Skip to main content

Konsensfiktionen als Ausgleich für Machtdefizite

  • Chapter
  • First Online:
Horizonte der Kommunikation

Zusammenfassung

Nicht nur gegenüber Mitgliedern unserer Familie, sondern ganz allgemein gehen wir im Alltag davon aus, dass die Welt, so wie wir sie erfahren, tatsächlich ist. Wir unterstellen, dass sie sich auch für andere Menschen unserer Umgebung – jedenfalls in gewissen Grenzen – ähnlich darstellt. „Normale“ Handlungspartner zeichnen sich geradezu dadurch aus, dass ihre Sicht der Dinge, ihre Vorstellungen von alltäglichen Ereignissen und ihre Erinnerungen an gemeinsam Erlebtes meinen eigenen mehr oder minder entsprechen. Jedenfalls gilt das unter der Voraussetzung, dass sie an meiner Stelle stehen oder gestanden hätten, also aus meiner Perspektive eine Erfahrung gemacht haben oder hätten. Alltäglich unterstelle ich regelmäßig diese prinzipielle Vertauschbarkeit oder Reziprozität der Perspektiven.

Dieser Text ist zuerst in dem von Martin Endreß und Alois Hahn herausgegebenen Band „Lebenswelttheorie und Gesellschaftsanalyse“, beim von Halem-Verlag, Köln, auf den Seiten 424-453 im Jahr 2018 erschienen.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Chapter
USD 29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD 59.99
Price excludes VAT (USA)
  • Available as EPUB and PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Softcover Book
USD 79.99
Price excludes VAT (USA)
  • Compact, lightweight edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Institutional subscriptions

Notes

  1. 1.

    Eine methodische Analyse dieser Studie, die Konsensfiktionen aufgrund von Antwortkonstellationen ermittelt, findet sich in Hahn et al. (1984). Eine sich auf neuere Daten beziehende Darstellung der unterschiedlichen Wahrnehmungen der gemeinsamen Lebenswelt durch Männer und Frauen, aber auch der entsprechenden gegenseitigen Fremdwahrnehmungen und damit eventuellen Konsens- und Konfliktfiktionen findet sich in Hahn et al. (2019).

  2. 2.

    Vgl. ferner ganz generell für die Formen des Politischen in staatenlosen Gesellschaften Mair (1962).

  3. 3.

    Ähnliche Formen der Machtausübung zeigt für die Stauferzeit Schneidmüller (2000).

  4. 4.

    Über die Rolle der Macht und ihrer Verschleierung im Kontext von Familien habe ich mich geäußert in Eckert et al. (1989).

  5. 5.

    Für den Bereich der Gemeinde finden sich meine diesbezüglichen Überlegungen in Hahn et al. (1979).

  6. 6.

    Die besonderen Probleme der Bildung von Konsensfiktionen im Falle von Paradiesverheißungen und Höllenvorstellungen habe ich versucht in Hahn (1976; 1996) zu skizzieren. Selbstverständlich ist der „Wirklichkeitsgeschmack“ im Reich des Transzendenten ein anderer als bei mundanen Realitäten. Aber bei aller „multiplicity of realities“ (um diesen Terminus von Schütz zu paraphrasieren), gibt es doch bestimmte „transsystemische“ Konkordanzen. Speziell zu den Paradiesen vgl. Ayaß (2018).

  7. 7.

    Ich habe dieses Gedicht Ende der 1950er-Jahre im Gymnasium auswendig gelernt. Es war damals sehr populär. An die Fundstelle konnte ich mich nicht mehr erinnern. Wie der Vorsitzende der Bergengruen-Gesellschaft, Herr Eckhard Lange, auf Anfrage von Herrn Rüdiger Steiner mitteilt, ist es im Jahre 1931 entstanden: „Es ist in verschiedenen Ausgaben unter verschiedenen Titeln erschienen (Die Verborgene Frucht, Berlin 1942/Zürich 1947 ; Figur und Schatten, Arche, Zürich 1958; Wanderbaum, Rabenpresse, Berlin 1932; Leben eines Mannes, Arche, Zürich 1982; Gestern fuhr ich Fische fangen, Arche, Zürich 1992 und – gleichen Inhalts – Meines Vaters Haus, Arche Zürich 2004). Letztgenannter Titel ist noch lieferbar; die Rechte liegen bei Arche. Beiden Herren danke ich herzlich für ihre Hilfe.

