Schlüsselwörter

Nachdem im letzten Kapitel die detaillierten Ergebnisse der empirischen Analyse vorgestellt wurden, gilt es nun, ein Fazit der Arbeit zu präsentieren. Dabei soll die Frage beantwortet werden, wie verschiedene theoretische Konzepte der Kultur- und Sozialwissenschaften durch performative Effekte die Prozesse der Produktion von Kultur und die Qualitäten der Resultate von Kulturproduktion verändern. Qualitäten werden dabei als Realitäten, Eigenschaften, Wertigkeiten und Koordinationsweisen aufgefasst, die im Rahmen der Veränderung durch die theoretischen Konzepte instruiert und ermöglicht werden. Die Theorien, so die These, entsprechen daher nicht nur Beschreibungen des Sozialen, sondern sie liefern Blaupausen für die Akteur*innen und deren Produktionsprozesse. Die Antwort wird in drei Unterkapiteln präsentiert, die jeweils mit der Fragestellung zusammenhängenden Punkte zusammenfassen: [6.1] Zuerst wird aufgezeigt, wie die Theorien in die gesellschaftlichen Produktionswelten gelangen und welche Theorien, beziehungsweise welche Teile von Theorien, performativ wirken und welche nicht. [6.2] Anschließend wird verdeutlicht, wie die Theorien in den Produktionsprozessen angewendet werden und wie sich die Veränderungen von Prozessen entfalten. [6.3] Der dritte Teil des Fazits geht auf die veränderten Prozesse und Qualität ein, die sich aufgrund der Theorien der Kultur- und Sozialwissenschaften zeigen. Dieses letzte Unterkapitel nimmt zudem die in der Einleitung der Arbeit eingeführte Diskussion auf, wieso Kulturproduktion eine solch zentrale Bedeutung in gegenwärtigen Gesellschaften einnehmen kann.

Die Ergebnispräsentation folgt der Methodologie der Grounded Theory (vgl. Mey und Mruck 2011b, S. 29) und die Resultate der empirischen Analyse werden als eine sogenannte „Theorie mittlerer Reichweite“ (Merton 1949) verstanden: als gegenstandsbezogene und formale Erfassung eines Phänomens. Die erarbeitete „Theorie“ kann in Bezug gesetzt werden zu zwei Polen, welche allgemeinere Theorieauffassungen repräsentieren (Reckwitz 2021, S. 26 f.): Dies ist auf der einen Seite die Sozialtheorie und damit theoretische Überlegungen, die Aspekte zur Analyse des Sozialen hervorheben. Performativität ist im Hinblick auf den ersten theoretischen Pol ein allgemeiner sozialer Mechanismus. Dieser wurde zwar im Rahmen der experimentellen, elektronischen Musik (EEM) betrachtet. Die „Theorie mittlerer Reichweite“ zur Analyse von Performativität soll aber auf eine Vielzahl weiterer sozialer Bereich übertragen werden können. Sie muss daher unabhängiger vom spezifischen Fall nochmals systematisiert werden. Auf der anderen Seite ist der Pol der Gesellschaftstheorie zu beachten. Hierbei werden Strukturen von Gesellschaften beschrieben, um deren gegenwärtige Merkmale zu verdeutlichen. In dieser Theorieauffassung wird Performativität als Phänomen angesehen, das in weitere Zusammenhänge der Gegenwart gestellt werden muss. Dasselbe gilt für die erarbeitete „Theorie“: Die in der EEM ersichtlichen Phänomene sollen als symptomatisch für einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhang aufgefasst werden. Das Fazit beginnt in diesem letzteren theoretischen Sinne, geht dann für das zweite Unterkapitel zum Pol der Sozialtheorie über und schließt wiederum mit gesellschaftstheoretischen Überlegungen ab.

6.1 Theoretische Konzepte in Kulturwelten

Ein Ausgangspunkt für die Performativität von kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien ist die Frage, wie sehr sich diese Konzepte als Ressource in der Gesellschaft verbreitet haben. Gleichzeitig reicht eine Antwort darauf noch nicht aus, um aufzuzeigen, wann performative Effekte in Produktionswelten auftauchen. Zunächst kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass es eine Vielzahl sozialer Welten gibt, in denen die theoretischen Konzepte der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen keine oder kaum Bedeutungen erlangt haben. Solche atheoretischen Welten können sich in zwei Formen zeigen: Die ersten Welten wären diejenigen, in denen die entsprechenden Theorien gar nicht verfügbar sind. Hier sind keine Kultur- und Sozialwissenschaftler*innen aktiv, es hat keine Akademisierung von Ausbildungsinstitutionen stattgefunden, die zu einem „Turn to the Social“ hätte führen können, und die Teilnehmer*innen dieser Welten werden nicht aus Milieus gebildet, die theoretische Konzepte als eine alltägliche Ressource ansehen. Beispiele hierfür finden sich in diversen Berufsfeldern aus dem ersten und zweiten Wirtschaftssektor, der Landwirtschaft und der Industrie. Aber auch eine Vielzahl von Dienstleistungsberufen und Freizeitbereichen ist in diesem Sinne atheoretisch. Global gesehen repräsentiert diese Form den überwiegenden Teil an sozialen Welten und auch in westlichen Gesellschaften sind sie weiterhin vorhanden.Footnote 1 Jedoch wurde im Verlauf der Arbeit immer wieder aufzeigt, dass die Theorien der Kultur- und Sozialwissenschaften eine weitreichende Verbreitung erfahren haben, insbesondere in Westeuropa und in Ländern wie der Schweiz (siehe [2.3]). Es kann daher eine Vielzahl von sozialen Welten erwartet werden, in denen zumindest potenziell die Theorien der Kultur- und Sozialwissenschaften vorhanden sind. In einem Teil davon (und dies mag wiederum der größere Teil sein) werden die theoretischen Konzepte jedoch nicht in die entsprechenden Bedeutungsstrukturen aufgenommen. Dies repräsentiert die andere Form der kultur- und sozialwissenschaftlich atheoretischen Welten: Diejenige, in denen die theoretischen Ressourcen zwar potenziell vorhanden wären, aber die Akteur*innen verwenden diese nicht. Zu Beginn der empirischen Analyse musste daher nicht geklärt werden, ob die kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien in der EEM vorhanden sind, sondern warum diese als sinnvoll für die Welt angesehen werden.

