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Das vorliegende Kapitel präsentiert die Ergebnisse der durchgeführten Untersuchung zur Performativität von kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien. Es wird erläutert, wie die theoretischen Konzepte die Qualitäten von Kulturproduktion verändern, indem sie deren Wertigkeiten instruieren und ermöglichen. Bevor konkret auf das Phänomen der Performativität eingegangen wird, beschreibt zunächst das folgende Unterkapitel [5.1] die Kulturwelt, die im Zentrum der empirischen Erhebung stand. Dies ist die sogenannte experimentelle, elektronische Musik, abgekürzt mit EEM. Deren Beschreibung orientiert sich an der Feldtheorie Pierre Bourdieus (1999). So wird die Kulturwelt als ein Bereich des Feldes der Musik präsentiert, der sich zwischen einer Kunstmusik und der elektronischen Tanzmusik positioniert. Ziel des Unterkapitels ist dabei weder eine theoretisch-vollständige noch eine empirisch-detaillierte Darstellung. Die feldtheoretische Abstraktion bietet vielmehr eine Variante, den Kontext des Phänomens der Performativität einzuführen, und zwar auf eine Weise, die weder die in der Kulturwelt selbst vorhandenen Beschreibungen nutzt noch die weiteren Details der Analyse vorwegnimmt.

Der Hauptteil des Kapitels widmet sich drei Situationen: [5.2] Mit der Situation der Intermediation wird zuerst aufgezeigt, wie die theoretischen Konzepte zu den verschiedenen Akteur*innen in der produzierenden Kulturwelt gelangen. Dabei wird nicht einfach ein bestimmtes Angebot an Theorie erläutert, das von einer wissenschaftlichen Disziplin bereitgestellt und von den kulturproduzierenden Personen im Sinne einer Nachfrage aufgenommen wird. Vielmehr wird verdeutlicht, wie die Verwendung der Konzepte einen Sinn für die Akteur*innen erhält. [5.3] Danach wird anhand der Situation der Theorieverwendung der eigentliche Performativitätsmechanismus geklärt. Es wird dargestellt, wie die vermittelten Theorien konkret von Akteur*innen aufgenommen sowie angewendet werden und wie sich dabei die Effekte der theoretischen Konzepte entfalten. Dabei werden sowohl verschiedene Effektstärken und unterschiedliche Effekte der Theorien aufgezeigt als auch eine allgemeine Wirkung verdeutlicht. [5.4] Mit der dritten Situation wird dann auf eine Vielzahl neuer Prozesse eingegangen, welche die Verwendung der Theorien der Kultur- und Sozialwissenschaften ermöglichen und sich als Folge der Performativität in einer Kulturwelt wie der EEM zeigen.

Neben der Präsentation der Ergebnisse aus der hauptsächlich untersuchten Kulturwelt wird in jedem der drei Unterkapitel ein Exkurs durchgeführt. Diese Exkurse gehen auf die soziale Welt des Designs [5.2.7], der Informatik [5.3.9] und des Tanzes [5.4.9] ein, um dortige Verwendungen von kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien zu diskutieren. Die Exkurse sind im Vergleich zur umfassenden empirischen Arbeit in der EEM nur bruchstückhaft, ermöglichen aber Folgendes: Grundsätzlich kann aufgezeigt werden, wie Performativität auch in anderen sozialen Welten erfolgt und eine Generalisierbarkeit der Ergebnisse wird deutlich. Die jeweiligen Konzeptualisierungen in Bezug auf die drei Situationen können zudem mit solchen aus anderen Kontexten abgeglichen werden. Nicht zuletzt helfen die Exkurse, einige Überlegungen aus dem Forschungsprozess explizit zu machen, indem begründet wird, warum die Wahl auf diese drei sozialen Welten gefallen ist.

5.1 Feldtheoretische Betrachtung der Kulturwelt

Die Kulturwelt EEM und deren Prozesse im Bezug auf die theoretischen Konzepte dienten als Ausgangslage und Startpunkt des theoretischen Samplings (siehe [4.3.1]). Zudem wird im weiteren Verlauf des Ergebniskapitels geklärt, wieso gerade diese Welt und deren Kulturproduktionen einen geeigneten Zugang zur Erforschung des Phänomens liefern (siehe [5.3.2]). Bereits vorab kann darauf verwiesen werden, dass die Erforschung der Verwendung der kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien im Bereich der Musik einen besonderen Vorteil bringen kann. Kulturproduktion meint hierbei sowohl die eigentliche Produktion von Musik, aber auch deren Distribution und Rezeption sowie Kritik und Kuration (d. h. die Organisation von Konzerten oder weiteren Veranstaltungen). Das Objekt der Kulturproduktion ist hier im besonderen Maße „offen“: Es benötigte eine Vielzahl von „Mitwirkenden“, um in dieser Welt zu existieren. Sowohl bei einer nicht durch Performativität beeinflussten Produktion als auch bei den hier im Zentrum stehenden Prozessen ist es eine Mannigfaltigkeit von Möglichkeiten, Bezugspunkten und Einschränkungen, die alle Musik mitbestimmen (vgl. Hennion 2015, S. 218; siehe [3.3]). Das Resultat der Kulturproduktion und dessen Bedeutung muss noch aktiver hergestellt werden als bei anderen Kulturwelten und ihren Medien (vgl. Born 1995, S. 19 f.; Frith 1999, S. 99 ff.). Gleichzeitig repräsentiert die EEM selbst keinen wirklichen Spezialfall in Bezug auf das Auftauchen der performativen Kulturproduktion (siehe [1.3]). Die Kulturwelt dient lediglich als umfangreichster Fall, von dem aus Vergleiche gezogen werden [5.2.7, 5.3.9 und 5.4.9].

Der Begriff „experimentell“ ist eine Selbstbeschreibung aus der Kulturwelt, die sowohl etabliert ist als auch immer wieder durch die Akteur*innen hinterfragt wird. In anderen wissenschaftlichen Analysen der EEM taucht ebenfalls der Begriff „experimentell“ auf (Demers 2010), während gleichzeitig andere Beschreibungen möglich sind: Die EEM wird aufgrund von bestimmen ästhetische Praktiken etwa als „Avantgarde“ der elektronischen Musik bezeichnet (Britton 2016; Ludewig 2019), während von anderen Autor*innen auch enger gefasste Genre-Begriffe wie „Post-Rock“ oder „Glitch“ verwendet werden, um spezifische Aspekte der EEM hervorzuheben (Hodgkinson 2004; Prior 2008). Die diversen Begriffe mögen suggerieren, dass es schwierig sein könnte, die Kulturwelt genau zu fassen. Die Begriffsproblematiken können aber mittels zweier Strategien umgangen werden: Anstelle einer klar abgegrenzten sozialen Welt, mit einer eindeutigen Zuordnung von Akteur*innen und Praktiken sowie der „richtigen“ Bezeichnung, kann der analytische Blick auf unterschiedliche Grade und Ebenen einer Beteiligung gerichtet werden (vgl. Crossley und Bottero 2015, S. 6). Die Bezeichnung der Welt selbst ist dann nur eine Formsache und nicht das eigentliche Interesse. Diese erste Strategie zur Umgehung der Begriffsproblematik wird in den folgenden Unterkapiteln [5.25.4] angewendet: Die Phänomene innerhalb der EEM, an denen verschiedene Akteur*innen in unterschiedlichem Ausmaß beteiligt sind, werden in Bezug zur Performativität betrachtet. Die Einführung der EEM im aktuellen Abschnitt wählt eine zweite Strategie: Die Beschreibung soll nicht über eine Begriffsdefinition, sondern in Anlehnung an eine Feld-Perspektive erfolgen (vgl. Bourdieu 1999; Prior 2008; Britton 2016; Schwegler i. E.; siehe [3.3.13.3.2]). Damit steht eine theoretische Logik der Beschreibung im Zentrum, die unabhängig von Kulturwelt eigenen und wechselnden Begriffen funktioniert.

In der EEM wird eine Musik produziert, verbreitet, aufgeführt und konsumiert, die zwischen zwei verschiedenen Bereichen vermittelt beziehungsweise diese mischt: Erstens beziehen sich die Akteur*innen in ihrer Praxis auf die Welt der elektronischen Tanzmusik und deren jeweilige Genres wie „House“ oder „Techno“ (vgl. Thornton 1995; Hesmondhalgh 1998; Butler 2006). Es handelt sich um eine mit diversen Instrumenten wie Synthesizern oder Samplern produzierte, repetitive Musik, die kaum auf Gesangselemente zurückgreift. Die Produzent*innen zielen vor allem darauf ab, dass ihre Musik von DJs in Klubs gespielt wird und ein Publikum dazu tanzt. Während einige Ausprägungen der elektronischen Tanzmusik ihre Anfänge bei sozial benachteiligten Gruppen in US-amerikanischen Großstädten fanden (Spring 2004), repräsentiert der Bereich heute einen global erfolgreichen Musikmarkt. Die Akteur*innen der Kulturwelt EEM beziehen sich in ihrer Praxis zweitens auf Musikgenres und Musikbereiche, die als „Kunstmusik“ bezeichnet werden können (Rutherford-Johnson 2017, S. 3; Fryberger 2019, S. 43): Bei der „akademisch-elektronischen Musik“, der „Elektroakustik“, der „Computermusik“ oder der „experimentellen Musik“ in einem weiteren Sinne geht es um komponierte oder zumindest geplante Stücke, die für ein sachkundiges Publikum in Konzertsälen oder vergleichbaren Settings aufgeführt werden (siehe auch Dean 2011). Dieser zweite Bereich nutzt teilweise ähnliche Produktionstechniken wie die elektronische Tanzmusik (vgl. Britton 2016, S. 69 f.), versucht damit aber vergleichsweise abstraktere klangliche Resultate zu erzielen (vgl. Kingsbury 1988; Born 1995). Die Position der EEM zwischen den zwei Bereichen zeigt sich darin, dass Praktiken und Aspekte von beiden verwendet und miteinander in Bezug gesetzt werden (vgl. auch Prior 2008, S. 307 ff.; Demers 2010, S. 6 ff.; Britton 2016, S. 63 ff.).

Die wichtigsten Manifestationen der Kulturwelt EEM finden sich in Westeuropa und insbesondere in den größeren Städten wie Berlin und London. Aber auch in Lissabon oder Warschau sind Ableger der Kulturwelt zu finden, wie etwa Festivals oder Veranstaltungsorte. Neben diesen eigentlichen Zentren finden sich diverse kleinere Szenen und gelegentliche Veranstaltungen in mittelgroßen Städten wie Lausanne in der Schweiz oder Graz in Österreich. Lokale Szenen und deren Schaffen ergänzen daher Events, die ein internationales Publikum ansprechen. In einem geografischen Sinne zeigt sich so ein für verschiedenste Kunstfelder typisches Merkmal, nämlich die internationale beziehungsweise translokale Organisation (vgl. Crane 2009; Fryberger 2019, S. 44 f.). Natürlich gilt diese geografische Mobilität keineswegs für alle Akteur*innen der EEM, sondern es können unterschiedliche Grade festgemacht werden: Ein Teil der Kulturwelt zeigt sich in einem translokal-aktiven Sinne, repräsentiert von reisenden Künstlerinnen oder Organisatoren. Ein translokal-passiver Teil machen diejenigen Akteur*innen aus, die Veranstaltungen in anderen Städten besuchen, ohne dort selbst aktiv beteiligt zu sein (gleichzeitig können diese Akteur*innen lokal durchaus aktiv sein). Schlussendlich zeigt sich ein vor allem lokaler Teil der Kulturwelt, sowohl im Sinne eines Publikums als auch als lokal-produzierende Akteur*innen, die sich der Internationalität und Translokalität der EEM bewusst sind, aber kaum zu den Veranstaltungen in anderen Ländern und Städten reisen.

Für die Beschreibungen des Habitus der Akteur*innen und deren Praktiken in Feld der Musik können einige Aspekte genannt werden: Für viele der an der EEM beteiligten Personen begann ihr Engagement in der ökonomisch erfolgreicheren, elektronischen Tanzmusik. Das heißt, die Akteur*innen lernen zuerst die „Klubkultur“ kennen (vgl. Thornton 1995; Rief 2009), sowohl als Hörerinnen und Tänzer als auch mit ersten eigenen produzierenden Tätigkeiten. Im Laufe ihres Engagements in der elektronischen Tanzmusik befassen sich die Akteur*innen dann mit den Vorstellungen der Kunstmusik. Genres wie „Ambient“ oder „Noise“ werden mehr und mehr Teil ihrer Präferenzen. Dies führt aber nicht nur zu symbolischen, sondern auch zu tatsächlichen Verbindungen zu den bereits erwähnten Bereichen der elektronischen Kunstmusik, deren Akteur*innen und Veranstaltungsorten (vgl. Haworth 2013, S. 188 f.; Britton 2016, S. 62). Mit der Verschiebung der Interessen geht oftmals ein starkes und explizites Diskursivieren der Musik einher: eine Vervielfachung der Interpretationsweisen, die genauso wichtig wird wie die musikalischen Praktiken (vgl. Britton 2016, S. 67; Jóri 2022). Und natürlich werden vorhandene Praktiken teilweise angepasst: Bei der Musikproduktion selbst werden die Formen der Tanzmusik mit abstrakteren Klängen ergänzt, oder anstelle von Tanznächten in Klubs werden Konzerte an diesen Orten veranstaltet.

Die bisher genannten Elemente wie die Mischung der beiden musikalischen Bereiche, die Translokalität und die Verschiebung der Interessen der Akteur*innen können nochmals aufgenommen werden, um die Rolle des symbolischen Kapitals und somit der dominanten Positionen im Feld zu klären. Die Akteur*innen im Besitz vom symbolischen Kapitel sind diejenigen, welche eine Mischung zwischen den beiden Musikbereichen etablieren können. Das heißt, sie heben Elemente der Kunstmusik in einem Stück der elektronischen Tanzmusik hervor oder integrieren Formen der Tanzmusik in abstrakteren Kunstmusikstücken. Das symbolische Kapital ermöglicht eine Konsekration der Mischung, also dass diese im Feld anerkannt wird. Die Rolle von symbolischem Kapital zeigt sich zudem hinsichtlich der erwähnten Translokalität der EEM: Dominante Akteur*innen sind diejenigen, die in andere Städte reisen, um dort aktiv zu sein, also Musik zu produzieren oder aufzuführen, Veranstaltungen zu organisieren und mehr. Danach verringert sich immer mehr das symbolische Kapital, von den translokal-passiven Akteur*innen zu denjenigen, die hauptsächlich lokal tätig sind. Die zuvor erläuterte Entwicklung im Habitus der Akteur*innen, die sich im Übergang von der elektronischen Tanzmusik zur Kunstmusik zeigt, ist eine Form, wie symbolisches Kapital generiert werden kann. Dies entspricht teilweise demjenigen Prozess, der von Pierre Bourdieu als die Entwicklung eines „reinen“ Blicks beziehungsweise einer „reinen“ Ästhetik bezeichnet wurde (Bourdieu 1993, S. 147 f., 1999, S. 174 ff.): Es erfolgt eine Verschiebung weg von einem Gebrauch der Musik für Tanz oder auch Rauscherfahrungen. Stattdessen rückt ins Zentrum des Interesses ein Spiel mit abstrakten musikalischen Formen als Selbstzweck. Durch den Fokus auf eine solche Ästhetik wird dann Anerkennung gewonnen.

Trotz der Verschiebung weg von den funktionalen Aspekten hin zur „reinen“ Ästhetik bleibt aber die elektronische Tanzmusik ein Bezugspunkt. Die Kulturwelt EEM verharrt in einer Zwischenposition: Die Entwicklung der reinen Ästhetik erfolgt nur teilweise, da auch die dominanten Positionen sich weiterhin auf die Aspekte der elektronischen Tanzmusik beziehen (vgl. Prior 2008, S. 306 f.). Die EEM bleibt also zwischen diesem eher ökonomisch dominanten Bereich und dem kulturell dominanten Bereich der Kunstmusik. Im Sinne einer schematischen Feldbetrachtung können sechs verschiedenen Positionen der EMM unterschiedenen werden: Neben (1) den symbolisch dominanten Positionen, die Mischungen zwischen elektronischer Tanzmusik und Kunstmusik vorgeben, sind dies (2) die mittleren Positionen von Akteur*innen: Sie folgen den bereits vorgegebenen Mischungen und reproduzieren sie. In dieser mittleren Position lassen sich die translokal-passiven oder lediglich lokal aktiven Akteur*innen festmachen. Darunter können diejenigen Positionen verortet werden, die neue Mischungen einbringen möchten und sich neu im Feld möchten, (3) die „Usurpatoren“. Drei weitere Positionen aus dem Feld der Musik sind dann an den Rändern der EEM auszumachen. Neben (4) der Kunstmusik und deren Akteur*innen können bei der elektronischen Tanzmusik auf der einen Seite (5) die erfolgreichen und dominanten Akteur*innen ausgemacht werden, die ähnlich translokale Eigenschaften aufweisen und an Veranstaltungen der EEM teilnehmen, und auf der anderen Seite (6) der dominierte Bereich der Tanzmusik als „Massenkultur“. Die Abbildung [Abb. 5.1] versucht, die Feldposition der EEM vereinfacht darzustellen.

Abb. 5.1
figure 1

(Quelle: Eigene Darstellung mit Bezug auf Bourdieu 2012, S. 68; vgl. auch Prior 2008, S. 308)

Felddarstellung der experimentellen elektronischen Musik

Ebenfalls verweist die Abbildung auf die Zwischenposition der EEM innerhalb des weiteren Feldes der Kulturproduktion und in Bezug auf die herrschenden politischen sowie ökonomischen Kräfte: So können gewisse Bereiche des Feldes der Musik wie die Kunstmusik als kulturell dominant angesehen werden und weisen eine Nähe zum weiteren Feld der Macht aus (bzw. zu dessen kulturellem Pol).Footnote 1 Dies zeigt sich etwa darin, dass die Bestrebung für eine Mischung der musikalischen Bereiche, die auch in der EEM erfolgt, oftmals von der Kunstmusik ausgeht und davon ermöglicht wird (vgl. Grebosz-Haring und Weichbold 2020, S. 62 f.). Weiter sind die Produzent*innen in diesem dominanten Bereich der Musik oftmals an staatlich-geförderte Institute angegliedert und erhalten diverse Mittel aus der Kulturförderung (vgl. Fryberger 2019, S. 43 f.). Sie sind daher nicht darauf angewiesen, dass ihre Werke (finanziell) erfolgreich auf dem Musikmarkt sind. Auch der Bereich der EEM erhält finanzielle Förderungen durch öffentliche Gelder und andere Institutionen, was dazu führt, dass die Akteur*innen teilweise unabhängig sind vom finanziellen Erfolg der Musikverkäufe oder Ticketeinnahmen (vgl. Britton 2016, S. 65). Die Fördermittel sind jedoch keineswegs so institutionalisiert wie in anderen dominanten Bereichen des Musikfeldes, etwa bei der „Klassik“ (vgl. Bull 2019, S. xxi f.; Ludewig 2019, S. 77). Aspekte der elektronischen Tanzmusik bleiben daher nicht nur in einem ästhetischen Sinne vorhanden: Auch die in der Tanzmusik dominantere ökonomische Logik wirkt weiterhin in der EEM. Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass in der Kulturwelt Musikverkäufe eine Rolle spielen können. Zudem sind Kooperationen mit wirtschaftlichen Akteur*innen wie bestimmten Marken üblich, was wiederum stärker dem ökonomisch-dominanten Pol des Feldes der Musik entspricht. Ein anderes Beispiel für diesen Pol wäre etwa der Bereich des „Hip Hop“, wo wirtschaftlicher Erfolg als legitim gilt, während die Verwendung staatlicher Fördermittel weniger üblich ist (vgl. Söderman 2015, S. 25). Eine letzte mögliche feldtheoretische Überlegung ist die Frage nach einer Dominanz der EEM im weiteren Feld der Kulturproduktion. Auch hier zeigt sich eine Zwischenposition der EEM: Der Bereich ist keineswegs so gesellschaftlich dominant wie die Kunstmusik oder „Klassik“ (und deren Institutionalisierung von Fördermitteln, Schulen und Ähnlichem). Die EEM kann allerdings oberhalb anderer Bereiche wie „Blasmusik“ und den dort präsenten Hobbyensembles eingeordnet werden (als Beispiel für einen Musikbereich, der in gewissen Ländern feldtheoretisch als „dominiert“ gilt, vgl. Dubois und Méon 2013).

Die in diesem Unterkapitel präsentierte Einführung in die Kulturwelt EEM ist nun in zweierlei Hinsicht unvollständig, ohne dass diese Unvollständigkeit ein wirkliches Problem darstellt. Einerseits müssten einer Feldtheorie folgend weitere Aspekte beschrieben oder hier skizzierte Aspekte genauer betrachtet werden (siehe hierfür auch Schwegler i. E.). So wurden unter anderem die Verteilung von weiteren Kapitalsorten neben dem symbolischen Kapitel nicht erfasst, der Habitus der Akteur*innen nur grob dargestellt und die ersichtlichen Prozesse der Distinktion nicht beschrieben. Diese feldtheoretisch relevanten Aspekte werden an den passenden Stellen der folgenden Unterkapitel vorgestellt (siehe insbesondere [5.2.4–5]). Andererseits und unabhängig von einer theoretischen Perspektive ignoriert die Einführung der EEM einen Großteil der Komplexität der Kulturwelt. Doch wieder: Viele dieser Details werden über den weiteren Verlauf des Kapitels im Zusammenhang mit dem Phänomen der Performativität verdeutlicht. Dennoch werden einige Aspekte der EEM gar nicht behandelt. Die vollständige Darstellung der Kulturwelt ist aber nicht das Ziel dieser Arbeit. Die EEM wird nämlich lediglich als Fall aufgefasst, mit dem die Verwendung der kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorie durch die gesellschaftlichen Akteur*innen nachvollzogen werden kann, um so dieses Phänomen allgemeiner zu beschreiben (und nicht die Kulturwelt selbst).

5.2 Die Situation der Intermediation der Theorien

5.2.1 Eine neue Problematisierung von Kulturproduktion

In diesem Unterkapitel steht die Situation der Intermediation im Zentrum. Sie erläutert, welche theoretischen Konzepte aus den Kultur- und Sozialwissenschaften wie in eine Kulturwelt gelangen und warum deren Verwendung für die verschiedenen Akteur*innen einen Sinn erhält. Anstatt anzunehmen, dass bereits ein Vorhandsein der Konzepte ausreichen würde, damit Performativität auftritt, wird über die Vorstellung der Intermediation ein aktiver Prozess der Vermittlung untersucht. Dies bricht mit der Idee von Angebot an und Nachfrage nach Theorien: Intermediation beschreibt vielmehr, warum die theoretischen Konzepte überhaupt eine Relevanz für die Akteur*innen erhalten können. Diese Relevanz wird in verknüpften Etappen hergeleitet, während gleichzeitig die Konzepte auf bestimmte Art und Weise bereitgestellt werden und deren Verwendung nahegelegt wird. So erfolgt eine „Übersetzung“ der Theorien (vgl. Callon 2006; Latour 2006; siehe [3.3.5 und 5.3.3]). Die Situation und die darin zu findenden Prozesse werden in Anlehnung an die Überlegungen zu Rekrutierungsformen (von Personen in Organisationen) und Intermediären der Économie des conventions (EC) gefasst (Diaz-Bone 2018a, S. 105 ff.). Mit der Situation der Intermediation soll ein permanent wirksamer Rahmen beschrieben werden (Bessy und Eymard-Duvernay 1997; Bessy und Chauvin 2013), in welchem die theoretischen Konzepte ihren Sinn für Kulturproduktion erhalten und so später performativ wirken können.

Zentral für die Vermittlung von Theoriekonzepten sind die sogenannten „Studies“. Damit sind spezifische Wissenschaftsbereiche und Forschungsnetzwerke zur Kulturproduktion gemeint, die sich in den letzten 40 Jahren entwickelt haben (Moebius 2012). In Bezug auf Musik finden sich diverse solche Bereiche und Netzwerke, wie etwa die International Association for the Study of Popular Music, die Sound Studies oder auch die Urban Music Studies. Ähnliche und sich durchaus überschneidende Forschungsbereiche finden sich in diversen anderen Zweigen der Kulturforschung (siehe für das Kunstfeld Gaugele und Kastner 2016a). Während in anderen Themenfeldern der Begriff „Studies“ wohl keine einheitliche Herkunft markiert, steht dessen Verwendung bei der Erforschung von Kultur in Verbindung mit den Ansätzen der Cultural Studies (Dorer et al. 2021). Trotz dieser Unterscheidung zeigen sich aber vergleichbare Effekte auch in anderen Themenbereichen.Footnote 2 Die Entwicklungen um die Studies ergänzen und vertiefen die vorläufigen Erklärungen zur Verbreitung der Theorien aus den Kultur- und Sozialwissenschaften, wie etwa die (quantitative) Zunahme von Bildungsabschlüssen, den „Turn to the Social“ von gewissen Disziplinen und die Verwendung der theoretischen Konzepte als Lebensstilressource (siehe [2.3]). Diese Forschungsbereiche stehen nämlich zwischen einem wissenschaftlichen Feld und den Feldern der Kulturproduktion und überbrücken dabei verschiedene für die vorliegende Arbeit relevante Bereiche: die „klassischen“ Kultur- und Sozialwissenschaften und deren verschiedene Studiengänge (etwa Medienwissenschaften), die Ausbildung an Kunst- und Musikhochschulen und die eigentlichen Kulturwelten.

Die eher neueren Forschungsbereiche der Studies funktionieren bis zu einem gewissen Grad fächerübergreifend und nehmen auch Perspektiven auf ihren jeweiligen Gegenstand ein, die unüblich sind in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Neben der Interdisziplinarität und einer damit einhergehenden Vielfältigkeit zeichnet sich die Perspektive der Studies auf Kultur durch einige gemeinsame Eigenschaften aus (Moebius 2012, S. 8 ff.). Eine solche Eigenschaft ist etwa die Aufmerksamkeit für soziale Praktiken und ein Ansatz, der nicht nur Strukturen von Organisationen, Institutionen oder allgemeiner die Sozialstruktur betrachtet, sondern auch nahe an den Körperlichkeiten und den Artefakten bleibt. Die Regulierung von den letzten beiden Aspekten durch strukturelle Merkmale wird dabei nicht von vornherein als festgelegt betrachtet. Soziale Praktiken sind für die Studies gekennzeichnet durch Handlungsmöglichkeiten: Es sind schöpferische, Wandlung initiierende oder subversive Prozesse (Moebius 2012, S. 8). Weiter geht damit ein besonderer Fokus auf Medialitäten einher und Kulturproduktion wird in ihren „materiellen Settings“ analysiert (Moebius 2012, S. 9). Nicht zuletzt zeichnet die Studies eine sozial- und kulturkritische Haltung aus. Sie zeigt sich etwa in den Resultaten der Forschungen, die kulturelle Hegemonien und damit einhergehende Prozesse sozialer Exklusion hervorheben (Moebius 2012, S. 8).

Die neuen Forschungsbereiche sind nicht zuletzt das Resultat einer Kritik an bisherigen Formen von Disziplinen wie der Musikwissenschaft oder der Kunstausbildung (Gaugele und Kastner 2016b). Deren ursprüngliche, moderne Formen erlebten gleich dreifach eine Erschütterung des bis dato vorherrschenden Selbstverständnisses: (1) Zunächst wurden bisherige Methoden, Wertvorstellungen, Autoritäten und „Wahrheiten“ dieser Disziplinen dekonstruiert. Bei den Musikwissenschaften war dies etwa die „reine“ Musikalität in der Analyse und eine „Unabhängigkeit“ der westlichen klassischen Musik von gesellschaftlichen Faktoren (sowie der sich daraus reproduzierende Kanon an musikalischen Werken). Gerade für diese Erschütterung waren und sind diverse sozialwissenschaftliche Forschungen verantwortlich, indem sie erläutern, wie die erwähnten Aspekte sozial mediatisiert sind und keine Sicherheiten mehr liefern (vgl. Cook und Everist 2001; siehe etwa Bull 2019). (2) Dann wurde über vergleichbare Dekonstruktionen die Relevanz einer Disziplin wie Musikwissenschaft für die Gesellschaft selbst angezweifelt (vgl. Locke 2001): Dieses Anzweifeln der Relevanz stand insbesondere im Zusammenhang mit der Auswahl der musikalischen Objekte, die lange im Zentrum der Untersuchungen standen, wie beispielsweise das Genre der klassischen Musik (Samson 2001). Dabei wurde nicht nur die Auswahl selbst mehr und mehr als Problem dargestellt, sondern es wurden gleichzeitig die Leerstellen der bisherigen Selektion von Forschungsobjekten deutlich (bzw. dass diese vernachlässigten Objekte jeweils mit einem musikethnologischen Blick der Fremdheit betrachtet wurden). Der Bezug der Disziplin zur vorherrschenden gesellschaftlichen Realität wurde immer undeutlicher beziehungsweise die aus diesem Bezug resultierenden Verzerrungen immer deutlicher. (3) Zuletzt wurde klar, dass die Disziplinen und deren Ausbildungen selbst ebenfalls Teil der sozioökonomischen Entwicklungen der letzten vier Jahrzehnte waren und sind (vgl. Gaugele und Kastner 2016b, S. 4). Auch die Musikwissenschaften sind so keineswegs unabhängig von einem kulturellen und kreativen Kapitalismus (siehe [2.2.2]). Denn sowohl die künstlerische Praxis als auch eine damit erfolgende Wissensproduktion stehen im Zusammenhang mit den sozioökonomischen Entwicklungen allgemein oder auch Wertschöpfungsstrategien im Besonderen (vgl. Boltanski und Esquerre 2018, S. 587 f.).

Neben der Kritik von „klassischen“ Disziplinen sind (medien-)technische Entwicklungen ein weiterer Aspekt, vor dessen Hintergrund die Betrachtung der Studies erfolgen muss. Dies trifft in besonderem Maße in Bezug auf Technik oder Klang und Forschungsbereiche wie die Sound Studies zu: Mit den Entwicklungen der elektronischen Klangspeicherung und Klangbearbeitung sowie der massenhaften Verbreitung dieser Technologien sind völlig neue Möglichkeiten entstanden. Diese neuen Möglichkeiten werden von den Studies in verschiedenen Zusammenhängen als Forschungsaspekte aufgefasst:

Klang ist nicht mehr nur Klang […]. Die Folgen der zunehmenden, neuen Möglichkeiten der Klangerzeugung, -speicherung und -wiedergabe sind enorm. Klang wird auf eine ganze Reihe neuer Arten und Weisen materiell vermittelt. Damit wird er „dinglicher“: Eine Ware, die auf iTunes gekauft und verkauft werden kann; ein Gegenstand, den man tragen kann, wie bei persönlichen Stereoanlagen. Klang wird zu einem Mittel, um Waren zu verkaufen und zu vermarkten. Klang kann nicht nur gehört, sondern auch gemessen, reguliert und kontrolliert werden. Er kann sogar zu einem wichtigen Bestandteil des politischen Dissenses werden, wie beim subversiven Radiohören und der Herstellung von Tonbändern. (Quelle: Materialsammlung)Footnote 3

An dieser Schnittstelle zwischen den neuen technologischen Entwicklungen und der zuvor erläuterten Kritik an bisherigen Forschungsansätzen führen die Studies eine neue „Problematisierung“ (Foucault 1996, 2005) von Kulturproduktion ein. Diese neue Problematisierung fügt weitere Aspekte zu einem Diskurs um Kulturproduktion hinzu. Das heißt, dass neue und unterschiedliche Dinge zusammengefasst, gekennzeichnet, analysiert und behandelt werden (vgl. Foucault 1996, S. 179), um die Realität von Musik zu bestimmen. Sie werden zu einem Problem, um das sich Akteur*innen im Zusammenhang mit Musik kümmern müssen. Während vor der neuen Problematisierung etwa ästhetische Bewertungen selbst, technische Aspekte oder eine deskriptive historische Abfolge von Prozessen verhandelt wurden, kommen neu soziale Faktoren als mitbestimmende Aspekte hinzu.Footnote 4 Diese sozialen Faktoren werden als weitere Tatsachen oder Fakten im Diskurs um Musik hinzugezogen und ergänzen die bisher gängigen Arten und Weisen, die Realität der Kulturproduktion zu bestimmen. Der folgende Ausschnitt aus der Ankündigung einer Konferenz macht diese neue Problematisierung in Bezug auf Künstler*innen-Biografien deutlich. Im Zitat wird danach gefragt, wie eben eine solche Biografie verfasst werden kann in Anbetracht der neuen Aspekte, die durch die Studies und deren Problematisierung eingeführt wurden. Im Zitat wird zudem eine Kritik deutlich an zuvor gängigen Arten und Weisen des Schreibens von Biografien:

Obschon das Schreiben von Biografien als eine pragmatische Aufgabe scheint, führt sie zu allgemeinen Fragen des biografischen Schreibens in der Musikwissenschaft. Es scheint, dass die Haltung gegenüber dem Genre der Biographie als traditionellem Teil der historischen Musikwissenschaft immer noch einen Unterschied zwischen dieser Teildisziplin und dem Bereich der Popular Music Studies markiert. Letztere konzentrieren sich eher auf soziologische, anthropologische und medienwissenschaftliche Ansätze. Wenn biografisches Schreiben jedoch auch für die Studies relevant sein soll, dann stellt sich die Frage, inwieweit es von dem kritischen Diskurs profitieren kann, der dank dieser neuen Musikwissenschaften entwickelt wurde. Es gilt die Gefahren der modernen Mythenbildung, der heroischen Narrative und der kolonialen, eurozentrischen Perspektiven zu vermeiden, die in traditionellen Biografien häufig auftreten. (Quelle: Materialsammlung)

Bei der neuen Problematisierung und den damit eingeführten Aspekten für einen Diskurs um die Realität von Musik können zwei Seiten beziehungsweise Richtungen unterschieden werden: Einerseits wird die Bedeutung des Sozialen für die Ausprägung von Klängen ins Zentrum gerückt. Diese erste Seite folgt einer Einsicht, dass Klang und die Ontologie von Kulturproduktion grundsätzlich kontingente Objekte seien. Bei der Auffassung der Kontingenz werden dann die genauen Ausprägungen von Musik auf soziale Faktoren zurückgeführt, anstatt die Erklärung in den Klängen festzumachen und deren reine Eigenlogik zu betonen. Dies wird im letzten Zitat deutlich, wenn das Schreiben von Biografie dahingehend problematisiert wird, dass die Leistungen von Personen im Schaffen von Musik nicht einfach herausgehoben werden können. Vielmehr soll dies so zu verhandelt werden, dass damit beispielsweise nicht eine koloniale und eurozentrische Perspektive reproduziert wird. Rassismus wird als sozialer Faktor in den Diskurs um die Realität von Musik miteinbezogen.

Andererseits wird der Zusammenhang zwischen der Kontingenz und den sozialen Aspekten auch umgedreht, indem die Bedeutung von Klang für das Soziale hervorgehoben wird. Hierbei verweisen Ansätze aus den Studies darauf, dass bestimmte Aspekte von sozialen Faktoren sich auf besondere Art und Weise im Zusammenhang mit Klang und dessen Ontologie zeigen. Im Rahmen von Kulturproduktion werden die sozialen Faktoren also besonders deutlich oder lassen sich im Zusammenhang mit Musik gar ändern. Ein solches Deutlichwerden oder Ändern von sozialen Faktoren gilt es ebenfalls als Teil der Realität von Musik zu beachten. Das folgende Zitat aus der Selbstbeschreibung eines Akteurs der Studies verweist auf diese zweite Seite der neuen Problematisierung. Die Beschreibung hebt hervor, dass mit den Forschungen des Akteurs zu Klängen auch Aspekte in verschiedenen anderen sozialen Bereichen außerhalb der eigentlichen Kulturproduktion behandelt werden. Im Zitat wird dann auch gleich einer derjenigen sozialen Faktoren angeführt, die anscheinend über Aspekte der Klangproduktion verdeutlicht werden können, nämlich „soziale Exklusion“:

Als Forscher trägt [der Akteur] zu den neuen Entwicklungen desjenigen Wissensbereichs bei, der durch Sound Studies und Klangkunst geschaffen wurde. Er widmet sich der unsichtbaren und mobilen Dimension von Kunst und Alltag, um zu Erkenntnissen zu gelangen, die wiederum neue Fragen formulieren und neue Antworten liefern können für die dringlichen Probleme in den Bereichen der Umwelt und des Klimas, des Gesundheitswesens, im Bildungsbereich und bei sozialer Exklusion. (Quelle: Materialsammlung)

Anhand dieser neuen Problematisierung lässt sich nun die zentrale Rolle der Studies für die Intermediation der theoretischen Konzepte aufzeigen. Unabhängig von der Richtung der neuen Problematisierung des Zusammenhangs von Klang und dem Sozialen sind nämlich die kultur- und sozialwissenschaftliche Theorien zentral: Sie beziehen die sozialen Faktoren als neue Aspekte der Realität einer Kultur mit ein.Footnote 5 Die theoretischen Konzepte streichen heraus, dass Klang kontingent und damit offen für soziale Interpretation ist, wie dies etwa im Rahmen der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) sowie deren Ansätzen zur Wissenschafts- und Technikforschung erfolgt.Footnote 6 Andere Theorien verdeutlichen wiederum stärker die zweite Seite der Problematisierung und dass sich gesellschaftliche Aspekte anhand von Klängen aufzeigen oder gar verändern lassen. Dies wird etwa bei neueren Arbeiten von Tia DeNora mit Bezug auf die Theorien des Soziologen Theodor Adorno deutlich (DeNora 1992, 2000; vgl. Born 2017, S. 44).Footnote 7 Die neue Problematisierung entsteht dabei nicht nur durch die kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien; sie schafft auch gleichzeitig die Möglichkeit, dass Theorien zum Tragen kommen. Theorien etablieren soziale Faktoren als Teil eines Diskurses und ebenfalls wird der Umgang mit Theorien durch die Problematisierung von sozialen Faktoren bedingt. So entsteht ein Verwendungszusammenhang, in dem die kultur- und sozialwissenschaftlichen Konzepte wirken können (vgl. Evers und Nowotny 1989, S. 357; Lau 1989). Ohne theoretische Konzepte gibt es diese Problematisierungen nicht – und ohne die Problematisierungen machen die theoretischen Konzepte keinen Sinn.

Die neue Problematisierung ermöglicht daher eine Theorieverwendung in den sogenannten Studies. Diese Veränderungen erfolgen allerdings nicht nur im eigentlichen wissenschaftlichen Feld, also in bestimmten Bereichen der Musikwissenschaft. Vielmehr etabliert sich diese Problematisierung im kulturproduzierenden Feld selbst. Mit ihren Forschungsansätzen bleiben die Studies nahe an den Prozessen sowie Settings der Kulturwelten und bieten normative Positionen für Aspekte der Kulturproduktion. So werden beispielsweise bei der Erläuterung der Kontingenz von Klang auch detaillierte Fragen von der Produktion miteinbezogen, während die Relevanz sozialer Faktoren etwa in Bezug auf Musikausbildung erläutert und Veränderungsvorschläge abgegeben werden. Dass die Perspektive der Studies eine Relevanz für die kulturproduzierenden Akteur*innen besitzt, kann an Beschreibungen von Akteur*innen aus der Welt der EEM verdeutlicht werden: Eine Musikerin erläuterte etwa, wie die Arbeiten des Sound Studies Vertreters Michael Bull zum iPod-Hören (2007) „in ihre Arbeit einfließen“ (Quelle: Feldnotizen). Um seine Aufnahmetechnik beschreiben zu können, zitierte ein anderer Musiker ein Kapitel zu Fragen von Klang im urbanen Raum eines weiteren Vertreters dieser Studies, nämlich John Bingham Hall (2020).Footnote 8 Dass die Perspektive der Studies Anklang findet, zeigt sich aber auch informell sowie allgemein, wenn etwa eine weitere Musikerin (BF)Footnote 9 im Gespräch erwähnte: „Da ist ja diese wirklich interessante Sache, die [die Vertreterin der Studies] mir bei einer Gelegenheit mal erklärt hat“ (Quelle: Interview).

Die Einführung der soeben erläuterten Problematisierung in die Produktionswelten von Kultur kann als eine neue allgemeine Position aufgefasst werden. Sie tritt neben die beiden üblichen Positionen, nämlich eine wissenschaftliche Problematisierung der Kulturwelt durch die Wissenschaft auf der einen Seite und die eigenen Problematisierungen gemäß dem jeweiligen Feld auf der anderen Seite. Dies verweist darauf, dass die Akteur*innen in den Welten über eine besondere kritische Kompetenz verfügen (Boltanski 2010). Indem die sozialen Faktoren thematisiert und damit einhergehend die theoretischen Konzepte der Kultur- und Sozialwissenschaften auf Kulturproduktion bezogen werden, erleben die gesellschaftlichen Akteur*innen nämlich eine soziologische Aufklärung (vgl. Schäfers 2019, S. 5): Die Selbstverständlichkeit des Sozialen wird hinterfragt. Kulturproduktion ist damit nicht mehr etwas, was von „in den Sphären der Illusion versunkenen gewöhnlichen bzw. Alltagsmenschen“ gemacht wird (Boltanski 2010, S. 45). Vielmehr erleben die Akteur*innen die neue Problematisierung als etwas, dem sie sich selbst ebenfalls widmen. Im folgenden Zitat beschreibt eine Interviewpartnerin (DA), die an der Organisation von Veranstaltungen in der EEM beteiligt war, indirekt die neue Relevanz der Kultur- und Sozialwissenschaften. Sie erläutert nämlich, dass die Musikwissenschaften in einem klassischen Sinne eben nicht mehr ausreichen würden: „Mit dem GesprächsformatFootnote 10 des Festivals, da wollen wir mit Musik nachdenken über – klar auch über musikalische Praxis und Ästhetiken, aber vor allem eben auch über das außerhalb der Musik: Gesellschaft. Deswegen braucht man in dem Moment auch nicht mehr Musikwissenschaften. Ist doch klar“ (Quelle: Interview). Die Trennung zwischen Wissenschaftler*innen und Kulturproduzent*innen werden dabei immer unschärfer und die Perspektive der Studies sowie eine damit einhergehende, kritische Kompetenz wird in der Kulturwelt selbst etabliert. Die neue Problematisierung ist ein erster Schritt, damit eine Performativität von kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien stattfinden kann.

5.2.2 Die „Studies“ als Intermediäre

Der vorherige Abschnitt erläuterte unter anderem, dass die Studies aufgrund der Konzeptualisierung ihrer Forschungsansätze nahe an Kulturwelten bleiben und so die neue Problematisierung auch in die Kulturproduktion herantragen. Diese Nähe zeigt sich nicht nur in einem konzeptionellen Sinne, sondern auch als eine soziale Nähe der verschiedenen Akteur*innen und eine physische Nähe in verschiedenen Kontexten. Sie führt immer wieder zu Überschneidungen mit einer Kulturwelt wie der EEM. Dies unterscheidet die Studies (zumindest teilweise) von den klassischen Disziplinen aus den Kultur- und Sozialwissenschaften, während aber die Forschungsbereiche gleichzeitig die theoretischen Konzepte dieser Disziplinen anwenden. Ein von der Nähe der Studies ausgehender Einfluss auf die Kulturwelt ist durchaus ein bewusstes Anliegen, da sie sich als kritisches und politisches Projekt verstehen, das eine intervenierende Praxis anstrebt (vgl. Gaugele und Kastner 2016b, S. 2; Moebius 2012, S. 9). Die Forschungsergebnisse sollen im Feld präsentiert werden und dort etwas verändern können: Sie sollen beispielsweise interdisziplinäre Betrachtungen von Kulturproduktion fördern, vorhandene Hegemonien hinterfragen oder einen „Turn“ hin zu Materialitäten als etwas einführen, das für die Akteur*innen relevant sein soll. Neben diesen sehr bewussten Anliegen ist die Vermittlung der neuen Problematisierung selbst eher als ein nicht intendierter Effekt aufzufassen (Merton 1936). Mit der nicht intendierten Etablierung der neuen Problematisierung erfolgt wiederum eine Vermittlung der Theorie in die Kulturwelt. Im Folgenden werden verschiedene Effekte im Zusammenhang mit dieser Nähe beleuchtet, welche die Vermittlung ermöglichen.

Mit ihrer Forschung, den Veröffentlichungen und weiteren Aktivitäten etablieren die Studies einen bestimmten Kanon von Texten und wenden die darin enthaltenen Konzepte auf Aspekte der Kulturproduktion an. Hierzu gehören sowohl grundlegende kultur- und sozialwissenschaftliche Ansätze, wie die Konzepte von Theodor Adorno, W. E. B. Du Bois oder Michel Foucault, als auch neuere Ansätze von Soziolog*innen wie Tia DeNora, Les Back oder Sarah Thornton. Dabei sind allerdings die Theorien und Texte der Kultur- und Sozialwissenschaft nicht die einzigen Bezüge. Zum Kanon gehören darüber hinaus psychologische Arbeiten oder geisteswissenschaftliche Konzepte von Martin Heidegger, Edward Said, Sigmund Freud, Jacques Lacan und weiteren Autor*innen. Insbesondere hinsichtlich der grundlegenden theoretischen Ansätze finden sich dabei immer wieder dieselben Bezüge und der Kanon weist eine Beständigkeit auf.Footnote 11 In den untersuchten Fällen zeigten sich sowohl in verschiedenen Readern und Sammelbänden der Studies als auch in der Kulturwelt EEM immer wieder dieselben theoretischen Bezüge (siehe für eine Übersicht [Tab. 5.1] in [5.4.4]). Trotz der Interdisziplinarität des Kanons erfolgt gleichzeitig eine Form der Abgrenzung und Texte können durchaus als unpassend kritisiert werden. Die Interdisziplinarität scheint hierbei nicht etwa das Hinzuziehen von immer neueren theoretischen Ansätzen zu ermöglichen, sondern eine Offenheit auch einzuschränken und eher eine Repetition zu bedingen. Dies kann dazu führen, dass Teile der veröffentlichten Forschungsliteratur der Kultur- und Sozialwissenschaften sowie neuere Konzepte ignoriert werden.Footnote 12 Gleichzeitig – und dies ist der eigentliche Mechanismus – etabliert der Kanon in seiner Repetition und dessen beständiger Anwendung auf Aspekte einer Kulturwelt eine Verbindung der Texte zur Kulturproduktion. So fragte etwa eine Person aus der EEM nach der Bekanntgabe einer Neuauflage des Buches Audio culture (Cox und Warner 2017) Folgendes: „Wie sehr brauche ich denn ein formelles Verständnis von Derrida, Foucault oder Lacan, um das überhaupt lesen zu können?“ (Quelle: Materialsammlung). Hierauf antwortete der von der Frage angesprochene, beteiligte Autor, dass das bei diesem Buch nicht unbedingt notwendig sei. Obschon er das „Verständnis“ dieser Texte nicht voraussetzt, scheinen aber sowohl für den Autor als auch für die fragende Person die erwähnten Theoretiker selbstverständliche Bezugspunkte für die Musik zu sein.

Über den Kanon der Studies kann ein erster Effekt im Zusammenhang mit der neuen Problematisierung und den Theoriebezügen hervorgehoben werden. Mit der Repetition der Texte entsteht nicht nur ein immer deutlicherer Bezug zur Kulturproduktion, sondern gleichzeitig werden die disziplinären Grenzen zwischen verschiedenen Ansätzen immer unschärfer: Bücher werden teilweise unabhängig ihres disziplinären Ursprungs demselben Bereich oder eben Kanon zugeordnet. Das Vermischen dieser Grenzen wird dadurch ermöglicht, dass die Studies einen möglichst vielfältigen Blick auf den gemeinsamen Bezugspunkt suchen, also auf „populäre Musik“ oder auf „Klang“. Was dabei nun kultur-, sozial-, geistes- oder musikwissenschaftlich Literatur ist, oder was womöglich überhaupt (k)ein wissenschaftlicher Text ist, wird immer undeutlicher (vgl. Wingens und Fuchs 1989, S. 212).Footnote 13 Im empirischen Material aus der Kulturwelt war es dabei keineswegs nur so, dass gewissen nicht wissenschaftlichen Werken ein Status als kultur- und sozialwissenschaftlicher Text zugewiesen wurde. Gerade auch der umgekehrte Fall trat auf: EEM-Akteur*innen sprachen Texten deren Status als wissenschaftliches Werk ab. Unabhängig von einer klaren Zuweisung tauchen die verschiedenen wissenschaftlichen (oder auch literarischen) Texte so nebeneinander in Bezug auf Kulturproduktion auf. Dies erfolgte in diversen Texten, bei Vorträgen und Diskussionen oder in informellen Gesprächen beziehungsweise in den Interviews. Dasselbe Phänomen der Vermischung findet sich auch konkret in den Bibliotheken von Universitäten und Fachhochschulen (obschon der entsprechende Effekt nicht von den Studies selbst ausgehen mag). Unter Schlagworten zu „Musik“ fanden sich dort in den Bücherregalen die Arbeiten aus den Studies neben musikwissenschaftlichen sowie soziologischen Büchern.

In der Vermischung von Disziplinen werden kultur- und sozialwissenschaftliche Bezüge eingeführt, ohne dass dies explizit gemacht wird. Gleichzeitig bleibt aber der Bezug zur Kulturwelt sehr deutlich. Damit wird die Etablierung der Problematisierung und Vermittlung der Theorien durch eine Gleichsetzung ermöglicht. Der Kanon und die darin auftretende Gleichsetzung zeigte sich dann auch in den Bücherregalen von Akteur*innen der EEM: Dort fanden sich ebenfalls dieselben Werke aus dem Kanon der Studies (und eine damit einhergehende Vermischung der Disziplinengrenzen). Die drei Fotos von Bücherregalen aus Wohnungen von Akteur*innen [Abb. 5.2, 5.3 und 5.4] versuchen dies exemplarisch darzustellen: Die abgebildeten Zahlen 1 und 2 heben die gleichen Bücher hervor; die Zahl 3 repräsentiert eine Veröffentlichung der Studies, die sich im Regal zwischen verschiedenen Künstler*innen-Biografien befindet; die Zahlen 4 markieren schließlich verschiedene grundlegende, theoretische Texte der Kultur- und Sozialwissenschaften.Footnote 14

Abb. 5.2
figure 2

(Quelle: zur Verfügung gestellt von Resident Advisor, eigene Darstellung)

Bücherregale von drei EEM-Akteur*innen, Foto 1

Abb. 5.3
figure 3

(Quelle: Materialsammlung, eigene Darstellung)

Bücherregale von drei EEM-Akteur*innen, Foto 2

Abb. 5.4
figure 4

(Quelle: Materialsammlung, eigene Darstellung)

Bücherregale von drei EEM-Akteur*innen, Foto 3

Die Überschreitung von disziplinären Grenzen, die Vermischungen und die daraus folgende Gleichsetzung wird nicht nur in den Texten deutlich, sondern auch an den Akteur*innen der Studies selbst. Die auftretenden Vermischungen bei Personen lassen sich in zwei Weisen betrachten: Auf der einen Seite treten die Wissenschaftler*innen aus den Studies nicht nur als Autor*innen auf, sondern auch als aktive Teilnehmer*innen im Feld. In den untersuchten Fällen tauchten sie als Musikerinnen oder Kuratoren auf, sie schrieben Texte für Medien in einer Kulturwelt oder waren Fans bestimmter Genres und befreundet mit den Musiker*innen. Im Sinne eines pluralen Habitus (Lahire 2011a; [siehe 3.2]) sind Akteur*innen der Studies sowohl im Feld der Kulturproduktion als auch im wissenschaftlichen Feld tätig und verfolgen Interessen in beiden Bereichen. Auf der anderen Seite finden sich im Rahmen der Studies auch hauptsächlich als Musiker*innen tätige Akteur*innen. In den untersuchten Fällen nahmen Musiker*innen an den Konferenzen teil oder gaben Konzerte bei den Veranstaltungen der Studies. Darüber hinaus trugen sie zu den Publikationen der Forschungsbereiche bei. Der oben erwähnte Autor aus dem Buch Audio Culture war ebenfalls erfolgreicher Musiker in der EEM und schrieb für eine Neuauflage des Sammelbandes ein Kapitel. Diese Praxis, dass wichtige Feldakteur*innen aus der Kultur ebenfalls Texte zu solchen Werken beitragen, mag nicht wirklich ein neues Phänomen sein. Als neuer Effekt der Studies zeigt sich aber, dass die Musiker*innen als Autor*innen in den Publikationen direkt neben kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien gleichwertig positioniert werden.

