentlicher erklären, die Publikationen werden eher Monografie-ähnlich. Und es gibt auch Journals, die Monografien in Serie publizieren, die haben alle unter eins“ (Dok Natur 1).

Der Aussage kann entnommen werden, dass das Veröffentlichen von Forschungsergebnissen abseits englischsprachiger, hochgerankter Journals in alternativen Publikationsformaten wie Monografien oder deutschsprachigen Fachzeitschriften mit einem niedrigen Impact-Faktor ebenfalls eine Praktik zum Unterlaufen von Anrufungen des Managementdiskurses darstellt. Aus diesem Grund kann auch bei anderen Befragten das Publizieren in alternativen Formaten zugunsten einer traditionellen Vorstellung von wissenschaftlicher Qualität beobachtet werden. Deswegen konstatiert eine Studienteilnehmerin, dass es

„für mich persönlich […] eigentlich nicht wichtig [ist] wirklich viel zu publizieren […], sondern vielleicht sogar eher in anderen Bereichen zu schreiben. Jetzt nicht nur in Fachjournals, sondern eben vielleicht auch tatsächlich einem breiteren Publikum meine Ergebnisse zugänglich zu machen“ (Dok Human 1).

Diese Praktik lässt die Wissenspolitik des NPM-Diskurses erodieren, wodurch der Managementdiskurs an Deutungsmacht über die Qualität wissenschaftlicher Arbeiten und das Selbstverständnis von akademischen Subjekten einbüßt. Kurzum: „Es kann auch eine gute Publikation in einem Low Impact Journal geben“ (Postdok Natur 6). Interessant ist allerdings die persönliche Wahrnehmung des Konflikts zwischen NPM und traditionellen akademischen Imperativen, denn hier wird von den Studienteilnehmer*innen zwischen einer objektiven und subjektiven Wirklichkeit unterschieden. Demzufolge erkennt man eine gute Publikation „objektiv daran, ob es in einem vermeintlichen guten Journal erschienen ist. Und subjektiv daran, ob diese Publikation einen wesentlichen Erkenntnisfortschritt und handwerklich sehr gut gemacht ist“ (Prof Wirt).

Im Kontext des wissenschaftlichen Felds kann „objektiv“ (ebd.) als kollektiv anerkannte Wahrheit betrachtet werden. Deshalb wird es sagbar, dass hohe bibliometrische Kennzahlen ein Zeichen von wissenschaftlicher Qualität sind, während die Negierung dieses Deutungsmusters eine persönliche Wahrheit ist, weil sie vom Einzelnen konstruiert wird. Aus der regelmäßigen Wiederholung dieser persönlichen Wahrheit entsteht indes ein kollektiver Wissensbestand, der, eben weil er „subjektiv“ ist, innerhalb eines neoliberalen Subjektivierungsregimes individuellen Widerstand und subversive Verhaltensweisen erzeugt. Wie bei den anderen Deutungsmustern werden der persönliche Widerstand und subversive Verhaltensweisen gegenüber den Anrufungen des NPM-Diskurses in erheblichem Maß von beruflichen (Un-)Sicherheiten beeinflusst. Die Seinsverbundenheit des Wissens schließt und eröffnet Handlungsoptionen für Wissenschaftler*innen, sich der Wissens- und Identitätspolitik des Managementdiskurses zu entziehen und diese mit kreativen Umdeutungen wie einem „inhaltlichen Impact“ (Dok Natur 1) zu unterlaufen.

Gleichzeitig kompensieren prekäre Studienteilnehmer*innen ihren individuellen Widerstand mitunter auch mit einer Selbstausbeutung, um an traditionellen akademischen Werten und Normen festzuhalten und nicht von einem neoliberalen Subjektivierungsregime ausgesondert zu werden. Dazu berichtet eine Befragte vom unbezahlten Schreiben an Beiträgen, die zwar für den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt relevant, aber in einem Dispositiv neoliberaler Gouvernementalität unsichtbar sind:

„Ich arbeite an einem Literaturpaper, das ist jetzt nichts, was mir einen super Impact-Faktor geben wird. Aber ich glaube, das ist wichtig für das Fortbestehen unserer Disziplin. Teil meiner Ideologie ist, das wirklich besser zu machen und nicht einfach nur tolle, coole Paper rauszuhauen, sondern auch Dinge zu machen, wo ich denke, dass die wichtig [sind,] damit ich darauf zurückgreifen kann, um tolle, coole Paper zu publizieren. Das ist sozusagen Basisarbeit, die man nicht finanziert bekommt und die du nur machen kannst in deiner Freizeit und dann deutlich über deine Arbeitszeiten kommst, weil ich ideologisch daran glaube, dass das wichtig ist und damit das funktioniert. Und da dafür keine Finanzierung da ist, muss ich es halt sozusagen kostenlos machen“ (ebd.).

Wie beim Deutungsmuster des persönlichen All-in deutlich wurde, ist Selbstausbeutung nicht nur eine diskursive Praktik, die von den Befragten genutzt wird, um strukturell versuchte Risiken persönlich auszugleichen. Die Rastlosigkeit einiger Wissenschaftler*innen kann auch als Selbsttechnologie gelesen werden. Denn mit einer Selbstausbeutung wirken die Befragten so auf ihre Verhaltensweise ein, dass sie sowohl den Anrufungen des NPM-Diskurses Folge leisten als auch Normativen eines wissenschaftlichen Spezialdiskurses nachkommen. Vor diesem Hintergrund wird Selbstausbeutung zu einer relevanten Selbsttechnologie von akademischen Subjekten, die sich in einem persönlichen Balanceakt zwischen NPM und traditioneller Wissenschaft befinden. Gleichwohl werden akademische Subjekte als Stellvertreter*innen von Diskursen zur Hauptzielscheibe einer pastoralen akademischen Regierungsweise, die über disziplinierende Abhängigkeitsverhältnisse, Imperative und Selbstbilder transportiert sowie von einer neoliberalen Gouvernementalität, mit der über Wettbewerbsanreize versucht wird, akademische Subjektivierungsweisen zu steuern. Im Verlauf der Fallstudie an der FU Berlin wird ebenfalls das Thema des Wettbewerbs zu einem Bezugsproblem der Befragten. In Rekurs auf den NPM-Diskurs und den wissenschaftlichen Spezialdiskurs generieren die Studienteilnehmer*innen verschiedene kollektive Wissensbestände.

Bezugsproblem Wettbewerb

Wettbewerb gilt seit den 1990er-Jahren als „wissenschaftsadäquates Mittel“ (HRK 2004a) zur Effizienz- und Leistungssteigerung von Hochschulen und ihren Angehörigen. Dazu wurde in der Konstituierungsphase von NPM ein staatlich inszenierter Wettbewerb um knappe Ressourcen und Prestige peu à peu in den Arbeitsalltag von Wissenschaftler*innen eingehegt (vgl. Dohmen & Wrobel 2018: 31; HRK 1998b). Hier gilt zu fragen: Wie deuten die Studienteilnehmer*innen diesen Wettbewerb? Und zu welchen (nicht-)diskursiven Praktiken und (un-)beabsichtigten Effekten führt das ökonomische Tribunal eines akademischen Quasi-Marktes?

Deutungsmuster „Wettbewerb um knappe Ressourcen und Prestige als Normalität“

Wie bereits bei den prekären Arbeitsbedingungen wird der Wettbewerb um knappe Ressourcen und Prestige von den Studienteilnehmer*innen als Normalität gedeutet. Gestützt wird das Deutungsmuster durch angeeignete sinnstiftende Narrative des Managementdiskurses, die suggerieren, dass der „Wettbewerb durchaus positiv [ist]“ (Prof Recht). Mit dem Glauben an die positive Wirkung des Wettbewerbs nimmt der Befragte Bezug auf Zukunftsnarrative und das Deutungsmuster einer „sachgerechten und wissenschaftsadäquaten Problemlösung“ des Managementdiskurses, da ein inszenierter Wettbewerb um knappe Ressourcen und Prestige scheinbar die Lösung für das Problem einer traditionellen Mittelverteilung nach dem „Gießkannenprinzip“ (HRK 1995a) darstellt. Weiterhin konstatiert der Studienteilnehmer, dass

„wir als Hochschullehrer [dem Wettbewerb] in den letzten dreißig Jahren besonders ausgesetzt [sind], weil wir um knappe Mittel, sei es des Bundes, sei es des Landes oder sei es der Stiftungen […], einfach konkurrieren müssen. Das heißt, wir sind aufgefordert, ständig neue Ideen einzubringen, ständig neue Projekte uns zu überlegen, die möglicherweise interessant sein könnten und damit treten wir natürlich in einen Wettbewerb mit anderen Kolleginnen und Kollegen, die genauso gute oder schöne Ideen haben. Und dann muss man eben sehen, was die einzelnen Kommissionen entscheiden, welche Forschungsprojekte jetzt als sinnvoll anerkannt werden oder welche nicht“ (Prof Recht).

Infolge dieses gouvernementalen Wandels ist der Wettbewerb auch für andere Studienteilnehmer*innen zur Normalität geworden, die bereits an traditionellen Hochschulen gearbeitet haben. Deswegen herrscht „beim Buhlen um Drittmittel […] ein ganz klarer Wettbewerb. Und ich bekomme das natürlich auch in der Nachwuchsförderung mit, was für einen großen Wettbewerb es gibt, also um Stellen, um Stipendien, um Fördergelder“ (Prof Human). Ferner schwingt im Wettbewerb um knappe Ressourcen ein Prestigewettbewerb mit, denn „Drittmittel sind die einzige gemeinsame Währung, worüber man verschiedene Fachbereiche miteinander vergleichen kann. Und ansonsten lässt sich wissenschaftliche Exzellenz nicht messen“ (Prof Wirt). Wissenschaftler*innen stehen

„jetzt auch in Konkurrenz miteinander und da ist der Wettbewerb. Und natürlich sind die Verwaltungen dann darauf getrimmt, dass das genauso in den Habitus überführt wird. Dass man sich sozusagen positionieren muss durch die Konkurrenz gegenüber, was weiß ich, FU gegenüber der HU oder gut, da gibt es jetzt auch die sogenannte Berlin University Alliance Initiative, wo dann die Hochschulen kooperieren sollen in Projekten und wo auch sehr viel Geld zur Verfügung gestellt wird, dass da so gemeinsame berlinübergreifende Projekte dann dabei rauskommen. Aber sozusagen in der Exzellenzinitiative hat man das gesehen. Das machen auch die Nachrichten (lacht), welche Hochschule ist drinnen, welche ist rausgeflogen. Das vermittelt dann auch so ein Bild“ (PD Human).

Vor dem Hintergrund dieser Aussage kann festgehalten werden, dass der Wettbewerb um knappe Ressourcen unmittelbar mit einem Prestigewettbewerb verknüpft ist. Das Ansehen von Hochschulen und ihren Angehörigen ist abhängig von Drittmittelgeber*innen, weil Prestige über eine „qualitative Unterscheidung von Drittmitteln“ (Prof Human) hergestellt wird (vgl. Deutungsmuster „Drittmittel als Statussymbol“). Folglich wird das Einwerben von Mitteln bei renommierten Drittmittelgeber*innen wie der DFG oder dem ERC zu einer diskursiven Praktik der Befragten.

Dazu schließen sich erfolgreiche Berliner (Exzellenz-)Hochschulen zur „Berlin University Alliance“ (PD Human) zusammen. Die Bildung dieser translokalen Beutegemeinschaft kann sowohl als diskursive Praktik betrachtet werden als auch als Objektivierung von ökonomischen Interessens-Nützlichkeitskalkülen von Berliner Hochschulangehörigen, zu deren Arbeitsalltag das Konkurrieren auf einem akademischen Quasi-Markt um knappe Ressourcen und Prestige mit Wissenschaftler*innen anderer Hochschulen gehört. Die Berlin University Alliance steht in einer Traditionslinie mit der liberalen Idee des europäischen GleichgewichtsFootnote 13, das durch ein Bündnis von europäischen Nationalstaaten hergestellt wird, denn innerhalb des Berliner Bündnisses geht es ebenfalls um eine kollektive Bereicherung und einen Nichtangriffspakt, indem die Wettbewerbsfähigkeit durch strategische Kooperationen gesteigert wird (Foucault 2004b: 85 f.). Mit dieser Vorgehensweise wird der Frieden und Wohlstand zwischen den drei großen Berliner Hochschulen im Wettbewerb um knappe Ressourcen und Prestige gesichert. Die Strategie der kollektiven Bereicherung auf einem akademischen Quasi-Markt über ein translokales Netzwerk scheint effektiv zu sein, weil eine Befragte bemerkt, dass sie

„einigermaßen mit den normalen Mitteln [hinkommt], aber sie sind natürlich dadurch, dass die FU eine Exzellenzuniversität geworden ist, etwas reichlicher als an anderen Universitäten (senkt ihre Stimme). Ich glaube, da gibt es inzwischen in Deutschland sehr große Unterschiede“ (Prof Soz).

Damit führen translokale Beutegemeinschaften im Wettbewerb um knappe Ressourcen und Prestige zum Matthäus-Effekt und fordern akademische Subjekte auf

„sich an diesen sogenannten Verbundforschungsprojekten zu beteiligen. Und da kommen dann andere Leute mit Ideen und man kann seine Ideen da reinbringen, aber die müssen dann schon angepasst werden, dass das da irgendwie so reinpasst. Und dann kommt sicherlich einiges dabei raus, was man nicht so machen würde vielleicht, wenn man es sich komplett überlegen würde, wie man es vorhat. Aber […] so […] funktioniert es halt, wenn man mit anderen Leuten reden will, dass man solche Sachen macht“ (Post Geist 1).

Unterdessen wird durch die diskursive Praktik der Bildung eines strategischen Netzwerks eine Reihe nicht-intendierter Effekte hervorgerufen. Weder wird ein fairer Wettbewerb erzeugt noch Wissenschaftsfreiheit gefördert, weil sich akademische Subjekte kollektiven Interessen unterordnen. Der Wettbewerb um knappe Ressourcen und Prestige als Normalität führt demnach zu einer Verengung des wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts, da es

„darum [geht], Bündel von anerkannten Wissenschaftlern zu finden, die sich auf irgendetwas einigen können, um dann mit ihrer geballten Strahlkraft irgendeine rhetorisch funktionierende Linie zu machen, wie man die Forschung irgendwie zusammen kriegt und entsprechende Konstellationen, die das irgendwie halbwegs plausibel erscheinen lässt, dass diese Leute alle so zusammen (lacht) zu irgendeinem Art Themenkomplex arbeiten. Das Wichtigste ist, wirklich dritte Leute überreden zu können, dass die sich zusammen etwas ausdenken und dann wirklich irgendeine rhetorisch plausible Lösung zu machen, das die wirklich irgendetwas zusammen machen können“ (Post Geist 1).