Um zu verdeutlichen, wie sich ein Sinn der Verwendung von Theorien entwickelt, griff die Arbeit auf unterschiedliche Erklärungen zurück. Als zentrale Intermediäre für die theoretischen Konzepte selbst als auch für deren Sinn wurde eine Gruppe von Akteur*innen hervorgehoben, die den „Studies“ zuzuordnen sind. Sie repräsentieren kulturwissenschaftlich ausgerichtete, interdisziplinäre Forschungsnetzwerke zu spezifischen Themen. Ausgehend von den Studies wird die Problematisierung des Sozialen aus den Kultur- und Sozialwissenschaften in die gesellschaftlichen Produktionswelten hineingetragen, da deren Vertreter*innen gemäß einem pluralen Habitus sowohl im wissenschaftlichen Feld als auch im jeweiligen Produktionsfeld tätig sind. Betrachten die Kulturproduzent*innen das Soziale als „Problem“ in ihren Prozessen, so erlangen auch die theoretischen Konzepte eine entsprechende Relevanz. Die Etablierung der neuen Problematisierung ist jedoch nur eine mögliche Variante, wie die kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien eine Bedeutung für die Kulturproduzent*innen erlangen. Ergänzend dazu zeigt sich eine Vielzahl gesellschaftlicher Entwicklungen, die in vergleichbarer Weise eine Verwendung der Konzepte bedingen können. Die Problematisierung als auch die gesellschaftlichen Problemstellungen kumulieren in vergleichbarer Weise in einer bestimmten „Nebenfolge“ (Beck 1996): eine Dekonstruktion der bisherigen Evidenzen. Zuvor übliche und etablierte Begründungen, Ausrichtungen oder Koordinationsformen von Prozessen können von den Akteur*innen nicht mehr ohne Weiteres angewendet werden (bzw. bietet deren Anwendung zu viel Potential für Kritik). Dies gilt insbesondere für Formen der Wertzuschreibungen, die lediglich auf ästhetische Eigenschaften von Kulturprodukten abzielen. Die Verwendung des Wissens der Kultur- und Sozialwissenschaften bietet hingegen eine Möglichkeit, wie eine „Sicherheit“ wiedererlangt werden kann. Die theoretischen Konzepte liefern gewissermaßen eine wissenschaftlich abgesicherte Ressource für eine narrativ-hermeneutische Valorisierung: Anhand eines Resultates der Kulturproduktion sollen Aspekte des Sozialen besonders deutlich werden oder dieses soll sogar Einfluss auf die sozialen Aspekte nehmen können. Eine Entdifferenzierung gegenüber der Wissenschaft kann so in einer sozialen Welt als Chance begriffen werden.

Neben der Erklärung, wie die Theorien Teil der Bedeutungsstruktur einer Kulturwelt werden können, galt es, die allgemeineren Überlegungen zur gesellschaftlichen Verbreitung der theoretischen Konzepte zu konkretisieren. Hierzu wurden verschiedene idealtypische Formen der Intermediation erarbeitet, wie die Akteur*innen zu den Theorien gelangen. Dabei wurde eine doppelt konstitutive Rolle deutlich, die eine Kulturwelt wie die EEM in dieser Verbreitung der Theorien übernimmt: Erstens wurde anhand der Netzwerkstruktur-Form aufgezeigt, dass die Kulturwelt selbst aktiv die theoretischen Konzepte verbreitet. Akteur*innen lernen das kultur- und sozialwissenschaftliche Wissen daher nicht nur im Kontext von Ausbildungsinstitutionen kennen, sondern auch dadurch, dass sie den entsprechenden Konzepten immer wieder im Rahmen der Kulturwelt begegnen. Diese Rolle einer Welt wie der EEM ist bereits so stark etabliert, dass die Akteur*innen mit einer Erwartungshaltung gegenüber Theorien an Ausbildungsinstitutionen herantreten: Sie wollen theoretische Konzepte vermittelt bekommen, die sie im Rahmen der Kulturwelt bereits kennengelernt haben. Zweitens emergieren die eigentlichen Vorstellungen zu den möglichen Qualitäten, die durch die theoretischen Konzepte für Kulturproduktion impliziert werden, ebenfalls in der Kulturwelt. Das heißt, dass in den Kulturwelten ein Umgang mit Theorie und die Möglichkeiten von deren Verwendung in Produktionsprozessen nahegelegt wird. Die Universitäten und Fachhochschulen übernehmen hierbei zwar auch eine Rolle, haben aber keine formalisierten Weisen entwickelt, um die Theorieverwendung in der Kulturproduktion anzuleiten. Sowohl bei der grundsätzlichen Vermittlung der Theorien als auch bei der Etablierung von Qualitäten und Verwendungsweisen spielt daher eine Kulturwelt wie die EEM eine zentrale Rolle. Sie bietet ein Umfeld, in dem die Abgänger*innen aus den Kultur- und Sozialwissenschaften, die an Kunsthochschulen ausgebildeten Produzent*innen und weitere Personen zusammenkommen, um eine Relevanz der theoretischen Konzepte für Produktionsprozesse zu erfahren.

