In der kommunikationswissenschaftlichen Vertrauensforschung gibt es zwei erste grundlegende Forschungslücken: Zum einen liegt der Schwerpunkt der (jüngeren) Forschung häufig auf sinkendem oder fehlendem Medienvertrauen, wobei mittlere Vertrauensniveaus wenig differenziert betrachtet werden (vgl. Prochazka 2020: 269 f.). Zum anderen konnte die Forschung bislang zeigen, dass Vertrauen ein hochkomplexes Konstrukt mit unterschiedlichen Dimensionen, Bedingungen, Einflussfaktoren und Folgewirkungen ist, und monokausale Erklärungen für Vertrauenszuschreibungen zu kurz greifen. Im Forschungsstand wird deutlich, dass weitere Studien zur Entstehung oder Beeinflussung des Journalismusvertrauens notwendig sind, um – insbesondere im Umgang mit neuen Technologien – Vertrauen als komplexes Konstrukt zu begreifen und Vertrauenszuschreibungen umfassender nachvollziehen zu können (vgl. van Dalen 2019: 356). Für einen systematischen Überblick über die bisher erzielten Forschungsergebnisse zu Vertrauen in Journalismus und die anschließende Verortung der für diese Arbeit relevanten Forschungsfragen stehen zunächst ein kurzer Forschungsüberblick sowie die Systematisierung der Medienbewertungsforschung im Vordergrund. Anschließend werden ‚Vertrauen‘ als allgemeiner Begriff sowie Medien- beziehungsweise Journalismusvertrauen mit den Bezugsobjekten und den Arten der Vertrauensbeziehungen thematisiert. Ziel ist eine fundierte Begriffsbestimmung, auf der anschließend die Operationalisierung von Journalismusvertrauen erfolgt und der Forschungsstand zu dessen Bedingungen und Einflussfaktoren dargestellt wird. Abschließend erfolgt ein Überblick über aktuelle deskriptive Befunde zu Vertrauen in Journalismus in Deutschland. Aufbauend auf der Ausarbeitung der Vertrauensforschung wird in Kapitel 6 das Forschungsmodell entwickelt.

Die Aufarbeitung der Forschung zu Vertrauen in Journalismus ist, wie im Folgenden an mehreren Stellen zu beobachten sein wird, ein vergleichsweise komplexes Unterfangen: Der Forschungsbereich ist sowohl in der Theorie als auch in der Empirie geprägt von teilweise unspezifisch oder unzulänglich definierten Begriffen, von Konzepten, die sich mit angrenzenden Forschungsgebieten überlappen, einer Fülle an Erkenntnissen aus anderen Disziplinen und deren unterschiedliche Einbindung in die Kommunikationswissenschaft sowie einem Nebeneinander aus akademischer Forschung und (teil-)kommerzieller Mediaforschung (vgl. z. B. Prochazka 2020: 44). Die Schwierigkeiten in der Begriffsdefinition, der Theoriebildung und der empirischen Umsetzung, werden in den Folgeabschnitten (vgl. 4.2.24.2.3 und 4.3.3) ausführlich thematisiert und für das vorliegende Forschungsinteresse möglichst zielführend gelöst.

Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht das generalisierte Journalismusvertrauen (vgl. ausführlich Abschnitt 4.3.1), welches im Zusammenhang mit der automatisierten Nachrichtenberichterstattung untersucht werden soll. Insbesondere für die Exploration eines Medienwandels am Beispiel der Medieninnovation des automatisierten Journalismus ist es aber notwendig, die starke Fokussierung auf generalisiertes Vertrauen an manchen Stellen zu lockern und etwas breiter auch artverwandte Themen zu betrachten, um die theoretischen und empirischen Konzepte in Gänze zu erfassen und weiterentwickeln zu können. Im Folgenden wird dokumentiert, warum eine Erweiterung an geeigneter Stelle notwendig ist.

4.1 Das Forschungsfeld der Medienbewertungen

Die Komplexität der Forschung zu ‚Vertrauen in Journalismus‘ wurde bereits angesprochen und so ist es wenig verwunderlich, dass sich die Vertrauensforschung nicht in klassische Einteilungen des Faches verorten lässtFootnote 1. Zur Systematisierung des Forschungsbereichs unterscheidet beispielsweise Obermaier (2020) zwei grundlegende Ansatzpunkte der kommunikationswissenschaftlichen Vertrauensforschung: zum einen a) die funktional-systemorientierte Forschungsperspektive, bei der Vertrauen in das System Journalismus als Teilsystem des Funktionssystems Öffentlichkeit betrachtet wird und zum anderen b) die Auffassung, die Vertrauen in journalistische Medien beziehungsweise in Journalismus als Institutionenvertrauen begreift (vgl. ebd.: 85 f.). Dagegen argumentiert Prochazka (2020), dass Lesende nicht zwischen der Makro- und Mikroebene des Journalismus unterscheiden und damit die aufgeführte strikte Trennung beider Ansätze empirisch nicht umsetzbar sei (vgl. ebd.: 43). Er bevorzugt für die Systematisierung der Vertrauensforschung die Aufarbeitung der Medienbewertungsforschung, begreift Medienvertrauen ebenso als Form des Institutionenvertrauens und systematisiert damit die genannte zweite Perspektive weiter. Dazu nennt er c) drei Teilgebiete: die Vertrauensforschung, die Medienglaubwürdigkeitsforschung sowie Arbeiten zur Wahrnehmung journalistischer Qualität (vgl. ebd.: 34). Beide Systematisierungsstrategien strukturieren die Vertrauensforschung und ordnen den Forschungsbereich in die Kommunikationswissenschaft ein. Mit einer Darstellung der wesentlichen Bezüge der Vertrauensforschung können das vorliegende Untersuchungsobjekt, das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit und anschließend die Forschungsfragen und Ergebnisse kontextualisiert und für Anschlussforschung zugänglich gemacht werden.

Die a) funktional-systemorientierte Perspektive übernimmt Konzeptionen von Vertrauen, die insbesondere auf soziologischen Arbeiten zu Vertrauen in abstrakte Systeme basieren. Interessant für das vorliegende Forschungsinteresse sind Gründe für Vertrauenszuschreibung in abstrakte Systeme: Beispielsweise werden generalisierte Erfahrungen, allgemeines Vertrauen in Expertensysteme, Sozialisationserfahrungen sowie Erfahrungen mit Repräsentant:innen des Systems genannt (vgl. Obermaier 2020: 86; Rühl 2005: 121, 127 f.). Für die funktional-systemorientierte Perspektive hat im Wesentlichen Kohring (2004) die soziologischen Ansätze zu Vertrauen in die Kommunikationswissenschaft übertragen, eine Theorie des Vertrauens in Journalismus und eine Skala zur Messung desselben entwickelt und validiert (vgl. Kohring 2004; Kohring und Matthes 2004; 2007; 2012). Dabei ist die Selektionsfunktion, die Journalismus leistet, das wesentliche Kriterium an dem sich Vertrauen in Journalismus festmachen lässt: Das System Journalismus trifft Selektionsleistungen. Lesende vertrauen, wenn sie die Kontingenz dieser Selektion wahrnehmen, das Risiko der Entscheidung bewerten und daraufhin ihrerseits eine Selektionsleistung erfolgtFootnote 2. Kohring (2004) arbeitet dazu vier Dimensionen der Selektionsleistung (Themen- und Faktenselektivität, sowie Richtigkeit und Bewertung) sowie spezifische, unspezifische und mitteilungs- und kontextbezogene Gründe für die Vertrauenszuschreibungen heraus (vgl. ebd.: 249, 256 f.). Grosser (2016) stellt bezogen auf Online-Journalismus im Wesentlichen keine großen Veränderungen hinsichtlich der Vertrauenszuschreibung in das Systems Journalismus fest, ergänzt aber weitere Kriterien wie die Art der Moderation von Nutzer:innenkommentare oder Popularitätshinweisen wie Likes oder Shares (vgl. ebd.: 1047 f. zit. n. Obermaier 2020: 87 f.) Journalismus wird als soziales System begriffen und ist funktionsfähig, wenn journalistische (Selektions-)Programme funktionieren und Journalismus ist als System bedroht, wenn Programme nicht funktionieren. Die funktional-systemorientierte Perspektive der Vertrauensforschung ist vor allem für Folgestudien dieser Arbeit interessant, wenn es um die Vertrauensbewertung des automatisierten Journalismus mit Auswirkungen auf das System Journalismus als Ganzes geht und beispielsweise Fragen zur Stabilität des Systems unter der Automatisierungsbedingung thematisiert werden.

Die Arbeiten zu b) Vertrauen in journalistische Medien beziehungsweise Journalismusvertrauen als Form des Institutionenvertrauens nehmen dagegen vor allem Bezug auf Modelle der politologischen Vertrauensforschung. Vertrauen beruhe, so die Auffassung, im Wesentlichen auf Erfahrungen der Lesenden mit den Leistungen der Medien als gesellschaftliche Institution. Für einen Überblick dieser Forschungsperspektive thematisiert Obermaier (ebd.) vier Schwerpunktsetzungen unterschiedlicher Autor:innen (vgl. ebd.: 89–92), die im Folgenden kurz zusammengefasst werden: In Zusammenarbeit mit Kolleg:innen leistet zunächst Yarif Tsfati in mehreren empirischen Studien Grundlagenarbeit zu Medienskeptizismus und Institutionenvertrauen (vgl. Tsfati 2014; Tsfati und Ariely 2014; Tsfati und Peri 2006)Footnote 3. Die Autor:innen definieren den Grad des Vertrauens als Vergleich zwischen den Erwartungen der Lesenden an journalistische Medien und den tatsächlichen Wahrnehmungen. Die Erwartungen entstehen aus den bisherigen Erfahrungen der Rezipierenden. Außerdem ergeben sich im Kontakt mit journalistischen Medien oder Journalismus und der Medienselektion neue Erfahrungen und demzufolge neue Erwartungen (vgl. z. B. Tsfati 2014: 498–500). Dieser Abgleich ist zentrales, aber nicht konstituierendes Merkmal für Vertrauen und Vertrauensbeziehungen: Zusätzlich sind Vertrauensgebende notwendig, die Interesse und Anteil an der Vertrauensentscheidung haben (vgl. ebd.: 498 f. zit. n. Obermaier 2020: 90 sowie vgl. die Definition von Vertrauen Abschnitt 4.2.2). Insgesamt spielen für Vertrauensurteile von Rezipient:innen für die Autor:innen sowohl „Performanzbewertungen, de[r] gesellschaftlichen Diskurs über Medien, Vertrauen in politische Institutionen, aber auch generalisiertes soziales Vertrauen“ (ebd.: 89 f.) eine Rolle, wobei die Liste an Einflussfaktoren auf Vertrauen in journalistische Medien als in der Forschung nicht abschließend bearbeitet angesehen werden kann (vgl. Tsfati 2014: 491; Tsfati und Ariely 2014: 760–762). Tsfati (2014) empfiehlt zusätzlich zu den Wahrnehmungen journalistischer Medien auch die Erwartungen an diese in konkreten Merkmalsausprägungen zu erheben (vgl. ebd.: 500 f.). Ein Vorgehen, das etwa ein Drittel der Rezeptionsstudien zur Wahrnehmung des automatisierten Journalismus im Forschungsstand umsetztFootnote 4. Daneben begreift Jackob (2012) Vertrauen in journalistische Medien als diffuses Vertrauen in eine gesellschaftliche Institution unter vielen. Rezipierende vertrauen journalistischen Medien, wenn oder indem sie die grundlegenden Funktionen und Prinzipien des Mediensystems anerkennen. Die Skala von Kohring und Matthes (2004) verwendet er nicht und kritisiert, dass diese ‚Vertrauen‘ allein auf die mediale Selektionsleistung bezieht und weitere Gründe für Vertrauenszuschreibungen außer Acht lässt. Er arbeitet weitere medienspezifische sowie medienunspezifische Gründe für Vertrauenszuschreibungen wie beispielsweise ein generalisiertes soziales Vertrauen herausFootnote 5. Politisches Vertrauen steht weiterhin im Schwerpunkt der Arbeit bei J. Müller (2013) insbesondere in Abhängigkeit des gesellschaftlich-politischen Systems eines Landes. Aus seiner Sicht wissen Rezipierende um journalistische Normen und nehmen diese als Grundlage für die Bewertungen journalistischer oder medialer Leistungen. Diese Bewertungskriterien leitet der Autor aus Modellen der Öffentlichkeitstheorien ab. So liefert er Annahmen über den Einfluss freier Presse auf die Vertrauenszuschreibungen oder kann mithilfe deliberativer Öffentlichkeitstheorien eine Bevorzugung der öffentlich-rechtlichen Medieninhalte im Vergleich zu denen privatwirtschaftlichen Organisationen darstellen (vgl. ebd.: 49–60, 61–89). Häufig wird in empirischen Studien zu Journalismusvertrauen auch auf die Arbeit von Hanitzsch et al. (2018) verwiesen, die ebenso dieser Forschungsperspektive zuzuordnen ist. Für die Autor:innen stehen kulturalistische und institutionale Erklärungen für Vertrauenszuschreibungen bei journalistischer Medien im Mittelpunkt. Sie nehmen an, dass politisches Vertrauen mit Vertrauen in journalistische Medien verbunden ist und verweisen auf den möglichen Einfluss von Medienskandalen und negativer Berichterstattung auf Vertrauen in journalistische Medien sowie auf große Unterschiede zwischen einzelnen politischen Systemen (vgl. ebd.: 4 f.,9, 20–13). Außerdem gehen die Autor:innen auf den Einfluss extremer politischer Ideologie und politischer Polarisierung ein (vgl. Obermaier 2020: 91 f.).

Insgesamt legt die Annahme, dass Vertrauen im Sinne eines Institutionenvertrauens der Lesenden zu behandeln ist, den Schwerpunkt der Forschungsarbeiten auf die Gründe und Einflussfaktoren von Vertrauensentscheidungen. Insbesondere auf der Mirkoebene wird so ein detaillierteres Verständnis für Vertrauensurteile erzielt. Die vorliegende Arbeit schließt sich dieser Auffassung an und sieht Perspektive b) als geeignete theoretische Grundlage dieser Studie an und berücksichtigt Perspektive a) im Zusammenhang mit einem Forschungsausblick auf Folgestudien. Die unterschiedlichen Arbeiten und Schwerpunktsetzungen zu Vertrauen in journalistische Medien zeigen zudem deutlich, dass Vertrauen ein komplexes theoretisches Konstrukt ist und die Liste an Einflussfaktoren und Bedingungen für Medien- und Journalismusvertrauen weder als vollständig bearbeitet, noch als abgeschlossen gelten kann. So werden zum Beispiel seit dem Aufkommen von Online-Medien weitere Einflussfaktoren auf eine Vertrauenszuschreibung untersucht und ergänzt. Deutlich wird, dass Forschung zu den Auswirkungen von Medienwandel beziehungsweise Medieninnovationen notwendig ist, wie die zu möglichen Erweiterungen der Bedingungen, Einflussfaktoren und Konsequenzen für Vertrauenszuschreibungen in Journalismus als Ganzes. Weiterhin zeigen die Arbeiten zu Vertrauen in journalistische Medien, dass monokausale Erklärungen für Journalismusvertrauen nicht aussagekräftig und in der Forschung konkret und differenziert formulierte Fragestellungen notwendig sind, um gemäß wissenschaftlicher Gütekriterien Forschung zu betreiben und ihre Ergebnisse vergleichen und in der Folge sinnvoll einsetzen zu können. Angesprochen wurden zudem unterschiedliche Begriffsbestimmungen von Vertrauen in journalistische Medien beziehungsweise Journalismus, verschiedene Bezugsobjekte von Vertrauen sowie unterschiedlich verwendete Operationalisierungen und Forschungsmodelle. Der Notwendigkeit der Differenzierung wird im Abschnitt zur Aufarbeitung des Medienvertrauensbegriffs, seiner Operationalisierung sowie der Bedingungen und Voraussetzungen für Medienvertrauen in Bezug zum konkreten Forschungsanliegen dieser Arbeit in den Folgeabschnitten Rechnung getragen.

Weitere Orientierung im heterogenen Forschungsfeld leistet Prochazka (2020), indem er die Medienbewertungsforschung in Perspektive b) (siehe oben) systematisiert und über eine Abgrenzungsdefinition herausarbeitet, was Vertrauensurteile – im Gegensatz zu Qualitäts- oder Glaubwürdigkeitsurteilen – beeinflusst. Prochazka (ebd.) bezieht sich auf die Vorarbeiten von Schweiger (2007: 247–253,257–261) und stellt die Forschung zu Vertrauen in journalistische Medien zudem als c) Teilgebiet des Forschungsbereichs der Medienbewertungen dar. In der Medienbewertungsforschung wird in Studien nach der Zufriedenheit, der Wahrnehmung oder der Bewertung des Publikums, bezogen auf die verschiedenen Aufgaben, Leistungen und Funktionen, die die Medien oder Journalismus erfüllen (sollen), gefragt. Im Grundsatz werden drei Bereiche unterschieden: erstens Studien zum Medienvertrauen beziehungsweise Misstrauen (z. B. Kohring und Matthes 2004; Prochazka und Schweiger 2018; Prochazka 2020; Obermaier 2020; Tsfati und Peri 2006), zweitens Arbeiten zur journalistischen Qualität (z. B. Voigt 2016; Molyneux und Coddington 2020) oder zu Performanzbewertung (z. B. Fawzi und Mothes 2020; Fawzi 2020) sowie drittens Studien zur Glaubwürdigkeit der Medien (z. B. Appelman und Sundar 2016; Gaziano und McGrath 1986; Rössler und Wirth 1999). Die drei Teilbereiche weisen sowohl empirisch als auch theoretisch starke Überschneidungen auf und werden nicht immer stringent getrennt, vielmehr werden deren jeweilige Begriffe teilweise synonym oder ihre Konzepte übergreifend verwendet: Es gibt zum Beispiel Studien, die Vertrauen in Medien über die Wahrnehmung von Qualität operationalisieren, in anderen wird die Qualitätswahrnehmung als Einflussfaktor auf das zugesprochene Vertrauen konzipiert (vgl. Prochazka 2020: 34, 68) (vgl. auch Begriffsdefinition und Abgrenzung der Begriffe in Abschnitt 4.2.3.). Neben den begrifflichen und konzeptionellen Überschneidungen ist die exakte theoretische Fundierung und die valide Operationalisierung der Begriffe eine Schwierigkeit der Studienkonzeptionen: Es gibt zwar mehr oder weniger zuverlässige Kriterienkataloge zu den Aufgaben und Leistungen von Journalismus, es gibt aber keine – und kann auch keine – objektiven Kriterien für etwa eine subjektiv wahrgenommene Qualität oder Vertrauen geben (vgl. z. B. Voigt 2016: 21 f.). Konkret werden im Teilgebiet Medienvertrauen, dem für das vorliegende Forschungsinteresse wichtigsten Bereich, Ansätze beschrieben, die „die Bewertung von Medien und [die] Einstellung gegenüber Medien unter dem Begriff des Vertrauens behandeln und sich dabei – mal mehr, mal weniger – theoretisch auf sozialwissenschaftliche Vertrauenskonzepte beziehen“ (Prochazka 2020: 34). Medienvertrauen dient dem Autor als Sammelbegriff für sämtliche Arten von Vertrauen in Medien oder Mediengattungen. Er weist darauf hin, dass sich Medien als Begriff nicht auf journalistische Medien allein bezieht, wenngleich dies in der Regel der Fall ist (vgl. ebd.: 24). Prochazka (ebd.) liefert neben der Systematisierung einen Überblick über Konzepte und Begriffe und listet typische Forschungsfragen zum Medienvertrauen auf. Konkrete Fragen lauten beispielsweise ‚Wie sehr vertrauen Sie den Medien?‘. Der Digital News Report ermittelt die Zustimmung zur Aussage ‚Ich glaube, man kann dem Großteil der Nachrichten meist vertrauen.‘ (Hölig et al. 2021: 24, vgl. insgesamt Prochazka 2020: 33–35)Footnote 6.