Weiterhin stärken translokale Netzwerke traditionelle Abhängigkeitsverhältnisse zwischen verschiedenen akademischen Statusgruppen, da insbesondere junge Wissenschaftler*innen auf die Gunst der älteren, etablierten Wissenschaftler*innen angewiesen sind, um in Netzwerke „reingebracht“ (Postdok Soz) zu werden. Die Verbindung von feudalen und unternehmerisch-managerialen Herrschaftsverhältnissen innhalb der universitären Netzwerke führt jedoch bei einigen Befragten nicht zu einer Abgrenzung von Narrativen des Managementdiskurses, auch wenn „die Förderlogik mich zu Bündnissen [zwingt], die ich vielleicht anders nicht gegangen wäre, das finde ich aber eigentlich immer eher gewinnbringend“ (ebd.). Resümierend hält ein anderer Studienteilnehmer fest, dass

„Networking extrem wichtig [ist]. Also das habe ich am Anfang unterschätzt. Das ist halt einerseits die eigene Sichtbarkeit, dass Leute eben wissen, dass man da ist und was man so kann, dass man irgendwie einmal als Ansprechpartner dienen kann. Und das Andere ist halt, durch so ein Netzwerk eröffnen sich häufig auch erst Stellen“ (Postdok Natur 5).

Mit der diskursiven Praktik einer Selbstvermarktung über strategische Netzwerke dringen Anrufungen der Subjektivierungsform von akademischen Entrepreneur*innen in die Subjektivierungsweisen der Befragten ein (vgl. Peter 2017: 111). Hier geht die Corporate Identity in das Selbstverständnis von Wissenschaftler*innen über, da sich die Studienteilnehmer*innen mit dem Forschungsverbund in Form eines „kollegialen Spirit“ (FU Berlin 2018a: 6) identifizieren. Auf diese Weise werden über sozioökonomische Infrastrukturen wie Forschungsverbünde traditionelle Imperative in der Wissenschaft transformiert. Während Forschungserkenntnisse traditionell als Ergebnis einer kollektiven Wahrheitssuche betrachtet wurden, werden nunmehr wissenschaftliche Erkenntnisse eigennützig innerhalb von kollektiven Beutegemeinschaften verwendet, um das persönliche Fortkommen zu sichern und die individuelle Sichtbarkeit in einem Wettbewerb um knappe Ressourcen und Prestige zu steigern (vgl. Merton 1972: 53 ff.). Insofern liegt es ebenfalls nahe, dass Betroffene den Wettbewerb als soziale Selbstvergewisserung betrachten.

Deutungsmuster „Wettbewerb als soziale Selbstvergewisserung“: Dieser kollektive Wissensbestand zum Bezugsproblem des Wettbewerbs in der deutschen Hochschullandschaft wird von der Seinsverbundenheit des Wissens erheblich beeinflusst, da überwiegend Studienteilnehmer*innen mit einem befristeten Arbeitsplatz und einer hohen Drittmittelabhängigkeit darauf zurückgreifen. Demzufolge ist die Intensität eines persönlich empfundenen Wettbewerbsdrucks eine Frage der Statusgruppe. Einerseits konstatiert ein Studienteilnehmer, dass er

„mit [seiner] Entfristung jetzt eine andere Position [hat] als die Allermeisten. Dadurch ist der Wettbewerbsgedanke nicht so stark. Es gibt viele Kolleginnen und Kollegen, die wollen immer die meisten Publikationen haben und meisten Vorträge halten. Und dieser Wettbewerbsgedanke wird natürlich gefüttert durch dieses Zeitgesetz, dass man publizieren muss, dass man sichtbar sein muss, dass man jede Konferenz mitzunehmen hat und damit sich auch einen Namen macht, der einem weiterhilft die Karriere fortzuführen. Das muss ich alles nicht (lacht) und kann mir ein bisschen mehr auswählen oder mehr ausgewählte Veranstaltungen besuchen“ (PD Human).

Andererseits quittiert ein Juniorprofessor seine prekäre Berufssituation damit, dass man

„spätestens nach sechs Jahren plötzlich unter einem ziemlichen Druck [steht] sich wegzubewerben […]. Der Druck ist besonders groß, weil ich in einem besonderen Alter bin. Ich bin Mitte dreißig, bewege mich jetzt auf Ende dreißig langsam zu, habe eine Familie, mehrere Kinder, was bedeutet, eine befristete Stelle ist nicht mehr so richtig attraktiv […]. Und das heißt, dass ich eigentlich permanent nach Stellen schaue. Ich weiß permanent, welche Stellen sind wo offen. Ich kenne meinen Wettbewerb sehr gut. Ich weiß, wer sich auf welche Stellen irgendwann bewirbt. Ich bin gut genug vernetzt, um in Regel auch zu wissen, wer sich beworben hat und wer auf welcher Listennummer steht. Ich weiß mich ungefähr zu positionieren und war mittlerweile in genug Verhandlungen drin, um das auch bestätigt zu wissen, also ich stand auf mehreren Listen. Ich weiß, welche Listenplätze ich hatte. Ich weiß, wer vor mir war, wer hinter mir war und kenne auch ein paar Gründe dafür. Also ich würde sagen, in meiner Karrierestufe ist es in der Regel so, dass man sich seines Wettbewerbs sehr sehr bewusst ist“ (Jun.prof Wirt 1).

Prekär beschäftigt Befragte nutzen demzufolge den Wettbewerb als soziale Selbstvergewisserung, wodurch der akademische Quasi-Markt für sie zu einem Ort der Wahrheitsfindung wird (vgl. Foucault 2004b: 56). Exemplarisch kann diese Ökonomisierung in der persönlichen Wahrnehmung des Ausscheidungswettkampfs rekonstruiert werden. Dazu zieht ein Befragter einen Vergleich zwischen akademischen Entrepreneur*innen und privatwirtschaftlichen Unternehmer*innen heran und geht davon aus, dass

„man befristet arbeiten darf als Postdok […], was für die Postdoks schlecht ist, weil wer nach den sechs Jahren keine unbefristete Stelle hat, ist eben so ein bisschen gekniffen und muss sich dann etwas Neues überlegen. Das ist so ein bisschen, wie wenn eine Firma pleitegeht, dann tut einem das auch leid, aber dann hat die Firma vielleicht auch einfach kein Konzept, das im Kapitalismus (lacht) funktioniert. Und das gleiche gibt es so ein bisschen auch so an der Uni, dass es eben auch einfach promovierte Menschen gibt, die vielleicht einfach keine Lücke füllen, die es gibt. Also wenn es die Stelle nicht gibt, wenn die niemand besetzen will, wenn die niemand einstellen will […] dann bräuchte man quasi so ein Forschungsstellenkommunismus, wo jeder, der forschen will, forschen darf. Und das ist schwierig zu rechtfertigen, wer das bezahlen soll“ (Dok Wirt).

Mit diesem exemplarischen Vergleich zwischen dem Scheitern von Unternehmer*innen und Wissenschaftler*innen werden akademische Subjekte zu Selbstunternehmer*innen, die sich zu Markte tragen und sich über die diskursive Praktik des Einwerbens von Stellen und Mitteln ihrer persönlichen Position auf dem akademischen Quasi-Markt gewiss werden. Ebenso werden über die Selbstvergewisserung des persönlichen Marktwerts sinnstiftende Erzählungen des NPM-Diskurses reproduziert, indem eine Alternative zu einer wettbewerbsförmigen Verteilung von knappen Ressourcen abgelehnt wird. Ansonsten wäre es nicht „schwierig zu rechtfertigen, wer das bezahlen soll“ (Dok Wirt). Vor diesem Hintergrund ist

„die ganze Existenz eine des Wettbewerbs mit anderen Leuten um sehr wenige Stellen. Aber das ist jetzt nicht so, wie man sich Unternehmen vorstellt oder so, dass da Effizienzpunkte verteilt [werden]. Zwar gibt es so etwas auch in der BUA, aber das spielt de facto keine große Rolle für irgendetwas. Aber natürlich indirekt oder sozusagen im weiteren Kontext ist eigentlich alles, was man (lacht) ständig im Wettbewerb mit dem stets drohenden Ziel oder mit dem stets drohenden Ausgang, dann nehme ich das auf meine Kappe. Insofern durchzieht der Wettbewerb schon alles“ (Postdok Geist 1).

Durch diese Existenz in einem permanenten Wettbewerb um knappe Ressourcen und Prestige nutzen akademische Subjekte unternehmerische Freiheiten und versuchen, über ökonomische Anreizstrukturen ihr persönliches Risiko des beruflichen Scheiterns zu minimieren.

Im Kontext von Anrufungen des wissenschaftlichen Spezialdiskurses entstehen allerdings bei den Befragten ebenfalls ein individueller Widerstand und nicht-diskursive Praktiken. Zugunsten der persönlichen Risikominimierung „gibt es da eigentlich wenig Mut zum [wissenschaftlichen] Risiko. Ja, weil man natürlich immer im Grunde sehr viel Vorleistung bringen muss, das heißt, man […] riskiert nicht unbedingt etwas Neues“ (Prof Soz). Eine soziale Selbstvergewisserung in der persönlichen Unsicherheit erlangt man lediglich, indem viel in hochangesehenen Journals publiziert wird, bei prestigeträchtigen Drittmittelgeber*innen Ressourcen eingeworben und strategische Netzwerke unterhalten werden, denn wenn man sich „erfolgreich platzieren will, braucht man ein gutes Standing im Fach, weil es die eigenen Kollegen sind, die das begutachten“ (ebd.). Gleichzeitig sorgt Konkurrenz, die im Ausscheidungswettkampf zwischen akademischen Subjekten entsteht, für die nicht-diskursive Praktik des Zurückhaltens von wissenschaftlichen Erkenntnissen und für eine persönliche Distanzierung einiger Studienteilnehmer*innen von einer klassischen wissenschaftlichen Laufbahn (vgl. Lenk 2022: 155 f.). In diesem Zusammenhang fasst eine Befragte ihre Existenz im Wettbewerb des akademischen Quasi-Marktes zusammen als

„Grund, weswegen ich […] überhaupt keinen Bock habe auf so eine akademische Laufbahn mit dem klassischen Hauen und Stechen. Und ich kenne das auch von einer Kollegin, die ist super, die hat auch eine Professur, völlig zu Recht und die hat sich sehr etabliert, die war aber auch immer so krass auf der Hut“ (Postdok Soz).

An dieser Stelle führt der Wettbewerb nicht – wie vom Managementdiskurs versprochen – zu mehr Innovationen, sondern zu einer Konkurrenz zwischen Wissenschaftler*innen, die Forschungsergebnisse für sich behalten, um sich bei Drittmittelanträgen Wettbewerbsvorteile zu sichern (vgl. FU Berlin 2019a: 16). Die soziale Selbstvergewisserung sorgt also für „viel Konkurrenz, böses Blut und schlechtes Klima“ (Postdok Geist 3). Schließlich verhindern Wissenschaftler*innen mit (nicht-)diskursiven Praktiken der sozialen Selbstvergewisserung einen flächendeckenden politischen Protest gegen ein neoliberales Ausbeutungs- und Subjektivierungsregime mit feudalen Strukturen. Anstatt sich also durch die gemeinsam geteilte Prekarität zu solidarisieren, wird der empfundene Wettbewerbsdruck über Infrastrukturen des Managementdiskurses kanalisiert. Dies führt dazu, dass sich Wissenschaftler*innen auf einem Quasi-Markt als akademische Entrepreneur*innen über Praktiken der sozialen Selbstvergewisserung positionieren. Ferner werden feminstische und andere emanzipatorische Kämpfe an Hochschulen durch eine verstärkte Konkurrenz im Wettbewerb geschwächt (vgl. Gill 2018: 370). Oder aus der Perspektive eines Betroffenen formuliert: „Das ist die komische Situation, dass man einerseits Konkurrenten ist und andererseits alle im gleichen Boot sitzen, aber dummerweise nicht so im gleichen Boot sitzt, dass man irgendeine Gewerkschaft gründen könnte oder so (lacht)“ (Postdok Geist 1).

Das Anpassungsverhalten an die Bedingungen des Wettbewerbs erschwert also nicht nur politischen Widerstand, sondern transformiert grundlegende Fähigkeiten von Wissenschaftler*innen. Dementsprechend gilt für akademische Subjekte:

„Du musst dich vernetzen können, du musst dich gut verkaufen können, du musst dich natürlich präsentieren können, du kannst kein Eigenbrötler mehr sein. Früher, vor fünfzig Jahren konnten Professoren die totalen Nerds sein und in ihrem Hinterkämmerlein alles machen, was sie wollten, wunderbar. Das geht heute in manchen Nischen bestimmt, in denen, wo ich arbeite, definitiv nicht. Also du musst dich gut verkaufen, vor allen Dingen wenn es um Klimawandel und solche Dinge geht, das ist sehr politisch in mancherlei Hinsicht, da muss man auch vorsichtig sein, wie man Dinge darstellt. Und ja, diese Allroundfähigkeiten, wo du halt eine Art Manager bist. Du musst dein Projekt managen, du musst Gelder managen, du musst Zeit managen und du musst dein Privatleben managen (lacht), das was immer leidet“ (Dok Natur 1).

Über die diskursiven Praktiken des Verkaufens, Vernetzens und der Selbstdarstellung können sich die Befragten positionieren und über die Gewissheit ihrer Position als Quasi-Marktteilnehmer*in individuellen Widerstand sowie Unsicherheiten bewältigen. Dass dieser fundamentale Wandel in Subjektivierungsprozessen nicht folgenlos für traditionelle akademische Aufgabenbereiche an Hochschulen bleibt, zeigt sich an einer kontroversen Diskussion in den Interviews über das Thema der Lehre. Lehre wird von den Studienteilnehmer*innen sowohl als persönliche Belastung als auch als Motivationsquelle betrachtet.