Im Hinblick darauf, welche Theorien aus den Kultur- und Sozialwissenschaften durch die Akteur*innen verwendet werden, lieferte die empirische Analyse eine Reihe von Hinweisen. So wurde deutlich, dass sich ein bestimmter Kanon von Theorien etabliert, die in den sozialen Welten verwendet werden und performative Effekte hervorrufen. Diese Auswahl von Theorien wird in zentraler Weise von den jeweiligen „Studies“ beeinflusst, sie weist bestimmte Abweichungen zum Kanon der wissenschaftlichen Disziplinen auf und zeichnet sich durch eine Vermischung von theoretischen Werken mit weiteren literarischen Genres aus. Betrachtet man die Auswahl von Konzepten, die in unterschiedlichen Welten zur Anwendung kommen, zeigen sich sowohl Werke und Autor*innen, die überall relevant zu sein scheinen (wie etwa Judith Butler), als auch eher weltenspezifische Theoriekonzepte (wie Ulrich Becks Individualisierungsthese im Bereich des Designs). Neben der deskriptiven Darstellung dieses Kanons (siehe [Abb. 5.10] in [5.4.4]) hob die Analyse hervor, dass die theoretischen Konzepte als etwas erfahren werden, mit dem Kulturproduktion positiv dargestellt und bewertet wird. Bereits bevor die Akteur*innen die Theorien verwenden, erleben sie die wissenschaftlichen Analysen als etwas, das Resultate der Kulturproduktion „konsekriert“. Diejenigen Texte und Konzepte, die eine Intermediation erfahren, leisten also nicht nur eine Analyse in Bezug auf eine wissenschaftliche Problemstellung. Sie verdeutlichen auch etwas Besonderes und lobenswert Abweichendes der Kulturproduktion oder zeigen auf, wie die Kulturwelt sich bei kritischen Aspekten verbessern könnte. Die positiv konsekrierende Nutzung von Theorien überträgt sich auch auf deren anschließende Verwendung: Die negativen Implikationen eines theoretischen Konzeptes für die eigene Kulturproduktion werden von den Akteur*innen eher ignoriert oder die entsprechenden theoretischen Konzepte kommen gar nicht zur Anwendung.

Um festzustellen, wie die Inhalte von Theorien als Blaupausen die Ausrichtung von Prozessen ermöglichen, nahm die vorliegende Arbeit unter anderem die Konzeptualisierung von Qualitätskonventionen der „Economie des conventions“ auf (Boltanski und Thévenot 2007). Hierbei war aber nicht das Ziel, bereits a priori zu bestimmen, welche Wertigkeiten in Theorien stecken. Obschon die entsprechenden Überlegungen gemacht wurden, sollte erst die empirische Arbeit aufzeigen, welche dieser Qualitätskonvention durch die Verwendung der Theorie der Kultur- und Sozialwissenschaften mobilisiert werden. Hierfür wurde eine grundsätzliche Heuristik etabliert, bei der in der Analyse drei Positionen miteinander verglichen werden (siehe [4.3.2]): (1) Zuerst gilt es, die jeweilige Kulturproduktion und deren Ontologie selbst zu betrachten. (2) Weiter sind die erwähnten Inhalte eines theoretischen Konzeptes zu bestimmen, sowohl über die Auffassung der Akteur*innen als auch von der analysierenden Position aus. (3) Schlussendlich muss über weiteres empirisches Material eine Kulturproduktion konzeptualisiert werden, die im Feld zu erwarten wäre, wenn keine performativen Effekte auftreten. Der Abgleich der unterschiedlichen Positionen ermöglicht es dann aufzuzeigen, welche Qualitäten durch Performativität mobilisiert werden und ob Änderungen in den Prozessen erfolgen.

Bevor im nächsten Unterkapitel auf die performativen Effekte eingegangen wird, lässt sich bereits folgendes Fazit ziehen: Trotz der Tatsache, dass die Intermediation und damit immer auch die Interpretation eines theoretischen Konzeptes in verschiedenster Weise erfolgen kann, scheint eine Theorie „essentialistische“ Aspekte zu beinhalten. Das heißt, dass ein bestimmtes Konzept jeweils dieselben Qualitätskonventionen oder dieselbe Kombination von Konventionen mobilisiert und daher verschiedene Kulturproduktionen von unterschiedlichen Akteur*innen in ähnlicher Weise ausrichtet.Footnote 2

6.2 Systematisierung der performativen Effekte

Um die Verwendung der Theorien in den Produktionsprozessen nachzuvollziehen, präsentierte die empirische Arbeit diverse eigens erarbeitete und mit weiteren Ansätzen erweiterte Konzeptualisierungen. Diese werden hier in Bezug auf das theoretische Modell der Performativität systematisiert, das im zweiten Kapitel vorgestellt wurde (siehe [2.1.32.1.4]). Vor dieser Systematisierung lassen sich noch einige damit zusammenhängende Aspekte explizit hervorheben, welche die empirische Analyse ebenfalls anleiteten. So führte die Arbeit die Vorstellungen einer „Übersetzung“ ein (Callon 2006) und unterschied dabei eine Übersetzung 1 und 2. Während erstere die Stationen bis hin zur Verwendung eines Theoriekonzeptes nachvollzieht, verdeutlicht die zweite diejenige Übersetzungsleistung, die im Rahmen einer Kulturproduktion ebenfalls noch geleistet werden muss. Als eine der Stationen der Übersetzung 1 können sogenannte Einfallstore für Performativität betrachtet werden. Diese markieren einen Startpunkt, von dem aus sich die performativen Effekte in der Kulturproduktion entfalten können. Zentral dabei ist, dass diese Einfallstore mit unterschiedlichem Potenzial versehen sind: Sie bestimmen die Chance auf ein Gelingen von Performativität mit und haben Einfluss auf die mögliche Effektstärke. Die Einfallstore müssen daher als aktive, an der Performativität beteiligte „Formen“ (Thévenot 1984) aufgefasst werden. Nicht zuletzt entwickelte die Arbeit ein eigenes Modell der Kulturproduktion im Zusammenspiel von empirischer Analyse und weiteren Konzeptualisierungen (Kjellberg und Helgesson 2006, 2007; Burnard 2012). Dieses unterscheidet normative Praxisprinzipien (im Rahmen derer die Akteur*innen eine Funktion der Kulturproduktion festmachen), Ausführungsmediationen (als Handlungen, welche die Kulturprodukte konkret schaffen, konsumieren oder präsentieren) sowie eine Ontologie und Autorschaft (mit der die Realität einer Kulturproduktion festgemacht wird). Im Rahmen der unterschiedlichen Bereiche der Kulturproduktion und deren jeweiligen Prozessen wurden dann die performativen Effekte aufgezeigt.