Durch die Studies ergeben sich so immer wieder sozial durchmischte Interaktionsbezüge (Lahire 2015, S. 63), im Rahmen derer die neue Problematisierung und die Theorien vermittelt werden. Auch konkrete Orte und Texte der Kulturwelten werden zu solchen Bezügen. Die Akteur*innen aus den Studies wurden angefragt, sich an Publikationen in Kulturwelten zu beteiligen oder an Gesprächsformaten von Festivals teilzunehmen. Bei Letzterem hielten sie Vorträge, beteiligten sich an Diskussionen oder moderierten diese Formate. So wird nochmals eine Relevanz der Studies für die Produktionsfelder deutlich, da sie das Diskursivieren der Kulturproduktion direkt mit beeinflussen können und dabei die Problematisierung und die Theoriekonzepte vermitteln. Gleichzeitig erfolgt in diesen sozial durchmischten Interaktionsbezügen wiederum eine Gleichsetzung; hier nun der verschiedenen vortragenden Akteur*innen, da auf den gleichen Bühnen sowohl Musiker*innen (und weitere produzierende Akteur*innen) als auch die Wissenschaftler*innen auftraten. In der Interaktion der Studies und der Kulturwelten entwickeln sich Orte, an denen eine besondere Nähe herrscht und starke Durchmischung erfolgt und immer Bezug genommen wird auf die theoretischen Konzepte aus den Kultur- und Sozialwissenschaften.

Neben solchen Vermischungen zeigt sich ein weiterer Effekt in der Betrachtung der Kulturproduktion durch die Studies, der die Anwendung von Theorien als sinnvoll vermittelt. Dieser Effekt beginnt bei der Tatsache, dass in den Forschungen der Studies auf sehr konkrete Aspekte der Kulturwelt eingegangen wird, oftmals inklusive des Begriffsrepertoires der Kulturwelt. Die Forschungsbereiche senden dadurch eine Art Erkennungssignal für die Kulturwelt aus. Das heißt, die Inhalte aus der Forschung weisen im besonderen Maße Bezüge auf zu den Genrebegriffen, Produktionstechniken, Beispielen, Problemstellungen und Diskursen aus der Kulturwelt. Dies führt grundsätzlich dazu, dass die Forschungen der Studies schneller anschlussfähig für die Akteur*innen aus der Kulturwelt sind. Neben der Anschlussfähigkeit erfolgt ein weiterer Effekt, der aufgrund der Nähe der Vertreter*innen der Studies zu den Kulturwelten und deren eigenem Engagement darin auftritt. Die Forschung der Studies weist nämlich eine Tendenz auf, ihre Forschungsobjekte und Themen positiv hervorzuheben, trotz einer grundsätzlich kritischen Perspektive:

The academic study of popular music was initially tied to the changing sensibilities and values of “baby-boomer” scholars who were critically compelled to disrupt taste hierarchies enfolded within academic definitions of music in order to inscribe popular music as a “legitimate” object of study. As the study of popular music evolved it also reproduced hierarchies of taste, such as “cool” music, while ignoring “illegitimate” music […]. [R]esearchers tacitly investigate music they are familiar with, thus, tending to develop a more positive perspective on it and to neglect the social connotations it may have for other audiences. (Haynes und Nowak 2021, S. 9)

Mit dem im Zitat erwähnten, positiven Bezug sowie aufgrund der Nähe zur Kulturwelt betreiben die Studies eine „Konsekration“ (Bourdieu 2011, 1999) von Kulturproduktion: Ihre Beschreibungen und Analysen verdeutlichen einen zu teilenden Glauben an Wert im Sinne einer „Weihung“ und valorisieren die Resultate der Kulturproduktion positiv. Negative beziehungsweise kritisierende Haltungen werden hingegen stärker auf andere Kulturwelten angewandt, zu denen weniger persönliche Bezüge vorliegen.Footnote 15 Folgendes Zitat stammt aus dem Vortrag eines Vertreters der Studies im Rahmen einer musiksoziologischen Konferenz:

In meinem ersten Beispiel werde ich über [eine Musikerin] sprechen. Sie ist eine fantastisch interessante experimentelle Klangkünstlerin. Und sie hat ein konzeptuelles Paradigma entwickelt, das – wie ich vorschlagen möchte – die positivistischen Methodologien der Mensch-Computer-Interaktion ablehnt sowie die Standard-Ontologien von Live-Elektronik-Systemen hinter sich lässt zugunsten der Komposition von etwas, das sie „hörbares Ökosystem“ nennt – sie ist hierbei sogar sehr explizit. Dafür stützt sie sich auf eine Reihe von Autorinnen und Philosophen. (Quelle: Feldnotizen)

Im Zitat wird die erfolgende Konsekration gleich doppelt deutlich: Erstens durch die Aussage des Vertreters der Studies selbst, indem er die im Vortrag namentlich (!) erwähnte Künstlerin als „fantastisch interessant“ bezeichnet. Zweitens anerkennt der Vertreter die Leistung der Künstlerin nochmals zusätzlich, indem er ihre Bezüge zu den weiteren theoretischen Texten hervorhebt. Die Konsekration durch die Studies impliziert dann für Akteur*innen aus einer Kulturwelt, dass die neue Problematisierung und die damit einhergehenden Theorien eine Relevanz aufweisen, weil dadurch die eigenen Resultate der Kulturproduktion als wertvoll erachtet werden können.

Die von den Studies ausgehenden Effekte zeigen sich allerdings nicht nur aufgrund der Nähe zwischen den Kulturwelten und der Wissenschaft beziehungsweise der Forschung, die durch diese Bereiche ermöglicht wird. Die Vermittlung der Theorien erfolgt ebenfalls zentral über verschiedene Bildungsinstitutionen. An den Musik- und Kunsthochschulen sind kultur- und sozialwissenschaftliche Lehrstühle beziehungsweise Institute angliedert (siehe [2.3.2]), an denen unter anderem Vertreter*innen der Studies arbeiten und so für die weitere Vernetzung der verschiedenen Welten sorgen. Die Lehrstühle sind mitverantwortlich für die Ausbildung der Kulturproduzierenden und vermitteln so auch die theoretischen Konzepte. Gleichzeitig bilden die Fachhochschulen Arbeitsorte für Personen, die in den Produktionswelten aktiv sind (etwa im Rahmen von Forschungsprojekten, vgl. Gerber 2017, S. 47). Die neue Problematisierung von Kulturproduktion wird so auch zu einem Bildungseffekt und ist Teil der Art und Weise, wie Künstler*innen ausgebildet werden. Aspekte einer universitären Ausbildung gemäß den Kultur- und Sozialwissenschaften waren und sind zentral für die Professionalisierung von Kulturwelten und für die professionelle Identität von Künstler*innen (Singerman 1999; vgl. Gerber 2017, S. 27 f.). Im nächsten Abschnitt werden nun die verschiedenen Varianten erläutert, wie die theoretischen Konzepte an die Akteur*innen genau vermittelt werden. Dabei werden die verschiedenen Bildungsinstitutionen miteinbezogen.

5.2.3 Formen der Intermediation

Die neue Problematisierung kann als erster zentraler Effekt der Situation der Intermediation verstanden werden. Ausgehend von den Studies wird so eine Verwendung von Theorien als für die EEM-Akteur*innen sinnvoll vermittelt. Begleitet wird dieser zentrale Effekt von Möglichkeiten, wie die Theorien an die Personen konkret herangetragen werden. Dabei ist kein einheitlicher Weg vorhanden, wie dies erfolgt, sondern es zeigen sich verschiedene Varianten mit je spezifischen Eigenschaften. Diese können mit Bezug auf die Arbeiten von Francis Eymard-Duvernay und Emmanuelle Marchal (1997; vgl. Diaz-Bone 2021b) als Formen der Intermediation aufgefasst werden. Die beiden Autor*innen führten das Modell ursprünglich ein, um Einstellungspraktiken auf Arbeitsmärkten zu unterscheiden (vgl. Diaz-Bone 2018a, S. 106). Das Modell wird hier übertragen, um die idealtypischen Arten und Weisen zu erläutern, wie Akteur*innen an Theorie gelangen. Dabei wird deutlich, dass eine kultur- und sozialwissenschaftliche Theorie nicht lediglich bereitgestellt wird und dass Performativität nicht von selbst erfolgt. Vielmehr sind es bestimmte Praktiken, die eine Vermittlung erst herstellen, die sowohl durch bestimmte Kontexte ermöglicht werden als auch wieder weitere Prozesse implizieren (vgl. Diaz-Bone 2018a, S. 105).

Um zu unterscheiden, wie die kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien an die Akteur*innen vermittelt werden, verdeutlichen die folgenden Ausführungen insgesamt vier idealtypische Formen.Footnote 16 (1) Die erste Form ist diejenige der Netzwerkstruktur, die vor allem die Vermittlung innerhalb der Kulturwelt selbst bezeichnet. (2) Weiter ist dies die Form der Institution, wie sie sich insbesondere im Rahmen der Vermittlung von Theorien an Kunsthochschulen zeigt. (3) Die Form des Marktplatzes wiederum entspricht der Vermittlung von Theorien an einer Universität. (4) Schließlich kann noch die Form der Interaktion unterschieden werden, die persönliche Kontakte bei der Vermittlung von Theorien betont. Obschon in jeder der vier Varianten eine zentrale empirische Entsprechung vorhanden ist, gilt es, nicht einfach nur diese hervorzuheben, sondern die mit der Form etablierten Prozesse zu betrachten. Diese idealtypischen Prozesse sind nicht nur eine empirische Entsprechung, sondern zeigen sich womöglich auch in anderen Settings (so können Prozesse gemäß der Form der Interaktion auch an Hochschulen stattfinden).

Die Form der Netzwerkstruktur in den Kulturwelten

Eine erste idealtypische Variante der Vermittlung der theoretischen Konzepte erfolgt gemäß der Form der Netzwerkstruktur.Footnote 17 Ihre empirische Entsprechung wäre die Art und Weise, wie die Theorien innerhalb einer Kulturwelt wie der EEM verbreitet werden. Die Akteur*innen lernen in dieser ersten Form ein theoretisches Konzept über verschiedenste Bezugspunkte in der jeweiligen Welt kennen. Diese Bezugspunkte sowie das Netzwerk zwischen ihnen etablieren eine Theorie als etwas, das für Kulturproduktion relevant ist. Die Bezüge können durch Personen im unmittelbaren sozialen Umfeld repräsentiert werden, etwa wenn ein*e Kolleg*in auf ein Theoriekonzept verweist. Der Verweis auf ein Konzept kann auch in einem öffentlichen Kontext der Kulturwelt durch eine Musikerin erfolgen, etwa wenn ein öffentliches Künstlergespräch stattfindet oder ein Interview mit einem Akteur veröffentlicht wird. Ein weiterer Bezugspunkt für die Vermittlung in der Netzwerkstruktur sind Texte in den gängigen Medien der Kulturwelt selbst, also in Zeitschriften und Onlinemagazinen. Ergänzend können Artikel der „Feuilletons“ von Tages- und Wochenzeitungen solche Bezugspunkte etablieren. Diese Formate haben allgemein zu einer Verbreitung von kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien geführt (vgl. Korte 2019, S. 283; siehe [2.3.3]). Im Rahmen der ersten Form können sie ebenfalls zu der Struktur gehören, die eine Theorie für die Akteur*innen mobilisiert.

Im besonderen Maße sind in der Form der Netzwerkstruktur die sogenannten sozialen Medien ein Bezugspunkt: Über die Onlinekanäle werden die theoretischen Konzepte vermittelt, indem ganze Texte verlinkt, Textausschnitte zitiert oder Bilder der Buchumschläge geteilt werden. Die Abbildungen [Abb. 5.5 und 5.6] zeigen vier über die sozialen Medien geteilte Bilder von Texten, die jeweils von unterschiedlichen Akteur*innen aus der EEM verbreitet wurden. Die ersten beiden Beispiele [Abb. 5.5] sind geteilte Textausschnitte: Auf der linken Seite ist ein Foto einer Buchseite zu sehen, in dem auf Marxismus und den Soziologen Adorno verwiesen wird. Daneben findet sich ein digitaler Scan einer Textpassage aus einem Buch, in dem die poststrukturalistischen Philosophen beziehungsweise Psychologen Gilles Deleuze und Félix Guattari erwähnt werden. Das dritte und das vierte Beispiel [Abb. 5.6] sind Fotos der Umschläge von Büchern des Soziologen Hartmut Rosa (das vierte Foto wurde vom Akteur mit einer Überschrift ergänzt), einmal die italienische Ausgabe von Beschleunigung (Rosa 2005) und einmal die französische Ausgabe von Resonanz (Rosa 2019).

Abb. 5.5
figure 5

(Quelle: Materialsammlung)

Screenshots von Theorietexten aus einem sozialen Medium, Beispiel 1 und 2

Abb. 5.6
figure 6

(Quelle: Materialsammlung)

Screenshots von Theorietexten aus einem sozialen Medium, Beispiel 3 und 4

Neben der Tatsache, dass Theorien über ein Netzwerk von Bezugspunkten immer wieder mobilisiert und so vermittelt werden, zeigt sich ein weiterer, allgemeiner Aspekt der ersten Form: Die theoretischen Konzepte der Kultur- und Sozialwissenschaften sind nämlich zu einer eigentlichen Lebensstilressource für Akteur*innen geworden (siehe auch [2.3.3]). Das heißt, die Bücher und die darin enthaltenen Theorien sind nicht nur etwas, was in Bildungs- oder Forschungskontexten vermittelt und angewendet wird. Vielmehr sind es Inhalte, die in der eigenen Freizeit im Zusammenhang mit der Kulturwelt relevant werden: Die Beschäftigung mit Theorien ist ein Hobby. Ein Interviewpartner (FI) erläuterte beispielsweise im Gespräch, wie ihm eine befreundete Person Tausend Plateaus gab, das Buch von Deleuze und Guattari (1992). Der Lektüre des Buches widmete er sich als Zeitvertreib auf einer Konzerttour: „Ich warf das Buch Tausend Plateaus in meinen Rucksack, als ich auf Tournee ging, und verbrachte meine Zeit im Tourbus damit, es zu lesen. [lacht] Das ist eigentlich ’ne ziemlich gute Methode, um solche Texte zu lesen: auf langen Touren durch Frankreich“ (Quelle: Interview).

Ergänzend zu den allgemeinen Merkmalen, wie der Etablierung des Konzeptes durch das Netzwerk einer Kulturwelt und dem Auffassen von theoretischen Texten als Lebensstilressource, kann auf die Details der ersten Form eingegangen werden. Dies sind insbesondere die folgenden beiden zusammenhängenden Aspekte: Erstens erfolgt die Vermittlung der Theorie über das Netzwerk ohne wirklich festgelegte Arten und Weisen. Das heißt, es fehlen „Forminvestitionen“ (Thévenot 1984; vgl. Diaz-Bone 2018a, S. 85 f.; siehe [5.3.2]) und es sind keine festgelegten Formate vorhanden, mit denen das Wissen aus den Theorien vermittelt würde. Diese Abwesenheit unterscheidet die Form von den anderen drei Varianten zur Vermittlung der Theorie, die alle auf bestimmte Formate zurückgreifen können. Das Kennenlernen der Konzepte erfolgt im Netzwerk ohne eine Regelhaftigkeit und indirekt über die sonstigen Formate beziehungsweise Prozesse in einer Kulturwelt. Die Theorien werden als Hinweise in Gesprächen platziert oder als kurze Referenzen in Texten aufgeführt, ohne dass diese Formate aber auf die Vermittlung der Theorien abzielen. Die fehlenden Forminvestitionen zeigen sich weiter daran, dass Personen nicht per se in einer Rolle institutionalisiert werden, etwa in der Unterscheidung zwischen „vermittelnde*r“ und „lernende*r“ Akteur*in. Mit der Netzwerkstrukturform werden hierfür keine klaren Zuordnungen etabliert. Das zweite Merkmal folgt indirekt aus den fehlenden Formaten zur Vermittlung. Nachdem nämlich die Auswahl einer zu vermittelnden Theorie in diesem Sinne erfolgt ist, bleibt der weitere Prozess zur Vermittlung der Theorien unklar. Es ist beispielsweise der jeweiligen Person selbst überlassen, auf welche Art und Weise sowie in welchem Detailgrad eine Theorie rezipiert werden soll. Auslegungen der Theorien werden nicht in Gesprächen weiter vertieft und auch eine Lektüre bleibt den Akteur*innen selbst überlassen (das heißt, sie kann erfolgen, muss aber nicht). Die Vermittlung kann daher in einem gewissen Maße „oberflächlich“ bleiben.

Das fehlende Vermittlungsformat und ein eher geringer Detaillierungsgrad in der Vermittlung führen aber keineswegs dazu, dass ein Bezug zur Kulturwelt nur mit Mühe etabliert werden kann. Das Zirkulieren der Konzepte im Netzwerk selbst ermöglicht diesen Bezug, etwa indem ein Konzept wiederholt auftaucht. Dies wird im folgenden Zitat aus dem Interview mit dem oben bereits erwähnten Musiker (FI) deutlich. Hier verweist er nun auf das Performanzkonzept der Philosophin und Feministin Judith Butler. Der Musiker war sowohl aktiv im Bereich der EEM als auch im Theater, weshalb diese Kulturwelten ebenfalls im Zitat auftauchen.

FI::

Ein Weg, wie ich zu dieser Art von Theorie [wie das Konzept von Judith Butler] gekommen bin, hat mit meiner Arbeit am Theater zu tun. Es ist eine Zusammenarbeit mit Choreographinnen und Dramaturgen, und vor allem mit dieser Szene von Choreographen, in der ich seit einiger Zeit unterwegs bin. Diese Leute beschäftigen sich viel mehr [als ich] mit dem Lesen, Reden und Nachdenken über ihre Arbeit und auch damit, wie ihre Arbeit mit dem zeitgenössischen Denken und der zeitgenössischen Kultur zusammenhängt. Ich hörte also vor zehn Jahren den Begriff Performanz und dachte mir: „Das ist ziemlich interessant“. Ich habe den Begriff zwar nicht wirklich verstanden, aber gleichzeitig erkannt, dass er irgendwie Teil von Arbeit dieser Choreograph*innen ist. Ich begann dann mehr darüber zu lesen und mich dafür zu interessieren. […] In der Welt der Choreographie genießt Butler großes Ansehen. Also… Sie mögen sie sehr – und ich finde, sie ist eine tolle Autorin. […]

GS::

Es waren also Leute aus der Choreografie, die dich mit Butlers Texten bekannt gemacht haben?

FI::

Ja, ich glaube, so bin ich auf ihren Namen gestoßen und habe gemerkt, dass ich das lesen sollte. (Quelle: Interview)

Im Rahmen der ersten idealtypischen Form der Intermediation gibt es keinen zentralen Vergleichspunkt, mit dem die Vermittlungsprozesse abgeglichen werden und der beispielsweise eine „vollständige“ Vermittlung repräsentieren würde. Es wird daher keine wie auch immer imaginierte Wissenschaft herangezogen, um die Theorievermittlung zu vergleichen. Es ist keine feste Idee einer optimalen „Qualität“ der Vermittlung vorhanden, mit der die Prozesse in der Netzwerkstruktur abgeglichen werden. Ein theoretisches Konzept ist relevant und wird in angebrachter Weise vermittelt, wenn dieses wiederholt über die verschiedenen Bezugspunkte auftaucht.

Die Form der Institution und die Vermittlung von Theorien an Kunsthochschulen

Eine zweite, idealtypische Vermittlung, mit der kultur- und sozialwissenschaftliche Theorien an die Akteur*innen in den Kulturwelten gelangen, kann als institutionelle Form bezeichnet werden.Footnote 18 Diese Art der Vermittlung tritt insbesondere im Rahmen eines Fachhochschulstudiums der produzierenden Akteur*innen auf, also an Kunst- und Musikhochschulen. Dass eine solche Vermittlung überhaupt Teil der Institutionen ist, verweist bereits auf eine zentrale Veränderung in diesen sozialen Welten (siehe [2.3.2]): Neben der Vermittlung von Produktionstechniken im eigentlichen Sinne erfolgt als Teil der Ausbildung eine Problematisierung von Kultur, wie sie vorher eingeführt wurde, und die damit einhergehende Vermittlung von theoretischen Konzepten. Die Kunst- und Musikhochschulen bieten so eine Betreuung durch Dozierende an, bei der sowohl stärker technische Fähigkeiten erläutert werden, als auch Formate, in denen theoretische Konzepte vermittelt werden. Der zentrale Aspekt der Form der Institution ist dabei, dass bestimmte Formate etabliert wurden, welche die beiden Aspekte miteinander verknüpfen: Die Vermittlung der Theorien wird also formal in Bezug gesetzt zur Produktionswelt.

Hinsichtlich der Auswahl der vermittelten Theorien sind die Dozierenden an den Kunsthochschulen der zentrale Bezugspunkt, und zwar als Personen selbst. Äquivalenz für die theoretischen Konzepte wird durch Status beziehungsweise Hierarchien hergestellt. Die Vermittlungen gehen nicht etwa von einem bestimmten Fach aus, zu dem theoretische Konzepte gehören und was deren Vermittlung bedingen würde. Sollte ein*e Dozent*in wegfallen und durch eine andere Person ersetzt werden, die weniger stark auf die Vermittlung von Theorien setzen würde, so wäre dies für die Lehrpläne nicht per se ein Problem – aber würde womöglich dazu führen, dass die Theoriekonzepte nicht mehr unterrichtet würden. Die verschiedenen Dozierenden können so in Bezug auf die Form der Institution in zwei Bereiche eingeteilt werden: Auf der einen Seite sind diejenigen Personen, die hauptsächlich die Produktionspraxis im engeren Sinne vermitteln. Sie unterrichten die handwerklichen Fähigkeiten zur Musikproduktion oder Aspekte der Musiktheorie. Oftmals waren diese Dozierenden in den Produktionsfeldern selbst tätig, nämlich in Genres wie „Pop“ oder „Klassik“. Sie repräsentieren weiterhin die Mehrzahl der Personen an den Institutionen, die als Dozierende tätig sind. Auf der anderen Seite finden sich aber Dozierende, die Kunst und Musik über die neue Problematisierung betrachten; die also eine kultur- und sozialwissenschaftliche Perspektive auf Kulturproduktion einnehmen. Der zweite Typ von Dozierenden hat teilweise ein kultur- oder sozialwissenschaftliches Studium absolviert oder im Rahmen einer Dissertation nach einem Praxisstudium die neue Problematisierung kennengelernt. Sie sind oftmals in den Forschungsnetzwerken der Studies aktiv oder auch in Genres wie der EEM oder der „neuen Musik“.Footnote 19 Dieser zweite Typ von Dozierenden ist derjenige, welcher die Theorien vermittelt.

Als Studierende lernen die Akteur*innen theoretische Konzepte im Rahmen von spezifischen Formaten kennen, die eine auf die Produktionspraxis ausgerichteten Ausbildung ergänzen: Dies sind etwa schriftlichen Arbeiten, im Rahmen derer sowohl durch das Schreiben selbst als auch über die damit einhergehende Betreuung durch Dozierende eine Vermittlung erfolgt. Andere Formate sind bestimmte Pflichtveranstaltungen, die die Theorien der Kultur- und Sozialwissenschaften vermitteln, wie etwa Vorlesungen zu Musiksoziologie oder Medientheorie. Daneben sind es freiwillige Formate wie Lektüreseminare, in denen Texte der Kultur- und Sozialwissenschaften gelesen und die Bezüge zu den Produktionspraktiken hergestellt werden. Die Formate der Institution etablieren damit eine gewisse Regelhaftigkeit, etwa dass Texte mit Referenzen auf weitere Literatur geschrieben werden müssen. Oftmals sind sie als Objektivierungstechniken für die Akteur*innen ausgerichtet und dienen sowohl zur Reflexion der eigenen Prozesse als auch zur Beurteilung von anderen Produktionen. Gleichzeitig kann diese sehr formale Vermittlung aber auch dazu führen, dass die tatsächliche Rolle der vermittelten theoretischen Konzepte für die eigene Praxis nicht unmittelbar festgemacht werden kann. Der formale Charakter lässt also die Akteur*innen teilweise zweifeln, ob die Theorien ein für sie relevanter Aspekt sein sollen. Trotz der Regelhaftigkeit ist es daher nötig, dass die Akteur*innen Anwendungen der Theorien nochmals genauer interpretieren (vgl. Diaz-Bone 2018a, S. 106).

Diejenigen Ausbildungen an Kunsthochschulen, bei denen auch Theorien der Kultur- und Sozialwissenschaften vermittelt werden, sind durch eine besondere Offenheit geprägt. Dieses Merkmal ist trotz der Tatsache vorhanden, dass eine formalisierte Beziehung zwischen Produktionstechniken und theoretischen Konzepte hergestellt wird. Die Offenheit kann sowohl eine sehr bewusst getroffene Entscheidung sein, welche die Verantwortlichen des Ausbildungsprogramms treffen, als dass sie auch deshalb vorherrschen kann, weil ein jeweiliger Prozess im Ausbildungsprogramm noch nicht genügend klar etabliert wurde. Unabhängig von dem Grund des Vorhandenseins der Offenheit ermöglicht es dieses Merkmal zuerst einmal grundsätzlich, dass theoretische Konzepte zur Anwendung kommen. Wären alle Aspekte der Produktion bereits vorgegeben, würde kaum eine Möglichkeit bestehen, dass das theoretische Wissen aus den Kultur- und Sozialwissenschaften eine Rolle spielen könnte (siehe auch [5.3.2]). Insbesondere bei Ausbildungsstätten mit Bezug zur bildenden Kunst tauchen im Rahmen dieser Offenheit die Produktionsprozesse und -techniken nicht mehr als zentraler Teil eines Lehrplans auf (vgl. Fine 2018). Anstelle eines festen Studienablaufs wird auf eine Projektlogik bei den Studiengängen verwiesen: Das Studium soll weniger festgelegte Inhalte vermittelt, als den „Rahmen“ für ein umzusetzendes Projekt in der Kulturwelt bieten. Im folgenden Zitat spricht eine Interviewpartnerin (EG) über ihre Abschlussarbeit an einer Kunsthochschule, wobei sowohl die Offenheit als auch die zuvor erläuterte Rolle von Personen bei der Vermittlung der Theorien deutlich wird:

GS::

Diese Arbeit, die du geschrieben hast, die ist Pflicht? Das ist das Abschlussprojekt? Aber du hast ja noch ein Album produziert?!

EG::

Genau, das Abschlussprojekt sind zwei Sachen: [eine Musikproduktion und eine schriftliche Arbeit]. Das ist auch so was. Der Master ist ja interdisziplinär und die meisten Leute kommen aus den „Fine Arts“. Und da war meistens die Ansage der Dozierenden, dass die theoretische Arbeit relativ frei sei. Es heißt auch nicht unbedingt Theoriearbeit, sondern eine schriftliche … Ich weiß gar nicht mehr wie. Sie sagen aber, das ist keine wissenschaftliche Arbeit. Denn wir sind ein Kunststudiengang. […] Das steht im Zusammenhang mit dem einen Dozenten, der während meines ersten Studienjahrs pensioniert wurde. Das war einer, der meint: „Hey, das sind Künstler*innen, die müssen nicht eine wissenschaftliche Arbeit schreiben. Die sollen eine Arbeit schreiben über das eigene Schaffen.“ Wie sagt man? … eine Reflexion. Es war dann so, dass die Leute aus der Musik- und Medienkunst, aus der Musik mein ich, also wir hatten Medientheorie und Ähnliches im Bachelor. Uns wurde oft gesagt, dass die Fachschaft es noch geil fände, wenn trotzdem eine Art medienwissenschaftliche Arbeit geschrieben würde. Ich glaube, das hat sich auch mit den Interessen der Leute gedeckt, die das studiert haben. Die Leute aus der Musik haben tatsächlich auch die Veranstaltungen zur Medientheorie und so besucht. Das heißt nicht, dass es auf dem [medienwissenschaftlichen] Level war, aber das Interesse da war. […] Es gab halt immer extrem viele Freiheiten. (Quelle: Interview)

Im Rahmen der Institutionsform werden zwei Bezugspunkte wichtig, mit denen die Vermittlung der Theorien durch die Akteur*innen eingeordnet und abgewogen werden kann: Dies ist zuerst eine jeweilige Kulturwelt wie etwa die EEM. Für die Kunsthochschulen sind diese Welten ein Bezugspunkt, um die Attraktivität eines jeweiligen Studiums herauszustellen (etwa indem die Inhalte einer Kulturwelt hier aufgegriffen werden). Für die eingeschriebenen Akteur*innen ist die Kulturwelt wiederum ein Bezugspunkt, um eine allgemeine Erwartungshaltung an die Vermittlung gemäß der Institutionsform zu formulieren. Die Akteur*innen haben nämlich teilweise den Wunsch, dass die Kulturproduktion gemäß der neuen Problematisierung betrachtet wird und dass ihnen theoretische Bezüge als Teil der Ausbildung vermittelt werden. Die Ausrichtung an der Kulturwelt kann sich zudem sehr spezifisch zeigen, wenn die Auswahl der vermittelten, theoretischen Texte in der Ausbildung im Vergleich zur Kulturwelt und dem Kanon der Studies kritisiert wird. Die Studierenden mit Bezug zu einer Kulturwelt wie der EEM weisen so dem Umgang mit Theorien per se eine Art Selbstwert zu, der neben dem Bezug zu Produktionsprozessen steht. Dieser Selbstwert einer Theoriearbeit verweist bereits auf den anderen Bezugspunkt, nämlich die Kultur- und Sozialwissenschaften im eigentlichen Sinne.

Deren Formen von Lehre und Forschung sind der zweite Bezugspunkt für die Vermittlung der Theorien in der Form der Institution. Hierbei geht es allerdings weniger um die genaue Auswahl von theoretischen Texten. Die wissenschaftlichen Bezüge werden vielmehr von den Akteur*innen heranzogen, um andere Aspekte der Form der Institution als „Mängel“ hervorzuheben: dass Texte nicht so genau besprochen werden können oder dass Betreuungen bei Arbeiten zu wenig auf konzeptionelle Aspekte eingehen. Hier scheinen die Akteur*innen an den Fachhochschulen davon auszugehen, dass solche Aspekte an den Universitäten „besser“ ablaufen würden. Diese Mängel müssen aber nicht immer als negativ empfunden werden, obschon sie im Vergleich zum wissenschaftlichen Studium vorhanden sind (zumindest in der Vorstellung der Akteur*innen). So ist etwa der Umgang mit Quellen weniger reglementiert als in den Kultur- und Sozialwissenschaften und auch Texte aus den Kulturwelten selbst werden als Quellen aufgefasst, mit denen theoretische Argumente ergänzt werden. Dies wird wiederum von den Akteur*innen nicht als ein Problem angesehen.

Die Form des Marktplatzes in universitären Studiengängen

Eine dritte Form der Vermittlung von theoretischen Konzepten kann als Marktplatz bezeichnet werden.Footnote 20 Empirisch entspricht sie grundsätzlich einem kultur- und sozialwissenschaftlichen Studium an einer Universität. Beispiele, wie diese Vermittlung für die Akteur*innen der Kulturwelt erfolgt, wären auf der einen Seite etwa eine Musikerin oder ein Künstler, der*die nach dem Fachhochschulstudium eine Dissertation mit kultur- und sozialwissenschaftlichen Bezügen anstrebt. Auf der anderen Seite geht es aber auch um Akteur*innen, die ein kultur- und sozialwissenschaftliches Studium verfolgen beziehungsweise absolviert haben und aktiv sind in der Kulturwelt. Gleichzeitig können sich die Prozesse zur Vermittlung von Theorien gemäß der Form des Marktplatzes auch an Fachhochschulen zeigen. Einer der zentralen Aspekte dieser Form ist es nämlich, dass eine besondere Vielzahl von theoretischen Konzepten vermittelt wird. Während dies in vielen multiparadigmatischen Studiengängen der Kultur- und Sozialwissenschaften schon länger der Fall ist, gibt es solche breiten Angebote auch an weiteren höheren Bildungseinrichtungen, die im Zusammenhang zu Kulturproduktion stehen, etwa an gewissen musikwissenschaftlichen Fachbereichen und Institutionen. Folgendes Zitat stammt aus einem interdisziplinären, musikwissenschaftlichen Dissertationsprogramm:

Unsere Studierenden sollen sich so weit wie möglich in die subdisziplinären Angebote der Musikwissenschaft vertiefen und über den Fachbereich hinaus in andere disziplinäre Studienbereiche gehen. Von den Studierenden wird erwartet, dass sie sich in Absprache mit ihren Betreuer*innen Programme zusammenstellen, die den individuellen Anforderungen ihres Studiums gerecht werden. […] Die Studierenden des Studiengangs sollten in der Lage sein darzulegen, wie eine bestimmte Forschungsrichtung mit Disziplinen außerhalb der Musik zusammenhängt und wie sich eine bestimmte Verzweigung auf die Belange der Musik- und Klangforschung zurückführen lässt. (Quelle: Materialsammlung)

Als Konsequenz der Vielzahl der vermittelten theoretischen Konzepte müssen diese zuerst danach verglichen werden, ob und wie sie eine Relevanz für die Kulturwelt erlangen können. Die Konzepte stehen deshalb im Rahmen der Form in „Konkurrenz“ zueinander (vgl. Diaz-Bone 2018a, S. 106) und für die Akteur*innen stellt sich die Frage, welche Theorie wie für ihre Kulturproduktion nützlich wäre. Im Rahmen der Marktplatzform sind jedoch die Aspekte einer Kulturwelt nur einige unter vielen möglichen Bezugspunkten, die bei der Vermittlung auftreten können (aber nicht müssen). Die Vermittlung der Theorien wird hier von anderen Aspekten gerahmt, etwa von universitären Fächern wie der Soziologie, Ethnologie und anderen. Dies führt dazu, dass Bezüge zur Kulturwelt im besonderen Maße hervorstechen können, gerade weil sie einen Spezialfall im Rahmen der Vermittlung darstellen. Weiter bedeutet dies aber auch, dass die Verbindung der theoretischen Konzepte zu den Themen in der Kulturwelt im Sinne eines Realitätstests viel stärker durch die Akteur*innen selbst geleistet werden muss als etwa bei der Netzwerkstrukturform. Eine Möglichkeit, diesen Bezug herzustellen, kann über die Kulturwelt selbst erfolgen (sie kann bei der Auswahl einer Theorie aus dem „Angebot“ des Marktplatzes helfen). Die Breite des Angebots an Theorie zeigt sich in einem weiteren Aspekt der Form des Marktplatzes: Eine Erwartungshaltung für bestimmte Theorien zeigt sich hier weniger und es erfolgt keine Kritik an „fehlenden“ Theorien, wie dies etwa an Fachhochschulen und im Rahmen der Institutionsform erfolgte.

Die Vermittlung der Konzepte erfolgt bei der Marktplatzform ebenfalls durch festgelegte und reglementierte Formate: durch Vorlesungen, Seminare oder schriftliche Arbeiten. Diese Formate sind aber nicht per se auf Produktionsprozesse einer Kulturwelt ausgerichtet, und der Umgang mit den theoretischen Konzepten wird nochmals stärker als Selbstwert angesehen, als dies bei der Form der Institution der Fall ist. Verfasste Texte im Rahmen eines solchen Studiums fungieren nicht als Objektivierungstechniken für die eigene Produktion oder für Prozesse in der Kulturproduktion. Gleichzeitig herrscht aber bei dieser Form eine Offenheit der Formate und der Möglichkeiten, um Verbindungen zwischen den vermittelten Konzepten und den Elementen der Kulturwelt hervorzuheben (etwa die relativ freie Themenwahl im Rahmen von Seminararbeiten).

Bei den verschiedenen Akteur*innen, die im Rahmen der Marktplatzform vorkommen, können einige weitere Aspekte der dritten Intermediation von Theorien hervorgehoben werden: Grundsätzlich zeigen sich auch hier wiederum festgelegte Positionen, von denen aus die Theorien vermitteln werden (die Dozierenden), und Positionen, auf denen Theorien „gelernt“ werden (die Akteur*innen als Studierende). Die Dozierenden an den Universitäten haben hierbei aber nur in seltenen Fällen einen Bezug zu den Kulturwelten. Dies führt dazu, dass die Auswahl der Konzepte nicht nach einer Relevanz für die produzierenden Akteur*innen erfolgt. Gleichzeitig wird im Rahmen der Form des Marktplatzes weniger stark die Äquivalenz der Konzepte durch einzelne Personen hergestellt, sondern stärker durch eine Institution mitbestimmt. Die Akteur*innen aus der Kulturwelt selbst sehen sich im Rahmen der Marktplatzform stärker als Wissenschaftler*innen beziehungsweise schreiben sich selbst die wissenschaftliche Perspektive zu (und nicht diejenige der Kulturwelt). Aspekte aus der eigenen Kulturwelt – die Resultate der Kulturproduktion oder die Musiker*innen und Komponist*innen – werden so als Material angesehen, als Analyseobjekt, und nicht mehr als zusätzliche Referenzen wie etwa bei der Form der Institution. In der Intermediation des Marktplatzes wird hierüber eine klare Trennung etabliert zwischen einer Wissenschaft und der Kulturwelt (obschon teilweise die Kulturwelt die Auswahl von Theorien beeinflussen kann).

Die Form der Interaktion in persönlichen Beziehungen

Die vierte Form zur Vermittlung der theoretischen Konzepte ist diejenige der Interaktion. Ein theoretisches Konzept wird an die produzierenden Akteur*innen über den direkten Austausch mit einer oder wenigen Personen vermittelt. Damit basiert die Beurteilung des theoretischen Konzeptes und dessen Bedeutung für die Produktionsprozesse auf einem eingeschränkten Interaktionsprozess: Die produzierende Akteurin und eine vermittelnde Person sind situativ präsent und stehen in einer Vertrauensbeziehung (vgl. auch Diaz-Bone 2018: 106). Darüber hinaus fehlen der Form weitere konkrete Vermittlungsformate, wie sie in der Institutions- und Marktplatzform vorherrschen. Diese Abwesenheit der zusätzlichen Formate zeigt sich im Rahmen der Interaktion gleich doppelt: sowohl im Sinne eines Inputs als auch im Sinne eines Outputs. Das heißt, es gibt kein definiertes Format, wie ein theoretisches Konzept eingeführt, kennengelernt und besprochen werden könnte. Und es gibt kein definiertes Format, in dem man ein Theoriekonzept auf eine bestimmte Art und Weise anwenden könnten (wie etwa beim Schreiben von Seminararbeiten).

Der eingeschränkte Interaktionsprozess grenzt die Vermittlungsform von derjenigen der Netzwerkstruktur ab, während das Fehlen eines institutionellen Bildungssettings und dessen definierte Formate den Unterschied zur Vermittlung gemäß dem Marktplatz und der Institution darstellt. Eine Interviewpartnerin (BF) erläuterte hierbei etwa, wie sie jeweils im Rahmen von Spaziergängen und den dabei erfolgenden Gesprächen mit einer weiteren Person theoretische Konzepte vermittelt erhielt. Die Abwesenheit von festen Formaten zur Vermittlung der Theorien bedingt im mehrfachen Sinne einen anderen Umgang mit den Theorien. Der andere Umgang beginnt etwa damit, dass ein Zugang zu den Konzepten unabhängig von den theoretischen Texten erfolgen kann: Internetrecherchen stehen im Fokus, es werden Inhalte auf YouTube rezipiert oder der Kontakt mit den Theorien erfolgt erstmals über die größeren, nationalen oder internationalen Medien [siehe 3.5.7], wie beispielsweise Tageszeitungen und deren Print- oder Onlineausgaben. Bibliotheken und vertiefte Recherchen der Konzepte stehen hingegen weniger im Zentrum. Durch die persönliche Vermittlung ist es nicht unbedingt notwendig, dass produzierende Akteur*innen die Texte lesen (wie dies etwa in Formaten an Bildungsinstitutionen oftmals verlangt wird). Dies erläuterte auch die zuvor bereits erwähnte Interviewpartnerin:

BF::

Ich fing an, mehr und mehr zu suchen, und stieß auf die Theoretikerin. Ich habe immer noch nichts von ihr gelesen. Das Einzige, was ich las, war ihre Biografie. Aber ich sah mir ein paar Vorlesungen an, alte Vorlesungen von der „Open University“, die online verfügbar sind. Und ich dachte, das ist wirklich interessant.

GS::

Kannst du dich denn noch daran erinnern, wo du auf sie gestoßen bist?

BF::

Ich bin im Internet rumgesurft und habe einfach bestimmte Begriffe gegoogelt. (Quelle: Interview)

In der Form der Interaktion findet sich keine Hierarchie zwischen verschiedenen Formaten: Ein universitäres Seminar wird nicht als eine bessere Variante der Vermittlung der Konzepte empfunden als eine aufgezeichnete Vorlesung auf einem Videoportal im Internet oder das Kennenlernen des Konzeptes durch einen Zeitungsartikel. Die Formate werden auf derselben Ebene betrachtet und in erster Linie von der persönlichen Interaktion abgegrenzt. Diese Form der Vermittlung führt weiter dazu, dass persönliche Verbindungen zwischen Akteur*innen und Wissenschaftler*innen auftreten. Sie sind für die Auswahl und die Beurteilung der Theorien wichtiger als konzeptionelle Kohärenz. Diese persönlichen Verbindungen werden auch durch die ursprüngliche Suche der Konzepte befördert: Über die Internetrecherchen mithilfe von Suchmaschinen anstatt der Bibliothekskataloge wird eine persönliche Ebene der Theoretiker*innen deutlich (die in institutionellen Bildungssettings weniger präsent ist). Die Interaktion mit Wissenschaftler*innen kann auch dazu führen, dass diese von den Musiker*innen im Rahmen von Kulturproduktion miteinbezogen werden. Die Akteur*innen aus dem wissenschaftlichen Feld werden so wiederum näher an die Kulturwelten gebracht.

Im Zusammenhang mit dem persönlichen Kontakt zu Wissenschaftler*innen bei der Vermittlung der Theorien können einige weitere Aspekte der Form der Interaktion verdeutlicht werden: So ist beispielsweise die Kulturwelt kein unmittelbarer Bezugspunkt für die theoretischen Konzepte, da die Wissenschaftler*innen nicht immer eine Verbindung zu ihr besitzen müssen. Damit werden allgemeinere Kategorien wichtiger, wie beispielsweise populäre Musik, anstelle der für die Kulturwelt spezifischen Bezeichnungen. Dieser allgemeinere und breitere Bezugspunkt für die Theorien zeigt sich bereits in der Form des Marktplatzes. Gleichzeitig muss hier die Verbindung zwischen Kulturproduktion und theoretischen Konzepte weniger durch die Akteur*innen selbst geleistet werden. Denn der entscheidende Punkt ist, dass das Herunterbrechen von theoretischen Aussagen auf die Kulturproduktion über eine Zwischenebene erfolgt, nämlich über die mit den produzierenden Akteur*innen interagierende Person. Dabei führt der Prozess der Interaktion dazu, dass die Verwendung der Theorien in den eigenen Produktionsprozessen als kohärenter aufgefasst wird. Dies wird ermöglicht, weil die Texte selbst weniger von den Akteur*innen gelesen, sondern im Rahmen der Interaktion auf deren Situation zugeschnitten werden. Nicht zuletzt ändert sich so die Rolle der produzierenden Akteur*innen: Sie sind keineswegs nur einfache „Empfänger*innen“, sondern sind vielmehr gleichberechtigte Parteien und auf einer Ebene mit den Wissenschaftler*innen. Die vermittelnden Personen werden daher auch nicht in einer professionellen Rolle wahrgenommen (als „Dozierende“, „Wissenschaftlerin“ oder „Musiker“), sondern vielmehr als Freunde oder Partnerinnen.

Die Auswahl von theoretischen Konzepten bei der Form der Interaktion steht im Zusammenhang mit einer breiteren gesellschaftlichen Rezeption von Theorien. Das heißt, dass vergleichsweise bekannte Konzepte vermittelt werden oder zumindest den Beginn der Vermittlung markieren (etwa wenn Theorien in Zeitungen erwähnt werden). Der Kanon von theoretischen Konzepten, der von den Studies etabliert wurde und der bereits in der Kulturwelt verbreitet ist, ist zwar ebenfalls ein Bezugspunkt für die Auswahl der Theorien. Im Rahmen der interaktionsbasierten Vermittlung werden dann aber die besonders bekannten theoretischen Konzepte dieses Kanons ausgewählt. Im Gegensatz zur Netzwerkstruktur- und Institutionsform erfolgt hier allerdings eine geringere Vermischung wissenschaftlicher und nicht wissenschaftlicher Literatur, sondern die Genres werden klarer getrennt. Die wissenschaftlichen Bücher sind in dieser Form etwas, was „tiefer“ gehen soll und nochmals anderes Wissen liefern kann. Diese Abgrenzung führt aber nicht per se dazu, dass besonders komplexe Dinge im Zusammenhang mit den Theorien betrachtet werden. Die Vermittlung der theoretischen Konzepte kann durchaus sehr allgemeine Probleme festlegen: etwa die Repräsentation von Klassen oder Geschlecht oder die Wichtigkeit von nicht-menschlichen Akteur*innen (im Sinne der Aktanten der Akteur-Netzwerk-Theorie). Im Rahmen der persönlichen Interaktion werden die Details von theoretischen Konzepten oftmals nicht besprochen und stattdessen eine allgemeine Perspektive einer Theorie vermittelt.

Die soeben vorgebrachten Beschreibungen der verschiedenen Formen der Vermittlungen können nun systematisiert werden (vgl. Eymard-Duvernay und Marchal 1997, S. 25; Diaz-Bone 2018a, S. 108). Dabei werden die verschiedensten zuvor gemachten Beschreibungen auf einige zentrale Aspekte reduziert und grafisch dargestellt [Abb. 5.7]. Dies erfolgt zuerst über zwei Dimensionen, mit denen die Formen grundsätzlich eingeteilt werden. So lässt sich unterscheiden, was der jeweilige Rahmen der Vermittlung der Konzepte bewirkt, dargestellt als eine horizontale Achse. Hierbei wird deutlich, dass die Netzwerkstrukturform und die Interaktionsform über keinen institutionellen Rahmen für die Vermittlung der Konzepte verfügen. Als eigentlicher Effekt folgt daraus, dass weniger die Details der kultur- und sozialwissenschaftlichen Konzepte im Zentrum stehen, sondern allgemeinere Perspektiven. Die andere Ausprägung der ersten Dimension zeigt sich bei der Institutionsform und der Marktplatzform, die über institutionalisierte Formate zur Vermittlung der Theorien verfügen. Diese Formate vermitteln mehr Details und die Arbeit mit Theorien wird als ein spezifischer Selbstwert aufgefasst. Die zweite, in der Abbildung vertikal aufgeführte Dimension unterscheidet eine Vielfalt der Konzepte, die über die Formen vermittelt werden. Dabei wird eine Gemeinsamkeit zwischen der Netzwerkwerkstrukturform und der Marktplatzform deutlich, die beide eher eine Vielzahl von theoretischen Konzepten vermitteln. Die anderen beiden Formen wiederum schränken die Auswahl der theoretischen Konzepte eher ein.

Abb. 5.7
figure 7

(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Eymad-Duvernay und Marchal 1997, S. 25 sowie Diaz-Bone 2018a, S. 108)

Formen der Intermediation

Ergänzt werden können die beiden Dimensionen der Systematisierungen über vier Merkmale, die jeweils eine Form und deren Vermittlung von Theorien auszeichnen. (1) Das erste Merkmal ist die Rolle, welche die Kulturwelt selbst spielt: Eine Kulturwelt und die darin ablaufenden Prozesse können die Theorie vermitteln (Netzwerkstruktur), die Auswahl einer spezifischen Theorie bestimmen (Marktplatz), die Regulation der Auswahl von zu vermittelnden Theorien beeinflussen (Institution) oder als Interpretationspartner für eine Theorie fungieren (Interaktion). (2) Dann kann auch die Rolle der Wissenschaft in einer Form idealtypisch bestimmt werden: Wissenschaftliche Aspekte in Bezug auf Theorien und deren Vermittlung können etwa überhaupt nicht als Vergleichspunkt angesehen werden (Netzwerkstruktur) oder genau hierfür hinzugezogen werden (Institution). Zudem kann die Wissenschaft das Angebot an zu vermittelnden Theorien bestimmen (Marktplatz) oder deren Vertreter*innen werden als Partner*innen auf Augenhöhe bei der Vermittlung von Theorien wahrgenommen (Interaktion). (3) Anhand des dritten Merkmals, das für jede Form in der Abbildung aufgeführt wird, können verschiedenen Dispositive der Vermittlung unterschieden werden: Hier zeigen sich etwa eine wiederholte Erwähnung in der Kulturwelt (Netzwerkstruktur), eine hohe Anzahl an Vermittlungsformaten und daraus resultierende Konkurrenz zwischen theoretischen Konzepten (Marktplatz), eine Äquivalenz über die Position von Personen (Institution) oder die persönlichen Gespräche (Interaktion). (4) Das letzte Merkmal erläutert, wie die jeweilige Form die Relevanz eines Konzeptes vermittelt: Dies kann im Sinne einer distribuierten Kompetenz erfolgen (Netzwerkstruktur), die Eruierung einer Nützlichkeit bedingen (Marktplatz), als Definition vorab erfolgen (Institution) oder ausgehandelt werden (Interaktion).

5.2.4 Eine Fraktion der neuen Mittelklasse als sozialstrukturelle Einbettung

Die Situation der Intermediation stellt neben den bisher erläuterten Prozessen der neuen Problematisierung und der Vermittlung auch ein bestimmtes Umfeld von Akteur*innen dar, die alle die Theorien der Kultur- und Sozialwissenschaften als Teil ihrer Kulturproduktion verstehen. Dieses Umfeld wurde durch verschiedene Weisen bereits mit den Theorien „gesättigt“: Die neue Problematisierung von Kulturproduktion wurde durch die Studies in die Kulturwelt getragen, weshalb die theoretischen Konzepte als zu beachtender Aspekt gelten können. Die verschiedenen Akteur*innen können über unterschiedliche Formen an die Theorie gelangen, etwa durch deren Etablierung in der Kulturwelt selbst, über ein Studium an einer Kunsthochschule beziehungsweise an einer Universität oder über persönliche Kontakte. Performative Kulturproduktion ist daher eingebettet in ein soziales Umfeld. In diesem Abschnitt sowie im darauffolgenden werden die Überlegungen hierzu konkretisiert: Zuerst wird stärker auf die objektiv sozialstrukturellen Aspekte eingegangen, welche dieses Umfeld von Personen auszeichnet, in dem Performativität stattfindet. Danach [5.2.5] wird auf ein spezifisches symbolisches Merkmal eingegangen, das aufzeigt, wie sich dieses Umfeld von Personen mit ihrem Lebensstil von weiteren sozialen Gruppen abgrenzt.