Hilfreich für die Systematisierung der Vertrauensforschung ist die Abgrenzung von Prochazka (ebd.) zur Wahrnehmung journalistischer Qualität und zur Glaubwürdigkeitsforschung in dem Sinne, dass typische Fragestellungen den drei Teilbereichen zugeordnet und so strukturiert werden. Schwierig gestaltet sich generell die Begriffsdefinition und die Abgrenzung der Teilbereiche untereinander (vgl. Abgrenzung Glaubwürdigkeit und Vertrauen in Abschnitt 4.2.3) sowie teilweise die Unterscheidung zwischen kommerzieller Mediaforschung und akademischer Vertrauensforschung. Nicht-trennscharf werden in den Arbeiten zudem die Begriffe ‚Journalismus‘ und ‚Medien‘ verwendet, der Bezug zu Vertrauensobjekten ist teilweise nicht klar kommuniziert und die Abgrenzung beziehungsweise Abstufung von Vertrauen, Misstrauen, Medienkritik oder Medienskeptizismus ist in den deutschen und internationalen Veröffentlichungen nicht immer eindeutig beschrieben. Aufgrund dieser Ungenauigkeiten werden im folgenden Abschnitt die Grundlagen des Medienvertrauens dargestellt und es erfolgt eine detailliertere Auseinandersetzung mit relevanten Begriffen und Bezügen.

4.2 Grundlagen des Begriffs Medienvertrauen

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Vertrauen ist Gegenstand mehrerer Disziplinen, wobei die Grundlagen des Begriffs insbesondere in der Psychologie entwickelt und anschließend in mehreren Disziplinen, so auch in der Kommunikationswissenschaft, aufgegriffen und für fachspezifische Fragestellungen weiterentwickelt wurden. Im Folgenden werden die wesentlichen Grundlagen und Charakteristika des Vertrauensbegriffs – immer mit Blick auf kommunikationswissenschaftliche Fragestellungen – dargestellt. Ziel ist es, einen offenen und explorativen Zugang zur Fragestellung und den wesentlichen Begriffen dieser Arbeit zu gewährleisten, aber gleichzeitig eine Vergleichbarkeit der bisherigen Forschungsarbeiten und die Anschlussfähigkeit der zu erzielenden Studienergebnisse im Fach sicher zustellen. Dazu werden zunächst die wesentlichen Bestandteile des allgemeinen Vertrauensbegriffs dargelegt, dann richtet sich der Blick auf Vertrauen in journalistische Medien und anschließend erfolgt eine Abgrenzung des Vertrauensbegriffs zu ähnlichen Konzepten, insbesondere zum Begriff der Glaubwürdigkeit. Die Ausführungen stellen die Grundlage für die Ableitung des generalisierten Medienvertrauens als wesentlichem Begriff dieser Arbeit und als Basis der Operationalisierung von Medienvertrauen (vgl. Abschnitt 4.3) dar.

4.2.1 Vertrauen im Allgemeinen

In der Psychologie wird ‚Vertrauen‘ definiert als eine „mit positiven Zukunftserwartungen verbundene Vorleistung des Vertrauensgebers [...], die persönliche Verletzbarkeit und das Eingehen indiv. oder kollektiver Risiken impliziert, da neg. Konsequenzen folgen können [Abkürzungen im Org.]“ (Clases 2021). Durch Verzicht auf Kontrolle erweitern sich Handlungsoptionen des Vertrauensgebers (vgl. auch Petermann 1999: 437 f.; Myers 2014: 199). Angesprochen wird bereits in dieser Definition, dass eine Vertrauensbeziehung aus mindestens zwei beteiligten Akteur:innen besteht. Dazu gehört die natürliche Person des oder der Vertrauensgeber:in, auch Vertrauenssubjekt (engl.: trustor) genannt, welcher oder welche das Vertrauen entgegenbringt. Dem gegenüber steht das Vertrauensobjekt, auch Vertrauensnehmer genannt (engl.: trustee), dem Vertrauen (oder kein Vertrauen) zugesprochen wird (vgl. für die Kommunikationswissenschaft z. B. Steindl 2021: 36; Prochazka 2020: 39). Eine Vertrauensbeziehung zwischen zwei natürlichen Personen, wie sie häufig Gegenstand der Psychologie ist, wird als interpersonelles oder interpersonales Vertrauen bezeichnet (vgl. Steindl 2021: 20). Thema der Kommunikationswissenschaft und insbesondere der Journalismusforschung sind hingegen meist generalisierte Vertrauensbeziehungen zwischen Individuen und abstrakten Bezugsobjekten. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf Lesende als Vertrauenssubjekte und etablierte Medien beziehungsweise ‚Journalismus als Ganzes‘ als Vertrauensobjekt.

Um allgemeines Vertrauen als Grundlage für diese Arbeit systematisieren zu können, werden im Folgenden die wesentlichen Bestandteile von Vertrauen, die die Forschung bisher beschrieben hat, anhand dreier erkenntnisleitender Fragen thematisiert. Zunächst soll erfasst werden, was allgemeines Vertrauen bedeutet und kennzeichnet. Danach wird intensiver betrachtet, wie eine Vertrauensentscheidung zu Stande kommt und von welchen Faktoren diese abhängig und geprägt ist. Abschließend wird erläutert, was die Folgen von Vertrauen oder Nicht-Vertrauen sind, beziehungsweise was Vertrauen bewirkt. Als Grundlage für die Erarbeitung unterschiedlicher Vertrauensbegriffe dient häufig die Definition nach Mayer et al. (1995), wonach Vertrauen als „the willingness of a trustor to be vulnerable to the actions of a trustee based on the expectation that the trustee will perform a particular action, irrespective of the ability to monitor or control that other party [Herv. i. Org.]“ (ebd.: 712) beschrieben wird. Auf Basis dieser WeiterentwicklungFootnote 7 der oben genannten grundlegenden Definition aus der Psychologie können drei wesentliche Elemente des allgemeinen Vertrauens ausgeführt werden. Zunächst ist Vertrauen a) eine Vorleistung des Subjekts, sich „freiwillig, [...] aktiv [...] [und] trotz Alternativen“ (Steindl 2021: 37 f.) einem Risiko auszusetzen und einen Kontrollverzicht in Kauf zu nehmen. Mögliche Risiken, die das Vertrauenssubjekt in Kauf nimmt, sind Enttäuschungen, Verletzungen, Misserfolge oder Schäden, die aus Handlungen (oder Nicht-Handlungen) des Vertrauensobjekts entstehen (vgl. ebd.: 37 f., 42). Damit ist Vertrauen b) eine mögliche Strategie des Vertrauenssubjekt mit einer ungewissen und nicht-kontrollierbaren Zukunft umzugehen und basiert auf einer optimistischen Erwartungshaltung gegenüber antizipierten künftigen Situationen (vgl. Steindl 2021: 36 f.; Prochazka 2020: 39 f.). Der Vertrauensgebende glaubt an die positiven Auswirkungen seiner oder ihrer Entscheidung für die Zukunft und zeigt „Zutrauen und [...] Zuversicht in die positiven Konsequenzen einer Vertrauensentscheidung [Herv. i. Org.]“ (Steindl 2021: 36). Die Wertung, ob die Vertrauensentscheidung und damit das eingegangene Risiko und die optimistische Erwartungshaltung gerechtfertigt waren, kann das Subjekt immer erst im Nachgang treffen (vgl. ebd.: 42). Zudem ist Vertrauen c) „höchst evaluativ, da das Vertrauenssubjekt stets, sowohl bewusst als auch unbewusst, Bewertungen vornimmt“ (ebd.: 41). Ein Vertrauenssubjekt beurteilt die Situation, in der die Vertrauensentscheidung gefällt wird oder die Beziehung zwischen ihm oder ihr und dem Vertrauensobjekt und/oder möglichen Dritten. Auch das Vertrauensobjekt an sich wird einer Bewertung unterzogen (vgl. Steindl 2021: 41 f.; Hardin 2006: 17 f.).

Eine Vertrauensentscheidung kommt im Zusammenspiel zwischen individuellen Faktoren, die sich auf die Persönlichkeit des Vertrauenssubjekts beziehen, und Faktoren, die sich aus der Situation und den Beziehungen der beteiligten Akteur:innen ergeben, zustande. Damit ein Vertrauensgebender einem Objekt erfolgreich Vertrauen zusprechen oder ihm/ihr Vertrauen entwickeln kann, muss das Subjekt zunächst in seiner oder ihrer Persönlichkeit die Fähigkeit entwickeln, Vertrauen oder Empathie auszubilden. Diese grundlegende Fähigkeit wird auch als das so genannte Urvertrauen (engl.: ‘basic trust’) bezeichnet, das entscheidend in der frühen Sozialisationsphase in der Kindheit entwickelt und geprägt wird (vgl. Myers 2014: 199), wobei neuere Forschungsarbeiten auch Einschränkungen dieser monokausalen Prägung beschreibt (vgl. Steindl 2021: 60). Insgesamt ergibt sich eine individuelle Vertrauensneigung, die jede Vertrauensentscheidung des Subjekts beeinflusst. Vertrauen hat, so beschreibt es Steindl (ebd.) weiter, stets affektiven Charakter, indem Vertrauensentscheidungen und die Entwicklung von Empathie mit den Emotionen und Gefühlen des Subjekts verbunden sind (vgl. ebd.: 40). Für eine Vertrauensentscheidung sind weiterhin die Erwartungen und Erfahrungen des Vertrauenssubjekts ausschlaggebend (vgl. Luhmann 2014: 31 ff.). Auch hier ist die individuelle Sozialisationsphase relevant, in der die Fähigkeit ausgebildet wird, Lernimpulse und Erfahrungen verarbeiten und bewerten zu können (vgl. Myers 2014: 199). Die Erwartungen der Vertrauenssubjekte in einer Vertrauenssituation „beziehen sich einerseits auf eine normative Ebene und auf die Wünsche und Hoffnungen [...], die mit den in der spezifischen Interaktion gezeigten und wahrnehmbaren vertrauensrelevanten Erwartungen des Objekts abgeglichen werden“ (Steindl 2021: 38). Die Erwartungen des Subjekts werden nicht nur durch bisher gemachte Erfahrungen in der jeweiligen Situation oder in der sozialen Interaktion mit dem bestimmten Vertrauensobjekt ausgebildet, sondern entsteht auch aus vergleichbaren Interaktionen heraus und stabilisieren sich insgesamt über einem längeren Zeitraum. Vertrauen ist damit einerseits ein langfristiges, verallgemeinerndes und stabiles Konstrukt, das sich aus individuellen Charaktereigenschaften der Vertrauenssubjekte und ihren Erfahrungen mit einer Vielzahl von Beteiligten und Interaktionen ausbildet (vgl. Prochazka 2020: 43; Steindl 2021: 39). Andererseits prägen auch variable Aspekte eine Vertrauensentscheidung, da ein Vertrauensgebender „einem Objekt lediglich im Hinblick auf bestimmte Handlungen bzw. spezifischen Aufgaben in einer konkreten Situation vertrauen [wird]“ (Steindl 2021: 41). Diese veränderbaren Einflüsse entstehen durch die konkrete Situation der Vertrauensentscheidung und durch die Art und Qualität der Beziehung zwischen Vertrauenssubjekt und -objekt oder möglichen Dritten (vgl. ebd.: 40).

Wie ausgeführt, werden Vertrauensentscheidungen auf der Grundlage individueller Erfahrungen, Erwartungen und Wissensstände der Subjekte getroffen, beinhalten aber gleichzeitig immer fehlendes Wissen und begrenzte Informationen. Eine Vertrauensentscheidung vollzieht sich damit unter unsicheren Bedingungen und Konsequenzen, die auf begrenzten Informationen beruht und unter Zuhilfenahme von Heuristiken gelöst wird. Damit Individuen handlungsfähig bleiben und die Lücke zwischen Wissen und Nicht-Wissen schließen können, ist Vertrauen essentiell (vgl. Fawzi und Mothes 2020: 2; Prochazka 2020: 40 f.; Vanacker und Belmas 2009: 112; Sundar 2008: 74 f., 77). Dies gilt vor allem für Bereiche, in denen die Vertrauensvorleistung des Subjekts nicht überprüft und verifiziert werden kann (vgl. Steindl 2021: 38). Demzufolge reduziert Vertrauen soziale Komplexität und bewirkt, dass Vertrauenssubjekte mit begrenzten Informationen auf die Zukunft gerichtete Entscheidungen treffen und Handlungsoptionen auswählen können (vgl. Luhmann 2014: 23 f., 30 ff.; Hanitzsch et al. 2018: 4). Vertrauen ist deshalb die Grundlage für das Funktionieren komplexer Systeme wie beispielsweise Demokratien oder Mediensysteme.

Die Charakteristika von Vertrauen, die Abhängigkeiten und Determinanten der Vertrauensentscheidung sowie die Wirkung von Vertrauen hat Steindl (2021) abschließend zusammengefasst und definiert Vertrauen als

Umfang, in dem sich das Vertrauenssubjekt bewusst vom Vertrauensobjekt abhängig macht, im Gefühl des Zutrauens und der Zuversicht, dass die Intentionen des Objekts wohlwollend sind und dessen Handeln bei zukünftigen Leistungen im gewohnten Kompetenzbereich zufriedenstellend erbracht werden. Grundlage der Vertrauensentscheidung sind persönliche Charakteristika und Prädispositionen, situative und relationale Faktoren, das Wissen über sowie die Evaluation des Objekts, die auf generalisierten und/oder spezifischen Erfahrungen basieren und mit den eigenen Erwartungen abgeglichen werden. Mit der Vertrauensentscheidung wird Optimismus verkörpert und in der Konsequenz das Handeln angepasst, da das Subjekt aktiv und freiwillig das Risiko eingeht, mitunter negative Konsequenzen davonzutragen [Herv. i. Org.]“ (ebd.: 43).

Die ausführliche Definition beinhaltet die wesentlichen Komponenten des allgemeinen Vertrauensbegriffs und stellt die Grundlage dieser Arbeit dar. Die Ausführlichkeit und Offenheit sind insbesondere für die Exploration eines Forschungsthemas wichtig, allerdings müssen an geeigneter Stelle Eingrenzungen vorgenommen werden, um eine Vergleichbarkeit der Studienergebnisse und eine Intersubjektivität der Erhebung zu gewährleisten und nicht unkonkret und vage zu verbleiben. Deshalb erfolgt in der Auseinandersetzung mit Vertrauen in journalistische Medien und den Grundsätzen der Operationalisierung sowie den, in der Forschung bisher thematisierten Einflussfaktoren auf Medienvertrauen, die Konzentration auf den generalisierten Vertrauensbegriff als zentrale Leitlinie der vorliegenden Arbeit.

4.2.2 Vertrauen in journalistische Medien

Die Grundlagen des allgemeinen Vertrauensbegriffs sind von der Kommunikationswissenschaft aufgegriffen worden, um unter anderem das Vertrauen in journalistische Akteur:innen oder journalistische Medien zu beschreiben und für fachspezifische Fragestellungen zugänglich zu machen. Dabei konnte man sich bisher nicht auf eine allgemeingültige Definition zu Vertrauen in journalistische Medien verständigen – im Gegenteil, es sind eine Reihe Arbeiten mit ungenauer Begriffsbestimmung, unstrukturierten Konzepten und unterschiedlichen Bezugsobjekten publiziert worden (vgl. Fawzi, Steindl et al. 2021: 2). Um diese Schwierigkeit in der theoretischen Fundierung der Vertrauensforschung aufzulösen, haben Fawzi, Steindl et al. (ebd.) eine umfassende Literaturanalyse durchgeführt und definieren auf dieser Grundlage Vertrauen in journalistische Medien als „the individual’s willingness to be vulnerable to media objects, based on the expectation that they will perform a) satisfactorily for the individual and/or b) according to the dominant norms and values in society (i.e. democratic media functions.) [Herv. i. Org.]“(ebd.: 3). Dabei, so die Autor:innen, ist diese Definition sowohl für die Analyse auf der Mikro- als auch auf der Makroebene gültig (vgl. ebd.: 3).