Damit die kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien performativ wirken können, müssen einige grundsätzliche Bedingungen vorhanden sein. Nicolas Brisset (2019) folgend wurden drei festgemacht: (1) Die erste Bedingung zeigte sich in Bezug auf die neue Problematisierung der Kulturproduktion sowie die gleichzeitig in der Situation der Intermediation stattfindenden Nahelegungen der Theorieverwendung. Die beiden Aspekte verdeutlichen den Akteur*innen in allgemeiner Weise, dass mit den theoretischen Konzepten überhaupt eine Änderung an den vorhandenen Prozessen der Kulturproduktion möglich ist: Ein anderes Verhalten oder eine andere Bewertung aufgrund einer Theorie wird erkannt. (2) Weiter dürfen nicht nur einzelne Akteur*innen an eine theoretische Erläuterung „glauben“, also deren Aussagen als potenziell richtige Beschreibung der sozialen Welt ansehen. Die Vorstellung, dass ein Konzept die Realität beschreiben kann, muss nämlich von einer Vielzahl anderer Akteur*innen geteilt werden. Hierzu verdeutlichte die empirische Arbeit, dass sich die Akteur*innen in einem weiteren sozialen Umfeld bewegen, in dem eine selbstverständliche, wissenschaftliche Perspektive auf Kulturproduktion eingenommen wird. Zu dieser Selbstverständlichkeit gehören nicht nur die theoretischen Konzepte, sondern dass viele Personen den „Glauben“ an diese Beschreibungen der sozialen Realität teilen.Footnote 3 (3) Als letzte Bedingungen müssen die einzelnen Akteur*innen eine bestimmte Übereinstimmung erleben. Die Beschreibung einer Theorie muss als etwas erfahren werden, das in der je eigenen, konkreten Situation eine Handlungsweise vorgibt, die in Erfüllung gehen könnte. Dies wurde als eine „Anrufung“ verdeutlicht (Althusser 1977): Die Akteur*innen verstehen sich als Subjekt einer Theorie, da ihre persönlichen, die Handlungen bestimmenden Wertvorstellungen (Thévenot 2005; Gerber 2017) mit der theoretischen Beschreibung übereinstimmen.

Sind die drei grundsätzlichen Bedingungen für Performativität vorhanden, können sich die Effekte von Theorien im Sinne eines „Attachements“ (Hennion 2017) entfalten. Grundsätzlich beschreibt dies eine beständige Annäherung zwischen den Prozessen und Vorstellungen der Kulturproduktion auf der einen Seite und der Interpretation der theoretischen Konzepte auf der anderen Seite. Die Annäherung über das Attachment kann einfacher erfolgen oder auch nicht: So können bestimmte Ausprägungen eines Kulturproduktes oder Ausprägungen von Produktionsprozessen dies erschweren oder besondere Leistungen in der Intermediation förderlich wirken. Die Auffassung, dass Performativität als Attachement abläuft, stellt sich damit gegen eine eindeutige Zuschreibung von Intention oder Strukturdetermination. Dies relativiert eine allzu simple Auffassung von Performativität, die lediglich eine Wirkungsrichtung betrachten würde, ohne weitere Prozesse oder die Ontologie der Resultate von Kulturproduktion miteinzubeziehen. In den jeweiligen Annäherungen zeigen sich als Folge des Attachements, dass die Akteur*innen die von der Theorie vorgegebenen Vorstellungen oder Prozesse als die „angemessenen“ und „richtigen“ betrachten. Sie werden über den Prozess des Attachements „eingefordert“. Hierbei können sich schwächere performative Effekte zeigen oder über ein beständiges Etablieren von weiteren Attachements die stärkeren performativen Effekte entfalten.

Die schwächste Effektstärke ist diejenige der generischen Performativität. Damit wird erfasst, wie die Theorien die Prozesse der sozialen Realität nicht verändern, sondern als Referenzen und Beschreibungen für die bereits vorhandenen Prozesse aufgenommen werden. Diese theoretischen Beschreibungen treten als Folge der Übersetzung 1 in einem Bereich der Kulturproduktion auf und können im Sinne einer Übersetzung 2 auf weitere Bereiche übertragen werden. Im Rahmen der empirischen Analyse wurde zudem aufgezeigt, dass zwei verschiedene Varianten der generischen Performativität möglich sind: In der einen Variante wird mittels eines theoretischen Konzepts ein bestimmtes Praxisprinzip als legitim beschrieben, eine Ausführungsmediation als innovativ herausgehoben und/oder Metadaten für die Ontologie sowie Autorschaft verdeutlicht. Die jeweiligen Ausprägungen in den drei Bereichen der Kulturproduktion werden dabei nicht verändert, sondern lediglich neu über eine Theorie beschrieben. Eine zweite Variante dieses Effektes zeigt sich als spezifische Weise der Valorisierung (Reckwitz 2017, S. 68). Während die erste Variante sowie die weiteren, stärkeren performativen Effekte eine Hervorbringung von neuen Kulturprodukten verdeutlichen, kann generische Performativität auch im Sinne einer Neurahmung erfolgen: Hierbei entfaltet sich der performative Effekt nicht zwischen dem kulturproduzierenden Akteur, dessen Kulturprodukt und einer Theorie. Vielmehr tritt eine weitere Akteurin in diese Trias ein und Performativität erfolgt zwischen ihr, dem Kulturprodukt des Akteurs und einer Theorie. Diese Neurahmung kann allerdings nur generische Effekte hervorrufen, da die Akteurin nicht direkt an der Kulturproduktion beteiligt ist und die vorhandenen Prozesse nicht beeinflussen kann. Die zweite Variante repräsentiert jedoch eine zentrale und verbreitete Weise der Wertzuschreibung in einer Kulturwelt, die von den kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien durchdrungen ist.

Stärkere performative Effekte, die eine Veränderung der sozialen Realität hervorrufen, wurden im Rahmen der empirischen Beispiele ebenfalls aufgezeigt. Solche Veränderungen können zuerst als effektive Performativität beschrieben werden, die sich als Folge der Übersetzung 1 zeigt. Im Unterschied zur generischen Performativität ändern sich hier nun die Aspekte in einem Bereich der Kulturproduktion: Das normative Praxisprinzip wird gewechselt, neue Ausführungsmediationen werden eingeführt oder andere Metadaten etabliert, um die Ontologie und Autorschaft zu bestimmen. Die Feststellung solcher Änderungen wurde durch die oben eingeführte Heuristik ermöglicht, indem eine Abweichung von der üblichen Art und Weise der Kulturproduktion im Feld festgestellt wurde. Diese stärker performativen Effekte müssen nicht auf einen Bereich der Kulturproduktion beschränkt sein, sondern können weiter übersetzt werden. Diese Übersetzung 2 kann dabei sowohl generische als auch effektive Effekte hervorrufen. Erfolgen weitere Effekte aufgrund eines theoretischen Konzeptes in allen drei Bereichen der Kulturproduktion, so besteht die Möglichkeit, eine besonders starke Form der barnesischen Performativität aufzuzeigen.Footnote 4 Dabei verändert eine Theorie die Prozesse der Kulturproduktion insgesamt – oder allgemeiner aufgefasst: Sie verändert einen Gesamtbereich der sozialen Realität. Um diesen Effekt festzumachen, wurde ein Vorschlag eingeführt. Performativität muss nicht nur in allen drei Bereichen der Kulturproduktion ersichtlich sein, sondern auch in mehr als einem Bereich als effektiver Effekt auftreten. Zudem dürfen mögliche Inkonsistenzen zwischen den Aspekten der Kulturproduktion und der theoretischen Beschreibung vom Akteur nicht als solche wahrgenommen werden.