Bezugsproblem Lehre

In den unterschiedlichen Deutungsmustern von Lehre offenbaren sich (nicht-)intendierte Effekte des Managementdiskurses sowie persönlicher Widerstand, der mit dem Transformationsprozess der Hochschullehre einhergeht. Angestoßen wurde der Bedeutungswandel von Lehre in der deutschen Hochschullandschaft durch herrschende Subjekte des Managementdiskurses in den 1990er-Jahren. Hier sprach man sich gegen eine Einheit von Lehre und Forschung sowie gegen eine allgemeine Freiheit in Studium und Lehre aus, weil man diese traditionellen Imperative mit einem „Regelungsgeflecht von Gesetzen, Verordnungen und Vorgaben für die Ressourcenverwendung“ (WR 1993: 19) verbindet, die ein Spannungsfeld zur Autonomie des Hochschulmanagements erzeugen. Darüber hinaus wird die Hochschullehre unter NPM zu einem Interventionsfeld einer neoliberalen Regierungsweise, da in Lehrveranstaltungen Anreize für unternehmerisches Handeln geschaffen werden sollen (vgl. FU Berlin 2014b: 81). Um Qualität sowie Effizienz der Lehre zu fördern, werden seit den Nullerjahren Mittel partiell auch wettbewerbsförmig vergeben sowie vermehrt Evaluierungen und Akkreditierungsverfahren eingesetzt, da es „kein besseres Argument im Wettbewerb um knappe Ressourcen als die nachweisbare Qualität von Lehre (und Forschung)“ (HRK 2000) gibt. Schlussendlich wird Lehre im Wettbewerb um knappe Ressourcen und Prestige marginalisiert, weil „man einen gewissen Zugzwang [hat], auf der Forschungsseite deutlich zu performen“ (Postdok Wirt). In Hinblick auf diese Transformationsprozesse werden Lehrtätigkeiten von einigen Befragten als persönliche Belastung gedeutet.

Deutungsmuster „Lehre als Belastung“: Neben einer Marginalisierung von Lehrtätigkeiten in der Leistungsbewertung von Wissenschaftler*innen sehen sich die Studienteilnehmer*innen mit dem strukturellen Problem einer schlechten Betreuungsrelation konfrontiert. Deswegen „wird von einem deutschen Hochschullehrer inzwischen […] relativ viel Lehre [erwartet]. Insofern würde ich jetzt lügen, wenn ich das nicht auch als Belastung mitunter empfinden würde“ (Prof Soz). Das strukturelle Problem und die Lehrbelastung einiger Studienteilnehmer*innen werden durch externe Ereignisse wie die Corona-Pandemie verstärkt, denn

„Lehre ist schon oft auch eine Belastung. Wir sind einfach in den Humanwissenschaften wahnsinnig belastet, weil wir so wenige sind und auch jetzt die Pandemie, also vor allem das erste Semester, dass Sommersemester zwanzigzwanzig war eine extreme Belastung, was Lehre angeht“ (Prof Human).

Auch Befragte anderer Disziplinen und Statusgruppen greifen auf das vorliegende Deutungsmuster zurück, weshalb die Seinsverbundenheit des Wissens in diesem Fall die persönlichen Deutungen der Studienteilnehmer*innen weniger beeinflusst als bei anderen kollektiven Wissensbeständen (vgl. Deutungsmuster „Drittmittel als Rettung“). Ein interviewter Wissenschaftler konstatiert, „wenn man quasi fast nur mit Lehre beschäftigt ist, dann kann das sehr erdrückend sein, dann hat man nämlich kaum […] Zeit für andere Dinge. Und man forscht Samstagnachmittag und das ist doof“ (Postdok Geist 3).

Ungewöhnlich ist, dass mitunter Drittmittelangestellte die Lehre als eine persönliche Belastung betrachten, obwohl sie laut Arbeitsvertrag keine Lehrtätigkeiten übernehmen müssen. In diesem Kontext berichten drittmittelabhängige Studienteilnehmer*innen von unbezahlter Lehre aufgrund persönlicher Abhängigkeitsverhältnisse zu Hochschullehrer*innen. Hiermit kann zwar ein Anpassungsverhalten an einen Prestigewettbewerb beobachtet werden, aber es findet ebenfalls keine Entmachtung von Hochschullehrer*innen statt, da diese ihre Gefolgschaft mobilisieren, um sich den zeitintensiven, wenig angesehenen Lehrtätigkeiten zu entziehen. Es bietet sich also an, die von Reitz (2021) vorgeschlagene Makroperspektive zur Analyse akademischer Machtverhältnisse mit der Perspektive von akademischen Subjekten anzureichern. Mit dieser Vorgehensweise wird sowohl eine Symbiose zwischen einem akademischen Feudalwesen und einem Prestigewettbewerb sichtbar als auch unbeabsichtigte Effekte wie das Ausnutzen von traditionellen Abhängigkeitsverhältnissen zur persönlichen Nutzenmaximierung (ebd.: 67 f.). Oder aus der Perspektive eines Betroffenen formuliert:

„Wenn man ein Drittmittelprojekt hat, dann steht explizit im Vertrag kein Lehrauftrag drin. Das ist bei uns so ein (..) Gemauschel im Fachbereich, dass eben selbst, wenn man Drittmittelgelder bekommt und da kein Lehrauftrag drin steht, dann muss trotzdem gelehrt werden“ (Dok Natur 2).

Das persönliche Nivellieren von strukturellen Risiken wird gleichfalls am Fall einer anderen Befragten sichtbar, die moniert, dass sie

„in der Promotion […] in der Chemielehre mitwirken [musste], das war eine relativ hohe Belastung, weil da mein Fokus natürlich auf der Forschung lag und die Lehre mir dazwischen kam. Also ich kann mir gut vorstellen, dass dieser Konflikt, gute Lehre und gute Wissenschaft zu betreiben, das sehe ich auch beides in der Wissenschaft sehr gut an unserem Institut“ (Postdok Natur 1).

Lehre wird somit infolge von strukturellen Risiken als persönliche Belastung gedeutet und führt zu (nicht-)diskursiven Praktiken der (Selbst-)AusbeutungFootnote 14. Auch unbefristet Beschäftigte mit sogenannten Hochdebutatsstellen greifen auf das vorliegende Deutungsmuster zurück. Diese Stellen sorgen für eine Trennung von Lehre und Forschung, da

„die Zeit [für Forschung] fehlt. Ich habe per Vertrag eigentlich achtzehn Semesterwochenstunden Lehre, die ich mache, das ist gar nicht zu schaffen […]. Das heißt, wenn man das hochrechnet, hat die Woche gar nicht genug Stunden dafür. Ich habe auch so eine Verkürzung beantragt und die ist auch bewilligt, also de facto mache ich aber vierzehn Wochenstunden Lehre und da bleibt gar keine Zeit für Forschung übrig“ (Postdok Natur 2).

Um die Einheit von Lehre und Forschung aufrechtzuerhalten, beuten sich sowohl Studienteilnehmer*innen selbst aus, die vollkommen über Haushaltsmittel finanziert werden, als auch Befragte mit einer Drittmittelstelle. Einerseits erzeugt Selbstausbeutung als Selbsttechnologie bei Betroffenen individuellen Widerstand. Andererseits wird das strukturelle Spannungsverhältnis zwischen Lehre und Forschung von akademischen Subjekten mit einer exklusiven Sprecher*innenposition über Abhängigkeitsverhältnisse ausgeglichen. Zu diesem Zweck werden unsichtbare Lehrtätigkeiten auf Wissenschaftler*innen mit einem niedrigeren Status übertragen und das persönliche Fortkommen über sichtbare, hochangesehene Forschungstätigkeiten gesichert.

An dieser Stelle zeigt sich die fundamentale Bedeutung eines intakten akademischen Feudalwesens für ein neoliberales Ausbeutungs- und Subjektivierungsregime in der deutschen Hochschullandschaft, da ohne die Abhängigkeitsverhältnisse und Statusunterschiede ein Dispositiv neoliberaler Gouvernementalität ineffektiv wäre. Diesbezüglich kann der Befund des strategischen Scheiterns von herrschenden Subjekten des Managementdiskurses durch die Erkenntnisse der Deutungsmusteranalyse erweitert werden. Es wird festgehalten, dass Vertreter*innen des NPM-Diskurses, auch wenn sie sich selbst als Problemlöser*innen positionieren, insbesondere daran interessiert sind, (feudale) Problemlagen zu aktualisieren, und auf deren Fortbestehen angewiesen sind (vgl. Deutungsmuster „sachgerechte und wissenschaftsadäquate Problemlösung“). Ohne die Aktualität dieser Problematisierung würde der Managementdiskurs seinen Geltungsanspruch in der sozialen Wirklichkeit von Hochschulen verlieren. Demnach generieren herrschende Subjekte des NPM-Diskurses über die feudalen Strukturen Deutungsmacht, wodurch eine Herrschaft über Praktiken der (Selbst-)Ausbeutung möglich wird und die gewünschte Effizienz- und Leistungssteigerung in der deutschen Hochschullandschaft produziert.

Eine unerwünschte Begleiterscheinung dieser Transformationsprozesse ist ein Qualitätsverlust in der Lehre, da Dozierende ihre eigene Tätigkeit als Belastung betrachten und beginnen, Lehrveranstaltungen sowie Prüfungen zu standardisieren, um ihren Arbeitsaufwand zu reduzieren. Aus diesem Grund

„gibt es keine wirkliche Überprüfung mehr, ob die Lehrveranstaltung irgendwie funktioniert hat und die Leute am Ende gute Ergebnisse produzieren können, weil sie noch mehr in dieses Auswendiglernensystem gesteckt werden, weil man nicht mehr eigene Sätze schreiben muss, sondern einfach nur vorgegebene Sachen entscheiden muss. Ich glaube, das hat sehr großen Einfluss darauf, wie Menschen das Denken lernen in solchen Sachen“ (Postdok Natur 3).

Damit trägt die Abwertung von Lehrtätigkeiten und anderen reproduktiven Arbeiten im Hochschulbetrieb unter dem Managementdiskurs auch zu einer weiteren Marginalisierung von Care-Arbeit in der Gesellschaft bei (vgl. Briken, Blättel-Mink, Rau & Siegel 2018). Diese ungewollten Effekte erzeugen allerdings persönlichen Widerstand bei den Studienteilnehmer*innen, da internalisierte traditionelle akademische Werte und Normen unterlaufen werden. So betrachten einige Befragte unterschiedlicher Statusgruppen und Disziplinen die Lehre trotz der Abwertung ebenfalls als persönliche Motivationsquelle.

Deutungsmuster „Lehre als Motivationsquelle“: Der vorliegende kollektive Wissensbestand zum Bezugsproblem der Hochschullehre wird von dem Umgang der Studienteilnehmer*innen mit der Seinsverbundenheit des Wissens stark beeinflusst, weil überwiegend ältere und unbefristet Beschäftigte „gern unterrichten“ (Prof Wirt). Denn die Befragten, die sich strukturellen Risiken des Managementdiskurses partiell entziehen können, konstatieren, dass sie „gerne in den Hörsaal [gehen]. Ich unterrichte gerne und mir macht das riesen Spaß, auch meine Forschungsergebnisse den Studierenden mitzuteilen“ (Prof Recht). Hinter dem „riesen Spaß“ (ebd.) an Lehrtätigkeiten verbirgt sich allerdings ein tieferer Sinn, der auf Anrufungen eines wissenschaftlichen Spezialdiskurses zurückzuführen ist. Hier wird der persönliche Einstieg in die Wissenschaft thematisiert und mit dem Ideal der Einheit von Lehre und Forschung verknüpft. In diesem Zusammenhang bemerkt ein Studienteilnehmer, dass

„Lehre super wichtig [ist]. Vor allen Dingen, weil man als Student auch gemerkt hat, wenn man gute Lehre genossen hat, war man deutlich besser, als wenn man schlechte Lehre genossen hat. Und nur durch gute Lehre sind wir alle hier, wo wir sind. Das Problem ist, gute Lehre […] wird nicht anerkannt. Für die wissenschaftliche Laufbahn ist es irrelevant, ob ich gute Lehre mache oder schlechte Lehre mache. In der Promotion am Ende steht nicht drin, der hat gute Lehre gemacht, der kriegt jetzt eine Note besser, der kriegt jetzt irgendwie Summa oder nicht. Also es ist komplett irrelevant, ob ich mir Mühe gebe oder keine Mühe gebe, es ist halt nur aus persönlichem Interesse, weil ich gute Lehre wichtig finde, investiere ich da auch viel Zeit eben rein“ (Dok Natur 2).

Insofern

„gehört Forschung und Lehre schon zusammen. Also erstens, weil die Lehre sollte durch Leute gemacht werden, die auch wirklich selber forschen, sonst hat man nur so eine Verkostung, also sozusagen Verfütterung von Inhalten, die sich die Leute angelesen haben und das ist nicht gut. Und man erfährt doch viel als Forschender durch die Lehre über die Vermittelbarkeit und Relevanz der eigenen Forschung“ (Postdok Geist 1).

Mit der „Vermittelbarkeit und Relevanz der eigenen Forschung“ (ebd.) wird die Hochschullehre selbst für eine drittmittelabhängige Studienteilnehmerin zu einer Motivationsquelle. Auch wenn Lehrtätigkeiten mit einer Selbstausbeutung verbunden sind,

„empfinde ich es als einen Gewinn, in die Situation zu kommen, zu unterrichten, weil das eine bestimmte Art Fähigkeiten mir mitgibt, die ich auch in anderen Bereichen brauche. Also von daher sehe ich das nicht immer zwangsläufig als negativ, wenn beispielsweise ein Drittmittelangestellter auch einmal Lehrtätigkeiten übernimmt“ (Postdok Wirt).

Ein Befragter mit einer Drittmittelstelle stellt ebenfalls fest, dass in der Lehre „manchmal Fragestellungen aufkommen, auf die man selber nie gekommen wäre, weil die [Studierenden] halt einen ganz anderen Blickwinkel haben und ein bisschen unbelasteter rangehen“ (Postdok Natur 5). Durch diese schlecht- und unbezahlten Lehrtätigkeiten wird ein erheblicher Beitrag zur Nivellierung von strukturellen Risiken des Managementdiskurses geleistet sowie Effizienz erzeugt.