In der Definition werden deutliche Bezüge zum allgemeinen Vertrauensbegriff (vgl. Abschnitt 4.2.1) deutlich, die hilfreich für die kommunikationswissenschaftliche Forschung sind: Vertrauensentscheidungen des Publikums speisen sich neben individuellen Persönlichkeitsmerkmalen aus den bisherigen Erfahrungen des Publikums mit journalistischen Medien und den in der Gesellschaft geltenden Normen und Werte hinsichtlich der demokratischen Funktion von Medien und der Wahrnehmung journalistischer Qualitätsmerkmale. Vertrauensentscheidungen bezogen auf journalistische Medien sind aktive Entscheidungen der Subjekte, die reflektiert und unter Berücksichtigung verschiedener Alternativen getroffen werden. Wenn Lesende journalistischen Medien ihr Vertrauen aussprechen, dann treffen sie diese Entscheidung unter Unsicherheit und mit begrenzten Informationen, obwohl sie die Leistungen und die positive Erfüllung des Vertrauensvorschusses, wenn überhaupt, nur schwer überprüfen können. Deshalb sind Vertrauensentscheidungen in Bezug auf journalistische Medien risikobehaftet, weil die Erwartungen auch unerfüllt werden können. Für demokratische Gesellschaften ist Medienvertrauen essentiell wichtig zur Komplexitätsreduktion, zur Überbrückung von Wissen- und Nichtwissen sowie zur Legitimierung des journalistischen Systems und schlussendlich zur Legitimierung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (vgl. Fawzi, Steindl et al. 2021: 1 ff.; vgl. van Dalen 2019: 356; Prochazka 2020: 42 f.; Obermaier 2020: 68 f., 99 f.; Blöbaum 2020: 81).

Neben den theoretischen Konzeptionen hat Prochazka (2020) in Leitfadeninterviews mit deutschen Online-Zeitungslesenden überprüft, ob es auch in der Empirie eine nachvollziehbare Vorstellung der Lesenden von Vertrauen in Journalismus gibt und ob diese zudem ein generalisiertes Vertrauensobjekt benennen können (vgl. ausführlich in Abschnitt 4.3.1). In der Studie konnten die Befragten sowohl interpersonelles Vertrauen als auch Vertrauen in journalistische Medien als Begriffe nennen und dazu jeweils wesentliche Konzeptionen formulieren und erläutern. Die Beschreibung des interpersonellen Vertrauens gelingt meist ohne wesentliche Probleme und relativ intuitiv. Vertrauen bedeute „für die Befragten, sich willentlich und wissentlich gegenüber einer anderen Person einem gewissen Risiko auszusetzen. Wenn sie Vertrauen haben, können sie dieses Risiko eingehen und gehen davon aus, dass es keine negativen Konsequenzen nach sich zieht“ (ebd.: 137). Auch die Beschreibung von Vertrauen in journalistische Medien oder Journalismus ist den Befragten grundsätzlich möglich, fällt ihnen aber deutlich schwerer (vgl. ebd.: 138). Für sie ist „Vertrauen in Journalismus [...] eine abstrakte Einstellung, die sich darin äußert, dass Realitätsdarstellungen der Medien prinzipiell akzeptiert und für die eigene Meinungsbildung oder als Grundlage für politisches Engagement herangezogen werden können. Dieses Vertrauen ist [...] ein eigenes, übergeordnetes Konstrukt und getrennt von Qualitätswahrnehmungen zu begreifen. Die Befragten verstehen es als eine generelle Haltung gegenüber den Mainstream-Medien, die von der Erfüllung bestimmter Qualitätserwartungen geprägt ist“ (ebd.: 138 f.). Außerdem wurden die Proband:innen in der genannten Studie sowohl zu ihrer Definition von Journalismus als auch zum Verständnis von ‚etablierten Medien‘ befragt. Hier kann Prochazka (ebd.) zeigen, dass die Befragten ein „recht einheitliches und klar abgegrenztes Verständnis der etablierten Mainstream-Medien in Deutschland [haben], denen als ‚die Medien‘ ein generalisiertes Vertrauen bzw. Misstrauen entgegengebracht wird“ (ebd.: 136) (vgl. dazu auch Abschnitt 4.3.1.). Insgesamt wird deutlich, dass neben der theoretischen Konzeption von Vertrauen in Journalismus auch eine dazu passende und empirisch nachvollziehbare Vorstellung existiert sowie in der Empirie auch eine Vorstellung über das Vertrauensobjekt im generalisierten Journalismusvertrauen vorliegt und damit die theoretische Konzeption eine empirische Entsprechung aufweist (vgl. ebd.: 137 ff.).

An dieser Stelle sei außerdem auf die Grenzen der bisherigen Modellentwicklung der kommunikationswissenschaftlichen Vertrauensforschung hingewiesen. Neben dem häufig genannten Mangel an Längsschnittstudien, um beispielsweise eine Vertrauensentwicklung oder -veränderung stärker nachvollziehen zu können (vgl. z. B. Fawzi, Steindl et al. 2021: 12 f.), gibt es keine Modelle zur Entstehung oder Veränderung von Journalismusvertrauen im ZeitverlaufFootnote 8. In der Psychologie dagegen werden zum Beispiel Arbeiten zur allgemeinen Vertrauensausbildung im Zeitverlauf oder im Speziellen zur VertrauenskalibrierungFootnote 9 mit automatisierten Systemen (vgl. Kraus 2020: 16) entwickelt. Diese Modelle sind durchaus auch auf weitere Disziplinen oder gesellschaftlich relevante autonom operierende Systeme übertragbar (vgl. ebd.: XIV). Eine Längsschnittstudie oder die Validierung eines Vertrauenskalibrierungsmodells für den Umgang mit Automatisierungen im Journalismus wäre für die Kommunikationswissenschaft ein zielführendes und sehr wahrscheinlich gewinnbringendes Unterfangen, sprengt aber den Rahmen der vorliegenden Arbeit. Deshalb soll die hier geleistete Aufarbeitung der Vertrauensforschung zur automatisierten Nachrichtenberichterstattung sowie die Exploration des Forschungsthemas die Grundlage für die weitere Modellentwicklung – auch für eine Vertrauensveränderung oder -kalibrierung – darstellen.

4.2.3 Vertrauen und Glaubwürdigkeit

Bereits in der Einführung in die Vertrauensforschung ist deutlich geworden, dass es – in der Literatur und im alltäglichen Sprachgebrauch – eine Reihe ähnlicher und teilweise synonym verwendeter Konzepte zum Vertrauensbegriff gibt. Die, in der Medienvertrauensforschung am häufigsten genannten sind „confidence, credibility, scepticism, distrust and mistrust“(Fawzi, Steindl et al. 2021: 3). Die folgenden Abschnitte thematisieren artverwandte Konzepte zu Vertrauen, um über die Abgrenzung zu einer abschließenden Schärfung des Vertrauensbegriffs beizutragen. Der Schwerpunkt liegt auf der Gegenüberstellung von Vertrauen und Glaubwürdigkeit, da Medienglaubwürdigkeit als Konstrukt dem bisherigen Forschungsstand zur Wahrnehmung computergenerierter Texte (vgl. Kapitel 5) zugrunde liegt und abschließend argumentiert werden muss, warum in dieser Arbeit der Vertrauensbegriff bevorzugt wird.

Zuversicht, Hoffnung und Glaube

Zuversicht, Zutrauen, Hoffnung und Glaube sind Begriffe, die – vor allem empirisch – eng mit dem Vertrauenskonzept verbunden sind und auch in der theoretischen Konzeption der Begriffe Überschneidungen beinhalten. Zuversicht und Zutrauen fungieren als Gegenstücke zu Zweifel, wohingegen Hoffnung und Glaube Gegengrößen zu Resignation darstellen. Die theoretische Abgrenzung der vier Begriffe untereinander ist an dieser Stelle weniger relevant. Wichtig ist, dass allen vier Konzepten – im Gegensatz zu Vertrauen – eine Passivität zugrunde liegt und keine bewusste Handlung stattfindet. Im Kontrast dazu wird bei Vertrauen die bewusste aktive Handlung unterstrichen, die ein Subjekt – unter Berücksichtigung mehrerer Alternativen – bei einer Vertrauensentscheidung eingeht (vgl. Steindl 2021: 31 f.).

Für die Schärfung des in dieser Arbeit verwendeten Vertrauensbegriffs sind zwei weitere Aspekte wichtig. Erstens wird in der Abgrenzung von beispielsweise ‚Hoffnung‘ und ‚Vertrauen‘, wie sie Prochazka (2020) vorgenommen hat, deutlich, welche negativen Konsequenzen eine zu Enttäuschung führende Vertrauensentscheidung haben kann. Hoffnung bezieht sich auf „Ereignisse, die vom Akteur nicht beeinflusst werden können“ (Luhmann 2014: 29 zit. n. Prochazka 2020: 40). Enttäuschtes Vertrauen sei so schwierig wiederherzustellen, weil sich „die bewusste Entscheidung [des Subjekts] für eine Alternative [...] als falsche Entscheidung herausgestellt [hat], die in Zukunft vermieden werden soll“ (ebd.: 40). Die negativen Konsequenzen einer Vertrauensentscheidung sind für die Exploration und Vertiefung der bisherigen Erkenntnisse zu Vertrauen in automatisierten Journalismus für die vorliegende Arbeit – und zum aktuellen Einsatz des automatisierten Journalismus – weniger relevant, müssen aber in Folgestudien, insbesondere mit Blick auf eine Reflexion der Lesenden im längerfristigen Umgang mit automatisierter Berichterstattung und möglicher Enttäuschung untersucht werden. Zweitens sei der Vollständigkeit halber auf die Ausführungen einzelner Autor:innen hingewiesen, die argumentieren, dass Vertrauen in Institutionen als Vertrauensobjekte grundsätzlich nicht möglich sei und damit auch kein Medienvertrauen vorliegen könne (vgl. Hardin 2006: 41 zit. n. Steindl 2021: 32). Aus Sicht von Hardin (2006) sei direkte Reziprozität, also eine Gegenseitigkeit im sozialen Austausch, zwischen individuellen Akteur:innen für Vertrauen zwingend notwendig, und diese fehle einer Institution als abstrakter Entität. Daher können Menschen nur Zuversicht oder Zutrauen in Institutionen entwickeln, nicht aber Vertrauen oder Nicht-Vertrauen (vgl. ebd.: 40f. und Levi 1998: 80 zit. n. Steindl 2021: 32). Diese Argumentation findet in der Literatur wenig Rückhalt (vgl. auch Fawzi, Steindl et al. 2021: 3): zum Beispiel argumentiert Steindl (2021), dass Menschen Institutionen sehr wohl menschliche Eigenschaften zuschreiben und zudem in der Theorie zwingend zwischen Zutrauen und Vertrauen unterschieden werden muss, um beispielsweise die genannte aktive Entscheidung einer Vertrauensentscheidung und ihrer Konsequenzen berücksichtigen zu können (vgl. Steindl 2021: 33; Fawzi, Steindl et al. 2021: 3). Auch die vorliegende Arbeit folgt der Auffassung, dass ein institutioneller Vertrauensbegriff hinsichtlich des Vertrauensobjekts der Medien existiert und dieser für die vorliegende Arbeit angewendet werden muss.

Misstrauen, Skepsis und Zynismus

Misstrauen, Skepsis und Zynismus sind weitere Begriffe, die in der Medienbewertungsforschung teilweise überschneidend mit Vertrauen verwendet werden und sich mit enttäuschtem, fehlendem oder negativem Vertrauen beschäftigen. Diese negativen Auswirkungen sind, wie schon bei der Gegenüberstellung von Hoffnung und Vertrauen angesprochen, nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit, sondern können in Folgestudien thematisiert werden (vgl. auch Fawzi und Obermaier 2019; Blöbaum 2020). Gegenstand des empirischen Teils dieser Arbeit sind Menschen mit mittleren Vertrauensniveaus, um eine zielgerichtete Exploration und Vertiefung bisheriger Ergebnisse leisten zu können. Zur Schärfung des Vertrauensbegriffs seien an dieser Stelle drei Abgrenzungen von Misstrauen, Skepsis und/oder Zynismus zu Vertrauen erwähnt: Der deutlichste Unterschied zu Vertrauen ist a) der fehlende Bezug von Misstrauen, Skepsis und Zynismus auf eine künftige Situation oder ein zukünftiges Ereignis, was für Vertrauen konstituierend ist. Weiterhin sei b) auf den wissenschaftlichen Diskurs zur Konzeption von Vertrauen und Misstrauen hingewiesen: Einige Autor:innen setzen fehlendes Vertrauen mit Misstrauen gleich (vgl. Levi 1998: 77 ff.), andere sprechen von zwei gegensätzlichen Begriffen (vgl. Schoorman et al. 2007: 350) und wieder andere begreifen Vertrauen und Misstrauen als zwei eigenständige Konzepte (vgl. Luhmann 2014: 92; Kohring 2008: 613–618, insgesamt nach Fawzi, Steindl et al. 2021: 82; Steindl 2021: 34 f.; Blöbaum 2020: 82). Die Verfasserin der vorliegenden Arbeit schließt sich der dritten Konzeptualisierung an, versteht fehlendes Vertrauen als eine Ausprägung von Vertrauen und unterscheidet davon grundsätzlich Misstrauen als eigenständiges Konstrukt. Der Vollständigkeit halber sei noch auf Arbeiten hingewiesen, die c) zwischen Zynismus, Argwohn sowie ‘mistrust’ und ‘distrust’ unterscheiden und vor allem die unterschiedlichen Ausprägungen, Gründe und Konsequenzen fehlenden Medienvertrauens besprechen. Die dazu relevanten Arbeiten haben Steindl (vgl. 2021: 34 f.) und Fawzi, Steindl et al. (2021: 3) systematisiert.

Glaubwürdigkeit und Vertrauen

In der Medienbewertungsforschung ist der Vertrauensbegriff eng mit dem Konzept der Glaubwürdigkeit (engl.: credibility) verbunden; beide werden häufig sowohl theoretisch als auch empirisch nicht trennscharf voneinander abgegrenzt (vgl. Dernbach und M. Meyer 2005: 137 ff.; Prochazka und Schweiger 2018: 3; van Dalen 2019: 357; Strömbäck et al. 2020: 3). Die Überschneidungen in der theoretischen Begriffsdefinition haben zum einen historische Gründe, da die Kommunikationswissenschaft in den 1940er- und 1950er-Jahren zunächst die Medienglaubwürdigkeit im Blick hatte und sich daraus, hauptsächlich seit den 1990er-Jahren und erneut ab 2010, die Vertrauensforschung entwickelt hatFootnote 10. Zum anderen haben die Überschneidungen von Glaubwürdigkeit und Vertrauen konzeptionelle Gründe, die im Folgenden systematisiert und aufbereitet werden. Die Auseinandersetzung mit beiden Konzepten ist wichtig, da der bisherige Forschungsstand zur Wahrnehmung computergenerierter Nachrichten (vgl. Kapitel 5) auf dem Glaubwürdigkeitskonzept und seinen unterschiedlichen Operationalisierungen beruht, für die vorliegende Arbeit aber der Vertrauensbegriff vorgezogen wird. Die Begründung, warum Vertrauen für das vorliegende Erkenntnisinteresse zielführender ist, erfolgt nach der Auseinandersetzung mit beiden Konzepten.

Vertrauen und Glaubwürdigkeit werden in der Literatur in der Regel in drei beziehungsweise vier Arten zueinander in Beziehung gesetzt (vgl. van Dalen 2019: 357 f.; Prochazka 2020: 38). Zum einen werden in Studien Glaubwürdigkeit und Vertrauen synonym verwendet (vgl. Fawzi, Steindl et al. 2021: 3), andere Autoren sehen Vertrauen als Grundlage für Glaubwürdigkeit an („we find informationen credible, if it comes from a trustworthy source“(Hovland und Weiss 1951: 649 f. zit. n. van Dalen 2019: 357) und eine dritte Gruppe argumentiert, dass wiederum Glaubwürdigkeit die Grundlage für beziehungsweise ein Teilphänomen von Vertrauen ist („we trust a source when its information time after time proofs to be credible“(Sobel 1985: 557, 570 f. sowie Bentele und Seidenglanz 2015: 412 zit. n. van Dalen 2019: 357)Footnote 11. Aus dieser Systematisierung heraus argumentieren van Dalen (ebd.) oder auch Prochazka (2020: 38 f.) für einen vierten Weg, indem Glaubwürdigkeit und Vertrauen als zwei unterschiedliche Konzepte aufgefasst und operationalisiert werden, die aber – in der Theorie ebenso wie in der Empirie – durch eine Reihe überlappender Elemente gekennzeichnet sind. Die vorliegende Arbeit folgt der vierten Argumentation, da die Gegenüberstellung beider Konzepte zeigen wird, dass Glaubwürdigkeit und Vertrauen zwar eng verwandte Begriffe sind, der Vertrauensbegriff aber als Grundlage zur vertieften Analyse der Wahrnehmung des automatisierten Journalismus weiterführende Erkenntnisse leisten kann, die über die Glaubwürdigkeit hinausgehen.

Glaubwürdigkeit wird als Eigenschaft definiert, „die Menschen, Institutionen oder deren kommunikativen Produkten (...) von jemandem (Rezipienten) in Bezug auf etwas (Ereignis, Sachverhalte etc.) zugeschrieben wird“ (Bentele und Seidenglanz 2015: 412) und meint „den Grad, mit dem Informationen eines Bezugsobjekts als wahr erachtet werden“ (Kohring 2001: 18 zit. n. Prochazka 2020: 38). Damit werden die engen Verknüpfungen zwischen Vertrauen und Glaubwürdigkeit und die Gemeinsamkeiten in der Begriffsbestimmung deutlich: Bei beiden Konzepten geht es um mindestens zwei Akteur:innen und sowohl Glaubwürdigkeit als auch Vertrauen kann sich nicht nur auf interpersonale, sondern auch auf institutionelle Objekte beziehenFootnote 12. Gemein ist beiden Konzepten zudem eine implizierte positive Erwartungshaltung. Bei ‚Vertrauen‘ erwartet das Subjekt ein positives zukünftiges Ereignis, und ‚Glaubwürdigkeit‘ schließt die positive Grundhaltung mit ein, dass die Aussagen des Objekts grundsätzlich als ‚richtig zu bewerten‘ sindFootnote 13. Außerdem reduzieren sowohl Vertrauen als auch Glaubwürdigkeit soziale Komplexität und sind wichtig für die Handlungsfähigkeit von Individuen in gesellschaftlichen Strukturen. Als weitere Gemeinsamkeit ist relevant, dass sowohl Vertrauen als auch Glaubwürdigkeit keine feststehende und objektiv überprüfbare Eigenschaft, sondern ein „Element einer mehrdimensionalen Relation“ (Bentele und Seidenglanz 2015: 2) sind.