  8. 8.

    Für neuere Bewegungen dieser Art vgl. etwa Albrecht (2012).

  9. 9.

    Unter diesem Begriff versammelt sich eine lange Forschungsgeschichte. Für ein Beispiel vgl. Grässer (1977).

  10. 10.

    Der Unterschied zwischen Charisma und Populismus findet sich scharf herausgearbeitet in Soeffner (1993).

  11. 11.

    Ich habe mich zur Problematik des Geheimhaltens und des Inszenierens durch Verschweigen verschiedentlich geäußert (vgl. Hahn 1991, 1997a, b, 2006, 2011).

  12. 12.

    Generell zur Problematik des Vertrauens in diesem Kontext: Luhmann 1973. Dabei ist die normalerweise Luhmann zugeschriebene Differenz von Person- und Systemvertrauen fast bis auf den Ausdruck hin – eine Simmelsche Trouvaille: „Bei reicherem und weiterem Kulturleben dagegen steht das Leben auf tausend Voraussetzungen, die der Einzelne überhaupt nicht bis zu ihrem Grunde verfolgen und verifizieren kann, sondern die er auf Treu und Glauben hinnehmen muß. In viel weiterem Umfange, als man sich klar zu machen pflegt, ruht unsere moderne Existenz – von der Wirtschaft, die immer mehr Kreditwirtschaft wird, bis zum Wissenschaftsbetrieb, in dem die Mehrheit der Forscher unzählige, ihnen gar nicht nachprüfbare Resultate anderer verwenden muß – auf dem Glauben an die Ehrlichkeit des anderen. Wir bauen unsere wichtigsten Entschlüsse auf ein kompliziertes System von Vorstellungen, deren Mehrzahl das Vertrauen, das wir nicht betrogen sind, voraussetzt“ (Simmel 1992: 389).

  13. 13.

    Der Ausdruck wird von Luhmann in seiner Moraltheorie an prominenter Stelle eingesetzt. Wenn man wie er davon ausgeht, dass mit moralischem Dissens immer auch die Achtung oder Missachtung von Personen auf dem Spiel steht, ist es nur konsequent anzunehmen, dass offener Dissens in Fragen der Moral zur Streitquelle wird. Konsensfiktionen haben deshalb gerade hier friedenstiftende Funktionen. Der Terminus „polemogen“ wird übernommen von Julien Freund (1974). Luhmann unterstellt deshalb, dass „[…] Moralisierung zur Generalisierung des Konfliktstoffs [tendiert] (während die Bezugnahme auf Recht ihn einschränkt)“ (Luhmann 1978: 55). Auch das Werk von Thomas Luckmann und seinen Schüler:innen befassen sich empirisch mit dieser Frage. Gerade bei konversationsanalytisch vorgehenden Untersuchungen zeigt sich dann eine Tendenz zur Vermeidung von Moralisierungen in Gesprächen, wenn sie mit dem Risiko behaftet sind, Streit zu provozieren. Grundsätzlich pflegen z. B. Familien immer auch als „Gesinnungsgemeinschaften“ miteinander zu kommunizieren (vgl. hierzu Luckmann 1998: 39).

Literatur

  • Albrecht, C. (2012). Die Pointe der Prophetie zeigt sich, wenn sie scheitert. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24.12.2012, S. N 3.

    Google Scholar 

  • Althoff, G. (2013a). Heinrich IV. 3., unv. Aufl. Darmstadt.

    Google Scholar 

  • Althoff, G. (2013b). Selig sind die Verfolgung ausüben. Päpste und Gewalt im Hochmittelalter. Darmstadt.

    Google Scholar 

  • Ayaß, R. (2018). Diesseitige und jenseitige Lebenswelten – Die vielfältigen Realitätsstrukturen der mannigfaltigen Wirklichkeiten. Se. 241–275 in: M. Endreß, A. Hahn (Hg.): Lebenswelttheorie und Gesellschaftsanalyse. Köln.

    Google Scholar 

  • Bergengruen, W. (2004). Meines Vaters Haus. Zürich.