In den bisherigen Erläuterungen wurde implizit zwischen kulturproduzierenden Akteur*innen im eigentlichen Sinne (also Musikerinnen, Künstlern usw.) sowie Wissenschaftler*innen unterschieden. Zwischen diesen beiden Gruppen wurden Überschneidungen beziehungsweise Verknüpfungen festgemacht oder verdeutlicht: dass diese Rollen auch gleichzeitig von Akteur*innen eingenommen werden können. Daneben gilt es aber, mindestens drei weitere Rollen in den Kulturwelten hervorzuheben: (1) Einmal finden sich weitere produzierende Akteur*innen (vgl. Becker 2017, S. 40 ff.). Dazu gehören Journalistinnen sowie Medienschaffende, Label- beziehungsweise Verlagsbetreiber oder Veranstalter*innen. Sie alle sind an der Kulturproduktion beteiligt, indem sie weitere Elemente bereitstellen, welche die Produkte ergänzen: rahmende Informationen über die Kulturwelt und deren Produktionsprozesse, Distributionsnetzwerke für Produkte oder Orte für Kulturkonsum (vgl. Becker 2017, S. 100 ff.). (2) Neben den diversen produzierenden Akteur*innen finden sich diejenigen Personen, die primär konsumieren: das Publikum. (3) Die letzte mögliche Rolle von Personen in der Kulturwelt sind weitere vermittelnde Positionen: Dies können etwa Kulturvermittler*innen im Sinne Bourdieus (1982, S. 512) sein, die Kulturprodukte der Produzierenden an Konsumierende herantragen (vgl. Diaz-Bone 2010, S. 64 f.; siehe auch Jansson und Hracs 2018). Der Distinktionstheorie folgend ist deren zentraler Effekt, dass sie eine „entlegitimierend[e] Vermischung von Kulturebenen“ herbeiführen (Diaz-Bone 2010, S. 65). Solche Personen vermitteln etwa zwischen den dominanten Produzentinnen (den Musikerinnen) und den diskursiven Reproduzenten (hier insbesondere den Vertretern der Studies), indem sie die Analysen und Interpretationsweisen von Letzteren in die Massenmedien tragen (z. B. als Kulturredakteur*innen). Mit dieser Rolle übersetzen die Kulturvermittler*innen allgemein für (im Sozialraum) höhere Gruppen distinkte Resultate der Kulturproduktion an ein Massenpublikum. Spezifischer im Hinblick auf performative Kulturproduktion verbreiten sie auch die neue Problematisierung. Die vermittelnden Positionen umfassen weiter lokale „Ermöglicher“ oder „Förderinnen“ in den Kulturwelten (Haugsveje et al. 2021): Sie verknüpfen produzierende Akteur*innen und die staatliche Bürokratie und ermöglichen so den Produzent*innen einen erleichterten Zugang zu Ressourcen, wie sie von Stellen der staatlichen Kulturförderung bereitgestellt werden.Footnote 21

Die hier im Zentrum stehende Kulturwelt der EEM zeichnet sich durch zwei Merkmale im Zusammenhang mit diesen verschiedenen Rollen aus: Erstens wechseln die in der Welt aktiven Personen regelmäßig zwischen den drei Funktionen von produzierend, konsumierend und vermittelnd. Die Rollenverteilung ist daher oftmals nicht klar festgelegt (vgl. auch Prior 2008, S. 307): Musiker*innen treten nicht nur als Wissenschaftler*innen auf (wie dies oben erläutert wurde), sondern sind teilweise auch als Journalistinnen oder Veranstalter tätig. Es wird daher ein pluraler Habitus der Personen deutlich, die an der performativen Kulturproduktion beteiligt sind. Zweitens zeichnet die Situation in der Kulturwelt sich dadurch aus, dass besonders viele Personen produzierend tätig sind (vgl. Crane 1992, S. 117 f.). Stärker im Sinne der Distinktions- beziehungsweise Feldtheorie formuliert heißt dies, dass die EEM gemäß der Logik des kulturellen Pols im Feld funktioniert: Die Akteur*innen produzieren in erster Linie für andere Produzierende in der Kulturwelt selbst und nicht etwa für ein Massenpublikum (vgl. Bourdieu 1999, S. 135; siehe [5.1]). Das heißt, dass Kulturproduktion auch auf die Erwartungen von anderen Produzierenden ausgerichtet wird. Konsument*innen, die selbst keine Bereiche der Kulturproduktion oder Kulturvermittlung mittragen, finden sich eher weniger in der EEM. Die meisten Personen sind Musikerinnen, Veranstalter, Journalist*innen oder sie forschen zu Aspekten der Kulturproduktion. Und sie zeichnen sich dadurch aus, dass vermittelnde Rollen von ihnen ebenfalls wahrgenommen werden.

Allgemeiner kann verdeutlicht werden, dass die performative Kulturproduktion in einem sozialen Kontext eingebettet ist, der als ein Netzwerk einer urbanen Mittelklasse aufgefasst werden kann (vgl. Crane 1992, S. 115 f.). Der Klassenbegriff wird hier vergleichsweise grob verwendet; er dient als eine Betrachtungsheuristik und weniger als Beschreibung von gesellschaftlichen Verhältnissen. Zudem beruhen die meisten Beschreibungen auf qualitativen Analysen und weniger auf quantitativen Daten. Trotzdem bietet diese Heuristik ein Analysepotenzial: Mit dem Begriff kann zuerst deutlich gemacht werden, dass sich die Akteur*innen als Gruppe sozialstrukturell im besonderen Maße durch ein hohes Bildungsniveau auszeichnet. Das hohe Interesse an Bildung zeigt sich etwa in der folgenden Aussage einer interviewten Person (CD). Zum Zeitpunkt des Interviews befand sie sich in einem Dissertationsprogramm für Musikwissenschaften und veröffentlichte Musik im Bereich der EEM.

CD::

Ich bin schon ewig in der Schule. Ich habe also angefangen, zuerst mit einem Bachelor-Abschluss in englischer Literatur. Ich spiele Bratsche und singe, seit ich ein kleines Kind bin […]. Während des Studiums nahm ich zwar Musikunterricht, aber ich habe nicht Musik als Hauptfach gewählt, sondern eben Literatur. Ich spezialisierte mich auf Literatur aus den Südstaaten der USA und das war auch viel Poesie, der ich mich gewidmet habe. Das war also mein Bachelor-Abschluss. Danach absolvierte ich am Konservatorium von San Francisco einen Master in Bratschenmusik. Das war eine Art moderne Bratschenausbildung […]. Dann zog ich nach Frankreich und machte einen weiteren Master-Abschluss, ebenfalls für die Bratsche, aber spezialisiert auf die Aufführung Alter Musik. […] Ebenfalls habe ich noch ein kurzes, einjähriges Studium in Zürich absolviert, indem ich mich mit Alter Musik und Gesang beschäftigte. Das habe ich aber abgebrochen. (Quelle: Interview)

Die hohe Bildung der Akteur*innen der EEM lässt sich über weiteres empirisches Material verdeutlichen.Footnote 22 Ein Onlinemagazin der Kulturwelt verfügte beispielsweise über ein regelmäßiges Interviewformat, dass verschiedenen Musiker*innen jeweils dieselben kurzen Fragen stellte. Unter diesen Fragen war auch folgende: „Was ist dein akademischer Hintergrund? Bist du ein*e Autodidakt*in?“ Diese Frage wurde bei 32 veröffentlichten Interviews gestellt. Rund 70 % der Antworten verwiesen explizit auf eine tertiäre Ausbildung: 20 % auf ein kultur- und sozialwissenschaftliches Studium, 20 % auf ein Kunststudium und 30 % auf die Ausbildung an einer Musikhochschule (wobei 10 % Aspekte wie Ton- oder Aufnahmetechniken hervorhoben). Die verbleibenden 30 % verwiesen nicht etwa auf andere Ausbildungen, sondern wichen mit allgemeinen Antworten aus wie „Ich lerne von allem, was passiert, und allen anderen.“ (Quelle: Materialsammlung)

Die Zugehörigkeit zur Mittelklasse ist charakteristisch und zeichnet sich durch eine tertiäre Bildung aus. Damit grenzen sich die Akteur*innen der EEM von Personen ab, die eine solche Bildung nicht genossen haben (vgl. auch Prior 2008, S. 308). Die soziale Einbettung der performativen Kulturproduktion lässt sich über diese Charakterisierung mit anderen Klassenbeschreibungen ergänzen, die breitere gesellschaftliche Phänomene über soziale Großgruppen beschreiben: Die Zentralität von hoher Bildung zeigt sich auch in der von Andreas Reckwitz beschriebenen „neuen“ akademischen Mittelklasse (2017, S. 273 ff.), die Trägerin des Singularisierungsprozesses sei. Ebenso findet sich diese Eigenschaft bei Richard Floridas kreativer Klasse (2002, S. 68 ff.) und der von ihr ausgehenden Neuorientierung von Arbeit (siehe [2.2.2 und 3.1.1]). Die Verwendung des Klassenbegriffs für die Beschreibung der Akteur*innen der EEM bedingt allerdings auch eine Unschärfe. Denn neben den Personen mit besonders hoher Bildung finden sich natürlich Personen im Bereich der EEM, die keine solche tertiäre Bildung genossen haben. Bei diesen Fällen wurde in der empirischen Arbeit oftmals folgender Aspekt deutlich: Die Akteur*innen ohne Ausbildung an einer Universität oder Fachhochschule waren mit einer Partnerin oder einem Partner zusammen, die einen solchen Werdegang durchlaufen hatten. Sie waren daher durch Liebesbeziehungen beziehungsweise Partnerschaften indirekt an die Personen mit hoher Bildung angeschlossen.

Neben der Bildung können die Eigenschaften der EEM-Akteur*innen als objektive soziale Klassenfraktion wie folgt beschrieben werden: Für den Aspekt des ökonomischen Kapitals zeigt sich ein weniger eindeutiges Bild. Grundsätzlich sind es vergleichsweise tiefere bis mittlere Einkommen, über welche die Personen verfügen können (vgl. auch Ludewig 2019, S. 78). Dieser Aspekt der Klasse wurde aber nicht konkret erfragt in den Gesprächen, sondern zeigte sich indirekt in den Aussagen den Akteur*innen. Geldprobleme waren für Interviewpartner*innen zwar vorhanden, jedoch selten in einem Ausmaß, dass die Lebensgrundlage im Alltag gefährdet gewesen wäre. So gab es einige Beispiele von prekären Situationen – aber auch Beispiele von besonders wohlhabenden Personen. Einer Konzeption von sozialem Kapital folgend kann hervorgehoben werden, dass die Nähe zwischen der Kulturwelt und der wissenschaftlichen Welt nur eine Verknüpfung unter vielen ist. Es zeigen sich zudem Überschneidungen zu weiteren Musikbereichen sowie verschiedensten anderen Feldern der Kulturproduktion und deren jeweiligen Welten: zur Mode, zur Literatur, dem Theater und mehr (siehe [5.4.6]). Es ist dieses soziale Kapital, das den Akteur*innen der EEM Dinge ermöglicht, die ihnen sonst aufgrund eines geringeren ökonomischen Kapitels verwehrt wären (z. B. eine hohe räumliche Mobilität). Diese Rolle von Beziehungen deckt sich mit den Ergebnissen der Analysen von Luc Boltanski und Arnaud Esquerre, welche die aktuelle „ökonomische Lage der Kulturarbeiter“ in Frankreich zu fassen versuchen (2018, S. 587 ff.). Auch die beiden Autoren präsentieren ähnliche Befunde: Neben dem hohen Bildungsniveau zeigt sich grundsätzlich ein vergleichsweise mittleres Einkommen bei der Klasse der Kulturarbeiter*innen.Footnote 23 Dieses Einkommen speist sich allerdings aus diversen Quellen – und es ist im besonderen Maße abhängig von sozialen Beziehungen und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten (Boltanski und Esquerre 2018, S. 596).

Die Bildungs-, Einkommens- und Sozialkapital-Aspekte führen dazu, dass die Mittelklasse-Akteur*innen der EEM auf bestimmte Ressourcen zurückgreifen können (vgl. Crane 1992, S. 115; Becker 2017, S. 76 ff.): eine bis zu einem gewissen Grad sichere Basis aus personellen Mitteln, Infrastruktur, Medien sowie teilweise Fördergeldern (vgl. Whiting 2021, S. 571 f.; Faustino 2022, S. 96). Dabei ermöglicht der Mittelklassehabitus einen Umgang mit diesen Mitteln, der teilweise ohne eine Profitorientierung erfolgen kann, während der Zugriff auf staatliche Unterstützung durch die Rolle der „ermöglichenden“ Vermittler*innen nochmals verstärkt wird (vgl. Haugsevje et al. 2021, S. 6 f.).Footnote 24 Eine solche Ressourcengrundlage unterscheidet die EEM feldtheoretisch von anderen Musikwelten, die eher dem ökonomischen Pol des Musikfeldes zugeordnet werden können (etwa dem Bereich der elektronischen Tanzmusik). Die darin tätigen Akteur*innen wären entweder stärker auf finanzielle Einkünfte aus Verkäufen angewiesen oder sie würden die Tätigkeiten in der Kulturwelt eindeutiger als Hobby auffassen und von einem eigentlichen „Beruf“ abgrenzen. Gleichzeitig ist die Situation in der EEM hinsichtlich staatlicher Unterstützung weniger sicher oder umfassend. Es werden geringere Summen bereitgestellt als in anderen Welten des Musikfeldes, die noch eindeutiger dem kulturellen Pol gemäß dem Feld der Macht zugeordneten werden können, etwa der akademischen, elektronischen Musik (vgl. Ludewig 2019, S. 77). Das heißt, dass Fördergelder teilweise eben nicht genehmigt werden – oder auch, dass die Musiker*innen der EEM Nebenberufe ausüben müssen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.

Die bisherigen Beschreibungen der EEM-Akteur*innen als Fraktion einer neuen Mittelklasse nahmen bereits Bezug auf vergleichbare und anschlussfähige Gesellschaftsdiagnosen sowie deren Klassenbeschreibungen (d. h. Florida 2002; Reckwitz 2017; Boltanski und Esquerre 2018). Neben diesen allgemeineren Perspektiven auf bestimme Großgruppen und deren sozialstrukturelle Aspekte lässt sich eine Detailstudie heranziehen, um die soziale Gruppe der EEM-Akteur*innen nochmals etwas zu spezifizieren. Michael Liegl widmet sich in einer ethnografischen Arbeit (2016), im Rahmen derer er zwischen 2003 und 2006 eine Künstlergruppe in New York beforschte, nämlich einem sehr ähnlichen Umfeld. Die von ihm untersuchte Gruppe, deren Mitglieder und die damit etablierten Netzwerke können als lokal begrenzte und zeitlich zurückliegende Form der hier untersuchten Kulturwelt der EEM aufgefasst werden. Liegl beschreibt die Sozialstruktur der Gruppe unter anderem folgendermaßen:

Es lässt sich bei aller [von der Gruppe] behaupteten Diversität doch nicht übersehen, dass die meisten der [GS: im Buch dargestellten] Erzählungen [der Akteur*innen] eine frühe Berührung mit Kunst, Musik, Technologie oder eine Kombination davon beinhalten. Fast alle Befragten haben ein Studium abgeschlossen. Müheloser Umgang mit Computern gehört entweder zum Beruf oder zum Hobby, meistens zu beidem. Obwohl viele ihre Kunst mit großem Elan, Ehrgeiz und Engagement betreiben, finden sich doch kaum professionelle bzw. erwerbsmäßige Künstler, sondern eher leidenschaftliche Amateure. Dafür sind aber auch fast alle – was in den sogenannten kreativen Branchen wie Musik, Kunst, Design, Informatik, Journalismus ja nicht unüblich ist – als Freiberufler tätig oder auf Projektbasis beschäftigt. Die Skills dafür verdanken sie nur selten formaler Bildung, sondern wurden autodidaktisch „on the job“ gelernt, und die spezielle selbstaktivierte Weise des Autodidaktentums scheint zentral für die Art des Wissenserwerbs, aber auch das Selbstimage dieser Leute. […] Schließlich bewegen sich viele entweder als Dozenten oder Doktoranden im akademischen Umfeld. Was die sozialstrukturelle Verortung sowie die biographische Herkunft angeht, ergab sich in Interviews mit meinen Feldprotagonisten ein recht klares Muster, das sich auch durch eine Fragebogenerhebung weiter bestätigte – es handelt sich hier, wenig überraschend um die kreative Mittelschicht. (Liegl 2016, S. 71 f.)

Bei den empirischen Fällen, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit untersucht wurden, zeigt sich eine sehr ähnliche Sozialstruktur: Sowohl die zeitlich weiter zurückliegende und sehr konkrete Gruppe als auch die hier betrachtete Klassenfraktion sind geprägt von hoher Bildung und den Netzwerken zwischen verschiedenen kreativen Bereichen. Gleichzeitig werden aber zwei zusammenhängende Verschiebungen deutlich gegenüber den Akteur*innen, die von Liegl untersucht wurde: Erstens sind kultur- und sozialwissenschaftliche Studienabschlüsse nochmals stärker verbreitet als bei der beschriebenen Künstlergruppe in New York. Diese Verbreitung zeigt sich explizit: Unter den Akteur*innen der EEM finden sich nicht nur einzelne, sondern ein großer Anteil an Personen, die ein solches Studium absolviert haben. Die Verbreitung der Kultur- und Sozialwissenschaften zeigt sich darüber hinaus implizit: Das Wissen dieser Disziplinen floss über die letzten zehn bis zwanzig Jahre mehr und mehr in andere Studiengänge ein, deren Abgänger*innen Liegl in seiner Künstlergruppe antraf. Zweitens wird im empirischen Material der vorliegenden Arbeit ein völlig anderer Schwerpunkt deutlich, der das soziale Umfeld ausmacht. Bei Liegls Beschreibungen, die aus der ersten Hälfte der 2000er Jahre stammen, war es insbesondere eine Technikaffinität, die eine symbolische Identität der untersuchten Gruppe repräsentierte. Die Künstlergruppe stellte eine Leidenschaft für Informations- und Kommunikationstechnologien heraus und betonte, sich ständig im Selbststudium im Umgang mit Technik weiterzubilden (Liegl 2016, S. 76 f./146). Diese Allgegenwart von Technik, wie etwa des Laptops und eine damit einhergehende digitale Vernetzung, ist kein Alleinstellungsmerkmal von Kulturwelten mehr. Ein solcher „digitaler“ Lebensstil, den Liegl noch als zentrales Distinktionsmerkmal auffassen konnte, ist heute Alltag für weite Teile der Gesellschaft. Anstelle der Technikaffinität kann das Wissen um kultur- und sozialwissenschaftliche Theorien als ein spezifisches Lebensstilmerkmal hervorgehoben werden. Die Konzepte und Namen der Theoretiker*innen stehen den Mittelklasse-Akteur*innen der EEM als eine Ressource für Distinktion zur Verfügung.

5.2.5 Die selbstverständliche wissenschaftliche Perspektive

Anstatt das Wissen um die theoretischen Konzepte aus den Kultur- und Sozialwissenschaften lediglich als strukturelles Merkmal einer bestimmten Mittelklasse zu verstehen, soll hier nach ersten Konsequenzen daraus für das Umfeld gefragt werden. Mit dem Wissen um die Theorien und der damit einhergehenden neuen Problematisierung erfolgt nämlich eine bestimmte Art der Grenzziehung im Umfeld der EEM. Der Begriff der Grenzziehung oder der „Boundary Work“ wurde unter anderem von Michèle Lamont verwendet und beschreibt allgemein die Art und Weise, wie Personen sich von anderen Personen sowie deren Lebensweisen abgrenzen und so eine eigene Gruppenzugehörigkeit schaffen (Lamont 1992, 2000; Lamont und Thévenot 2000; Lamont und Molnár 2002; Pachucki et al. 2007). Angelehnt an die Beschreibung von Distinktionsmerkmalen und deren Zuordnung zu sozialstrukturellen Gruppen verdeutlicht der Begriff die Handlungen, die Verwendungen von Aussagen oder auch Interpretationsstrategien, die zur Distinktion führen können. Grenzziehung ist daher “the process by which people differentiate themselves from others” (Lamont 2000, S. 270). Im Rahmen dieses Prozesses können die Theorien als eine sozialstrukturell-bedingte Ressource gesehen werden, als „cultural supply side“ (Lamont 1992, S. 7), um Grenzen zu ziehen. Damit wird nochmals stärker als bei der Distinktionstheorie von Bourdieu (1982) betont, wie durch die symbolischen Grenzziehungen die objektiven sozialen Grenzen erst etabliert werden: Es geht um symbolische Ressourcen zur Etablierung, Aufrechterhaltung oder Auflösung von objektiven und institutionalisierten sozialen Unterschieden (vgl. Lamont und Molnár 2002, S. 168 f.).

Der Prozess der Grenzziehung, der in einem Umfeld von Performativität wie der EEM erfolgt, wird insbesondere durch eine selbstverständliche Übernahme einer wissenschaftlichen Perspektive ermöglicht. Dies bedeutet, dass die Akteur*innen ihre Kulturwelten in Bezug zu den Kultur- und Sozialwissenschaften stellen, ihre eigene Produktion über die Problematisierung dieser Disziplinen betrachten, ihre Rolle teilweise als Forscher*innen verstehen oder Themen aus den Kultur- und Sozialwissenschaften als etwas Alltägliches ansehen. Die damit einhergehenden Auffassungen werden als völlig normal sowie gängig verstanden und nicht etwa als ein Merkmal, welches das Umfeld hervorhebt. Trotzdem wird diese wissenschaftliche Perspektive im Umfeld vorausgesetzt und es werden damit Grenzen gegenüber anderen Welten etabliert. Andere Kulturwelten oder andere soziale Gruppen können als „anders“ aufgefasst werden, weil sie keine solch selbstverständliche wissenschaftliche Perspektive auf ihre eigenen Prozesse einnehmen. Teil dieser Selbstverständlichkeit sind auch die Theorien der Kultur- und Sozialwissenschaften – an gewissen Stellen sehr explizit und bewusst, an anderen wiederum nur implizit und unbewusst. Die Übernahme der wissenschaftlichen Perspektive kann an vier Aspekten erläutert und eine damit einhergehende Grenzziehung verdeutlicht werden:

Der erste Aspekt wird an den Referenzen auf die kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien selbst deutlich, die in der Kulturwelt etwa in verschiedenen textlichen Materialien vorgebracht werden. Diese Referenzen können gemacht werden, ohne dass ein theoretisches Konzept näher erläutert werden muss. Das Wissen um eine Theorie wird implizit vorausgesetzt und gehört zu den Bedeutungsstrukturen im Feld dazu. So verweist beispielsweise der Pressetext einer Musikveröffentlichung folgendermaßen auf ein theoretisches Konzept: „Der Begriff Autopoiesis ist nicht im Sinne der luhmannschen Systemtheorie zu verstehen, sondern bezieht sich auf seine biologische Bedeutung, die bloße Selbsterhaltung des Lebens“ (Quelle: Materialsammlung). Im Pressetext der Veröffentlichung erfolgen allerdings keine weiteren Erläuterungen zum erwähnten Soziologen, sondern es wird versucht, das vorgebrachte Verständnis von Autopoiesis auf die klanglichen Aspekte der Veröffentlichung zu übertragen: „‚Found Footage‘, Sprachaufnahmen von verzweifelten Seelen, aber auch manisch treibende Beats zeugen von verschiedenen Formen der Lebenserhaltung“ (ebd.). In der Kulturwelt wird daher vorausgesetzt, dass eine lesende Person selbstverständlich den Begriff der Autopoiesis auf Luhmann beziehen würde. Deshalb muss auch nicht der Begriff erklärt, sondern verdeutlicht werden, dass dieser nicht in einer „gängigen“ Art und Weise gebraucht werde. Dieser Aspekte der Selbstverständlichkeit zeigt sich bei weiteren theoretischen Begriffen wie „Epistemologie“ oder „Habitus“, die anscheinend ohne Erläuterung in der Kulturwelt verwendet werden können. Selbst der Akt des Zitierens ist selbstverständlich und wird vorausgesetzt, wenn etwa „et al.“ in Pressetexten oder anderen Formaten auftaucht. Fehlt die Selbstverständlichkeit in Bezug auf wissenschaftliche Texte, machen die Selbstbeschreibungen der Kulturwelt für eine*n Leser*in wenig bis keinen Sinn.

Ein zweiter Aspekt, wie diese Selbstverständlichkeit der wissenschaftlichen Perspektive im Umfeld der EEM in Erscheinung tritt, kann anhand der bereits erwähnten Gesprächsformate verdeutlicht werden. Diese finden oft auf Festivals der EEM statt und ergänzen als Tagesprogramm die nächtlichen Konzerte und Partys. Bei Vorträgen und Podiumsveranstaltungen präsentieren beziehungsweise diskutieren sowohl Musikerinnen und Journalisten aus der Kulturwelt als auch Wissenschaftler*innen selbst. Solche Formate mögen nicht per se ein Novum in der Kulturproduktion sein und sie können auch nicht exklusiv der Wissenschaft zugeordnet werden. Aber in der Art und Weise, wie sie in der EEM präsentiert werden und ablaufen, gleichen die Gesprächsformate den Konferenzen der Kultur- und Sozialwissenschaften. Die Selbstverständlichkeit der wissenschaftlichen Perspektive zeigt sich bei solchen Gesprächsformaten daran, dass diese in keiner spezifischen Weise für die Festivals eingeführt werden müssen. Deren Bedeutung für ein jeweiliges Musikfestival wird nicht erläutert, sondern das Format selbst als auch dessen Inhalte – etwa ein Befragen, Abstrahieren und Analysieren von Prozessen in der eigenen Kulturwelt – werden als selbstverständlich angesehen. Es wird vorausgesetzt, dass die Festivalbesucher*innen verstehen sollen, warum die Vorträge eines Gesprächsformats zu einem Festival passen sollten, und warum man sich diesen neben dem eigentlichen Musikprogramm widmen soll. Die Formate werden nicht als ein marginaler Bestandteil der Festivalprogramme aufgefasst, sondern als wichtiger Teil. Im folgenden Zitat aus dem Newsletter eines Festivals wird als erster Programmpunkt sogleich das Gesprächsformat genannt – noch vor den eigentlichen Musikveranstaltungen.Footnote 25

Heute starten wir unsere 15. Festivalausgabe. Die vollständige Online-Ausgabe ist ein Versuch, mit neuen digitalen Formaten zu experimentieren und Wege zu finden, sich anzupassen und gleichzeitig wichtige Formen der Kontinuität zu bewahren. […] In diesem Jahr gibt es viele Möglichkeiten, sich am Festival zu beteiligen: Unser Gesprächsprogramm und unser Musikprogramm kann über die Festivalwebseite oder über unseren YouTube-Kanal verfolgt, unsere virtuelle Festivalumgebung und eine Ausstellung können betreten sowie die virtuellen Partys besucht werden oder ihr könnt euch einen Platz sichern, um mit einer generativen Musiksoftware zu experimentieren. (Quelle: Materialsammlung)

Als dritter Aspekt der selbstverständlichen, wissenschaftlichen Perspektive kann auf das eigene Rollenverständnis der Akteur*innen verwiesen werden. Dieses bezieht sich immer wieder auf den Begriff der Forschung. So wird das Publikum der eben erwähnten Gesprächsformate in einer solchen Rolle angesprochen, wenn ein Vortragender eine Antwort auf die Frage beginnt mit: „Wir als Forschende müssen…“ (Quelle: Feldnotizen). Weiter verstehen Akteur*innen ihre Kulturproduktion teilweise als Forschung. Die Begrifflichkeiten wie „Forschung“ und „Forscher*in“ können daher in Bezug auf die Musik und die Akteur*innen in der EEM verwendet werden, ohne dass damit eine der Kulturwelt externe Rolle angesprochen wird. Das genau Bild von Forschung bleibt in der EEM vage und wird selten wirklich explizit gemacht. Es entspricht allerdings am ehesten noch einer kulturwissenschaftlichen Vorstellung (weniger einer empirisch-sozialwissenschaftlichen) und verfolgt die Analyse von Bedeutungen eines „Kulturphänomens“ im Zusammenhang mit weiteren „Kulturphänomenen“ (Wirth 2008, S. 63). Oder die Akteur*innen nehmen Bezug auf neuere Forschungsverständnisse, die etwa explizit Klang als Medium der Forschung verwenden möchten (vgl. Groth und Samson 2016). Das Rollenverständnis als forschende Personen wurde auch in den geführten Interviews deutlich. Das teilweise angestrebte Spiel mit der Expertenposition der interviewten Personen (siehe [4.3.1]) führte nämlich auch zu folgender Konsequenz: Irritationen erfolgten insbesondere dann, wenn sich die Akteur*innen nicht als gleichberechtigte Forschungspartner*innen angesprochen fühlten und sie das Interview eher als Form des Datensammelns auffassten.

Ein vierter Aspekt, der ein Hinweis auf die Selbstverständlichkeit der wissenschaftlichen Perspektive lieferte, zeigte sich allgemein in verschiedenen Gesprächen und den geführten Interviews: Diskussionen von Theoriekonzepten führten keineswegs zu Konfusion oder Irritation bei den interviewten Personen und konnten ohne Erläuterungen zu Autor*innen sowie Konzepten erfolgen – ähnlich wie bei den Pressetexten der Kulturwelt. Gegenüber einer Interviewpartnerin (AC) wurde beispielsweise die Anekdote erwähnt, dass Adorno von seinen Leser*innen angeschrieben und nach Musiktipps gefragt wurde (vgl. Felsch 2015, S. 40). Ohne weitere Hinweise erwiderte die Interviewpartnerin: „Ich bin froh, dass du Adorno erwähnst“ (Quelle: Interview) und sie erläuterte, wieso der Soziologie für sie relevant sei. Die Selbstverständlichkeit wurde auch in informellen Gesprächen immer wieder deutlich: Kultur- und sozialwissenschaftliche Themen sind Aspekte, die verwendet werden können, um eine Ansicht zu verdeutlichen, und sie sind schlicht Gesprächsstoff auf Partys oder bei gemeinsamen Abendessen. Der folgende, längere Ausschnitt aus den Feldnotizen zeigt dies nochmals auf, indem beschrieben wird, wie verschiedene Akteur*innen selbstverständlich auf Konzepte eingehen und darüber sprechen. Dies erfolgt zuerst anhand eines Gesprächs mit zwei Personen, in dem verschiedenste Hinweise vermischt werden, und dann anhand eines weiteren Gesprächs, in dem der Habitus-Begriff von Bourdieu plötzlich auftaucht.

Es findet eine kleine Feier zur Veröffentlichung eines Musikalbums in einer Stadt in der Schweiz statt, draußen vor einem Gemeinschaftsbüro einer Kommunikationsfirma. Der Anlass beginnt am frühen Abend in kleinerer Runde mit zehn Leuten und wächst beständig, bis schlussendlich 30 oder 40 Personen da sind. Es ist ein typisches Beispiel für die Netzwerke der Mittelklasse und deren Überschneidungen: Es sind Musikerinnen, Künstler und Grafikdesigner*innen da, Leute aus dem Theater, aus der Modebranche, von einer Firma, die im Umweltschutz aktiv ist und so weiter – und natürlich auch einige Kultur- und Sozialwissenschaftler*innen. Alles ist verknüpft über das Musikalbum. Die folgenden beiden Gesprächssituationen fanden etwas später am Abend statt.

Beim ersten Gespräch sind Person 1 und Person 2 dabei, ein mit mir befreundetes Paar. P1 hat einen Master in Kunst, die genaue Ausrichtung weiß ich nicht, und ist Musikerin im Bereich der EEM. P2 studierte Kommunikationswissenschaften und arbeitet unter anderem an einem Theater. P1 fragt mich im Verlauf unseres Gesprächs, was das Thema meiner Doktorarbeit sei. Ich beginne kurz zu erläutern. Sie unterbricht ziemlich bald und erzählt mir sogleich von einem Beispiel: einer Konferenz, auf der sie kürzlich war. Als P2 mich fragt, mit wem ich für die Arbeit gesprochen habe, sage ich, dass ich das nicht preisgeben möchte. Und dann, so scheint mir, gehen beide in eine Abwehrhaltung über, als ich weiter über Effekte von Performativität mit ihnen spreche. Dies trifft insbesondere auf P2 zu, aber auch P1 stimmt teilweise mit ein und kritisiert eine angeblich naiv-objektive Position der Wissenschaft. P2 erläutert dann auch, wie wichtig für ihn qualitative Methoden immer waren – ich habe bis zu diesem Zeitpunkt noch kein Wort über Methoden verloren. Für die beiden ist die kultur- und sozialwissenschaftliche Problematisierung völlig selbstverständlich: P1 erläutert beispielsweise Feldeffekte und meint, sie wisse ja, dass Bilder, die in einem Museum hängen, nur aufgrund des Museums ihren Wert hätten. Wiederum: Ich habe bis zu dem Zeitpunkt kein Wort über Felder verloren. Ich habe dabei den Eindruck, dass beide sich keine legitime Kulturproduktion ohne eine solche Problematisierung vorstellen können. […]

Das zweite Gespräch findet zuerst zwischen mir und drei Personen statt: P3 aus der Umweltschutzfirma, einer weiteren Person 4, mit der ich gemeinsam studiert habe, sowie einer Dramaturgin P5. Wir sprechen unter anderem über das Studium der Volkswirtschaftslehre, das sowohl die Person der Umweltschutzfirma als auch die Dramaturgin abgeschlossen haben. Die beiden unterhalten sich darüber, wie selbstverständlich die Idee der Nutzenmaximierung sei. Die Dramaturgin meint noch: „Ja, ich hab’ aber nicht nur das gemacht, sondern auch noch Philosophie studiert“. Irgendwie, so scheint mir, platzt plötzlich eine weitere Person 6 in das Gespräch rein und beginnt von Habitus und Pierre Bourdieu zu sprechen. Dies erfolgt etwa im Sinne von: „Habitus, Bourdieu, ich kann das alles auch, ich komm da draus!“. P6 meint dies wohl nicht ganz ernst, sondern durchaus als lockeren und lustigen Beitrag zur Unterhaltung. Aber: Ich kann mir nicht erklären, wieso sie damit angefangen hat. Vielleicht weil ich zuvor mit einer anderen Person 7 über Soziologie gesprochen habe? Oder hat P6 sonst das Thema überhört bei dem laufenden Gespräch? Weiter erklärt P6, dass sie als Teil ihres Studiums der Betriebswirtschaftslehre an einer Schweizer Hochschule auch ein Drittel der benötigten Kreditpunkte im Fach Soziologie erwerben konnte. (Quelle: Feldnotizen)

Die im Umfeld der EEM etablierten Grenzen werden selten explizit verhandelt und die Abgrenzungen sind für die Akteur*innen selbst nicht immer offensichtlich. Sie werden jedoch dann deutlich, wenn Personen zwischen Welten wechseln. Im folgenden Zitat aus einer Diskussionsrunde erläutert ein EEM-Musiker seinen Wechsel hin zur nahen Kulturwelt der elektronischen Tanzmusik. Eine wichtige Erfahrung dabei war für ihn, dass damit eine kultur- und sozialwissenschaftliche Problematisierung wegfiel. Die damit verbundenen „Probleme“ waren plötzlich keine mehr: „Ich fing an, mehr Zeit mit dem Klubpublikum der elektronischen Tanzmusik zu verbringen. Das war so erfrischend! Ich war von Leuten umgeben, die nie wirklich über die Schrecken des Neoliberalismus diskutierten, sondern einfach feierten“ (Quelle: Feldnotizen). Umgekehrt erfahren Akteur*innen, die neu in der Welt der EEM tätig sind, die Selbstverständlichkeit einer wissenschaftlichen Perspektive als Grenze. Dies erläuterte etwa eine Person, die in dieses Umfeld kam, dort ein Gesprächsformat organisierte und für die Ausrichtung des Formats Kritik aus der Kulturwelt erhielt. Die Organisatorin erklärte in einem Gespräch, dass ihr ein kultur- und sozialwissenschaftliches Verständnis fehle. Deshalb habe sie die kritisierten Aspekte gar nicht bedenken können und sei sehr überrascht gewesen von der Kritik, die sie erfuhr.

Über die Selbstverständlichkeit der wissenschaftlichen Perspektive trifft im Umfeld der EEM die allgemeine Definition von Grenzziehung gemäß Lamont mit einer spezifischen Vorstellung des Prozesses zusammen. Der Begriff wurde nämlich zuerst von Thomas Gieryn verwendet, um Grenzziehung in der Wissenschaft zu beschreiben (1983, 1999): Mit “Boundary Work” beschreibt er “the discursive attribution of selected qualities to scientists, scientific methods, and scientific claims for the purpose of drawing a rhetorical boundary between science and some less authoritative residual non-science” (Gieryn 1999, S. 4; vgl. Lamont 2000, S. 270; Lamont und Molnár 2002, S. 180). Auch die Grenzziehung im Bereich der EEM erfolgt spezifisch über implizite Vorstellungen von Wissenschaftlichkeit und einer kultur- und sozialwissenschaftlichen Problematisierung. In Bezug zu dieser Vorstellung von Wissenschaftlichkeit werden Zugehörigkeiten bestimmt und Wertigkeiten verhandelt. Gleichzeitig gilt diese Grenzziehung nicht nur den Akteur*innen der Kulturwelt, sondern auch Wissenschaftler*innen (z. B. die Vertreter*innen der Studies) können so innerhalb der Grenzen und als dem sozialen Umfeld zugehörig verortet werden.

Die Selbstverständlichkeit der wissenschaftlichen Perspektive, mit der die Zugehörigkeit von Personen und Kulturprodukten festgemacht wird, ist noch nicht ausreichend für die Erklärung von Performativität. Auf der einen Seite ist die damit verbundene symbolische Grenzziehung über die Referenzen auf Theorien nur eine Strategie unter vielen anderen, mit denen die sozialen Grenzen in der Kulturwelt symbolisch verdeutlicht werden (vgl. Thornton 1995, S. 155 f.). So können Akteur*innen diese Art der Grenzziehung zwar anerkennen, für sich selbst aber auch andere Strategien nutzen, um Zugehörigkeit zur Kulturwelt zu beanspruchen. Die vollständige Darstellung der Lebensstile in der EEM ist nicht das Ziel der vorliegenden Arbeit. Auf der anderen Seite folgen aus dieser spezifischen Art der Grenzziehung weitere Prozesse: Diese werden in späteren Unterkapiteln als die eigentlichen performativen Effekte erläutert [5.3.45.3.6] oder als die neuen Prozesse in einer Kulturwelt aufgefasst [5.4.5]. Die Grenzziehung wird lediglich als eine vorläufige Konsequenz (vgl. Gieryn 1999, S. 23) von Performativität angesehen beziehungsweise als ein weiterer Schritt der Übersetzung hin zur performativen Verwendung der Konzepte.

5.2.6 Nahelegungen der Verwendung von Theorie

In den bisherigen Darlegungen zur Situation der Intermediation wurde beschrieben, wie eine neue Problematisierung von Kulturproduktion sich in einer Kulturwelt etabliert, wie Theorien aus den Kultur- und Sozialwissenschaften an Akteur*innen vermittelt werden und wie so ein bestimmtes soziales Umfeld für performative Kulturproduktion entsteht. Damit werden allgemeine Effekte deutlich, die im Zusammenhang mit Performativität stehen. Neben der zuletzt erläuterten, selbstverständlichen wissenschaftlichen Perspektive wäre ein weiterer allgemeiner Effekt, dass die Akteur*innen im besonderen Maße eine „kritische“ Haltung einnehmen und ihre Kritik über theoretische Konzepte formulieren. Eine solche kritische Haltung wird von den Studies bereits vorgegeben (vgl. Sterne 2012, S. 5; Gaugele und Kastner 2016b, S. 2) und etabliert sich im weiteren Sinne als Teil der Intermediation. Oder anders formuliert: Die kritische Haltung wird den Akteur*innen in der Situation der Intermediation nahegelegt. In vergleichbarer Weise werden den Akteur*innen auch spezifischere Dinge in der Situation nahegelegt: Verwendungsweisen der kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien für Kulturproduktion. Für die theoretischen Konzepte wird daher nicht nur ein allgemeiner Rahmen geschaffen, der diese über bestimmte Formen vermittelt und allgemein die Verwendung der Theorie sinnhaft macht. In der Situation der Intermediation werden zudem „Qualitäten“ in den Theorien etabliert: Es werden erste Möglichkeiten implizit nahegelegt, welchen Nutzen Theorien im Bereich der Kulturproduktion haben, wie sie verwendet werden könnten oder was daraus folgen sollte. Diese Nahelegungen sind Teil des in der Kulturwelt öffentlichen und damit sicht- sowie erfahrbaren Umgangs mit Theorien. Es ist die Art und Weise, wie die Akteur*innen die Verwendung der theoretischen Konzepte in der Situation wahrnehmen, bevor sie die Konzepte womöglich selbst verwenden.

Im vorliegenden Abschnitt sollen nun die verschiedenen Varianten beschrieben werden, wie die Verwendung von Theorie nahegelegt wird. Diese Varianten sind nicht etwa eine theoretische Gliederung, sondern sie umfassen die Nahelegungen, die im empirischen Material aus der Kulturwelt der EMM auftraten. Gleichzeitig wurden zu deren Konzeptualisierungen theoretische Überlegungen von anderen Autor*innen miteinbezogen (insbesondere Abend 2008). Erläutert werden so insgesamt sieben verschiedene Möglichkeiten der Theorieverwendung: (1) als Qualitätsinstanz, (2) zur Erweiterung der Relevanz, (3) für Produktionstechniken, (4) für Konsumformen, (5) für Sozialformen, (6) zur Etablierung von Problembereichen und (7) zur Veränderung der Ontologie. Diese Möglichkeiten schlossen sich dabei nicht gegenseitig aus, sondern traten sowohl einzeln als auch kombiniert auf.

(1) Theorieverwendung als Qualitätsinstanz und (2) zur Erweiterung der Relevanz

Die beiden ersten Nahelegungen der Verwendung von Theorie entsprechen sehr stark dem Konzept einer Rechtfertigung (Boltanski und Thévenot 2007) von Arten und Weisen der Kulturproduktion. Bei der Anwendung als Qualitätsinstanz werden theoretische Konzepte als eine Markierung angefügt, um eine bestimmte Wertigkeit zu begründen und zu legitimieren. Das heißt, dass eine künstlerische Praxis in ihrer Art und Weise, eine Entscheidung für beziehungsweise gegen etwas oder auch eine Meinung zu etwas durch eine Theorie mit zusätzlichem argumentativem Gewicht versehen wird. Die Situation der Intermediation vermittelt daher theoretische Konzepte als etwas, mit dem bereits vorhandene Kulturproduktionen in ihrer Art und Weise als „richtig“ herausgestellt werden (im Sinne einer akademischen Rechtfertigung, vgl. Peters und Roose 2020, S. 961). Dies wird möglich, weil die Resultate der Kulturproduktion als mit einer Theorie übereinstimmend empfunden werden: weil sie einer angemessenen Weltanschauung entsprechen. In einer Gesprächsrunde im Rahmen eines Festivals betonte beispielsweise ein beteiligter Wissenschaftler, dass die Kombination von Musikgenres bei DJ-Sets der wichtige Aspekt einer bestimmten Szene sei. Dies rechtfertigte der Wissenschaftler, indem er sich auf theoretische Arbeiten aus dem Feminismus bezog, etwa von der Geschlechterforscherin und Literaturwissenschaftlerin Judith Halberstam.Footnote 26

Die zweite Möglichkeit, wie die Verwendung von theoretischen Konzepten nahegelegt wird, ist zur Erweiterung der Relevanz. Konzepte sollen dabei deutlich machen, dass ein Resultat der Kulturproduktion eine gesamtgesellschaftliche Aktualität besitzt. Die Theorien verdeutlichen, so wird impliziert, wie ein Musikstück die Art und Weise der sozialen Realität abbildet oder wieso das Musikstück generell eine besondere Relevanz besitzt. So werden im Verhältnis zur Kulturproduktion weitere Bezüge aufgemacht, etwa Fragen zu „Kapitalismus“ oder „Klassen“ (worüber eine soziale Rechtfertigung deutlich wird, vgl. Peters und Roose 2020, S. 960). Dabei wird vermittelt, dass ein Resultat der Kulturproduktion mehr sein kann als lediglich Musik, wenn man dieses Resultat durch die theoretische Perspektive betrachtet. Dies kann nicht nur in einem positiven Sinne erfolgen, sondern natürlich auch in Form von Kritik: In einem Gespräch zwischen einem Musiker und einer Wissenschaftlerin wurde etwa eine Ausprägung eines Genres der elektronischen Musik in den 1990er Jahren in Belgien als besonders problematisch beschrieben. Die formulierte Kritik richtete sich dabei nur anfänglich gegen den Musikstil selbst und ging dann über zu weiteren gesellschaftlichen Bereichen: An dem Genre, so wurde vermittelt, seien ebenfalls bestimmte Probleme von den linken politischen Parteien ersichtlich. Die von den beiden Personen in diesem Gespräch eingebrachte Perspektive auf Musik leitete sich insbesondere von einer postkolonialen Theorie ab.

(3) Theorieverwendung für Produktionstechniken sowie (4) Konsum- und (5) Sozialformen

Während die ersten beiden Nahelegungen der Theorieverwendung noch keine Veränderungen am Resultat der Kulturproduktion implizieren, zeigen sich bei der dritten bis fünften Variante bereits konkrete Vorschläge für Änderungen: Die theoretischen Konzepte werden nämlich weiter als etwas vermittelt, mit dem bestimmte Produktionstechniken begründet werden können. Dies kann von sehr allgemeinen Nahelegungen reichen, etwa dass jedwede Änderung gegenüber etwas „Traditionellem“ richtig sei oder dass das Anfassen von physischen Gerätschaften zur Produktion zentral wäre. Die durch Theorien erläuterten Produktionstechniken können aber auch konkreter werden, indem etwa das sogenannte „Sampling“ von Klängen als wichtig beschrieben wird oder dass Produktionsprozesse mit Synthesizern einen Zufallsaspekt beinhalten sollen. Die theoretischen Konzepte, die im Zusammenhang mit diesen Beschreibungen stehen, funktionieren dabei als Übergang: von einem allgemeinen Punkt hin wird zur konkreten Entscheidung bei Produktionsprozessen übergeleitet. In einem Vortragspanel erläuterte etwa ein Wissenschaftler, wie Änderungen von Klangfarben aufgrund technischer Entwicklungen in der Musikproduktion sehr einfach realisierbar seien. Mit Verweis auf die Sozialphilosophie beziehungsweise die Kritische Theorie (der Frankfurter Schule) wurden diese einfachen und vielfältigen technischen Möglichkeiten als Problem beschrieben. Daraus folgerte der präsentierende Wissenschaftler, dass bei der Verwendung von Musikproduktionssoftware nicht zu viele Möglichkeiten gewählt werden sollten.

Neben dem Bezug zu Produktionstechniken werden die Theorien in der Situation als etwas vermittelt, mit dem konkrete Konsumformen für Resultate der Kulturproduktion ausgezeichnet werden können. Im zuvor erwähnten Beispiel, in dem auf die Kritische Theorie verwiesen wurde, zog der Wissenschaftler weitere Konsequenzen seiner theoretischen Betrachtung: Es sei problematisch, wenn bestimmte Musikgenres bei der Arbeit gehört würden. Solche konkreten Vorschläge zum Hören oder Nicht-Hören von Genres waren eine Variante dieser vierten Möglichkeit der Nahelegung der Verwendung von Theorie. Eher allgemeinere Ausprägungen dieser Nahelegung erläuterten, dass es um ein „kritisches“ oder besonders „genaues“ sowie „vertieftes“ Zuhören gehen sollte. Letztere Konsumform wurde in einem Text eines Onlinemagazins in Bezug zu den Arbeiten der Soziologin Eva Illouz hergeleitet. In den verschiedenen Ausprägungen der vierten Variante wurden die theoretischen Konzepte als etwas präsentiert, das eine Erklärung eines bestimmten sozialen Phänomens hervorbrachte und dabei eine explizit normative Position aufwies, von der aus die Konsumform abgeleitet werden konnte.

Als fünfte Möglichkeit werden in der Situation der Intermediation mit den Theorien Sozialformen erläutert und so eine Verwendung der theoretischen Konzepte nahegelegt. Dabei werden Theorien als etwas eingeführt, das die Art und Weise der sozialen Realität fasst. Im Lichte der jeweiligen sozialen Realität erhalten dann bestimmte Sozialformen eine Relevanz. Diese können sehr konkret in Bezug zu Produktionstechniken oder Konsumformen stehen: wenn etwa Improvisation mit anderen Musiker*innen als ein wichtiges Element beschrieben wird oder einige Genres als förderlich für ein gemeinsames Erleben von Musik dargelegt werden. Die Sozialformen können aber auch nur indirekt Bezüge zu den Resultaten der Kulturproduktion herstellen. So kann ein gemeinsames Entdecken von Orten als Praxis erläutert oder sehr allgemein „Solidarität“ betont werden. In einer Diskussion, die im Anschluss an einen Panelvortrag im Rahmen eines Festivals stattfand, wurde beispielsweise das Verwandtschaftskonzept der Feministin und Wissenschaftsforscherin Donna Haraway besprochen. Zuerst erläuterte eine teilnehmende Person die Art und Weise, wie sich die theoretischen Konzepte Haraways in einer Szene zeigen. Dies führte dazu, dass Maßnahmen während der Coronapandemie 2020 kritisiert wurden, da mit diesen Maßnahmen andere Verwandtschaftsarten gemäß Haraway ignoriert würden, die in der Kulturwelt vorzufinden seien.

(6) Theorieverwendung zur Etablierung von Problembereichen und (7) zur Veränderung der Ontologie

Bei der sechsten und der siebten Möglichkeit, wie die Verwendung von Theorie nahegelegt wird, zeigen sich fundamentalere Konsequenzen für die Prozesse rund um Kulturproduktion. Bei der Verwendung der Theorien zur Etablierung von neuen Problembereichen wird, ähnlich wie bei der zweiten Möglichkeit, die Relevanz eines Resultates der Kulturproduktion erweitert. Dabei wird aber auch das Resultat der Kulturproduktion selbst erweitert, indem dieses mit neuen Aufgaben konfrontiert und erläutert wird, dass die bisher damit verbundenen Problemstellungen noch nicht ausreichend sind. Die neuen Problembereiche können durch eine theoretische Perspektive mit einem Resultat der Kulturproduktion verbunden werden, da die Theorie eine Weltanschauung sowie eine normative Position vermittelt, mit der Probleme als solche aufgefasst werden. Im Zusammenhang mit den so vermittelten neuen „Aufgaben“ von Kulturprodukten können dann auch Änderungen von Produktionsprozessen erläutert werden, dies muss aber nicht sein. So schreibt etwa eine Wissenschaftlerin in einem Artikel für eine Zeitschrift der Kulturwelt, dass Konzerte und Festivals ökologische Herausforderungen neu imaginieren sollen. Der Vorschlag wurde in Bezug auf ein Konzept der Philosophin Kate Soper vorgebracht. Gleichzeitig unterließ es die Wissenschaftlerin, in ihrem Artikel konkretere Vorschläge zur Änderung von Prozessen zu nennen, um die neu mit der Kulturwelt in Zusammenhang gebrachte Aufgabe anzugehen.

Die letzte Möglichkeit, wie die Verwendung von Theorien nahegelegt wird, steht im Zusammenhang zur Ontologie der Kulturproduktion. Die Theorien werden dabei als Grundlage gebraucht, die eine Diskussion über die Art und Weise der sozialen Realität initiiert und eine Erklärung eines bestimmen sozialen Phänomen ermöglicht. In der Situation der Intermediation werden dabei auch neue oder andere Ontologien für die Resultate der Kulturproduktion vermittelt: wer alles wirklich an einer Kulturproduktion beteiligt ist und was dazugehört. Beispielsweise vermittelte ein Akteur in einer Mischung aus Kunstperformance und Vortrag, die Teil eines Festivals war, verschiedene theoretische Überlegungen des Literaturwissenschaftlers und Medientheoretikers Friedrich Kittler. Mit seiner theoretischen Argumentation legt der Akteur den Körper als das eigentlich zentrale Element der Klangproduktion fest: „Die akustische Erfahrung der Moderne vollzieht sich letztlich in der Verkörperung. Es ist der Körper, der die Imaginationen und Äußerungen der Moderne durch seine Performance wiederholt, repliziert und diversifiziert“, so seine Aussage (Quelle: Feldnotizen). Solche theoretisch vermittelten Ontologien erweitern zugleich andere Nahelegungen. Die zuvor angesprochene, „neue“ Bedeutung von Improvisation könnte daher über die Theorieverwendung noch ausgeweitet werden: auf Improvisation mit Musiker*innen aus anderen Traditionen oder auf Improvisation als Reaktion auf eine Umgebung.