Beide Konzepte unterscheiden sich bei der Konzeption des Bezugsobjekts und der Gestaltung der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt sowie in den Zeitbezügen und Perspektiven, die den Begriffen zugrunde liegen. Zunächst sind die Objekte, auf welche sich Glaubwürdigkeit bezieht, enger gefasst als Vertrauensobjekte (vgl. Fawzi, Steindl et al. 2021: 3; Prochazka 2020: 38 f.). Glaubwürdigkeit beinhaltet immer einen Bezug zu einem konkreten Gegenstand, im Medienkontext zum Beispiel auf eine Nachricht oder eine übermittelte Information. Medienglaubwürdigkeit wird demzufolge unterschieden in Nachrichten-, Quellen- und MediumglaubwürdigkeitFootnote 14. Vertrauen hingegen funktioniert ohne einen Gegenstandsbezug, geht über die „Aussagen von AkteurInnen [...] [hinaus, und richtet sich] auch auf technische, instrumentale und problemlösungsbezogene Aspekte“ (Steindl 2021: 33). Bezogen auf Journalismus und Medien spricht van Dalen (2019) deshalb von der Unterscheidung zwischen „trust in media as a whole“(ebd.: 358) und „credibility of information“(vgl. ebd.: 358)Footnote 15. Das Vertrauenskonzept beinhaltet zudem eine Beziehungsdimension, die der Glaubwürdigkeit fehlt (vgl. Bentele und Seidenglanz 2015: 412; Steindl 2021: 33). Das heißt, Vertrauen beruht auf einer intensiveren Beziehung zwischen Subjekt und Objekt. Zudem führt van Dalen (2019) unterschiedliche ‘Frames’ oder Perspektiven auf, die mit Glaubwürdigkeit beziehungsweise Vertrauen einhergehen: Glaubwürdigkeit ist die aktuelle Bewertung eines Gegenstands wohingegen Vertrauen ein breiteres, vorausschauendes Urteil mit Blick auf eine unsichere künftige Situation darstellt (im Englischen prägnant als ‘evaluation vs prediction’ (vgl. ebd.: 358)). Eine Vertrauensentscheidung hat außerdem affektiven Charakter, dieser unmittelbare Handlungsbezug ist für Glaubwürdigkeit nicht notwendig (vgl. Steindl 2021: 33; Obermaier 2020: 71–73).

Medienglaubwürdigkeit wird unterteilt in die wahrgenommene Glaubwürdigkeit einer Nachricht (Nachrichten- oder Textglaubwürdigkeit, engl.: message oder textcredibility), einer Quelle (Quellenglaubwürdigkeit, engl.: source oder author credibility), sowie eines Mediums (Mediumglaubwürdigkeit, eng.: medium credibility) (vgl. Prochazka 2020: 36 f.; Schweiger 2007: 260)Footnote 16. Im Forschungsstand zur Wahrnehmung computergenerierter Nachrichten in Kapitel 5 überwiegen die Messung der Text- und QuellenglaubwürdigkeitFootnote 17.

Wie in Kapitel 4 ausführlich dargestellt wird, hat die Kommunikationswissenschaft bisher keinen Konsens über eine einheitliche Operationalisierung von Vertrauen gefunden. Ähnlich verhält es sich in der Glaubwürdigkeitsforschung: Man ist sich nur einig darüber, dass Glaubwürdigkeit ein mehrdimensionales Konstrukt ist, nicht aber darüber, welche Dimensionen das Konzept umfasst. „Unterschiedliche Faktorenstrukturen sind [...] vor allem der willkürlichen Auswahl von Items geschuldet“ (Prochazka 2020: 38) und es fehlt eine theoretische Fundierung der Begriffe und valide Ableitung der Glaubwürdigkeitsdimensionen und ihrer Operationalisierung (vgl. Prochazka 2020: 38; Schweiger 2007: 260 f.; Prochazka und Schweiger 2018: 4; Rühl 2005: 130 f.). Häufig verwendete Skalen zur Messung der verschiedenen Dimensionen der Glaubwürdigkeit sind Gaziano und McGrath (1986), Newhagen und Nass (1989), Sundar (1999), Schweiger (1999), Kohring und Matthes (2007), Flanagin und Metzger (2008), Metzger et al. (2010), Joo Chung et al. (2010) und Appelman und Sundar (2016) und als Forschungsmodelle dienen zudem häufig Wirth (1999: 49 ff.) Sundar (2008).

Auch die bisher veröffentlichten Rezeptionsstudien zur Wahrnehmung computergenerierter Nachrichten in Kapitel 5 verwenden die Glaubwürdigkeit als abhängige Variable. In drei von 15 Publikationen wird Vertrauen als zusätzliche Variable berücksichtigt (vgl. Van der Kaa und Krahmer 2014; Zheng et al. 2018; Liu und Wei 2019) und sechs weitere Arbeiten verwenden Vertrauen als Deskriptor der Glaubwürdigkeit (vgl. Tabelle 9.3 und ausführlich beschrieben Abschnitt ‚Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit‘ in Abschnitt 10). Insgesamt werden in den Online-Experimenten konkrete Textstimuli vorgelegt und in der anschließenden Befragung wird vor allem die wahrgenommene Quellen- und Textglaubwürdigkeit der Lesenden erhoben (vgl. Kapitel 5). Abgesehen von der nicht-stringenten Verwendung einheitlicher Skalen zur Messung der Glaubwürdigkeit, die eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse erschwert und die Aussagekraft der Daten verringert, ist die Verwendung des Glaubwürdigkeitsbegriffs für dieses Forschungsziel überzeugend: Die vorgelegten menschlich verfassten und computergenerierten Nachrichten sind ein unmittelbarer Gegenstandsbezug und bewertet wird die Wahrnehmung der vorgelegten Texte und deren KennzeichnungFootnote 18. Die Verwendung des Medienglaubwürdigkeitsbegriffs ist deshalb passend. Für eine intensivere Reflexion der Wahrnehmung des automatisierten Journalismus, der Einflussfaktoren auf eine solche Bewertung sowie mögliche Konsequenzen der Einführung der Technologie auf die Perspektive der Lesenden greift der Glaubwürdigkeitsbegriff zu kurz. Deshalb wird in dieser Arbeit der Vertrauensbegriff mit dem konkreten Handlungsbezug, der Entscheidung unter Unsicherheit mit Blick auf eine zukünftige Situation und die weiter gefasste Beziehung zwischen Subjekt und Objekt verwendet, welcher über die Medienglaubwürdigkeit hinausgeht.

4.3 Operationalisierung von Medienvertrauen

Im bereits angesprochenen Modell der ‘causes, object und consequences of media trust’ haben Fawzi, Steindl et al. (2021), basierend auf einer umfassenden Literaturanalyse, die Gründe, Einflussfaktoren und Bezugsobjekte für Medienvertrauen zusammengetragen. Grundlage des Modells ist die Verortung der relevanten Forschungsarbeiten in zwei konkurrierenden Theorien: In Arbeiten der cultural theories wird argumentiert, dass sich Medienvertrauen aus interpersonalem Vertrauen ableiten lässt, welches sich in der frühen Sozialisation eines Menschen ausbildet. Im Sinne der institutionellen Theorien wird hingegen postuliert, dass sich Medienvertrauen aus der (wahrgenommenen oder tatsächlichen) Leistung der Institutionen einer Gesellschaft entwickelt (vgl. van Dalen 2019: 357). Für beide Denkrichtungen arbeiten Fawzi, Steindl et al. (2021) Einflussfaktoren auf unterschiedliche Bezugsobjekte des Mediensystems heraus (vgl. auch Hanitzsch et al. 2018: 4). Für den hier vorliegenden Forschungszweck werden insbesondere die sozialen und medienrelevanten Einflussfaktoren der individuellen Ebene berücksichtigt (vgl. Forschungsmodell in Kapitel 6)Footnote 19 und gemäß des Erkenntnisinteresses der vorliegenden Arbeit werden im Schwerpunkt generalisierte Vertrauensbeziehungen thematisiert. Das Ziel der folgenden Operationalisierung von Medienvertrauen ist die Aufarbeitung der Umsetzung der Vertrauensbeziehungen, um eine Vergleichbarkeit von Studienergebnissen zu leisten sowie Forschungslücken zu identifizieren und die eigene empirische Erhebung vorzubereiten.

4.3.1 Vertrauensobjekte und generalisierte institutionalisierte Vertrauensbeziehungen

Wie ausgeführt, ist Vertrauen definiert als interpersonale oder institutionelle Beziehung zwischen mindestens zwei Akteur:innen. Als Teil der Medienbewertungsforschung untersucht die Medienvertrauensforschung als Vertrauensgeber Leserinnen und Leser und Bezugsobjekte können sowohl interpersonale oder institutionalisierte Vertrauensobjekten seinFootnote 20. Grundsätzlich ist eine Unterscheidung der verschiedenen Vertrauensobjekte in der Theorie leistbar und wird im Folgenden thematisiert. Insbesondere in den empirischen, quantitativen Erhebungen zum allgemeinen Medienvertrauen gibt es aber Schwierigkeiten in der Begriffsdifferenzierung: Hier ist in den Erhebungen und in den Datenauswertungen oft nicht klar, auf welches Objekt sich das gemessene Medienvertrauen bezieht, nach dem die Teilnehmenden in den Studien gefragt werden (vgl. Blöbaum 2020: 81; Jarren 2020: 163).

Interpersonale oder interpersonelleFootnote 21 Vertrauensverhältnisse sind Beziehungen, bei denen die beteiligten Akteur:innen Individuen sind, und die häufig in der Psychologie bearbeitet werden. Die psychologischen Arbeiten zu interpersonalen Vertrauensbeziehungen dienen der Kommunikationswissenschaft als Grundlage für die Erarbeitung des Konzepts von Medienvertrauen. Institutionelle Vertrauensbeziehungen entstehen zwischen Individuen und gesellschaftlichen Institutionen; dabei wird der interpersonale Vertrauensbegriff auf Vertrauensobjekte wie Politik, Wirtschaft, Justiz, Polizei oder auch Medien und Journalismus übertragen (vgl. Prochazka 2020: 42; Høyer und Mønness 2016: 152; PytlikZillig et al. 2016: 111).

In der Kommunikationswissenschaft werden interpersonale Vertrauensbeziehungen selten untersucht, da sie sich auf den persönlichen Kontakt zwischen Akteur:innen beziehen (vgl. Prochazka 2020: 42) und diese Beziehungen im Fach kaum vorhanden sind. Untersucht wird beispielsweise, wie sehr Nachrichtenkonsument:innen einzelnen Journalist:innen vertrauen. Häufiger thematisiert werden institutionalisierte Vertrauensbeziehungen, also solche zwischen Lesenden und einem institutionalisierten Akteur wie beispielsweise Mediengattungen und Medienorganisationen, aber auch zu beruflichen Rollen oder dem System Journalismus als Ganzes (vgl. Fawzi, Steindl et al. 2021: 4).

Institutionalisierte Vertrauensbeziehungen werden unterschieden in spezifische und generalisierte Formen: Es gibt Beziehungen, bei denen sich das Vertrauen der Lesenden auf einzelne Vertrauensobjekte richtet, was als spezifisches Medienvertrauen bezeichnet wirdFootnote 22. Beispielsweise zählt dazu das Vertrauen in bestimmte Medienmarken oder das Vertrauen, das sich auf bestimmte Medieninhalte richtet. Generalisiertes Medienvertrauen meint hingegen Vertrauensbeziehungen, bei denen sich das Vertrauen der Vertrauensgeber:innen auf ein abstraktes Objekt bezieht. Generalisiertes Vertrauen ist losgelöst von konkreten Vertrauensobjekten oder spezifischen Situationen und besteht in einer „general attitude towards others“(ebd.: 4). Das Vertrauen in das System Journalismus als Ganzes oder das allgemeine Vertrauen in etablierte Medien ist zum Beispiel eine Form des generalisierten Medienvertrauens. In empirischen Erhebungen wird häufig nach Vertrauenszuschreibungen gefragt, bei denen „in der Regel explizit oder implizit etablierte, journalistische Mainstream-Medien gemeint sind“ (Prochazka 2020: 44).

Auch bei der vorliegenden Arbeit steht eine institutionalisierte Vertrauensbeziehung zwischen Lesenden und dem System Journalismus als Ganzes im Mittelpunkt. Es geht um ein generalisiertes Vertrauen, welches Rezipient:innen dem Journalismus beziehungsweise dem automatisierten Journalismus entgegenbringen. Dieses generalisierte Medienvertrauen bezieht sich auf einen „abstrakten Kollektivbegriff für etablierte Medien und weniger auf konkret genutzte und verfügbare Einzelmedien“ (Jackob, Schultz et al. 2017: 122). Prochazka (2020) kann zeigen, dass die theoretische Begriffsableitung des generalisierten Journalismusvertrauens auch in der Empirie Bestand hat. Zwar unterscheiden sich die unter den Befragten geäußerten Definitionen von Journalismus, insbesondere unter Medienskeptiker:innen, aber deutsche (Online-)Leser:innen haben ein „relativ klar abgegrenztes Bild etablierter journalistischer Mainstream-Medien im Kopf“ (ebd.: 265). Zudem benennen die Befragten die etablierten Medien zuverlässig als Vertrauensobjekt, wenn es um generalisiertes Journalismusvertrauen geht (vgl. ebd.: 136), und „bringen diesem abstrakten Bezugsobjekt ein generalisiertes Vertrauen entgegen und sind in der Lage, Erwartungen an den Journalismus als solches ebenso zu formulieren wie grundsätzliche Einschätzungen zu seiner Qualität zu geben“ (ebd.: 256).

4.3.2 Umsetzung der Vertrauensfrage

Die Frage nach dem Medien- beziehungsweise Journalismusvertrauen der Lesenden wird in der Literatur in zwei Hauptvarianten umgesetzt: erstens über die Abfrage einzelner Qualitätsmerkmale und zweitens als Globalabfrage des Vertrauens. Beide Varianten der Vertrauensabfrage weisen sowohl Stärken als auch Einschränkungen auf, die ausführlicher in Verbindung mit weiteren Schwierigkeiten der Operationalisierung thematisiert werdenFootnote 23.

In Variante Eins wird Vertrauen als Index aus verschiedenen Indikatoren zur journalistischen Qualität umgesetzt. Dabei wird in den bisherigen Studien nicht eine Skala mehrfach verwendet, sondern häufig Skalen aus verschiedenen Items gebildet. Die zugrundeliegende Annahme dieses Vorgehens ist, dass die wahrgenommene Einhaltung verschiedener Qualitätsmerkmale im Journalismus einen Indikator für das Journalismusvertrauen der Lesenden darstellt. Das Vorgehen orientiert sich an den verschiedenen Skalen zur Messung von Quellen- und Medienglaubwürdigkeit, die in der Medienglaubwürdigkeitsforschung im Einsatz sind. Verwendet wird diese Umsetzung der Vertrauensfrage sowohl bei spezifischen Medien als auch zur Abfrage eines generalisierten Medienvertrauens. Als Beispiel für die Umsetzung der Qualitätswahrnehmung zur Vertrauenserhebung in Bezug auf spezifische Medien nennen Rössler (2011) und Prochazka (2020) die Arbeiten von Kohring (2004) und Kohring und Matthes (2004, 2007, 2012). Insgesamt überzeugt Kohring (2004), indem er „als einziger in der Literatur zu Vertrauen eine umfassende theoretische Basis für die Auswahl der Items [liefert] und [...] so eine stringent hergeleitete Skala vorlegen [kann]“ (Prochazka 2020: 50). Allerdings, und das ist die Einschränkung, bezieht sich die Messung auf einzelne Medienmarken oder Medienangebote, welche die Befragten häufig verwenden. Damit kann die Skala nicht für generalisiertes Journalismusvertrauen verwendet werden, sondern bezieht sich auf „die Berichterstattung eines Mediums zu einem Thema [Herv. i. Org.]“ (ebd.: 50). Daneben gelten die Arbeiten von Tsfati und Peri (2006) als Beispiel für die Abfrage von Qualitätswahrnehmungen in Bezug auf ein generalisiertes Vertrauensobjekt. Die Autoren prüfen den Zusammenhang zwischen Medienskepsis und dem Konsum von Mainstream- und Alternativmedien. Die Konzeption von Medienskepsis bauen sie auf einem generalisiertem Vertrauensbegriff auf und operationalisieren die Vertrauensfrage mit fünf Items (vgl. ebd.: 171, 175). Sie nutzen die News Credibility Skala von Gaziano und McGrath (1986) mit den Ergänzungen von P. Meyer (1988) und erheben die Items ‘fair, accurate, unbiasd, tell the whole story, can be trusted’ (vgl. Tsfati und Peri 2006: 175).

Als zweite Variante wird die Vertrauensabfrage als Globalabfrage des Vertrauens verwendet. Hier wird in der Regel mit nur einem Item das Ausmaß von Vertrauen abgefragt, zum Beispiel mit der Frage ‚Wie sehr vertrauen Sie den Medien im Allgemeinen?‘ (vgl. Prochazka 2020: 45,168). Die Globalabfrage wird auch intuitive Frage genannt. Die Vorteile dieser Abfrage liegen in der Schnelligkeit der Ergebnisse und dem geringen Aufwand für die Befragten: „Im Idealfall provoziert die direkte Frage eine intuitive Reaktion, die das Vertrauenskonstrukt relativ gut abbildet“ (ebd.: 50). Die Einfachheit der Abfrage ist aber gleichzeitig ein Nachteil der Erhebung, so wird über die Messgenauigkeit und Validität der Ergebnisse diskutiert (vgl. Prochazka 2020: 50; Kohring und Matthes 2004: 196 f.). Konkret umgesetzt wird das Vorgehen häufig durch die Nennung einer Prozentangabe des Vertrauens, mittels Schieberegler oder einer Likertskala (vgl. auch Strömbäck et al. 2020: 5 f.). Als Beispiele für die Umsetzung der Globalfrage eines spezifischen Vertrauensobjekts gelten die deskriptiven Erhebungen, die in Kapitel 5 dargestellt werden. Mit einem generalisierten Vertrauensobjekt und einer Globalabfrage arbeiten beispielsweise Studien zum Vertrauen in etablierte Medien (vgl. Prochazka 2020: 45).

