Zusammenfassung
Ausgehend von der Annahme, dass funktionale Politisierung nicht nur „a matter for higher-ranking civil servants“ (Poulsen & Koch, 2018, p. 41) ist, wurde zu Beginn des Forschungsprozesses davon ausgegangen, dass sich diese Politisierungsdimension als Phänomen charakterisieren lässt, das für jede Person in der Ministerialverwaltung relevant ist, zumal die Internalisierung politischer Responsivität sogar als konkrete Erwartung bezeichnet wird, von der keine Position einer Ministerialbürokratie ausgenommen wird. Aufgrund ihres unsichtbaren, normierenden Charakters ist funktionale Politisierung als informelle Institution zu verstehen. Sie entspricht einem Regelsystem, das das soziale Handeln bürokratischer Akteur:innen dergestalt formt, stabilisiert und lenkt, dass es für andere erwartbar wird.
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Notes
- 1.
Als irritierend wird der Rückgriff Bohnes (2018) auf den Begriff formeller und informeller Anreize betrachtet. Daher wurde in der Darstellung der Anreizbegriff durch Strukturen ersetzt. Nach Auffassung der Forscherin gehen bestehende Anreize dieses Kontextes nicht auf das Bestehen von Formalität bzw. Informalität zurück, sondern werden durch diese transportiert. Dies mag in manchen Forschungskontexten eine Marginalität darstellen, in der vorliegenden Studie, die auch motivationstheoretische Ansätze nutzt, ist dies aber relevant.
- 2.
Ein Grundgedanke in Maslows „theory of human motivation“ (1943) betrifft die Annahme des Vorliegens einer Vorrangigkeit „niederer Bedürfnisse gegenüber den Bedürfnissen auf höherer Stufe. Erst wenn die jeweils rangniedrigeren Bedürfnisse hinreichend erfüllt sind, sei der Mensch auch in der Lage, sich Tätigkeiten zuzuwenden, die der Befriedigung ranghöherer Bedürfnisse dienen.“ (Hascher, et al., 2020, p. 176).
- 3.
Ein Motiv kann dominieren, meist liegen mehrere handlungsleitende Motive vor: „Menschen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Motive und der Stärke ihres Ausprägungsgrades.“ (Kleinbeck & Kleinbeck, 2009, p. 26 f.).
- 4.
Diese Trennung in Annäherungs- und Meidungskomponente gilt für alle Motivklassen.
- 5.
Affekte sind Gemütserregungen, die durch äußere Anlässe oder innere Vorgänge ausgelöst werden.
- 6.
French & Raven (1959) unterscheiden dabei Belohnungsmacht (sozial mäßig positiv konnotiert), Bestrafungsmacht (sozial negativ konnotiert) gegenüber anderen Personen; zudem legitimierte Macht (sozial mäßig positiv konnotiert), Vorbildmacht, Expert:innenmacht sowie Informationsmacht (sozial positiv konnotiert).
- 7.
In der motivationstheoretischen Literatur wird häufig die Unterscheidung zwischen intrinsischen und extrinsischen Motiven vermieden und diese Zuordnung eher für Anreize bzw. Motivation im Allgemeinen genutzt. Für die vorliegende Studie wird diese Differenzierung jedoch als sinnvoll erachtet. Es wird grundsätzlich als sinnhaft erachtet, in motivationstheoretischen Betrachtungen festzulegen, wie die Begriffspaare intrinsisch und extrinsisch verwendet werden: „Dies rührt daher, dass der Bezugspunkt für innen vs. außen wechselt. Einmal liegt der Bezugspunkt in der Lokalisierung der handlungswirksamen Anreize [...], mal liegt er in der Thematik von Handlung, Ergebnis und Folgen [...] mal im erlebten Ursprung der Handlungsveranlassung“ (Rheinberg, 2009, p. 258).
- 8.
Die Forschung der Public Service Motivation postuliert, dass je höher das Niveau einer Public Service Motivation, desto wahrscheinlicher ist es, dass über monetäre und Reputationsvorteile hinaus gehandelt bzw. sich an Verhaltensweisen beteiligt wird, die der Öffentlichkeit oder dem Gemeinwesen dienen (Perry, 1996).
- 9.