5.2.7 Exkurs zur Situation der Intermediation: Design

Zur Kontrastierung der bisher erläuterten Aspekte in der Situation der Intermediation der EEM soll in diesem Abschnitt ein Exkurs in die soziale Welt des Designs präsentiert werden. Die Einblicke in die dortige Situation der Intermediation verdeutlichen nochmals, dass die Theorien der Kultur- und Sozialwissenschaften in weiteren gesellschaftlichen Bereichen performativ wirken und Performativität als breiteres Phänomen aufzufassen ist. Die soziale Welt des Designs wurde zuerst als möglicher Exkurs betrachtet, da einige Akteur*innen der EEM Design-Studiengänge besucht hatten und darauf verwiesen, dass sie so in Kontakt mit theoretischen Konzepten der Kultur- und Sozialwissenschaften kamen. Die eigentliche Entscheidung für diese Welt erfolgte aber aufgrund folgender beider Überlegungen: Im Gegensatz zur EEM steht im Design erstens die Produktion von funktionalen Objekten oder Objekten mit „Gebrauchswert“ (vgl. Reckwitz 2017, S. 120 f.) im Zentrum, so die Ausgangslage. Gemäß den Definitionen, die im Feld aufgeführt werden (Friedman 2003; Singh et al. 2018), wird Design als ein Prozess beschrieben, der ein Problem lösen, die Kreation von etwas Neuem ermöglichen oder eine wünschenswerte Änderung schaffen soll. Im Folgenden stehen aber nicht die eigentlichen Produktionsprozesse im Zentrum, sondern die Situation der Intermediation in dieser sozialen Welt. Zweitens wurde der Bereich gewählt, weil hier neben theoretischen Konzepten auch sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden in den Ausbildungsinstitutionen vermittelt werden (vgl. Seitz 2017, S. 42), was wiederum bei der EEM nicht erfolgt. Ziel des Exkurses ist es daher, einige Eigenheiten bei der Vermittlung der theoretischen Konzepte der im Zentrum stehenden Kulturwelt EEM herauszuarbeiten und zu allgemeineren Erkenntnissen für eine Situation der Intermediation zu gelangen.

Den Selbstbeschreibungen des Feldes folgend kann im Bereich des Designs eine Entwicklung festgemacht werden, die in gewissen Segmenten dieser Welt und ihren Ausbildungs- sowie Produktionsstätten ebenfalls einen „Turn to the Social“ auslöste. In den letzten fünfzig Jahren erfolgte ein Übergang von einem Produktdesign, das Dinge „nützlich“ und „schön“ gestaltete, hin zu verschiedenen anderen Ausprägungen, bei denen Technologien und Dienstleistungen „nutzbar“ gemacht oder – noch allgemeiner – Dinge „möglich“ gemacht werden. Im Rahmen dieses Übergangs haben insbesondere die Sozialwissenschaften und deren Forschungsmethoden sowie theoretische Konzepte Einzug in den Designbereich gefunden (während im Feld selbst weniger von Kulturwissenschaften gesprochen wird). Diesen Entwicklungen wird mit diversen Begriffen Ausdruck verliehen, beispielsweise „Design Thinking“ (Brown 2009): Der Ansatz startete in der Designforschung als ein Prozess zur Selbstreflexion, bevor mit dem Schlagwort dann ein sozialwissenschaftlich-informierter Designprozess selbst bezeichnet wurde (vgl. Seitz 2017, S. 9 f.). Andere Begriffe für das Phänomen sind etwa „Social Design“ oder auch „Design Management“. Der Einzug der theoretischen Konzepte kann hier in ähnlicher Weise wie bei den Studies im Musikbereich mit einer Idee von Interdisziplinarität in Zusammenhang gebracht werden. Design soll sich also an Perspektiven aus anderen Disziplinen bedienen. Die Notwendigkeit für interdisziplinäre Praktiken wird dabei mit der Komplexität von gesellschaftlichen Prozessen begründet, die von einem disziplinären Denken nicht erfasst werden könnten. Die Komplexität wiederum zeige sich im Designbereich etwa im Zusammenhang zu einer Umweltthematik und ökologischen Herausforderungen, die als Begründung für die benötigten Veränderungen herangezogen werden.

Die Konsequenz aus den Veränderungen im Design war gleichermaßen eine neue, sozialwissenschaftliche Problematisierung der Produktion, die vergleichbar ist mit der zuvor erläuterten Situation der EEM. Die Problematisierung weist ebenfalls zwei Schwerpunkte auf: Auf der einen Seite – und vergleichbar mit der Bedeutung des Sozialen für den Klang – sollen insbesondere die Benutzer*innen von Design und deren Perspektive besser verstanden werden. Die Notwendigkeit für dieses genauere Verständnis wird in der Situation der Intermediation von theoretischen Konzepten hergeleitet und begründet, etwa von der Individualisierungsthese des Soziologen Ulrich Beck (1986) oder durch das Konzept des taktilen Wissens des Naturwissenschaftlers und Philosophen Michael Polanyi (2016). Das Verständnis für die Prozesse des Sozialen würde demzufolge Designprozesse verbessern. Auf der anderen Seite – und vergleichbar mit der Bedeutung des Klangs für das Soziale – wird eine Eigenständigkeit von Objekten sowie die daraus entstehenden Verknüpfungen betont. Diese zweite Seite der neuen Problematisierung wird insbesondere mit den Ansätzen der soziologischen Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) begründet (z. B. Latour 2006). Design habe das Potenzial, die „sozio-materiellen Realitäten“ zu verändern, so eine Beschreibung eines Akteurs (Quelle: Materialsammlung).

Im Verständnis der Akteur*innen, und zwar unabhängig vom jeweiligen Schwerpunkt, erweitert die neue Problematisierung die Relevanz der Produktionswelt und unterstreicht eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung von Design (vgl. Seitz 2017, S. 103 f.). So hob der Ankündigungstext eines Design-Symposiums hervor:

In unseren Gesellschaften herrschen Ungleichheitsverhältnisse von Geschlechtern und Machtstrukturen von Klassen, während wir uns gleichzeitig mit den aktuellen Herausforderungen und Chancen einer pluralistischen Gesellschaft konfrontiert sehen. Vor diesem Hintergrund muss die Frage nach der Rolle und Verantwortung von Design aus unterschiedlichsten Blickwinkeln besprochen werden. (Quelle: Materialsammlung)

An solchen Design-Symposien werden wiederum ähnliche Effekte deutlich, wie sie oben für die EEM beschrieben worden sind: Sie funktionieren als sozial durchmischte Interaktionsbezüge, in denen ebenfalls verschiedene Akteur*innen aus den Studies neben Designer*innen auftreten, die eine Problematisierung der Produktion vorantreiben. Wie auch in der EEM weisen die zentralen, die Theorie vermittelnden Akteur*innen einen pluralen Habitus auf, da sie gleichzeitig in verschiedenen sozialen Welten aktiv sind (vgl. Seitz 2017, S. 51).

Die neue Problematisierung von Design stützt sich ebenfalls auf einen bestimmten Kanon von theoretischen Texten, der von zentralen Akteur*innen im Feld reproduziert wird. Insbesondere Studiengangsleiter*innen an Fachhochschulen definieren eine kleinere Auswahl von theoretischen Bezügen, die dann rezipiert werden. Diese Äquivalenz durch Personen, wie sie in der EEM als Aspekt der Form der Institution eingeführt wurde, wird daher in der Welt des Designs besonders deutlich. Der etablierte Kanon weist Überschneidungen zu demjenigen auf, der in der Situation der Intermediation der EEM deutlich wurde. Insbesondere die Texte der ANT oder diejenigen des Philosophen und Soziologen Michel Foucault wurden auch im Bereich des Designs rezipiert. Nebst in beiden Situationen besonders prominenten theoretischen Ansätzen finden sich aber auch Abweichungen im Bereich des Designs: etwa der Soziologe Anthony Giddens sowie der bereits erwähnte Beck und deren gemeinsame Vorstellung einer zweiten beziehungsweise reflexiven Moderne (Beck et al. 1996a). Diese Autoren können im Bereich des Designs stärker im Zentrum des Theorie-Kanons verortet werden, während ihre Texte in der Intermediation der EEM weniger prominent vorkommen (siehe auch [5.4.4]).

Das Zustandekommen der Abweichung im Theoriekanon des Designs kann hier nicht im Detail nachvollzogen werden (und auch zur genauen Beschreibung des Kanons wurde zu wenig Material erhoben). Hinweise für eine Erklärung finden sich aber in den sozialwissenschaftlichen Theorien selbst. Auch in der Welt des Designs scheinen die theoretischen Beschreibungen eine Art Erkennungssignal für die Akteur*innen auszusenden, dass eine positive Valorisierung von Produktionsprozessen vermittelt. Einige Konzepte und Theorierichtungen ermöglichen diese positiven Bezüge anscheinend unmittelbarer hervorzuheben als andere. Offensichtlich wird dies bei der ANT und deren Betonung von Aktanten: Wird die Rolle von materiellen Aspekten für das Soziale betont, so wird auch in unmittelbarer Weise die Relevanz eines Bereichs wie Design verdeutlicht, der eben jene materiellen Aspekte produziert. Ein solches unmittelbares Valorisierungspotenzial zeigt sich anscheinend auch in Becks Texten, wie etwa im folgenden Zitat: “[…] the individual as actor, designer, juggler and stage director of his own biography, identity, social networks, commitments and convictions” (Beck 1997, S. 95, eigene Hervorhebung).Footnote 27 Das Zitat wurde von einer Akteurin gleich mehrfach in einem Kapitel eines Designhandbuchs aufgeführt und sie nutzte eine damit zusammenhängende Argumentation, um bestimmte „Innovationsprozesse“ im Design positiv hervorzuheben. Die Theorien beziehungsweise deren Vermittlungen in der Situation haben so eine bestimmte Signalwirkung für die Akteur*innen und ermöglichen eine Konsekration der Resultate der Kulturproduktion, hier eben Design.

Designprozesse zielen oftmals auf die „Lösung“ eines bestimmten und extern festgelegten Problems ab. Solche klaren Vorstellungen des Problemlösens finden sich in den klanglichen Experimenten der EEM kaum. Trotzdem zeigt sich auch im Design ein ähnlicher Effekt in Bezug zur Verhandlung von Produktionsprozessen, der eine Vermittlung von Theorien überhaupt erst ermöglicht. Denn auch in dieser Welt steht eine Offenheit der Produktion im Zentrum, die wichtig ist für die Situation der Intermediation. Es ist also keineswegs genau definiert, auf was ein Designprozess hinauslaufen soll (abgesehen von einer wie auch immer sich ergebenden „Lösung“). Diese Vorstellung von Offenheit in der Designproduktion ist auch das Resultat der neuen sozialwissenschaftlichen Problematisierung von Produktionsprozessen (vgl. Frascara 2002, S. xiv f.). In den neueren Entwicklungen von „Design Thinking“ und ähnlichem ist die Abwesenheit eines finalen, physischen Objektes kein Problem mehr. Ein Designer (RA), mit dem ein Interview geführt wurde, erklärte, dass auch eine Idee selbst als das Resultat eines Designprozesses angesehen werden könne. Zudem wird ein Forschungsprozess und dessen Ergebnis als eine Möglichkeit der Problemlösung und damit als Designprozess angesehen. Ähnlich wie bei der EEM ermöglicht daher eine grundsätzliche Offenheit der Produktionsprozesse, dass theoretische Konzepte zur Anwendung kommen können.

Im Umgang mit den Theorien aus den Sozialwissenschaften zeigen sich im Bereich des Designs ähnliche Effekte, wie sie bereits bei gewissen Formen der Intermediation der EEM deutlich wurden. Das Wissen um die Theorien führt auch hier keineswegs zu einer rigorosen Übernahme von Forschungs- und Arbeitsmethoden der Sozialwissenschaften (vgl. Seitz 2017, S. 42/46). Vielmehr wird im Design wiederum ein wenig reglementierter Umgang mit den theoretischen Konzepten deutlich. Der Interviewpartner aus der sozialen Welt des Designs (RA) bezeichnete beispielsweise die Art, wie er die Theorien erlernt hatte und wie er diese Konzepte verwendet, als „gefährliches Halbwissen“ (Quelle: Interview). Unabhängig von einer solchen normativen Bewertung wird aber auch im Design deutlich, dass bei den Akteur*innen eine Erwartungshaltung für Theorie vorhanden ist. Dementsprechend tauchen die Theorien als Lebensstilressourcen auf und werden von den Personen in der Freizeit gelesen.

Die verschiedenen Varianten der Nahelegung der Theorieverwendung wurden im Design weniger detailliert erhoben als in der zuvor beschriebenen Situation der Intermediation der EEM. Trotzdem können einige Vergleiche gemacht werden: Die Theorien wurden hier ebenfalls als etwas vermittelt, das als Qualitätsinstanz verwendet werden kann. Eine Autorin erläuterte hierzu etwa, dass „die Architektin als Designerin am Designproblem der Raumplanung bei kleinen Flächen arbeitet und gleichzeitig am soziologischen Problem der Individualisierung“ (Quelle: Materialsammlung). Ein theoretisches Konzept – hier die Gesellschaftsdiagnose von Beck – wird als etwas präsentiert, das die Entscheidung zur Arbeit an „kleinen Flächen“ legitimiert. Hingegen wurde in den untersuchten Fällen die Verwendung von Theorien zur Erweiterung der Relevanz von bereits vorhandenen Prozessen nicht nahegelegt. Vielmehr scheint im Feld selbst bereits deutlich genug zu sein, dass die Designprozesse relevant seien. In vergleichbarer Weise werden die Theorien nicht als etwas benötigt, was das Ontologieverständnis in der sozialen Welt erweitern soll. Dieses scheint im Feld bereits sehr breit zu sein und soll daher vor allem durch Theorien bestätigt werden. Eine solche Nahelegung zur Bestätigung des Ontologieverständnisses wird im folgenden Textausschnitt deutlich, der im Zusammenhang mit theoretischen Konzepten von Foucault steht und einem Designhandbuch entnommen wurde:

Diskurse und die von ihnen etablierten Beziehungen existieren nicht nur in der Sprache, sie sind auch materielle Artefakte. Ziegel, Mörtel, Metall, Kunststoff, Papier, Textilien und die anderen Materialien des Designs sind alle mit sozialen und kulturellen Bedeutungen durchdrungen. Die Verwirklichung von Bedeutungen im Design – die Form, die Gestalt, die Kontur, die Berührung, der Geruch, das Sehen, der Klang und der Geschmack – tragen alle zur besonderen Verwendung von Objekten bei und können diese verändern. (Quelle: Materialsammlung)

Die Nahelegungen zur Verwendung von Theorie für Produktionstechniken sowie Konsumformen und Sozialformen wurden für den Exkurs nicht in diesem Detailgrad aufgeschlüsselt. Es kann aber auf eine Nahelegung hingewiesen werden, die vergleichbar damit ist und die allgemeiner auf die Änderungen von Prozessen abzielt. Hierbei zeigt sich in den untersuchten Fällen, dass Theorien zur Etablierung von Forschungsansätzen vermittelt wurden. Designprozesse können über die theoretischen Konzepte dahingehend erweitert werden, dass sie Forschung beinhalten, und Forschungsergebnisse können das Resultat von Design sein. So stelle Design im Anschluss an die ANT die Trennung von „Handeln und Denken“ oder von „realen Objekten und Ideen“ in Frage, wie in dem Designhandbuch erläutert wird (Quelle: Materialsammlung).

Eine besonders zentrale Weise der Theorieverwendung, die in der Situation nahegelegt wurde, war diejenige der Etablierung von Problembereichen. Hierbei sollten die Ziele des Designs auf andere Bereiche übertragen werden. Dies zeigte sich etwa am Ziel der „Benutzerfreundlichkeit“: Ein theoretisches Konzept wie dasjenige des taktilen Wissens (Polanyi 2016) wurde von einer Akteur*in herangezogen, um den Aspekt der Benutzerfreundlichkeit sowohl zu bestätigen (als Qualitätsinstanz) als auch dessen Problembereich zu ergänzen. Neu und dem theoretischen Konzept folgend müsse ein implizites Wissen im Umgang mit Objekten als ein zentraler Aspekt des Designprozesses aufgefasst werden. Erst dann könne eine Benutzerfreundlichkeit erreicht werden. Eine vergleichbare Erweiterung des Designs verdeutlichte der bereits erwähnte Interviewpartner (RA): Ziel seines Designprozesses sei, die genaue Verknüpfung von sozialen Normen und Geschlechterrollen besser zu verstehen, um Probleme zwischen den Rollen zu lösen. Die Idee leitete er aus theoretischen Konzepten der Geschlechterforschung ab und übertrug so das Designziel der „Verbesserung“ auf einen neuen Bereich. Nicht zuletzt ist ein solch neuer Problembereich die eigene Rolle als Designer*in (vgl. Seitz 2017, S. 50 f.; Salvadeo 2020). Diese Rolle soll im Anschluss an theoretische Vorstellungen neu hinterfragt werden und wird daher zu einem Problembereich, dem sich das Design widmen soll. Diese Art der Etablierung von neuen Problemen trat in der Kulturwelt der EEM zwar auf, aber weniger zentral als im Bereich des Designs.

Mit dem erläuterten Schwerpunkt wird der zentrale Unterschied zwischen den Welten des Designs und der EEM deutlich. Im Vergleichsfall scheint eine stärkere Autonomie im Umgang mit den Konzepten zu herrschen. Die Theorien werden von der sozialen Welt besonders stark übersetzt und es zeigt sich deutlicher ein „Brechungseffekt“ (Bourdieu 1999, S. 349; vgl. Peters und Roose 2020, S. 966; Viala 1989) als in der EEM. Das heißt, dass die nahegelegten Verwendungen der theoretischen Konzepte den Feldlogiken sowie den Interessen der Akteur*innen im Feld folgen: Die bereits in der sozialen Welt etablierten Ziele gilt es zu bestätigen und auf neue Problembereiche zu übertragen. Im Zusammenhang mit einer solchen Autonomie des Feldes im Umgang mit den Konzepten können weitere Unterschiede zwischen den Welten hervorgehoben werden: So trat die im Bereich der EEM omnipräsente, kritische Haltung in den untersuchten Fällen des Designs kaum auf. Das kritische Hinterfragen der eigenen Prozesse im Feld war weniger der zentrale Aspekt der neuen Problematisierung. Ebenfalls fanden sich keine Hinweise darauf, dass dem Umgang mit Theorie ein Selbstwert zugewiesen wurde, also dass vor allem Theoriearbeit als Selbstzweck betrieben werden soll. Die theoretischen Konzepte werden im Bereich des Designs weniger breit diskutiert, sondern unmittelbarer mit Designprozessen in Verbindung gebracht. Weiter zeigt sich die stärkere Autonomie des Feldes nicht nur bei der Nutzung der Konzepte, sondern auch in der Abgrenzung der sozialen Welt: Vermischungen und Gleichsetzungen von verschiedenen Disziplinen und deren Texten wurden weniger deutlich, als dies in der Situation der Intermediation in der EEM auftrat. Die soziale Welt des Designs scheint daher die neue Problematisierung stärker „für sich selbst“ nutzen zu können.

5.2.8 Schlussfolgerung: Eine konventionelle Grundlage für Performativität

In den vorangehenden Abschnitten wurde grundsätzlich erläutert, wie Akteur*innen in der Kulturproduktion zu den theoretischen Konzepten aus den Kultur- und Sozialwissenschaften gelangen. Genauso deutlich wurde aber auch, dass Personen oftmals nicht einheitlich einer Welt der Kulturproduktion oder der Wissenschaft zugeschrieben werden können. Unabhängig von den vorhandenen Trennungen oder Überschneidungen der Welten stellt die Situation der Intermediation ein Umfeld dar, in dem für die Akteur*innen zuerst ein Sinn für die kultur- und sozialwissenschaftlichen Perspektive entsteht. Dieser Sinn steht im Zusammenhang mit der neuen Problematisierung von Kulturproduktion. Ohne diese Problematisierung können die Aussagen aus den kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien keine Effekte hervorrufen. Die Situation der Intermediation bleibt allerdings nicht bei der Vermittlung eines solchen Sinns stehen. Die Problematisierung in Verbindung mit den verschiedenen Intermediationsformen führt weiter dazu, dass die theoretischen Konzepte für die Akteur*innen als etwas etabliert werden, in dem sich Qualitätsvorstellungen für Kulturproduktionen finden lassen. Diese Eigenschaft ist vor der Intermediation oftmals noch nicht in den Texten vorhanden oder für die Akteur*innen nicht ersichtlich. Erst die Situation selbst „übersetzt“ eine solche Kompetenz der Texte und rechtfertigt, dass die theoretischen Konzepte für Qualitätsvorstellungen herangezogen werden können. Dieser Aspekt der Qualitätsetablierung und Qualitätsrechtfertigung wird im Folgenden als „konventionelle Grundlage“ für Performativität aufgefasst.Footnote 28

Mit der Vorstellung einer konventionellen Grundlage folgt die vorliegende Arbeit Nicolas Brisset (2019). Ist diese nicht vorhanden, so würde Performativität von Anfang an scheitern und es wären keine Effekte möglich (vgl. Brisset 2019, S. 147 ff.; siehe [2.1.3]). Die Wichtigkeit einer solchen Grundlage zeigt sich auch in anderen Studien zu Performativität, etwa in derjenigen von Jana Bacevic (2021) zur Wirkung von soziologischem Wissen in der Politik:

In and by themselves, sociological explanations do little more than explain. In order for them to justify, excuse or exculpate, other conditions need to apply. […] Disciplinary knowledge – sociological, anthropological, economic or psychological – only acts in the context in which there is an overlap between modes of justification common to a specific discipline and modes of justification common to a specific kind of political regime. (Bacevic 2021, S. 12 f.)

Die Situation der Intermediation ist ein solcher Kontext von verschiedenen Institutionen, Personen, Orten und Medien und ermöglicht daher die Nutzung einer theoretischen Perspektive (vgl. Callon und Roth 2021, S. 228 f.; Callon 2007). Es wird eine konventionelle Grundlage etabliert, mit der dann die „Rechtfertigungen“ von wissenschaftlichen Disziplinen und von einer Kulturwelt übereinstimmen können: Die Theorien von Ersterem werden so Teil des kollektiven Handlungsrahmens von Letzterem.

Für die Etablierung einer solchen Grundlage für Performativität als auch teilweise für die Vermittlung der Theorien selbst wurde den sogenannten Studies eine zentrale Rolle zugewiesen. Der oftmals plurale Habitus der Akteur*innen in diesen Forschungsbereichen (bzw. in den Kulturwelten) machte zudem deutlich, dass eine eindeutige Beschreibung des Prozesses der Theorievermittlung eine Herausforderung ist. Auch in den verschiedenen Formen der Intermediation zeigte sich, dass der Übergang von Theorien in die Kulturwelten nicht ein Transfer ist, der auf eine bestimmte Art und Weise abläuft. Vielmehr ist dieser Übergang des Wissens von verschiedensten Aspekten geprägt, die auch in Ansätzen der Transferforschung deutlich werden (vgl. Warsewa et al. 2020, S. 294): Die Vermittlung des Wissens zeigt sich als „unclear technology“ (Musselin 2007) und ist geprägt von informellen Aktivitäten in einem bestimmten Umfeld von Akteur*innen (Olmos-Penuela et al. 2014). Sie kann daher nicht ausschließlich auf die Ausbildungen an Universitäten und Fachhochschulen zurückgeführt werden, obschon diese Institutionen einen zentralen Faktor repräsentieren.

Dass die Vermittlung der Theorien wenig eindeutig erfolgt, zeigt sich besonders stark an einem weiteren Aspekt. Die Akteur*innen nehmen nämlich in der Situation der Intermediation die theoretischen Konzepte als etwas auf, mit dem auf sehr verschiedene Weise umgegangen werden kann. Es wird keineswegs eine konkrete Umgangsweise vermittelt, sondern vielmehr eine offene, selbstbestimmte Verwendung nahegelegt (vgl. Beck und Bonß 1989b, S. 11; siehe [2.2.6]).Footnote 29 Der Umgang mit den Theorien kann als eine „Partisanenhaltung“ beschriebenen werden (vgl. Krey 2020, S. 182). Diese Vorstellungen beim Lesen von und im Umgang mit Theorien wurde erstmals von zwei Autoren eingeführt, deren Texte auch in der Kulturwelt selbst sehr präsent sind, nämlich Gilles Deleuze und Félix Guattari (1977a). Sie schlugen vor, dass Leser*innen sich frei in ihrem Buch bedienen können und dieses nicht in herkömmlicher Weise von vorne nach hinten durchlesen sollten. Eine solche Art des „respektlosen Lesens“ (Felsch 2015, S. 133) wurde auch in der Situation der Intermediation deutlich. Die Theorien wurden nicht etwa mit voller Konzentration rezipiert, sondern etwa in der Badewanne oder bei Autofahrten, und die Texte wurden oftmals nur teilweise gelesen – oder auch gar nicht und womöglich nur im Bücherregal „ausgestellt“.Footnote 30 Nebst dem Umgang mit den Theorien zeigt sich diese Partisanenhaltungen auch in anderen Bereichen, etwa in der Art und Weise des Zitierens von Literatur, die weniger klaren Regeln folgte als an Universitäten. Auch wurde sie an den an Gesprächsformaten vorgestellten „Analysen“ von Musik deutlich, die von Akteur*innen im Zusammenhang mit Theorien gemacht wurden. Diese Analysen wiesen kaum ausformulierte Methodologien auf, sondern vermittelten „Ergebnisse“ eher in einer evozierenden Art und Weise.

Trotz Unklarheiten und Uneindeutigkeiten zeigen sich aber sehr konkrete Konsequenzen aus der Etablierung der konventionellen Grundlage für Performativität. Dies wurde insbesondere an der Grenzziehung der EEM deutlich, mit der sich eine symbolische Repräsentation einer sozialstrukturell ähnlichen Gruppe festmachen lässt. Die dabei etablierte Selbstverständlichkeit einer wissenschaftlichen Perspektive ergänzt einen Prozess, der von Arthur C. Danto als eine „Atmosphäre künstlerischer Theorie“ bezeichnet wurde (1994, S. 914): Für den Autor war es eine Kenntnis von verschiedenen ästhetischen Ideen sowie des Hintergrundes der historischen Entwicklung in einem Kunstbereich, welche die konzeptionellen Ressourcen liefert, um „[e]inen Gegenstand als Kunst zu sehen“ (Danto 1994, S. 914). Diese Atmosphäre von verschiedenen kunsttheoretischen und kunstgeschichtlichen Konzepten wurde nun erweitert: Die selbstverständliche wissenschaftliche Perspektive bezieht neu auch Theorien aus den Kultur- und Sozialwissenschaften mit ein, um ein Resultat der Kulturproduktion imaginativ mit anderen Werken zu vergleichen sowie einer ästhetischen Bewertung unterziehen zu können (vgl. Hagberg 2002, S. 492). Diese Theorien werden selbstverständlich herangezogen, um Prozesse zu verhandeln.

Das Fehlen der Grundlage für Performativität in anderen Kulturwelten wird auch für die Akteur*innen der EEM deutlich. Dies kann an einem Beispiel aufgezeigt werden: Ein interviewter Musiker (FI) unterrichtet neben seiner Kulturproduktion an zwei verschiedenen Fachhochschulen. An einer Schule (A) war es bereits gang und gäbe, über Kulturproduktion mittels der neuen kultur- und sozialwissenschaftlichen Problematisierungen nachzudenken. Die andere Fachhochschule (B), an welcher der Musiker ebenfalls Kurse anbot, hatte ihre Curricula hingegen voll auf Produktionstechniken im engeren Sinn ausgerichtet. Kultur- und sozialwissenschaftlichen Inhalte wurde also noch nicht an Studierende vermittelt, bevor der Interviewpartner begann, dort zu unterrichten.

GS::

Jetzt hast du diese Unterrichtseinheit, bei der du auch in theoretische Konzepte einführst, bei der Fachhochschule [A] durchgeführt. Und wie haben die Studierenden reagiert? Sind sie an dieser Art von Unterricht interessiert?

FI::

Diese Studierenden sind sehr offen für Diskussionen und sind auch theoretisches Zeugs gewöhnt. Das ist ein guter Weg, um Sachen dort einzuführen. […] Das hat mich dazu inspiriert, mir vorstellen zu können, dass die meisten Leute in der Lage sind, mit so theoretischen Konzepten umzugehen und sie anzuwenden auf das, was ihr Verständnis von einer Sache wie der experimentellen Musik ist.

GS::

Es gab also nie einen Moment der Irritation für diese Student*innen im Sinne von: „Warum sollten wir das lesen?“

FI::

Nein – aber ich habe das definitiv an der Fachhochschule [B] erlebt! Als ich in meinem ersten Semester dort ankam, dachte ich: „Ich habe ein paar spannende Texte, das sind nur ein paar Seiten PDF, damit sollte ich doch was machen können“. Ab und zu habe ich gesagt: „Okay, das lest ihr bitte bis zum nächsten Mal“. Und niemand hat es gelesen. Also musste ich sie zwingen, es im Unterricht zu lesen. Das war ganz schön viel Aufwand. Sie haben nichts davon verstanden! Oder sie waren genervt, dass sie es lesen mussten. […] Es herrschte diese Kultur der „reinen Produktionstechniken“. Das Wichtigste war eben, dass deine Musikstücke fett klingen! Ich habe dann langsam angefangen, eine Art von Reflexion einzubringen. Das ist gut und wichtig – aber es braucht Zeit.

Der längere Interviewausschnitt verdeutlich nochmals, wie theoretische Konzepte weniger als ein Angebot bereitgestellt werden, das auf eine bestimmte Nachfrage trifft. Vielmehr werden neben den Theorien selbst auch die darin vorhandenen Möglichkeiten für Qualitäten aufgezeigt und die Konzepte als etwas festgemacht, mit dem Qualitätsvorstellungen gerechtfertigt werden können. So etablieren sich gemäß einer konventionellen Grundlage diejenigen kollektiven Vorstellungen und geteilten Praktiken, die Performativität ermöglichen können (Brisset 2019, S. 130 f./147 f.): Die Akteur*innen erfahren durch die neue Problematisierung, dass andere Möglichkeiten ihrer sozialen Realität vorhanden wären, und sie machen diese Erfahrung in einem bestimmen Umfeld, das diese Problematisierung teilt.Footnote 31 Die so erläuterte Intermediation der kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien ist aber lediglich eine benötigte, jedoch noch nicht hinreichende Grundlage für Performativität. Die Problematisierung alleine führt nicht unmittelbar zur tatsächlichen Verwendung der Theorien in den Produktionsprozessen einer Kulturwelt. Die wirkliche Anwendung bleibt daher situativ – und die neue Problematisierung gemäß den Kultur- und Sozialwissenschaften kann für die Akteur*innen auch in den Hintergrund rücken. Erst die weiteren Ausstattungen in der jeweiligen Kulturwelt lassen performative Effekte tatsächlich geschehen. Diese weiteren Ausstattungen sowie die eigentlichen Prozesse von Performativität stehen im Zentrum des nächsten Unterkapitels.

5.3 Die Situation der Verwendung der Theorien

5.3.1 Anrufung der Akteur*innen durch die Theorien

In diesem Unterkapitel wird nun der eigentliche Performativitätsmechanismus erläutert, der im Zentrum der vorliegenden Arbeit steht. Darauf zielt die Beschreibung der Situation der Verwendung der theoretischen Konzepte ab. Wiederum dient die EEM als empirisches Beispiel, um aufzuzeigen, wie die kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien in einer Kulturwelt und den darin ablaufenden Produktionsprozessen wirken. Der Wechsel von der Intermediation hin zur Verwendung der Theorien zeigt sich anhand des Übergangs vom Allgemeinen zum Spezifischen: Die Situation der Intermediation erläuterte, wie Theorien allgemein in Produktionswelten gelangen. Jetzt gilt es zu klären, warum eine spezifische theoretische Perspektive sowie die damit verbundenen Konzepte für eine*n jeweilige*n Akteur*in Sinn machen und wie sie zur Anwendung kommen. Dieser und der nächste Abschnitt klären den Wechsel und den Beginn der Verwendung der Konzepte über zwei Prozesse: Zuerst geht es um Fragen von Wert und die Auswahl einer bestimmten theoretischen Perspektive durch eine*n Akteur*in (die Anrufung). Im darauffolgenden Abschnitt [5.3.2] wird der Beginn der performativen Verwendung von Theorien in Bezug zu Formen erläutert (die Einfallstore).

Der Beginn der Verwendung einer bestimmten theoretischen Perspektive zeigt sich in einem Selbstbezug für die Akteur*innen. Das heißt, dass die kulturproduzierenden Personen in den Theorien einen Bezug zum eigenen Handeln in der Kulturproduktion sowie dem eignen Sein oder der je eigenen Situation in der Kulturwelt festmachen. Der Beginn wird daher nicht über eine wie auch immer artikulierte wissenschaftliche Problemstellung markiert, die durch eine theoretische Perspektive verdeutlicht wird (wie dies teilweise im Rahmen der Intermediation erfolgte). Ebenfalls geht es bei der Auswahl einer bestimmten Theorie noch nicht um eine allgemeinere Perspektive der Kulturwelt (obschon eine jeweilige Kulturwelt den Selbstbezug der Akteur*innen ko-konstituiert). Die Auswahl erfolgt vielmehr darüber, dass ein theoretisches Konzept auf eine Problemstellung verweist, welche die Akteur*innen selbst betrifft und die im Zusammenhang zu ihrer Kulturproduktion erlebt wird. Diese Betonung des Selbstbezugs ist nicht zuletzt eine der Strategien, wie die theoretischen Konzepte an die Akteur*innen vermittelt wurden: Die Art der Vermittlung erläuterten etwa an Kunsthochschulen unterrichtende Personen oder Studierende in den geführten Interviews. Ebenfalls ist die Vermittlung über einen Selbstbezug eine legitime Position in der sozialwissenschaftlichen Lehre (vgl. Burawoy 2005, S. 9, 2021, S. 17).Footnote 32 Über den Selbstbezug, so die Idee bezüglich der Vermittlung der Theorien, zeige sich (nochmals) die Relevanz eines bestimmten Konzeptes für die Akteur*innen.Footnote 33 Die Hoffnung der vermittelnden Instanzen erfüllt sich auch, nämlich dann, wenn die Akteur*innen diesen Selbstbezug in den Konzepten suchen und finden oder sie eine Erwartungshaltung dahingehend ausweisen: Die Vermittlung der Theorie soll den Bezug der Konzepte für die einzelnen Personen verdeutlichen.

Die eigentliche Folge dieses Selbstbezugs ist eine Anrufung der produzierenden Akteur*innen durch eine Theorie: Ein theoretisches Konzept ruft eine Person als ihr Subjekt an. Das jeweilige Konzept „aktiviert“ die Person aus der Kulturwelt, da sie die Inhalte als auf sich selbst beziehbar oder anwendbar erlebt. Die Vorstellungen einer Anrufung geht auf Louis Althusser zurück (1977, S. 140 ff.). Für die vorliegende Arbeit wird der damit bezeichnete Prozess auf spezifische Art und Weise verdeutlicht, indem die Passung des Wertbezugs zwischen Theorie und Akteur*in erläutert wird. Es ist eine positive Übereinstimmung zwischen den Wertigkeiten in einem theoretischen Konzept und den eigenen persönlichen Wertvorstellungen, welche die Anrufung ermöglicht. Sinn erhält ein bestimmtes theoretisches Konzept, da es einen Wert für die oder den Akteur*in selbst aufweist, wodurch letztlich die Anrufung erfolgen kann. Ohne einen solchen spezifischen Wertbezug mag zwar ein theoretisches Konzept allgemein Sinn ergeben in der Kulturwelt, aber es kann im spezifischen Fall noch nicht performativ wirken. Die Anrufung über den Selbstbezug markiert daher eine weitere Bedingung von Performativität (vgl. Brisset 2019, S. 149 f.).Footnote 34

Die Fragen nach Wert wurde bisher in einem theoretischen Sinne über das Konzept der Qualitätskonventionen aus der „Economies des convetions“ (EC) und einer damit verbundenen Idee der Rechtfertigung behandelt (siehe [2.3.3]; Boltanski und Thévenot 2007; Diaz-Bone 2018a, S. 141 ff.). Der Prozess der Wertzuschreibung zwischen Theorien und Resultaten der Kulturproduktion beginnt mit den Signalen zur Konsekration, die in der Situation der Intermediation ausgesendet werden, und wird über die Nahelegung der Theorieverwendung erweitert. Beide Aspekte zeigen sich in mehr oder weniger öffentlichen Kontexten (etwa in den sozial gemischten Interaktionsbezügen oder in diversen Medien). Aufgrund dieses Bezugs zur Öffentlichkeit entsprechen die Konsekration und die Nahelegungen einer Rechtfertigung: Mit den theoretischen Argumenten wird eine allgemeine Gültigkeit und große Bedeutungsreichweite eines intendierten Wertes angestrebt. Auch steht der jeweilige Wert im Zusammenhang zu einem allgemeinen Gut (vgl. Boltanski und Thévenot 2007, S. 120 ff.; Diaz-Bone 2018a, S. 146) und soll von einem Kollektiv in einem Raum der Qualifizierung anerkannt werden.

Zu Beginn der Verwendung zeigt sich nun ein Übergang, nämlich in einen anderen Bezug von Wertigkeiten. Dieser verweist nicht mehr auf ein allgemeines Gut oder einen sonstigen, öffentlichen Zusammenhang. Die Akteur*innen müssen ihre Wahl von oder den Umgang mit einem theoretischen Konzept nicht sogleich „rechtfertigen“. Vielmehr erfolgt mit der Anrufung durch die theoretischen Konzepte ein Prozess, in dem die Akteur*innen einen Wert der Theorien in Bezug zu ihrer je eigenen Realität erleben. Es ist kein öffentliches Gut, das vom Wert angesprochen wird, sondern ein den Personen „nahes“ Gut (Thévenot 2011, S. 236 f.; vgl. Vogel 2019, S. 71 f.). Dieses nahe Gut ermöglicht die Anrufung der Akteur*innen und die Verwendung der Konzepte. Um diesen Prozess in den empirischen Fällen zu erläutern, muss daher eine neue, ergänzende Perspektive auf Wert und Qualitäten erläutert werden.Footnote 35 Diese Perspektive wird über zwei Schritte eingeführt, bevor auf die einzelnen Wertvorstellungen und die dadurch ermöglichten Anrufungen eingegangen wird.

In einem ersten Schritt kann der Übergang einer Theorie von einer allgemeinen Rechtfertigung (in der Situation der Intermediation) hin zum Prozess der Anrufung der Akteur*innen (in der Situation der Verwendung) über die sogenannten Regime des Engagements gefasst werden.Footnote 36 Laurent Thévenot ergänzte mit dem Konzept der Regime weitere Koordinationslogiken für Handlungen „unterhalb“ von Qualitätskonventionen und den damit zusammenhängenden Rechtfertigungen (Thévenot 2007, 2011, 2014a, 2014b, 2015; vgl. Diaz-Bone 2018a, S. 402 f.). Damit werden Möglichkeiten des Handelns allgemein aufgelistet: zum „Engagiertsein“ beziehungsweise zum „In-der-Welt-Sein“ (Centemeri 2015, S. 305; vgl. Vogel 2019, S. 71). In diesem erweiterten Modell ist ein koordiniertes Handeln in Bezug zu einer öffentlichen und allgemein gültigen Ordnung, wie es Rechtfertigungen implizieren, nur eine Möglichkeit, die von weiteren ergänzt wird. Neben dem Engagiertsein in den allgemeinen Bezügen (das Rechtfertigungsregime) zeigen sich drei Formen des Handelns, die zum Zuge kommen, wenn kein Zwang zu einer öffentlichen Rechtfertigung vorhanden ist (vgl. Aceros und Domènech 2020). Diese weiteren Formen umfassen erstens das Regime des planenden Handelns (1): Es ist „charakterisiert durch ein funktionales Verhältnis zur Umgebung, welche durch autonome Akteure auf Ressourcen für die Erfüllung eines Ziels (eines Interesses) befragt wird“ (Vogel 2019, S. 72; vgl. Thévenot 2011, S. 240 f.). (2) Weiter kommt das Regime des Vertrauten hinzu, in dem sich Handeln als ein „Wohlbefinden innerhalb eines behaglichen Umfelds“ zeigt (Thévenot 2011, S. 238). Hierbei wird das als angemessen betrachtet, was nach subjektiven, eigenen Erfahrungen angenehm ist (vgl. Vogel 2019, S. 72). (3) Das dritte Regime dreht sich um Exploration und wurde im Anschluss an Thévenot von Nicolas Auray eingeführt (2007, 2013). Es beschreibt eine Handlungsorientierung gemäß einer „Spannung für Neues“ (Vogel 2019, S. 74). Die drei Regime, die unterhalb der Rechtfertigungen liegen, weisen so jeweils eine spezifische Form von Wertigkeiten auf, mit denen sich Handlungen, Dinge oder Informationen evaluieren lassen, wodurch wiederum bestimmte Prozesse ermöglicht werden (vgl. Thévenot 2014a, S. 13).

Als zweiter Schritt können die Varianten des Engagiertseins kombiniert werden mit dem Konzept vom Wert der kreativen Arbeit, wie es Alice Gerber erläutert (2017). Diese Kombination ermöglicht die genauere Fassung des nahen Gutes im Rahmen von Kulturproduktion und wie sich dieses Gut bei den kulturproduzierenden Akteur*innen zeigt. Gerber beschreibt den Wert kreativer Arbeit grundsätzlich als die Art und Weise, wie Künstler*innen ihr eigenes Tun als wertvoll erachten: Es sind verschiedene Muster, die sich in den Narrativen zu den eigenen Praktiken zeigen und dadurch auf distinkte Wertvorstellungen verweisen (Gerber 2017, S. 9). Gerber erläutert so grundlegende Möglichkeiten, wie kulturproduzierende Akteur*innen einen Wert in dem finden, was sie tun. Dieser Wert – und das ist der wichtige Aspekt bei Gerbers Ansatz für die vorliegende Arbeit – wird nicht nur öffentlich gerechtfertigt und dient nicht nur der Koordination. Vielmehr findet er sich im jeweiligen Handeln und Sprechen der produzierenden Akteur*innen wieder. Es sind Wertigkeiten im Engagiertsein im Alltag, dem täglichen Tun und dem „Sinnmachen“ für sich selbst. Gerber findet in ihrer empirischen Studie (2017) insgesamt vier dieser Werte in Bezug auf kreative Arbeit, die nun mit den Regimen „unterhalb“ der Rechtfertigungen verknüpft werden können. Zusätzlich zur Verknüpfung der beiden Konzepte werden nun auch die empirischen Ausprägungen der Anrufung verdeutlicht.

Anrufung über einen planend-investierenden Wert

Das Regime des planenden Handelns kann mit den ersten zwei von Gerber beschriebenen Werten in Verbindung gebracht werden. Diese zielen beide auf Fragen von Investitionen ab. Beim monetären Wert („pecuniary“, Gerber 2017, S. 35 ff.) beschreiben die Akteur*innen spezifische vergangene oder aktuelle finanzielle Aufwände als Investitionen, die zukünftige Erträge erbringen sollen. Über die Erträge wird eine Wertigkeit für die Resultate der Kulturproduktion festgemacht. Die erste Variante ist auch für Außenstehende unmittelbar nachvollziehbar, da sie oftmals sehr konkrete Investitionen betrifft (z. B. in Produktionsmittel), mit denen als eigentlicher Wert die Einnahmen aus den Verkäufen von Werken hergeleitet werden. In ähnlicher Weise als Investment funktioniert der zweite Wert, der Bezeugende („credential“, Gerber 2017, S. 37 ff.). Hierbei werden allerdings keine finanziellen Erträge in der Zukunft gesichert, sondern es werden andere Renditen versprochen: etwa in einem Arbeitsmarkt und für bestimmte Anstellungen im weiteren Verlauf der Karriere sowie für zukünftige Aufträge. Die Dinge, die Akteur*innen als Teil der Kulturproduktion tun, sollen dazu beitragen, eine bestimmte Position zu erlangen (die gegebenenfalls wieder eine monetäre Absicherung oder einen anderen Wert beinhalten können). Sowohl die monetären als auch die bezeugenden Investitionen von Wert können als Planung aufgefasst werden: ein nahes Gut, das es ermöglicht, „sich erfolgreich in die Zukunft zu versetzen“ (Thévenot 2011, S. 240) und ein Ziel zu erreichen.

In den empirischen Beispielen aus der Kulturwelt der EEM zeigt sich eine solche planend-investierende Wertigkeit in den Anrufungen durch die Theorien folgendermaßen: Eine Interviewpartnerin (AC) erwähnte, dass sie erstmals im Rahmen eines Studiums der Filmwissenschaften mit theoretischen Konzepten in Kontakt gekommen war. Die Idee der Theoretisierung, die sie im Rahmen des Studiums kennenlernte, wollte sie auf Musik übertragen: „Ich bin im letzten Semester meines Studiums ausgestiegen, um stattdessen die Idee des Theoretisierens in der Musik zu verfolgen. Ich habe mir überlegt, das sei lukrativer – und irgendwie war es das auch“ (Quelle: Interview). Theorie wurde für die Akteurin zu einem Aspekt, der sie immer wieder zu bestimmten Aufgaben anrief. Im Interview bezog sie sich unter anderem auf die medientheoretischen Arbeiten des Kulturwissenschaftlers Marshall McLuhan sowie Ansätze Adornos. Darüber erläuterte die Akteurin eine bestimmte Situation, aus der sie herausfinden wollte:

AC::

Wir haben diese Dichotomie von ernster vs. nicht ernster Musik, mal die Strophe-Chorus-Brücke-Struktur, die der Status quo ist, mal das Vinyl-Format, mal das Streaming, das so flüchtig ist und kaum etwas einbringt. Wir haben uns in eine Box hineinmanövriert – und das sind offensichtlich Boxen, die von industriellen Distributionskulturen und deren Mechanismen gemacht werden. […] Wie finden wir also aus dieser Situation heraus? (Quelle: Interview)

Die theoretischen Konzepte, welche die Interviewpartnerin erwähnte, schienen sie so immer wieder als Subjekt für Planungen oder Absichten anzurufen. Eine solche Vorstellung von Wertigkeiten in einem nahen Gut zeigten sich auch in einem anderen Aspekt: Die Akteurin beschrieb sich selbst ebenfalls als Theoretikerin und machte die eigene Theoriearbeit sowohl in ihrer Musik fest als auch in Texten, die sie schrieb. Zu Letzteren gehörten auch Musikkritiken. Solche Texte empfand die Interviewpartnerin nicht immer als eigene Theorieproduktion. Die genaue Zuweisung, wann etwas wirklich Theorieproduktion sei und wann nicht, würde insbesondere durch die „ökonomischen Umstände“ (Quelle: Interview) bestimmt. Die Akteurin machte also die Unterscheidung daran fest, ob und wie gut sie für eine Textproduktion bezahlt wurde, denn für Theorie-Texte versprach sie sich ein höheres Honorar.

Anrufung über einen vertraut-relationalen Wert

Das von Thévenot eingeführte Regime des Vertrauten kann mit dem von Gerber beschriebenen Wert des Relationalen in Verbindung gebracht werden („relational“, Gerber 2017, S. 69 ff.). Die von ihr untersuchten Künstler*innen sprachen hierbei über Beziehungen, die durch die Kulturproduktion zu nahen und fernen Kolleg*innen entstünden. Oder sie hoben die Wichtigkeit von Orten hervor, an denen sie ihre Kultur produzierten, da diese eine Nähe zu anderen (kulturproduzierenden) Personen ermöglichen würden. Der relationale Wert erfasst damit, wie Zeit und weitere Ressourcen im Hinblick auf andere Produzierende, für das Publikum sowie für Institutionen und Organisationen investiert wird. Ziel dabei sind aber nicht ökonomische Erträge oder Positionen, sondern die formellen und informellen Kontakte zu Personen selbst. Diese Kontakte werden nicht als soziales Kapital aufgefasst (obschon sie ein solches darstellen mögen), sondern als inhärent wertvoll. Auch Thévenot erläutert in ähnlicher Weise sein Regime des Vertrauten. Dieses fasse „bestimmte Zugangsschlüssel, besondere Bindungen, die sich positiv als Verbundenheit auswirken“ (Thévenot 2011, S. 238 f.). Mit dem Regime des Vertrauten wird daher kein veräußerbares Gut gesucht, sondern das „Geflecht der Beziehungen“ steht als Wert im Zentrum (Thévenot 2011, S. 239).

Ein empirisches Beispiel für die Anrufung durch die Theorien in Bezug auf eine Vertrautheit und Relationalität ist folgendes: Eine weitere Musikerin, die interviewt wurde (BF), bezog sich im Rahmen ihrer Kulturproduktion auf gewisse Ansätze aus den Cultural Studies. Dieser Theoriebereich sprach die Akteurin deshalb an, weil sie darin eine Beschreibung der eigenen familiären und sozialen Verhältnisse wiederfand. Die interviewte Musikerin schrieb aktuelle Vertreter*innen der Cultural Studies persönlich an und erläuterte ihr Interesse an den theoretischen Ansätzen mit Bezug auf den eigenen sozialen Hintergrund:

BF::

Ja, ich schrieb halt: „Hallo, bitte entschuldigen Sie die Störung, aber ich bin auf der Suche nach dem hier, nach einer Repräsentation von dem hier: Das ist die Familie, in der ich aufgewachsen bin. Ich weiß, dass Sie alle über Identität, Rasse und Klasse sowie die sozialen Konstruktionen dieser Dinge schreiben und so weiter. Ich habe mich gefragt, ob Sie mir die richtige Richtung hierfür zeigen könnten; etwas, dass dies [meinen sozialen Hintergrund] repräsentiert“. (Quelle: Interview)

Die theoretischen Konzepte schlossen an Erfahrungen an, welche die Musikerin in den eigenen Familienverhältnissen gemacht hatte, als auch an Erfahrungen, die sie in der Kulturwelt mit anderen Personen machte. Es waren etwa Fragen zur Rolle von Klassen in der Gesellschaft, mit denen die Cultural Studies sie anriefen. Hierdurch wurden dann Beziehungen zu (neu) ausgewählten Personen ein zentraler Aspekt für sie. Im Interview verwies die Musikerin auch auf weitere Theoretiker*innen mit anderen konzeptionellen Vorstellungen. Diesen sprach sie aufgrund des fehlenden Bezugs zu sich selbst und der vertraut-relationalen Wertigkeit eine Relevanz ab.

Anrufung über einen explorativ-berufenden Wert

Das dritte Regime der Exploration kann mit einem Wert von Kulturproduktion ergänzt werden, den Gerber mit dem Begriff der Berufung beschreibt („vocational“; 2017, S. 57 ff.). Das jeweilige Handeln in der Kulturwelt ist dabei für Akteur*innen wertvoll, weil es ein eigenes, tiefes Verlangen befriedige: “In vocational accounts, artists acknowledge the hard work and sacrifices of artmaking, but consider the work fundamentally rewarding – and often argue that such rewarding work is in itself repayment enough […]” (Gerber 2017, S. 58). Das Herstellen der Produkte enthält damit eine Bedeutung in sich selbst, während die Beschäftigung mit Kulturproduktion auch etwas Überraschendes mit sich bringen soll. Diese Art von Wert und der damit verbundene Reiz von Kulturproduktion ist durchaus etwas, das in einem allgemeineren, gesellschaftlichen Zusammenhang als wertvoll angesehen werden kann (vgl. Thévenot 2014b, S. 138). Gleichzeitig bleibt der eigentliche Prozess bei der Berufung unterhalb einer öffentlichen Rechtfertigung: Die Exploration selbst bleibt persönlich. Dies führt im Rahmen von Kulturproduktionen, die sich nach diesem nahen Gut richtet, etwa dazu, dass die Rolle eines Publikums nur marginal wichtig ist und keine relevante Größe repräsentiert.