Für seine Erhebung nutzt Prochazka (ebd.) die direkte Globalabfrage und entwickelt diese zusätzlich weiter und misst generalisiertes Vertrauen „darüber [...] ob die Befragten sich bei ihrer Meinungsbildung und in der Anschlusskommunikation auf journalistische Medien verlassen“ (ebd.: 270). Dazu bildet er, abgeleitet aus der Theorie und den Ergebnissen der qualitativen Interviews, für die quantitative Befragung einen Index aus fünf Items zur Messung des generalisierten VertrauensFootnote 24. Er nennt es instrumentelle Abfrage des Vertrauens und berücksichtigt werden soll „vor allem das Risiko [das Rezipient:innen in Bezug auf journalistische Medien] eingehen, falsche Entscheidungen auf Basis der dortigen Informationen zu treffen und dass sie riskieren, sozial isoliert zu werden“ (ebd.: 186). Damit wird unter anderem das Merkmal von Vertrauen berücksichtigt, dass sich Vertrauensentscheidungen auf die Zukunft richten und unter Unsicherheiten getroffen werden (vgl. dazu Begriffe und Schwierigkeiten der Operationalisierung in Abschnitt 4.3.3.). Die Messung von Vertrauen über eine Abfrage mehrere Items und die Berücksichtigung der theoretischen Spezifika des Begriffs scheinen „[t]heoretisch [...] vielversprechend, insbesondere für eine Konsolidierung der Forschung zu Vertrauen in Journalismus, die sich bislang eher zögerlich systematisch mit dem zugrundeliegenden Verständnis von Vertrauen auseinandergesetzt hat“ (ebd.: 270). Dennoch zeigt auch die instrumentelle Abfrage von Vertrauen Schwierigkeiten in der Operationalisierung auf, die im Folgeabschnitt thematisiert werden (vgl. ebd.: 220, 235, 270).

4.3.3 Schwierigkeiten der Operationalisierung

Die Komplexität der Theorieentwicklung und des empirischen Vorgehens in der Vertrauensforschung wurden mehrfach erwähnt. Diese Einschränkungen beeinflussen auch das Studiendesign der vorliegenden Arbeit, daher werden die Argumente und Konsequenzen, die sich aus der Operationalisierung ergeben, im Folgenden kurz zusammengefasst. Im Kern geht es um die Frage, ob und wie es theoretisch und empirisch möglich ist, ein eindeutiges und abgegrenztes Begriffsverständnis von generalisiertem Vertrauen herzustellen, und darum, wie dieses in der Operationalisierung umzusetzen ist.

Prochazka (ebd.) führt die Schwierigkeiten der Operationalisierung des Journalismusvertrauen in Bezug auf den generalisierten Vertrauensbegriff und die Einschränkungen in der jeweiligen Art der Umsetzung der Vertrauensfrage sowie mögliche Lösungen bereits auf (vgl. Prochazka 2020: 46, 50 ff., 109; vgl. auch van Dalen 2019: 365 ff.). Er benennt zunächst drei Herausforderungen und Forschungslücken bei der Definition des generalisierten Journalismusvertrauens, die er anschließend mit einer empirischen Erhebung bearbeitet. Dabei beschreibt er erstens die Schwierigkeit, eine theoretisch fundierte und saubere Begriffsbestimmung dessen vorzunehmen, was unter generalisiertem Vertrauen beziehungsweise Vertrauen in etablierte Medien zu verstehen ist. Zweitens erläutert er die Probleme bei der Bestimmung des Begriffs in der Empirie und beschreibt das fehlende Wissen der Kommunikationswissenschaft darüber, ob die Bevölkerung ein derart eindeutiges Verständnis ‚der etablierten Medien‘ hat und die theoretische Ausarbeitung des Begriffs in der Empirie nachvollzogen werden kann. Zudem geht er drittens auf die Frage ein, ob ein generalisierter Vertrauensbegriff überhaupt valide ist, oder ob die Lesenden nicht beispielsweise zwischen einzelnen Mediengattungen oder auf der Individualebene derart viele Unterschiede in der Bewertung der Medien treffen, dass man nicht von einer generalisierten Einstellung den Medien gegenüber sprechen kann (vgl. Prochazka 2020: 50 ff.).

Dazu argumentiert Prochazka (2020) zunächst, dass der Begriff des ‚medialen Mainstreams‘ Mainstreams, auf den sich generalisiertes Medienvertrauen bezieht, in den letzten Jahren durchaus Einzug in die wissenschaftliche Auseinandersetzung gehalten hat und man sich auf wesentliche Begriffe einigen konnte. Mit medialem Mainstream ist „eine abstrakte[...] mentale[...] Repräsentation“ (Jackob, Schultz et al. 2017: 229) von Nachrichtenmedien gemeint, die von der Mehrheit der Gesellschaft genutzt und von der Bevölkerung dem Mainstream zugerechnet werden. Die Struktur und der Inhalt der Programme sind überwiegend auf die Mitte der Gesellschaft und den Mehrheitsgeschmack ausgerichtet. Zum medialen Mainstream der deutschen Gesellschaft gehören „die großen, bekannten und reichweitenstarken Medienmarken wie die öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunksender, noch immer Tageszeitungen (trotz sinkender Auflagen), Wochenzeitungen sowie die jeweiligen Online-Portale dieser Anbieter“ (Prochazka 2020: 47). Damit ist eine hinreichend solide Grundlage für die theoretische Abgrenzung des Begriffs vorhanden, wenngleich deutlich wird, dass immer noch ein „nicht klar abzugrenzende[r] Bereich innerhalb der Vielfalt an (journalistischen) Medien“ (ebd.: 47) existiert. Neben der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Begriff der etablierten Medien als Vertrauensobjekt ist für die Operationalisierung des generalisierten Medienvertrauens relevant, was Lesende in der Empirie unter ‚den Medien‘ verstehen, ob sie ein einheitliches Bild etablierter Medien haben und welche Medien sie dem Mainstream zuordnen (vgl. Prochazka und Schweiger 2018: 14). Die empirischen Studienergebnisse zeigen, ähnlich zur Auseinandersetzung mit den Begriffen auf theoretischer Ebene, dass die Rezipient:innen eine einheitliche Vorstellung von etablierten Medien haben. Allerdings gilt auch hier, dass die exakte Zuordnung, welche Medien konkret dem Mainstream zugeordnet werden nicht immer trennscharf realisiert werden kann (vgl. Prochazka 2020: 136, 265). Es gibt insgesamt sowohl in der Theorie als auch in der Empirie eine hinreichend genaue Vorstellung über die etablierten Medien als Bezugsobjekt für generalisiertes Medienvertrauen.

Für die Operationalisierung des generalisierten Journalismusvertrauens ist weiterhin relevant, ob die Rezipient:innen – neben einer einheitlichen Vorstellung vom Vertrauensobjekt der etablierten Medien – auch ein generelles Vertrauen in Medien an sich haben. Gibt es eine solche allgemeine Vertrauenszuschreibung oder differenzieren die Lesenden in ihren Zuschreibungen derart, dass nicht von einem allgemeinen Vertrauen gesprochen werden kann? Aus bisherigen Untersuchungen ist bekannt, dass sich die Vertrauenswerte je nach Mediengattung unterscheiden und auch der Abstraktionsgrad im Vertrauensobjekt eine Rolle spielt. Konkrete Sendungen werden mit einem höheren Vertrauen bewertet als Medien im Allgemeinen (vgl. z. B. Blöbaum 2018: 606; Prochazka 2020: 48, 136). Gleiches gilt auch für Medien, die die Befragten jeweils selbst nutzen im Vergleich zu Medienangeboten, die sie dem Mainstream zuschreiben, aber nicht selbst konsumieren (vgl. Fawzi, Steindl et al. 2021: 8 ff.). Damit gibt es zwar differenzierte Vertrauensurteile, insgesamt aber sind die spezifischen Vertrauenszuschreibungen und das allgemeine Medienvertrauen eng verbunden. Demzufolge gibt es ausreichend empirische Hinweise, dass Rezpierende „eine generalisierte Einstellung zu journalistischen Medien ‚im Großen und Ganzen‘ besitzen“ (Prochazka 2020: 48), wenngleich zusätzliche Studien zum Thema notwendig sind (vgl. ebd.: 49).

Weitere zu berücksichtigende Konsequenzen für die Operationalisierung des generalisierten Vertrauens in Journalismus ergeben sich aus der Umsetzung der Vertrauensfrage als Globalabfrage oder als Abfrage der wahrgenommenen Einhaltung ausgewählter Qualitätsmerkmale als Indikatoren von VertrauenFootnote 25. Die Globalabfrage von generalisiertem Journalismusvertrauen besticht durch die Einfachheit und die Generierung möglichst intuitiver Antworten (ausführlicher in Abschnitt 4.3.2.). Allerdings ist eine rein intuitive Messung von Vertrauen mit einem Item hinsichtlich ihrer Aussagekraft eingeschränkt: Unklar bleibt beispielsweise, was die Befragten jeweils unter ‚Vertrauen‘ verstehen. Es werden höchst subjektive Vorstellungen und unterschiedliche Vertrauenskonzepte gemessen. Insbesondere die Aussagekraft der mittleren Werte ist begrenzt: Es kann mit den Ergebnissen aus der Globalabfrage nicht unterschieden werden, ob die Befragten ein mittleres Vertrauen gegenüber Journalismus angeben, weil sie eine kritische und reflektierte Haltung gegenüber Journalismus haben oder weil Vertrauen in Journalismus für sie „überhaupt keine Kategorie ist bzw. [sie] vom medialen und politischen Tagesgeschehen aus unterschiedlichen Gründen abgekoppelt sind“ (ebd.: 269). Zudem bringen Messungen einer quantitativen Erhebung mit nur einem Item immer die Schwierigkeit mit sich, dass etwaige Messfehler möglichst zu kontrollieren sind. Zudem können komplexe Begriffe, wie es Vertrauen einer ist, in der Regel mit mehreren Items präziser gemessen werden.

Auch die Umsetzung der Vertrauensabfrage über die wahrgenommene Einhaltung ausgewählter Qualitätsmerkmale birgt Einschränkungen, die bei der Konzeption von Studiendesigns und in der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden müssen. Zunächst müssen die Validität und Reliabilität der verwendeten Skalen überprüft werden. Die Auswahl und Zusammenstellung der Items mit den abgefragten Qualitätsmerkmalen beruht vielfach auf Arbeiten aus der Medienglaubwürdigkeitsforschung. Als Grundlage dient meist die Skala von Gaziano und McGrath (1986), woraus häufig verschiedene und unterschiedlich viele Items für die Operationalisierung des Vertrauens verwendet werden. Insbesondere an der Auswahl der Items, und Verwendung der Skalen und vor allem der Begründung der verwendeten Items zur Messung der Glaubwürdigkeit beziehungsweise des Vertrauens gibt es Kritik. So werden, mit Ausnahme der Arbeiten von Kohring und Matthes (2004), die Items „in den meisten Fällen recht willkürlich ausgewählt und nur selten theoretisch begründet“ (Prochazka 2020: 50). Die Skala von Kohring und Matthes (2004) ist für die Messung von generalisiertem Journalismusvertrauen wiederum nicht geeignet, da sich die Messung auf die „Berichterstattung eines Mediums zu einem Thema bezieht [Herv. i. Org.]“ (Prochazka 2020: 50). Außerdem führt Prochazka (ebd.) die Überlegungen zur Skalenbildung weiter und weist darauf hin, dass es möglicherweise generell unmöglich ist, eine abschließende Skala von Journalismusvertrauen über die Abfrage verschiedener Qualitätsmerkmale zu generieren. Journalistische Qualitätsmerkmale sind höchst subjektiv, in der Gesellschaft kann sich die Wichtigkeit einzelner Items schnell ändern oder die Gewichtung einzelner Merkmale in den Skalen verändert sich (vgl. Prochazka 2020: 50).

Neben der Zusammensetzung der Skalen aus den unterschiedlichen Qualitätsmerkmalen müssen grundsätzliche Konzeptualisierungen angesprochen werden, die in bisherigen Studien teilweise nicht eindeutig diskutiert oder unklar operationalisiert, aber schon bei der Definition der Begriffe thematisiert wurden. Hier ist insbesondere die Beziehung zwischen den wahrgenommenen Qualitätsmerkmalen und dem zugeschriebenen Vertrauen bei der Dateninterpretation zu berücksichtigen. Eine erste Möglichkeit der Operationalisierung ist eine Gleichsetzung der Qualitätsmerkmale und dem wahrgenommenen Vertrauen. Die Schwierigkeit besteht dabei in der beschränkten Erklärfähigkeit und Aussagekraft der erhobenen Daten. Prochazka (ebd.) führt mit Rückgriff auf Jackob, Schultz et al. (2017) beispielsweise aus, dass damit nicht erklärt werden kann, wie Medienkritik und fehlende Qualitätswahrnehmung mit sinkendem Vertrauen in Medien und Journalismus zusammenhängen. Damit gibt es in der Vertrauensforschung keine Studienergebnisse für gesellschaftlich aktuell hoch relevante Fragestellungen (vgl. Prochazka 2020: 51). In weiteren Studien wird Vertrauen als Konstrukt oder latente Variable konzipiert, welche nicht direkt beobachtbar ist, sondern sich aus den Qualitätsmerkmalen konstituiert und deshalb über die wahrgenommenen Indikatoren für Qualität gemessen wird. Damit sind die wahrgenommenen Qualitätsmerkmale oder -bewertungen die Folge des zugrundeliegenden Vertrauens (oder Nicht-Vertrauens). Bei einigen Indikatoren scheint dies plausibel, bei anderen weniger: Es würde beispielsweise bedeuten, dass eine Person die Qualität oder die Richtigkeit eines Nachrichtenartikels als hoch bewertet, weil sie dem Artikel vertraut. Dabei gibt es Einwände, ob nicht bei einigen Merkmalen die gegenteilige Beziehung vorliegt und die Person dem Vertrauensobjekt ein hohes Vertrauen zuschreibt, weil sie zunächst die Qualitätsmerkmale als erfüllt ansieht (vgl. ebd.: 52). In einer dritten Variante werden die wahrgenommenen Qualitätsmerkmale teilweise als Einflussfaktoren für Vertrauen operationalisiert. Dies wird aber häufig – wie bei der beschriebenen Zusammensetzung der Skalen – weder in der Theorie noch in der Empirie eindeutig beschrieben und es wird nicht trennschaft zwischen abhängigen und unabhängigen Variablen getrennt. Hierdurch wird die Interpretation der Qualität und Zuverlässigkeit der Daten weiter erschwert. Schwierig ist weiterhin, dass Vertrauen – nach der Begriffsdefinition (vgl. ausführlich in Abschnitt 4.2.2) – als langfristiges Konstrukt gilt, bei dem Lesende mit Hilfe von Heuristiken auf eine unsichere Zukunft hin gerichtet Entscheidungen treffen. Diese entscheidenden Merkmale für Vertrauen werden bei der Operationalisierung über die Bewertung verschiedener Qualitätsmerkmale einzelner Medieninhalte nicht berücksichtigt (vgl. ebd.: 52 f.).

Die Defizite der bisherigen Operationalisierung, insbesondere der mangelnde Rückbezug auf die theoretischen Bestandteile des Vertrauenskonzepts, berücksichtigt die bereits angesprochene instrumentelle Abfrage von Vertrauen bei Prochazka (ebd.) (vgl. Umsetzung der Vertrauensfrage in Abschnitt 4.3.2). Das Vorgehen erscheint gewinnbringend, vor allem um die Messinstrumente der Vertrauensforschung zu professionalisieren und stärker an die Theorie anzubinden. Allerdings bezeichnet der Autor selbst die Qualität der Ergebnisse als verbesserungswürdig, und eine vergleichsweise geringe Varianzaufklärung – im Vergleich mit den Ergebnissen der Globalabfrage – scheint auf mögliche Drittvariablen hinzuweisen (vgl. ebd.: 220, 235, 270). Prochazka (ebd.) vermutet hier konfundierende Einflüsse durch oder „mit der generellen Bereitschaft zur Anschlusskommunikation bzw. dem Interesse für aktuelle politische Ereignisse“ (ebd.: 270). Die instrumentelle Abfrage erbringt damit zunächst zufriedenstellende Messergebnisse, spricht zielführend die notwendige Professionalisierung der Messinstrumente in der Vertrauensforschung an und stellt eine gute und konkrete Grundlage für die Weiterentwicklung der Instrumente dar. Im qualitativen Setting dieser Arbeit wird mit der Globalabfrage gearbeitetFootnote 26.).

4.4 Bedingungen und Voraussetzungen für Medienvertrauen

Neben der Operationalisierung von Vertrauensbeziehungen werden im Folgenden die Erkenntnisse der Kommunikationswissenschaft zu Bedingungen, Voraussetzungen, Gründen und EinflussfaktorenFootnote 27 auf Vertrauensentscheidungen in Medien und Journalismus mit Fokus auf das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit zusammengetragen. Grundsätzlich werden diese Einflussfaktoren in individuelle und systembezogene Faktoren unterteilt (vgl. Fawzi, Steindl et al. 2021: 5). Für das vorliegende Forschungsinteresse sind aber vor allem die individuellen Faktoren relevant: Vertrauen ist zwar auch von systembezogenen Bedingungen, wie gesellschaftlichen oder medialen Rahmenbedingungen abhängig, aber Studien, wie Tsfati und Ariely (2014) weisen darauf hin, dass „die Individualebene jedoch deutlich ausschlaggebender zu sein [scheint]“ (Prochazka 2020: 59)Footnote 28.