Gleichzeitig entsteht mit der Aneignung des Ideals von Lehre und Forschung ein individueller Widerstand zur managerialen Anrufung, Sichtbarkeit über Kennzahlen zu generieren (vgl. FU Berlin 2019b; HRK 1995b). Im Bereich der Lehre werden diesbezüglich manageriale Verfahren zur Erhebung von Kennzahlen bewusst unterlaufen. Dazu nutzen einige Befragte die nicht-diskursive Praktik einer alternativen Evaluierung, indem sie standardisierte Evaluierungsverfahren (teilweise) verweigern und sich stattdessen eine persönliche Rückmeldung bei den Studierenden einholen. Für diese nicht-diskursive Praktik ist gleichfalls die Seinsverbundenheit in Form von beruflichen (Un-)Sicherheiten konstituierend. Folglich erhebt eine interviewte Hochschullehrerin

„Lehrevaluierungen […] nur sporadisch, weil ich das einfach gerade nicht mehr so brauche. Also meine Mitarbeiter(.)innen machen das auf jeden Fall […]. Also ich mache das oft auch mündlich in kleineren Gruppen oder so, aber es gibt dafür auf jeden Fall auch Tools und […] man macht das so lange, wie man sich bewirbt, wenn man dann eine unbefristete Stelle hat, ist das irgendwann nicht mehr so wichtig“ (Prof Human).

In Hinblick auf den Bereich der Lehre wird die Gatekeeper-Funktion von akademischer Prekarität für Anrufungen und Herrschaftstechnologien des Managementdiskurses deutlich, denn mit beruflichen Sicherheiten gelingt der gouvernementale Zugriff auf akademische Subjektivierungsweisen lediglich bedingt. Diese Fluchtpunkte führen zum Unterlaufen des NPM-Diskurses und zu subversiven Verhaltensweisen. Von Befragten werden Lehrevaluierungen mitunter als Selbstzweck des Managementdiskurses wahrgenommen, „von daher ignoriere ich diese Ergebnisse“ (Postdok Natur 2). Auch ein anderer Studienteilnehmer bemerkt im Umgang mit Evaluierungsergebnissen, dass „mein Chef […] die Evaluationsergebnisse sehen [möchte], aber in echt haben wir noch nie darüber gesprochen, […] weil er, glaube ich, keine Zeit hat (lacht), sich damit wirklich auseinanderzusetzen. Also auch da habe ich, glaube ich eine große Freiheit“ (Dok Wirt). Die mangelnde Relevanz managerialer Steuerungsinstrumente in der Hochschullehre wird als persönliche Freiheit wahrgenommen. Auf diese Weise ergibt sich ein konträres Bild zur Forschung, denn dort werden Herrschaftstechnologien des Managementdiskurses teilweise als individuelle Freiheit betrachtet (vgl. Deutungsmuster „Drittmittel als Freiheit“).

Die vorliegenden empirisches Erkenntnisse legen nahe, dass die Hochschullehre einen geschützten Raum für die Aneignung traditioneller akademischer Werte und Normen darstellt – und damit einen Fluchtpunkt in einem neoliberalen Subjektivierungsregime (vgl. Whitley 2014: 370–373). Weiterhin erklären die empirischen Befunde auch die zunehmenden Regierungsanstrengungen von Vertreter*innen des NPM-Diskurses ab den Nullerjahren im Bereich der Lehre (vgl. DFG 2009; HRK 2005b: 4; WR 2006: 71). Letztlich ist der Managementdiskurs jedoch auf den individuellen Widerstand und die subversiven Verhaltensweisen von Wissenschaftler*innen angewiesen, um (selbstverursachte) Problematisierungen zu aktualisieren. Oder anders formuliert: „Wo es Macht gibt, gibt es Widerstand“ (Foucault 1987: 116). Vor diesem Hintergrund wird davon ausgegangen, dass persönlicher Widerstand und subversive Verhaltensweisen eine Legitimationsgrundlage von herrschenden Subjekten des Managementdiskurses zur Ausübung von Macht in der deutschen Hochschullandschaft darstellen. Ohne diese Gegenkräfte würde eine neoliberale Regierungsweise ihr Interventionsfeld und die Wissenspolitik des Managementdiskurses ihren Geltungsanspruch verlieren. Oder als Frage formuliert: Wozu sollte Macht ausgeübt werden, wenn es keinen (individuellen) Widerstand gibt?

Diese Prämisse moderner Regierungsweisen zeigt sich ebenfalls, wenn die Befragten über den Geltungsanspruch einer managerialen Steuerung diskutieren.

Bezugsproblem manageriale Steuerung

In den 1990er-Jahren wurde vermehrt angeregt, Problemlagen im deutschen Hochschulsystem mit einer managerialen Steuerung zu bewältigen (vgl. Abschnitt 5.1.1 Konstituierungsphase). Ab den Nullerjahren wurden zu diesem Zweck Steuerungsverfahren des NPM-Diskurses flächendeckend implementiert und die Hochschulangehörigen mit Herrschaftstechnologien des Managementdiskurses konfrontiert (vgl. Abschnitt 5.1.2 Actionphase). In diesem Zusammenhang lassen sich aus dem Interviewmaterial verschiedene Deutungsmuster zum Bezugsproblem der managerialen Steuerung rekonstruieren.

Deutungsmuster „Manageriale Steuerung als Autonomieeingriff“: Mitunter werden externe Steuerungsanstrengungen von herrschenden Subjekten des NPM-Diskurses von den Befragten als Eingriff in ihre persönliche Freiheit gedeutet. So moniert eine Hochschullehrerin, dass

„diese Steuerungsinstrumente […] ein echtes Problem [sind], weil sie letztlich […] dazu führen, dass man dieser Steuerungslogik eben folgt. Und im Grunde, wenn man konsequent ist, muss man bestimmte Fächer abschaffen, Institute schließen, die nicht gängig sind, die man nicht vollkriegt oder Unterperformer vor lauter Leuten, die nur Bücher schreiben und keine Aufsätze und keine Drittmittel rankarren“ (Prof Soz).

Auch ein anderer Hochschullehrer verdeutlicht, „bei meinen Zielvereinbarungen hatte ich einen gewissen Druck, weil da von der Uni aus eine gewisse Anzahl verlangt wurde“ (Prof Recht). Den Aussagen der beiden Hochschullehrer*innen kann entnommen werden, dass insbesondere die manageriale Steuerung über Kennzahlen als „echtes Problem“ (Prof Soz) und „Druck“ (Prof Recht) empfunden wird, da mit dem gouvernementalen Zugriff ein Anpassungsverhalten und Eingriff in die persönliche Freiheit der Befragten verbunden ist.

Als Folge entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen einer professoralen und managerialen Autonomie (vgl. Lenk 2022: 156 f.). Sichtbar wird diese Konfliktarena an Machtkämpfen zwischen Hochschullehrer*innen und dem Hochschulmanagement in Verhandlungen über Zielvereinbarungen. Zur Disposition steht die professorale Autonomie, die über Kennzahlen ausgehandelt wird. Analog zur Humankapitaltheorie neoliberaler Klassiker wird über das Senken der Kosten und die Erhöhung des Nutzens einer Handlung versucht, akademische Verhaltensweisen zu steuern (vgl. Foucault 2004b: 349 f.). Insofern wird das Festlegen von Kennzahlen in Zielvereinbarungen mitunter als Eingriff in die persönliche Freiheit gedeutet. Darum konstatiert eine Hochschullehrerin zusammenfassend, dass man

„nach der Berufung […] in der Regel Zielvereinbarungen [unterschreibt], was an der Uni so ist wie sage ich einmal die Gehaltssteigerung in einem Unternehmen oder so, dass man dann eben nach fünf Jahren oder so dann noch solche nachlaufenden Berufungszulagen bekommt. Und die sind in der Regel an Drittmittel gebunden und das heißt, ich muss jetzt eine bestimmte Höhe von Drittmitteln erbringen. Und ich bin damit dann auch nicht frei“ (Prof Human).

Dass sich die Befragte „nicht frei“ (ebd.) fühlt und ein anderer Hochschullehrer „Druck“ (Prof Recht) durch zu erfüllende Kennzahlen empfindet, belegt einerseits individuellen Widerstand. Andererseits ergibt sich aus dem vorliegenden Deutungsmuster ein Hinweis auf die Reichweite von managerialen Steuerungsinstrumenten, da dergestalt die Verhaltensweise von akademischen Subjekten kanalisiert wird, selbst wenn diese den gouvernementalen Zugriff reflektieren und als Eingriff in ihre persönliche Freiheit betrachten.

Neben Hochschullehrer*innen eignen sich Studienteilnehmer*innen anderer Statusgruppen den kollektiven Wissensbestand der Freiheitseinschränkung durch eine manageriale Steuerung an. Bei diesen Befragten entscheidet die intrinsische Motivation darüber, warum Herrschaftstechnologien des Managementdiskurses als Autonomieeingriff gedeutet werden. Deshalb konstatiert eine Postdoktorandin (Soz), dass „alle, die in der Wissenschaft arbeiten, machen das nicht des Geldes wegen, sondern weil sie irgendwie Spaß an der Sache haben und dann braucht man keine externen Zwänge und auch keine Anreizmittel“. Demzufolge verursacht die intrinsische Motivation einen persönlichen Widerstand zu Herrschaftstechnologien des NPM-Diskurses. Gleichwohl gewährleistet dieser individuelle Widerstand einen gouvernementalen Zugriff auf akademische Subjektivierungsweisen, da die intrinsische Motivation die Befragten zu einem Anpassungsverhalten an die Anrufungen des Managementdiskurses zwingt, um nicht aus dem Wissenschaftsbetrieb ausgesondert zu werden. Zum Vorschein kommt der Anpassungszwang insbesondere bei Juniorprofessor*innen, die sich auf dem Weg in eine beruflich sichere Zukunft befinden. Aus diesem Grund ist

„die Juniorprofessur ein mega guter Deal [für die Hochschulleitung], weil ich stelle top motivierte Leute ein, befristete Verträge, die also ein sehr großes Interesse daran haben, in kurzer Zeit möglichst viele Publikationen rauszuwerfen und möglichst viele Drittmittel einzuwerben, damit sie sich berufungsfähig machen. Und zwar berufungsfähig auf dem öffentlichen Markt. Und noch dazu sind sie günstiger als ein wissenschaftlicher Mitarbeiter und damit sind wir mega effizient. Mein Department hat es geschafft, alle Juniorprofessoren relativ kurz nach der Zwischenevaluation, in einem Fall sogar vor der Zwischenevaluation wegzubekommen“ (Jun.prof Wirt 1).

Als Folge dessen führt die diskursive Praktik des Aushandelns der persönlichen Freiheit in Zielvereinbarungen, Leistungsevaluierungen und Betreuungsvereinbarungen zu einem Anpassungsverhalten von Wissenschaftler*innen. Anders als ein zweckrationaler Akteur wie der Homo oeconomicus deuten die Befragten diesen strategischen Aushandlungsprozess allerdings nicht als eine Win-win-Situation, sondern als externen Zwang und Eingriff in ihre persönliche Freiheit (vgl. Foucault 2004b: 310 f.). Diese wertrationale Denkweise erzeugt zwar einen individuellen Widerstand zur politischen Rationalität des Managementdiskurses, führt allerdings aufgrund der Motivation, in der deutschen Hochschullandschaft weiterhin tätig zu bleiben, zur Steuerung von akademischen Verhaltensweisen über Herrschaftstechnologien des NPM-Diskurses. In diesem Kontext können unbeabsichtigte Effekte beobachtet werden, die durch eine persönliche Nutzenmaximierung von akademischen Subjekten über manageriale Steuerungsinstrumente entstehen.

Zur Steigerung des persönlichen Publikationsoutputs legt ein Hochschullehrer in einer Betreuungsvereinbarung mit einer interviewten Doktorandin fest, dass diese nicht ohne ihn veröffentlichen darf. „Deswegen ist die Freiheit sich auszusuchen, mit wem man publiziert, wo man publiziert und was man publiziert, sehr eingeschränkt, weil die Supervisoren so viel mitzureden haben während deiner Doktorarbeitszeit“ (Dok Natur 1). Demzufolge trägt eine manageriale Steuerung zur Verschärfung von persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen bei, da man

„als Mitarbeiter einer Arbeitsgruppe an das Belohnungssystem für den Professor gebunden [ist], nämlich publizierst du mehr, kriegt der Professor mehr Geld, hast du mehr Haushaltsmittel, hast du mehr Freiheiten, kannst du auf Konferenzen fahren, musst das nicht selber bezahlen (lacht). Das heißt, wenn ich mehr publiziere, hat der Chef mehr Geld und dann ist er vielleicht gewillter, mir meine Konferenz zu bezahlen“ (ebd.).

Diese Intergouvernementalität an deutschen Hochschulen erzeugt einen Kaskadeneffekt, da über traditionelle Abhängigkeitsverhältnisse die Auswirkungen von Herrschaftstechnologien des Managementdiskurses statusgruppenübergreifend übertragen werden. Gleichfalls wird an dem Kaskadeneffekt deutlich, dass Vertreter*innen des Managementdiskurses nicht an der Beseitigung eines akademischen Feudalwesens interessiert sind, da die traditionellen Strukturen in die politische Rationalität einer neoliberalen Regierungsweise gewinnbringend eingehegt werden. Es gelingt Subjekten des Managementdiskurses jedoch nicht, die wertrationale Denkweise einiger Studienteilnehmer*innen zu transformieren. Sichtbar wird dies an dem folgenden kollektiven Wissensbestand über Kennzahlen.

