Die zentralen Begriffe dieser Arbeit sind automatisierter Journalismus und Vertrauen. Beide werden in Kapitel 3 beziehungsweise in Kapitel 4 ausführlich besprochen. Um das Forschungsvorhaben umsetzen zu können und eine fundierte Dokumentation der Studienergebnisse zu leisten, ist die Definition weiterer grundlegender Begriffe notwendig, die im Folgenden kurz skizziert werden. Ziel der Ausführungen ist es, eine Arbeitsgrundlage für die Operationalisierung der Begriffe zu schaffen und weniger die Kontroversen im Fach zur jeweiligen Begriffsbestimmung – zum Beispiel zur Definition von Journalismus – in Gänze nachzuvollziehen.

FormalPara Journalismus: Definition, Aufgaben und Funktionen

Diese Arbeit bezieht sich auf einen Journalismusbegriff, wie ihn beispielsweise Prochazka (2020) und Haim (2019) aus der bestehenden Forschung und der Gegenüberstellung von akteurszentrierten und systemtheoretischen Perspektiven ableiten (vgl. Haim 2019: 10–13; Prochazka 2020: 7–12). Journalismus ist „ein Teil von Öffentlichkeit, der die zentralen Vermittlungs- und Informationsleistungen in demokratischen Gesellschaften erbringt“ (Prochazka 2020: 7) und kann in drei – nicht immer eindeutig abgrenzbaren – Ebenen differenziert und für die empirische Forschung zugänglich gemacht werden. Relevant sind die individuelle Ebene der journalistischen Akteur:innen (Mikroebene), die organisatorische Ebene, zu der beispielsweise Redaktionen und Medienorganisationen zählen (Mesoebene), sowie die gesellschaftliche Ebene, in der Journalismus als eines von mehreren Teilsystemen einer Gesellschaft verstanden wird (Makroebene) (vgl. Neuberger 2004; Haim 2019: 13; Prochazka 2020: 7). Journalistische Akteur:innen agieren in unterschiedlichen Rollen auf der individuellen Ebene und erzeugen Medienprodukte, die journalistische Aussagen enthalten. Auf der organisatorischen Ebene werden diese Aussagen nach „professionellem Maßstab und unter Berücksichtigung spezifischer Regeln und Normen innerhalb von Medienorganisationsstrukturen“ (Donges 2006: 564 zit. n. Haim 2019: 13) erzeugt. Journalistische Aussagen entstehen, indem Journalismus auf der Makroebene andere relevante Teilsysteme der Gesellschaft, wie etwa Wirtschaft oder Politik, beobachtet und aus dieser Fremdbeobachtung Aussagen generiert (vgl. Scholl und Weischenberg 1998: 75–78; Luhmann 1996: 173; Kohring 2004: 164 f.; Neuberger 2004: 14 zit. n. Haim 2019: 13 oder Prochazka 2020: 7 f.). Die Unterscheidung der drei Ebenen von Journalismus ist für diese Arbeit vor allem relevant, wenn es um die Bezugsobjekte von Vertrauen geht und die Frage ‚Wem oder was wird im automatisierten Journalismus vertraut?‘. Die theoretische Abgrenzung verschiedener Vertrauensobjekte erfolgt in Abschnitt 4.3.1, wenngleich Prochazka (2020) festhält, dass „Vertrauen in das System Journalismus [...] zwar analytisch vom Vertrauen in Medieninstitutionen zu trennen [ist], [...] empirisch aber kaum zu unterscheiden sein [wird]“ (ebd.: 43).

Journalistische Berichterstattung grenzt sich von nicht-journalistischer Berichterstattung und anderen Formen der Massenkommunikation wie beispielsweise Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ab, wenn Kriterien wie Aktualität, Relevanz, Periodizität und Unabhängigkeit der Berichterstattung erfüllt sind (vgl. Scholl und Weischenberg 1998: 78; Meier 2018: 14, 16 f.). Damit ist gemeint, dass Nachrichtenanlässe aktuell und relevant sind, insgesamt regelmäßig und wiederkehrend berichtet wird sowie die Berichterstattung nicht von Interessen einzelner Personen oder Institutionen bestimmt wird oder davon abhängig ist. Journalistische Aussagen müssen sich an der Wirklichkeit orientieren und „mit dem Anspruch auf Wahrheit produziert“ (Rager 2000: 82 zit. n. Prochazka 2020: 8) werden. Außerdem werden im Journalismus keine fiktiven Ereignisse thematisiert. Journalistische Aussagen basieren auf nachprüfbaren Fakten, die von Journalist:innen recherchiert, überprüft und belegt werden (vgl. ebd.: 8). In demokratischen Gesellschaften erfüllt Journalismus mehrere Funktionen, die sich aus demokratietheoretisch-normativen Wertvorstellungen ableiten lassen. Dazu gehören die Thematisierungs- und Informationsfunktion, die Herstellung eines Forums für gesellschaftlichen Dialog, die Artikulationsfunktion, die Integrations- und Sozialisationsfunktion sowie die Kritik- und Kontrollfunktion (vgl. Pürer 2014: 116 f.; Stöber 2008: 128–137; Prochazka 2020: 9 f.; Haim 2019: 14). Journalismus soll „Transparenz herstellen, staatliche Gewalten kontrollieren, als ‚Frühwarnsystem der Gesellschaft‘ die öffentliche Aufmerksamkeit auf zentrale Themen lenken, dabei immer vollständig und sachlich informieren und eine möglichst umfängliche Vielfalt von Themen, Meinungen und AkteurInnen sicherstellen“ (Meier 2007: 15 zit. n. Haim 2019: 14).