Um Vertrauensentscheidungen im automatisierten Journalismus nachvollziehen und eine Exploration der Einflussfaktoren auf diese Urteile erreichen zu können (vgl. Forschungsmodell in Kapitel 6) werden in den Folgeabschnitten zwei Schwerpunkte näher betrachtet, die sich erneut am Prinzip dieser Arbeit – vom Allgemeinen zum Speziellen – orientieren: Zunächst werden die individuellen sozialen und medienrelevanten Einflussfaktoren auf Vertrauensentscheidungen in Medien und Journalismus, die Fawzi, Steindl et al. (2021) zu unterschiedlichen Vertrauensobjekten thematisiert haben, zusammengefasst. Diese Darstellung dient dem systematischen Überblick der bisher vor allem in empirischen Einzelbefunden zusammengetragenen Einflussfaktoren auf Vertrauensentscheidungen im Allgemeinen (vgl. Fawzi, Steindl et al. 2021: 2 f.; Prochazka 2020: 59). Auf dieser Grundlage können in der empirischen Untersuchung dieser Arbeit dar Einflussfaktoren auf Vertrauen in automatisierten Journalismus untersucht und die Wahrnehmung automatisierter Nachrichtentexte erhoben werden. Im Folgenden konzentriert sich der zweite Abschnitt auf Einflussfaktoren der individuellen Ebene, die speziell zum generalisierten Journalismusvertrauen getestet wurden und thematisiert deren Ergebnisse. Beide Perspektiven – die allgemeine systematische Aufarbeitung sowie der Fokus auf das Vertrauensobjekt des generalisierten Journalismus – sind wichtig, um einen explorativen Zugang zu Vertrauensbewertungen im automatisierten Journalismus zu gewährleisten sowie im Speziellen generalisierte Vertrauensurteilen in diesem Kontext zu bearbeiteten. Die Arbeit von Prochazka (2020) ist zwar in der systematischen Aufarbeitung von Fawzi, Steindl et al. (2021) enthalten, soll aber ausführlich den Bezug zum generalisierten Vertrauensobjekt über die Metastudie hinweg thematisieren.

4.4.1 Einflussfaktoren für Medienvertrauen im Allgemeinen

Die Gründe für Medienvertrauen unterteilen Fawzi, Steindl et al. (ebd.) in individuelle und institutionelle Einflussfaktoren, die sich jeweils in soziale, politische und medienrelevante Gründe gruppierenFootnote 29. Für den hier vorliegenden Forschungszweck werden insbesondere die sozialen und medienrelevanten Einflussfaktoren der individuellen Ebene berücksichtigtFootnote 30.

Als individuelle, soziale GründeFootnote 31 für Medienvertrauen werden bisher interpersonales Vertrauen, MisantrophieFootnote 32, Involvement und unterschiedliche demographische Faktoren berücksichtigt. Als Fazit ihrer Analyse halten Fawzi, Steindl et al. (ebd.) fest, dass Vertrauen in Medien eine „stable association with psychological characteristics such as interpersonal trust und conspiracy menthality“(ebd.: 6) zeigt. Interpersonales Vertrauen wirkt positiv auf Medienvertrauen und Glaubwürdigkeit, wohingegen Misantrophie zu geringerem Medienvertrauen und erhöhtem Medienzynismus führt. Je mehr die Menschen außerdem in das Nachrichtenthema eingebunden sind (so genanntes Involvement), desto eher werden Medien als nicht-vertrauenswürdig eingestuft und der Hostile-Media-Effekt steigtFootnote 33. Die demografischen Merkmale zeigen nur inkonsistente Ergebnisse auf mögliche Einflüsse, am deutlichsten scheint noch das Alter Auswirkungen auf das Medienvertrauen zu haben. Allerdings schränken Fawzi, Steindl et al. (ebd.) die Aussagekraft der Studiendaten zu den demografischen Merkmalen ein, da diese in den Primärstudien oft als Kontrollvariablen und nicht als unabhängige Variablen berücksichtigt wurden. Ein generell geringes Medienvertrauen lasse sich nicht auf einzelne soziale Gruppen zurückführen. Vielmehr vertrauen Mitglieder in allen Bevölkerungsgruppen, unabhängig von Alter, Geschlecht, Bildung, Einkommen, Religion oder ethnischer Zugehörigkeit, den Medien mehr oder weniger stark (vgl. ebd.: 6).. Insbesondere die Ergebnisse zu den demografischen Merkmalen decken sich mit den Ergebnissen des Forschungsstands zur Wahrnehmung computergenerierter Nachrichten (vgl. Abschnitt 5.2.4).

Bei der Analyse der politischen Gründe für Medienvertrauen beziehen Fawzi, Steindl et al. (ebd.) Arbeiten mit ein, die einen Einfluss des individuellen Vertrauens in öffentliche Institutionen und demokratische Strukturen sowie Einflüsse der politischen Meinung und Beteiligung auf das Medienvertrauen berücksichtigen. In den Studien werden Messkonstrukte wie politisches Vertrauen, politische Ideologie, politisches Interesse, politische Meinungen und subjektiv wahrgenommenes Wissen über politische Prozesse sowie politische Beteiligung und deren wahrgenommene Wirksamkeit verwendet. Insgesamt zeigt die Analyse von Fawzi, Steindl et al. (ebd.), dass die politische Positionierung, die wahrgenommene individuelle Wirksamkeit, die Zugehörigkeit zu einem politischen Lager sowie das Vertrauen in politische Strukturen und demokratische Prozesse in mehreren Studien als mögliche Einflüsse auf das Medienvertrauen untersucht wurden und in unterschiedlichen Arbeiten immer wieder unterschiedlich starke Zusammenhänge zum Medienvertrauen deutlich geworden sind. Die Ergebnisse unterscheiden sich teilweise in DetailsFootnote 34, insgesamt aber stellen die Autor:innen einen positiven Zusammenhang zwischen Vertrauen in öffentliche Institutionen und politische Strukturen sowie dem Medienvertrauen dar (vgl. ebd.: 6 f.).

Bei den individuellen medienbezogenen Einflussfaktoren auf MedienvertrauenFootnote 35 führen Fawzi, Steindl et al. (2021) zunächst Studien auf, die sich mit der Wahrnehmung von Nachrichtenqualität und deren Einfluss auf Medienvertrauen beschäftigen. Erneut zeigt sich die Schwierigkeit der Vergleichbarkeit der Daten, da erstens die Begriffe Nachrichtenqualität, Vertrauen und Glaubwürdigkeit oft synonym verwendet zweitens die Konstrukte sowohl als abhängige und/oder als unabhängige Variablen in den Studienkonzeptionen angelegt wurden und sich drittens die Indikatoren der jeweiligen Variablen unterscheiden. Dennoch kann festgehalten werden, dass bei Medieninhalten, die als qualitativ hochwertig wahrgenommen werden, auch das zugeschriebene Vertrauen wächst. Auch die Ergebnisse von Prochazka (2020) sind aufgeführt, nachdem das generalisierte Vertrauen in Journalismus in gleichem Maße steigt, wie auch die wahrgenommene Medienqualität als höher bewertet wird. Hier scheinen wahrgenommene Richtigkeit und Vollständigkeit der Berichterstattung ausschlaggebende Indikatoren für Medienqualität zu sein (vgl. Prochazka 2020: 183; Fawzi, Steindl et al. 2021: 8). Grundsätzlich aber, so führen Fawzi, Steindl et al. (2021) weiter aus, zeigt der Forschungsstand, dass die Beurteilung der Nachrichtenqualität weniger an den konkreten Medieninhalten, sondern vielmehr an ‚peripheren Hinweisen‘  wie Medienmarken oder Nutzer:innenkommentaren festgemacht wird. Einen negativen Einfluss auf das Medienvertrauen haben hingegen direkte Medienerfahrungen, beispielsweise als O-Ton-Geber:in oder als Teilnehmer:in eines Medienevents, über das berichtet wurde. Hier ist eine Diskrepanz zwischen dem eigenen Erleben und der Berichterstattung mit negativem Medienvertrauen verbunden. Gleiches gilt für die Wahrnehmung von Media-Bias: Auch hier steigt Medienmisstrauen beziehungsweise der Aufbau von Medienvertrauen wird erschwert. Dies wirkt sich nicht nur auf den Medieninhalt, sondern auch auf die Wahrnehmung der Medienmarke und der Journalist:innen aus (vgl. ebd.: 8).

Der Einfluss des individuellen ‚Wissens über Medien und deren Strukturen‘ wird in der Forschung bisher nur vereinzelt aufgegriffen und es scheint, so das Resümee der Literaturanalyse, keine eindeutig lineare Beziehung zwischen dem Wissen über Medien und dem Medienvertrauen zu existieren (vgl. ebd.: 8). Studienergebnisse zeigen, dass vor allem zwei gegensätzliche Gruppen eine höhere Skepsis gegenüber Journalismus sowie wenig Medienvertrauen angeben: zum einen Menschen mit sehr viel Wissen über journalistische Strukturen, also einer hohen Medienkompetenz, und zum anderen Menschen mit besonders wenig Wissen. Eine höhere Medienkompetenz kann also dazu führen, dass Menschen informierter, aber auch skeptischer gegenüber Journalismus und Medien werden (vgl. ebd.: 9).

Seit 2000 und verstärkt seit 2017 wird in Studien der Zusammenhang zwischen der Nutzung von Mainstreammedien, alternativen Medien oder journalistischen Inhalten, die mittels Social Network Sites konsumiert werden, untersucht und ebenso deren Einfluss auf das wahrgenommene Medienvertrauen. Dabei konnte ein vermuteter Zusammenhang zwischen einer häufigen Nutzung von Mainstreammedien und einem damit einhergehenden hohen Medienvertrauen insgesamt nicht bestätigt werden. Die Studienergebnisse sind nicht konsistent und verschieden verwendete Messkonstrukte konnten keinen, nur einen geringen Zusammenhang oder nur spezifische Zusammenhänge, wie etwa bei der Nutzung bestimmter Mediengattung oder einzelner Medienmarken und einem höheren Medienvertrauen, feststellen. Stabil sind hingegen die Ergebnisse für die gegensätzliche Abhängigkeit: Wenn mehr Vertrauen in spezifische Medien bei den Konsument:innen vorliegt, dann steigt die Nutzung dieser Medien (vgl. ebd.: 9).

Die Literaturanalyse zeigt außerdem Unterschiede in den Ergebnissen, die sich aus der Umsetzung der Vertrauensfrage ergeben. Wenn Medienvertrauen im Allgemeinen, also in einer globalen und abstrakten Frage (vgl. zur Umsetzung der Vertrauensfrage Abschnitt 4.3.2), erhoben wird, dann geben die Befragten geringeres Medienvertrauen an und die Berichterstattung insgesamt wird als vorurteilsbehafteter und weniger akkurat wahrgenommen. Wenn das Medienvertrauen dagegen als Vertrauen in spezifische Medien erfragt wird, dann vertrauen die Befragten den Medien, die sie selbst nutzen, halten ihre Medienauswahl aber nicht für repräsentativ für die Berichterstattung im Allgemeinen. Damit, so das Fazit von Fawzi, Steindl et al. (ebd.), sind die Ergebnisse der Vertrauensfrage insgesamt differenzierter: Insbesondere die Daten zu möglichen Vertrauensverlusten reflektieren oft, was die Befragten als etablierte Mainstreammedien wahrnehmen und beziehen bei den angegebenen Vertrauensverlusten nicht die Medien mit ein, die sie selbst konsumieren. Eine weitere Erklärung für die geringen Auswirkungen der Nutzung von Mainstreammedien auf das Medienvertrauen ist, dass Menschen die etablierten Medien nutzen, obwohl sie ihnen misstrauisch begegnen, oder sie nutzen diese gerade wegen ihrer Vorbehalte und finden Gefallen daran, kritisch über die Inhalte nachzudenkenFootnote 36. Trotz Vertrauensverlusten nutzen die Befragten außerdem weiterhin Mainstreammedien, wenn ihnen Alternativen fehlen (vgl. ebd.: 9).

Das Modell von Fawzi, Steindl et al. (2021) zeigt systematisch aggregierte Einflussfaktoren auf Medienvertrauen. Aus der Darstellung lassen sich Faktoren ableiten und spezifizieren, die für das Vertrauen in automatisiert generierte Berichterstattung relevant sind und als Grundlage für das Forschungsmodell dieser Arbeit in Kapitel 6 dienen. Insgesamt lässt die Literaturanalyse ein breites Spektrum an Gründen für Medienvertrauen erkennen, was erneut die Komplexität des Forschungsgegenstands deutlich macht: Die verschiedenen Einflussfaktoren zeigen keine linearen und eindeutigen Zusammenhänge, sondern oft spezifische und kleinteilige Ergebnisse. Für das vorliegende Forschungsinteresse gilt es, Einflussfaktoren unter anderem aus dem Forschungsstand von Fawzi, Steindl et al. (ebd.) auszuwählen, da das Modell beispielsweise nicht nach Art des Bezugsobjekts gegliedert ist und daher auch Einflussfaktoren genannt sind, die sich auf ein spezifisches Vertrauen, wie z. B. auf Journalist:innen beziehen (vgl. ebd.: 5).

4.4.2 Einflussfaktoren auf generalisiertes Journalismusvertrauen

Als mögliche Einflussfaktoren auf das generalisierte Journalismusvertrauen berücksichtigen Prochazka (2020) und auch Fawzi und Mothes (2020) vor allem Merkmale der individuellen Ebene. Diese Auswahl begründen die Autorinnen mit dem noch relativ neuen Forschungsgebiet, der zu leistenden Grundlagenarbeit, einer Reihe von Forschungslücken und der zunächst notwendigen grundlegenden Strukturierung des Felds (vgl. auch Prochazka 2020: 14 f.). Die Beschränkung auf individuelle Faktoren stützt sich insbesondere auf die Arbeit von Tsfati und Ariely (2014), die zeigt, dass Merkmale der Systemebene zwar für das Vertrauen in Journalismus wichtig sind, die individuellen Einflussfaktoren aber maßgeblich zu sein scheinen (vgl. Tsfati und Ariely 2014: 769; Prochazka 2020: 59).

Personenmerkmale

Bei den Untersuchungen des Einflusses der Personenmerkmale oder individuellen sozialen Gründe auf das generalisierte JournalismusvertrauenFootnote 37 hat sich gezeigt, dass das Geschlecht der Proband:innen keinen signifikanten Einfluss auf das generalisierte Journalismusvertrauen hat (vgl. Prochazka 2020: 208) und auch der formale Bildungsabschluss das Vertrauen nicht wesentlich beeinflusst. Das Alter hingegen hat einen deutlich positiven Einfluss, indem mit dem Lebensalter das zugeschriebene Vertrauen steigt. Die soziodemografischen Merkmale sind insgesamt nicht besonders erklärungsstark, es gibt aber leichte Effekte durch das Alter und die Kombination von Bildungsgrad und psychologischen Merkmalen, nicht aber durch das Geschlecht. Interpersonales Vertrauen ist die Grundlage des institutionellen Vertrauens (siehe Begriffsbestimmung in Abschnitt 4.2.1) und in der Empirie konnte nachgewiesen werden, dass interpersonales Vertrauen einen positiven Effekt auf generalisiertes Journalismusvertrauen hat (vgl. ebd.: 206 ff.). Bei den psychologischen Personenmerkmalen hat zusätzlich, insbesondere bei dem Versuch, Medienskepsis zu erfassen, die konstruktivistische Weltsicht einen positiven, und die individuelle Verschwörungsmentalität hingegen einen deutlich negativen Einfluss auf das Vertrauen in Journalismus im Allgemeinen (vgl. ebd.: 208 f.). Außerdem wurden politischer Zynismus und politische Selbstwirksamkeit als politikbezogene individuelle EinflussfaktorenFootnote 38 auf generalisiertes Journalismusvertrauen untersucht: Beide Merkmale zeigen einen positiven Zusammenhang mit der abhängigen Variable Journalismusvertrauen. Bei den medienbezogenen individuellen Personenmerkmalen gibt es Studienergebnisse zum Einfluss des subjektiven und objektiven Medienwissens der Befragten auf generalisiertes Journalismusvertrauen, wobei beide Merkmale aber nur einen schwach positiven Zusammenhang (vgl. ebd.: 210 ff.) aufweisen. Einen deutlich stärkeren Zusammenhang zeigt die Einschätzung der Befragten zu der Frage, wie sie das Vertrauen in der Bevölkerung insgesamt einschätzen: Dieses wahrgenommene Vertrauensklima hängt positiv mit dem individuellen generalisierten Vertrauen zusammen (vgl. ebd.: 212 ff.) und liefert vor allem Erkenntnisse, die hilfreich sind, um die Gründe für hohes und besonders niedriges Medienvertrauen zu untersuchen.

Qualitätserwartung und -wahrnehmung sowie Diskrepanz der Werte

Die zugeschriebene Qualität wird – insbesondere in früheren Arbeiten – häufig mit Vertrauen gleichgesetzt (siehe Abschnitt 4.2.3) (vgl. Voigt 2016: 94; Prochazka und Schweiger 2018: 3; Prochazka 2020: 38). Prochazka (2020) stellt in der theoretischen Begriffsbestimmung überzeugend dar, warum beide Konzepte nicht deckungsgleich sind, und zeigt anschließend auch empirisch, dass Qualitätserwartungen, die tatsächlichen Wahrnehmungen journalistischer Qualität, die Diskrepanz beider Werte und insbesondere die Gründe für wahrgenommene Qualitätsmängel als moderierende beziehungsweise unabhängige Faktoren auf generalisiertes Journalismusvertrauen zu behandeln sind (vgl. ebd.: 234 f.).

Insgesamt sind die Erwartungen der Rezipienten an journalistische Qualität sehr hoch, die wahrgenommene Einhaltung der Qualitätserwartungen dagegen fällt deutlich niedriger aus (vgl. ebd.: 143). Dennoch kann die Diskrepanz zwischen beiden Werten alleine keinen relevanten Einfluss auf generalisiertes Journalismusvertrauen erklären: Interessanterweise sind aber die wenigen Merkmale, bei denen die Erwartungen gut erfüllt wurden, nicht unbedingt mit hohem Vertrauen verbunden (vgl. ebd.: 185)Footnote 39. Damit haben die Erwartungen und Wahrnehmungen von Journalismus zwar einen Einfluss auf das generalisierte Vertrauen, dieser ist aber nicht unmittelbar zu beobachten, sondern soll im Folgenden kurz erörtert werden.