Im theoretischen Modell der Performativität [2.1.4] wurden weiter Effekte aufgeführt, bei denen die soziale Realität nicht nach den theoretischen Beschreibungen ausgerichtet wird, sondern eher „Abwehrreaktionen“ der Akteur*innen erfolgen: die sogenannte Gegenperformativität (MacKenzie 2006) sowie die drei verschiedenen Formen der Retroaktion (Desrosières 2015). Die empirische Arbeit verdeutlichte solche Reaktionen vor allem als verschiedene Kritikformen der Akteur*innen. Bei der Gegenperformativität und der ersten Form der Retroaktion zeigte sich hierbei jedoch eine gemeinsame Schwierigkeit. Für Gegenperformativität fand sich kein wirkliches Beispiel, bei dem eine Kulturproduktion lediglich so gestaltet worden wäre, um nicht den Beschreibungen einer Theorie zu entsprechen. Einige der untersuchten Akteur*innen taten dies zwar, trotzdem erfolgte die Änderungen der Prozesse mit Hinblick auf ein eigenes theoretisches Konzept. Oder anders formuliert: Theorie A wurde kritisiert und darauf hingewiesen, dass die eigene Kulturproduktion nicht Theorie A entspricht. Dies erfolgte aber deshalb, weil die Akteur*innen ihre Kulturproduktion gemäß Theorie B ausrichteten. Die Beispiele der Gegenperformativität waren daher ebenfalls Teil einer Situation, in der die zuvor eingeführten performativen Effekte bereits vorhanden waren (vgl. Healy 2015, S. 196). Ein ähnlicher Prozess wurde bei der Retroaktion deutlich: Der Umgang mit den theoretischen Konzepten betrachteten verschiedene Akteur*innen auch kritisch und es zeigten sich allgemeine Abwehrreaktionen gegenüber Performativität in der Kulturproduktion. Diese Reaktionen stammten allerdings von Akteur*innen, denen die konventionelle Grundlage für den Umgang mit Theorie durchaus bewusst war. Kurz: Sie sprachen sich trotz ihres theoretischen Wissens gegen die Verwendung der Konzepte aus. Theorien sind daher auch als „Verursacherinnen“ von Gegenperformativitäten und Retroaktionen anzusehen.

Die verschiedenen gegenläufigen Effekte und Abwehrreaktionen, wie sie eben dargestellt wurden, gilt es daher als Teil einer bereits mit Theorie durchdrungenen Welt aufzufassen. Im Rahmen der empirischen Analyse wurde daher eine Metaebene der Performativität herausgearbeitet. Auf dieser wird die Art und Weise der Verwendung von Theorien in der Kulturproduktion durch die Akteur*innen selbst diskutiert. Sie repräsentiert einen Diskurs der Kulturwelt über Performativität. Im Rahmen dieses Diskurses können auch die anderen beiden Formen der Retroaktion verortet werden. Zudem lassen sich weitere Aspekte dieser Retroaktionen hervorheben: In Bezug zur zweiten Form wurde deutlich, dass nicht nur eine andere Theorie als Abwehrreaktion von den Akteur*innen „verlangt“ werden kann. Auf der Metaebene werden zudem Personen und deren Kulturproduktionen eingeordnet. Als Abwehrreaktion kann daher eine andere Kulturproduzentin als Person das Ziel der Kritik sein und nicht (nur) deren Theoriewahl. Auch bei der dritten Form der Retroaktion verdeutlicht die empirische Arbeit ergänzende Aspekte. Es können nämlich nicht nur andere Interpretationen eines theoretischen Konzepts eingefordert werden. Eine weitere mögliche Kritik eines Akteurs kann sich auch auf ausbleibende Veränderungen in der Kulturproduktion von einer anderen Akteurin beziehen, die gemäß seinem Verständnis eigentlich folgen müssten. Dieser Effekt wurde als Kritik mittels der Übersetzung 2 eingeführt. Die Abbildung [Abb. 6.1] fasst die erläuterten Retroaktionen auf der Metaebene und die zuvor beschriebenen performativen Effekte zusammen.

Abb. 6.1
figure 1

(Quelle: Eigene Darstellung)

Theoretisches Modell der performativen Effekte nach der empirischen Analyse

Im unteren, mittleren Bereich der Abbildung wird noch ein letzter Aspekt aufgezeigt, den die empirische Arbeit ebenfalls verdeutlichte. Performativität kann nicht nur grundsätzlich sowie als Folge eines Attachements im Rahmen der Übersetzung 2 scheitern. Die Akteur*innen können die Wirkungen von Theorien auch selbst „aussetzen“. In den entsprechenden Beispielen wären daher die Bedingungen für Performativität vorhanden gewesen und womöglich entfalteten sich in der Vergangenheit auch performative Effekte. Trotzdem zeigten sich keine weiteren Effekte der Theorien mehr, obwohl dies eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Ein mehr oder weniger bewusstes Handeln der Akteur*innen ließ die Performativität „aussetzen“. Hierfür wurde aufgezeigt, dass das private Umfeld, die (Macht-)Prozesse des jeweiligen Feldes oder ein weiterer gesellschaftlicher Kontext dazu führen kann, dass die Akteur*innen keine kultur- und sozialwissenschaftliche Problematisierung mehr zulassen oder keine Theoretisierung mehr betreiben.