Deutungsmuster „Kennzahlen als Bedrohung von traditionellen Werten und Normen“: Die Anrufung, möglichst viel in hochgerankten Journals zu publizieren und Mittel bei angesehenen Drittmittelgeber*innen einzuwerben, widerstrebt einer wertrationalen Denkweise, wodurch Kennzahlen von den Befragten mitunter als Bedrohung von traditionellen Werten und Normen betrachtet werden. Zu diesem Zweck werden von einem Postdoktoranden (Natur 2) kennzahlengesteuerte Berufungskommissionen kritisiert, weil es

„nicht unbedingt darum [geht,] wer macht gute Forschung. Es geht darum, wer macht Forschung, die allgemein hoch geschätzt und anerkannt wird. Wer ist extrem gut vernetzt, auch mit anderen Instituten und Einrichtungen. Und wer hat den höchsten Wert, also den monetären Wert. Also wer kann die meisten Mittel […] von der Hochschule einwerben.“

Ein anderer Studienteilnehmer stellt ebenfalls fest, „dass diejenigen, die jetzt hier massenhaft Drittmittel einwerben, auch dementsprechend gefördert werden“ (Postdok Human). Vor diesem Hintergrund wird eine Selektion über die Fähigkeit, sich zu vermarkten, von den Befragten thematisiert. Mit der Auslese durch das ökonomische Tribunal des akademischen Quasi-Marktes wird ein traditionelles Qualitätsverständnis von Wissenschaftler*innen transformiert, da „man […] irgendetwas qualitativ messen [will] und versucht, es in quantitative Indikatoren zu pressen“ (Jun.prof Wirt 2). Gleichzeitig wird durch eine Kennzahlensteuerung die „Varianz an Verhaltensmustern“ (Prof Soz) kleiner, was insbesondere beim Deutungsmuster einer guten Publikation und den damit verbundenen Praktiken zum Vorschein kommt (vgl. Deutungsmuster „High-Impact-Journalbeiträge als Zeichen von wissenschaftlicher Qualität“). Insofern sagt „der Markt, Publikationen und meinetwegen auch noch Drittmittel und mach auch bitte ein bisschen Lehre, damit hat die Uni Zahlen gehabt, die sie auch erfüllen wollte“ (Jun.prof Wirt 1). Demzufolge werden Kennzahlen zur Schnittstelle zwischen akademischen Subjekten und einem Quasi-Markt, der akademische Subjekte über eine soziale Wirklichkeit aus Zahlen navigiert.

Aufgrund von angeeigneten traditionellen Werten und Normen grenzen sich die Studienteilnehmer*innen jedoch von der politischen Rationalität des NPM-Diskurses ab. Die Wissenspolitik des Managementdiskurses wird unterlaufen, indem nicht anerkannt wird, dass Kennzahlen die Qualität wissenschaftlicher Arbeiten sowie die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit einer Hochschule abbilden (vgl. FU Berlin 2019b; WR 2014: 15). Infolge dieser Abgrenzung stellt ein Befragter klar,

„das dokumentiert nichts darüber, wenn es um gute Forschung geht, was wirklich dabei rauskommt. Also ich glaube, es gibt Wissenschaftlerinnen […], die sehr gute Forschung machen, aber einfach nicht besonders gut sind in dieser Antragsprosa. […] Also ich glaube […], das kann man so sagen, auch als wichtige Qualifikation für Wissenschaftler(.)innen bezeichnen, dass man einfach Antragsprosa beherrscht (..) und am Ende das so gut wie nichts mit der Forschung zu tun hat. Oder […] bei uns im Studium ist das auch, dass man genau diese Sachen auch lernt, dass es da Pflichtseminare gibt. Das heißt Projektmanagement, aber eigentlich lernt man da, wie man es möglichst so verpackt, dass sie finanziert werden. Und auch so in den Graduiertenschulen […], Dahlem Research School, so eine Fortbildungseinrichtung für Wissenschaftlerinnen, dass auch da (lacht) in den Seminaren, die angeboten werden, dass schon eine sehr große Rolle spielt, Drittmittelakquise zu lernen. Und ja, am Ende hat das wenig mit dem wissenschaftlichen Output zu tun“ (Postdok Natur 3).

Dieser Aussage zufolge erzeugt eine Kennzahlensteuerung zwar individuellen Widerstand. Aber es findet ein Anpassungsverhalten über die diskursive Praktik der Antragsprosa statt, weil die Erfüllung von Kennzahlen den Verlauf der Karriere in der deutschen Hochschullandschaft stark beeinflusst. Es ist darüber hinaus auffällig, dass der vorliegende kollektive Wissensbestand vorrangig durch Studienteilnehmer*innen mit beruflichen Sicherheiten und durch Befragte, die vor 2010 promoviert haben, beansprucht wird. Einerseits weist dieser empirische Befund auf eine Transformation von akademischen Subjektivierungsweisen in der Zeitspanne von 2010 bis 2020 hin. Anderseits eröffnet die Retrospektive älterer Studienteilnehmer*innen einen persönlichen Einblick in die diskursive Konfliktarena des wissenschaftlichen Spezialdiskurses und Managementdiskurses. Somit kann akademische Subjektivierung als sozialer Prozess mit Anschlüssen, aber keinem Abschluss betrachtet werden, da sich die Denk- und Handlungsweise von Wissenschaftler*innen in einem permanenten Spannungsfeld von Diskursen bzw. eines Dispositivs neoliberaler Gouvernementalität befindet. Dieses „strategische Arrangement von Diskursen und Praktiken“ (Bröckling 2018: 32) wird wiederum von Subjektivierungslinien durchgekreuzt, die zum einen Wissensordnungen und Regierungsweisen verbinden und zum anderen das Dispositiv durch individuellen Widerstand und subversive Verhaltensweisen erodieren lassen. Mit diesem persönlichen-diskursiven Spannungsverhältnis innerhalb eines gouvernementalen Dispositivs in der deutschen Hochschullandschaft wird Wissenschaft von akademischen Subjekten neu verhandelt.

Bezugsproblem Wissenschaft

Traditionellerweise wird Wissenschaft als werturteilsfrei, uneigennützig und unabhängig von gesellschaftlichen Partikularinteressen verstanden (vgl. Bourdieu 1998: 18; Weber 2002 [1894–1922]: 498–506). In den Nullerjahren wird Wissenschaft durch die Entfesselung des NPM-Diskurses für gesellschaftliche Partikularinteressen zunehmend nutzbar gemacht (vgl. HRK 2002; WR 2013: 6). Deswegen betrachten die Studienteilnehmer*innen Wissenschaft mitunter als Mode.

Deutungsmuster „Wissenschaft als Mode“: In diesem Zusammenhang bemerkt eine Befragte, dass

„Gründlichkeit, Genauigkeit, Ehrlichkeit (lacht), hohe Reflexivität und Selbstkritik […] Werte [sind], die ehrlich gesagt mir so ein bisschen verloren gehen, aber schon länger. Ich meine, dass es akademische Moden gibt […] und wer da sozusagen das Glück hat, auf so einer Welle vorne reinzuschwimmen, der wird zum Star“ (Prof Soz).

Auch ein Postdoktorand (Natur 2) kritisiert, dass

„eben nur Forschungsgebiete, die Geld bringen oder wo viel publiziert wird, unterstützt [werden]. Unpopuläre Forschung kann keiner machen, obwohl vielleicht die Erkenntnisse, die dort gewonnen werden würden, durchaus interessant wären, aber wenn sich niemand dafür interessiert oder sich das nicht vermarkten lässt, wird das halt nicht gemacht und das widerspricht eigentlich der wissenschaftlichen Freiheit.“

Wenn die Wissenschaft als Mode betrachtet wird, die sich an gesellschaftspolitischen Thementrends ausrichtet,

„verwendet [man] schon ein bisschen mehr Zeit und Aufwand auf Themen von denen man ausgeht, dass sie Drittmittelgeber interessieren könnten. Also zurzeit alles, was mit Covid zu tun hat, lässt sich wahrscheinlich leicht realisieren. Und es gibt immer wieder solche Modethemen“ (Prof Wirt).

Das vorliegende Deutungsmuster führt zu einem Anpassungsverhalten von Wissenschaftler*innen, die dergestalt forschen, dass wissenschaftspolitische Themen bedient werden. Außerdem kann das Aufgreifen von „Modethemen“ (ebd.) als diskursive Praktik betrachtet werden, wodurch es jedoch zum unbeabsichtigten Effekt einer Verengung von wissenschaftlichem Wissen kommt, da „eben nur Forschungsgebiete, die Geld bringen oder wo viel publiziert wird, unterstützt [werden]“ (Postdok Natur 2). Darum werden mit dieser diskursiven Praktik traditionelle akademische Werte wie ZweckfreiheitFootnote 15 unterlaufen, weshalb ein individueller Widerstand entsteht (vgl. Bourdieu 1992: 206). Dieser Widerstand mündet allerdings nicht in einem politischen Protest gegen die Oktroyierung wissenschaftlicher Themen, sondern führt zu einer Anpassung mit Praktiken der Spekulation. Hiermit werden Wissenschaftler*innen thematisiert, „die sozusagen halbfertige Anträge in der Schublade haben und nur darauf warten, dass das große Elbhochwasser 2002 oder Oderhochwasser 97 kommt, weil dann ist das auf der Tagesordnung und dann kriegt man eher Geld für die Anträge“ (Postdok Natur 3). Insofern „muss [man] schon so ein bisschen mit der aktuellen Welle schwimmen, die eben gerade wieder ansteht“ (Dok Natur 2).

Das Spannungsverhältnis zwischen traditionellen akademischen Imperativen und einer dienstfertigen Wissenschaft sorgt bei einigen Studienteilnehmer*innen für eine Abgrenzung von Subjektivierungsformen des Managementdiskurses (vgl. Bourdieu 1998: 19). Ein Befragter begründet seine persönliche Abgrenzung anhand der Entwicklungsgeschichte von Impfstoffen gegen Coronaviren:

„Gutes Beispiel mRNA, das war in den Neunzigern praktisch der Tod. Den Leuten hat man gesagt, das wird nie etwas und dann haben die Unternehmen ausgegründet und jetzt sind wir alle abhängig von dieser (lacht) Forschung. Und dem kann man nur begegnen, wenn man es schafft, den Leuten Geld zu geben und nichts erwartet und ihr gebt mir jetzt unmittelbar einen Return on Investment in zwei Jahren. Das ist glaube ich eine Denkweise, die nicht so gut funktioniert“ (Jun.prof Wirt 1).

Mit der wissenschaftspolitischen Steuerung von Themen findet somit eine Verengung des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses statt, da mit den Thementrends ebenfalls Personalentscheidungen getroffen werden, weil sich jene akademischen Subjekte im Wettbewerb um (unbefristete) Stellen durchsetzen, die sich vermarkten können und anpassungsfähig sind. Der inszenierte Wettbewerb führt nicht zu den versprochenen Innovationen, sondern zur Verengung des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses durch ein Anpassungsverhalten von akademischen Subjekten (vgl. HRK 2004d: 7). Von diesem ungewollten Effekt sind insbesondere Studienteilnehmer*innen mit einer hohen Drittmittelabhängigkeit betroffen. Hierbei handelt es sich um Befragte, die Drittmittel mitunter auch als persönliche Rettung oder Freiheit betrachten (vgl. Deutungsmuster „Drittmittel als Rettung“; „Drittmittel als Freiheit“). Die Wechselwirkung zwischen der Seinsverbundenheit und den unterschiedlichen kollektiven Wissensbeständen der Studienteilnehmer*innen lässt die Schlussfolgerung zu, dass akademische Subjektivierungsweisen über einen Wettbewerb um knappe Ressourcen und Prestige transformiert werden. Exemplarisch wird der Zusammenhang zwischen einer Drittmittelabhängigkeit und Deutungsmustern an diskursiven Praktiken deutlich. So lässt sich beispielsweise die diskursive Praktik einer Antragsprosa mit wissenschaftspolitischen Schlüsselwörtern sowohl beim Deutungsmuster „Drittmittel als Rettung“ als auch beim vorliegenden kollektiven Wissensbestand beobachten. Diskursive Praktiken werden deshalb partiell als Handlungsoptionen für verschiedene Bezugsprobleme von den Befragten herangezogen. Gleichzeitig entwickelt sich aus dem persönlichen Arrangement mit wissenschaftspolitischen Themen eine wesentliche Fähigkeit von akademischen Subjekten. Aus diesem Grund schreibt man als Wissenschaftler*in „diese aktuellen Buzzwords in seinen Antrag rein“ (Dok Natur 2). Infolgedessen war

„jetzt plötzlich […] die Pandemie ganz wichtig, pandemische Forschung in allen Bereichen. Medizin, Pharmazie natürlich klar, aber auch in den Gesellschaftswissenschaften schossen aus allen Gegenden irgendwelche Tagungen über Pandemie im Neunzehnten Jahrhundert, Pandemien in der Antike, oder ich weiß nicht. Danach richte ich mich persönlich nicht“ (Prof Recht).

Dass der Befragte sich nicht an Thementrends der Wissenschaftspolitik orientiert, liegt an seiner hohen Drittmittelunabhängigkeit sowie der persönlichen Aneignung traditioneller Werte und Normen, weshalb er den Einfluss von Mittelgeber*innen auf den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt auch kritisch betrachtet und sich teilweise von der Wissenspolitik des Managementdiskurses abgrenzt. Ein anderer Studienteilnehmer, der „an Drittmittel gebunden ist, fängt natürlich an [zu schauen], was kann man überhaupt machen, also […] welche Themen werden denn Drittmittelgefördert. Das ändert sich über die Zeit“ (Postdok Natur 5).

Aus der Seinsverbundenheit des Wissens lässt sich ableiten, dass eine hohe Drittmittelabhängigkeit die Perspektive der Befragten auf Wissenschaft und deren Praktiken transformiert. Demzufolge deuten größtenteils drittmittelabhängige Studienteilnehmer*innen Wissenschaft als Mode und reagieren auf die Modethemen mit einer Antragsprosa. Dagegen werben unabhängigere Studienteilnehmer*innen Drittmittel eher zeitlos ein, da sie sich weniger an Thementrends orientieren, sondern mehr am Status der Mittelgeber*innen (vgl. Deutungsmuster „Drittmittel als Statussymbol“). In beiden Fällen kann jedoch die Verhaltensweise von akademischen Subjekten über eine ökonomische Infrastruktur des akademischen Quasi-Marktes kanalisiert werden. Der Zugriff auf akademische Subjektivierungsweisen in einem Dispositiv neoliberaler Gouvernementalität sorgt allerdings auch für eine Nivellierung von indiduellen Widerstand, da traditionelle akademische Imperative in die Anrufungen des Managementdiskurses eingehegt werden. So betrachten sowohl kritische als auch dienstfertige akademische Subjekte die Wissenschaft als einen gesellschaftlichen Beitrag.

Deutungsmuster „Wissenschaft als gesellschaftlicher Beitrag“: Einerseits wird dieser gesellschaftliche Beitrag im Rahmen eines Wissenstransfers geleistet. Hierbei wird wissenschaftliches Wissen vermarktet, wodurch Innovationen entstehen sollen (vgl. FU Berlin 2019a: 16). Deshalb hat eine Befragte

„von Anfang an gesagt, so jetzt geht es mir darum, wie kann man dieses Wissen praxisrelevant machen. Also da bin ich sozusagen in den Bereich Transfer gegangen und […] man sagt irgendwie, es ist die dritte Mission der Hochschulen […] und mir brennt es unter den Nägeln, mein Wissen fruchtbar zu machen und nutzbar zu machen“ (Postdok Soz).