    Google Scholar 

  • Eckert, R., Hahn, A., Wolf, M. (1989). Die ersten Jahre junger Ehen. Frankfurt am Main/New York.

    Google Scholar 

  • Festinger, L., Riecken, H. W.; Schacher, S. (1964). When Prophecy Fails. A Social and Psychological Study of a Modern Group that Predicted the Destruction of the World. New York.

    Google Scholar 

  • Freund, J. (1974). Le droit comme motif et solution des conflits. S. 47–84 in: L. Legaz y Lacambra (Hg.): Die Funktion des Rechts. Vorträge des Weltkongresses für Rechts- und Sozialphilosophie in Madrid (= Beiheft 8 des Archivs für Rechts- und Sozialphilosophie). Wiesbaden.

    Google Scholar 

  • George, S. (1964). Der Teppich des Lebens und die Lieder von Traum und Tod. Mit einem Vorspiel. Düsseldorf, München.

    Google Scholar 

  • Grässer, E. (1977). Das Problem der Parusieverzögerung in den synoptischen Evangelien und in der Apostelgeschichte. Berlin/New York.

    Google Scholar 

  • Hahn, A. (1976). Soziologie der Paradiesvorstellungen. Trierer Universitätsreden. Mimeo. Trier.

    Google Scholar 

  • Hahn, A. (1983). Konsensfiktionen in Kleingruppen. Dargestellt am Beispiel von jungen Ehen. S. 210–232 in: F. Neidhardt (Hg.): Gruppensoziologie. Perspektiven und Materialien. Opladen.

    Google Scholar 

  • Hahn, A. (1987). Soziologische Aspekte der Knappheit. S. 119–132 in: K. Heinemann (Hg.): Soziologie des wirtschaftlichen Handelns. Opladen.

    Google Scholar 

  • Hahn, A. (1991). Rede- und Schweigeverbote. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 43: 86–105.

    Google Scholar 

  • Hahn, A. (1994). Die soziale Konstruktion des Fremden. S. 140–166 in: W. Sprondel (Hg): Die Objektivität der Ordnungen und ihre kommunikative Konstruktion. Für Thomas Luckmann. Frankfurt am Main.

    Google Scholar 

  • Hahn, A. (1996). Unendliches Ende: Höllenvorstellungen in soziologischer Perspektive. S. 155–182 in: K. Stierle, R. Warning (Hg.): Das Ende. Figuren einer Denkform. München.

    Google Scholar 

  • Hahn, A. (1997a). Soziologische Aspekte von Geheimnissen und ihren Äquivalenten. S. 23–40 in: A. Assmann, J. Assmann (Hg.): Schleier und Schwelle. Geheimnis und Öffentlichkeit. München.

    Google Scholar 

  • Hahn, A. (1997b). Geheimnis. S. 1105–1118 in: C. Wulf (Hg.): Vom Menschen. Handbuch Historische Anthropologie. Weinheim/Basel.

    Google Scholar 

  • Hahn, A. (2006). Schweigen als Kommunikation und die Paradoxien der Inkommunikabilität. S. 93–114 in: A. Hahn, G. Melville, W. Röcke (Hg.): Norm und Krise von Kommunikation. Inszenierung literarischer und sozialer Interaktion im Mittelalter. Berlin.

    Google Scholar 

  • Hahn, A. (2011). Geheim. S. 323–345 in: H. Tyrell, O. Rammstedt, I. Meyer (Hg.): Georg Simmels große „Soziologie“. Eine kritische Sichtung nach hundert Jahren. Bielefeld.

    Google Scholar 

  • Hahn, Al., Klein, C., Steffes, H. (1984). Wirkliche und fiktive Übereinstimmung. Eine Analyse der Antwortkonstellationen zwischen Ehepartnern. S. 157–184 in: H. Meulemann, K. Reuband (Hg.): Soziale Realität im Interview. Frankfurt am Main/New York.

    Google Scholar 

  • Hahn, A., Kopp, J., Richter, N. (2019). Zwei Freunde und doch so verschieden. Vorstellungen von Partnerschaft, Ehe und Familie in einer Beziehung. S. 215–250 in. D. Baron, O. Arránz Becker, D. Lois: (Hg.): Erklärende Soziologie und soziale Praxis. Wiesbaden.