Zunächst werden vertrauensrelevante Qualitätsmerkmale angeführt, die sich auf die Berichterstattung, die journalistischen Akteur:innenFootnote 40 sowie auch auf die Eigenverantwortung des Publikums beziehen (vgl. Prochazka 2020: 139). Sowohl in der qualitativen als auch in der quantitativen Erhebung wird deutlich, dass es einen Konsens hinsichtlich vertrauensrelevanter Qualitätserwartungen an etablierte Medien gibt. Dazu zählen die Integrität und Fähigkeit der journalistischen Akteur:innen, die Richtigkeit und Vollständigkeit der Berichterstattung, die Trennung von informierenden und meinungsbildenden Darstellungsformen, die Seriosität der Berichterstattung sowie die Vielfalt, Ausgewogenheit und Relevanz in der Themenauswahl (vgl. ebd.: 140,183). Insgesamt wird von den Medien „vor allem erwartet, korrekt, vollständig, neutral und unabhängig zu berichten und damit als ‚neutraler Vermittler‘ von Ereignissen aufzutreten“ (ebd.: 183). Es gibt eine Idealvorstellung von Journalismus und ein „von Bürger_ innen, Wissenschaft und Praxis gleichermaßen getragenes Kernverständnis dazu, was Journalismus sein und leisten soll“ (ebd.: 183). Die Erwartungen an Journalismus sind über alle vertrauensrelevanten Merkmale durchgängig hoch. Dies interpretiert Prochazka (ebd.) als normativ gut, da eine hohe Involviertheit darauf schließen lässt, dass die Menschen Journalismus gegenüber nicht gleichgültig sind (vgl. ebd.: 185)Footnote 41. Die Erwartungen der Lesenden an journalistische Qualitätsmerkmale sind hoch, die gemessenen Werte für die tatsächliche Wahrnehmung fallen dagegen deutlich niedriger aus: Zwar liegen alle Werte stabil im Mittelfeld der Skala mit geringen Standardabweichungen und die Mehrheit der Befragten schätzt die Erfüllung der addierten Qualitätsmerkmale mittel bis positiv ein (70 Prozent der Befragten), die Erwartungen sind aber in allen Merkmalen höher als die wahrgenommenen Werte. Zudem weisen die Qualitätsmerkmale, die für die Vertrauenszuschreibung als besonders wichtig erscheinen, also „Vollständigkeit, Richtigkeit, [...] Trennung von Nachricht und Meinung, Ausgewogenheit und Seriosität“ (ebd.: 189) sowie die Tatsache, dass die eigene Meinung widergespiegelt wird (vgl. ebd.: 189), die größte Differenz in den gemessenen Einzelwerten aufFootnote 42. Allerdings hat die Nicht-Erfüllung der Erwartungen – entgegen der ursprünglichen Vermutung der Autors – keine besondere Erklärkraft für das Journalismusvertrauen. Im Gegenteil: Allein die Werte der Wahrnehmung zeigen mehr Varianz im gemessenen Vertrauen auf (vgl. ebd.: 234). Für generalisiertes Journalismusvertrauen sind die vermuteten Gründe für Qualitätsmängel entscheidend: Rezipient:innen sprechen die Gefahr gezielter Manipulationen an und/oder vermuten unbeabsichtigte Fehler, die beispielsweise aus Überforderung oder Unvermögen der Journalist:innen entstehen. Diese können das Vertrauen sogar stärken (vgl. ebd.: 150). Insbesondere die Angst vor bewussten Manipulationen ist ein starker Faktor für sinkendes Vertrauen (vgl. ebd.: 234 f.): „Insgesamt glauben [...] mehr Menschen an Manipulation durch Politik und Medieneigentümer_innen, als an Fehler und Unklarheiten durch Komplexität“ (ebd.: 190)Footnote 43.

Erwartung an Leistung der Medien sowie Diskrepanz der Werte

Neben den Qualitätserwartungen und -wahrnehmungen untersuchen Fawzi und Mothes (2020) im Rahmen einer quantitativen Befragung in Deutschland die Wahrnehmungen und Erwartungen an die Leistungen der Medien und die Diskrepanz beider Werte auf das allgemeine Vertrauen in Medien und JournalismusFootnote 44. Im Mittelpunkt stehen sechs normative Funktionen, die journalistische Medien erfüllen sollen: Informations-, Kontroll-, Mobilisierungs- und Analysefunktion sowie den Auftrag der Förderung des öffentlichen Diskurses durch Vermittlung zwischen Politik und Gesellschaft sowie soziale Empathie gegenüber Minderheiten zu fördern (im Sinne einer Artikulationsfunktion) (vgl. ebd.: 338). Die Autorinnen können zeigen, dass auch bei den Leistungen der Medien, ähnlich wie bei den journalistischen Qualitätsmerkmalen, die Erwartungen der Lesenden alle höher sind als die wahrgenommene Leistung. Die Unterschiede zwischen Erwartung und tatsächlicher Bewertung sind bei den Leistungsmerkmalen auf unterschiedliche Weise mit allgemeinem Medienvertrauen verbunden: Zunächst erfüllt Journalismus normative Funktionen für die Gesellschaft, z. B. die Informations- und Kontrollfunktion sowie den Auftrag ein öffentliches gesellschafts-politisches Austauschforum zu bieten. Diese Leistungen werden von den Nutzer:innzen als besonders relevant erachtet und es wird eine gute Leistung erwartet. Teilweise wird die Erfüllung der Erwartung aber als unterdurchschnittlich wahrgenommen und als Konsequenz geben die Lesenden ein geringes allgemeines Medienvertrauen an. Für die Analyse- und Mobilisierungsfunktion gilt dieser Zusammenhang nicht, hier hat die Diskrepanz zwischen den Erwartungen und den wahrgenommenen Leistungen keinen Einfluss auf das allgemeine Medienvertrauen. Die Funktion der Förderung der sozialen Empathie in der Gesellschaft dagegen steigert das allgemeine Medienvertrauen, wenn die Diskrepanz zwischen Erwartung und Wahrnehmung steigt (vgl. Fawzi und Mothes 2020: 340 ff.). Dies ist ein für die Autorinnen überraschender Befund, der auf ein gewisses Maß an sozialer Erwünschtheit unter den Befragten hinweisen könnte (vgl. ebd.: 341)Footnote 45.

Informationsnutzung

Als weiterer möglicher Einflussfaktor auf generalisiertes Journalismusvertrauen wird der Einfluss der Informationsnutzung der Lesenden berücksichtigt. Der Schwerpunkt der Datenauswertung und -aufbereitung liegt hier auf der Nutzung von Alternativmedien und nicht-journalistischen Quellen in Bezug auf Menschen mit hohen oder niedrigen Vertrauensniveaus. Es finden sich in den Ergebnissen aber auch deskriptive Befunde zur Nachrichtennutzung von Menschen mit mittleren Vertrauensniveaus (vgl. Prochazka 2020: 237). Insgesamt wird deutlich, dass „Vertrauen in Journalismus (...) zuvorderst an persönlichkeitspsychologischen, politischen und medienbezogenen Faktoren [hängt] und (...) weniger stark von der Informationsnutzung beeinflusst [ist]“ (ebd.: 238).

Mess- und Erhebungsverfahren

Zusätzlich berücksichtigt Prochazka (ebd.) den Einfluss des Messverfahrens und der verwendeten Skala auf das angegebene Journalismusvertrauen der Lesenden. Hier thematisiert er die Unterschiede zwischen der intuitiven und der instrumentellen Abfrage des Vertrauens. Die Unterschiede sind insgesamt zwar eher gering (vgl. ebd.: 220) (vgl. Operationalisierung in Abschnitt 4.3.2), dennoch ist die Varianzaufklärung in der intuitiven Abfrage in zwei Merkmalen höher und kann bei der Vertrauensabfrage sowie im Zusammenhang mit Personenmerkmalen und der Informationsnutzung als die geeignetere Messvariante gelten (vgl. ebd.: 235). Der Einfluss des Verfahrens wurde im Abschnitt ‚Schwierigkeiten der Operationalisierung‘ thematisiert (vgl. Abschnitt 4.3.3).

4.5 Stand und Entwicklung des Journalismusvertrauens in Deutschland

Für einen fundierten Überblick über den aktuellen Stand des Vertrauens in Journalismus in Deutschland werden im Folgenden ausgewählte deskriptive Befunde dargestellt. Dazu ist neben der deutschen Perspektive auch der Bezug zu internationalen Vergleichswerten wichtig, um eine Kontextualisierung des internationalen Forschungsstands zur Wahrnehmung computergenerierter Nachrichten in Kapitel 5 zu erzielen. So erfolgt nach der Auflistung deskriptiver Befunde zur Bundesrepublik ein gezielter Rückgriff auf ausgewählte Medienvertrauenswerte weltweit. Insgesamt werden ausgewählte Studien und Umfragen berücksichtigt, die zwischen 2019 und 2021Footnote 46 erschienen sind.

Deskriptive Befunde zu Medienvertrauen gibt es aufgrund einer Reihe empirischer Studien und repräsentativer Umfragen, die sowohl kommerziell als auch (teil-)öffentlich finanziert werden. Die Studien lassen sich in Abhängigkeit von der Operationalisierung des Vertrauens sowie ihres Studienaufbaus im Wesentlichen in zwei Kategorien einteilen: Zunächst gibt es Studien, die überwiegend in kommunikationswissenschaftlichen Forschungskontexten entwickelt werden und deren Operationalisierung stark theorie- beziehungsweise modellgeleitet erfolgt. Diese Arbeiten messen Vertrauen indirekt und operationalisiert durch multidimensionale Skalen, indem Proband:innen (Einzel-)Leistungen des Journalismus bewerten oder nach ihrer Zufriedenheit mit der Erfüllung der journalistischen Aufgaben befragt werden. In diese Kategorie fallen unter anderem die Arbeiten von Kohring und Matthes (2004), Prochazka und Schweiger (2018), Prochazka (2020), Obermaier (2020), Blöbaum (2020) oder die Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen bei Hölig et al. (2021). Zur zweiten Kategorie gehören Studien, die Medienvertrauen in einer direkten Abfrage und meist als Teil eines größeren Fragenkatalogs, beispielsweise zum allgemeinen Institutionenvertrauen oder zu weiteren gesellschafts-politischen Zufriedenheitswerten, erheben. Dazu zählen der Reuters Digital News Report, der Edelman Trust Barometer oder der Eurobarometer der Europäischen Union. Medienvertrauen wird in der Regel mit einer oder mehreren direkten Fragen zum Vertrauen in ‚die Medien‘, ‚die Journalist:innen‘ oder ‚die Nachrichten‘ abgefragt. Häufig kommen eine hohe Teilnehmendenzahl und teilweise repräsentative Stichprobenziehungen zum Einsatz, es sind oft Studien im Mehrwellendesign über einen längeren Zeitraum hinweg über die sich zusätzlich häufig auch Ländervergleiche realisieren lassen (vgl. zur Kategorisierung auch Obermaier 2020: 93 f.).

Zusätzlich zu den Forschungsarbeiten, die sich dezidiert mit Medienvertrauen beschäftigen und die nachfolgend ausführlich beschrieben werden, arbeitet Obermaier (vgl. ebd.: 53 f.) repräsentative Umfrageergebnisse zum Institutionenvertrauen, also zum generalisierten sozialen und politischen Vertrauen in Deutschland, auf und zeichnet Entwicklungskurven der Werte bis 2017 nach. In Kürze wiedergegeben zeigen die Ergebnisse, dass das soziale Vertrauen bei einem Viertel der deutschen Bevölkerung auf einem hohen bis sehr hohen Niveau liegt und die Werte im Zeitverlauf nur leichten Schwankungen unterliegen. Bei der Messung des politischen Vertrauens wird unterschieden zwischen repräsentativem politischem Vertrauen, beispielsweise gegenüber der Regierung, Parteien oder Politiker:innen, und in Vertrauen, das sich auf implementierende Institutionen, wie Polizei, Justiz und Bundeswehr bezieht. Weniger als die Hälfte der Befragten spricht repräsentierenden Institutionen hohe Vertrauenswerte aus, wohingegen über die Hälfte der Befragten die Frage nach Vertrauen gegenüber implementierenden Institutionen bejaht (vgl. Obermaier 2020: 53–57).

4.5.1 Medien- und Journalismusvertrauen in Deutschland

Im Rahmen der Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen erheben Forschende der Universitäten Mainz und DüsseldorfFootnote 47 seit 2008 das Medienvertrauen der deutschen Bevölkerung. Seit 2015 werden jährlich rund 1.200 Teilnehmende einer repräsentativen Auswahl telefonisch befragtFootnote 48. Insgesamt zeigen die Ergebnisse der Langzeitstudie, dass das Vertrauen in etablierte Medien nicht – wie stellenweise immer wieder öffentlichkeitswirksam behauptet – sinkt, sondern im Gegenteil sich die Mehrheit der Bevölkerung seit 2015 durch stabile Vertrauenswerte auf einem hohen Niveau auszeichnet. Seit 1990 vertrauen zwischen mindestens 30 und 50 Prozent der Bevölkerung den Medien eher voll und ganz (vgl. Jackob, Schultz et al. 2019: 213 f.; Prochazka 2020: 53). Die Analysen zeigen aber auch, dass Vertrauenszuschreibungen situations- und themenabhängig sind und die Polarisierung des Meinungsspektrums nicht zu unterschätzen ist: Es gibt einen kleinen, aber stabilen Kern an Medienskeptiker:innen, die „den Medien feindselig und ablehnend gegenüberstehen“ (Jakobs et al. 2021: 152).

Im Wesentlichen folgen die Ergebnisse der Befragung 2020 den beschriebenen Mustern, allerdings gibt es einzelne Abweichungen, in denen Trends der vorangegangenen Jahre nicht fortgesetzt wurden. Im Fokus der Erhebung 2020 liegt insbesondere der Umgang der Gesellschaft mit der COVID-19-Pandemie und die Rolle, die Medien in Ausnahme- und Krisensituationen spielen (vgl. ebd.: 152). Diese Informations- und Orientierungsfunktion der Medien, die insbesondere in Ausnahmesituationen auftritt, zeigt sich auch in den Studienergebnissen zu Journalismusvertrauen und Medienrezeption. So nutzen seit 2020 wieder mehr Menschen traditionelle und etablierte Nachrichtenmedien, um sich zu informieren. Über 60 Prozent der Befragten geben an, dass sie fast täglich Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nutzen. Dies ist eine deutliche Steigerung zu den 51 Prozent vom Vorjahr. Alle weiteren Mediengattungen konnten nicht profitieren: Die Mediennutzung ist gesunken und der Anteil der Menschen, die angeben, überregionale Tageszeitungen, private Fernsehsender und Boulevardmedien nie zu nutzen, ist gestiegen. Neben dem alleinigen Zuwachs in der Mediennutzung können auch nur die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eine Reichweitensteigerung verzeichnen: Alternative Nachrichtenseiten, rein internetbasierte oder über Social Media vermittelte Nachrichten haben bei der Mehrheit der Bevölkerung an Reichweite verloren. Neben gestiegenen Nutzungszahlen sind 2020 auch die allgemeinen Vertrauenswerte im Vergleich zu den Vorjahren gewachsen. So geben über 63 Prozent der Befragten an, dass sie den etablierten Medien in der Berichterstattung zur Corona-Pandemie vertrauen. Auf die Frage nach einzelnen Mediengattungen erhalten die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit 70 Prozent Zustimmung die höchsten Vertrauenswerte zugesprochen (von 2016 bis 2019 schwankte der Wert zwischen 65 und 70 Prozent). Es folgen Regionalzeitungen, überregionale Tageszeitungen, private Fernsehsender und Boulevardmedien, wobei die beiden letztgenannten nur geringe Vertrauenswerte aufweisen. Die Reihenfolge und auch die Werte einzelner Mediengattung sind im Vergleich zu den Vorjahren nahezu gleich geblieben, es ist also kein Vertrauenssprung einzelner Angebote zu beobachten. Jakobs et al. (ebd.) ergänzen, dass sich das gestiegene allgemeine Medienvertrauen also nicht an einzelnen Mediengattungen festmachen lässt, sondern sich vielmehr auf „das Mediensystem und den Journalismus als Ganzes [bezieht]“ (ebd.: 161). Seit 2018 beobachtet die Forschungsgruppe außerdem steigenden Medienzynismus und eine wachsende Anzahl an Medienkritiker:innen. Dieser Trend konnte für das Jahr 2020 nicht bestätigt werden, Medienzynismus und die Zustimmung zu Verschwörungserzählungen sind zurückgegangen. Insgesamt sind in der Erhebungswelle 2020 die höchsten allgemeinen Medienvertrauenswerte seit Beginn der Studie 2008 gemessen worden. Allerdings sind die Forschenden mit langfristigen Prognosen vorsichtig: „Mit wachsendem Unmut über die Leistungen der Politik könnten auch die Medien wieder an Vertrauen verlieren“, so die Forschenden abschließend (vgl. ebd.: 161).

Neben der Langzeitstudie Medienvertrauen ist der Digital News ReportFootnote 49 eine häufig zitierte Studie, um Medienvertrauen in einzelnen Ländern auch über einen längeren Zeitraum hinweg zu analysieren. Auch hier zeigen die Ergebnisse zum generalisierten Medienvertrauen in Deutschland ähnliche Befunde. Vertrauen in Journalismus wird abgefragt als allgemeines Vertrauen in Nachrichten, als Vertrauen in Nachrichten, die die Teilnehmenden selbst nutzen, sowie als Vertrauen in Nachrichten, die über soziale Medien oder Suchmaschinen übermittelt werden. Außerdem wird das Vertrauen in einzelne Nachrichtenmarken erhoben.