Andererseits stehen traditionell subjektivierte Studienteilnehmer*innenFootnote 16 der dritten Mission von Hochschulen kritisch gegenüber, aber betrachten durch eine akademische Rechenschaftspflicht ihre Forschungsergebnisse ebenfalls als gesellschaftlichen Beitrag (vgl. Weber 2002 [1894–1922]: 498–506). In Hinblick auf eine Rechenschaftspflicht veröffentlichen die Studienteilnehmer*innen ihre Forschungsergebnisse in populärwissenschaftlichen Formaten wie in Zeitungsartikeln oder führen Podiumsdiskussionen mit Vertreter*innen aus der Praxis. In diesem Zusammenhang ist einer kritischen Hochschullehrerin

„auf jeden Fall […] relevante Forschung [wichtig] und ich benutze da auch nicht gern den Begriff der Exzellenz, sondern ich finde einfach, Forschung muss gesellschaftlich relevant sein. Und ich arbeite in einem gesellschaftswissenschaftlichen Teilbereich der Humanwissenschaften und deswegen ist das für mich immer das Kernkriterium“ (Prof Human).

Demgemäß ist für einen anderen Befragten, die „Wissenschaft […] auch immer Wissenschaftskommunikation im Sinne von Kommunikation gegenüber der Gesellschaft, die daraus vielleicht in irgendeiner Weise einen Nutzen ziehen möchte“ (Postdok Geist 2).

Mit diesem Wissenschaftsverständnis wird die Annahme von herrschenden Subjekten des Managementdiskurses entkräftet, dass wettbewerbsförmige Rahmenbedingungen in der deutschen Hochschullandschaft für gesellschaftliche Innovationen unabdingbar sind (vgl. HRK 2004d: 7). Zudem unterscheidet sich die persönliche Intention, weshalb die Befragten einen gesellschaftlichen Beitrag mit ihren Forschungsergebnissen leisten wollen. Für die traditionell eingestellten Studienteilnehmer*innen gehört zwar ein gesellschaftlicher Beitrag zum persönlichen Wissenschaftsverständnis, aber Innovationen, die aus ihrem Wissen gewonnen werden, stellen lediglich ein Nebenprodukt ihrer beruflichen Tätigkeit dar. Wohingegen dienstfertige Wissenschaftler*innen Forschung betreiben, um gesellschaftliche Innovationen voranzutreiben. Angetrieben wird eine Befragte durch

„das Gefühl […], es wird super viel Wissen produziert und es werden enorm viele Ressourcen da rein gesteckt und der Großteil bleibt aber in der Bubble und das ist für mich eine gesellschaftliche Ressourcenverschwendung. Und ich denke, steckt doch einmal ein bisschen Aufwand auch in die Frage, wie transportiere ich das eigentlich angemessen und welche Bedarfe gibt es, damit es auch meine Zielgruppen erreicht“ (Postdok Soz).

Auch hier spaltet sich das Feld der Studienteilnehmer*innen in zwei Gruppen: Die einen richten sich nach einem inszenierten Marktgleichgewicht aus Angebot und Nachfrage. Die anderen suchen nach Forschungslücken, um neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu generieren und möglicherweise damit gesellschaftliche Innovationen voranzutreiben. Ungeachtet dieser ambivalenten Handlungsweisen deuten beide Gruppen Wissenschaft als gesellschaftlichen Beitrag. Dieser kollektive Wissensbestand spricht für die Anschlussfähigkeit des wissenschaftlichen Spezialdiskurses an den Managementdiskurs. Die unterschiedlichen Handlungsweisen erzeugen gleichwohl individuellen Widerstand, wodurch die Grenze zwischen einem traditionellen und neoliberalen Subjektivierungsregime in der deutschen Hochschullandschaft verschwimmt. Aus diesem Grund befinden sich Wissenschaftler*innen in einem persönlichen Spannungsverhältnis zwischen NPM und Imperativen einer traditionellen Wissenschaft, denn akademische Denk- und Handlungsweisen bilden ein umkämpftes Feld. Deshalb empfindet ein Befragter die

„Steuerung vom BMBF oder DFG zu einem gewissen Grad gut, weil es auch irgendwie schon gut ist zu sehen, die Verbindung zwischen Gesellschaft oder Politik und Wissenschaft irgendwie ein bisschen Wissen zusammenzuführen, dass auch an Themen geforscht wird, die irgendwie relevant sind für die Gesellschaft. Und ganz schlecht finde ich es deswegen nicht überhaupt auch so Themenkomplexe auszuschreiben oder so etwas“ (Postdok Natur 4).

Wohingegen ein Privatdozent (Human) einwendet: „Das ist unser Luxus, dass wir [uns] sozusagen mit eigenen Forschungsinteressen umschauen können.“ Es kann also festgehalten werden, dass die Seinsverbundenheit in Form einer Drittmittel(un-)abhängigkeit weniger die Deutung über Wissenschaft beeinflusst als die Handlungsweisen der Befragten. Die Studienteilnehmer*innen mit einer hohen Drittmittelabhängigkeit tendieren eher dazu, wissenschaftspolitische Thementrends zu bedienen und nach dem Skript der dritten Mission von Hochschulen zu handeln, während drittmittelunabhängigere Befragte gesellschaftliche Partikularinteressen bei der Wahl ihrer Forschungsthemen weniger berücksichtigen. Insofern bilden kollektive Wissensbestände und akademische Subjektivierungsweisen eine Konfliktarena in der deutschen Hochschullandschaft. In diesem Kontext werden von den Befragten ebenso akademische Selbstbilder neu verhandelt.

Bezugsproblem Wissenschaftler*innen

Seit Mitte der 1990er-Jahre steht unter NPM zur Disposition, wie Wissenschaftler*innen an modernen Hochschulen denken und handeln sollen. Zuvor galten traditionelle akademische Imperative als Skript für akademische Subjektivierungsweisen (vgl. Bourdieu 1998: 17 f.; Merton 1972: 48–55; Weber 2002 [1894–1922]: 498–506). Diese traditionellen akademischen Selbstbilder werden vom Managementdiskurs mit unternehmerisch-managerialen Subjektvierungsformen konfrontiert (vgl. Abschnitt 5.4 Akademische Subjektivierung im Wandel von New Public Management – Anrufungen des akademischen Selbst an unternehmerischen Universitäten). Darum entwickeln die Studienteilnehmer*innen partiell ein ambivalentes Selbstverständnis, das sich anhand des folgenden Deutungsmusters rekonstruieren lässt. So etwas wie reine Wissenschaftler*innen, die sich ausschließlich an traditionellen Imperativen des wissenschaftlichen Spezialdiskurses orientieren, kann mit der Studie an der FU Berlin nicht rekonstruiert werden. Vielmehr hat der NPM-Diskurs zu einer weitreichenden Transformation von akademischen Subjektivierungsweisen beigetragen. Infolgedessen betrachten die Befragten sich selbst als Unternehmer*innen und Manager*innen im Spannungsverhältnis traditioneller akademischer Werte und Normen.

Deutungsmuster „Wissenschaftler*innen als Unternehmer*innen und Manager*innen“: Mit diesem kollektiven Wissensbestand eignen sich die Studienteilnehmer*innen Anrufungen der Subjektivierungsformen von akademischen Wissenschaftsmanager*innen und akademischen Entrepreneur*innen an (vgl. Abschnitt 5.4 Akademische Subjektivierung im Wandel von New Public Management – Anrufungen des akademischen Selbst an unternehmerischen Universitäten). Die Basis für diesen Subjektivierungsprozess bilden strukturelle Risiken wie knappe Ressourcen, die die Befragten über Anreizsysteme des Managementdiskurses mit einer unternehmerisch-managerialen Handlungsweise bewältigen sollen. Eine Hochschullehrerin bemerkt:

„Seit ich an der FU bin, sollten wir drei Mal geschlossen werden, weil […] die Institute teuer sind und irgendwie liegen die auch quer zu den Strukturen. Also die sind zwar uralt, […] aber das schützt nicht vor den inneren Organisationslogiken, die wir als Sozialwissenschaftler ganz gut kennen. Und das Hauptding ist immer, Drittmittel, Drittmittel, Drittmittel und zwar größere Projekte, also ein einzelnes DFG-Projekt interessiert die FU schon gar nicht mehr“ (Prof Soz).

Gleichzeitig wird die Möglichkeit, als Wissenschaftler*in unternehmerisch zu handeln, mit persönlichen Freiheiten verknüpft, wodurch kein unmittelbarer Zwang entsteht, Drittmittel einzuwerben, sondern Handlungsoptionen eröffnet werden (vgl. Deutungsmuster „Drittmittel als Freiheit“). Demzufolge stellt ein Studienteilnehmer fest, „wenn ich alles tun möchte, was ich tun will, dann muss ich Drittmittel einwerben“ (Prof Recht). Die Anrufung, unternehmerisch zu handeln, um als Wissenschaftler*in handlungsfähig zu bleiben, überträgt sich ebenfalls auf andere Statusgruppen. So konstatiert ein Postdoktorand (Natur 3), dass

„ohne Drittmittel […] einfach nichts mehr [funktioniert] (..), weil natürlich diese Haushaltsstellen zwar meine Finanzierung sind, aber damit kann man weder Reisen tätigen noch Laboranalysen finanzieren. Also diese Stelle ist (..) für Lehre gut und für Verwaltung, aber nicht um wirklich interessante Forschung zu betreiben, ohne Drittmittel nicht vorstellbar.“

Vor diesem Hintergrund wird die Drittmittelabhängigkeit zur zentralen Voraussetzung für die Internalisierung der Subjektivierungsform von akademischen Entrepreneur*innen, egal ob die Befragten Drittmittel als Rettung, Freiheit oder Statussymbol deuten.

Darum betrachtet eine Hochschullehrerin sich als „unternehmerischen Professor“ (Prof Soz) und eine Doktorandin (Natur 1) nimmt sich als „Subunternehmerin“ wahr. Anders als bei privatwirtschaftlichen Unternehmer*innen handelt es sich jedoch bei akademischen Unternehmer*innen um (befristete) Angestellte, die mitunter

„super happy [darüber sind] sozialversicherungspflichtig versichert zu sein, diese FU im Rücken zu haben, ein funktionierendes Sekretariat zu haben, die Drittmittelverwaltung zu haben. Also ich bin super froh, dass […] ich jetzt gar nicht mehr über eine richtige Selbstständigkeit nachdenken muss“ (Postdok Soz).

Die Teilkaskomentalität der akademischen Unternehmer*innen an der FU Berlin unterläuft mitunter eine neoliberale Wissenspolitik, da Wissenschaftler*innen nicht dieselben beruflichen Wagnisse eingehen wie privatwirtschaftliche Unternehmer*innen (vgl. Peter 2017: 111). Grundsätzlich befinden sich akademische Unternehmer*innen in einem weitestgehend staatlich inszenierten Wettbewerb, weshalb ihr Handlungsspielraum eingeschränkt ist, auf persönliche Unsicherheit zu reagieren (vgl. Rogge 2015: 691 ff.).

Um die mangelnde unternehmerische Autonomie in der deutschen Hochschullandschaft zu kompensieren, greifen die Befragten auf die diskursive Praktik des Netzwerkens zurück, denn „Netzwerke öffnen einem gewisse Türen“ (Postdok Natur 3). Deshalb wurde dem Autor der vorliegenden Arbeit für seine persönliche Karriere im deutschen Hochschulsystem während des Interviews von einem Studienteilnehmer geraten: „Versuchen Sie halt rechtzeitig, Netzwerke aufzubauen“ (Postdok Natur 5). Die Bildung von Netzwerken gehört zu den Kernkompetenzen akademischer Unternehmer*innen, um das persönliche Fortkommen über die Ressourcen und die Reputation anderer Wissenschaftler*innen zu sichern (vgl. van Dyk & Reitz 2017: 66). Obwohl solche Beutegemeinschaften ebenfalls im Bereich der Wirtschaft beobachtet werden können, fällt der Hasard in der akademischen Laufbahn größer aus als in der Privatwirtschaft, womit sich der berufliche Erfolg auf wenige konzentriert (vgl. Rogge 2015: 391 ff.; Weber 2002 [1894–1922]: 474–477).

Dahingehend kann Peters (2017) Vergleich zwischen akademischen Entrepreneur*innen und privatwirtschaftlichen Unternehmer*innen präzisiert werden. Akademische Unternehmer*innen müssen zwar ein hohes Risiko bei der Planungssicherheit ihrer Karriere hinnehmen. Gleichzeitig handelt es sich bei diesen akademischen Subjekten um sozialversicherungspflichtig angestellte Unternehmer*innen, die auf universitäre Infrastrukturen zurückgreifen und auf einem Quasi-Markt handeln. Letztlich kennzeichnet sich das akademische Unternehmertum durch Möglichkeiten des „leistungslosen Erfolgs“ (van Dyk & Reitz 2017: 68) über (neo-)feudale Strukturen. Ungeachtet der ungleichen Ausgangslage zwischen Unternehmer*innen in der Wirtschaft und Wissenschaft ist es über Anreizstrukturen eines inszenierten Drittmittelwettbewerbs gelungen, dass sich akademische Subjekte ein unternehmerisches Selbstverständnis angeeignet haben. In diesem Kontext konstatiert eine Studienteilnehmerin, „wir [sind] alle als Professoren Kleinunternehmer oder in manchen Fällen Mittelständler“ (Prof Soz). Zu den diskursiven Praktiken der professoralen Kleinunternehmer*innen und Mittelständler*innen gehört nicht nur die kontinuierliche Einwerbung von Drittmitteln für den Erhalt des Lehrstuhlbetriebs, sondern auch das strategische Mobilisieren von Mitarbeiter*innen. Auf diese Weise wandeln sich Hochschullehrer*innen zu Manager*innen, was „sehr stark davon abhängt, wie groß die Gruppe ist, die man da anleitet. Also wenn man zwanzig Doktoranden hat oder dreißig Doktoranden, dann muss man Manager sein. Dann […] muss [man] sehr viel Personalführung betreiben“ (Prof Wirt).