In den empirischen Fällen der Kulturwelt EEM zeigte sich die Anrufung anhand des Explorativ-Berufenden in folgendem Ausschnitt aus einem Interview mit einem Musiker (CD):

CD::

Oft bin ich wirklich begeistert von einer Idee, vor allem von den Tier- und Interspezies-Konzepten, wovon ich Sachen gelesen habe; von diesem Kreaturenkonzept, oder von Donna-Haraway-Zeugs oder – kennst du Anna Tsing? Sie hat dieses Buch Der Pilz am Ende der Welt geschrieben. […] Ich bin fasziniert von den Verknüpfungen mit diesen Ideen, über das Animalische oder aus dem Neuen Materialismus. Aber dann denke ich: „Moment, wo ist die Musik und wie kann ich das verbinden?“ Das ist also eine Herausforderung. (Quelle: Interview)

Die theoretischen Konzepte lieferten für die zitierte Person keine direkte Aufgabe und keinen Bezug zu etwas ihr Vertrautem. Vielmehr riefen die Theorien den Musiker an, da sie als eine Art Rätsel funktionierten, dem er nachgehen wollte. Die dritte Art der Aufrufung gemäß dieser Wertigkeit wurde weiter dann deutlich, wenn Akteur*innen auf theoretische Konzepte aus dem Bereich des Feminismus verwiesen und sich selbst als „queere“ Personen auffassten (homosexuell waren, keiner binären Geschlechterzuordnung folgten usw.). Das Selbstverständnis gilt auch für die Person, von der das folgende Interviewzitat aus einer Zeitschrift der Kulturwelt stammt: „Laboria Cuboniks ‚Xenofeminist Maifesto‘ sagt: ‚Lass 100 Geschlechter blühen‘ und so denke ich auch über Schönheit nach“ (Quelle: Materialsammlung). Die theoretischen Konzepte ermöglichen den Akteur*innen einen bestimmten Subjektstatus, von dem aus sie experimentieren können (um ausgehend davon weitere Bezüge zur Kulturproduktion herzustellen).

Ergänzung: Indirekte Anrufung

Die verschiedenen Werte des Planend-Investierenden, des Vertraut-Relationalen und des Explorativ-Berufenden sind die drei zentralen Varianten, wie bestimmte theoretische Konzepte die Akteur*innen über den Selbstbezug direkt anrufen. Die drei Varianten können allerdings noch um eine vierte, indirekte Möglichkeit der Anrufung ergänzt werden: Neben den Übereinstimmungen der nahen Güter mit den Wertigkeiten in Theorien finden sich natürlich Übereinstimmungen mit den verschiedensten weiteren Aspekten. So kann ein bestimmter für die Akteur*innen wichtiger Wert auch in Aspekten von Belletristik, Architektur, Okkultismus oder in irgendetwas anderem auftreten. Es sind dann diese anderen Aspekte, die zunächst noch unabhängig von einer theoretischen Perspektive die Personen anrufen. Dies erfolgt über einen der drei Wertbezüge. Die oben bereits erwähnte Interviewpartnerin (AC), welche Filmwissenschaften studierte, bezog auch weiterhin Aspekte aus den Kulturwelten des Films in ihr Schaffen mit ein und dies wiederum über den Wert des Planend-Bezeugenden. Für sie repräsentierte eine ästhetische Filmtheorie eine Möglichkeit, die Produktionsprozesse in einer Musiksoftware als „Szenen“ zu planen. In einem möglichen folgenden, indirekten Schritt kann über die weiteren Aspekte wiederum ein Bezug zu kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien hergestellt werden.

Ein empirisches Beispiel für die Anrufung über weitere Aspekte und eine darauf folgende, indirekte Anrufung durch Theorie zeigte sich wie folgt: Ein interviewter Musiker (IL) beschäftige sich in der eigenen Arbeit mit verschiedenen Aspekten von spirituellen und philosophischen Traditionen aus Südostasien. Diese Aspekte riefen den Akteur über den vertraut-relationalen Wert an. Im folgenden Zitat erläutert der Musiker mittels dieser Wertvorstellung, wieso Spiritualität für ihn wichtig sei: „Spiritualität ist für mich nicht privat. Es ist ein Wissen, das wir zur Schau stellen sollten. Es kann von einem intimen Prozess ausgehen, aber je mehr du dich dem widmest, desto mehr merkst du, dass du dein Umfeld und die Menschen um dich herum durch deine eigene Transformation veränderst“ (Quelle: Interview). Der Musiker stellte eine Verbindung her zwischen seinen Vorstellungen von Spiritualität und einer Kapitalismuskritik, wie sie in den theoretischen Positionen des Künstlers Guy Debord und der Situationistischen Internationalen vorkamen (2013).Footnote 37 „Du kannst ja nicht nur eine Vision haben. Man muss auch … Was ich gerne tue, ist das, was ich zum Beispiel in der asiatischen Mystik gelernt habe, mit diesem westlichen Wissen [wie dasjenige der Situationistischen Internationalen] zu verbinden, um zu sehen, ob es zusammenhängt oder nicht“ (Quelle: Interview). Der Akteur verwies darauf, dass er bestimmte mystische Symbole in der visuellen Kommunikation zu seiner Musik wieder aufnahm. Dies wolle er tun, um diese Symbole gemäß der Situationistischen Internationalen in einer anderen Art und Weise zu verwenden, gerade weil sie vom Kapitalismus „okkultiert“ (ebd.) worden seien. Die Anrufung der Person als Subjekt einer kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorie erfolgte hier indirekt und in einem zweiten Schritt: Die eigentliche Passung des Wertbezugs seiner Kulturproduktion erlebte der Akteur zunächst mit den weiteren Aspekten (den spirituellen und philosophischen Traditionen aus Südostasien) und erst in einem zweiten, indirekten Schritt wurde der Bezug zur Theorie hergestellt (zu den Konzepten von Debord).

Die erläuterten Anrufungen erklären, wieso ein theoretisches Konzept für einen Akteur und dessen Kulturproduktion wichtig wird. Dank der Wertpassung zum nahen Gut können die Personen sich selbst als Subjekte für die Inhalte einer Theorie erleben. Für die Akteur*innen wird so zuerst ein Selbstbezug deutlich, also warum die bestimmten theoretischen Inhalte genau auf sie und damit auf ihre Art und Weise der Kulturproduktion zutreffen sollten. Wird ein solcher Selbstbezug nicht erlebt, so können die Akteur*innen die Bedeutung einer Theorie für ihre Situation nicht wirklich anerkennen. Die Anrufung erklärt daher den folgenden Übergang: von der allgemeinen Vermittlung der theoretischen Konzepte und deren Problematisierung der Kulturproduktion hin zur spezifischen Auswahl eines bestimmten Konzeptes durch eine Akteurin.

5.3.2 Formen der Kulturproduktion als Einfallstore für Theorien

Damit ein performativer Effekt der Theorien in den Prozessen der Kulturproduktion erfolgen kann, benötigen die Konzepte etwas, was als Einfallstor beschrieben werden soll. Der zuvor erläuterte Prozess der Anrufung verdeutlicht nämlich nur, wieso eine spezifische Theorie für eine Person und deren Verständnis von Kulturproduktion wichtig werden kann. Um tatsächlich in Bezug zur Kulturproduktion gesetzt werden zu können, muss ein theoretisches Konzept an einer spezifischen Stelle zur Anwendung kommen. Neben dem Ausgangsmoment der Anrufung und der damit verknüpften Wertfrage gilt es daher, eine Form zu spezifizieren, von der aus ein performativer Effekt überhaupt erst erfolgen kann. Hierbei kann wiederum auf das Konzept der Forminvestition zurückgegriffen werden (Eymard-Duvernay und Thévenot 1983; Thévenot 1984), das bereits bei der Beschreibung der Formen der Intermediation kurz aufgegriffen wurde (siehe [5.2.3]). Im vorliegenden Abschnitt wird nun der Blick auf bestimmte Investitionen einer Kulturwelt gerichtet, die in einer jeweiligen Welt die ablaufenden Routinen der Produktion unterstützen und die damit als Einfallstore für Theorie dienen können.

Mit dem Forminvestitionskonzept wird allgemein darauf verwiesen, dass bestimmte Kosten entstehen, um eine stabile Beziehung herstellen zu können (Thévenot 1984, S. 9). Dies kann im Sinne einer alltäglich-wirtschaftlichen Verwendung des Begriffs ein Geldbetrag sein, der etwa den Kauf einer bestimmen Maschine ermöglicht, die eine stabile Beziehung zwischen einem Rohstoff und einem Endprodukt herstellt. Der Begriff kann jedoch erweitert werden, um ihn auf alle Operationen anzuwenden, die etwas stabilisieren sowie eine Dauerhaftigkeit und Vergleichbarkeit ermöglichen. Formeninvestitionen als symbolische Arbeit dienen allgemein der Reproduktion von Situationen und Abläufen, indem sie Koordination ermöglichen und Wertigkeiten bestimmbar machen (vgl. Diaz-Bone 2018a, S. 86). Damit wird ein bestimmter Zusammenhang mit dem weiteren Begriffsrepertoire der EC deutlich, das in dieser Arbeit ebenfalls zur Anwendung kommt, insbesondere die verschiedenen Qualitätskonventionen (siehe [2.2.3]; Boltanski und Thévenot 2007). Während in letzterem Konzept nämliche die fundamentale Ontologie beschrieben wird, die aus verschiedenen Wertigkeitsvorstellungen entsteht, verschiebt das Konzept der Forminvestition den Fokus. Statt nach einer Realität wird danach gefragt, welche Investitionen die jeweilige Qualität bestimmbar machen, diese implementieren und verbreiten sowie stabilisieren. Kurz: Es ist die Art und Weise, wie ein Wert umgesetzt wird.

Die Begriffe „Form“ und „Konvention“ unterscheiden die Art und Weise einer Qualität (Form) von der Qualität als die fundamentale Ontologievorstellung (Konvention). Gleichzeitig findet sich eine weitere für den vorliegenden Abschnitt relevante Konzeptualisierung, welche diese Unterscheidung teilweise untergräbt und deshalb hier kurz diskutiert werden soll (vgl. Urrutiaguer 2023, S. 3 f.; Müller und Schulze i. E.). Howard Beckers verwendet nämlich den Begriff der Konventionen im Rahmen seiner Forschungen zu Kunstwelten (2017). Er beschreibt damit, wie sowohl Erwartungen von Produzierenden und Konsumierenden in der Kulturproduktion abgeglichen als auch Koordinationen verschiedener Tätigkeiten der Produktion stabilisiert werden (Becker 2017, S. 44 f.). Die beckerschen Konventionen bieten daher die Basis, „auf der Beteiligte einer Kunstwelt effizient zusammen handeln können, um Werke zu produzieren, die für diese Welt charakteristisch sind“ (Becker 2017, S. 55). Damit fassen sie allerdings eher das, was hier als Art und Weise beschrieben und als Form bezeichnet wird. Die fundamentalere Vorstellung einer Ontologie, die sowohl die Grundlage einer sozialen Ordnung als auch die Möglichkeit ihrer Rechtfertigung bietet, wird hingegen in Beckers Konventionenbegriff weniger deutlich. Eine Vorstellung von Qualitätskonventionen scheint in Beckers Beschreibungen teilweise vorausgesetzt oder ansatzweise in seinen Ausführungen zur Ästhetik angedeutet zu werden (Becker 2017, S. 55 f./138 f.). Im weiteren Verlauf dieses Abschnitts werden nun Aspekte von Kulturproduktion beschrieben, die durchaus Beckers Idee einer konventionellen Übereinkunft entsprechen und die dann Kulturproduktion ermöglichen. Diese Aspekte werden aber zur klareren Unterscheidung mit dem Begriff der Form erfasst, bevor im weiteren Verlauf die Qualitäten anhand verschiedener Konventionen gemäß der EC dargelegt werden.

Die Funktionen der Forminvestitionen können Kulturproduktion auf verschiedenste Weise unterstützen. Funktionen können dahingehend unterschieden werden, welche Rolle sie für Ästhetiken einnehmen: Die Forminvestitionen können auf der einen Seite auf konkrete ästhetische Bereiche der Kulturproduktion abzielen, wie beispielsweise festgelegte Formen der Komposition oder gestalterische Formen von Veröffentlichungen. Investitionen zeigen sich etwa darin, dass bestimmte ästhetische Aspekte in der Welt etabliert und über weitere Prozesse abgesichert sind. So wurde etwa eine Relevanz von lauter und bassbetonter Musik in der EEM damit abgesichert, dass die Veranstaltungsorte entsprechende Systeme zur Wiedergabe aufweisen (dies ist aber kein Alleinstellungsmerkmal der Welt). Auf der anderen Seite können Formen der Evaluation von Ästhetiken dienen, indem sie bestimmte Oppositionen oder Semantiken etablieren, etwa mit welcher Äquivalenz „gute“ mit „schlechter“ Musik verglichen werden kann.Footnote 38 Die bassbetonte Musik der EEM kann einer Musik gegenübergestellt werden, der diese Qualitäten fehlen – und diese kann als schlecht bezeichnet werden. So wird deutlich, dass Formen sowohl materiell sein können (wie bei der Festlegung eines gängigen Speichermediums oder dessen Gestaltung) als auch immateriell (wie die evaluativen Aspekte). Weiter können die diversen Investitionen sich auf formelle Art und Weise zeigen, etwa bei der Festlegung von benötigten Informationen für Distributionsprozesse der Musik. Oder die Formen können rein informell etabliert werden, etwa bei der Bestimmung einer „relevanten“ Kompositionstechnik. Mit Investitionen in die Formen wird ein „Auf-Dauer-Stellen“ (Vogel 2019, S. 92) von Koordinationsabläufen in verschiedenen Bereichen einer Kulturwelt erreicht.

Die Welt der EEM und deren Resultate der Kulturproduktion weisen ein spezifisches Merkmal auf, das die Forminvestitionen auszeichnet. Die Produktionsprozesse sind in besonderem Maße „offen“. Diese Offenheit wurde bereits im Rahmen der Situation der Intermediation erwähnt [5.2.3] und ermöglicht, dass eine Theorie für eine Kulturproduktion als relevant vermittelt werden kann. Eine interviewte Akteurin (DA), die an der Organisation eines Festivals beteiligt war, stellte diese Offenheit wie folgt heraus: „Als wir angefangen haben, orientierten wir uns nicht groß an anderen Festivals, was da der Stand der Dinge ist. Das konnten wir am Anfang auch gar nicht, da war ja sonst auch nicht viel anderes. Wir haben da immer versucht so … Aus anderen Quellen zu schöpfen, aus unseren eigenen Auseinandersetzungen [im Rahmen des Studiums der Kulturwissenschaften]“ (Quelle: Interview). In der Kulturwelt scheinen daher für gewisse Prozesse kaum Stabilisierungen vorhanden zu sein. Oder anders formuliert: In der Kulturwelt EEM ist nicht klar festgelegt, was tatsächlich das Ergebnis eines Prozesses der Kulturproduktion ist. Zwar finden sich auch in dieser Welt Feldeffekte, die Prozesse im Sinn von Übereinkünften festmachen. Gleichzeitig wird in der EEM deutlich, dass ein Spiel mit gängigen Formen vorherrscht. Eine solche Offenheit wird etwa in Bezug zu den Resultaten der Kulturproduktion deutlich: Die Musikstücke können genauso der üblichen Länge von Popmusik folgen (also rund drei Minuten), wie sie auch besonders lange andauern können. Ebenfalls können die Stücke bewusst von Strukturen einer elektronischen Tanzmusik abweichen oder ihr folgen – oder auch völlig andere Bezüge zu Klängen aufmachen (vgl. Demers 2010, S. 161 f.). Diese Offenheit der Formen zeigt sich auch hinsichtlich der verwendeten Speichermedien, bei denen mehr oder weniger alle vorhandenen Möglichkeiten genutzt werden; egal ob CD, Vinyl, Audiokassette, USB-Stick oder Streaming. Die offene Produktion geht aber noch viel weiter und die Musiker*innen der Kulturwelt können genauso Texte schreiben, Theater machen oder weitere Objekte gestalten, die in Bezug gesetzt werden zu einer Klangproduktion (vgl. Ludewig 2019, S. 74).

Aufgrund dieser Offenheit scheinen die eigentlichen Kulturprodukte wie die Musikstücke selbst noch „unvollständig“ zu sein. Das heißt, sie können oftmals nicht für sich selbst stehen, sondern brauchen etwas Zusätzliches: einen Kontext, mit dem eine Erläuterung, Erklärung oder Rechtfertigung bereitgestellt wird. Dies verdeutlicht eine weitere Interviewpartnerin (EG) in Bezug auf ihre Abschlussarbeit an einer Kunsthochschule: „Die Frage nach der Form der Abschlussarbeit wurde nie ganz geklärt. Immer wenn man die Dozierenden damit konfrontiert hat, antworteten sie: ‚Schaut das mit euren Mentor*innen an. Es ist alles möglich. Ihr müsst [für eure Formwahl] argumentieren können‘“ (Quelle: Interview). Eine solche Unvollständigkeit mag für die Felder der Kunst und für die soziale Bedeutung von Resultaten der Kulturproduktion generell gelten (Eco 2016; vgl. Diaz-Bone 2010, S. 159 ff.). Gleichzeitig können aber zwei Extrempositionen der Kulturproduktion unterschieden werden: Auf der einen Seite finden sich Welten mit vergleichsweise eindeutigen Musikgenres wie Techno oder klassische Musik, die bestimmte ästhetische Formen festmachen.Footnote 39 Obschon auch hierbei Dispute herrschen und Kontexte bereitgestellt werden müssen, ist ein grundsätzliches Hinterfragen der eigenen Formen eher die Ausnahme (vgl. Diaz-Bone 2010, S. 323 ff.; Hennion 2015, S. 165 ff.). Auf der anderen Seite finden sich Kulturwelten, bei denen wenig bis keine ästhetischen Formen klar vorgeben sind. Diese Extremposition wird insbesondere von Bereichen der bildenden Kunst repräsentiert, wo Akteur*innen innerhalb derselben Kulturwelt die verschiedensten ästhetischen Formen wählen (vgl. Fine 2018, S. 67 ff.). Diese Welten der bildenden Kunst etablieren jedoch mehr Forminvestitionen, die den benötigten Kontext bereitstellen (vgl. Fine 2018, S. 137). Die im Zentrum stehende Kulturwelt der EEM befindet sich zwischen den beiden Extrempositionen: Trotz der Offenheit finden sich einige grundsätzliche Formen im Zusammenhang mit Klang und dessen Speicherung vor, während aber gleichzeitig ein Befragen der eigenen Prozesse und damit auch Formen für das Bereitstellen von Kontexten etabliert sind.

Für die Einfallstore wird daher ein Fokus auf Formen gerichtet, die im weitesten Sinne als Kontexte für die offenen Kulturprodukte funktionieren: Kontext für die Produktion, Distribution sowie den Konsum und die Interpretation von anderen Formen (insbesondere für ästhetische Aspekte). So wurden die theoretischen Konzepte in der EEM als Teil des Namens von Musiker*innen sowie von deren Musikstücken und Veröffentlichungen verwendet. Die kultur- und sozialwissenschaftlichen Referenzen waren weiter Teil von Presse- und Klappentexten zu Musikveröffentlichungen oder es wurde in den Programmtexten von Veranstaltungen auf die Theorien und die wissenschaftlichen Autor*innen verwiesen. All diese Formen entsprechen einem Kontext für eine Kulturproduktion. Dieses Bereitstellen von Kontext durch Formen kann aber weiter gefasst und auf diverse textliche Materialien übertragen werden: schriftliche Arbeiten aus dem Studium, Anträge für staatliche Unterstützungsgelder, nicht wissenschaftliche Bücher über Künstler*innen und Genres oder verschiedenste Zeitschriften sowie darin abgedruckte Interviews, Rezensionen oder sonstige Artikel. All diese Formen ermöglichen es, einen Kontext der Kulturprodukte zu erschließen und in all den Formen wurde auf Theorien verwiesen. Weiter können die Formen sowohl Teil von Offline- wie auch von Onlinemedien sein. Bei Letzteren tauchten Verweise auf Theorien in diversen sozialen Netzwerken auf (siehe auch [5.2.3]) oder wurden in E-Mail-Newsletter von Organisationen der Kulturwelt versendet. Solche Kontextformen bestehen aber keineswegs nur aus textlichem Material. Auch die diversen Gesprächsformate der Kulturwelt schaffen einen Kontext für Kulturprodukte. So tauchten die Referenzen auf Theorien ebenfalls in den erwähnten Diskussionsrunden und Vorträgen auf (siehe [5.2.2]), die wiederum in verschiedenster Art und Weise online verbreitet wurden. Nicht zuletzt wurden die Hinweise auf Theorie bei informellen Gesprächen geäußert: bei Konzerten, bei Partys oder beim Abendessen unter Freund*innen.

Die Vielfalt der Formen für Kontexte kann anhand von zwei Dimensionen und deren jeweiligem Potenzial als Einfallstore festgemacht werden.Footnote 40 Anhand der ersten Dimension wird das „zeitliche“ Potenzial der Formen bestimmt (vgl. Thévenot 1984, S. 7 f.; Diaz-Bone 2018a, S. 337), also ob sie als Einfallstor nur für aktuelle oder auch für zukünftige Prozesse funktionieren können. Die zweite Dimension unterscheidet, wie stark eine jeweilige Form überhaupt ein Potenzial für performative Effekte und damit für Veränderungen der Prozesse der Kulturproduktion bietet. Sie unterscheidet die Einfallstore daher im Sinne einer „räumlichen“ Geltung oder Validität (vgl. Thévenot 1984, S. 10; Diaz-Bone 2018a, S. 337). Mittels der zwei Dimensionen können die verschiedenen Formen angeordnet werden, welche sich hinsichtlich dreier Merkmale unterscheiden: (1) Einmal kann eine Form dahingehend unterschieden werden, ob sie unmittelbar mit einem konkreten Resultat der Kulturproduktion verbunden ist oder nicht. Dieses erste Merkmal unterscheidet daher zwei verschiedene Varianten von Parapraktiken (Genette 2014; siehe [2.2.5]), die das eigentliche Resultat der Kulturproduktion ergänzen (z. B. dem aufgeführten oder gespeicherten Klang). Sie können in textlicher Form auftreten, müssen aber nicht. Eine unmittelbar mit einem konkreten Produkt verbundene Form wäre eine Peripraktik (Genette 2014, S. 22 ff.). Die andere Möglichkeit wäre die sogenannte Epipraktik, die keine unmittelbaren räumlichen oder zeitlichen Bezüge zum Resultat der Kulturproduktion hat (vgl. Genette 2014, S. 12). (2) Als weiteres Merkmal kann eine Form nach ihrer Leistung für eine*n Akteur*in unterschieden werden: Geht es darum, mit einem hinzugezogenen Kontext die Repräsentation von einem bereits ablaufenden Prozess zu schaffen? Oder soll eine Reflexion und damit ein Prozess angestoßen werden, der womöglich Änderungen im Vorgehen anleitet? (3) Als letztes Merkmal können Formen dahingehend differenziert werden, ob diese von einer Bezugswelt verlangt sind oder eher nicht. In der Abbildung [Abb. 5.8] werden die konzeptionell geordneten Einfallstore präsentiert und anhand von fünf Bereichen unterschieden.

Abb. 5.8
figure 8

(Quelle: Eigene Darstellung)

Einfallstore für Theorien

Ein erster Bereich von Einfallstoren (A) sind die Formen, die direkt mit einem Resultat der Kulturproduktion verbunden sind, auf Repräsentation abzielen und nicht von einer Bezugswelt verlangt sind. Ein Beispiel aus der EEM hierfür wäre ein Klappentext zu einer physischen Musikveröffentlichung. Ein solcher Text kann einen Kontext herstellen, in dem auch theoretische Argumente vorgebracht werden. Er bietet die Möglichkeit, dass eine Musikerin oder ein Herausgeber über das Resultat der Kulturproduktion nachzudenken beginnt und beispielsweise dessen Produktionszusammenhänge mit einer kultur- und sozialwissenschaftlichen Perspektive problematisiert. Gleichzeitig wird ein Klappentext meist erst verfasst, wenn das Resultat bereits fertiggestellt ist. Deshalb könnten weitere Veränderungen etwa beim gespeicherten Klang auch ausbleiben. Zusätzlich könnte die Form in der Kulturwelt mehr oder weniger ignoriert werden, etwa von Hörer*innen, welche die Veröffentlichung nur via einen Streamingdienst konsumieren (und damit das physische Produkt nicht besitzen).

Der zweite Bereich von Einfallstoren (B) unterscheidet sich vom ersten dahingehend, dass dessen Formen von einer Bezugswelt stärker verlangt sind (aber weiterhin als Peripraktik vorhanden sind und auf Repräsentation abzielen). Beispiele hierfür wären insbesondere die Pseudonyme von Musiker*innen, die Titel von Veröffentlichungen und Veranstaltungen oder auch Pressetexte. Für diese Formen brauchen die Akteur*innen bestimmte Vorstellungen, Eingebungen oder sonstige Anhaltspunkte. Die theoretischen Konzepte können als Inspiration für einen Namen oder einen Textabschnitt dienen und daher ein Einfallstor finden. Und da für diese Formen „mehr“ investiert wurde, wächst die Chance, dass Performativität erfolgen kann, da die Hörer*innen diese Namen beziehungsweise Texte auf verschiedene Arten rezipieren (und nicht nur dann, wenn sie das physische Produkt erwerben). Gleichzeitig sind diese Formen stark mit einem bereits vorhandenen Resultat der Kulturproduktion verbunden, um dessen Repräsentation es geht. Sie können daher wie bereits der Bereich (A) in vergleichsweise geringerem Maße die zukünftigen Prozesse der Kulturwelt beeinflussen.

In der Mitte der Abbildung lässt sich ein Bereich von Einfallstoren (C) verorten, der verschiedene Epipraktiken umfasst. Diese können zusammengefasst werden, da sie sowohl zur Repräsentation als auch der Reflexion dienen und nur teilweise von einer Bezugswelt verlangt werden. Sie sind zwar eine gängige Form, die Akteur*innen können sie aber auch auslassen. Beispiele aus der Kulturwelt der EEM hierfür sind Interviews mit Musiker*innen oder Rezensionen von Veröffentlichungen. Weitere solche Formen wären etwa Vorträge auf Festivals oder Essays in diversen Zeitschriften, die Raum für längere Textformen bieten.Footnote 41 Diese Epipraktiken können für stärker repräsentative Zwecke genutzt werden oder sie initiieren Reflexionsprozesse. Ersteres würde sich wiederum stärker auf bereits ablaufende Prozesse beziehen, während bei Letzterem das Potenzial für zukünftige Veränderungen vorhanden wäre. Deshalb ist der Bereich in der Mitte der horizontalen Dimension einzuordnen. Unabhängig von der zeitlichen Ausrichtung bieten diese verschiedenen Formen zwar viele Möglichkeiten, um einen theoretischen Kontext in Bezug zur Kulturproduktion zu setzen. Da die Möglichkeiten aber nicht unbedingt von den Akteur*innen umgesetzt werden müssen (beispielsweise können Anfragen für Interviews abgelehnt werden), lässt sich dieser dritte Bereich ebenso in der Mitte der vertikalen Validitätsdimension verorten.

Im vierten Bereich unten rechts (D) zeigen sich Formen als Einfallstore, die ebenfalls getrennt von einem Resultat der Kulturproduktion als Epipraktik vorhanden sind. Diese sind klar auf Reflexion ausgelegt, werden aber nicht von einer Bezugswelt verlangt. Konkrete Beispiele aus dem Bereich der EEM hierfür wären etwa Krisen der Akteur*innen in Bezug auf Produktionsprozesse. Damit ist eigentlich eine Art „negative“, fehlende oder nicht mehr adäquate Form gemeint: Ein Produktionsprozess ergibt aus einem Grund keinen Sinn mehr für eine Akteurin oder es fehlt eine Bedeutung für das von ihr geschaffene Produkt. In solchen Krisen kann eine Theorie einen Impuls zur Lösung geben. Im üblichen Ablauf einer Kulturwelt wäre eine solche Krise nicht vorgesehen, weshalb das Einfallstor auch seltener auftritt (was die Chance verkleinert, dass Performativität erfolgen könnte). Einmal angestoßene Prozesse zielen dann aber auf zukünftige Veränderungen ab. Ein anderes Beispiel für ein Einfallstor aus diesem Bereich wäre die Verwendung von Theorie aufgrund der Tatsache, dass bereits ein theoretisches Konzept im Rahmen einer Kulturproduktion aufgetaucht ist. Eine weitere Theorie wird also hinzugezogen, weil bereits ein (damit zusammenhängendes) Konzept in einer Form verwendet wird. Ein solches Referieren auf Theorie aufgrund von bereits verwendeter Theorie ist in einer Kulturwelt keineswegs verlangt (hingegen ist es gang und gäbe in der Wissenschaft). Es bietet aber die Möglichkeit für zukünftige Veränderung. Das Eintreffen dieser Veränderungen (dargestellt auf der vertikalen Dimension) ist hingegen eher unwahrscheinlich, da womöglich bereits ein performativer Effekt ausgehend vom ursprünglichen Konzept erfolgt ist. Die neu hinzugezogenen theoretischen Konzepte würden mit geringerer Wahrscheinlichkeit noch neue Veränderungen hervorrufen.

Der fünfte und letzte Bereich in der Abbildung (E) umfasst mögliche Einfallstore, bei denen performative Effekte wahrscheinlich sind und diese für zukünftige Prozesse übernommen werden können. Die Formen, die dies ermöglichen, sind ebenfalls Epipraktiken und zielen auf Reflexion ab. Im Gegensatz zum vorhergehenden vierten Bereich werden sie jedoch von einer Bezugswelt verlangt. Das Idealbeispiel einer Form, die diesem Bereich der Einfallstore zuzuordnen wäre, ist eine schriftliche Arbeit, wie sie an Kunsthochschulen im Vorfeld eines künstlerischen Projekts verfasst wird. Ein anderes Beispiel wäre, dass Akteur*innen an einer solchen Hochschule selbst unterrichten (der Unterricht wäre dann die Form). In diesen Formen ist oftmals bereits ein Umgang mit theoretischen Konzepten angelegt, wie er in den Kultur- und Sozialwissenschaften gang und gäbe ist. Das heißt die Kunsthochschulen haben in Formen investiert, die mit der Wissenschaft vergleichbar sind (vgl. Singerman 1999). In der im Zentrum stehenden Kulturwelt EEM selbst wurde hingegen keine empirische Variante hierfür gefunden beziehungsweise sind ähnliche Formen noch zu wenig stark von der Bezugswelt etabliert. Ein mögliches Beispiel, das sich in diese Richtung entwickeln könnte, wären Förderdossiers zur Beantragung staatlicher Unterstützung (siehe [5.4.9]). Diese bieten durchaus den Raum, um mit den Theorien einen Kontext zu schaffen und so zukünftige Projekte zu beeinflussen. Innerhalb der EEM sind diese Referenzen auf Theorien in Dossiers allerdings noch nicht so stark etabliert wie kultur- und sozialwissenschaftliche Elemente an den Fachhochschulen.

5.3.3 Übersetzung 1: Von der Wissenschaft in die Kulturwelt

In den vorhergehenden zwei Abschnitten zur Anrufung und zu den Einfallstoren [5.3.25.3.3] wurden die letzten beiden Stationen eines Prozesses erläutert, der bereits in der Situation der Intermediation startet. Der Prozess vermittelt sowohl die theoretischen Konzepte selbst als auch deren Sinn für die Kulturproduktion (in der Situation der Intermediation) und führt dazu, dass die Akteur*innen beginnen, die Konzepte im Rahmen ihrer Kulturproduktion anzuwenden (die Anrufung und Einfallstore). Dieser ganze Prozess kann als eine Übersetzung zusammengefasst werden: Die theoretischen Konzepte werden dadurch über Zeit und Raum hinweg verbreitet (vgl. Kjellberg und Helgesson 2006, S. 845), wechseln vom wissenschaftlichen Feld in dasjenige der Kulturproduktion und werden zu einer Ressource für bestimmte Akteur*innen. Bei jedem der jeweils ablaufenden Schritte in der Übersetzung muss eine Theorie aufgenommen werden, damit überhaupt eine Reaktion erfolgen kann. Das jeweilige Aufnehmen und Weiterverbreiten verändert die Konzepte beziehungsweise deren Interpretation (verglichen mit einer Interpretationsweise eines Konzeptes im wissenschaftlichen Feld). Die Schritte des Übersetzungsprozesses in der Situation der Intermediation machten einige solche Änderungen deutlich: die Etablierung eines bestimmten Kanons (und dessen Unterschiede zum wissenschaftlichen Kanon), die Konsekration der Resultate der Kulturproduktion durch die theoretischen Konzepte (anstelle einer wertfreien Analyse mittels der Theorien), die Gleichsetzung sowie Vermischung von Genres und Autor*innen (anstelle einer klaren Trennung von Disziplinen), die Nahelegungen zur Etablierung von Qualitätsvorstellungen (anstelle einer Ausrichtung der Perspektive) oder die Partisanenhaltung im Umgang mit den Theorien (anstelle eines sorgfältigen Verweises auf Forschungsliteratur).

Auch die zuletzt im Rahmen der Situation der Verwendung erläuterten beiden Schritte verdeutlichen diese Veränderungen: Die Anrufungen führen dazu, dass Theorien aufgrund eines persönlichen Wertbezugs ausgewählt werden (und nicht aufgrund eines analytischen Potenzials). Die Einfallstore verdeutlichen die verschiedenen Ausgangslagen für die Verwendung von Theorien (anstelle eines Forschungsinteresses und der damit verbundenen Dimensionsanalyse).Footnote 42 Die Schritte des Übersetzungsprozesses bis zur Verwendung der theoretischen Konzepte durch die Akteur*innen in einer Kulturwelt werden als Übersetzung 1 aufgefasst (um sie von einer anderen Übersetzung 2 zu unterscheiden, siehe [5.3.8]). Die Abbildung [Abb. 5.9] weist diesen Prozess und einige der ablaufenden Schritte schematisch aus.

Abb. 5.9
figure 9

(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Kjellberg und Helgesson 2006)

Übersetzung 1: Von der Wissenschaft in die Kulturwelt

Abb. 5.10
figure 10

(Quelle: Eigene Darstellung)

Performativität als Prozess des Attachements

Der Startpunkt markiert in der dargestellten Übersetzung 1 ein theoretisches Konzept selbst. Hierbei unterscheiden sich Theorien dahingehend, wie sie für verschiedene Bereiche einer Kulturproduktion jeweils unterschiedliche Bezugsgrade aufweisen. Das heißt, dass gewisse Theorien kaum solche Bezüge aufweisen können, während andere sehr konkret und für verschiedene Bereiche auf Kulturproduktion eingehen (der Unterschied wird durch die Sättigung der Farben verdeutlicht). Weiter können die Theorien dies umfassend tun oder nur kurz auf die Aspekte eingehen (die Balken in der Abbildung können daher länger oder kürzer sein). Das kann exemplarisch an zwei Theorien erläutert werden, die ebenfalls in der untersuchten Kulturwelt aufgetaucht sind: Das erste Beispiel ist Foucaults Konzept des Panoptismus. Der grundlegende Text, welcher das theoretische Konzept erläutert (Foucault 1976), verweist in keiner direkten Weise auf Kulturproduktion – es geht darin nicht um das Musikmachen oder Ähnliches. Das zweite Beispiel wäre die Musiksoziologin Tia DeNora, die in ihren Arbeiten (z. B. 2000) selbst Aspekte des Musikkonsums anspricht (während die Autorin andere Bereiche weniger umfassend erläutert). Die in der Abbildung schematisch aufgeführte Theorie würde vor allem in einem Bereich der Kulturproduktion die Bezüge sehr explizit und umfassend herstellen (im Bereich 2), in einem weiteren Bereich zwar auch umfassend, aber nicht so explizit (im Bereich 1), und im Bereich 3 fast gar nicht.

Die Situation der Intermediation, wie sie im vorhergehenden Unterkapitel erläutert wurde [5.2], leistet anschließend eine Übersetzung, indem sie Bezüge zu den Bereichen der Kulturproduktion überhaupt erst herstellt (etwa bei Foucault) oder noch deutlicher macht und erweitert (etwa bei DeNoras Konzepten oder bei der Theorie in der Abbildung). Diese Übersetzungsleistung in der Situation der Intermediation fällt wiederum für gewisse Bereiche stärker aus als für andere (etwa bei der schematisch dargestellten Theorie im Bereich 3). Gleichzeitig kommen in der Situation der Intermediation weitere Bezüge hinzu: Dies sind auf der einen Seite soziale Faktoren beziehungsweise Festlegungen der Kulturwelt selbst wie etwa Feldeffekte, die Prozesse in den Bereichen der Kulturproduktion auf eine bestimmte Art und Weise festlegen. Auf der anderen Seite werden Bezüge durch ganz andere Bereiche hergestellt, etwa zu Konzepten aus anderen Disziplinen (beispielsweise aus der Kunstgeschichte) oder allgemeinere gesellschaftliche Aspekte (beispielsweise Diskurse um Umweltschutz). Sowohl die Theoriekonzepte der Kultur- und Sozialwissenschaften als auch die Feldaspekte und weitere gesellschaftliche Themen werden in der Situation der Intermediation zur Kulturproduktion in Bezug gesetzt.

Nach der Intermediation werden die Theorien von den Akteur*innen in einer übersetzten Art und Weise aufgenommen, was in der Grafik im rechten Bereich dargestellt wird. Dieser Übergang kann sehr unmittelbar erfolgen (in der Grafik im zweiten Bereich der Kulturproduktion dargestellt), wenn etwa die Theoriekonzepte über die Form der Interaktion vermittelt werden, wobei die vermittelnden Instanzen sehr nahe an der Kulturproduktion sind. Oder aber die Akteur*innen selbst müssen mehr leisten, um das Theoriekonzept in Bezug zu ihrer Kulturproduktion zu setzten. Wie bereits in der Situation der Intermediation können auch hier bestimmte Bezüge der theoretischen Konzepte zur Kulturproduktion verstärkt und andere abgeschwächt werden. Das Verstärken oder Abschwächen kann sowohl durch die Akteur*innen selbst geleistet werden, nachdem diese durch ein Konzept angerufen wurden, oder auch durch die Einfallstore (siehe hierzu auch [5.3.7]). Beispielsweise könnte eine Referenz auf DeNoras Konzept einfacher in einem Interview erfolgen, in dem sich ein Musiker zu seinen Hörgewohnheiten äußern soll. Dasselbe Einfallstor würde hingegen weniger einfach für Foucaults Panoptismus funktionieren. Die jeweiligen Formen werden hier nun nochmals stärker von Feldeffekten mitbestimmt. Zudem können weitere gesellschaftliche Aspekte eine Rolle spielen, wie dies zuvor etwa bei der indirekten Anrufung erläutert wurde.

Im Zentrum des Interesses an der Übersetzung 1 stehen nun nicht mehr die einzelnen Schritte. Anhand des Konzeptes soll vielmehr aufgezeigt werden, wie sich als Folge dieses ersten Übersetzungsprozesses die performativen Effekte in den Bereichen der Kulturproduktion zeigen. Hierzu wird ein Modell eingeführt, das die verschiedenen Prozesse und Aspekte einer Kulturwelt und ihrer Produktion jeweils einem von drei Bereichen zuordnet: (1) normative Praxisprinzipien, (2) Ausführungsmediation von Kulturproduktion sowie (3) die Repräsentation von Ontologie und Autorschaft. Damit wird versucht, die in einer Kulturwelt ablaufenden Prozesse sehr generell zu fassen, ohne etwa spezifische Aspekte herauszuheben (so wird beispielsweise das Komponieren und Hören von Musik gemeinsam im Bereich der Ausführungsmediationen verortet). Ebenfalls werden keine bestimmten Akteur*innen herausgehoben, sondern in allen drei Bereichen können Musikerinnen, Kritiker, Hörerinnen, Vermittler und weitere Rollen auftauchen. Die angestrebte Generalisierbarkeit der drei Bereiche kann zwar in andere Modelle übersetzt werden, die lediglich spezifischere Prozesse fassen.Footnote 43 Trotzdem werden aber bestimmte Prozesse in der Musikproduktion nicht vollständig aufgenommen und hier unterkomplex verhandelt. Hingegen ermöglicht es die Generalisierbarkeit, die ablaufenden Prozesse der Performativität zu übertragen, vom beispielhaften Bereich der Musik auf andere gesellschaftliche Welten. Dies wird auch durch die Literatur sichergestellt, die für das Modell hinzugezogenen wurde. Die konzeptuellen Ergänzungen zu den eigenen Kodierprozessen griffen nämlich nicht nur auf eine musiksoziologische Studie zurück (Burnard 2012), sondern auch auf wirtschaftssoziologische Arbeiten zu Performativität in Märkten (Kjellberg und Helgesson 2006, 2007) und Überlegungen zur Interdisziplinarität verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen (Barry und Born 2013a). In den folgenden drei Abschnitten werden die Bereiche theoretisch kurz eingeführt, um dann sowohl unterschiedliche performative Effekte zu verdeutlichen (siehe [2.1.4]) als auch eine allgemeine Wirkung der Theorie zu erklären.

5.3.4 Effekte im Bereich der normativen Praxisprinzipien

Der erste Bereich der Kulturproduktion umfasst normative Praxisprinzipien. Damit sind all diejenigen Aktivitäten und Aspekte gemeint, die es den Akteur*innen ermöglichen, Kulturproduktion umfassend zu beschreiben: Funktionen, welche die Kulturprodukte übernehmen, die Leistungen, die sie erbringen sollen, oder Richtlinien, denen es zu folgen gilt. Es werden Bezugspunkte für eine Kulturproduktion festgelegt, die eine normative Essenz und einen allgemeinen Wert festlegen. Gemäß einer feldtheoretisch-vereinfachenden Variante wäre etwa die Idee von „L’art pour l’art“ ein simpler Idealtyp für das normative Praxisprinzip in allen Kulturwelten (siehe [3.5]). Dieses Prinzip kann aber sowohl detaillierter beschrieben als auch mit einer Vielzahl davon abweichender Normen ergänzt werden. Die Praktiken im ersten Bereich selbst zeigen sich insbesondere als Aussagen von Akteur*innen im weitesten Sinne, die versuchen eine Kulturproduktion zusammenzufassen und den gemeinsamen Nenner darin zu finden. Das Formulieren normativer Praxisprinzipien kann eine erfolgreiche Festlegung sein, während aber die Implementierung der neuen Ideen scheitern kann. In beiden Varianten trägt deren Verhandlung zu einer Festigung von Richtlinien bei, wie dies etwa Hans Kjellberg und Claes-Fredrik Helgesson in ihrer Untersuchung zu Performativität in Märkten aufzeigen:

This category [GS: der normative Praxisprinzipien] was devised to account for activities that contribute to establish guidelines for how a market should be (re)shaped or work according to some (group of) actor(s). […] The fact that markets do not readily take on precisely the shape or form intended, neither means that such attempts are not made nor that the objectives are unimportant. (Kjellberg und Helgesson 2007, S. 143)

Um diesen ersten Bereich stärker auf Musik zu beziehen, kann auf Pamela Burnards Modell verschiedener musikalischer Kreativitäten zurückgegriffen werden (2012, S. 230). Normative Praxisprinzipien regeln, wieso gewisse Dinge etwa auf eine bestimmte Art und Weise erfolgen sollen, warum etwas als „kreativ“ in der Musik gilt und was der Wert einer Kreativität ist. Verschiedene Aspekte einer Kulturproduktion können über ein normatives Praxisprinzip zusammengefasst werden, weil sie beispielsweise alle die Interaktion bei musikalischen Performances betonen oder weil die Aspekte auf den Umgang mit Objekten in der Produktion fokussieren. Eher implizite und damit weniger direkt auf Musikproduktion abzielende Praxisprinzipien wären etwa das Zusammenfassen von Aspekten einer Kulturwelt, weil sie alle eine Hybridisierung betonen oder auch, weil sie alle besonders unternehmerisch funktionieren. Die normativen Praxisprinzipien sind daher eine Variante, wie und wieso bestimmte Aspekte einer Kulturproduktion zusammengehören.

Generische Performativität

Wie zeigen sich nun performative Effekte in den normativen Praxisprinzipien als Folge der Übersetzung 1? Als ein erstes Beispiel kann auf den „generischen“ Effekt eines theoretischen Konzeptes verwiesen werden: Die Aufnahme eines theoretischen Konzeptes als Referenz in die Kulturproduktion erfolgt, ohne dass sich die soziale Realität in dem Bereich verändert. Einer der interviewten Musiker*innen (FI) verwies in seiner Kulturproduktion auf die Texte von Judith Butler und ihr Konzept von Performanz beziehungsweise performativen Akten. Die Texte der Philosophin und deren Relevanz wurden ihm über die Netzwerkstrukturform vermittelt, da der Musiker wiederholt auf Butler stieß, sowohl im Bereich der EEM als insbesondere auch in der Welt des Theaters. Diese Welt wird von der Philosophin direkt in einem Text als Bezug aufgenommen (Butler 2002, S. 314). Der Bezug zur Musik oder gar der EEM musste hingegen noch stärker durch die Situation der Intermediation hergestellt werden. Die Anrufung des Musikers erfolgte insbesondere über die Wertvorstellung des Explorativ-Berufenden: Butlers Konzept zur Performanz beschrieb genau das, was den Interviewpartner als Musiker schon immer interessiert und fasziniert habe, so seine Beschreibung. Ein zentrales Einfallstor für ihn war ein Workshop, den er selbst an einer Fachhochschule anbot und im Rahmen dessen er die Konzepte genauer zu rezipieren und auf die eigene Kulturproduktion anzuwenden begann.

Im Interview erläuterte er die Rolle von Butlers theoretischem Konzept der Performanz in Bezug auf ein mögliches Praxisprinzip. Im Zentrum des Prinzips des Musikers stand die Schaffung einer eigenen Realität, wie dies die performativen Akte verdeutlichen:

FI::

Das Konzept der performativen Akte ist etwas, für das sich Musiker*innen grundsätzlich interessieren, aber ohne es so artikulieren zu können, wie das jemand wie Judith Butler tun kann. Aber ich denke mal, um die Definition des Begriffs von Performanz etwas zu reduzieren, kann man sagen: Es geht darum, Musik als transformative Erfahrung zu nutzen. Oder wie Linguist*innen das sagen würden: Man ist in der Lage, Gesten oder andere Äußerungen anzubieten, welche die Wahrnehmung oder die Realitäten verändern; welche die Situation verändern, in der wir uns befinden. Bei Live-Erfahrung – da würden mir die meisten Musiker*innen zustimmen – versuchen wir genau das bei Konzertauftritten zu erreichen. Ich sehe das in Verbindung mit dem Konzept der Performanz. Wenn du an ein Konzert gehst und irgendwann macht jemand etwas, das den Raum völlig verändert oder das die Art und Weise verändert, wie man die Welt versteht: Das ist ein performativer Akt. […] Jede*r hat diese Art von Erfahrung schon gemacht. Vielleicht ist es sogar der Grund, warum jemand mit dem Musikmachen angefangen hat. (Quelle: Interview)

Das Zitat verdeutlicht den generischen Effekt von Theorie im Bereich der normativen Praxisprinzipien: Das Konzept von Butler beschreibt für den Interviewpartner das, was Musik leisten soll, was diese eigentlich ausmacht (insbesondere bei einem Konzert), nämlich die Veränderung einer Erfahrung. Dabei wird eine theoretische Problematisierung deutlich, welche die Bedeutung des Klangs beziehungsweise der Kulturproduktion für das Soziale ins Zentrum rückt. In ähnlicher Weise fasste der interviewte Musiker Kreativität in der Musik: „Gerade auch Bands sind gut darin [diese Veränderungen hervorzurufen]. Sie erschaffen ihre eigene Welt – ihre eigene Realität auf der Bühne“ (Quelle: Interview). Allgemeiner und den Qualitätskonventionen folgend (Boltanski und Thévenot 2007) verdeutlicht der Interviewpartner einen Wert von Musik, welcher der Welt der Inspiration entstammt: Es geht um eine Schöpfungskraft, die durch Kulturproduktion ermöglicht wird. Das so von ihm erläuterte Praxisprinzip veränderte sich jedoch durch das Hinzuziehen des theoretischen Konzeptes nicht. Vielmehr war es bereits eine etablierte Vorstellung von ihm und eine Vorstellung, die im Feld gang und gäbe ist. Im Sinne eines generischen Effekts nutzte der Musiker das theoretische Konzept, um das normative Praxisprinzip besser beschreiben zu können, nämlich so „[…] wie es jemand wie Judith Butler tun kann“ (Quelle: Interview).

Effektive Performativität

Als zweites Beispiel im Bereich der normativen Praxisprinzipien soll auf eine Interviewpartnerin (BF) Bezug genommen werden, die in ihrer Kulturproduktion auf theoretische Vorstellungen der Cultural Studies verwies. Die Musikerin begann, sich mit Fragen der Identität zu beschäftigen, und stieß über eine Internetsuche auf die Arbeiten von einigen Autor*innen der englischen Cultural Studies (z. B. Hall 2000). Der Übersetzungsprozess fand auf den ersten Blick also nicht in exakt dem Ablauf statt, der in der Abbildung [Abb. 5.9] oben verdeutlicht wurde. Ausgangslage im Beispiel war ein Einfallstor: Die Kulturwelt stellte keine Form beziehungsweise Bedeutung für die Identitätsaspekte der Musikerin bereit, weshalb diese mit weiteren Recherchen im Internet begann. Die entdeckten Autor*innen und ihre Theorien führten zu einer Anrufung über eine relational-vertraute Wertvorstellung und die Musikerin lernte die Problematisierung der Cultural Studies kennen. Die umgekehrte Richtung wird aber im Beispiel von weiteren Übersetzungsprozessen vorher und nachher ergänzt. Diese Prozesse entsprechen wiederum der Richtung der Verbreitung von Theorien über Zeit und Raum hinweg, die zuvor erklärt wurden. Hierbei kann der Anfang der Übersetzung im wissenschaftlichen Feld festgemacht werden: So war und ist es Teil des Selbstverständnisses vieler Forscher*innen der Cultural Studies, sich aktiv in der Gesellschaft zu beteiligen und ihre Arbeit als ein politisches Projekt aufzufassen (vgl. Nelson et al. 1992, S. 5). Ein solches Selbstverständnis und die damit einhergehenden Aufwände führten dazu, dass theoretische Konzepte und Problematisierungen öffentlich verfügbar und übersetzt wurden. Der Soziologe und zentrale Vertreter der Cultural Studies Stuart Hall beteiligte sich beispielsweise an der „Open University“, um seine Arbeit weiter zu verbreiten (vgl. MacCabe 2008, S. 31; Krotz 2009, S. 211). Durch die Onlinepräsenz der erwähnten Ausbildungsinstitution und deren frei verfügbare Angebote stieß auch die interviewte Musikerin auf die Vorträge von Hall. Nach den Internetrecherchen erfolgten weitere Übersetzungsprozesse in diesem Beispiel: Verschiedene Texte und theoretische Konzepte wurden der Musikerin über die Form der Interaktion vermittelt, da sie mit Vertreter*innen der Cultural Studies in persönlichem Kontakt war. Insbesondere über diesen persönlichen Kontakt bezog die Musikerin vermehrt Aspekte der Kulturwelt EEM mit ein, wodurch sich die bereits vorhandenen Bezüge zur Musik, die sie den Texten der Cultural Studies entnommen hatte (wie z. B. von Hebdige 1979), bei ihr verstärkten.