Die Public-Service-Motive scheinen für die bürokratischen Akteur:innen zwar bedeutsam zu sein („Sinn für das Gemeinwohl, der verbindet eigentlich alle Beamtinnen und Beamten“ (210512_INT 15, Pos. 62)), jedoch selten alleinentscheidend. Aufgrund ihrer Relevanz sollten sie für die Typologiekonstruktion zwar nicht ausgeklammert, ihr motivationaler Wert aber auch nicht mit dem der intrinsischen Lustmotive oder extrinsischen Erwartungsmotive gleichgesetzt werden; durch die Unabhängigkeit von externen Belohnungssystemen werden Public-Service-Motive zum Zwecke der vorliegenden Arbeit aber neben den intrinsischen Lustmotiven dem motivationalen Gerüst des Typus „Autotelie“ zugeordnet.
- 10.
Zu bemerken ist, dass die Zweckrichtung nicht auf die Handlung an sich abstellen darf, da die Gemeinwohlverpflichtung nicht auf eine Referenzperson, sondern auf ihr soziales Umfeld abzielt. Vielmehr bezieht sich die Zweckrichtung auf ein mit der Handlung verbundenes Affekterleben.
- 11.
Autotelische und heterotelische Handlungsmotive schließen sich nicht gegenseitig aus. Dennoch wird in der Regel eine dominierende motivationale Disposition herausgestellt werden können, sodass die Differenzierung nicht lediglich einen analytischen Wert erhält.
- 12.
Zu berücksichtigen bleibt der Unterschied zwischen Korrespondenz und Kontingenz. Während die Korrespondenz zwischen Motiven und Anreizen darauf hindeutet, dass deren inhaltliche Übereinstimmung additiv bzw. kumulativ dazu führt, eine Handlungsmotivation (i. S. e. Handlung) überhaupt zu erzeugen, bezieht sich der Kontingenzbegriff weitgehender auf eine Verhaltensrichtung als Ergebnis dieser Handlungsmotivation (i. S. e. Ergebnisses). Dies ist anzunehmen, wenn sich eine motivationale Disposition bzw. ein Motiv auf einen abgegrenzten organisationalen Strukturbereich bezieht, auf dessen Anreize selektiv reagiert wird. Im Rahmen der vorliegenden Forschungsarbeit entspricht dies der Differenzierung organisationaler Strukturbereiche der bürokratischen Sphäre einerseits und der politischen Sphäre andererseits.
- 13.
Die Einschränkung, dass die Aussage überzeugend sein muss, soll nicht unterstellen, dass Gesprächspersonen wissentlich/willentlich Falschangaben in Interviewsituationen machen. Vielmehr stellen motivationale Zusammenhänge subjektive Konstruktionen dar, die unterschiedlichen Kategorisierungen entsprechen könnten.
- 14.
Verwaltungsspezialist:innen sind oftmals auf Ebene des höheren Dienstes, Verwaltungsgeneralist:innen auf Ebene des gehobenen Dienstes zu verorten: „Sachbearbeiter sind eher so Generalisten, die Referenten eher die Spezialisten nach meiner Auffassung.“ (200723_PRE-3, Pos. 16).
- 15.
Hierdurch wird u. a. die Vermutung von Christiansen et al. (2016) aufgegriffen, wonach funktionale Politisierung als der einzubringende Handelsgegenstand eines Tauschverhältnisses zu betrachten ist, mit dem Ziel des Erhalts materieller und/oder immaterieller Belohnungen bzw. einer Vermeidung materieller und/oder immaterieller Bestrafungen durch machthabende Akteur:innen der politischen Sphäre.
- 16.
Verhalten wird nicht ausschließlich durch Motive und Anreize bestimmt, sondern beruht auch auf Gewohnheiten („habit determinant“) und kulturellen Werten („value determinant“) (McClelland, 1985, p. 33).
- 17.
Ergänzt werden soll ein vierter Typus, der sich nicht über seine motivationale Zugehörigkeit, sondern Fragen organisationaler Sozialisierung und Assimilation von den anderen Typen unterscheidet (Kapitelteil 6.1).
- 18.
Vallerand unterscheidet neben der Motivation auf der kontextuellen Ebene ebenfalls Motivation auf globaler Ebene („motivation at the global level“) im Sinne einer übergeordneten Motivationsrichtung und auf situativer Ebene („motivation at the situational level“) im Sinne individueller Erfahrung, „when they are currently engaging in an activity.“ (Vallerand, 1997, p. 293).
- 19.
Der Korrumpierungseffekt ist als eine Sonderform der Frustration zu betrachten.
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Walter, J.M. (2023). Meso-Level: Verankerung funktionaler Politisierung in der geistigen und materiellen Welt der Akteur:innen. In: Funktionale Politisierung als informelle Institution. Interdisziplinäre Organisations- und Verwaltungsforschung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-42686-6_5
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-42686-6_5
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