Beim allgemeinen Vertrauen in Nachrichten können die Autor:innen steigende Werte auf einem hohen Niveau feststellen: So vertrauen 53 Prozent der Befragten Nachrichten im Allgemeinen. Für Nachrichten, die die Befragten selbst auswählen und nutzen, sind in den vergangenen sechs Jahren jährlich stabile Werte mit geringen Änderungen festgestellt worden und auch die Ergebnisse 2021 bestätigen diesen Trend. So vertrauen aktuell 63 Prozent der Befragten den selbstgenutzten NachrichtenFootnote 50. Zudem wird erfragt, wie viele Menschen der Aussage des allgemeinen Vertrauens nicht zustimmen: Hier zeigt sich nach 2015 zunächst ein Anstieg der Werte von 15 auf den Höchstwert von 24 Prozent im Jahr 2019 und dann eine Stabilisierung der ablehnenden Werte von 15 Prozent im Jahr 2015 auf 24 Prozent 2018 und 22 Prozent im Jahr 2021 (vgl. Hölig et al. 2021: 23–25). Für Nachrichten, die über soziale Medien oder Suchmaschinen übermittelt werden, bleiben die gemessenen Vertrauenswerte auch für 2021 stabil auf einem geringen Zustimmungsniveau. Die Ergebnisse zum Vertrauen in 13 ausgewählte Nachrichtenmarken unterscheiden sich nicht wesentlich von den Ergebnissen der Vorjahre und folgen dem bereits bekannten Muster. Mit den höchsten Vertrauenswerten werden die Hauptsendungen der öffentlich-rechtlichen Sender (ARD Tagesschau und ZDF: heute) bewertet. An dritter Stelle rangieren Regional- oder Lokalzeitungen, es folgen, konstant absteigend, zunächst ntv und dann die überregionalen Print-Zeitungen und Zeitschriften, die häufig als Qualitätspresse bezeichnet werden. Anschließend werden Privatsender, Online-Plattformen und sonstige Zeitungen wie Focus, Stern, t-online, RTL aktuell aufgeführt. Mit deutlichem Abstand rangiert Bild als Schlusslicht im Ranking (3,4 Punkte im Gegensatz zu RTL aktuell mit 5,4 Punkten) (vgl. ebd.: 28). Insgesamt sind laut Digital News Report 2021 also die allgemeinen Vertrauenswerte in allen Altersgruppen erstmals seit 2015 gestiegen und verbleiben auf einem hohen Niveau. Die Zustimmungswerte zu allgemeinem Vertrauen werden höher, die Gruppe der Medienskeptiker:innen bleibt unverändert, und somit ist das allgemeine Vertrauen gestiegen (vgl. Hölig et al. 2021: 23–28; Newman et al. 2021: 18).

Die bisher zusammengetragenen empirischen Ergebnisse finden sich so auch in weiteren repräsentativen Umfragen und Studien zum generalisierten Medienvertrauen der deutschen BevölkerungFootnote 51. So zeigen beispielsweise auch die Langzeitaufzeichnungen des EurobarometersFootnote 52 seit Jahren stabile Vertrauenswerte der deutschen Bevölkerung auf einem EU-weit überdurchschnittlichen Niveau. Im Jahr 2021 gibt eine Mehrheit von über 77 Prozent der befragten Deutschen an, dass sie der Berichterstattung der Medien vertraut. Dies ist eine Steigerung von vier Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr und deutlich über dem EU-Durchschnitt von aktuell 62 Prozent. Zudem sei auf die Mitte-StudienFootnote 53 verwiesen, die das Vertrauen beziehungsweise Medienmisstrauen der Bevölkerung in Deutschland insbesondere im Zusammenhang mit rechtsextremen, menschenfeindlichen und antidemokratischen Einstellungen untersuchen. Laut den Ergebnissen aus dem Jahr 2021 werden Medien im Allgemeinen und insbesondere der öffentlich-rechtliche Rundfunk von einem relevanten Teil der Gesellschaft zumindest in Frage gestellt: Knapp 30 Prozent der Befragten stimmen der folgenden Aussage nicht zu: „[Ö]ffentlich-rechtliche Medien sind eine wichtige Säule unserer Demokratie.“ (Rees und Papendick 2021: 129). Dabei unterscheiden die Befragten durchaus zwischen konstruktiver Medienkritik und einem generalisiertem Medienmisstrauen. Letzteres wird insbesondere in rechtspopulistischen und rechtsextremen Milieus geäußert (vgl. ebd.: 128 f.).

Zusammengefasst ist zu sagen, dass die Studien- und Umfrageergebnisse zu generalisiertem Medienvertrauen in Deutschland belegen, dass die Mehrheit der Bürger:innen „eine grundsätzliche Zufriedenheit mit den Medien [ausdrückt] und [...] ein Grundvertrauen [zeigt], auf das sich die etablierten Medien stützen können“ (Jakobs et al. 2021: 161). Insbesondere seit 2015 wurde in der Öffentlichkeit vielfach und teilweise hitzig über sinkende und generell niedrige Vertrauenswerte diskutiert, wobei sich diese Zuschreibungen in den Studienergebnissen nicht abbilden lassen (vgl. auch Hanitzsch et al. 2018: 13 f.). Das Medienvertrauen in Deutschland liegt im Mittel stabil auf einem hohen Niveau, wobei detailliertere Analysen durchaus zeigen, dass sich neben den Mittelwerten auch extreme Abweichungen in beide Richtungen ergeben. In den letzten fünf Jahren hat sich das Meinungsspektrum zu ‚Vertrauen‘ stärker polarisiert. Es gibt mehr Menschen, die sehr hohe Vertrauenswerten angeben und andere, die sehr geringes Vertrauen angeben. Innerhalb der Mediengattungen genießen die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die höchsten Vertrauenswerte, gefolgt von überregionalen und lokalen Tageszeitungen; Boulevardmedien wird wenig generalisiertes Vertrauen entgegengebracht, ebenso wie Nachrichten, die über Soziale Medien oder nur über das Internet vermittelt werden. Die Ergebnisse für das Jahr 2020 zeigen Unterschiede in den Langzeitreihen und gegenüber den Trends der vorangegangen Jahre. So ist zuletzt ein deutlicher Anstieg des Medienvertrauens zu beobachten. Ob diese Ergebnisse aber als temporär beschränkte Ausreißer aufgrund der Ausnahmesituation der COVID-19-Pandemie auftreten oder aber einen neuen Trend begründen, das ist langfristig zu beobachten.

4.5.2 Generalisiertes Medienvertrauen im internationalen Vergleich

Die Mehrheit der bisherigen Studien zur Leser:innenperspektive im automatisierten Journalismus und zur Beschreibung des Forschungsobjekts sind nicht in Deutschland durchgeführt worden (vgl. Kapitel 5). Daher lohnt sich zumindest ein grober Überblick über empirische Daten zu generalisiertem Medienvertrauen nicht nur für die deutsche Perspektive, sondern auch für den internationalen Vergleich. Teilweise sind länderübergreifende Ergebnisse zum generalisierten Medienvertrauen bereits mit dem Eurobarometer angesprochen worden, diese werden um weitere Details aus dem Digital News Report 2021 sowie speziell zu China aus dem Edelman Trust Barometer 2021 ergänzt.

Im Digital News Report 2021 geben 44 Prozent der Befragten aus 46 Ländern weltweit an, dass sie ‚den meisten Nachrichten die meiste Zeit vertrauen‘ (vgl. Newman et al. 2021: 19)Footnote 54. Damit ist international der allgemeine Vertrauenswert im Vergleich zum Vorjahr um sechs Prozentpunkte gestiegen. Bei der Frage nach Vertrauen in selbstgewählte Nachrichten steigt der Anteil der Zustimmungen bei den Befragten auf 50 ProzentFootnote 55. Die höchsten allgemeinen Vertrauenswerte des Samples werden in Finnland (65 Prozent Zustimmung), Portugal (61 Prozent) und Kenia (61 Prozent) gemessen. Besonders niedrige Vertrauenswerte, mit jeweils zwischen 30 und 32 Prozent Zustimmung, werden in Frankreich, Griechenland, Bulgarien, Slowakei, Ungarn, Südkorea, Philippinen und Taiwan ermittelt. Der geringste Anteil an Zustimmung zum allgemeinen Medienvertrauen mit 29 Prozent wird in den USA erhoben. Deutschland liegt mit 53 Prozent im oberen Mittelfeld, weist aber geringere Vertrauenswerte auf als die genannten Höchstwerte und beispielsweise auch Dänemark, Norwegen, Niederlande, Thailand oder Brasilien (vgl. ebd.: 18). Neben dem allgemeinen Medienvertrauen ermitteln die Autor:innen auch die Polarisierung des Meinungsspektrums, indem sie den Anteil der Personen, die der genannten Vertrauensfrage zustimmen mit dem Anteil der Menschen vergleichen, die diese Aussage ablehnen. Dadurch wird je Land ein ‘trust net score’, also ein Vertrauensindex berechnet. Diese können so international verglichen werdenFootnote 56.

Neben den genannten Vertrauensniveaus sind für den automatisierten Journalismus auch die Werte der Volksrepublik China als, zumindest in Teilen, hoch-technologisiertes Land und für Automatisierungen ein aufstrebender und relevanter Zukunftsmarkt wichtig. Die im Folgenden genannten Zahlen sollen als Orientierungswerte dienen und müssen, insbesondere aufgrund der politischen Situation in China, der massiven Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit und der Repressalien gegen die Bevölkerung äußerst kritisch bewertet werden. Das Edelman Trust Barometer 2021Footnote 57 gibt einen allgemeinen Medienvertrauenswert von 51 Prozent der Befragten weltweit aus und misst damit eine Steigerung des Vertrauens im Gegensatz zum Vorjahr in insgesamt 15 der 27 gemessenen Nationen. China weist mit einem Vertrauensanteil von 70 Prozent den zweithöchsten Wert der Rangfolge auf. Wie erwähnt, muss dieser Wert unter Berücksichtigung der fehlenden Meinungsfreiheit kritisch betrachtet werden. Deutschland liegt mit einem Wert von 52 Prozent im Mittelfeld, und die USA werden mit 45 Prozent Vertrauensanteil zur Gruppe der dreizehn ‘distrusted countries’ (vgl. Ries und Jeffrey 2021: 45) gezählt.

Zusammenfassend lässt sich berichten, dass der Digital News Report, das Edelman Trust Barometer und das Eurobarometer übereinstimmend berichten, dass das generalisierte Medienvertrauen im Jahr 2021 sowohl in Europa als auch weltweit – mit Ausnahme der USA – im Vergleich zum Vorjahr gestiegen ist. Deutschland liegt mit den gemessenen Vertrauenswerten im oberen Mittelfeld auf einem stabilen und vergleichsweise hohen Niveau. In China werden Höchstwerte des Medienvertrauens angegeben – hier muss die politische Situation und Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit beachtet werden – und die USA befinden sich bei den Rankings im unteren Bereich. Die Studienergebnisse zeigen eine hohe Variation der Werte auch innerhalb der Kontinente. Es gibt zwar Tendenzen wie z. B. die eher niedrigen Vertrauensniveaus in den skandinavischen und nordeuropäischen Ländern und hohe Werte in asiatisch-pazifischen Nationen, dennoch ist weder eine eindeutige Struktur noch sind klare Zusammenhänge beispielsweise hinsichtlich der in Abhängigkeit des Mediensystems, der Pressefreiheit oder der sozio-ökonomischen Lage des jeweiligen Landes zu erkennen. Hier wären weitere Studien notwendig, um länderübergreifend die Daten und deren Erhebung zu überprüfen und Einflussfaktoren auf das generalisierte Medienvertrauen weltweit zu systematisieren (vgl. auch Hanitzsch et al. 2018). Für die Analyse des Medienvertrauens im automatisierten Journalismus in Kapitel 5 sei insbesondere auf die niedrigen Werte Südkoreas hingewiesenFootnote 58, die in der Aufarbeitung der Rezeptionsstudien in Kapitel 5 weiter thematisiert werden.

4.6 Zwischenfazit II: Generalisiertes Journalismusvertrauen

Für eine systematische Aufarbeitung des Forschungsstands zu Vertrauen in Journalismus wurde die kommunikationswissenschaftliche Vertrauensforschung zunächst als Teil der Medienbewertungsforschung eingeordnet. Anschließend erfolgte die Begriffsbestimmung und es wurde argumentiert, dass der Vertrauensbegriff für das Vorgehen der vorliegenden Arbeit am geeignetsten ist. Dazu wurden die Operationalisierung des Medien- bzw. Journalismusvertrauens dargestellt und verschiedene Vertrauensbeziehungen, Vertrauensobjekte und Arten der Vertrauensfrage thematisiert sowie Schwierigkeiten der Operationalisierung angesprochen. Zudem erfolgte die Darstellung der bisher erhobenen Einflussfaktoren für Medienvertrauen und generalisiertes Journalismusvertrauen, und abschließend wurden empirische Studien zum Vertrauen in Journalismus vorgestellt. Erläutert wurde, dass die Verwendung des Medienglaubwürdigkeitsbegriffs für die Konzeption der Studien im Forschungsstand zur wahrgenommenen Glaubwürdigkeit computergenerierter Texte (vgl. Kapitel 5) zielführend ist, insbesondere da konkrete Stimulitexte bewertet werden. Für die intensive Reflexion der Wahrnehmung des automatisierten Journalismus, wie es Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit ist, greift der Glaubwürdigkeitsbegriff aber zu kurz. Daher wurde der Vertrauensbegriff eingeführt und für den Forschungszweck systematisch aufgearbeitet. Die intensive Darstellung der Vertrauensforschung ist angesichts des vorliegenden Forschungsstands notwendig, um die Ergebnisse kontextualisieren zu können und – insbesondere bei einem explorativen Forschungszugang – einen fundierten Ausblick und eine Vorbereitung für Folgestudien zu leisten.

Generalisiertes Journalismusvertrauen wird in dieser Arbeit verstanden als Vertrauen der Lesenden gegenüber Journalismus als Ganzes und bezieht sich damit nicht auf spezifische Vertrauensobjekte – wie beispielsweise konkret genutzte Einzelmedien –, sondern auf einen abstrakten Vertrauensbegriff. Als generalisiertes Vertrauensobjekt wird die Vorstellung der Lesenden von Journalismus beziehungsweise automatisiertem Journalismus als Ganzes verstanden. Damit ist eine generelle Haltung gegenüber dem automatisierten Journalismus beziehungsweise eine Vorstellung von den etablierten Mainstream-Medien gemeint, die mit journalistischer Textautomatisierung arbeiten. Bisherige Studien konnten zeigen, dass Lesende eine Vorstellung von Journalismus als Ganzes haben und damit in der Empirie eine Vorstellung des generalisierten Vertrauensobjekts ‚Journalismus‘ besteht. Dies ist die Grundlage des in dieser Arbeit verwendeten Vertrauensbegriffs, die sich speziell mit automatisiertem Journalismus beschäftigt.

Die Verwendung des generalisierten Vertrauensbegriffs ist für die vorliegende Arbeit zielführend, da Ergebnisse zeigen (vgl. Kapitel Ergebnisse 8), dass sich Lesende – insbesondere wegen geringer Kenntnisse zum Begriff des automatisierten Journalismus und aufgrund fehlendem bewussten Kontakt mit automatisiert generierten Nachrichten – in der Regel auf automatisierten Journalismus als abstrakten Begriff beziehen. Zusätzlich zeigen die Datenauswertungen aber auch, dass die Teilnehmenden sich an einigen Stellen auf spezifische Vertrauensobjekte beziehen, wie z. B. einzelne Medien, die mit Textautomatisierungen arbeiten. Deshalb liegt der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit mit dem Ziel der Exploration der Vertrauenszuschreibungen in automatisiertem Journalismus auf generalisierten Vertrauensbeziehungen, wobei die systematische Aufarbeitung der Vertrauensforschung auch geeignet ist, um spezifische Vertrauensobjekte einordnen und für Folgestudien vorbereiten zu können.

Abbildung 4.1
figure 1

(Eigene Darstellung in Anlehnung an Fawzi, Steindl et al. (2021), Prochazka (2020))

Für das Erkenntnisinteresse relevante Einflussfaktoren aus dem Forschungsstand zu Vertrauen in journalistische Medien.

Als Einflussfaktoren auf generalisiertes Journalismusvertrauen wurden ausgewählte Personenmerkmale, z. B. soziodemografische und psychologische Merkmale, sowie politik- und medienbezogene Merkmale thematisiert. Die für diese Arbeit als relevant identifizierten Einflussfaktoren werden in Abbildung 4.1 zusammengefasst. Dabei zeigen soziodemografische Merkmale keine relevanten Zusammenhänge mit generalisiertem Journalismusvertrauen. Psychologische und politikbezogene Einflussfaktoren werden bisher vor allem in Zusammenhang mit fehlendem Vertrauen und Medienskeptiker:innen untersucht. Für die vorliegende Arbeit ist relevant, dass das wahrgenommene Vertrauensklima in der Bevölkerung einen deutlichen Einfluss auf das Journalismusvertrauen der Lesenden hat. Zudem zeigen das individuelle Wissen über Journalismus und die Informationsnutzung der Lesenden schwach ausgeprägte positive Zusammenhänge. Neben den Personenmerkmalen wird außerdem der Einfluss der Erwartung und der Bewertung verschiedener Qualitäts- und Leistungsmerkmale durch die Lesenden erhoben und zudem geprüft, ob eine Diskrepanz aus Wahrnehmung und Erwartung Auswirkungen auf die Vertrauensbewertung von Journalismus hat. Die Ergebnisse zeigen, dass Lesende klar formulierte Qualitäts- und Leistungserwartungen haben und Vertrauen in Journalismus allgemein positiv beeinflusst wird durch die wahrgenommene Genauigkeit der Berichterstattung, die Relevanz der ausgewählten Themen, die Trennung von informierenden und kommentierenden Darstellungsformen sowie die wahrgenommene Seriosität der Berichterstattung. Insbesondere Genauigkeit, so Prochazka (2020), scheint mit Vertrauensbewertungen verbunden zu sein. Insgesamt haben die Lesenden meist höhere Erwartungen an die Qualität der Berichterstattung, als sie die tatsächliche Wahrnehmung bewerten, wobei eine hohe Diskrepanz beider Werte in der Regel keinen direkten Zusammenhang zum bewerteten Journalismusvertrauen zeigt. Entscheidend sind vielmehr die Gründe für wahrgenommene Qualitätsmängel: Hier unterscheiden die Lesenden zwischen unbeabsichtigten Fehlern, die keinen Einfluss auf Vertrauensbewertung haben, und gezielten Manipulationen, die das Vertrauen deutlich senken. Zusätzlich wurden im vorliegenden Kapitel weitere Einflussfaktoren auf Medienvertrauen im Allgemeinen thematisiert, die sich auf die Systematisierung von Fawzi, Steindl et al. (2021) beziehen und für die Exploration des Vertrauens in automatisierten Journalismus zusätzlich mögliche Einflüsse der individuellen sozialen und medienrelevanten Gründe aufzeigen. Die Einflussfaktoren, die im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden, basieren auf den genannten Ausführungen und werden – zusammen mit den identifizierten Forschungslücken – in Kapitel 6 zusammengetragen.