Für die Musikerin wurden aufgrund ihrer Auseinandersetzungen mit den theoretischen Konzepten der Cultural Studies unter anderem Klassenfragen und deren Implikationen zu einer zentralen Norm von Kulturproduktion. Hier wurde eine Problematisierung eingeführt, mit der die Bedeutung des Sozialen für die Resultate der Kulturproduktion herausgehoben wurde: Die theoretische Perspektive gab der Musikerin die strukturelle Korrespondenz zwischen Musikformen und den sozioökonomischen Merkmalen von Gruppen vor. Im Sinne einer sozialräumlichen Logik müsse Kulturproduktion der Verbindung zwischen sozioökonomischer Position und den für diese Positionen entsprechenden Präferenzen folgen, so das theoretisch-informierte Praxisprinzip der Musikerin. Dies führte zu einer Neuausrichtung dessen, was sie als ihre eigene Musik und deren Funktion verstand:

BF::

Nachdem ich lange im Techno unterwegs gewesen bin, rutschte ich in den Bereich der experimentellen Musik ab. Ich war aber wirklich unglücklich beim Machen dieser Musik. […] Außerdem steckt da ein echtes Klassenelement drin. Ich wurde damals auch gebucht, um an verschiedenen Orten Konzerte zu spielen. Dort fand ich jedoch nie wirklich Anschluss zu den anwesenden Leuten. Sie waren alle aus der Mittelschicht und waren ziemlich … Die haben dort jeweils erwartet, dass ich auch aus der Mittelklasse stamme. Das sagt ja einiges über deren Vorstellungen bezüglich der Arbeiterklasse aus, oder? […] Das raubte mir echt sämtliche Freude. Im Grunde spielte ich bei diesen Veranstaltungen fast immer vor einem Raum voller Leute aus der Mittelschicht – fast ausschließlich. … Ich finde es einfach langweilig. Ich komme mit dieser Art von Publikum nicht klar. Das war frustrierend und ich erlebte dies als sehr isolierend. (Quelle: Interview)

Die im Zitat erwähnte Unzufriedenheit macht die Musikerin daran fest, dass die EEM eben nicht einer für sie korrespondierenden „Arbeiterklasse“-Musik entsprach. Die Unzufriedenheit zeigte sich sowohl im Umgang mit anderen Musiker*innen als auch in Bezug auf Musikproduktion. In ihrer Vorstellung von „Arbeiterklasse“-Musik fand die Interviewpartnerin hingegen ein besonderes Maß an Kreativität: Darin sei eben alles möglich und dort würden aktuell die spannenden Dinge erfolgen – im Gegensatz zu der von ihr kritisierten EEM. Die Verbindung von Musik und Klassenzugehörigkeit sowie die damit etablierte Idee von Kreativität ermöglichte der Musikerin, Kritik an anderen Akteur*innen zu üben: etwa wenn Personen aus der „Mittelklasse“ eine wichtige Position in Kulturbereichen der „Arbeiterklasse“ einnehmen würden. Dies ignoriere das Prinzip der Verbindung einer Musikform und der zugehörigen sozioökonomischen Gruppe.

Ein Wert von Musik zeigt sich in diesem Beispiel gemäß den Qualitätslogiken der häuslichen und der staatsbürgerlichen Konvention. Die Verbindung von Musikformen und sozioökonomischen Gruppen entspricht einer Vertrautheit und Tradition (häusliche Konvention) und dieser gilt es zu folgen, um sich fair und integer gegenüber anderen zu verhalten (staatsbürgerliche Konvention). Letztere Qualitätskonvention wurde insbesondere in der Kritik deutlich, welche die Musikerin an anderen äußerte. Die häusliche Konvention fand sich hingegen in der Begründung von dem, was „ihre“ Kulturproduktion eben ausmache. Dies wird auch im nächsten Zitat deutlich. Zusätzlich zeigt sich darin nochmals die Effektstärke der Performativität:

BF::

Die Veröffentlichung [eines etwas weiter zurückliegenden Albums] war ein Zeitpunkt, an dem ich erst anfing, mit diesen Ideen in Bezug zu den Cultural Studies zu spielen. Die Titel der Musikstücke bezogen sich auf meine persönliche Geschichte in der Arbeiterklasse und auch auf eine Menge Musik, die ich damals hörte: Arbeiterklassen-Kram wie Techno und so. Aber die Musik selbst war noch ziemlich ungeformt. Auf diesem Album habe ich [einen Vertreter der Cultural Studies] zitiert. Und das war mein erster Versuch, etwas mehr zu vermitteln als nur einen guten Track, den du hören möchtest. (Quelle: Interview)

Im Zitat erläutert die Interviewpartnerin den Beginn ihrer Auseinandersetzungen mit den Cultural Studies (sowie das Einfallstor der Titel von Musikstücken) und damit eine Veränderung ihres normativen Praxisprinzips. In diesem zweiten Beispiel können die performativen Effekte im Bereich der normativen Praxisprinzipien daher als „effektiv“ aufgefasst werden: Prozesse der sozialen Realität wurden auf die Beschreibungen einer Theorie hin ausgerichtet. Mit der Klassenperspektive der Cultural Studies veränderten sich für die Musikerin die normativen Praxisprinzipien ihrer Kulturproduktion und sie passte diese an die theoretischen Beschreibungen an. Dies entsprach einem veränderten Prozess, der vorher für die Musikerin keine Rolle spielte und in der Form nicht im Feld behandelt wurde.

Allgemeine Wirkung der Theorien: Rechenschaft

Abschließend kann für den Bereich der normativen Praxisprinzipien die Wirkung von Theorien allgemein beschrieben werden. Mit den beiden Beispielen wurden bisher zwar Hinweise auf verschiedene Effektstärken von Performativität gegeben und verschiedene Wertigkeiten für Kulturproduktion aufgezeigt, die aus den Theorien der Kultur- und Sozialwissenschaft folgen können. Allerdings fehlt eine Erklärung, was die Performativität von theoretischen Konzepten bei normativen Praxisprinzipien allgemein bewirkt. Hierfür können in einem einführenden Schritt nochmals die verschiedenen Varianten aufgegriffen werden, wie die Verwendung der Theorien in der Situation der Intermediation nahegelegt wurde (siehe [5.2.6]). Bestimmte Nahelegungen zeigen sich nun in vergleichbarer Weise als allgemeine Wirkungen der Theorien. Für die Praxisprinzipien sind folgende beiden Nahelegungen relevant: die Verwendung der Theorien als Qualitätsinstanz und zur Erweiterung der Relevanz. Es geht darum, mittels theoretischer Konzepte bestimmte Aspekte der Kulturwelt als „gerecht“ beziehungsweise als „wichtig“ und „relevant“ herauszuheben. Dieser Einfluss auf allgemeine Normen und auf das, was ein Wert eigentlich ist, zeigt sich auch in der Situation der Verwendung der Theorien.

Die allgemeine Wirkung der Theorien kann mit Bezug auf die Arbeiten von Andrew Barry und Georgina Born (Barry und Born 2013a; Born und Barry 2013b) als eine bestimmte Form von Interdisziplinarität aufgefasst werden. Die beiden Autor*innen untersuchten die Interdisziplinarität verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen, sowohl in der Kombination von Kultur- und Sozialwissenschaft mit den Natur- und Technikwissenschaften als auch Zusammenarbeit mit Kunstdisziplinen. In ihren Studien zeigten sich drei empirische Modi, denen die Kombinationen von Fächern folgen (vgl. Barry und Born 2013b, S. 10). Diese Modi und die darin festgemachten Logiken können nun hinzugezogen werden, um die allgemeine Wirkung von Theorien in den drei Bereichen der Kulturproduktion zu beschreiben. Im Bereich der normativen Praxisprinzipien zeigt sich das, was von Barry und Born als eine „Logik der Rechenschaft“ in den interdisziplinären Zusammenarbeiten festgemacht wurde (Barry und Born 2013b, S. 14 ff.; vgl. auch Nowotny et al. 2001). Damit wird impliziert, dass die kultur- und sozialwissenschaftlichen Ansätze genutzt werden können, um Entscheidungen von anderen Disziplinen als richtig auszuweisen und zu legitimieren: „providing them with a protective layer of social scientific expertise“ (Barry und Born 2013b, S. 15). Die Entscheidung für ein bestimmtes Praxisprinzip wird daher mit zusätzlichem argumentativem Gewicht der wissenschaftlichen Theorien versehen. Eine solche Wirkung zeigte sich auch im vorliegenden Bereich der Kulturproduktion.

Die Theorien der Kultur- und Sozialwissenschaften werden hinzugezogen, um die „Gerechtigkeit“ eines Praxisprinzips zu verdeutlichen. Sie liefern eine Möglichkeit, ein bereits vorhandenes oder ein neues Praxisprinzip zu etablieren und – weil ein Prinzip ja auch anders gewählt werden könnte – gegenüber Kritik zu schützen. Das Herausstellen der Gerechtigkeit und deren Relevanz wird ermöglicht, da in den theoretischen Konzepten Vorstellungen über Qualitäten vorhanden sind (siehe [2.2.4]). Das Ablegen von Rechenschaft ist aber viel mehr als nur ein argumentativer Prozess oder rein symbolischer Effekt. Vielmehr beeinflussen die Theorien im Sinne einer Rechtfertigung (Boltanski und Thévenot 2007) die vorhandenen oder neuen Praxisprinzipien, geben ihre Richtungen vor und statten sie mit einem „Gewicht“ aus. Die theoretischen Konzepte definieren, „worauf es ankommt“ (Boltanski und Thévenot 2007, S. 181). Eine solche Rechtschaffenheit wirkt dann nicht nur als eine Legitimierung gegen außen oder als argumentative Stilfigur, sondern als Effekt auf die Akteur*innen und deren Verständnis davon, was ihre Kulturproduktion ausmacht (vgl. Peters und Roose 2020, S. 961 f.).

Die Wirkung auf Rechenschaft kann nochmals anhand der beiden Beispiele verdeutlicht werden. Der zuerst erwähnte Musiker (FI) bezog sich auf die Philosophin Butler. Im Gespräch erklärte er, dass Butler seine Vorstellungen davon, „was gut ist, wenn man Kunst macht, auf eine viel strukturiertere und gefasstere Art und Weise formulieren“ könne als er selber (Quelle: Interview). Der Musiker erwähnte auch selbst, dass er den Leuten über eine solche theoretische Argumentation eine „Legitimität“ vermittle und ein „Vertrauen“ schaffe (ebd.). Ein ähnlicher Prozess der Rechtfertigung wurde auch beim zweiten Beispiel deutlich. Die Musikerin (BF) erläuterte ihr neues normatives Praxisprinzip in einem Dossier zur Beantragung von staatlichen Fördergeldern. Teil ihrer Bewerbungsunterlagen war unter anderem ein persönliches Schreiben einer Vertreterin der Cultural Studies. Diese Vertreterin erläuterte nochmals das normative Prinzip, welches das Projekt zusammenfasste. Es gehe nämlich um „Fragen zur Strukturierung von Klasse und Kultur und wie sich diese Dimensionen der Ungleichheit artikulieren“, zitierte die Musikerin aus dem Schreiben (Quelle: Interview). Der Antrag auf Fördergelder wurde allerdings abgelehnt:

BF::

Schließlich erhielt ich eine E-Mail zurück, in der stand, dass ich es nicht in die nächste Auswahlrunde geschafft hatte. Zu diesem Zeitpunkt war ich mir voll und ganz bewusst, was für eine Figur [die Vertreterin der Cultural Studies] ist! Zuerst, als ich gerade mit ihr gesprochen hatte, dachte ich, sie sei halt irgend so eine Wissenschaftlerin, die über Dinge schreibt, die mich interessieren. Jetzt verstehe ich ihre Relevanz. Und sie hat mir ein Empfehlungsschreiben verfasst – und die Förderkommission hat mich abgelehnt!

Wie im Zitat deutlich wird, verblüffte die Entscheidung der Förderkommission die Musikerin in besonderem Maße. In ihrer Vorstellung impliziert die Unterstützung des Projektes durch eine Vertreterin der Cultural Studies eine besondere Legitimität und deswegen hätte eine Förderung erfolgen sollen.

5.3.5 Effekte im Bereich der Ausführungsmediationen

Der zweite Bereich von Kulturproduktion betrifft bestimmte Mediationen von Kulturprodukten: die Ausführungsmediationen. Mit der Betonung auf „Ausführung“ wird dieser Bereiche klarer abgetrennt vom Verständnis der Mediation allgemein (vgl. Hennion 2007b, S. 133; 2015; siehe [3.3]). Mediationen zeigen sich nämlich in allen drei Bereichen: Überall erfolgen Vermittlungen, mit denen die Resultate der Kulturproduktion mit in Situationen vorhandenen Mitteln wie Körpern, Kollektiven, Objekten, Wissen und Formen in die Welt gebracht werden. Der Begriff der Mediation verdeutlicht allgemein, wie ein bestimmtes Set von „Agenten“ (Hennion 2015, S. 17) an der Kulturproduktion beteiligt ist und die Produktion aktiv beeinflusst. Die im zweiten Bereich zusammengefassten Praktiken und Prozesse der Ausführungsmediation sind spezifischer, da sie konkreter die Herstellung bewirken – und nicht in erster Linie die Funktion von Kulturproduktion bestimmten (wie im ersten Bereich) oder die Realität der Kulturproduktion abbilden (wie im dritten Bereich). Es geht daher um die Ausgestaltung der Produktionsprozesse im Rahmen des Komponierens, Aufführens, Aufnehmens oder Abspielens von Musik, aber auch um Ausführungen wie das Schreiben von Texten für die Zeitschriften der Kulturwelt. Die Ausführungsmediation umfasst darüber hinaus die Formen des Konsums, also wie Musik gehört wird oder Texte gelesen werden, sowie das Verfügbarmachen der Resultate der Kulturproduktion in der Distribution und das Veranstalten von Konzerten oder Partys. Es sind daher die tatsächlichen Praktiken der Akteur*innen und die dabei beteiligten Aspekte, die ein Resultat der Kulturproduktion entstehen lassen. Der zweite Bereich bestimmt so die Art und Weise, wie sich der Wert einer Kulturproduktion zeigt.

Burnard verweist in ihrem Modell der musikalischen Kreativitäten auf verschiedene Modalitäten, welche die Ausführungsmediation von Kulturproduktion bestimmen (2012, S. 230). Diese können etwa zeitlicher Art sein, wie die Unterscheidung von improvisierter, komponierter oder aufgeführter Musik. Die Modalitäten können weiter stärker technologischer Art sein, etwa auf welche Art und Weise ein Computer für Tonaufnahmen eingesetzt wird, oder indem eine Unterscheidung festgemacht wird zwischen ausgereifter oder basaler Technologie bei Tonaufnahmen (im Sinne von „Hi-tech vs. Low-tech“, Burnard 2012, S. 230). Diese Ausführungsmediationen zeigen sich nicht nur in einem Aspekt, sondern haben Konsequenzen für den ganzen zweiten Bereich der Kulturproduktion. So können Akteur*innen im besonderen Maße auf „HiFi“-Technik setzen, was sich neben der Produktion auch beim Veranstalten zeigt: Bei Veranstaltungen würde dann ebenfalls Wert gelegt auf ein besonders ausgereiftes Wiedergabesystem (während womöglich andere Aspekte in den Hintergrund rücken würden). Sind die verschiedenen Modalitäten für Ausführungsmediationen einmal festgelegt, entsprechen sie einem generativen Verhalten für die jeweilige Kulturproduktion einer Welt (Burnard 2012, S. 230). In ähnlicher Weise machen Kjellberg und Helgesson in ihren Arbeiten zu Performativität in Märkten einen zweiten Bereich fest, der die eigentlichen Tausch- und Handelsaspekte umfasst (2007, S. 142). Sind diese Aspekte auf eine bestimmte Art und Weise festgelegt, ermöglichen sie das Funktionieren eines Marktes: „These activities [GS: der Ausführungsmediation] all contribute to temporarily stabilize certain conditions […] so that an economic exchange becomes possible“ (Kjellberg und Helgesson 2007, S. 142).

Generische Performativität

Die Theorien der Kultur- und Sozialwissenschaften können von den Akteur*innen im zweiten Bereich hinzugezogen werden, um bereits vorhandene und festgelegte Modalitäten einer Ausführungsmediation zu verdeutlichen. Ein solcher Prozess und dessen Effekte würde der generischen Performativität entsprechen. Dies kann am Beispiel eines weiteren Musikers (GJ) aufgezeigt werden, für den zwei Theoriebezüge wichtig wurden: Auf der einen Seite verwies er auf Konzepte von Adornos Kritischer Theorie und auf der anderen Seite auf verschiedene Ansätze des Feminismus. In den theoretischen Positionen Adornos taucht Musik als Beispiel auf und Theorieaspekte werden daran erläutert (z. B. 1975), während solche Bezüge in den feministischen Arbeiten der Philosophin Rosi Braidotti (2019), die vom Musiker erwähnt wurden, weniger vorhanden sind. Die Theorien wurden für ihn bei einer Zusammenarbeit mit einem Sound Studies Vertreter wichtig, die an einer Fachhochschule erfolgte. Die Intermediation der Konzepte bewegte sich daher zwischen der Form der Institution und der Interaktion. Eine weitere Vermischung der Idealtypen zeigt sich im Rahmen der Anrufung, die hier sowohl durch einen relational-vertrauten als auch einen explorativ-berufenden Wert ermöglicht wurde. Der Musiker hatte das Ziel, mit seiner Arbeit Wissen über einen bestimmten Stadtteil zu erarbeiten und kombinierte hierzu verschiedenen Klangtechniken. Diese „Wissensgenerierung“ sollte also in und über die Musik erfolgen und stand in Bezug zu einer Straße, in deren Nähe er seit längerer Zeit arbeitete.

Sowohl Adornos Kritische Theorie als auch die feministischen Ansätze lieferten dem Musiker konzeptionelle Vorstellungen für die klangliche Exploration einer vertrauten Umgebung. Dabei verdeutlichten beide theoretischen Konzepte eine Problematisierung der Bedeutung der Kulturproduktion für das Soziale: Adornos theoretische Konzepte verweisen beispielsweise darauf, dass in der Musik selbst eine sozialtheoretische Perspektive sowie ein Wissen zu finden sind und in der Musik formuliert werden können (vgl. Kaden und Mackensen 2006, S. 14). Wenn also Musik komponiert wird, so die Vorstellung, entsteht damit und im Klang immer auch Wissen. Feministische Ansätze wiederum verdeutlichten die Wichtigkeit des Alltags für eine solche Wissensgenerierung: In den alltäglichen Umgebungen können Prozesse sichtbar gemacht werden, die unter der Theorieperspektive als relevant gelten, aber die sonst oftmals „unsichtbar“ bleiben würden (vgl. Clarke et al. 2018, S. 225). Das Einfallstor für diese Vorstellungen der beiden Theoriestränge war unter anderem ein öffentlicher Vortrag, welcher der Akteur an einer Fachhochschule hielt und von dem die folgenden Zitate stammen.

Obschon beide Theorieperspektiven von ihm als wichtig ausgewiesen wurden, waren es insbesondere die feministischen Positionen, die zu einem generisch performativen Effekt im Bereich der Ausführungsmediation führten. Für seine Arbeit macht der Musiker Tonaufnahmen rund um die von ihm ausgewählte Straße (sogenannte „Field Recordings“) und kombinierte diese mit weiteren klanglichen Techniken. Er beschrieb seine Ausführungsmediationen, indem er diese zuerst in einem vorhandenen Kontext der EEM verortete und sich danach davon abhob:

GJ::

Was mich interessiert, ist die Arbeit mit Umweltgeräuschen und Field Recordings. Es ist der attraktive akustische Reichtum dieser Klänge, der sich in den Kompositionen dann wiederfindet. Damit folge ich der Tradition der elektroakustischen Techniken. Aber mein Vorgehen lässt sich nicht einfach auf Umweltklang-Kompositionen reduzieren. […] Nach der Aufnahme und einer ersten kompositorischen Phase damit geht der Prozess für mich weiter mit einem Hinzufügen und einer Transformation, die mit analogen und digitalen Instrumenten erfolgt, wie meiner Stimme, einem Klavier, einem Synthesizer oder digitalen Rhythmen und Beats. Auch die Bearbeitung der aufgenommenen Klänge durch Software ist eine Möglichkeit: Es erfolgt eine Veränderung ihrer Tonalität, Struktur und Intention, um Rhythmen, Klanglandschaften oder neue Oberflächen zu schaffen. (Quelle: Feldnotizen)

Der erwähnte Mediationsprozess, bei dem Field Recordings und weitere Klangproduktionstechniken kombiniert wurden, repräsentiert keine wirkliche Abweichung von in der Kulturwelt üblichen Prozessen. Vielmehr entspricht die Kombination einem gängigen Verfahren von vielen EEM-Akteur*innen (sowie von Musiker*innen in weiteren Genres). Auch der Musiker selbst nutzte diese Prozesse bereits vor dem Projekt, welches er in seinem Vortrag präsentierte. Nun wollte er aber seine Arbeit „in den Kontext von Theorien stellen, wie das Konzept der posthumanen Wissensproduktion von Rosi Braidotti“ (Quelle: Feldnotizen). Dieses „in den Kontext stellen“ führte dazu, dass der Musiker in seinen Arbeitsprozessen eine neue Qualität herausstellte, obschon sich die Prozesse selbst nicht veränderten.

GJ::

Ich füge dem Klang neue Lautstärken und Räume hinzu, indem ich Melodien ins Leben rufe und mit Atmosphären, Emotionen und musikalischen Strukturen spiele. Dies führt zu einem Prozess der Komplexifizierung, Schichtung und Neuverbindung. Er repräsentiert für mich den Teil der Komposition, in dem ich die Audioaufnahmen in eine Erzählung über das verwandle, was sein könnte: eine mögliche Zukunft, die sehr subjektiv ist und über das rationale Verständnis hinausgeht […]. Das führt mich dazu, unser Wissen über Lebensräume zu überdenken, die so viel mehr lebendige und pulsierende Materie beherbergen als das Sichtbare. (Quelle: Feldnotizen)

In diesem Beispiel zeigt sich daher ein generisch performativer Effekt der Performativität. Eine bereits im Feld vorhandene Ausführungsmediation verändert sich nicht, wird aber neu theoretisch erfasst. Den Qualitätskonventionen folgend können die vom Musiker hervorgehobenen Wertigkeiten insbesondere der Konvention Inspiration sowie der staatsbürgerlichen Konvention zugeordnet werden: In den Ausführungsmediationen machte er eine grundsätzliche Neuheit fest (Inspiration), die mehr Dinge im Sinne einer Gleichwertigkeit berücksichtige und die Partizipation stärke (Staat).

Effektive Performativität

Im Rahmen eines weiteren Beispiels sollen auf zwei zusätzliche Effekte von kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien bei den Ausführungsmediationen hingewiesen werden: Hauptsächlich kann eine tatsächliche Veränderung der sozialen Realität und damit eine effektive Performativität beschrieben werden. Weiter zeigt sich, wie mit Theorien im Bereich der Ausführungsmediationen Kritik geübt wird. Das Beispiel beschreibt eine Musikerin (EG), die im Rahmen ihres Abschlussprojektes an einer Kunsthochschule auf Aspekte aus der Kritischen Theorie und auf Soziologen wie Adorno verwies. Wie bereits beim vorhergehenden Beispiel war Folgendes zentral: Mittels dieser Konzepte kann davon ausgegangen werden, dass sich in einer Ontologie von Klang beziehungsweise Musik selbst eine sozialtheoretische Position finden lässt. Die Musikerin hatte bereits vor ihrem Abschlussprojekt und in anderen Veröffentlichungen auf theoretische Konzepte und Autor*innen aus den Kultur- und Sozialwissenschaften Bezug genommen, etwa indem sie konzeptionelle Begriffe für die Titel von Alben verwendete und so einen Kontext für ihre Musik mitlieferte. Während bei diesen weiter zurückliegenden Theoriebezügen insbesondere eine Intermediation von Konzepten über die Netzwerkstrukturform erfolgte, lernte die Musikerin Adorno im Rahmen der Hochschulausbildung und über die Intermediationsform der Institution kennen. Die Bezüge zu dem genannten Soziologen wurden im Rahmen ihres Abschlussprojektes von einer dozierenden Person verlangt. Die Anrufung der Musikerin durch die theoretische Position erfolgt in Bezug auf die Frage, wie die eigene Musik politisch sein könne, und damit über eine Wertigkeit des Explorativ-Berufenden. Diese Frage behandelte sie in einer schriftlichen Arbeit und gleichzeitig arbeitete sie an Kompositionen. Die Kombination repräsentierte ihr Abschlussprojekt an der Fachhochschule und fungierte als Einfallstor.

Aus der Beschäftigung mit der theoretischen Position Adornos ergab sich für die Akteurin die Konsequenz, dass Musik per se politisch sei – auch ihre eigenen Produktionen. Diese These, die sie in ihrer schriftlichen Arbeit entwickelte, versuchte sie im Interview auf der klanglichen Ebene festzumachen und erwähnte etwa eine „Zerrissenheit“, die hörbar sei (Quelle: Interview). Gleichzeitig bekundete sie aber die Mühe damit, dies genauer beschreiben zu können. Die effektive Performativität zeigt sich in anderen Ausführungsmediationen als der Klangproduktion selbst. Als Konsequenz der theoretischen Perspektive verfolgte die Musikerin eine Reduktion in ihrer Kulturproduktion: Weiterer inhaltlicher Kontext sollte von nun an weggelassen werden. Während sie zuvor explizit Konzepte in Paratexten der Veröffentlichungen erwähnte und diese womöglich visuell mit bestimmten Anspielungen unterstützte, sollte jetzt alles reduziert werden, ohne irgendwelche direkten Bezüge herzustellen. Ihre Ausführungsmodalitäten veränderten sich daher: Der Pressetext ihrer nächsten Veröffentlichung wurde nun kurzgehalten und erwähnte keine theoretischen Konzepte mehr. Diesen Ansatz der Reduktion wollte die Musikerin auch für ihre Konzerte verfolgen. Für das Abschlusskonzert an der Fachhochschule wurden keine weiteren Erläuterungen bereitgestellt (wie beispielsweise ein einführender Pressetext zum Konzert oder Ähnliches), sondern lediglich die Farben des Albumcovers wollte die Musikerin mit einer einfachen Lichtinstallation reproduzieren. Die Theorieperspektive gab ihr vor, keinen weiteren Kontext zur Musik selbst bereitzustellen; dies aufgrund der theoretischen Vorstellung, dass alle benötigten Informationen schon in der Musik selbst vorhanden sind. Die Reduktion repräsentierte sowohl für sie als auch im Hinblick auf gängige Prozesse der EEM eine Veränderung. Zudem ermöglicht die Perspektive eine Kritik an Ausführungsmediationen, die dem nicht folgten. Die Musikerin beschrieb dies so: „Das finde ich auch müßig, wenn immer noch versucht wird, ein Statement reinzubringen. Es braucht nicht noch einen Text dazu, nicht noch ne Einführung… Was andere teilweise machen.“ (Quelle: Interview)

Sowohl die eigene Absicht der Reduktion als auch die Form der Kritik repräsentieren für die Musikerin eine Änderung der sozialen Realität, und beide folgten den theoretischen Vorstellungen Adornos. Sie können daher als effektive Performativität aufgefasst werden. Diese Änderungen erfolgten insbesondere im Hinblick auf Qualitäten, wie sie von der handwerklichen Konvention festgemacht werden: Die Ausführungsmediationen beruhen beispielsweise auf einem Vertrauen in die eigene Arbeit, deren Qualität auf eine lange zeitliche Dauer abzielt. Ein solches Vertrauen benötigt keine Formalisierung einer politischen Haltung, sondern diese muss und kann informell erfahren werden. Das erläuterte die Musikerin anhand der Art und Weise, wie sie mit ersten Entwürfen des Albums umging, die sie einigen Personen schickte: „Ich habe wenig dazu geschrieben außer: ‚Hey, an dem bin ich dran, hör mal rein. Kann man sich da vorstellen, was zu machen?‘ Aber nicht: ‚Übrigens: Ich mach’ gerade ’nen Master mit dem und dem Thema‘“ (Quelle: Interview). Die Theorievorstellungen führte bei der Musikerin zum Ansatz der Reduktion in den Ausführungsmediationen, da sie jetzt davon ausging, dass ein Wissen in Form einer politischen Haltung bereits in der Musik selbst festgemacht werden könne.

Allgemeine Wirkung der Theorien: Innovation

Wie bereits im ersten Bereich der Kulturproduktion kann bei den Ausführungsmediationen ebenfalls eine allgemeine Wirkung der theoretischen Konzepte verdeutlicht werden, um die unterschiedlichen Effektstärken und verschiedenen Wertigkeiten zu ergänzen. Einführend können hierzu die Nahelegungen der Verwendung von Theorie aus der Situation der Intermediation herangezogen werden. Im Bereich der Ausführungsmediation zeigen sich Aspekte, wie sie bei den Nahelegungen für Produktionstechniken sowie Konsumformen und Sozialformen deutlich wurden. In der eigentlichen Situation der Verwendung werden dann bestimmte Prozesse beim Herstellen von oder im Umgang mit Kulturprodukten als „anders“ aufgefasst oder geändert. Das heißt, dass über die kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien Ausführungsmediationen von den Akteur*innen deskriptiv abgegrenzt und normativ abgehoben werden. Die beiden Beispiele zeigten dies vor allem für Produktionstechniken auf. Die theoretischen Konzepte ermöglichen es aber genauso, weitere Ausführungsmediation als anders aufzufassen beziehungsweise zu ändern, etwa bestimmte Konsumformen und Sozialformen. Eine interviewte Festivalorganisatorin (DA) erklärte, dass sämtliche Entscheidungen für das Buchen einer Musikerin oder eines Künstlers mit Bezug auf Theorie gefällt würden. Die Konsumform der Musik, die zur Auswahl für das Festival führt, würde erst durch eine „theoretische Brille“ ermöglicht, so ihre Erklärung (Quelle: Interview). In einem anderen Beispiel wurde das gemeinsame Hören von Musik außerhalb von Veranstaltungsorten als eine spezifische Sozialform herausgehoben, indem auf Aussagen der Philosophin und politischen Theoretikerin Hannah Arendt Bezug genommen wurde. Unabhängig von der Art der Ausführungsmediation geht es immer darum, die jeweilige Weise der Ausführungen auszuzeichnen.

Die allgemeine Wirkung der Theorien in den Ausführungsmediationen kann zusammengefasst werden, indem auf einen weiteren Modus für interdisziplinäre Zusammenarbeit verwiesen wird. Dem Modell von Barry und Born folgend ist die allgemeine Wirkung eine „Logik der Innovation“ (2013b, S. 14/16 f.). In der praktischen Auseinandersetzung mit Informationen, Objekten und Abläufen ermöglichen die Theorien der Kultur- und Sozialwissenschaften, dass bereits vorhandene Prozesse auf andere Weise aufgefasst oder neue Prozesse und Praktiken möglich werden: Andere Ausführungsmediationen werden vorstellbar oder sichtbar sowie wünschenswert (vgl. Barry und Born 2013b, S. 14). Die Autor*innen erläutern diese Logik der Interdisziplinarität am Beispiel der Zusammenarbeit von Sozial- und Technikwissenschaften: „[S]ocial scientists may be drawn into dialogue with natural scientists and engineers involved in the development of increasingly efficient, affordable and environmentally sustainable technologies such as renewables, carbon capture and storage, and smart grids“ (Barry und Born 2013b, S. 17). Genauso wie Sozialwissenschaftler*innen in interdisziplinären Zusammenarbeiten die Innovation von Forschung befördern sollen, so scheinen die theoretischen Konzepte dieser Disziplinen in den Ausführungsmediationen einer Kulturwelt für Innovation zu sorgen.

Die Innovation durch die Theorien kann anhand der beiden erwähnten Beispiele nochmals aufzeigt werden und dabei zwei weitere Aspekte dieser allgemeinen Wirkungen bei den Ausführungsmediationen hervorgehoben werden. Der erste Musiker (GJ) konnte die von ihm gewählte Kombination von Arbeitstechniken als etwas erfahren, mit dem Prozesse „komplexer, vielschichtiger und verknüpfter“ wurden (Quelle: Feldnotizen). Diese Innovation ergab sich aus den vorhandenen Möglichkeiten, jedoch erlaubten seine theoretisch-informierten Ausführungsmediationen Aspekte aufzuzeigen, „die vorher nicht da waren“, so die Vorstellung (ebd.). Hierbei wird deutlich, dass das Abgrenzen und Hervorheben durch die Wirkung der Innovation jeweils nicht als etwas Allgemeingültiges für alle möglichen Situationen aufgefasst werden kann. Vielmehr gilt es, „Innovation“ in Bezug zu einem bestimmten Arrangement zu verstehen: Es werden nicht sämtliche Umstände oder Möglichkeiten beachtet, die von Ausführungsmediationen erreicht werden könnten, sondern es geht um vorhandene Möglichkeiten. Darin können bestimmte Aspekte konkreter oder Umsetzungen vorstellbar gemacht werden (vgl. Boltanski und Thévenot 2007, S. 182). Innovation gemäß den theoretischen Konzepten wird also erst im Bezug zu einem bestimmten Arrangement deutlich.

Der zweite hervorzuhebende Aspekt bei der Mediation kann am anderen erwähnten Beispiel verdeutlicht werden. Die Musikerin (EG), bei der eine Änderung der Ausführungsmodalitäten erfolgte, verstand ihre „Innovation“ nicht als etwas offensichtlich Normatives. Ihr „bewusstes, nicht so bewusstes Weglassen des Ideologisch-Politischen“ (Quelle: Interview) sei eine Reaktion auf die Omnipräsenz von genau solchen explizit erwähnten Zusätzen in ihrem Musikumfeld gewesen, erklärte sie. Die beschriebenen Abweichungen waren eine innovative Änderung für die Musikerin, da ihre Ausführungsmediationen nicht den üblichen Kontextergänzungen folgten. Dies stellt sie aber in einem normativen Sinne nicht als etwas „Besseres“ heraus (wie das im ersten Beispiel noch deutlich wurde). Sie erklärt lediglich, dass die gewählte Reduktion von Bezügen für sie zu keiner Entwertung geführt habe. Eine normative Bewertung der Innovation muss daher nicht immer explizit von den Akteur*innen geäußert werden. Die innovative Rolle einer Ausführungsmediation in einem vorhandenen Arrangement lässt sich daher lediglich deskriptiv verstehen. Die stärker normative Unterscheidung wird erst über eine analysierende Position hervorgehoben. Unabhängig von der Frage der Normativität wird jeweils deutlich, dass sich Ausführungsmediationen mittels theoretischer Konzepte als etwas anderes und damit Innovatives verstehen lassen und gegebenenfalls geändert werden.

5.3.6 Effekte im Bereich der Ontologie und Autorschaft

Der dritte zu unterscheidende Bereich in der Kulturproduktion betrifft die Ontologie und Autorschaft. Hier werden die Realität(en) einer Kulturproduktion und die darin ablaufenden Prozesse abgebildet sowie das Verständnis der möglichen Beeinflussung dieser Prozesse durch die Akteur*innen festgelegt. Über eine Bestimmung von Ontologie und Autorschaft werden so die zeitlichen und räumlichen Distanzen zwischen verschiedenen Aspekten der Kulturproduktion überwunden, um ein Bild der Prozesse der Kulturwelt festzumachen. Die Akteur*innen verhandeln daher wiederum eine Zugehörigkeit, die jetzt allerdings nicht mehr über eine Funktion (wie beim ersten Bereich der normativen Praxisprinzipien), sondern über eine Repräsentation erläutert wird. Allgemeiner auf Fragen von Wert bezogen wird im dritten Bereich bestimmt, wo sich ein Wert zeigt. In ähnlicher Weise verdeutlichen Kjellberg und Helgesson in ihren Untersuchungen zur Performativität, dass diejenige Wirkung von Theorien untersucht werden muss, mit der eine Repräsentation von Märkten ermöglicht wird: „Recognizing the role of activities that produce market re-presentations also provides us with a way of addressing the issue of performativity. The making of re-presentations […] contributes to shape the phenomena they re-present“ (Kjellberg und Helgesson 2007, S. 143). Im dritten Bereich wird so die Abstraktheit von Prozessen heruntergebrochen und Formen der Einflussnahme verortet.

Wie die Einflussnahme oder eben Autorschaft festgemacht werden kann, betont Burnard in ihrem Modell musikalischer Kreativität (2012, S. 225 f.). Denn mit der Repräsentation der Ontologie wird auch bestimmt, wer an den Prozessen der Kulturproduktion beteiligt ist und wie sich diese Beteiligung zeigt. Die Festlegung einer Autorin ist ein „Funktionsprinzip“ (Foucault 2012, S. 228), das der Kulturproduktion vorangeht und das im Rahmen einer bestimmten Realitätsvorstellung verortet ist. Dieser Aspekt der Autorschaft kann dabei sowohl für menschliche Akteur*innen als auch für Objekte festgelegt werden. Die Realität einer Produktion wird daher zwischen den konkreten Arbeits- beziehungsweise Zusammenarbeitsformen als Autorschaft auf der einen und der weiteren Autorisierung dieser Formen als Ontologie auf der anderen Seite festgemacht. Für beide Seiten und deren jeweilige Einbettungen werden im dritten Bereich die Ausprägungen bestimmt:

Music arises not simply from individual composers’ minds, but in constructions that reflect the tastes and fashions of social groups, social relations, and communities sharing common perspectives. The forms of authorship […] emerge in two particular forms. The first are self-social forms of authorship involving the relational practices of personal (self-making), collaborative, and communal creativities, and the collective creativity bound up in the place and space that authorize the practice […]. The second are sociocultural forms of authorship [GS: Ontologie] that are authorized to greater or lesser degrees by the various forms of cultural authorization that a spatial context provides, such as club cultures, folk traditions, ethnic styles, and other codified practices. (Burnard 2012, S. 226)

Die Praktiken, mit der die Ausprägungen von Ontologie und Autorschaft repräsentiert werden, zeigen sich als eine implizite Reproduktion und als eine explizite Herausforderung. Diese Unterscheidungen können an einem stark vereinfachten, historischen Beispiel erläutert werden: In der christlich-liturgischen Musik des Mittelalters wurde die Produktion eines Musikstücks so bildlich dargestellt, dass eine wichtige geistliche Person eine Inspiration von einer höheren Macht erhält (dem "Heiligen Geist") und anschließend nur noch eine Notenschrift davon hergestellt werden muss. Komponist*innen wurde in dieser Realität keine wirkliche Autorschaft zugesprochen. Die Produktion von solchen Abbildern (oder auch Texten, Objekten, Rollen und so weiter) entspricht einer impliziten und unhinterfragten Repräsentation der Ontologie und Autorschaft einer Kulturwelt.Footnote 44 Neben diesen reproduzierenden Praktiken finden sich aber auch diejenigen, die explizit versuchen, die vorhandenen Repräsentationen zu ändern. Solche Praktiken zeigten sich beispielsweise in den Bestrebungen von Komponist*innen im Mittelalter, die sich von der kirchlichen Autorisierung ihrer Autorschaft lösen wollten (vgl. Schützeichel 2022, S. 64 ff.). Die Bestrebungen mündeten in einer Änderung der Ontologie und Autorschaft: Es entstand die romantische Vorstellung eines „Einzelgenies“ in der Musik, das unabhängig von der Kirche oder auch unabhängig vom Einfluss einer höheren Macht Musik komponiert. Diese Vorstellung wurde über lange Zeit implizit reproduziert (vgl. Burnard 2012, S. 7 ff.).Footnote 45

Generische Performativität

Wie zeigen sich nun die performativen Effekte der kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien im dritten Bereich der Kulturproduktion? Wiederum kann zuerst ein generischer Effekt beschrieben werden. Allerdings lässt sich ein „reiner“ generischer Effekt schwer feststellen. In Bezug auf den zuvor erwähnten historischen Übergang in der Ontologie und Autorschaft, mit dem die Leistung einzelner Personen oder eben eines Genies im Kompositionsprozess betont wurde, zeigt sich nämlich Folgendes: Die Vorstellungen mögen zwar in gewissen Bereichen der Musik noch als wirkungsmächtige „Mythen“ vorhanden sein, wie Burnard dies beschreibt (2012, S. 21 f.). Gleichzeitig sind in verschiedensten Kulturwelten solche Vorstellung von Autorschaft bereits „dekonstruiert“ und gelten nicht mehr. Anstelle eines Geniestatus werden etwa die Leistungen von verschiedenen Personen für die Kulturproduktion betont. Ohne Zweifel haben die Kultur- und Sozialwissenschaften einen Beitrag zu einer solchen Veränderung der Ontologie geleistet.Footnote 46 Gleichzeitig kann dieser Beitrag und dessen Wirkung auf eine Kulturwelt schon weiter zurückliegen oder mit anderen gesellschaftlichen Veränderungen zusammenhängen (siehe auch [5.4.1]). Eine Abweichung der Ontologie und Autorschaft von der Repräsentation eines Geniestatus einer einzelnen Person muss überhaupt nicht mehr explizit gemacht werden, sondern ist bereits Teil einer Kulturwelt. Oder anders formuliert: Theoretisch-informierte Repräsentationen, die von solch klassischen Formen der Autorschaft abweichen, dürfen nicht vorschnell als effektive Performativität aufgefasst werden.

Als Beispiel für generische Performativität in der EEM wird daher eine Repräsentation erläutert, die eine Beteiligung von diversen Personen am Produktionsprozess festmacht. In einem Interview in einem Onlinemagazin der Kulturwelt erläuterte hierzu eine Musikproduzentin (HK), wie sie aufgrund der Renovierung ihres Studios nicht mehr mit ihren gängigen Hardware-Instrumenten arbeiten konnte (mit Gerätschaften wie Drumcomputern oder Synthesizern), sondern auf Software zurückgreifen musste. In ihren Erläuterungen wird die Vorstellung einer geteilten Autorschaft anstelle eines Geniestatus deutlich:

HK::

Ich tat etwas, was ich seit Jahren nicht mehr gemacht hatte: Ich begann mit Software-Tools zu experimentieren. Und das brachte mich viel weiter, als ich es mir ursprünglich vorgestellt hatte. Am Ende hatte ich ein Album in weniger als vier Monaten aufgenommen. Aber mir war sehr früh klar, dass ich das nicht alleine schaffen würde. Ich bin keine Softwareexpertin. Ich habe natürlich einige Kenntnisse, aber diese sind nichts im Vergleich zu meinem Umgang mit den physischen Gerätschaften. Ich musste viel Zeit damit verbringen, online in Foren nach Hilfe zu suchen und Materialien für Einstellungen und Samples aus Quellen herunterzuladen. […] Schon bei den ersten Entwürfen von Stücken hatte ich das Gefühl, dass ich nicht allein war; dass ich lediglich auf den Werken anderer aufbaute. (Quelle: Materialsammlung)

Eine solche Betonung einer gemeinsamen Autorschaft repräsentiert durchaus die gängige Vorstellung von Prozessen in der EEM. Dies ist vergleichbar mit kultur- und sozialwissenschaftlichen Problematisierungen, ohne dass diese explizit erwähnt werden müssten. Für das Beispiel kann daher die Etablierung der damit zusammenhängenden Problematisierung nicht mehr unmittelbar nachvollzogen werden.

Die zitierte Musikerin verdeutlichte ihre Auffassung von Ontologie und Autorschaft nochmals explizit über ein theoretisches Konzept, nämlich über das „Rhizom“ von Deleuze und Guattari (1977b). Die theoretische Perspektive und die beiden damit verbundenen Autoren sind Paradebeispiele für die Intermediation von Theorien mittels der Form der Netzwerkstruktur: Begriffe wie Rhizom oder auch Bücher wie Tausend Plateaus (Deleuze und Guattari 1992) tauchten in den verschiedensten Kontexten der Kulturwelt immer wieder auf. Die Etabliertheit des theoretischen Konzeptes zeigte sich auch in diesem Beispiel: Die Akteurin verfolgte neben ihrer Musikproduktion ein Studium der Ethnologie, aber sie führte ihre theoretischen Überlegungen für Musik nicht darüber ein und erwähnte das Studium nicht. Der Begriff des Rhizoms und dessen Bedeutung wurde von ihr bereits als Teil der Kulturwelt behandelt und auch der Autor des Onlinemagazins, welcher das Interview geführt hatte, konnte anscheinend selbstverständlich mit dem Konzept umgehen. Angerufen wurde die Musikerin von der theoretischen Vorstellung des Rhizoms über einen vertraut-relationalen Wert. Sie konnte damit erläutern, wie ihre Autorschaft „nur aufgrund der Beziehungen und Interaktionen mit anderen existiere“ (Quelle: Materialsammlung). Die Pressearbeit rund um ihr neues Album stellte das Einfallstor für die theoretische Perspektive dar (zu dieser Pressearbeit gehörte das im Onlinemagazin veröffentlichte und hier zitierte Interview). Die Musikerin verdeutlichte mit dem Konzept eine Repräsentation von Ontologie, in der die Bedeutung des Sozialen für die Kulturproduktion hervorgehoben wurde. Die Grundlage ihrer Musik sei nämlich ein „Rhizom“: Es gäbe verschiedenste Verbindungen, ohne die „das ganze Ökosystem, zu dem die musikalische Arbeit wurde, zerbröckeln und sterben würde“ (ebd.). Die von ihr verwendeten Vorstellungen von Ontologie und Autorschaft änderten sich daher nicht durch das theoretische Konzept, konnten aber durch dieses verdeutlicht und hervorgehoben werden. Den allgemeineren Qualitätskonventionen folgend zeigt sich hier ein Wert gemäß dem Netzwerk: Es geht um eine Ontologie, die verschiedenste Positionen als Team für ein Projekt verbindet, und um eine geteilte Autorschaft.

Effektive Performativität

Die Vorstellung vom Einzelgenie scheint in der EEM bereits mit einer Repräsentation von Ontologie und Autorschaft ersetzt worden zu sein, die kompatibel ist mit kultur- und sozialwissenschaftlichen Problematisierungen. Trotzdem konnten aber bei gewissen Beispielen auch Veränderungen analysiert werden, die explizit den theoretischen Konzepten zugeschrieben werden können. Mit einem weiteren Beispiel sollen nun solche effektiv performativen Effekte aufgezeigt werden. Hierzu kann auf einen bereits erwähnten Musiker (CD) verwiesen werden, der eine Dissertation in Musikwissenschaften anstrebte. Die neue Problematisierung von Kulturproduktion begann für ihn aber bereits früher, denn der Akteur lernte erste theoretische Konzepte in der Kulturwelt selbst kennen. Seine zuvor absolvierten Bachelor- und Masterprogramme behandelten hingegen eine solche Problematisierung nicht, sondern fokussierten auf das Spielen von Instrumenten. Im folgenden Zitat verweist er zuerst noch auf seine Suche nach einer Repräsentation von Ontologie und Autorschaft, bevor die Intermediation gemäß der Netzwerkstruktur deutlich wird:

CD::

Ich wollte diese Beobachtungen in Worte fassen, die ich als Musikhörer gemacht hatte, wie zum Beispiel während meiner Arbeit bei [einem Musikverlag]. Ich vermutete eine Verbindung zwischen experimenteller Musik, die ASMR verwendet, und Sachen, die [eine bestimmte Künstlerin] machte.Footnote 47 Ich habe so lange für den Verlag gearbeitet und las eine Menge Biografien von Künstler*innen und Veröffentlichungstexte. Das war alles sehr interessant, aber auch ein bisschen oberflächlich. Es war jeweils nur ein Absatz. Aber es brachte mich auf viele Ideen und verlangte, dass ich mich kritisch mit der Musik auseinandersetzte, die wir und andere Verlage veröffentlichten. Mit der Dissertation wollte ich mir ermöglichen, über einige dieser Dinge vertiefter nachzudenken. (Quelle: Interview)

Eine kultur- und sozialwissenschaftliche Problematisierung von Musik erfuhr der interviewte Musiker daher aufgrund seiner Erfahrung in der Kulturwelt EEM, und diese Erfahrung wollte er „vertiefen“. Im Rahmen seiner Dissertation an einer Universität lernte er eine Vielzahl von Theorien kennen (also über die Intermediation gemäß der Marktplatzform). In einer E-Mail erläuterte der Musiker elf theoretische Konzepte, mit denen er sich damals beschäftigte und die er für seine Doktorarbeit in Betracht zog. Für Prozesse der Repräsentation von Ontologie und Autorschaft waren es insbesondere die Positionen aus der Strömung des Neuen Materialismus, welche der Musiker heranzog. Sie verdeutlichen eine Problematisierung der Rolle der Kulturproduktion für das Soziale und beschäftigen sich interdisziplinär mit den Beziehungen zwischen Menschen, Natur und Technik. Sowohl die ANT und deren Vertreter*innen als auch Autor*innen wie Donna Haraway können der Strömung zugeschrieben werden. Der Musiker wurde von diesen Konzepten über einen explorativ-berufenden Wert angerufen (siehe auch [5.3.1]). Dies verdeutlichte er im folgenden Zitat im Hinblick auf eine Konferenz: „Dann war da diese Konferenz mit dem Titel Neuer Materialismus und Klang, und ich dachte mir: ‚Was zum Teufel?! Das ist genau das, worüber ich schreiben will!‘“. Allerdings bot nicht nur seine Doktorarbeit ein Einfallstor für die Theorien, sondern auch die Rezension eines Stücks einer anderen Musikerin, die er für eine Zeitschrift der Kulturwelt verfasste.

Wie bereits im längeren Zitat oben angedeutet wurde, ging es dem Musiker darum herauszufinden, was die „Verbindung“ zwischen verschiedenen Produktionsprozessen sei. Im Gegensatz zum vorherigen Beispiel (HK) verstand er (CD) allerdings nicht nur diverse menschliche Positionen als am Produktionsprozess beteiligt. Der Theorieperspektive folgend waren es für den Musiker nun auch die Materialitäten, die aktiv an der Autorschaft beteiligt waren und somit eine Ontologie von Kulturproduktion mitbestimmen. Dies war die Verbindung, welche die Prozesse der EEM für ihn zusammenhielten. Die verschiedensten Musiker*innen würden die Instrumente so spielen, „dass man diese als Objekte hören kann“ (Quelle: Interview). Im Zentrum der Ontologie stand daher eine Interaktion mit einem Instrument als Objekt und diese Interaktion würde als „Artefakt“ bestehen bleiben (ebd.). Der theoretischen Perspektive folgend wurden vom Musiker nicht nur neue Parameter der Ontologie hinzugefügt – also etwa Artefaktmerkmale, die einen Klang mitbestimmen – sondern die Objekte erhielten in der gewählten Repräsentation eine Autorschaft. Diese Autorschaft repräsentierte der interviewte Musiker dann auch in der von ihm verfassten Rezension. Im Text machte er auf Prozesse aufmerksam, „auf die wir keinen Einfluss haben“ und bei denen Instrumente zu „Organismen“ würden (Quelle: Materialsammlung). Wiederum den allgemeinen Qualitätskonventionen der EC folgend kann dies als eine Vermischung von zwei Wertigkeiten beschrieben werden. Auf der einen Seite zeigt sich eine Logik der Inspiration in der Autorschaft: Die aktive Rolle der Materialitäten verdeutlicht eine Schöpfungskraft, die als wichtige Qualität hervorgehoben wird. Auf der anderen Seite wird die staatsbürgerliche Konvention und deren Qualitäten deutlich, da nun ein Sich-für-andere-Einsetzen über die Ontologie wichtig wird.

Die erläuterte Etablierung von Wertigkeiten in der Kulturproduktion kann als effektive Performativität beschrieben werden, mit der die soziale Realität der EEM verändert wurde. Für den interviewten Musiker waren die erwähnten Aspekte eine neue Ontologie und damit eine, die er nicht als Teil der Prozesse im Feld auffasste, wie er im folgenden Zitat beschreibt:

CD::

Ich versuche, mich in die Lage der Musiker*innen hineinzuversetzen, die diese Sachen machen – auch wenn sie ihre Musik nicht mit den Konzepten [des neuen Materialismus] im Hinterkopf produzieren. Aber es lohnt sich wirklich, eine Menge Musik durch diese Konzepte miteinander zu verbinden. Es hilft, die Situation zu erklären, in der wir uns alle als Musiker*innen in der Welt befinden. Ergibt das einen Sinn?

GS::

Ja, das macht Sinn. Aber du meintest jetzt, dass du dir nicht sicher bist, ob diese Musiker*innen diese Konzepte selbst verwenden?

CD::

Also ob sie sie im Kopf haben, wenn sie die Musik machen oder nicht. Das ist wohl sehr unwahrscheinlich. (Quelle: Interview)

Der Musiker verdeutlicht im Zitat, dass er eine andere Repräsentation von Ontologie und Autorschaft festmachen will, als diejenige, die in der Kulturwelt selbst repräsentiert wird. Diese Repräsentation nutzt die theoretische Vorstellung des Neuen Materialismus als Blaupause.