6.3 Die gesellschaftliche Bedeutung von Kulturproduktion

Die Systematisierung der performativen Effekte zeigte auf, wie bestimmte Prozesse in der Kulturproduktion sich aufgrund der Theorien der Kultur- und Sozialwissenschaften verändern. Hierbei stellt sich aber die Frage, ob die Art und Weise, wie die theoretischen Konzepte Qualitäten mobilisieren, sich von anderen Ressourcen unterscheidet. Denn eine „Inspiration“ für neue Prozesse kann potenziell von allem ermöglicht werden (vgl. Fine 2018, S. 95 ff.; Nyfeler 2019, S. 161 ff.; Godart et al. 2020, S. 501). Gegenüber anderen Ressourcen verfügen die theoretischen Konzepte jedoch über zwei Vorteile: Erstens dienen sie in den Ausbildungsinstitutionen und weiteren Bereichen der Kulturwelt als eine legitime Ausdrucksform. Als Folge der Akademisierung ermöglichen es die Theorien, die jeweiligen Gedanken im Zusammenhang mit Kulturproduktion in einer Art und Weise zu rahmen, die als professionell angesehen wird (Fine 2018, S. 217 f.).Footnote 5 Dieser „interne“ Vorteilwird ergänzt von einem zweiten Vorteil, der über eine Kulturwelt hinausweist. Denn mit den Theorien lassen sich allgemeinere Probleme verdeutlichen, die in vielen weiteren gesellschaftlichen Bereichen eine Relevanz erlangt haben. Nicht nur in verschiedenen Welten der Kulturproduktion etablierte sich die kultur- und sozialwissenschaftliche Problematisierung, sondern ein vergleichbarer Einfluss der Wissenschaft zeigt sich auch in anderen Produktionszusammenhängen. Dies mag nun nicht immer in der Weise erfolgt sein, die für die EEM beschrieben wurde, und auch die theoretischen Konzepte mögen hierbei nicht immer dieselbe Bedeutung für die Produktionsprozesse haben. Trotzdem hat sich eine „soziologische Denkweise“ stark verbreitet (Bell 1973, S. 282). Eine eher unerwartete Folge dieser Verbreitung ist (vgl. Urry 2005, S. 79), dass die Denkweise eine grundsätzliche Legitimation für Kulturproduktion ermöglicht. Mit den kultur- und sozialwissenschaftlichen Konzepten kann auf diese Legitimation Bezug genommen werden. Damit erlangen die Kulturproduzent*innen eine breitere gesellschaftliche Relevanz in einer Vielzahl von Welten, während die Referenzen auf Theorien zudem einer professionellen Praxis in den eignen Welten der Kulturproduktion entsprechen.

Werden die Ergebnisse zur Rolle der Theorien auf die in der Einleitung [1] skizzierte Bedeutung der Kulturproduktion übertragen, so lässt sich das Argument der Arbeit folgendermaßen zuspitzen: Die Kulturalisierung von sozialen Prozessen allgemein, oder auch der kapitalistischen Produktion im Besonderen, muss gleichzeitig mit einer weiteren gesellschaftlichen Tendenz betrachtet werden, nämlich der „Verkultur- und Versozialwissenschatlichung“.Footnote 6 Letztere Tendenz hatte weitreichenden Einfluss auf verschiedene Kulturwelten, wie die vorliegende Arbeit aufgezeigt hat (siehe [2.3.2]). In ihnen kumulieren sich beide Tendenzen und Kulturproduktion wird doppelt bedeutsam: Während mehr und mehr gesellschaftliche Prozesse gemäß diesen Welten ausgerichtet werden, erhält Kulturproduktion selbst eine neue Relevanz aufgrund der „Verkultur- und Versozialwissenschatlichung“. In ähnlicher Weise haben wirtschaftssoziologische Arbeiten die performativen Effekte der Ökonomie in den Zusammenhang zu einer „Verwirtschaftswissenschaftlichung“ der Gesellschaft gestellt (siehe für eine Übersicht Sparsam 2022, S. 168 f.). Dabei ist anzuerkennen, dass nicht nur die ökonomischen Theorien die Wirtschaft beeinflussen. Dieser Effekt steht in Verbindung mit einer gesellschaftlichen Tendenz, bei der das entsprechende Wissen als führende Form der Expertise angesehen wird. Eine vergleichbare Bedeutung von Wissen und die damit einhergehenden Entgrenzungen können auf die Kultur- und Sozialwissenschaften erweitert werden. Zwar sind Disziplinen wie die Soziologie keine „Leitwissenschaften“ (mehr), jedoch wurden die entsprechenden Konzepte und Denkweisen zumindest in vergleichbarer Weise verbreitet wie ihre Pendants aus den Wirtschaftswissenschaften. Daraus folgt nicht nur ein Phänomen wie Performativität, sondern gemeinsam mit der Tendenz zur Kulturalisierung des Sozialen steht Kulturproduktion mehr und mehr selbst im Zentrum der Gesellschaft.

Die verdeutlichte Relevanz der Kulturproduktion muss im Zusammenhang mit fundamentaleren Qualitäten betrachtet werden, die sich mit einer performativen Kulturproduktion ergeben. Zuerst kann hierzu eine Vielzahl der beschriebenen Prozesse gebündelt werden, um auf Folgendes zu verweisen: Die Akteur*innen erleben die Kulturwelt, die darin ablaufenden Prozesse und die dadurch produzierten Güter als eine Art Medium der gesellschaftlichen Reflexion. So können die Produzent*innen ihre Produktionsprozesse als etwas ansehen, das nicht nur für die jeweilige Welt bedeutsam ist (etwa für die Produktion von Musik), sondern auch in anderen Zusammenhängen genutzt werden könnte. Die Kulturproduktion ermöglicht ihnen Dinge auszuprobieren, die in weiteren Zusammenhängen eine Bedeutung versprechen. In ähnlicher Weise können Kurator*innen und Veranstalter*innen aus der Kulturwelt ihre Entscheidungen als etwas auffassen, das mehr als nur die Kulturproduktion mitbedenkt. Die von ihnen erlernte Entscheidungskompetenz verspricht, auch in anderen Welten eine Relevanz zu haben. Die Konsument*innen wiederum erleben die von ihnen konsumierten Kulturgüter als etwas, dessen Bedeutung weit über eine Freizeitbeschäftigung hinausgeht. Die Resultate der Kulturproduktion ermöglichen es, gesellschaftlich relevante Aspekte zu erleben, und sind mehr als nur eine Selbstverwirklichung. Schlussendlich erleben die vermittelnden Akteur*innen, welche produzierende Personen mit weiteren Positionen verbinden, die Kulturwelt als Reflexionsmedium: Hier können sie Argumente testen, um Relevanzen zum Beispiel gegenüber staatlichen Förderstellen zu verdeutlichen. Dabei muss die Vermittlung nicht immer erfolgreich sein. Sie wird aber in jedem Fall als breiterer Reflexionsprozess aufgefasst, der mehr ermöglicht, als Zuhörerinnen oder Geldgeber an die Kulturwelt zu vermitteln.