Neben der theoretischen Begriffsbestimmung hat Prochazka (2020) in qualitativen Leitfadeninterviews Online-Nachrichtennutzer:innen in Deutschland zu ihrem Verständnis von Journalismus befragt. In der Empirie konnte der Autor zeigen, dass unter den Befragten zwei gegensätzliche Vorstellungen von Journalismus existieren und diese unter anderem durch das Vertrauen der Lesenden in Journalismus beeinflusst werden (vgl. ebd.: 134 ff.). Die Mehrheit der Befragten geben ein mittleres oder hohes Vertrauen an und definiert Journalismus nach formalen Kriterien: „Journalismus [ist alles], was hauptberuflich in professionellen Medienhäusern erbracht wird“ (ebd.: 134). Dagegen orientieren sich Personen, die als medienskeptisch gelten, zur Beschreibung an normativen Qualitätsvorstellungen und nicht an formalen Kriterien: Journalismus ist nur das, „was auf Grundlage eigener Rechercheleistung über faktische Ereignisse berichtet [wird] und Informationen ohne persönliche Wertung wiedergibt“ (ebd.: 134). Unabhängig von der jeweiligen Definition, was Journalismus ausmacht, haben alle Befragten aber „ähnliche Vorstellung dessen, was journalistische Mainstream-Medien ausmacht und bringen diesen auch ein generalisiertes Vertrauen bzw. Misstrauen entgegen“ (ebd.: 158). Diese empirische Entsprechung der theoretischen Begriffsbestimmung und der Bezug zu einem generalisiertem Vertrauensobjekt wird ausführlich in Kapitel 4 thematisiert.

FormalPara Publikum und Lesende

In dieser Arbeit wird zudem häufig von ‚den Lesenden‘ gesprochen, deshalb soll im Folgenden kurz das zugrundeliegende Verständnis von Publikum beziehungsweise Publika und Lesenden skizziert werden. Die Kommunikationswissenschaft begreift Publika als „disperse Potpourri an EmpfängerInnen massenmedialer Kommunikation“ (Haim 2019: 47), also eine Zusammensetzung aus diversen und heterogenen GruppenFootnote 1. Publika sind in „in ihrer Zusammensetzung dynamisch-instabil, vielschichtig, zeitlich wie räumlich heterogen und nicht zuletzt deshalb in ihrer Gänze anonym. Das Publikum lässt sich entsprechend weder messbar noch fassbar machen. Vielmehr bildet es in der Massenkommunikation qua definitionem ein Konstrukt, das in Gänze nicht näher bestimmbar ist [Herv. i. Org.]“ (Hasebrink 2008 zit. n. Haim 2019: 47).

In demokratischen Gesellschaften ist die Beziehung zum Publikum für Journalismus auf allen drei besprochenen Ebenen wichtig: Auf der Makroebene stellt Journalismus die Möglichkeit der Selbstbeobachtung des Publikums bereit (vgl. Neuberger und Nuernbergk 2015: 199). Auf der Mesoebene bedienen Medienorganisationen verschiedene Publika – hier auch Zielgruppen genannt – (vgl. Hasebrink 2008: 521 f.) und auf der Mikroebene sind die Lesenden die „individuellen LeistungsempfängerInnen“ (Haim 2019: 47) journalistischer Produkte (vgl. ebd.: 46 f.). Ausführlich beschäftigen sich beispielsweise Haim (2019), Loosen und Dohle (2014), Prochazka (2020: 12–17), Altmann (2011) mit der Differenzierung von Publika sowie den Veränderungen durch Online-Kommunikation und der dadurch veränderten Rolle von Rezipierenden im Journalismus. Dabei wird insbesondere berücksichtigt, dass Journalismus – im Gegensatz zu regulären Wirtschaftsgütern – besondere Eigenschaften besitzt und beispielsweise der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland über den Rundfunkbeitrag und nicht durch eine direkte Publikumsnachfrage finanziert wird (vgl. Haim 2019: 70).

Bereits in diesem kurzen Überblick wird deutlich, dass es ‚das Publikum‘ nicht gibt, sondern differenzierte Publika und verschiedene Gruppierungen des Publikums existieren. Journalismus tritt auf verschiedenen Ebenen in Kontakt mit Personen, die individuelle Ansichten und Meinungen haben und sich durch unterschiedliche Merkmale auszeichnen. Deshalb soll diese Arbeit mit dem Bewusstsein rezipiert werden, dass sich die Studie im Spannungsfeld zwischen der für die Operationalisierung notwendigen Verallgemeinerung der Lesenden und gleichzeitig einer Einschränkung der Generalisierbarbeit der Ergebnisse und der Gefahr der Entstehung blinder Flecke bewegt. Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht nur ein Ausschnitt aller Personen, die in Deutschland journalistische Produkte konsumieren: Rekrutiert werden Personen, die in Deutschland leben und Deutsch auf Muttersprachniveau sprechen sowie mittleres Vertrauen in Journalismus angeben (vgl. ausführlich Abschnitt 7.3). Ziel ist die Exploration der Vertrauensbewertung des automatisierten Journalismus und diese Arbeit berücksichtigt ein disperses Publikum zumindest insofern, dass drei Focus Groups mit gezielter Zusammensetzung und unterschiedlichen Hintergründen der Teilnehmenden operationalisiert werden und damit – im Rahmen des Samples – für verschiedene Zugänge auf den Gegenstand gesorgt wird.