Allgemeine Wirkung der Theorien: Etablierung von Metadaten

Wie bei den vorhergehenden beiden Bereichen der Kulturproduktion soll auch für die Ontologie und Autorschaft eine allgemeine Wirkung von Theorien verdeutlicht werden. Unabhängig davon, ob ein generischer oder effektiver performativer Effekt auftrat, und unabhängig von einer jeweiligen Wertigkeit wurde nämlich ein Zusammenhang zwischen Theorien und Wahrnehmung deutlich: Die Akteur*innen aus den beiden Beispielen erläuterten nicht nur eine jeweilige Vorstellung von Ontologie und Autorschaft, sondern auch eine bestimmte Art und Weise, diese Ontologie und Autorschaft wahrzunehmen. Oder anders formuliert: Über die theoretischen Konzepte wurde eine Wahrnehmung auf etwas Bestimmtes gelenkt. Dies kann in Verbindung gebracht werden mit den Nahelegungen von Theorieverwendung, die bereits in der Situation der Intermediation deutlich wurden: Theorieverwendung zur Etablierung von neuen Problembereichen und zur Veränderung der Ontologie. Bestimmte Problembereiche führen zur Beachtung von bestimmten Ontologien. Oder umgekehrt formuliert: Ontologien führen dazu, dass bestimmte Dinge beachtet werden müssen; es sind „Verpflichtungen“, die aus einer Realität folgen. Um die Wirkung der Theorien auf Wahrnehmung detaillierter zu erklären, müssen an dieser Stelle zuerst einige ergänzende Konzeptualisierungen eingeführt und anschließend mit weiterem empirischem Material angereichert werden. Grundsätzlich kann die allgemeine Wirkung erst nachvollzogen werden, wenn Wahrnehmung als soziale Praxis aufgefasst wird (Zahner und Schürkmann 2021; Zembylas 2021): Wahrnehmung ist nicht ein gegebener physikalischer Prozess, sondern eine mit anderen Praktiken, Objekten und Diskursen verschränkte Praxis (vgl. Zembylas 2021, S. 43). Performativität ist einer der sozialen Aspekte, der einhergeht mit dem Sehen, Schmecken, Riechen, Fühlen sowie dem Hören und durch den die Wahrnehmungsprozesse beeinflusst werden. Um die allgemeine Wirkung der Theorien im dritten Bereich von Kulturproduktion zu verdeutlichen, soll diese Beeinflussung aufzeigt werden.

Die Beeinflussung durch die Theorien erfolgt jeweils in Bezug auf eine im Feld etablierte Weise der Wahrnehmung. Diese etablierte Weise funktioniert als geteilte Bedingung, die sowohl Sinne ausrichtet als auch eine Sinnstiftung ermöglicht (vgl. Zembylas 2021, S. 45 f.). Sie etabliert eine Kategorisierung mit einem Set von Ausprägungen, die Sinne einordnen und die wahrgenommenen Kategorien für eine Sinngebung verknüpfen. Im Beispiel der generischen Performativität wurde daher eine etablierte Wahrnehmungsweise von der Musikerin (HK) nochmals über die Theorieperspektive verdeutlicht: Die Sinne wurden auf die Vielzahl der beteiligten Parteien gerichtet (in dem diese Parteien beschrieben wurden) und einer Sinngebung folgend dann deren Teilhabe an der Kulturproduktion verdeutlicht. Beim Beispiel der effektiven Performativität führten die theoretischen Konzepte zur Anpassung der etablierten Wahrnehmungsweise des Musikers (CD). Die Sinne wurden auf die klanglichen Aspekte von Objekten gelenkt und als Sinngebung wurde der kompositorische Einfluss dieser Objekte betont. So können die theoretischen Konzepte sowohl die vorhandene Weise der Wahrnehmung hervorheben und betonen als auch die etablierten verändern.

Die beiden empirischen Beispiele sind jedoch noch in zweifacher Hinsicht zu voraussetzungsvoll, um mit ihnen die allgemeine Wirkung von Theorien für die Wahrnehmung beziehungsweise für die Repräsentation von Ontologie und Autorschaft zu verdeutlichen. Sie sind erstens Beispiele, bei denen Wahrnehmung analytisch-reflexiv verhandelt wird, da die Prozesse von den jeweiligen Akteur*innen verschriftlicht (im ersten Beispiel) oder verbalisiert wurden (im zweiten Beispiel). Die Ausrichtung der Sinne sowie eine Sinngebung sind jedoch in vielen Fällen nicht analytisch-reflexiv, sondern eher intuitiv (vgl. Zembylas 2021, S. 55). Zweitens sind beides Beispiele im Sinne eines „Encodings“ (Hall 1999). Die Wahrnehmung einer bestimmten Ontologie und Autorschaft wird lediglich von den beiden Akteur*innen als solche erläutert: Sie vermitteln ihre eigene Wahrnehmungsweise über die theoretischen Konzepte. Was fehlt, ist die Einsicht, ob die Beeinflussung der Wahrnehmung durch Theorie auch im Sinne eines „Decodings“ (ebd.) erfolgen kann: ob und wie andere Personen die theoretisch ergänzte Ontologie und Autorschaft auffassen und wie deren Wahrnehmung beeinflusst wird. Erst indem auch intuitive und als Decoding aufzufassende Prozesse beschrieben werden können, lässt sich die allgemeine Wirkung der Theorien auf Wahrnehmung aufzeigen.

Um die Beeinflussung von Wahrnehmung genauer zu erläutern, kann auf ein drittes empirisches Beispiel im Bereich der Ontologie und Autorschaft verwiesen werden. Hierbei handelte sich um ein Setting, das von Akteur*innen der Kulturwelt EEM organisiert wurde, und das schon fast einer methodischen Experimentalanordnung entspricht. Bei einer Abendveranstaltung kam eine Gruppe von acht Personen zusammen, um gemeinsam Musik zu hören, die von den Teilnehmer*innen selbst mitgebracht wurde. Die Musikstücke wurden gemeinsam angehört und dann in der Gruppe besprochen. In einem ersten Schritt fand die Diskussion statt, ohne dass irgendwelche Informationen über das Stück bekannt waren. Die Teilnehmer*innen verfügten also über keine paratextlichen Angaben zum Gehörten. In einem zweiten Schritt wurden bestimmte Informationen preisgegeben: etwa der Name der Künstlerin oder auch der Grund, wieso ein jeweiliges Stück ausgewählt wurde. Dann diskutierten die Teilnehmer*innen die gehörte Musik erneut. Bei den Diskussionen von drei der acht Stücke wurde auf Aspekte aus den Kultur- und Sozialwissenschaften verwiesen. Die Teilnehmer*innen erwähnten drei verschiedene Theorien beziehungsweise theoretische Konzepte sowie als vierter Hinweis das Buch eines Historikers: (1) die Akteur-Netzwerk-Theorie, (2) das Konzept der Appropriation, (3) der Theoretiker Foucault in Bezug zu einer neueren philosophischen Arbeit (Han 2014) und (4) das Buch 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert von Yuval Harari (2019). Diese Bezugspunkte tauchten etwa in den Namen der Musikstücke auf oder wurden von Teilnehmer*innen im zweiten Teil der jeweiligen Diskussion vorgebracht.

Hier soll eine der Diskussionen präsentiert werden, die im Rahmen der Veranstaltung um ein Musikstück geführt wurde. Nachdem die Gruppe das Stück gemeinsam angehört hatte, wurde zuerst dem Setting entsprechend ohne zusätzliche Angaben diskutiert. Die Teilnehmer*innen sollten hierbei erläutern, was sie beim Stück wahrgenommen hatten. Eine Teilnehmerin erwähnt etwa, dass dieses „chaotisch“ klinge, „in verschiedene Richtungen gehe“ und „wie ein Spaziergang durch eine belebte Nachbarschaft in der Nacht“ klänge (Quelle: Feldnotizen). Ein anderer Teilnehmer merkte an, dass das Stück für ihn sehr „roh“ klänge und dass diese Eigenschaft ihn an einen Nachtklub erinnern würde. Weitere Teilnehmende nahmen die Idee der ersten Person auf und erwähnte, dass das Stück wie „an verschiedenen Orten existiere“ und sich beständig ändere. Wiederum eine andere Teilnehmerin erklärte, dass sie an ein besonders rares Musikstück dachte, dass nur ausgewählte DJs besitzen, um es in Klubs zu spielen. Die Gruppe versuchte mit ihren Beschreibungen Aspekte zu etablieren, um die fehlenden ergänzenden Informationen zum Musikstück zu kompensieren.

Die Aspekte, die in der ersten Phase von den Akteur*innen noch ohne zusätzliche Informationen etabliert werden mussten, können in ihrer Funktion für Wahrnehmung als Daten über Daten aufgefasst werden: als Metadaten (vgl. Leonelli 2016, S. 100). Metadaten sind bestimmte Kategorien, die Anleitungen formulieren, wie die Ontologie und Autorschaft über die Sinne eingeordnet werden könnten. Es werden also bestimmte Begriffe festgelegt und mit einer Bedeutung verknüpft, die dann ermöglichen soll, die Sinneswahrnehmungen zu kategorisieren. In der Diskussion führt das Fehlen von eindeutigen paratextlichen Informationen, die als Metadaten funktionieren könnten, zu Folgendem: Die Teilnehmenden bezogen sich spontan und ziemlich frei assoziierend auf Dinge, um ihre Sinneswahrnehmungen zu beschreiben und einzuordnen. Metadaten wurden neu etabliert wie eben „Nachbarschaft in der Nacht“. Andere Teilnehmer*innen nahmen bereits geäußerte Begriffe nochmals auf, etwa die „verschiedenen Orte“ in Bezug dazu, dass das Stück „in verschiedene Richtungen gehe“ (Quelle: Feldnotizen). Diese Metadaten ermöglichen den Akteur*innen, ihre Sinne zu kategorisieren und das Wahrgenommene einzuordnen. Neben den Begriffen und deren Bedeutungen werden die Metadaten auch genutzt, um Aspekte zu verknüpfen und zu verbinden (vgl. Leonelli 2016, S. 119 f.). So wurden von den Teilnehmer*innen Aspekte wie „Nacht“, „Klub“ oder „Verschiedenheit“ kombiniert, um die Beschreibung des „raren Musikstücks eines DJs“ als zusätzliches Metadatum zu etablieren. Dieses Herstellen der Verbindungen zwischen den Kategorien gilt es ebenfalls zu beachten. Metadaten dienen dann nicht nur dazu, die Sinne zu kategorisieren, sondern auch eine Sinnhaftigkeit zu etablieren.

Sowohl beim Einbringen von Metadaten für die Sinne als auch für die Sinnhaftigkeit wurde deutlich, dass Aspekte der Kulturwelt EEM als Kategorien auftauchen (wie eben Vorstellungen von Tanzmusik). Es sind diese etablierten Wahrnehmungsweisen, über welche die Personen trotz der Tatsache verfügen, dass keine paratextlichen Angaben vorhanden sind. Die Wahrnehmungsweisen boten ein Repertoire an Möglichkeiten, um mit den gehörten Musikstücken umzugehen. Im ersten Teil der Gruppendiskussion des empirischen Beispiels blieb aber die Situation aufgrund der fehlenden ergänzenden Informationen noch unklar. Die Begriffe der Metadaten und deren Bedeutung sowie die Verknüpfung dazwischen wurden nur mit einer gewissen Unsicherheit von den Akteur*innen eingeführt und es erfolgte noch keine Einigung auf eine zentrale Wahrnehmungsweise. Nach der ersten Diskussion wurde der Paratext von derjenigen Teilnehmerin erläutert, welche das Musikstück mitgebracht hatte. Damit etablierte sie von der Gruppe zu teilende Metadaten für die Sinne und für eine Sinnhaftigkeit.

Die Teilnehmerin (T1) erklärte, dass das von ihr mitgebrachte Stück von einer künstlichen Intelligenz kreiert wurde. Diese Intelligenz sei anhand eines Genres lateinamerikanischer Tanzmusik trainiert worden, die über die Videoplattform YouTube verbreitet wurde. Die präsentierten Metadaten führten eine Verbindung von Kategorisierungen ein, mit dem weitere Einordnungsweisen der Sinne herangezogen werden konnten: Nach den Erläuterungen von T1 verwies ein weiterer Teilnehmer (T2) auf eine bestimmte Ontologie im Klang des Musikstückes, nämlich, dass dieses sehr „wässrig“ klinge (Quelle: Feldnotizen). Das sei ein wiederkehrendes Merkmal bei Musik, die von künstlicher Intelligenz kreiert wurde, erklärte der Teilnehmer. Die Sinne wurden also durch die Metadaten auf den „wässrigen“ Klang gerichtet, während die Verbindung zwischen verschiedenen Kategorien eine Sinnhaftigkeit für die „wässrige“ Musik ermöglichte: Solche intelligenten Algorithmen würden Klang als ein kontinuierliches Frequenzspektrum interpretieren, und nicht als einzelne Töne oder Rhythmuselemente. Deswegen klinge das Stück in dieser Art und Weise, so der Teilnehmer. Die etablierte Wahrnehmung stand im Zusammenhang mit Fragen zur Ontologie und Autorschaft: Ein weiterer Diskussionspunkt für die Gruppe war, ob und wie auf eine solche Komposition emotional reagiert werden könne und ob die künstliche Intelligenz eine solche emotionale Intention habe.Footnote 48 Die eingeführte paratextliche Information etablierte also Metadaten, um die Musik mit Sinnen wahrzunehmen und sinnhaft zu verhandeln.

Für die im zweiten Diskussionsteil etablierten Fragen um Ontologie und Autorschaft wurde von zwei Teilnehmer*innen kultur- und sozialwissenschaftliche Literatur hinzugezogen. Ein weiterer Teilnehmer (T3) erwähnte, wie der Historiker Harari aufzeige, dass künstliche Intelligenz im Laufe Zeit uns noch besser verstehen könne als wir uns selbst. Deswegen wäre es dieser Intelligenz möglich, effektiver eine emotionale Reaktion mit Musik hervorzurufen, als Menschen dies je könnten. Der Teilnehmer machte so eine klare Autorschaft der künstlichen Intelligenz fest: Der lernende Algorithmus könne eine Musik kreieren, die eine emotionale Reaktion in uns hervorrufe. Dies wurde ihm zwar nicht durch eine explizit theoretische Argumentation aus den Kultur- und Sozialwissenschaften ermöglicht, aber durch eine Erläuterung dieses Beispiels anhand der Theorie von Harari (der selbst eher eine kunsttheoretische Überlegung aufgreift).Footnote 49 Eine andere Teilnehmerin (T4) erwähnt darauf ein Buch des Philosophen Han (2014), in dem Foucaults Idee von Biopolitik (1987) aufgenommen und zur Idee der Psychopolitik umformuliert wird. Damit, so die Teilnehmerin, werde eine Steuerung unserer Psyche deutlich (anstelle unserer Körper, wie bei Foucault). Diese Steuerung stehe zwar im Zusammenhang zu Algorithmen, gehe aber eindeutig von einer Industrie aus, die sich für Daten interessiere. Die Teilnehmerin verdeutlichte damit, dass hinter den Prozessen und Resultaten einer künstlichen Intelligenz nach wie vor viele Menschen stehen. Sie sprach den Algorithmen die Autorschaft daher wieder ab. Beide Literaturhinweise ermöglichten den Teilnehmenden, die bisher verhandelten Aspekte – die Metadaten – aufzunehmen und zu erweitern.

Wie kann nun die allgemeine Wirkung der Theorien im Bereich der Ontologie und Autorschaft verdeutlicht werden? Die theoretischen Konzepte funktionieren als Metadaten, indem sie sowohl Kategorien festlegen als auch die bereits vorhandenen sowie zusätzlichen Kategorien verknüpfen und verbinden. Die vom Historiker Harari inspirierte Argumentation verleitete einen anderen Teilnehmer (T5) zu folgender Aussage: Er erklärte, dass er eine Beunruhigung empfinde (oder anders formuliert: seine Sinne diese wahrnehmen), da die künstliche Intelligenz in ihm eine emotionale Reaktion ausgelöst habe. Deshalb sei seine eigene Rolle eingeschränkt (dies war die von ihm abgeleitete Sinnhaftigkeit). Nach den Erläuterungen zu Han (bzw. Foucault) wurde hingegen von einer weiteren Teilnehmerin (T6) erklärt, dass es ja genau um die Auswahl des Musikstücks durch eine Person gehe, die im Zusammenhang mit der emotionalen Reaktion stehe. Diese Argumentation wurde weiter erläutert von derjenigen Person (T4), die den Philosophen in die Diskussion eingeführt hatte. Sie erklärte, dass sehr viel Arbeit von Menschen in von Algorithmen generierte Musikstücke einfließe, bis man diese hören könne. Das theoretische Konzept der Psychopolitik erweiterte daher die Metadaten für die Sinne (auf die Arbeit an Musikstücken durch Menschen) und verknüpfte die genannten Aspekte für eine Sinnhaftigkeit (dass die Autorschaft der künstlichen Intelligenz nicht so zentral sei).

Die erläuterte allgemeine Wirkung von Theorien auf Wahrnehmung kann als Etablierung von Metadaten zusammengefasst werden. Eine solche Vorstellung für den Bereich der Ontologie und Autorschaft kann wiederum in Bezug gesetzt werden zu den Untersuchungen von Interdisziplinarität (Barry und Born 2013b), die bei den allgemeinen Wirkungen von Theorien in den anderen beiden Bereichen der Kulturproduktion erwähnt wurde. Die bereits zitierten Autor*innen erwähnen nämlich einen dritten Modus der Zusammenarbeit zwischen den Kultur- und Sozialwissenschaften und weiteren Disziplinen. Dieser dritte Modus der Zusammenarbeit funktioniert als eine „Logik der Ontologie“:

[W]e should not understand this [ontological] logic simply as a set of ideas about what the world is, but rather as encompassing a diverse range of rationales, techniques, practices and interventions. It is manifest in an array of efforts to transform the practice of research and training, inside and outside the academy, leading to the generation of novel problems, objects and relations of research, as well as interdisciplinary subjectivities […]. (Barry und Born 2013b, S. 18).

Mit der hier eingeführten Beschreibung der Wirkung der Theorien kann die Logik der Ontologie spezifiziert werden: Die Theorien liefern für die Repräsentationen von Ontologie und Autorschaft nicht nur Vorstellungen, was überhaupt alles Teil einer Kulturwelt sein kann und was alles beachtet werden muss (als die Kategorien der Wahrnehmung/für die Sinne). Sie führen vor allem eine Richtung ein, wie diese Aspekte verknüpft werden können (als die Verbindungen zwischen den Kategorien/die Sinnhaftigkeit). Mit dem ursprünglichen, ersten Beispiel der Musikerin (GJ) und ihrer Verwendung des Rhizom-Konzeptes kann diese Wirkung nochmals deutlich gemacht werden: In dem zitierten Interview, das in einem Onlinemagazin veröffentlicht wurde, beschrieb sie die verschiedenen, an einer Autorschaft beteiligten Positionen auch für Beispiele aus dem weiteren Feld der Popmusik. Mit der von ihr über das Rhizom erläuterte Ontologie leitete sie eine implizite Kritik ab: „Diese Prozesse [der multiplen Autorschaft] sollten sichtbar gemacht werden, wenn wir jemals verstehen wollen, wie Musik gemacht wird und was sie bedeutet“ (Quelle: Materialsammlung). Ohne die vom theoretischen Konzept etablierten Metadaten und deren Verknüpfung, so lässt sich die Kritik der Musikerin zuspitzen, kann Kulturproduktion nicht verstanden werden.

5.3.7 Performative Effekte als Prozesse des Attachements

In den vergangen drei Abschnitten [5.3.45.3.6] zu den Effekten der Übersetzung 1 wurde aufgezeigt, wie die drei Bereiche von Kulturproduktionen sich jeweils aufgrund der Performativität von kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien verändern können. Im weiteren Verlauf des Unterkapitels zur Situation der Verwendung der Theorien soll nun geklärt werden, wie performative Effekte über einen einzelnen Bereich hinausgehen und so zusätzliche Veränderungen erfolgen können. Bevor die Übergänge zwischen den Bereichen der Kulturproduktion im Detail erläutert werden, klärt dieser Abschnitt den Prozess der weiteren Veränderung zuerst allgemein. Für dieses allgemeine Verständnis der Veränderungen ist eine konzeptionelle Auffassung zentral, nämlich diejenige der Attachments (Hennion 2017; siehe [3.3.4]). Das Konzept wird (erneut) kurz eingeführt, bevor die Art und Weise beschrieben wird, wie damit Veränderungen durch Performativität erfasst werden können. Diese konzeptionelle Auffassung klärt zudem, wieso performative Effekte zuerst in einem bestimmten Bereich auftauchen und wieso Performativität stärker oder schwächer ausfallen kann.

Werden die Veränderungen in der Kulturproduktion über das Konzept des Attachments beschrieben, so muss zuerst die Idee einer eindeutigen Kausalität beiseitegelegt werden (vgl. Latour 1999, S. 25 f.). Dies gilt im besonderen Maße für die weiteren Veränderungen, die über einen einzelnen Bereich der Kulturproduktion hinausgehen. Trotz der Forschungsperspektive der Arbeit, mit der eine determinierend-theoretische und determiniert-kulturproduzierende Position festgelegt wurde, ist die Interaktion der beiden Positionen keineswegs linear ausgerichtet. Das heißt, dass sich weder eine eindeutige Ursache noch eindeutigen Wirkungen durch die performativen Effekte zeigen. Der Auffassung der Attachments folgend liegt der Fokus nicht in erster Linie auf klaren Handlungen, sondern auf etwas, was Antoine Hennion als eine verpflichtende Verbindlichkeit beschrieben hat: „[A]n obligation from the past that is brought to bear on the present“ (2017, S. 112). Werden performative Veränderungen über Attachments beschrieben, so müssen die durch Akteur*innen etablierten theoretischen Bezüge als bestimmte „Anhänge“ verstanden werden, die weitere „Anbindungen“ etablieren, die wiederum dazu führen können, dass die Akteur*innen zu etwas veranlasst werden. Die einmal etablierten Attachments konstruieren Potenzialitäten und fordern Veränderungen ein (vgl. Moeschler 2017, S. 1028). Dies geht so weit, bis nur noch die eine Handlungsoption angemessen ist (vgl. Callon 2021, S. 245). Mit dem Konzept der Attachements wird daher die empirische Anwendung der analytischen Perspektive relativiert, um wieder stärker einen methodologischen Situationismus zu betonen (vgl. Diaz-Bone 2018a, S. 374 f.; siehe [4.2.4]): Anstelle der eindeutigen Richtung von Theorie hin zur Kulturproduktion werden beiden Positionen ein Beeinflussungspotenzial und gegenseitige Abhängigkeit zugeschrieben (trotzdem bleibt aber das zentrale analytische Interesse an den Wirkungen der Theorien).

Der Prozess des Attachments kann zuerst an performativen Effekten im Bereich der Repräsentation der Ontologie und Autorschaft einer Kulturproduktion verdeutlicht werden, wobei Unterscheidungen der Effektstärke vorerst ignoriert werden. Ein theoretisches Verständnis für den dritten Bereich, das als Resultat von Performativität entsteht, mag zuerst noch nicht auf weitere Veränderungen verweisen: Die eigentliche Kulturproduktion kann beispielsweise trotz eines neuen Verständnisses noch auf dieselbe Art und Weise erfolgen. Die theoretisch-informierte Beschreibung kann aber ein Ausgangspunkt sein, um Prozesse anschließend anzupassen, neue Prozesse einzuführen und die soziale Realität der Produktion dadurch zu verändern. Hierfür ist das neue theoretische Verständnis ein erstes Attachment, das weitere Veränderungen einfordern kann. Ein solches Potenzial für Veränderungen soll nun über den Vergleich zweier Beispiele erläutert werden, die beide einen performativen Effekt in Bezug auf eine bestimmte Ontologie aufweisen, nämlich die Realität von Lebensstilpräferenzen. Das erste Beispiel war nicht Teil der eigentlichen empirischen Arbeit, weshalb das Attachment nur oberflächlich nachvollzogen werden kann. Es vermag aber ein solches Potenzial in exemplarischer Weise aufzeigen und dient als Vergleich mit dem zweiten Beispiel, das aus der im Zentrum stehenden Kulturwelt EEM stammt. Dort zeigten sich zusätzliche Veränderungen aufgrund eines performativen Effektes im Bereich der Ontologie und Autorschaft.

Das erste Beispiel ist das Verständnis von Lebensstilpräferenzen, dass die US-amerikanische Soziologin Alice Goffman in einem Interview mit einer Tageszeitung erläutert. Dort wird sie wie folgt zitiert: “I don’t think […] that I have real preferences, just desires that emerge in social interactions” (Lewis-Kraus 2016, o.S.). Goffman beschreibt ihre Lebensstilpräferenzen über ein Verständnis, wie es im symbolischen Interaktionismus vorherrscht – derjenigen theoretischen Perspektive, die unter anderem von ihrem Vater Erving Goffman etabliert wurde (z. B. 1969). Die Soziologin verweist in anderen Texten darauf, dass sie mit dieser theoretischen Perspektive aufgewachsen sei (Goffman 2015, S. 303).Footnote 50 Im Anschluss an den symbolischen Interaktionismus versteht Goffman ihre Lebensstilmerkmale nicht als Folge habitueller oder auf sonstige Weise geformter Präferenzen, sondern als Resultat einer jeweiligen Situation: Eine Interaktionsordnung, die unabhängig von strukturellen Faktoren existiert, erklärt die jeweiligen Präferenzen (vgl. Knoblauch 2009, S. 9 f.). Unabhängig davon, ob diese Art und Weise des Zustandekommens von Präferenzen als „Wahrheit“ angesehen wird oder nicht, zeigt sich hier also ein performativer Effekt für den Bereich der Ontologie und Autorschaft: Eine Theorie gibt die Metadaten für das Verständnis der Realität von Lebensstilmerkmalen vor.

Das zweite Beispiel ist dasjenige einer bereits erwähnten Musikerin (BF), für deren Kulturproduktion die Ansätze der Cultural Studies relevant wurden. Auch hier zeigte sich ein performativer Effekt in Bezug auf die Ontologie der Lebensstilmerkmale. Die theoretischen Positionen, welche der Musikerin ein Verständnis ihrer Präferenzen lieferten, artikulieren eine Realität jedoch auf eine fundamental andere Art und Weise. Im Gegensatz zur theoretischen Perspektive des symbolischen Interaktionismus führen die Theorieansätze der Cultural Studies Lebensstilmerkmale auf strukturelle Hintergründe zurück. Anstelle der Veränderungen in Situationen werden Präferenzen in diesem theoretischen Verständnis von sozialen Klassen und deren jeweiliger gesellschaftlicher Stellung abgeleitet (vgl. Marchart 2008, S. 103). Die interviewte Musikerin erläuterte ihre Präferenzen daher gemäß dieser theoretischen Perspektive und verdeutlichte einen strukturellen Hintergrund als Metadatum: Sie höre „Arbeiterklasse-Kram“ und ihre eigene Musik beziehe sich auf diese persönlichen Erfahrungen in der Arbeiterklasse (Quelle: Interview).

In der bisherigen Darstellung erläutern die Beispiele lediglich theoretisch-informierte Verständnisse in einem Bereich der Kulturproduktion. Über die Auffassung von Veränderungen als Attachements kann nun aus dieser Performativität Potenzial für Veränderung abgeleitet werden: Für die Akteur*innen folgen aus ihren jeweiligen Verständnissen weitere Verpflichtungen. Der Inhalt der Verpflichtungen könnte dabei für die beiden Akteur*innen kaum unterschiedlicher sein: Für Alice Goffman folgte eine Verbindlichkeit, den jeweiligen Lebensstil als nur vorläufig und offen für Änderungen zu betrachten, die sich je nach Situation ergeben können. Solche möglichen Veränderungen wurden bei ihr im Rahmen der empirischen Untersuchung dieser Arbeit nicht analysiert. Aber Goffman gibt im Anhang zu ihrem Buch On the Run (2015) Hinweise darauf, dass diese Veränderungen gemäß dem theoretischen Verständnis folgten. Sie erläutert, wie sich bei ihr aufgrund eines Forschungsaufenthaltes sowohl simple Dinge wie die Musikpräferenzen als auch ihre Vorstellungen der eigenen geschlechtlichen Identität veränderten (Goffman 2015, S. 326 ff.). Die „Obligation“, welche aus der theoretischen Vorstellung von Variabilität im symbolischen Interaktionismus folgte, wurde bei ihr somit eingelöst: in Form sich situativ verändernder Lebensstilpräferenzen. Für die interviewte Musikerin (BF) wiederum waren Lebensstilmerkmale nicht etwas Variables und leicht Veränderbares. Aus dem theoretischen Verständnis der Cultural Studies ergab sich für sie ein Lebensstil, der Präferenzen gemäß einem Klassenhintergrund klar vorgibt. Dies wurde im Interview immer wieder deutlich: Sie sprach davon, dass sie zu den „Arbeiterklasse-Musikstilen“ zurückfinden wollte, nachdem sie einige Zeit eher „experimentelle Mittelklasse-Musik“ produziert hatte, und dass sie wieder vermehrt mit Musiker*innen aus der „Arbeiterklasse“ kollaborieren wolle, statt mit „Mittelklasse“-Musiker*innen (Quelle: Interview).Footnote 51 Auch sie folgte daher den Verpflichtungen, die sich aus dem theoretischen Attachment ergaben – allerdings mit einer völlig anderen Richtung: hin zu einer Stabilität von Präferenzen.

Die Prozesse, die zu den Attachements führen, erfolgen jeweils nicht nur an einer Stelle der Übersetzung 1, wie dies die Beispiele von Goffmann und der Akteurin (BF) andeuteten, sondern beginnen bereits vor dem Auftreten der performativen Effekte. Die jeweiligen Attachments werden immer wieder über die verschiedensten Stationen einer Übersetzung etabliert (vgl. Hennion 2017, S. 114 f.). Eine solche Etablierung wird etwa bei der Anrufung der Akteur*innen durch die Theorien deutlich. Dabei wird die jeweils eigene Situation an die kultur- und sozialwissenschaftliche Theorie angehängt und dadurch als etwas verstanden, das unter der jeweiligen theoretischen Perspektive subsumiert werden kann (vgl. Oevermann 1988, S. 246). Daraus ergeben sich konkrete Probleme sowie Lösungen, die erst durch diese theoretische Perspektive für die Akteur*innen zu Möglichkeiten werden (und nicht etwa durch eine unmittelbare Erfahrung). Dies entspricht aber nicht einem simplen Ursache-Wirkung-Ablauf, sondern einem beständigen Vermitteln zwischen Theorieperspektive und Kulturproduktion. Im Zeitverlauf nähern sich diese immer mehr an und „verpflichten“ sich gegenseitig. Die Annäherung erfolgt sowohl durch verschiedenste Rezeptionsprozesse der Theorie als auch durch die beständige Anpassung der Wertvorstellungen bei der Kulturproduktion. So erläuterte ein interviewter Akteur (FI), dass er über sein Umfeld bereits mit theoretischen Konzepten in Kontakt kam, ohne die Texte gelesen zu haben. Er erfuhr die Konzepte damit als etwas, was „irgendwie“ relevant sei (Quelle: Interview). Als er später die theoretischen Texte selbst las, erfüllten sich bereits etablierte Attachements nochmals: Er beschrieb dies als ein Wiederfinden der bereits gekannten Konzepte, was wiederum performative Effekte ermöglichte.

Das Verfolgen der Attachments bis hin zur performativen Veränderung der Kulturproduktion ermöglicht es zu klären, wieso ein Effekt zuerst in einem bestimmten Bereich erfolgt. Denn die Bezugspunkte eines theoretischen Konzepts, dessen Vermittlung in der Situation der Intermediation, die Anrufung der Akteur*innen durch das Konzept und die Einfallstore etablieren alle Attachements, die auf einen bestimmten Bereich der Kulturproduktion abzielen. Für den zuvor erwähnten Akteur (FI) zielten beispielsweise die Prozesse der Vermittlung, im Rahmen derer er theoretische Konzepte kennenlernte, auf die Fragen nach der Funktion von Musik ab, also auf die normativen Praxisprinzipien. Er lernte Butlers Konzept der Performanz über Personen aus dem Bereich des Theaters kennen. Der Akteur selbst arbeitete an einem Theater, um Musik für Aufführungen zu komponieren. Er war also in seiner Tätigkeit mit der Frage konfrontiert, was die Funktion der Musik im Bereich des Theaters sein könnte. Dasselbe „Ziel“ der Attachments zeigt sich an einem Einfallstor, über das er Butlers Konzept in Bezug zu seiner Kulturproduktion setzen konnte: Der Akteur unterrichtete einen Workshop für Theaterschaffende, bei dem er gemeinsam mit Teilnehmer*innen über mehrere Stunden improvisierte. Anschließend, so erklärte er, wurde diskutiert, was die Rolle der Musik in der gemeinsamen Erfahrung gewesen sei (Quelle: Interview). Immer wieder erfolgte also in dem Beispiel ein Etablieren von Attachements, die auf den Bereich der normativen Praxisprinzipien abzielten. In anderen empirischen Fällen zeigt sich, dass die Attachments bis hin zu den performativen Effekten auf die Ausführungsmediationen abzielten oder auf die Repräsentation nach Ontologie und Autorschaft.

Auch nach den performativen Effekten geht das Etablieren der Attachements weiter. Es folgt nämlich eine beständige Prüfung: Die Attachements müssen sich in Bezug auf die bereits akzeptierten „Anhänge“ bewähren (Hennion 2017, S. 113; vgl. Boltanski und Thévenot 2007, S. 182 f.). Bestehen sie diese Prüfungen, so werden die Attachments stärker und es folgen wiederum weitere Verpflichtungen. Je größer die Veränderung durch die Attachements sind – wenn sich Abweichungen von der gängigen Feldlogik zeigen –, desto schwieriger werden diese Prüfungen und desto eher können Verpflichtungen nicht eingelöst werden (vgl. Becker 2019, S. 124). Der zuvor erwähnte Akteur (FI) erlebte etwa keine größere Veränderung aufgrund des generisch performativen Effekts, der bei ihm im Bereich der normativen Praxisprinzipien erfolgte. Vielmehr entstand im Verlauf der Auseinandersetzung mit den Texten und dem Testen der Theorien etwas, was er als ein „Sich Wohlfühlen“ mit den gewählten Prozessen beschrieb: „Ich glaube, ich fühle mich jetzt wohler dabei, einige der Dinge zu tun, die ich begann in meiner Musik zu machen, bevor ich mich mit diesen Texten beschäftigte. […] Ich fühle mich also besser, wenn ich das tue.“ (Quelle: Interview). Die Prüfung und weitere Etablierung der Attachements kann auch durch Bezüge aus anderen sozialen Bereichen erfolgen, wenn diese die Attachements zwischen den theoretischen Konzepten und den etablieren Weisen der Kulturproduktion bestätigen.Footnote 52 Auch dieser Abgleich kann Teil des beständigen Prüfens sein, mit denen das Etablieren der Attachements voranschreitet.

Die Abbildung [Abb. 5.10] stellt den Prozess des Attachements schematisch dar, bevor anschließend einige letzte, ergänzende Aspekte einer so ermöglichten Erklärung vorgebracht werden. Im oberen Bereich der Abbildung befindet sich die kultur- oder sozialwissenschaftliche Theorie und deren Beschreibung einer sozialen Realität. Im unteren Bereich ist eine soziale Realität der Kulturproduktion, die links in der vor-performativen Situation dargestellt ist. Über den zeitlichen Verlauf beginnen sich die Bereiche immer stärker aneinander „anzuhängen“, was schlussendlich zu den performativen Veränderungen führt (Bereich rechts). Zentral ist dabei, dass dieser Prozesse sowohl ein „Anhängen“ und damit eine Veränderung im Bereich der Kulturproduktion auslöst, als auch Attachements durch die Veränderungen im Bereich der Theorierezeption wichtig sind.

Mit dem Verständnis der performativen Beeinflussung der Kulturproduktion als Attachment kann schlussendlich geklärt werden, wann ein eher schwacher generischer und wann ein starker effektiver Effekt der Theorien erfolgen kann. Im Zentrum des Interesses steht die Frage, „wo“ die Etablierung der Attachements erfolgt: Laufen nämlich die theoretischen Wertigkeiten entgegen den bereits vorhandenen feldspezifischen Vorstellungen von Kulturproduktion, ist die Frage zu beantworten, wo eine Leistung erbracht wird, um die Verpflichtungen durch die Attachments zu etablieren. Dies kann bereits bei der Intermediation der Theorien erfolgen, indem mit einem erhöhten Aufwand Konzepte vermittelt werden, die andere Wertigkeiten für die Akteur*innen vermitteln. Eine solche Leistung wurde bei der Musikerin (BF) deutlich: Die theoretischen Konzepte der Cultural Studies wurden ihr über langandauernde, persönliche Interaktionen mit Vertreter*innen der Theorierichtung vermittelt. Schlussendlich waren es nicht mehr die vermittelnden Wissenschaftler*innen auf der einen Seite und die Musikerin auf der anderen Seite, sondern gleichwertige Konversationspartner*innen. Die Etablierung der Attachements kann aber auch durch Einfallstore geleistet werden: Bei einigen untersuchten Fällen, in denen ein stärkerer performativer Effekt erfolgte, waren es beispielsweise die schriftlichen Arbeiten, die Akteur*innen im Rahmen ihres Studiums schreiben mussten, welche die Attachements etablierten. Solche Leistungen müssen aufgezeigt werden, um die verschiedenen Effektstärken von Performativität verstehen zu können.

5.3.8 Übersetzung 2: Effekte zwischen den Bereichen der Kulturproduktion

Nachdem der Prozess der weiteren Veränderungen durch Performativität allgemein als Attachement beschrieben wurde, kann in diesem Abschnitt auf die Details eingegangen werden. Das heißt, es soll nachvollzogen werden, wie die performativen Effekte von kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien mehr als nur einen einzelnen Bereich der Kulturproduktion verändern. Die verschiedenen weiteren Veränderungen werden als Übersetzung 2 aufgefasst, um die zuvor erläuterte Übersetzung 1 und das alleinige Wirken der theoretischen Konzepte in einem Bereich zu ergänzen. Es mag zwar Beispiele geben, bei denen Performativität nur in einem Bereich erfolgt (vgl. Faustino 2022, S. 94). Die klare Trennung war aber vor allem eine analytische Hilfestellung. In der Empirie stehen die normativen Praxisprinzipien, die Ausführungsmediationen sowie die Ontologien und Autorschaften miteinander in Verbindung und bedingen sich gegenseitig (vgl. Kjellberg und Helgesson 2006, S. 843; Burnard 2012, S. 222 f.). Durch deren Verbundenheit schaffen und stabilisieren sie eine jeweilige Kulturwelt sowie deren Produktionsweise. Um performative Veränderungen wirklich fassen zu können, müssen daher die weiteren Veränderungen beschrieben werden, die über einen einzelnen Bereich hinausgehen.

Mit der Vorstellung einer zweiten Übersetzung wird darauf verwiesen, dass die Verbreitung der theoretischen Konzepte zwischen den drei Bereichen der Kulturproduktion ein Prozess ist, der keineswegs von alleine abläuft, sondern eine Leistung umfasst und erklärungsbedürftig ist (Kjellberg und Helgesson 2006, S. 145 ff.). Eine solche zusätzliche Übersetzungsleistung gilt aber nicht nur für die weiteren Veränderungen, die aufgrund von Performativität erfolgen. Auch im „Normalfall“ einer nicht durch Performativität veränderten Kulturproduktion sind die drei Bereiche auf eine bestimmte Art und Weise miteinander verbunden. Das heißt, dass sich in einer Kulturwelt zwischen den Bereichen bestimmte Übersetzungen bereits etabliert haben: Ein bestimmtes Praxisprinzip hängt sowohl mit einer jeweiligen Ausführungsmediation als auch mit einer Vorstellung von Ontologie und Autorschaft zusammen. Etablierte Übersetzungen stabilisieren die Kulturproduktion einer Welt auf eine bestimmte Art und Weise. In Bezug auf Performativität stellt daher die Übersetzung 2 die Frage, ob und wie sich die theoretischen Konzepte über einen Bereich hinaus behaupten, Attachements bilden und womöglich etablierte Prozesse ersetzen können.

Bevor auf die Veränderungen durch Performativität in der EEM eingegangen wird, kann eine stabilisierte Übersetzung 2 anhand eines stark vereinfachten Beispiels erläutert werden. Hierzu wird wiederum auf den bereits kurz erwähnten Fall der christlich-liturgischen Musik des Mittelalters eingegangen (siehe oben).Footnote 53 Musik unterstützte die kirchlichen Messen und sollte die Gegenwart Gottes erfahrbar machen. Im Sinne eines Praxisprinzips wurde eine sakrale Funktion festgeschrieben und gegenüber der profanen Verwendung von Musik abgegrenzt. Dieses Praxisprinzip wurde nicht zuletzt über theologische Theorie gerechtfertigt. Gleichzeitig – und hier zeigt sich eine erste stabile Übersetzung 2 – beeinflusste eine bestimmte Ausführungsmediation das Praxisprinzip: Die Aufzeichnung der Musiknoten erfolgte nämlich auf kostbarem Pergament. Es galt daher, bestimmte Musik als wichtig und relevant zu markieren (als sakral), da eine zu große Masse von Stücken gar nicht aufgeschrieben werden konnte. Die Ausführungsmediation zur Speicherung der Musik unterstützte daher das Praxisprinzip. Die sakrale Funktion ermöglichte zudem eine bestimmte Vorstellung der Ontologie und Autorschaft von Musik: Als eigentliche Quelle von Musik wurde eine göttliche Eingabe verstanden, die nur wichtigen Personen der Kirche zuteilwurde (etwa Gregor dem Großen, siehe St. Gallen, Stiftsbibliothek 2006). Die erhaltene Inspiration einer höheren Macht musste dann nur noch aufgeschrieben werden. Damit wurde die Möglichkeit einer Autorschaft weiterer Personen stark reduziert und der Beitrag verschiedener weiterer Rollen zu der Komposition und der Aufführung von Musik konnte von der Kirche ignoriert werden. Die Übersetzung 2 stabilisierte im Mittelalter daher insgesamt die Rolle der Kirche als eigentliche Kulturträgerin der Musik.

Nach dieser kurzen, beispielhaften Erläuterung kann nun aufgezeigt werden, wie die performativen Effekte in der im Zentrum stehenden Kulturwelt der EEM weitere Veränderungen bewirken. Dabei werden drei verschiedene Aspekte unterschieden: eine Erweiterung durch die Übersetzung 2, die Kritik mittels der Übersetzung 2 und das Scheitern der Übersetzung 2.

Erweiterung durch die Übersetzung 2

Der erste und offensichtlichste Aspekt der Übersetzung 2 kann als Erweiterung verstanden werden. Hierbei erfolgt eine zusätzliche Veränderung in einem oder in zwei weiteren Bereichen der Kulturproduktion: Der Effekt wird also erweitert.Footnote 54 Implizit angesprochen wurde dieser Aspekt bereits in der Übersetzung 1, etwa bei der Beschreibung der effektiven Performativität in den Ausführungsmediationen und dem Beispiel der Musikerin (EG), die sich auf Adorno und die Kritische Theorie bezogen hatte (siehe [5.3.5]). Die performativen Effekte begannen für sie zuerst im Bereich der normativen Praxisprinzipien: Musik, so ihre theoretisch-informierte Beschreibung, habe immer eine politische Funktion. Diese Einsicht war zwar für die Musikerin selbst eine Veränderung der eigenen Vorstellung, entspricht aber gängigen Auffassungen im Feld und kann daher als generische Performativität bezeichnet werden. Hingegen zeigten sich, wie oben beschrieben wurde, effektiv performative Effekte in Bezug auf gewisse Ausführungsmediationen. Die Musikerin begann, die üblichen Verweise auf Konzepte in den Paratexten ihrer Veröffentlichungen und Live-Auftritte bewusst wegzulassen. Damit entschied sie sich gegen die sonst typischen Beschreibungen in der EEM, die konzeptionelle Aspekte und theoretische Gedanken hervorhoben – und dies, obschon für die Überlegungen der Musikerin selbst ein theoretisches Konzept fundamental war. Solche Veränderungen im Bereich der Ausführungsmediation, die im Zusammenhang zu einem veränderten Praxisprinzip stehen, können als Erweiterung aufgefasst werden.

Die Erweiterung kann anhand der Etablierung von Attachements genauer erläutert werden: Für die erwähnte Musikerin waren die sich neu ergebenden Ausführungsmediationen keine Veränderung, die viele Attachements benötigten. Es ging lediglich um das „Weglassen“ der konzeptionellen Bezüge selbst, was für sie keine Herausforderung darstellte. Daraus folgte jedoch eine weitere Schwierigkeit, nämlich wie die neuen Ausführungsmediationen (bzw. deren Abwesenheit) gegenüber anderen Akteur*innen hervorgehoben werden konnten. Hierfür fehlten die Attachements, da es im Feld eigentlich eine gängige Praxis wäre, eine Veröffentlichung oder ein Konzert mit konzeptionellen Vorstellungen zu bewerben. Im folgenden Zitat erläutert die Musikerin auf der einen Seite diese Schwierigkeit der Bewerbung der „Konzeptlosigkeit“. Auf der anderen Seite verweist sie auf weitere vorhandene Attachements im Zusammenhang zu Konzerten, mit denen sie ihr theoretisch-informiertes Praxisprinzip auf Ausführungsmediationen hätte erweitern können:

EG::

Das ist genau die Frage: Kann man das Konzept überhaupt noch verkaufen, da es so wenig ist? Also dass jemand sagt: „Ja, das ist spannend, lass uns das machen!“ Aktuell wäre eher ne Konsequenz aus dem Werk, dass dessen Aufführung dann Mehrkanal wäre – und nicht, dass das Konzept von Album betont würde. Ich glaube, das wäre nicht interessant genug.

GS::

Wieso wäre es nicht interessant genug?

EG::

Weil es zu wenig bietet. Es hat nichts, nur die Musik. Wenn das Konzept ist, „hey ich spiele einfach ein Konzert von der Musik vom Album“, dann ist es für die Leute einfach ein normales Konzert. Dann müsste das Album so gut sein oder – oder es müsste auf die Mehrkanal-Idee und Räumlichkeit machen.

GS::

Und denkst du, dass deine eigenen Sachen … Wurden die durch dieses Konzept der „Konzeptlosigkeit“ ein wenig entwertet?

EG::

Nein, dass man es nicht gegen außen verkaufen konnte, hat es nicht wirklich entwertet. (Quelle: Interview)

Das Aufführen der Arbeiten über ein Mehrkanal-Wiedergabe-System (anstelle des üblichen Stereobildes) würde daher eine zusätzliche Möglichkeit zur Erweiterung bieten, für die bereits Attachements in der Kulturwelt vorhanden wären. Eine solche Veränderung entspräche aber keiner effektiven Performativität mehr (wie das Weglassen des Konzepts zur Bewerbung), sondern einem generischen Effekt, da die Verwendung von Mehrkanal-Systemen eine gängige Praxis ist. Die Erweiterung durch die Übersetzung 2 kann daher sowohl verstärkte, gleichbleibende oder abgeschwächte Effekte in einem weiteren Bereich der Kulturproduktion bewirken. Mit dem letzten Satz der Musikerin im Zitat wird weiter deutlich, dass Erweiterungen auf den ursprünglichen performativen Effekt in den normativen Praxisprinzipien zurückbezogen werden können: Der Wert ihrer Musik sei weiterhin vorhanden, da die Ausführungsmediationen ihrem Praxisprinzip entsprechen. Eine wirkliche Richtung der Erweiterung definitiv festzulegen ist daher nicht angemessen. Vielmehr geht es um die vorhandenen und sich neu ergebenden Attachements zwischen zwei Bereichen.

Die Erweiterungen können natürlich nicht nur zwischen Praxisprinzipien und Ausführungsmediationen erfolgen, wie eben beschrieben, sondern auch in Bezug zum Bereich der Ontologie und Autorschaft. Dies kann an zwei weiteren empirischen Beispielen erläutert werden. Das eine Beispiel beschreibt die Erweiterung einer Ontologie auf das Praxisprinzip: Eine interviewte Akteurin (AC) bezog sich auf diverse Medientheorien und erläuterte mit den Konzepten eine Umwelt von Medien, die eine Kulturproduktion jeweils beeinflusse. Ihre Ontologievorstellung konnte sie an bestimmten Ausführungsmediationen festmachen, wie sie im folgenden Zitat erläuterte:

AC::

Die Veröffentlichung war mein erster Versuch, diese Art der Musik zu produzieren: Ich mache Musik, indem ich meine Umgebung analysiere. Das Stück wurde im Schlafzimmer meines Freundes komponiert, im Laufe von zwei Nächten, als er schlief. Und er hat dieses rote Stroboskoplicht in seinem Zimmer, das den ganzen Raum warm anstrahlt. Und so sickerte diese Umgebung irgendwie in das, was ich machte: Das Stück handelt von diesem Raum und von den acht Stunden, die ich damit verbracht habe, Klänge zusammenzustellen. (Quelle: Interview)

Die Autorschaft der Umwelt wurde für die Akteurin zu einem Aspekt, den sie als die kontinuierliche Produktion über eine Zeitspanne in einer bestimmten Umgebung in ihre Ausführungsmediation integrieren konnte. Auf der einen Seite entspricht ihre Ausführungsmediation nur teilweise einer Abweichung von den Prozessen im Feld, da in der EEM vergleichbare Techniken des kontinuierlichen Produzierens am Stück vorhanden sind. Auf der anderen Seite wurde für die Akteurin aber eine bestimmte Ausführungsmediation durch ihre Ontologievorstellung zentral, die einer Abweichung entspricht: Sie verstand die weitere Umgebung als Teil des Produktionsprozesses, anstatt ein Musikstudio zu nutzen oder die komplette Unabhängigkeit vom Produktionsort zu betonen.

In einem weiteren Beispiel zur Erweiterung der Ontologie und Autorschaft steht der Zusammenhang zu den normativen Praxisprinzipien im Zentrum. Hierzu kann der bereits erwähnte Fall desjenigen Musikers (GJ) herangezogen werden, für den feministische Theorieansätze zentral waren. Die von ihm verwendeten Theoriekonzepte standen in Bezug zu einem bestimmten Praxisprinzip und Kulturproduktion hatte in seiner theoretisch-informierten Vorstellung die Funktion, Wissen über ein Zusammenleben zu schaffen: wie dank Musik andere Existenzen hörbar sowie neue Vorstellungen von Existenzweisen und Realitäten imaginiert werden.Footnote 55 Neben einem theoretisch-informierten Verständnis ihrer Ausführungsmediationen führt dieses Praxisprinzip dazu, dass eine neue Autorschaft integriert wurde. Für den Musiker wurde nämlich der eigene Körper zu einem beteiligten Autor in den Aufnahmen außerhalb seines Studios (den Field Recordings):

GJ::

Es ist mein Körper, der das Feld bewohnt und somit in meinen Aufnahmen hörbar wird. […] Mein Ziel war es, mich selbst als Teil meiner Klanglandschaften zu begreifen, gleichzeitig mit ihnen zu agieren, mit und durch die Aufnahmen zu klingen, um eine Realität zu schaffen. Diese Realität ist plural, gegenwärtig und vergänglich. Denn meine Präsenz als Aufzeichner der Klänge war zeitlich und sozial begrenzt. Im Feld verstehe ich mich als ein gerichtet-politisches Subjekt, das – um mit Karen Barads Begriff des agierenden Realismus zu sprechen – mein Intra-Selbst in die Aufnahmen einbringt. Es gibt einen aufführenden Aspekt, der für mich zwischen der Straße [von der Field Recordings gemacht wurden], der Technik und mir als dem Aufzeichner erfolgt. (Quelle: Feldnotizen)

Neben den bisher erläuterten Veränderungen kann eine Erweiterung auch erfolgen, wenn der ursprünglich performative Effekt sich als Kritik zeigt. Dann wird die bereits geäußerte Kritik auf einen weiteren Bereich erweitert. Eine solche Erweiterung wurde beim Fall derjenigen Musikerin (FI) deutlich, die sich auf die Cultural Studies bezog und Kritik am Klassenhintergrund anderer Akteur*innen äußerte. Ihre Überlegung startete insbesondere im Bereich der Ontologie und Autorschaft: Sie kritisierte, dass andere Akteur*innen ein bestimmtes Genre in Anspruch nahmen, welches üblicherweise anderen Klassen zugeschrieben würde; wenn also Personen aus der „Mittelklasse“ einen „Arbeiterklasse“-Musikstil produzierten. Die geäußerte Kritik konnte sie auf Ausführungsmediationen erweitern: Auch ein Hinzufügen oder Entfernen von klanglichen Elementen zu einem Genre waren unrechtmäßig, wenn Akteur*innen dies taten, deren sozialstruktureller Hintergrund nicht mit der symbolischen Verortung eines Genres korrespondiert. Diese Form der Erweiterungen einer bereits in der Übersetzung 1 etablierten Kritik muss unterschieden werden von der eigentlichen Variante, wie Kritik in der Übersetzung 2 formuliert wird.