Als weitere fundamentale Qualität kann die breitere Bedeutung, die eine Verwendung von theoretischen Konzepten ermöglicht, in Bezug zu einer „breiten“ Veränderung der Kulturprodukte betrachtet werden. Neben den spezifischeren Effekten, bei denen Aspekte der Praxisprinzipien, Ausführungsmediationen oder der Ontologie und Autorschaft verändert werden, ist dies ein allgemeines „Mehr“: Die Resultate der Kulturproduktion müssen scheinbar beständig um Inhalte, Medien, Prozesse und Argumente erweitert werden. Diese Erweiterung wurde von einer Reihe anderer Autor*innen in vergleichbare Weise erfasst (siehe [5.4.2]), indem etwa der Begriff der „Konzeptkunst“ verwendet oder ein multimedialer Charakter beschrieben wird. Das Argument des „Mehrs“, das in der empirischen Analyse entwickelt wurde, bricht mit diesen Vorstellungen, die nicht zuletzt feldintern entwickelt wurden. Es wird aufgezeigt, dass die Beschreibung der erweiterten Kulturproduktion allein nicht die verschiedenen ablaufenden Prozesse erklären kann. Erst im Zusammenhang mit der kultur- und sozialwissenschaftlichen Rechtfertigung wird die Bedeutung der verschiedenen Aspekte der Kulturproduktion einheitlich erfasst. Das „Mehr“ der Kulturproduktion lässt sich dann rückbeziehen auf die zuvor erläuterte, fundamentalere Qualität: Auch die Erweiterungen und die sich daraus ergebenden Zusammenarbeiten der Produzent*innen mit einer Vielzahl von Akteur*innen sind eine Möglichkeit, aktuelle gesellschaftliche Dynamiken zu reflektieren.

Als abschließende Hinweise können verschiedene Aspekte von Performativität in der Kulturproduktion in einer Weise problematisiert werden, bei welcher eine gesellschaftliche Bedeutung des Phänomens präsentiert und mit Konsequenzen für den Bereich der Wissenschaft verknüpft werden. Beginnt man bei Ersterem, könnte die Frage danach gestellt werden, wie „problematisch“ die veränderte Kulturproduktion für einen gesellschaftlichen Zusammenhalt sein könnte. Die bisherigen Erläuterungen der Arbeit unterließen explizit normative Aussagen in Bezug auf die Performativität der Kultur- und Sozialwissenschaften, sie sollen nun aber als Überlegungen eingeführt werden. In einem positiven Sinne kann hierbei vor allem eine bestimme Form der Reflexivität verdeutlicht werden: Die Akteur*innen in den entsprechenden Kulturwelten beschäftigen sich mit sozialen Prozessen und erlangen ein entsprechendes Wissen, etwa im Hinblick auf implizite Dimensionen und Dynamiken von Interaktionen und deren Zusammenhängen zu weiteren gesellschaftlichen Strukturen (vgl. Thompson 2017, S. 26). Die sozialen Prozesse werden anerkannt und die damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Herausforderungen kommen auf die Agenda der Akteur*innen. Im Sinne einer verheißungsvollen Aussicht könnten dann womöglich gewisse Probleme gelöst werden. Bruno Latour folgend kann daher gefragt werden (2004b, S. 230 f.): Was könnte daran so schlimm sein, wenn die Akteur*innen die Werkzeuge der kultur- und sozialwissenschaftlichen Kritik für eine theoretisch informierte Kulturproduktion nutzen?

Die rein positive Betrachtungsweise ignoriert jedoch selbst eine Reihe von sozialen Prozessen, die ebenfalls aus der Verwendung der Theorien in der Kulturproduktion folgen. Grundsätzlich würde dadurch ein bereits vorhandenes Paradox nochmals verstärkt werden, das in der gesellschaftlichen und teilweise in der wissenschaftlichen Betrachtung von Kulturproduktion auftritt (Hesmondhalgh 2008, S. 333; Dyndahl 2021, S. 13). Auf der einen Seite wird die soziale Konstruktion von Kultur betont – hier sogar in einer Art und Weise, bei der eine Reflexivität gegenüber der konstruierten Realität verstärkt wird. Gemäß dieser Betrachtungsweise bietet die Kulturproduktion vorteilhafte Aspekte in Bezug auf diese Konstruktion, wie etwa die Vorstellung, dass soziale Inklusion möglich wird. Auf der anderen Seite werden aber die negativen Faktoren in Bezug auf das Soziale ignoriert: Die Konstruktion existiert lediglich als „Chance“ für die entsprechende Kulturproduktion. Diese Betrachtungsweise, die bereits in Welten vorhandenen ist, in denen keine performativen Effekte erfolgen, kann durch eine theoretisch-informierte Kulturproduktion nochmals verstärkt werden. Die Theorien schaffen eine „externe“ und abgesicherte „Außenposition“ der Analyse (vgl. Boltanski 2010, S. 20 ff.). Sie lassen Akteur*innen die negativen sozialen Prozesse erkennen und haben das implizite Versprechen, dass eine Unabhängigkeit von den Prozessen erreicht werden kann. Die Akteur*innen können sich noch stärker aus den sozialen Zusammenhängen extrahieren, da sie in eine analysierende Position übergehen. Die Werkzeuge der kultur- und sozialwissenschaftlichen Kritik funktionieren zudem nicht nur für die Heraushebung der eigenen Kulturproduktion, sondern auch für die Diskreditierung Anderer: Eine nicht theoretische Kulturproduktion ohne Reflexivität gegenüber den sozialen Prozessen kann als naiv und unwissend abgetan werden (vgl. Boltanski 2010, S. 41). Die Aspekte von Performativität können daher vorhandene Distinktionsprozesse sogar noch verstärken.Footnote 7