Das unternehmerisch-manageriale Selbstverständnis der befragten Hochschullehrer*innen wird vor allem durch ihre Drittmittelabhängigkeit und die Lehrstuhlgröße beeinflusst, weshalb sich die Regierungsweise an Lehrstühlen durch die Seinsverbundenheit des Wissens verändert. Im Studienverlauf ließen sich intergouvernementale Herrschaftsverhältnisse zwischen Hochschullehrer*innen und ihrer Gefolgschaft rekonstruieren. Aus diesem Grund führt ein Professor (Recht) seinen

„Lehrstuhl immer mit zwei Grundsätzen. Der eine Grundsatz, den haben wir schon angesprochen, der ist immer wichtig, nämlich Freiheit. Und der andere ist Verantwortung. Das heißt, ich gehe davon aus, ich habe es mit intelligenten Menschen zu tun, die ich eingestellt habe. Und diese Intelligenten wissen, was sie zu tun haben, wie sie es zu tun haben und gehen damit verantwortungsvoll um. Das heißt, ich bin niemand, der jetzt ständig meinen Doktoranden über die Schulter blickt, was sie gerade machen oder nicht machen. Ich bin aber jemand, der ganz gerne alle drei Monate seine Doktoranden sieht und mit ihnen einfach bespricht, wie weit sind sie, was haben sie für Probleme, haben sie den Eindruck, dass irgendetwas schwierig oder nicht schwierig ist, kann ich ihnen helfen, können wir mal reden über den einen und anderen Gedanken.“

Mit einer Grammatik der Sorge kümmert sich der Befragte wie ein Vater um seinen akademischen Nachwuchs und herrscht in wohltätiger Absicht über seine Mitarbeiter*innen (vgl. Fach 2015: 112 f.). Währenddessen greift ein anderer Hochschullehrer auf Reglementierungen und Anreize zur Führung seines Lehrstuhlbetriebs zurück. Exemplarisch wird das lehrstuhlinterne Anreizsystem an der Finanzierung von Tagungen sichtbar, denn er schickt „Mitarbeiter [nur] zu Konferenzen, wenn sie dort ein Papier eingereicht haben und das angenommen worden ist. Ansonsten dürfen die nicht zu internationalen Konferenzen“ (Prof Wirt). Die intergouvernementalen Führungsstile der Befragten ergänzen einander wechselseitig. So kann die diskursive Praktik der Sorge problemlos in das strategische Coaching von Mitarbeiter*innen eingehegt werden (vgl. Boltanski & Chiapello 2003: 134 f.; FU Berlin 2019d; 2019f). Wie sich bereits bei den akademischen Subjektivierungsformen des Managementdiskurses angekündigt hat, bestätigt die Deutungsmusteranalyse die Schlüsselrolle akademischer Manager*innen als Vermittler*innen zwischen strukturellen und persönlichen Interessen. An dieser Stelle kann beobachtet werden, dass akademische Manager*innen ihre Anreize, mit denen sie selbst vom NPM-Diskurs konfrontiert werden, auf ihre Mitarbeiter*innen übertragen. Darum „gibt [es] eine Beteiligung an den Geldern, die wir zusammen einwerben. Ist ja auch klar, dass dann auch eine Forschungsreise oder ein Forschungsaufenthalt unterstützt wird und dass da auch etwas bezuschusst wird“ (Prof Soz). Hierfür werden von akademischen Manager*innen institutionelle und persönliche Ziele verknüpft (vgl. FU Berlin 2019d). Mit dieser balancierenden Handlungsweise bewegen sich akademische Manager*innen zwischen wohltätigen Absichten und persönlicher Nutzenmaximierung (vgl. Foucault 2004a: 189; 2004b: 314). Deswegen empfiehlt ein Nachwuchsgruppenleiter „allen Promovierenden, bei mir immer eine kumulative Arbeit zu machen, weil das hinten raus eigentlich […] weniger Aufwand ist [und] […] den Nebeneffekt natürlich auch für mich hat, dass das natürlich auch meine Publikationen sind, das ist jetzt nicht nur uneigennützig“ (Postdok Natur 5). Dementsprechend übertragen herrschende akademische Subjekte mit einer managerialen Subjektivierungsweise Machteffekte auf ihre Mitarbeiter*innen. Folglich ist man „als Mitarbeiter einer Arbeitsgruppe an das Belohnungssystem für den Professor gebunden“ (Dok Natur 1). Vor diesem Hintergrund wird die manageriale Steuerung von Betroffenen mitunter auch als persönlicher Freiheitseingriff betrachtet (vgl. Deutungsmuster „Manageriale Steuerung als Autonomieeingriff“). In diesem Kontext konstatiert eine Professorin (Soz), dass die Abstimmung von Zielvereinbarungen und die Durchführung von Evaluierungen zu ihrem Tagesgeschäft zählen.

Resümierend kann festgehalten werden, dass „wir [Hochschullehrer*innen] im Prinzip Manager(.)innen [sind], ohne das gelernt zu haben“ (Prof Human). Entgegen der Privatwirtschaft, wo eine Professionalisierung des Managements durch das Wissen von Berater*innen sichtbar wird, findet auf der Mikroebene von Hochschulen eine Anpassung an übergreifende Anreizsysteme durch Hochschullehrer*innen und andere akademische Statusgruppen statt (vgl. Schmidt-Wellenburg 2014). Bei den Studienteilnehmer*innen ist allerdings weder eine materielle Basis noch professionelles Managementwissen vorhanden, um neoliberale Anrufungen zu verwirklichen, denn sozialversicherungspflichtig angestellte Unternehmer*innen und verbeamtete Manager*innen mit einer Teilkaskomentalität lassen einen neoliberalen Diskurs erodieren. Zudem herrscht bei den Befragten Uneinigkeit über den Tätigkeitsbereich von akademischen Manager*innen. Ein Studienteilnehmer erachtet das Management von Lehrstühlen als „Verwaltungsarbeit“ (Prof Wirt). Andere wiederum nehmen sich als proaktive Führungskräfte wahr, die strategisch auf Angestellte einwirken (vgl. Postdok Natur 5; Prof Soz). Der Wandel von Wissenschaftler*innen zu akademischen Manager*innen geht mit einer Dezimierung von Forschungstätigkeiten einher, weil die Zeit dafür fehlt (vgl. Postdok Natur 5).

Aus der Verschiebung von der Forschung zum Management resultieren mitunter auch kollektive Abgrenzungen der Befragten vom Managementdiskurs, die durch das Deutungsmuster „Drittmittel als Ressourcenverschwendung“ sichtbar werden. Wohingegen der kollektive Wissensbestand „Wissenschaftler*innen als Unternehmer*innen und Manager*innen“ ein Anpassungsverhalten an die Wissens- und Identitätspolitik des NPM-Diskurses dokumentiert. Dahingehend hat ein Juniorprofessor (Wirt 1) durch seinen „Doktorvater relativ früh gelernt, wie man Drittmittel akquiriert, also das war definitiv ein Vorteil. Ich war früh in der Projektadministration dabei, war früh in Projektleitungspositionen und das hat mich definitiv ausgebildet dafür, was ich jetzt mache.“ Mit der Aneignung von Managementkompetenzen sollen junge Wissenschaftler*innen für die Arbeitsbedingungen an modernen Hochschulen gerüstet werden. In diesem Zusammenhang reflektiert ein Befragter seine persönliche Metamorphose vom akademischen Selbstunternehmer zum Manager – der interviewte Postdoktorand (Natur 5) thematisiert, dass er „von Max Mustermann, der drittmitteltechnisch extrem stark ist […], der hat mir im Prinzip ein paar Tipps gegeben und an die habe ich mich gehalten und seitdem habe ich damit auch gar keine Probleme mehr.“

Neben der Aneignung dieser unternehmerisch-managerialen Fähigkeiten, Drittmittel einzuwerben und Personal zu mobilisieren, beobachtet eine Befragte den Verfall von traditionellen akademischen Werten und Normen durch die Transformation akademischer Subjektivierungsweisen. Darum ist man „heute […] nur noch Manager und eigentlich keiner mehr, der noch auf den Inhalt geht. Also es ist halt schon viel zu sehr übergeschlagen in dieses Businesssystem von Wissenschaft und eigentlich nicht mehr so akademisch, wie das einmal war“ (Dok Natur 1). Demnach wandelt sich das Selbstverständnis von Wissenschaftler*innen im Verlauf des persönlichen Werdegangs wie folgt: Während und nach der Promotion werden akademische Subjekte durch Anrufungen von akademischen Entrepreneur*innen beeinflusst, insbesondere wenn sie ihr persönliches Fortkommen mit Drittmitteln sichern müssen (vgl. Deutungsmuster „Drittmittel als Rettung“). Sobald die ersten Drittmittelprojekte eingeworben und Mitarbeiter*innen eingestellt worden sind, müssen sich Wissenschaftler*innen zunehmend Managementfähigkeiten aneignen, um ihren Arbeitsalltag zu bewältigen. In Einzelfällen werden Studierende mit unternehmerisch-managerialen Subjektivierungsformen in Lehrveranstaltungen konfrontiert (vgl. Postdok Natur 3).

Angesichts der empirischen Befunde wird erkennbar, dass die Internalisierung von Subjektivierungsformen des Managementdiskurses nicht zu einer Qualitätsverbesserung in Lehre und Forschung führen, sondern das Anpassungsverhalten von Wissenschaftler*innen unbeabsichtigte Effekte erzeugt. Dennoch provoziert der Managementdiskurs bei akademischen Subjekten individuellen Widerstand, der teilweise von den Betroffenen selbst nivelliert wird, indem unternehmerisch-manageriale Subjektivierungsformen mit traditionellen akademischen Werten und Normen verbunden werden. Dadurch entsteht eine Intergouvernementalität an Lehrstühlen und in Nachwuchsgruppen. Denn akademische Manager*innen greifen sowohl auf Anreizsysteme des NPM-Diskurses als auch auf feudale Herrschaftsverhältnisse zurück, um andere akademische Subjekte zu mobilisieren und zu disziplinieren. Deshalb führt der Wandel von modernen Regierungsweisen nicht, wie von Deleuze (1993: 255) angenommen, dazu, dass „Kontrollformen mit freiheitlichem Aussehen, die […] alten – noch innerhalb der Dauer eines geschlossenen Systems operierenden – Disziplinierungen [ersetzen].“ Vielmehr kann in der deutschen Hochschullandschaft eine Intergouvernementalität durch die Fusion von verschiedenen Regierungsweisen und Subjektivierungsformen beobachtet werden. Oder um auf das Verhältnis zwischen NPM und Wissenschaft einzugehen: Die herrschenden Subjekte des Managementdiskurses nutzen die Infrastrukturen des wissenschaftlichen Spezialdiskurses, um ihren Geltungsanspruch in der sozialen Wirklichkeit von Hochschulen auszubauen. Jedoch entsteht mit dieser Guerillastrategie ebenfalls ein strukturelles Spannungsverhältnis zwischen Management und Wissenschaft, weshalb die Studienteilnehmer*innen zwischen Anrufungen des Managementdiskurses und des wissenschaftlichen Spezialdiskurses balancieren. Durch diese Handlungsweise wird indes teilweise das Skript des Managementdiskurses durchkreuzt, denn so etwas wie einen diskursiv verordneten linearen Subjektivierungsprozess von akademischen Unternehmer*innen über dienstfertige Wissenschaftler*innen bis hin zu akademischen Manager*innen gibt es in der sozialen Wirklichkeit der Befragten nicht (vgl. Abschnitt 5.4 Akademische Subjektivierung im Wandel von New Public Management – Anrufungen des akademischen Selbst an unternehmerischen Universitäten). Aus diesem Grund können die unterschiedlichen Deutungsmuster und Selbstverständnisse der Befragten zum Realtypen einer balancierenden akademischen Persönlichkeit verdichtet werden.

6.2 Die balancierende Persönlichkeit als moderne akademische Subjektivierungsweise

Die Studienteilnehmer*innen befinden sich allesamt in einem strukturellen Spannungsverhältnis zwischen konkurrierenden Wissensordnungen, Regierungsweisen und Subjektivierungsformen, wodurch verschiedene Deutungsmuster mit Handlungsambivalenzen entstehen. An dieser Stelle stellt sich die Frage: Wie bleiben Wissenschaftler*innen in einer mehrdeutigen, spannungsreichen Sozialstruktur handlungsfähig und bedienen mit ihrer Denk- und Handlungsweise unterschiedliche Subjektivierungsformen? Die Antwort findet sich bei einer soziologischen Untersuchung der persönlichen Bedingungen für die Teilnahme an Interaktionsprozessen (vgl. Krappmann 2000). Auch wenn Krappmann (ebd.) mit der handlungstheoretischen Analyse vorrangig Individualisierungsprozesse beleuchtet, eignen sich die Dimensionen von strukturellen Erwartungshaltungen und persönlichen Bedürfnissen, um die Anpassungsleistung der Studienteilnehmer*innen an Subjektivierungsformen sowie um individuellen Widerstand gegen Subjektnormierungen zu erklären. Denn grundlegend wird davon ausgegangen, dass die

„Identität […] die Besonderheit des Individuums dar[stellt]; denn sie zeigt auf, auf welche besondere Weise das Individuum in verschiedenartigen Situationen eine Balance zwischen widersprüchlichen Erwartungen, zwischen den Anforderungen der anderen und eigenen Bedürfnissen sowie zwischen dem Verlangen nach Darstellung dessen, worin es sich von anderen unterscheidet, und der Notwendigkeit, die Anerkennung der anderen für seine Identität zu finden, gehalten hat“ (ebd.: 9).