    Google Scholar 

  • Hahn, A., Schubert, H.-A., Siewert, H.-G. (1979). Gemeindesoziologie. Eine Einführung. Stuttgart.

    Google Scholar 

  • Luckmann, T. (1970). On the Boundaries of the Social World. S. 73–99 in: M. Natansson (Hg.): Phenomenology and Social Reality. Essays in Memory of Alfred Schutz. The Hague.

    Google Scholar 

  • Luckmann, T. (Hg.) (1998). Moral im Alltag. Sinnvermittlung und moralische Kommunikation in intermediären Institutionen. Gütersloh.

    Google Scholar 

  • Luhmann, N. (1969). Legitimation durch Verfahren. Neuwied/Berlin.

    Google Scholar 

  • Luhmann, N. (1971a). Die Knappheit der Zeit und die Vordringlichkeit des Befristeten. S. 143–164 in: N. Luhmann: Politische Planung. Aufsätze zur Soziologie von Politik und Verwaltung. Opladen.

    Google Scholar 

  • Luhmann, N. (1971b): Zweck – Herrschaft –System. Grundbegriffe Max Webers. S. 90–112 in: N. Luhmann: Politische Planung. Aufsätze zur Soziologie von Politik und Verwaltung. Opladen.

    Google Scholar 

  • Luhmann, N. (1973). Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. 2. Auflage. Stuttgart.

    Google Scholar 

  • Luhmann, N. (1978). Soziologie der Moral. S. 8–116 in: N. Luhmann, S. Pfürtner: Theorietechnik und Moral. Frankfurt am Main.

    Google Scholar 

  • Luhmann, N. (2010). Politische Soziologie. Frankfurt am Main.

    Google Scholar 

  • Mair, L. (1962). Primitive Government. Harmondsworth.

    Google Scholar 

  • Münkler, E. (2009). Visualisierungsstrategien im politischen Machtkampf: Der Übergang vom Personenverband zum institutionellen Territorialstaat. In: E. Münkler, J. Hacke (Hg.): Strategien der Visualisierung. Verbildlichung als Mittel politischer Kommunikation. Frankfurt am Main/New York.

    Google Scholar 

  • Scheler, M. (1948). Wesen und Form der Sympathie. 5. Auflage. Frankfurt am Main.

    Google Scholar 

  • Schneidmüller, B. (2000). Konsensensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen und Konzepte politischer Ordnung im Mittelalter. S. 53–87 in: P.-J- Heinig et al. (Hg.): Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Berlin.

    Google Scholar 

  • Schütz, A., Luckmann, T. (1975). Strukturen der Lebenswelt. Neuwied/Darmstadt.

    Google Scholar 

  • Sigrist, C. (1967). Regulierte Anarchie. Untersuchungen zum Fehlen und zur Entstehung politischer Herrschaft in segmentären Gesellschaften Afrikas. Olten/Freiburg.

    Google Scholar 

  • Simmel, G. (1958) [1908]. Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Berlin.

    Google Scholar 

  • Simmel, G. (1992) [1908]. Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Georg Simmel Gesamtausgabe, Bd. 11. Berlin.

    Google Scholar 

  • Soeffner, H.-G. (1993). Geborgtes Charisma. Populistische Inszenierungen. S. 201–219 in: W. Gebhardt, A. Zingerle, M. Ebertz (Hg.): Charisma. Berlin/New York.

    Google Scholar 

  • Tenbruck, F. H. (1986). Geschichte und Gesellschaft. Berlin.

    Google Scholar 

  • Walzer, M. (1965). The Revolution of the Saints. A Study in the Origins of Radical Politics. Cambridge/Mass.

    Google Scholar 

  • Weber, M. (1956). Wirtschaft und Gesellschaft. 4. Auflage. Tübingen.

    Google Scholar 

Download references

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Corresponding author

Correspondence to Alois Hahn .

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 2024 Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature

About this chapter

Check for updates. Verify currency and authenticity via CrossMark

Cite this chapter

Hahn, A. (2024). Konsensfiktionen als Ausgleich für Machtdefizite. In: Horizonte der Kommunikation. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-42623-1_5

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-42623-1_5

  • Published:

  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-42622-4

  • Online ISBN: 978-3-658-42623-1

  • eBook Packages: Social Science and Law (German Language)

Publish with us

Policies and ethics