Die eben eingeführte Verstärkung von Distinktion darf allerdings nicht in einem rein symbolischen Sinne aufgefasst werden. Denn mit Performativität ändern sich auch die ontologischen Qualitäten von Kulturprodukten. Hierbei wurde zwar verdeutlicht, dass diese Änderungen auf verschiedene Weisen erfolgen können, die von den Wertvorstellungen der Theorien mitbestimmt werden. Gleichzeitig lässt sich aber eine gewisse Tendenz feststellen. Feldtheoretisch betrachtet ist nämlich die durch Performativität veränderte Kulturproduktion eher am kulturell dominanten Pol vorzufinden. Deshalb erfolgt auch eher eine Änderung der Produkte, die sich gegenläufiger zur oftmals „populäreren“ Kulturproduktion am ökonomisch dominanten Pol verhält. Ästhetiken und weitere Eigenschaften werden „komplexer“ sowie in einer Weise ausgerichtet, die besondere Kenntnisse für eine Wertschätzung voraussetzt. Dies ist per se noch kein besonderes Merkmal und gilt auch für kulturell dominante Kulturproduktion, die nicht von Performativität beeinflusst wurde. Gleichzeitig ermöglichen aber die Valorisierungsstrategien mittels der theoretischen Konzepte, dass in diesen eigentlich sehr spezifischen Formen der Kulturproduktion eine größere Relevanz festgemacht wird: Den Produkten wird aufgrund des Bezugs zu sozialen Faktoren eine Bedeutung zugesprochen, die mehr sei als ein ästhetisches Experiment. Im Extremfall führt dies dazu, dass Resultate der Kulturproduktion immer komplexer und spezifischer werden, während gleichzeitig deren Relevanz von den produzierenden oder den konsumierenden Akteur*innen als immer breiter eingeschätzt wird. Anstatt die eigene Partikularität anzuerkennen, wird sie in Bezug auf die Ontologie der Kulturprodukte verstärkt und symbolisch immer weniger als solche angesehen. Bereits vorhandene Isolationstendenzen und „Kurzsichtigkeiten“ von bestimmten sozialen Gruppen (Lamont 2000, S. 2) werden so nochmals verschärft. Werden diejenigen Aspekte von Performativität nicht anerkannt, die soziale Prozesse verstärken, bleiben die Kultur- und Sozialwissenschaften Helferinnen für die Distinktion von gesellschaftlichen Akteur*innen.

Trotzdem muss eine wissenschaftliche Position die theoretische Informiertheit von Akteur*innen anerkennen und für die eigene Vorgehensweise ernst nehmen. Daher darf der letzte Hinweis nicht als eine normative Forderung verstanden werden, dass sich die Wissenschaft über die Akteur*innen zu stellen hat, ihre Kompetenzen nicht anerkennen soll und ihnen womöglich eine neue Form der Naivität zuzusprechen hätte. Vielmehr muss ein bestimmter Umgang in der Wissensproduktion angestrebt werden. Die Arbeit hat hierfür methodologische Strategien und methodische Techniken bereitgestellt (siehe [4]). Diese lassen sich wie folgt zuspitzen: Für die Analyse von gegenwärtiger Kulturproduktion und von Aspekten in anderen theoretisch-informierten Welten gilt es, eine eigene wissenschaftliche Problematisierung im besonderen Maße voranzutreiben. Dies ermöglicht nicht nur eine klare Abgrenzung gegenüber den Interessen und Problemen derjenigen sozialen Welten, die beforscht werden. Die eigene Problematisierung bietet zudem die Grundlage, um die theoretischen Kompetenzen der Akteur*innen ernst zu nehmen und zu nutzen. Unterscheidet sich die Problematisierung hingegen nicht von derjenigen der untersuchten sozialen Welt, so verharrt die wissenschaftliche Analyse womöglich in einem von zwei unproduktiven Zuständen: Bei der einen Möglichkeit würden vergleichbare Interessen durch die wissenschaftliche Position verfolgt, wie sie auch in der Kulturwelt vorhanden sind. Um sich trotzdem davon abzugrenzen und zu unterscheiden, dürfte die Analyse jedoch die theoretischen Kompetenzen der Akteur*innen nicht ernst nehmen. Deren Theorie-Informiertheit würde für den Forschungsprozess nicht genutzt. Die andere Möglichkeit, die ebenfalls unproduktiv bleibt, würde zwar das theoretische Wissen der Akteur*innen anerkennen. Da sich aber die Problematisierungen nicht unterscheiden, besteht die Gefahr, dass die Analyse etwas anstrebt, dass bereits im Rahmen der Kulturproduktion bedacht wird. Das theoretische Wissen der Akteur*innen würde daher lediglich von der wissenschaftlichen Analyse gespiegelt.

Erst eine konstant weiterzutreibende Problematisierung des wissenschaftlichen Interesses ermöglicht angemessene Analysen. Die vorliegende Arbeit hat diesen Weg verfolgt, indem sie nicht nur die Konstruktionsweisen von Qualitäten durch Akteur*innen betrachtete. Denn das entsprechende Interesse ist bereits in einer Kulturwelt vorhanden. Vielmehr sollten die Wie-Formen dieser Konstruktionsweisen analysiert werden, die sich aufgrund der Performativität der kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien ergeben. Obschon die Akteur*innen in der Empirie den zentralen Zugang zu diesen Konstruktionsweisen repräsentieren und theoretisches abstrahiertes Wissen hierfür liefern, so ging das Interesse der Arbeit über deren je eigene Positionen hinaus. Dies ermöglichte, die Produktionsweisen und weitere soziale Aspekte einer Kulturwelt in Bezug zu überindividuellen Prozessen und Strukturen zu sehen. Als Resultat dieser eigenen Problematisierung konnten sowohl gegenwärtige Ausprägungen von Kulturproduktion als auch gegenwärtige Aspekte von Gesellschaften allgemein analysiert werden.