Die Analyse von akademischen Subjektivierungsweisen erschöpft sich weniger in den Besonderheiten einzelner Wissenschaftler*innen, sondern vielmehr in der Art und Weise, wie akademische Subjekte mit widersprüchlichen, strukturellen Erwartungshaltungen umgehen und akademische Subjektivierungsweisen in einem interaktiven Prozess hervorgebracht werden. In Anbetracht einer mehrdeutigen, spannungsreichen Sozialstruktur entwickeln die Studienteilnehmer*innen eine balancierende akademische Persönlichkeit, die es ihnen ermöglicht, strukturelle Spannungen zu ertragen und individuellen Widerstand zum Teil zu nivellieren. Gewissermaßen wird damit eine balancierende akademische Persönlichkeit zur subjektiven Voraussetzung, um an Interaktionsprozessen in der deutschen Hochschullandschaft teilzunehmen, denn wenn Mehrdeutigkeit herrscht und ein traditionelles akademisches Selbstverständnis zum Problem erklärt wird, sorgen die Befragten dafür, dass Widersprüche zwischen persönlichen und strukturellen Erwartungshaltungen minimiert werden, indem persönliche Bedürfnisse übergangen, zurückgestellt oder modifiziert werden. Die Studienteilnehmer*innen versuchen auf diese Art und Weise zu verdrängen, was sie hindern könnte, den Subjektivierungsformen zu entsprechen, deren Aneignung ihren Verbleib und Anerkennung in der deutschen Hochschullandschaft sichert (ebd.: 155). Da allerdings keine Deckungsgleichheit zwischen akademischen Subjektivierungsformen und -weisen besteht, schwingen akademische Subjekte bei dem Versuch, den geforderten Soll-Zuständen nachzukommen, wie ein Pendel zwischen den verschiedenen Anrufungen und ihren persönlichen Bedürfnissen hin und her. Es geht bei akademischer Subjektivierung also nicht darum, „vorgegebenen Normen voll zu entsprechen“ (ebd.), sondern Normative so in die Persönlichkeit einzugliedern, dass eine Identität entsteht, die akademische Subjektivierungsformen und persönliche Bedürfnisse integriert.

Mit dieser balancierenden Subjektivierungsweise geht eine Rastlosigkeit einher, die insbesondere durch Selbstausbeutung sichtbar wird. Denn mit dieser Selbsttechnologie eignen sich die Befragten traditionelle Werte und Normen an und entwickeln gleichzeitig unternehmerisch-manageriale Fähigkeiten (vgl. FU Berlin 2018a: 6; 2019 g; Weber 2002 [1894–1922]: 498–506). Insofern erzeugt die Resonanz der ambivalenten Denk- und Handlungsweise der Befragten nicht nur einen kollektiven Deutungskampf um gute Wissenschaftler*innen und (individuelle) Freiheit im universitären Feld, sondern sorgt für einen interaktiven Aushandlungsprozess von akademischen Subjektivierungsweisen. Dieser Aushandlungsprozess ist mit einem persönlichen Balanceakt verbunden, der an Hochseilartistik erinnert. Gelingt es den Studienteilnehmer*innen nicht, die Schwingungen unterschiedlicher, teilweise paradoxer Anrufungen auszugleichen, verlieren sie buchstäblich den Halt unter den Füßen, da einzelne Bestandteile ihrer Identität brüchig werden. Deshalb macht

„einen guten Wissenschaftler, Wissenschaftlerin aus […], ein gewisser Wissensdrive, Neugier und ich glaube auch immer mehr so eine Allroundfähigkeit von, du musst dich vernetzen können, du musst dich gut verkaufen können, du musst dich natürlich präsentieren können, du kannst kein Eigenbrötler mehr sein. Früher, vor fünfzig Jahren konnten Professoren die totalen Nerds sein und in ihrem Hinterkämmerlein alles machen, was sie wollten, wunderbar. Das geht heute […] definitiv nicht. Also du musst dich gut verkaufen, vor allen Dingen, wenn es um Klimawandel und solche Dinge geht, das ist sehr politisch in mancherlei Hinsicht, da muss man auch vorsichtig sein, wie man Dinge darstellt. Und ja, diese Allroundfähigkeiten, wo du halt eine Art Manager bist. Du musst dein Projekt managen, du musst Gelder managen, du musst Zeit managen und du musst dein Privatleben managen (lacht), das was immer leidet“ (Dok Natur 1).

Auf diese Weise verbinden balancierende akademische Persönlichkeiten die Anrufungen eines Managementdiskurses mit denen eines wissenschaftlichen Spezialdiskurses. Demzufolge kann in akademischen Subjektivierungsweisen keine Dividualisierung – wie vom Managementdiskurs verordnet – rekonstruiert werden, sondern eine Individualisierung von strukturellen Spannungen, mit denen sich der Einzelne arrangieren muss, um seinen Verbleib und seine Anerkennung in der deutschen Hochschullandschaft zu sichern (vgl. Deleuze 1993: 254–258). Wissenschaftler*innen werden zwar von herrschenden Subjekten des Managementdiskurses dividualisiert, indem sie auf Kennzahlen reduziert werden, aber sie grenzen sich teilweise mit Deutungsmustern und nicht-diskursiven Praktiken stark von dieser Dividualisierung ab und versuchen hingegen strukturelle Spannungsverhältnisse zu nivellieren (vgl. Deutungsmuster „High-Impact-Journalbeiträge nicht als Zeichen von wissenschaftlicher Qualität“).

Weiterhin demonstrieren die Befragten nach außen Normalität, trotz eines persönlichen Balanceakts zwischen Wissenschaft und NPM (vgl. Deutungsmuster „Prekarität als Normalität“, „Wettbewerb um knappe Ressourcen und Prestige als Normalität“). Deswegen zählen zu den zentralen Fähigkeiten von Wissenschaftler*innen das Ausgleichen von strukturellen Spannungen sowie eine Anpassung an die Imperative des wissenschaftlichen Spezialdiskurses und des Managementdiskurses. Dies fasst eine Doktorandin (Natur 1) als „Allroundfähigkeiten“ zusammen. Um diesen Balanceakt zu bewältigen, greifen die Studienteilnehmer*innen auf Selbsttechnologien der Disziplinierung zurück – „dieses Selbstdisziplinieren, das ist klar gang und gäbe. Das ist auf jeden Fall ein echt wichtiger Punkt“ (Postdok Wirt). Mit der Einübung von Disziplin verdrängen die Befragten ihre persönlichen Bedürfnisse, wodurch ein „Aggregatszustand betriebsamer Konformität“ (Bröckling 2007: 241) entsteht. Ferner eignet sich eine Befragte eine Herrschaftstechnologie des NPM-Diskurses als Selbsttechnologie an, indem sie Berichte im Rahmen von Drittmittelprojekten zur Selbstreflexion nutzt. Diese Selbsttechnologie führt bei der Postdoktorandin (Soz) zu einem Zustand der Vollkommenheit und übernatürlicher Kraft, denn

„das sind so Koksmomente (lacht), wo man sagt, ok ich bin geil, was mache ich hier. Aber so blöd das klingt, so sehr fördert das doch Sachen zutage, die wahr sind und die stimmen und wo man dann guckt und denkt, wow, eigentlich mache ich das und eigentlich ist das cool und das machen wir wirklich und so ist es wirklich.“

Vor diesem Hintergrund wird das Berichtswesen zu einem Ort der Wahrheitsfindung, weil „das doch Sachen zutage [fördert,] die wahr sind und die stimmen“ (ebd.). Hingegen bewältigt ein anderer Studienteilnehmer den als anstrengend empfundenen Balanceakt zwischen traditioneller Wissenschaft und NPM, indem er unliebsame Tätigkeiten wie „erst einmal durch die dreißig E-Mails durchschauen und irgendwelche Sachen […] beantworten“ aufschiebt (Dok Natur 2). Zu der am häufigsten genutzten Selbsttechnologie unter den Befragten zählt allerdings die Selbstausbeutung. Denn über die Ausbeutung der eigenen Arbeitskraft ist es möglich, die zahlreichen Anforderungen des wissenschaftlichen Spezialdiskurses und des Managementdiskurses zu bedienen sowie persönliche Interessen zu verwirklichen (vgl. Deutungsmuster „Wissenschaftliche Karriere als persönlicher All-in“; „High-Impact-Journalbeiträge (nicht) als Zeichen von wissenschaftlicher Qualität“; „Lehre als Motivationsquelle“).

Zur gleichen Zeit wird die Selbstausbeutung nicht nur zu einer Brücke zwischen dem Individuum und einer spannungsreichen Sozialstruktur im universitären Feld, sondern zu einer effektiven Technologie, um politischen Protest im Keim der akademischen Persönlichkeit zu ersticken, da strukturelle Risiken vom Einzelnen ausgeglichen werden, anstatt sich dem Ausbeutungs- und Subjektivierungsregime in der deutschen Hochschullandschaft kollektiv und solidarisch zu widersetzen. Darum verwundert es nicht, dass Wissenschaftler*innen ihre (prekäre) Situation als einen Einzelkampf auffassen (vgl. Lenk 2022: 154 ff.). Einerseits bildet dadurch die balancierende akademische Persönlichkeit eine akademische Subjektivierungsweise zur Bewältigung eines strukturellen Spannungsverhältnisses zwischen Tradition und Moderne in der deutschen Hochschullandschaft. Andererseits ist diese Subjektivierungsweise mit Selbsttechnologien verbunden, die individuellen Widerstand mindern und möglichen politischen Protest unterbinden. Demnach führt die Konfrontation der Befragten mit Diskursen, Regierungsweisen und normativen Selbstbildern zwar zu individuellem Widerstand, aber nicht zu einem kollektiven Aufbegehren gegen die bestehende soziale Ordnung im deutschen Hochschulsystem. Insofern kann die von Dörre und Rackwitz (2018) aufgeworfene Frage, ob (prekäre) Wissenschaftler*innen mit ihrer Geduld am Ende sind, mit den empirischen Erkenntnissen der vorliegenden Arbeit verneint werden. Vielmehr lässt sich ein persönliches Arrangement mit den prekären Arbeitsbedingungen in der deutschen Hochschullandschaft beobachten (vgl. Deutungsmuster „Prekarität als Normalität“; „Drittmittel als Rettung“; „Wettbewerb als soziale Selbstvergewisserung“; Lenk 2022). Diesbezüglich wird die Revolution von beherrschten Subjekten ausbleiben, da Wissenschaftler*innen versuchen, strukturelle Risiken zu nivellieren und in die Subjektivierungsweise einer balancierenden akademischen Persönlichkeit einfließen zu lassen. Stattdessen wird ein Wandel des Ausbeutungs- und Subjektivierungsregimes in der deutschen Hochschullandschaft wohl eher durch Reformen der Wissenschaftspolitik angestoßen, wie es sich aktuell mit der Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes andeutet (vgl. Krapp 2021). Kommt es zu einer flächendeckenden Ent-Prekarisierung von wissenschaftlicher Arbeit sind Ent-Subjektivierungsprozesse denkbar. Denn unter weniger prekarisierten Arbeitsbedingungen entwickelten die Befragten subversive Verhaltensweisen und entziehen sich teilweise akademischen Subjektivierungsformen. Der gegenwärtige Wandel der Arbeitsbedingungen ermöglicht politischen Protest gegen ein Ausbeutungs- und Subjektivierungsregime in der deutschen Hochschullandschaft, da Wissenschaftler*innen nicht mehr auf eine balancierende akademische Persönlichkeit angewiesen sind, um ihren Verbleib im universitären Feld zu sichern. Wie sich bereits bei anderen historischen Umbrüchen gezeigt hat, wird eine Revolution nicht durch eine allgegenwärtige Unterdrückung gefördert, sondern durch Reformen, die zu einer Erosion des Status quo beitragen, weil dadurch bei beherrschten Subjekten die Sensibilität für die bestehenden Herrschaftsverhältnisse wächst (vgl. Tocqueville 2012 [1867]: 178–182).

Dieser Umstand verdeutlicht ebenfalls, warum sich gerade Befragte mit beruflichen Sicherheiten wie Hochschullehrer*innen der Wissens- und Identitätspolitik des Managementdiskurses mitunter entziehen (vgl. Prof Soz; Prof Wirt). Diese empirischen Erkenntnisse über akademische Subjektivierung lassen sich mit folgender Gleichung zusammenfassen: Je höher die persönlichen Sicherheiten von Wissenschaftler*innen ausfallen, desto schwieriger lassen sich deren Verhaltensweisen mit Herrschaftstechnologien und Subjektivierungsformen des NPM-Diskurses kanalisieren und steuern. Nicht ohne Grund betrachtet eine Professorin (Soz) ihre Verbeamtung als „eine Art Bremse in dem System“. Oder ein unbefristet beschäftigter Postdoktorand (Geist 2) konstatiert, „nicht unreflektiert jedes Geld [zu] nehmen und dafür einfach eine Forschung [zu] machen, die man persönlich nicht vertreten kann“. Auch wenn diese unabhängigeren Befragten sich teilweise Anrufungen entziehen, werden sie bei einem Prestigewettbewerb zu einer Anpassungsleistung gezwungen, um ihre privilegierte Position in der deutschen Hochschullandschaft zu sichern und um in einer sozialen Wettbewerbsordnung handlungsfähig zu bleiben. Denn gerade Hochschullehrer*innen sind auf die Drittmittel von prestigeträchtigen Finanziers angewiesen, denn ihr Ansehen hängt zunehmend von einer „qualitative[n] Unterscheidung von Drittmitteln“ (Prof Human) ab und mit diesem symbolischen Kapital sind materielle Ressourcen verbunden (vgl. Deutungsmuster „Drittmittel als Statussymbol“). Aus diesem Grund vereinnahmen herrschende Subjekte des Managementdiskurses mit einem inszenierten Wettbewerb um knappe Ressourcen nicht nur materielle Infrastrukturen in der deutschen Hochschullandschaft, sondern sorgen mit einem Drittmittelwettbewerb parallel für einen Wandel von ideellen Infrastrukturen, wodurch selbst für Wissenschaftler*innen mit Sicherheiten die Möglichkeiten schwinden, sich den Anrufungen des Managementdiskurses zu entziehen.

Folglich führt die Internalisierung von Fragmenten des NPM-Diskurses bei den Befragten einerseits zu einem Anpassungsverhalten, das sich in der Subjektivierungsweise einer balancierenden akademischen Persönlichkeit manifestiert. Andererseits mündet das strukturelle Spannungsverhältnis zwischen einem wissenschaftlichen Spezialdiskurs und Managementdiskurs in einem individuellen Widerstand der Befragten gegen neoliberale Herrschaftstechnologien und Subjektivierungsformen, da auch mit einer balancierenden Verhaltensweise strukturelle Spannungen nicht gänzlich ausgeglichen und persönliche Bedürfnisse nicht in Strukturen des NPM-Diskurses integriert werden können. Deswegen kann zwar ein Wandel von akademischen Subjektivierungsweisen unter der Wissens- und Identitätspolitik des Managementdiskurses beobachtet werden, aber dieser wechselseitige Transformationsprozess lässt ebenfalls ein Dispositiv neoliberaler Gouvernementalität in der deutschen Hochschullandschaft erodieren. Im Folgenden wird dazu das Wechselspiel von Wissen, Macht und Subjektivierung beleuchtet, indem die empirischen Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit in einen Dialog versetzt warden.