Kritik mittels der Übersetzung 2

Der zweite Aspekt der Übersetzung 2 ist eine spezifische Form der Kritik. Hierbei geht es nicht darum, die bereits in einem Bereich der Kulturproduktion geäußerte Kritik auf einen anderen Bereich zu übertragen. Die Ausgangslage für die eigentliche Kritik im Sinne der Übersetzung 2 ist vielmehr eine Übereinkunft: Das heißt, dass zuerst zwei Akteur*innen sich einig sind hinsichtlich der performativ beeinflussten Ausprägung in einem Bereich der Kulturproduktion. Beispielsweise anerkennt ein Akteur A, dass die aufgrund von einer Theorie gewählten Ausführungsmediationen einer anderen Akteurin B innovativ seien. In diesem ursprünglichen Bereich zeigt sich daher noch keine Meinungsverschiedenheit der beiden Akteur*innen. Die Kritik mittels der Übersetzung 2 würde nun von Akteur A ausgehen, wenn dieser in einem anderen Bereich der Kulturproduktion von Akteurin B etwas kritisieren würde. So könnte er die bei Akteurin B ausbleibenden Veränderungen in der Repräsentation der Ontologie und Autorschaft anprangern oder ihre Veränderungen des Praxisprinzips als nicht rechtmäßig ansehen. Kritik in der Übersetzung 2 ist also derjenige Prozess, bei dem ein Akteur A in einem weiteren Bereich der Kulturproduktion von Akteurin B die vorhandenen Praktiken als nicht korrekt beschreibt oder die Abwesenheit von bestimmten Praktiken kritisiert. Diese Kritik erfolgt allerdings, nachdem in einem ursprünglichen Bereich der Kulturproduktion eine Übereinkunft herrschte.

Die Form der Kritik mittels der Übersetzung 2 kann an zwei empirischen Beispielen erläutert werden, die beide postkoloniale, theoretische Bezüge im Rahmen von Kulturproduktion verwendeten. Das erste Beispiel stammt aus einer online veröffentlichten Rezension eines Musikfestivals in einer Schweizer Stadt. Im Rahmen des Festivals stand zwar vor allem Kunstmusik im Zentrum, gleichzeitig traten aber auch einige Akteur*innen aus dem Bereich der EEM auf. Die Autorin der Rezension stellte zuerst eine Übereinkunft in Bezug auf das Praxisprinzip heraus: Postkolonialer Theorie folgend könne das Festival etwa Musiker*innen aus Ländern wie „Argentinien, Namibia und Saudi-Arabien“ präsentieren, „um dem technologischen und materiellen Innovationsgedanken der eurozentrischen Kunstmusik entgegenzuwirken“ und so allgemein eine „Dekolonialisierung der eigenen Musik“ erreichen (Quelle: Materialsammlung). Das theoretische Praxisprinzip zeige sich dann allerdings nicht in den Ausführungsmediationen, so die Kritik der Autorin. Sie erläuterte etwa, dass die auftretenden Musiker*innen „aus dem globalen Süden den Norden lediglich imitierten“ (ebd.), weil dieselben bekannten Musikstücke aufgeführt würden. Diese Ausführungsmediationen, so die Kritik, würden keine Verunsicherung und Korrektur ermöglichen (was das eigentliche Ziel sei), sondern die Dominanz der europäischen Kunstmusik legitimieren. Die Autorin ging auf weitere Details der Ausführungsmediationen eines Stücks ein, das während des Festivals präsentiert wurde. In dem Stück hatten Musiker*innen kurze Sätze zu den Klängen von Instrumenten gesprochen, um so Rassismus explizit zu verurteilen. Die Kritik der Autorin war nun, dass weitere Änderungen im aufgeführten Stück selbst ausgeblieben seien: „Ohne andere Teile des Stücks zu ändern, hätte der Inhalt der wenigen verwendeten Worte beliebig gefüllt werden können, um die Komposition für jeweilige Förderziele passend zu machen“ (ebd.). Das Ausbleiben der weiteren Veränderungen entspreche daher nicht dem gewählten Praxisprinzip. Daher könne, wie die Autorin im zitierten Satz erwähnt, ein solches Prinzip beliebig angepasst werden.

Das zweite Beispiel für Kritik stammt aus einer Diskussion, die im Anschluss an einem Vortrag stattfand. Dieser war Teil des Gesprächsformates eines EEM-Festivals in Großbritannien. Im Vortrag selbst wurde ein neuer digitaler Synthesizer eingeführt. Der Synthesizer sollte es ermöglichen, Tonhöhensysteme spielerisch kennenzulernen, die nicht den „westlichen“ Standards entsprechen (Quelle: Feldnotizen). Im Vortrag selbst wurden so bereits verschiedene Ausführungsmediationen wie etwa ein generatives System zur teilautomatisierten Musikproduktion im Synthesizer erläutert und damit das normative Praxisprinzip erweitert. Für dieses Praxisprinzip verwendete die vortragende Person (V1) eine postkoloniale, theoretische Perspektive als Rechtfertigung: In vielen der verbreiteten Gerätschaften zur Musikproduktion seien oftmals die westlichen Stimmsysteme integrieret, was zu impliziten Vorannahmen führe und bestimmte Arten der Musikproduktion bevorzuge. Dies reproduziere Machtstrukturen – und die Vortragende sah es als ihre Aufgabe, diese Machtstrukturen zu bekämpfen und Musikproduktion so zu „demokratisieren“ (ebd.). Ein weiterer beteiligter Akteur (V2) war ein Musiker, der den Synthesizer in einer Testphase bereits ausführlich hatte nutzen können. Im Vortrag selbst äußerte er sich dahingehend, dass Gerätschaften und Software nicht das eigentlich Ausschlaggebende seien für eine Musikproduktion: „Es geht nicht um die Werkzeuge, sondern um die Vision“, erklärte der Musiker (ebd.). In der anschließenden Diskussion zwischen den verschiedenen Vortragenden und dem Publikum wurden zuerst die Ausführungsmediationen und das damit verbunden Praxisprinzip angenommen. Jemand aus dem Publikum (V3) stimmte etwa der Idee zu, dass mit den generativen Systemen in einem solchen Synthesizer und einem spielerischen Umgang mit Musikproduktion eine Demokratisierung erreicht würde. Was allerdings dann zu einem Streit in der Diskussion führte, waren die Aussagen des Musikers (V2): „[Er] meinte eben, dass es nicht um die Werkzeuge, sondern um die Vision gehe. Steht das nicht im Widerspruch zu dem ganzen Projekt? Geht es bei diesem Synthesizer nicht darum, zu sagen, dass die Werkzeuge von großer Bedeutung sind?“ (ebd.), fragte eine Teilnehmerin (V4). Damit bezog sie sich auf Fragen der Repräsentation von Ontologie und Autorschaft und äußerte dort Kritik mittels der Übersetzung 2. Grundlage war nämlich die Erweiterung der postkolonialen Theorie auf den dritten Bereich der Kulturproduktion – beziehungsweise, dass diese in der Aussage des Musikers (V2) ausblieb: Er ignoriere so die materiellen Grundlagen und damit einen wichtigen Aspekt für die Wahrnehmung der Realität, der gemäß der theoretischen Perspektive vorhanden sein sollte (vgl. Castro Varela und Dhawan 2020, S. 309 f.).

Die Kritik mittels der Übersetzung 2, wie sie in den Beispielen erläutert wurde, muss wiederum als Attachement verstanden werden. In Bezug auf die theoretische Perspektive, die genutzt wird, um Kritik in einem weiteren Bereich der Kulturproduktion zu üben, muss beispielsweise das entsprechende Wissen vorhanden sein. Die Akteur*innen müssen also wissen, dass mit einigen Ansätzen des Postkolonialismus eine Diskussion um die materiellen Grundlagen des Sozialen einhergeht. Ist dieser theoretische Aspekt als Attachement etabliert, kann er von den Akteur*innen eingefordert werden, wie dies im zweiten Beispiel erfolgte (das genaue Vorhandensein des Wissens konnte allerdings im empirischen Beispiel nicht detailliert nachvollzogen werden). Gleichzeitig wurden aber in dem Beispiel Materialitäten selbst als Attachment angehängt, stand doch ein tatsächliches Objekt im Zentrum des Vortrags. Die Attachements, die eine Kritik ermöglichen, sind daher in Bezug auf die Kulturproduktion zu suchen. Dies wurde insbesondere beim ersten Beispiel der Festivalrezension deutlich: Die Autorin des Beitrags war nämlich selbst auch Komponistin und sie wies daher die entsprechenden Attachements der Musikkomposition auf, um ihre Kritik im Bereich der Ausführungsmediationen zu formulieren.

Scheitern der Übersetzung 2

Als dritter und letzter Aspekt der Übersetzung 2 soll die Möglichkeit des Scheiterns von weiteren Veränderungen erläutert werden. Dies impliziert, dass ein performativer Effekt in einem Bereich von Kulturproduktion stattgefunden hat, dann aber nicht erfolgreich für einen weiteren Bereich übersetzt werden kann. Bevor auf das eigentliche Scheitern eingegangen wird, kann anhand eines Beispiels nochmals verdeutlicht werden, dass die Übersetzung 2 in gewissen Fällen einfacher funktioniert als in anderen, um die Möglichkeit des Scheiterns bereits anzudeuten. Das Beispiel hierfür ist ein bereits erwähnter Interviewpartner (FI), der neben seiner musikalischen Tätigkeit an Kunsthochschulen unterrichtete und auf das Performanzkonzept von Judith Butler verwies. Damit verdeutlichte er ein bestimmtes normatives Praxisprinzip, nämlich eine Funktion von Musik, die Realität einer Situation zu verändern (siehe [5.3.4]). Das Praxisprinzip versuchte er als Teil seiner Lehre an Hochschulen zu etablieren und für Ausführungsmediationen zu übersetzen. Grundsätzlich bot hier die Lehre selbst und die damit geschaffenen Möglichkeiten eine Grundlage für die Übersetzung 2. Nochmals spezifischer garantierten aber bestimmte Ausführungsmediationen in Bezug auf Klangproduktion, dass die performativen Effekte im Praxisprinzip weitere Veränderungen hervorrufen konnten. Den Fokus seiner Lehre lege er nämlich auf das Schaffen von Klanginstallationen, nicht auf Musikproduktion im üblichen Sinne. Diese Ausführungsmediationen entsprechen dem theoretisch-informierten Praxisprinzip und repräsentieren eine Erweiterung:

FI::

Eine einfache Variante, um über [Performanz-Gesten] nachzudenken, ist der Kontext der Klangkunst. Man könnte an einem Objekt arbeiten, das etwas in einem Raum verändert, das die Situation irgendwie verändert: eine Installation von Lautsprechern, die Klänge wiedergeben und welche die Umgebung irgendwie verändern. Aber es könnte auch etwas Musikalisches sein. Das mit Musik zu machen ist ein bisschen schwieriger als mit einer Art von … physischen Verbindungen. Bei Klangkunstinstallationen ist eine physische Verbindung da. Es sind Dinge, die im Raum passieren, zu denen man eine physische Verbindung haben kann. Es ist viel einfacher, dies als eine Geste oder eine Äußerung wahrzunehmen [im Sinne der Performanz]. Deshalb sollte man ganz einfach starten. Du weißt schon: Basslautsprecher in verschiedenen Räumen aufzustellen oder Piezo-Mikrofone bauen. Wirklich einfache Dinge, die man in ein paar Stunden zusammenstellen kann, um Situationen zu schaffen, die … Die Studierenden können den Prozess so schnell verstehen. (Quelle: Interview)

In der zitierten Passage beschreibt der Interviewpartner, dass die Übertragung des Praxisprinzips insbesondere deshalb funktionieren kann, weil ein installativer Charakter von Klangkunst eine direkte Beziehung zur physischen Umgebung aufweist, während dies für Musik nicht so einfach gelte. Klangkunst weist daher bereits Attachements auf, die zu weiteren Veränderungen führen könnten (ausgehend vom normativen Praxisprinzip). Die Attachments der Musikproduktion erschweren dies. Das Scheitern der Übersetzung 2 und das Ausbleiben von weiteren performativen Veränderungen in einem anderen Bereich der Kulturproduktion kann also dann erfolgen, wenn in einem anderen Bereich Attachements in einer Art und Weise etabliert sind, die einer theoretischen Wertigkeit entgegenlaufen und andere Handlungen einfordern.Footnote 56

Ein eigentliches Scheitern der Übersetzung 2 kann anhand eines weiteren Beispiels aufgezeigt werden, in dem ein Praxisprinzip auf eine Ausführungsmediation übertragen werden sollte. Das Beispiel stammt aus dem Interview mit einer Festivalorganisatorin (DA). Die Person erwähnte zwar keine einzelne zentrale theoretische Position im Interview, stand aber im Kontakt mit verschiedenen Personen aus dem Bereich der sogenannten Interdisciplinary Studies. Auch ihre eigene Tätigkeit im Organisieren von Festivals sah sie als ein interdisziplinäres Projekt an, so das normative Praxisprinzip. Das von ihr mitorganisierte Festival sollte einen Reflexionsprozess über die Gesellschaft initiieren, in dem eine Vielzahl von Perspektiven auf Musik angewendet würden: Kunst, Technologie, Wissenschaft und natürlich Musik selbst, so die Akteurin (Quelle: Interview). Ihr Praxisprinzip erweiterte sie zunächst noch erfolgreich in eine Ausführungsmediation, indem sie ein Gesprächsformat als Teil des Festivals organisierte. Dort kamen die unterschiedlichen Perspektiven auf Musik zusammen und die Vorträge und Diskussionsrunden sollten den gesuchten Reflexionsprozess ermöglichen. Für die Festivalorganisation im engeren Sinne funktionierten daher die weiteren Veränderungen. Die Übersetzung 2 scheiterte dann allerdings in Bezug auf die Festivalbesucher*innen: Das Gesprächsformat war nämlich nicht so gut besucht wie andere Teile des Festivals. Das war der Organisatorin selbst klar: „Ich sehe aber auch, dass viele die Vorträge und Diskussionen beim Gesprächsformat nicht besuchen. Das ist ja klar.“ (ebd.)

Im Beispiel könnte nun auf ein womöglich fehlendes Interesse des Publikums verwiesen werden, da etwa die neue kultur- und sozialwissenschaftlichen Problematisierung bei einem Teil der Festivalgänger*innen nicht vorhanden wäre (siehe [5.2.8]). Dies wäre allerdings ein generelles Scheitern von Performativität. Bei einem großen Teil der Festivalgänger*innen kann hingegen davon ausgegangen werden, dass die konventionelle Grundlage für Performativität vorhanden war. Deshalb kann mithilfe des Scheiterns der Übersetzung 2 nach einer Erklärung gesucht werden: Das Publikum konnte den Besuch des Gesprächsformates als Teil der Ausführungsmediation eines Festivalbesuchs nicht mit den bereits etablierten Attachements eines Festivals in Einklang bringen. Ein dichtes und oftmals bis spät in die Nacht stattfindendes Musikprogramm lief einem tagsüber stattfindenden Programm mit Vorträgen und Diskussionen entgegen. Der Besuch von Ersterem war die übliche und bereits etablierte Art, einem Festival beizuwohnen. Letzteres hätte neue und vor allem gegenläufige Attachements erfordert. Umgekehrt funktionierten aber auch bestimmte Attachements eines Festivals förderlich für das Gesprächsformat: Wenn bekannte Künstlerinnen oder Musiker Teil eines Vortrags oder Gesprächs waren, führte dies zu mehr Interesse an den Programmpunkten des gesamten Formats. Dies erläuterte die Organisatorin wie folgt: „Das hängt natürlich davon ab, wer im Gesprächsformat was präsentiert. Das erzeugt nochmals unterschiedliche Mischungen von Personen. Wenn da [ein bekannter Künstler] einen ‚Talk‘ gibt, dann hast du da eine andere Konstellation an Leuten, als wenn wir ein Programm nur mit wissenschaftlichen Vorträgen machen“ (Quelle: Interview). So etablierte die mögliche Bekanntheit einer Person ein förderliches Attachement, während der Zeitpunkt des Gesprächsformates ein hinderliches Attachement schuf und zum Scheitern der Übersetzung 2 führen konnte.

Mit der Übersetzung 2 gerät allgemein eine bestimmte Erklärungsrichtung in den Fokus, die in den bisherigen Erläuterungen oftmals nur angedeutet wurde: wie die bereits vorhandene Realität einer Kulturproduktion (bzw. wie die vorhandenen Ausprägungen in den drei Bereichen) die Performativität mitbestimmt. Die Übersetzung 1 und die darin aufgeführten Erläuterungen entsprachen vor allem dem, was Hennion als zirkuläre Erklärungsrichtung beschreibt (Hennion 2015, S. 15 ff./153; siehe auch  [3.4.5]): Die performative Wirkung der kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien wurde gemeinsam mit anderen, größeren sozialen Faktoren als der zentrale Aspekt eingeführt, mit dem die untersuchte Kulturproduktion erklärt werden kann. Die erfolgte Veränderung wurde wiederum auf deren Rolle für soziale Faktoren selbst zurückgeführt (daher zirkulär), nämlich auf die allgemeine Wirkung in den drei Bereichen (Rechenschaft, Innovation, Etablieren von Metadaten; siehe oben). Die Übersetzung 2 hingegen zielt eher auf eine lineare Erklärung ab (Hennion 2015, S. 97/154): Sie nimmt eine Vielzahl von spezifischeren sozialen und insbesondere materiellen Faktoren auf, die einige der Eigenschaften der Kulturproduktion aufzeigen und so die Einschränkungen der größeren sozialen Faktoren verdeutlichen. In der Kombination der beiden Übersetzungen wird Performativität als allgemeiner Prozess beschrieben und werden dessen spezifische Resultate erfasst. Dabei klären sich sowohl verschiedenste Grundlagen, die eine Ausgangslage markieren, als auch spezifisch nachvollzogen werden kann, wie diese Ausgangslage in der jeweiligen Situation aktiviert oder eingeschränkt wird (vgl. Lahire 2011a, S. 42 ff.).

5.3.9 Exkurs zur Situation der Verwendung: Informatik

Der Exkurs in diesem Abschnitt soll einige vergleichende Überlegungen für die Situation der Verwendung der Theorien einführen und gleichzeitig eine weitere soziale Welt beschreiben, in der performative Effekte beobachtet wurden. Dies erfolgt anhand der Welt der Informatik beziehungsweise der Computerwissenschaften. Allgemein bezeichnet der Bereich sowohl die Erforschung von Berechnungs-, Automatisierungs- und Informationsverarbeitungsmodellen als auch deren praktische Implementation in Hard- und Software. Der vorliegende Exkurs betrachtet diese Welt auf spezifische und stark eingeschränkte Weise. Neben einer kleineren Materialsammlung beruht er vor allem auf einem Interview. Die interviewte Person (LO) hatte einige Verbindungspunkte zur EEM, war aber unabhängig von dieser Welt als Programmiererin bei verschiedenen Firmen tätig. Ausgewählt wurde sie, da die Person im Rahmen eines Projektes auf Konzepte der Situationistischen Internationalen verwies, eine Künstler- und Intellektuellengruppe der 1960er Jahre, die auch für die Soziologie eine Rolle gespielt hatte (vgl. Orlich 2011). Das Projekt hatte das Ziel, eine künstliche Intelligenz zu entwickeln, die Kurzgeschichten verfassen konnte. Zuerst ging der Autor der vorliegenden Arbeit davon aus, dass das Projekt die Abschlussarbeit eines Informatikstudiums war. Während des Interviews wurde dann aber deutlich, dass die Person eigentlich an einer Kunsthochschule studierte und ergänzend Computerwissenschaftskurse besuchte. Ihr Projekt entwickelte sie für eine Kunstausstellung in der Schweiz, während sie gleichzeitig noch studierte. Die Interviewpartnerin hatte daher eine Beobachterperspektive auf die Welt der Informatik, da sie sich selbst eher als Künstlerin und nicht als Programmiererin sah. Trotzdem bot der Fall eine Möglichkeit, die Verwendung der Theorien in anderen Produktionsprozessen nachzuvollziehen.

Bevor die Verwendung der Konzepte erläutert wird, können einige Hinweise zur Situation der Intermediation in der Informatik gegeben werden. Im Gegensatz zur Kulturwelt der EEM als auch zur Welt des Designs, die im letzten Exkurs eingeführt wurde [5.2.7], scheint in der Informatik noch keine wirklich konventionelle Grundlage für Performativität etabliert worden zu sein. Grundsätzlich finden sich zwar auch hier erste Hinweise darauf, dass vorhandene Prozesse auf eine kultur- und sozialwissenschaftliche Weise problematisiert werden (vgl. etwa Kappler et al. 2018). Allerdings erfolgt noch viel stärker ein Diskurs darüber, ob eine solche Problematisierung überhaupt notwendig ist, während noch keine wirkliche Erwartungshaltung gegenüber Theorie festzustellen ist. Auch in der Informatik sind es bestimmte Forschungsbereiche, die sogenannten „Studies“ (siehe [5.2.15.2.2]), die eine solche Problematisierung voranzutreiben versuchen (vgl. van der Sloot und de Groot 2018; Helm und Eichenhofer 2019). Gleichzeitig haben diese Studies noch keinen so klaren Kanon von Theorien etabliert, wie er in der EEM deutlich wurde. Die Hinweise zu den Kultur- und Sozialwissenschaften erfolgen daher eher allgemein, während weniger konkrete theoretische Konzepte erwähnt werden. Ein weiterer, wiederum mit der EEM vergleichbarer Prozess zur Übersetzung der Konzepte sind interdisziplinäre Forschungs- und Arbeitszusammenhänge. Ein damit verbundener Transferprozess wird aber von Akteur*innen eher umgekehrt aufgefasst, also von der Informatik hin zu Disziplinen wie den Kultur- und Sozialwissenschaften. Die Verwendung von kultur- und sozialwissenschaftlichen Konzepten in der Welt markiert daher eher eine Randerscheinung, was auch Sandra Faustino für die nicht ganz deckungsgleiche, aber vergleichbare Welt der Finanztechnik aufzeigt (2022). Sie beschreibt eine Firma in diesem Bereich und wie die dort tätigen Akteur*innen ebenfalls auf kultur- und sozialwissenschaftliche Theorien zurückgreifen, um ihre Finanzprodukte zu kreieren und zu programmieren. Die dabei verwendeten Konzepte waren zwar in der von ihr untersuchten Firma „naturalisiert“ (Faustino 2022, S. 99). Gleichzeitig löste ein so etabliertes, theoretisches Vokabular bei weiteren Akteur*innen aus der sozialen Welt eher Unverständnis aus (ebd.).

Die nur teilweise etablierte konventionelle Grundlage für Performativität zeigte sich in der Situation der Verwendung der Theorie bei der Interviewpartnerin (LO) und ihrem Projekt. Überträgt man die drei Bereiche der Kulturproduktion auf das Programmieren, so wurden im untersuchten Fall lediglich für die Praxisprinzipien sowie die Repräsentation der Ontologie und Autorschaft Effekte deutlich (siehe unten). In den eigentlichen Ausführungsmediationen – also dem Schreiben von Codezeilen – machte die Interviewpartnerin keine Rolle der Theorien fest. Im folgenden Zitat beschreibt sie, wie das Programmieren zu einem Aspekt wurde, der ohne weitere kultur- und sozialwissenschaftliche Problematisierungen durchgeführt werden kann: „Es gibt die Momente, wo das Suchen und Ausloten beendet ist. ‚Ich muss das jetzt fertig machen‘ ist dann der Prozess. Ich weiß, wo ich hinmuss, weil das Konzept gefestigt ist. Es wird zu einfacher Arbeit. Programmieren ist nur wie einen Hammer zu handhaben, um ein Haus zu bauen“ (Quelle: Interview). Das Schreiben von Codes war für die interviewte Person kein Prozess mehr, für den weitere Ressourcen wie etwa theoretische Konzepte notwendig gewesen wären. Die Abwesenheit von Effekten im Bereich der Ausführungsmediationen mag insbesondere deshalb verwundern, da in bisherigen wirtschaftssoziologischen Untersuchungen zur Performativität oftmals genau die Veränderungen im Zentrum standen, welche auf die Inkorporierung von Theorien in Techniken verwiesen: in Werkzeuge, Prozesse, Routinen oder Algorithmen (vgl. Callon 2005, S. 4; MacKenzie 2006, S. 19). Die festgestellte Abwesenheit dieser Effekten könnte zwar auf die eingeschränkte Fallauswahl zurückzuführen sein. Aber auch Faustino beschreibt im Rahmen ihrer Untersuchung ein Ausbleiben von Veränderungen in den Ausführungsmediationen des Programmierens: „[GS: The theoretical concepts] do not necessarily interfere with the techniques through which an algorithm for instance, is designed, deployed, and made profitable […]“ (Faustino 2022, S. 94).Footnote 57

Die fehlenden Effekte im Bereich der Ausführungsmediationen dürfen nicht mit einer Abwesenheit von Performativität gleichgesetzt werden. Vielmehr zeigt sich für diesen spezifischen Bereich eine fehlende Übersetzungsleistung in der Übersetzung 1. Auch bei der Verwendung der theoretischen Konzepte in der Musikproduktion der EEM kann aufgezeigt werden, dass für bestimmte Ausführungsmediationen eine Übersetzungsleistung fehlte: Es fanden sich keine Fälle, bei denen die konkrete Auswahl und Abfolge von Tönen durch eine Theorie beeinflusst wurde. Für andere Ausführungsmediationen in der EEM wurden aber genau solche Übersetzungsleistungen ermöglicht: etwa der Umgang mit Instrumenten, die Strukturierung eines Musikstücks oder Vorstellungen von Harmonie. In der jeweiligen Situation muss daher nachvollzogen werden, wie „weit“ eine kultur- und sozialwissenschaftliche Problematisierung geht (bzw. auf was sie abzielt) und für welche Details der Kulturproduktion die Theorien übersetzt wurden. Mit einem solchen Fokus wird deutlich, warum in wirtschaftssoziologischen Untersuchungen zur Performativität die Effekte bei konkreten Techniken im Zentrum standen: Die Wirtschaftswissenschaften selbst gingen von der Problematisierung von Märkten in einem institutionell-deskriptiven Sinne über zur Analyse mittels mathematischer Modelle (vgl. MacKenzie 2006, S. 38 ff.). Diese Modelle waren zugleich die Elemente, die als Blaupausen für Berechnungen in Märkten dienten. Hierfür war jedoch eine große Übersetzungsleistung nötig: So beschreibt etwa Donald MacKenzie, wie ein mathematisches Modell nicht unmittelbar zu den ablaufenden Prozessen an einer Börse „passte“, sondern erst mit viel Aufwand vorhandene Ausführungsmediationen beeinflussen konnte (2006, S. 158 f.). Einen solch beachtlichen Aufwand beschreibt auch Marie-France Garcia-Parpet in ihrer Studie zur performativen Konstruktion eines „perfekten“ Marktes für Erdbeeren (2022, S. 73 f.). Im hier untersuchten Fall aus dem Bereich der Informatik schien diese Übersetzungsleistung für das Programmieren noch zu fehlen. Jedoch wurden die theoretischen Konzepte der Kultur- und Sozialwissenschaften für andere Bereichen übersetzt (vgl. auch Faustino 2022, S. 94).

Wie bereits bei den Beispielen aus der EEM zeigt sich auch bei der interviewten Programmiererin (LO), dass sie von verschiedenen theoretischen Konzepten angerufen wurde, in denen eine Passung zwischen den Wertigkeiten im Sinne eines „nahen“ Gutes vorhanden war. Neben den bereits erwähnten Theoriekonzepten der Situationistischen Internationalen verwies die Akteurin auf Foucaults Konzept des Panoptismus als etwas, was für ihre Kulturproduktion wichtig sei. Die Konzepte der ersteren Theorieströmung wurden in der Intermediationsform der Netzwerkstruktur an die Akteurin vermittelt, während sie letztere Vorstellung im Rahmen einer Veranstaltung ihrer Kunsthochschule kennenlernte, also im Sinne der Intermediationsform der Institution. Die Anrufung erfolgte bei beiden Theoriekonzepten über eine explorativ berufende Wertigkeit. Im folgenden Zitat beschreibt die Akteurin diese Wertigkeit mit dem Begriff der „Intuition“, als eine anregende Einsicht aufgrund der Theorien (vgl. Thévenot 2014a, S. 138):

LO::

Viele meiner Projektidee entstehen aus einer gewissen Intuition. Ich hab also vielleicht mal irgendwas über das situationistisch-internationale Dérive gehört und kann darüber nachdenken. Und so entwickle ich bereits für mich ein Konzept, wie das überhaupt ausschaut. Daraus können meine Projektideen entstehen […]. Wir haben [in dieser Veranstaltung] Foucaults Text zum Panoptikum gelesen. Das war wie der Augenblick, wo man eine Verschwörungstheorie liest. Es ist so: „Wow! Ich habe jetzt wieder etwas mehr über die Welt erfahren.“ Es ist mir wie Schuppen von den Augen gefallen. „Wieso ist mir das früher nie …?“ Das Internet ist ein großes Panoptikum. Und das ist interessant, weil das befeuert wiederum meine Intuition, Projekte zu machen. (Quelle: Interview)

In Bezug auf die Offenheit der Produktion und die Einfallstore, die anschließend an eine Anrufung erfolgen und Performativität ermöglichen, lassen sich in dem Exkurs einige ergänzende Aspekte erläutern:

Die Offenheit der Produktion, die benötigt wird, damit Theorien im Bereich der Kultur performativ wirken können, zeigte sich auch am Beispiel der interviewten Informatikerin (LO). Die Projekte, die sie im Rahmen ihrer Praxis zwischen Kunst und Informatik umsetzte, hatten keine festen medialen Formen oder Ähnliches, sondern konnten „offen“ von der Akteurin angegangen werden. Gleichzeitig wurde eine weitere Dimension dieser Offenheit deutlich: Der Aufwand, um die Produktionen umzusetzen, muss begrenzt sein, sodass überhaupt (zeitliche) Ressourcen für einen Umgang mit Theorie bereitgestellt werden können. Die Interviewpartnerin erläuterte, dass die Prozesse des Programmierens teilweise zu viel Aufwand in Anspruch nehmen würden und sich somit gar keine Gelegenheit böte, um dort eine theoretische Perspektive einzubringen. Dies zeige sich sowohl beim Schreiben von Code selbst als auch in der universitären Ausbildung in den Computerwissenschaften (wo das Lernen des Codierens zu viel Zeit in Anspruche nehme). Im folgenden Zitat beschreibt sie, wie im Rahmen ihrer Tätigkeit als Programmiererin in einer Firma die Offenheit der Produktion durch einen zu großen Aufwand eingeschränkt wurde: „Das war einfach: bauen, bauen, bauen. Ich hab’ irgendwas gemacht und nie mehr angefasst, auch wenn es nicht ganz perfekt war. Egal. Das ist auch das Problem. Wenn du dir überlegst, wie viel Code das jeweils ist: Millionen von Zeilen. Das kann ja kein Mensch mehr lesen!“ (Quelle: Interview)

Auch über die Einfallstore, die im Interview angesprochen wurden, können einige ergänzende Aspekte erläutert werden. So wurde allgemein klar, dass nicht nur Einfallstore durch Attachements etabliert werden können, sondern auch umgekehrt: Ein Einfallstor ermöglicht das Attachment. Der Studiengang, den die Person besuchte, verstand sich als ein Programm von künstlerischer „Practice Based Research“. Damit wurde das Ziel verfolgt, dass Prozesse des Arbeitens und Forschens (bzw. „Reflektierens“) gleichzeitig in den Projekten ablaufen sollten (statt diese in unterschiedliche Phasen einzuteilen). Die Bezugswelt förderte also, dass Epi- und Peripraktiken sowie Reflexions- und Repräsentationsformate stärker vermischt wurden. Der so etablierte Prozess funktionierte für die Akteurin allgemein als Einfallstor, das kontinuierliche Attachements etablierte. Ein ergänzender Aspekt zeigte sich bei zwei Kursen zu Computerspiel-Design, welche die Akteurin ebenfalls als Teil ihres Studiums besuchte und bei denen genau die Gegenposition zur Idee ihres Studiums deutlich wurde: Der eine Kurse sollte nur dazu dienen, ein Konzept für ein solches Spiel zu entwerfen, während der andere lediglich auf das Programmieren des Spiels abzielte. Daher wurden die theoretischen Konzepte nur im Rahmen des ersten Kurses vermittelt. Die Validitätsdimension eines Einfallstors wurde also über eine Trennung eingeschränkt und die Chance auf einen performativen Effekt in den Ausführungsmediationen verringert. Die Ausrichtung auf einen bestimmten Bereich zeigte aber auch eine förderliche Seite: Als weiteres Einfallstor für theoretische Konzepte funktioniert die Tatsache, dass die Bezugswelt der Informatik nur wenige Angebote zur Repräsentation der Ontologie und Autorschaft für die Akteurin bereitstellte – und die theoretischen Konzepte der Kultur- und Sozialwissenschaften konnten solche Repräsentationen anbieten.

Die Effekte der Übersetzung 1 wurden bei der Interviewpartnerin (LO) insbesondere im Bereich der Repräsentation von Ontologie und Autorschaft deutlich. Zuerst kann hierbei auf die theoretischen Vorstellungen der Situationistischen Internationalen verwiesen werden, welche die Kulturproduktion auf eine effektive Weise veränderten.Footnote 58 Die Perspektive gab ihr eine Rolle desjenigen Datensatzes vor, mit dem die künstliche Intelligenz in ihrem Projekt trainiert werden sollte, um Kurzgeschichten zu schreiben. Im Gegensatz zur Verwendung eines bereits vorhandenen Korpus an Geschichten aus dem Internet sollte der Algorithmus mit Kurzgeschichten „gefüttert“ werden, die von beliebigen Personen verfasst wurden. Damit veränderte sich die übliche Ontologie. Für die Interviewpartnerin ging es nicht mehr nur um die künstliche Intelligenz, sondern um die Autorschaft von verschiedensten anderen Personen, die den Datensatz für den Algorithmus erschufen. Als Metadatum für die Ontologie wurde daher die Leistung von Menschen ins Zentrum gestellt und weniger diejenigen Prozesse eines Algorithmus, wie das sonst üblich wäre. Die Grundlage für diese Repräsentation der Ontologie war die theoretische Beschreibung der Situationistischen Internationalen, da diese genau eine solche Autorschaft festschreibt. Die Künstler- und Intellektuellengruppe stellte nicht nur eine Analyse und Kritik des Kapitalismus vor (Debord 2013), sondern erläuterte auch konkrete Strategien für die Menschen im Alltag: So sollte etwa das „Dérive“, ein Sich-Treiben-Lassen in der Stadt, die negativen Folgen des Wirtschaftssystems bekämpfen können (vgl. Orlich 2011, S. 19 ff.). In der Theorie wird daher eine Ontologie festgemacht, die das Potenzial von alltäglichen Handlungen der Menschen herausstellt. Diese Ontologie wurde im Projekt der Interviewpartnerin repräsentiert: Die Informatikerin etablierte beliebige Personen, die Kurzgeschichten verfassten, als Teil der Autorschaft.

Auch Foucaults theoretische Vorstellungen hatten einen performativen Effekt im Bereich der Ontologie und Autorschaft. Dieser Effekt war allerdings ein generischer und etablierte eine mehr oder weniger diametrale Ontologie zu der vorher beschriebenen Realität von Autorschaft. Mithilfe des Konzeptes des Panoptismus verortete die Interviewpartnerin die eigentliche Autorschaft wiederum bei Informatiker*innen und den programmierten Algorithmen. Im folgenden Zitat übt sie anhand der Theorieperspektive Foucaults zwar Kritik an Prozessen der Informatik, reproduziert aber eine im Feld vorhandene Vorstellung der zentralen Rolle von Programmierer*innen und von Algorithmen:

LO::

Die Leute, die programmieren, die haben sehr große Macht. Sie sind privilegiert, um unsere Gesellschaft zu verändern. Wenn du so privilegiert bist, dann solltest du verstehen, wie unsere Gesellschaft funktioniert. […] Wenn wir das Beispiel des Panoptikums aufgreifen: Als ich das las, war das für mich wie: „Okay, Informatik und das Internet ist ein riesen Panoptikum!“ Alles im Internet hinterlässt Spuren. Wenn du so was weißt, bist du womöglich weniger empfänglich für so Tech-Propaganda: „Wir sind die Guten.“ Wenn jemand das denkt, dann geht es nur darum, einen Algorithmus schneller zu machen. Und so: „Gesellschaft? Das interessiert mich nicht.“ Die sehen wohl gar nicht die übergestülpte Struktur! Deswegen sind Ethik, Medientheorie oder auch Sozialtheorie wichtig. Weil sie dir erklären, wie unsere Gesellschaft funktioniert. Dann kannst du in der Gesellschaft eine gewisse Position einnehmen, weil du verstehst, dass vielleicht nicht alles so gut läuft, wie es an der Oberfläche ausschaut.

Die Interviewpartnerin verwendete das Konzept von Foucault in einem generischen Sinne und machte gleichzeitig eine andere Wertigkeit fest, als anhand der Konzepte der Situationistischen Internationalen.Footnote 59 Letztere Positionen verdeutlichen eher diejenige Qualität, wie sie anhand der Konvention der Inspiration festgemacht wird: eine Autorschaft, die dank Innovationskraft funktioniert und auf imaginierte Welten abzielt (vgl. Boltanski und Thévenot 2007, S. 226). Mit dem Panoptimus wird hingegen die Qualitätskonvention der Industrie herausgehoben: Die Autorschaft wird formal qualifizierten Personen zugesprochen und verdeutlicht eine von diesen ausgehende Kontrolle in einem Raum (vgl. Boltanski und Thévenot 2007, S. 281). Die Gleichzeitigkeit der unterschiedlichen Qualitätsvorstellungen war allerdings für die interviewte Person nicht wirklich ein Problem. Angesprochen auf eine mögliche Widersprüchlichkeit verwies sie auf eine Partisanenhaltung im Umgang mit den theoretischen Konzepten. Die Widersprüchlichkeit ließe sich nicht verhindern: „Du musst auch etwas machen und kannst nicht all deine Zeit dazu verwenden, Theorie zu lernen!“ (Quelle: Interview)

Die Gleichzeitigkeit der unterschiedlichen Ontologievorstellungen lässt sich nochmals spezifischer erklären, indem Bezug auf die Übersetzung 2 genommen wird: Die Repräsentation, die durch die Konzepte der Situationistischen Internationalen informiert war, erfuhr keine Erweiterung auf die Praxisprinzipien der interviewten Akteurin. Der performative Effekt wurde daher lediglich in einem Bereich deutlich, während die Übersetzung 2 scheiterte. Verantwortlich hierfür war, dass die interviewte Person dem Theoriekonzept des „Dérives“ eine Relevanz absprach, wie im folgenden Zitat deutlich wird. Deswegen sah sie das Konzept nicht als Grundlage für ein Praxisprinzip an. Die Akteurin erklärte, dass sie das Warum ihres Projektes nicht mit Rückgriff auf das Konzept begründen könne:

LO::

Ich fand raus, dass die Mitglieder der Situationistischen Internationalen sich alle etwas über Guy Debord lustig gemacht hatten. Er sei wohl gerne Feiern gegangen und das Konzept [des Dérive] habe er nur erfunden, dass die Leute ihn in Ruhe ließen. Und dann bin ich etwas verloren dagestanden. Im Sinne von: Ich habe etwas ausgewählt – der Unterbau von einem Teil der Arbeit –, das er nur kurz in seiner Karriere mal aufgegriffen hat und gar nicht so wichtig war.

GS::

Und das entwertet das Konzept, oder wie?

LO::

Ja, das ist halt ein theoretisches Loch in meiner Arbeit, wo ich mich drum herum argumentieren muss.

GS::

Warum ist das ein Loch? Für dich war es doch wichtig?

LO::

Ja … Es geht darum, dass ich in meiner Arbeit etwas argumentieren will: warum ich das so und so gemacht habe. Das Konzept hält dem nicht wirklich stand. (Quelle: Interview)

Foucaults Konzept des Panoptismus und dessen generischer Effekt im Bereich der Repräsentation von Ontologie und Autorschaft konnte hingegen auf Praxisprinzipien erweitert werden. Diese Praxisprinzipien entsprachen wiederum den bereits im Feld vorhandenen Vorstellungen: Als ihr normatives Ziel wollte die Akteurin sich „intelligenter“ mit den ablaufenden Prozessen beschäftigen können und „bessere“ Entscheidungen treffen (Quelle: Interview). Die oben mit Hinblick auf Foucault eingeführte Kritik von ihr erweiterte sie dahingehend, dass die fehlenden Erkenntnisse zu „schlechten“ Entscheidungen führten: „Ein anderer [hypothetischer Informatiker, der das Konzept des Panoptismus nicht kennt] versteht einfach unsere Gesellschaft nicht und das führt dazu, dass er ganz, ganz viele schlechte Entscheidungen trifft“ (ebd.). Das eigentliche Ziel der Optimierung von Prozessen wurde daher nicht wirklich bestritten. Sowohl die Kritik als auch die Objekte der Kritik entsprachen demselben Bezugsrahmen, welcher der Qualitätskonvention der Industrie zugeordnet werden kann. Damit erfolgte im Falle des Konzeptes des Panoptismus eine Erweiterung auf den Bereich der Praxisprinzipien, während eine Übersetzung 2 für die theoretischen Vorstellungen der Situationistischen Internationalen scheiterte. Das Scheitern von Letzterem ermöglicht, dass die Inkonsistenz nicht wirklich zu einem Problem für die Akteurin wurde. Der Exkurs verdeutlichte daher nicht nur einige ergänzende Aspekte zum bisher aus der Empirie entwickelten Modell zur Erklärung von Performativität. Die Einblicke in die Welt der Informatik leisteten zudem, dass dieses Modell an anderen Produktionsprozessen „getestet“ werden konnte. Dabei wurde deutlich, dass die präsentierte Variante zur Betrachtung der performativen Effekte mittels einer Dreiteilung von Kulturproduktion und den ersichtlichen Effekten in der Übersetzung 1 sowie der Beachtung einer Übersetzung 2 angemessen ist.

5.3.10 Schlussfolgerung: Radikale Veränderungen und die Schwierigkeit barnesischer Performativität

Verschiedene Aspekte der performativen Effekte in der Situation der Verwendung der Theorien wurden im Hinblick auf Attachements zwischen einem Theoriekonzept und einer Kulturproduktion verdeutlicht. Deren Etablierung ermöglichte performative Effekte oder aber diese Effekte blieben aus, weil die Attachments noch nicht genügend umfassend etabliert waren. Eine verkürzte Konzeptualisierung dieses Prozesses impliziert zwei Dinge: Erstens, so könnte nun geschlussfolgert werden, ergibt sich mit einer Performativität immer eine gewisse „Kohärenz“ in der Kulturproduktion. Die Akteur*innen würden ausgehend von der Anrufung, bei der bereits eine Übereinstimmung zwischen Wertigkeitskonzepten vorliegt, hin zu den ersten Effekten in einem Bereich der Kulturproduktion immer eine Passung der Theorie und der Kulturproduktion erleben. Auch die weiteren Veränderungen würden so erfolgen, indem die Attachments eine Art „Stimmigkeit“ zwischen den beiden Positionen etablieren. Performativität würde nie zu einer Veränderung führen, welche die Akteur*innen als „radikal“ oder im Sinne einer Diskontinuität erleben. Eine zweite Implikation betrifft den Aspekt der barnesischen Performativität und damit diejenige Effektstärke, die bisher noch nicht erwähnt wurde. Sie beschreibt eine umfassende Veränderung der sozialen Realität gemäß den Vorstellungen einer Theorie. Wiederum einer verkürzten Auffassung von Attachments folgend, würde sich barnesische Performativität in jedem Fall einstellen, sobald genügend zeitliche oder sonstige Aufwände gemäß der Übersetzung 2 investiert worden wären. Dass diese Effektstärke eintritt, wäre dann mehr oder weniger nur eine Frage der Zeit. Beide Implikationen sollen im Folgenden explizit verhandelt sowie relativiert werden, um die Erläuterungen zur Situation der Verwendung der Theorien abzuschließen.

Die erste, verkürzte Implikation der Kohärenz würde voraussagen, dass die Akteur*innen Performativität immer als etwas erleben, dass ihre Vorstellung von Kultur sowie ihre jeweilige Art und Weise der Produktion bestätigen würde. Auch Veränderungen würden sich lediglich als „natürliche“ oder „selbstverständliche“ Prozesse ergeben (wie dies einige der interviewten Personen beschrieben). Die Veränderungen der Kulturproduktion durch Performativität kann aber auch zu Überraschungen für die Akteur*innen führen: Sie kommen ins Grübeln über ihre Vorstellungen und stellen bisherige Formen der Kulturproduktion infrage. Daraus können Veränderungen erfolgen, welche die Akteur*innen als eine Art Bruch erleben. Um dies zu erklären, muss die Betrachtungsweise erweitert werden: Nicht nur die Etablierung von Attachments zwischen Theorie und Kulturproduktion sind zu betrachten, sondern auch die jeweilige spezifischere Situation im Zusammenhang zur Kulturproduktion muss in den Blick genommen werden. Dabei können Veränderungen durch Attachements in Bezug auf diese Situation erfolgen, während sich die Kulturproduktion selbst in einem ersten Schritt nicht verändert (z. B. wie jemand Musik macht). Dies kann so weit führen, dass die Art und Weise der Kulturproduktion nicht mehr zu der sich ständig verändernden Situation passt. Die Veränderungen „verlangen“ dann, dass die Prozesse der Produktion hinterfragt werden (vgl. Lahire 2011a, S. 56). Die Attachements eines theoretischen Konzepts etablieren daher eine andere Situation, in welcher die bisherige Kulturproduktion nicht mehr möglich ist beziehungsweise zu der die bisherige Kulturproduktion nicht mehr als kohärent aufgefasst wird.

Die Akteur*innen erleben in diesem Fall ihre Kulturproduktion als etwas, was einem Realitätstest in der Situation nicht mehr standhält. Dies wurde etwa bei der Musikerin (EG) deutlich, die über die Beschäftigung mit den theoretischen Konzepten Adornos ihrer eigenen Musik eine politische Funktion zuschrieb. Diese Vorstellung erarbeitete sie im Rahmen einer Abschlussarbeit an einer Kunsthochschule. Sie startete jedoch mit der genau umgekehrten Intention: „Das Fazit der schriftlichen Arbeit, dass es vor allem keine apolitische Musik gibt, hat mich stutzig gemacht. Ursprünglich war nämlich die Idee zu sagen, es gehe gerade nicht, politische Musik zu machen. Das führte dazu, mich zu hinterfragen“ (Quelle: Interview). Eine ähnliche Inkohärenz erlebte die Musikerin (BF), welche Klassenfragen als zentrale Punkte einer Ontologie von Kulturproduktion verstand. Nach der Beschäftigung mit den theoretischen Positionen brach sie abrupt mit einem ihrer Projekte ab, da sie dieses nicht mehr als kohärent mit ihrer neuen Ontologievorstellung erlebte. Das Projekt, so ihre Erkenntnis, entsprach keiner Arbeiterklasse-Musik und deshalb hörte sie damit auf. Dieser Schritt entsprach insofern einem radikaleren Bruch, da er dem üblichen Weg in der EEM widersprach: Dabei würde ein Interesse an Tanzmusik mehr und mehr durch Kunstmusik abgelöst werden. Mit der Beendigung des Projektes ging die Musikerin (BF) hingegen genau den umgekehrten Weg: weg von ihrem eher abstrakteren Vorgehen und wieder „zurück“ zur Produktion von Tanzmusik. In beiden Beispielen wurden Attachements etabliert, die schlussendlich dazu führten, dass die eigene Kulturproduktion von den Akteur*innen nicht mehr als der Situation entsprechend aufgefasst wurde. Sie erlebten daher einen radikaleren Bruch, da sie sich von der Situation „gezwungen“ sahen, ihre bisherige Kulturproduktion zu hinterfragen.

Aus der eben beschriebenen Veränderung von spezifischen Situationen könnten nun die zweite verkürzte Implikation folgen: Mehr und mehr Attachments würden sich in jedem Fall ergeben, bis schlussendlich eine barnesischer performativer Effekte erfolgt. In den empirischen Beispielen fand sich jedoch höchstens ein Fall, bei dem eine solche Effektstärke festgestellt werden konnte: Bei einem Akteur (JM) lieferte ein theoretisches Konzept in allen drei Bereichen der Kulturproduktion eine Blaupause für Kulturproduktion. Dies war der historische Materialismus und damit eine philosophische Position, die auch für die Anfänge der Soziologie wichtig war (vgl. Schäfers 2019, S. 12 f.; Dimbath 2020, S. 66 f.). Der Ansatz rückt die materiellen Voraussetzungen ins Zentrum eines Forschungsinteresses und versucht, den Ablauf sozialer Prozesse über ökonomische Grundlagen zu erklären: über den Besitz oder Nichtbesitz von Produktionsmitteln. Das theoretische Ziel ist, die Widersprüche aufzuzeigen, die sich aufgrund der unterschiedlichen materiellen Voraussetzungen ergeben (wie etwa „Entfremdung“; vgl. Dimbath 2020, S. 67). Dieses Ziel machte der Akteur (JM) in seiner Musik fest: Seine Musik solle die von ihm produzierten Klänge auf deren Beziehung zu einer dominierenden Kultur untersuchen und dabei bestimmte Aspekte hinterfragen, wie etwa dass Musik einen immanenten Wert besitze: „Ich will an den Punkt kommen, an dem ich die Eigenschaften eines Problems identifiziere, von dem mich Sprache, Medien und Kultur eigentlich hätten abhalten sollen. Der unmittelbare Wert von Musik ist so ein Fall. Diese Vorstellung verhüllt die materiellen Prozesse vor uns“ (Quelle: Materialsammlung). Musik müsse für ihn dann einen bestimmten „Gebrauchswert“ haben, nämlich als ein kritisches Analysewerkzeug (Quelle: Feldnotizen). Im Gegensatz zu Prinzipien der EEM sollte aber seine Kulturproduktion keine „Verbesserungen“ oder Veränderungen herbeiführen, sondern es gehe ihm nur um die Analyse (ebd.).

Im Sinne einer barnesischen Performativität folgte der Akteur (JM) der Theorie des historischen Materialismus auch in den Bereichen der Ontologie und Autorschaft sowie der Ausführungsmediationen: So wurde etwa „Arbeit“ ein zentrales Metadatum für die Realität der Kulturproduktion. Musiker*innen seien deshalb keine Gruppe von Menschen, sondern sie würden eine bestimmte „Arbeitspraxis“ repräsentieren und diese müsse jeweils im Zusammenhang zu einer Industrie betrachtet werden, die eine Arbeitspraxis festlege (Quelle: Feldnotizen). Hierbei, so der Akteur, werde für die elektronische Musik eine widersprüchliche Idee vorgegeben: Die Arbeitspraxis entspreche einer Logik im Umgang mit akustischen Instrumenten, nämlich das unmittelbar physische Bedienen dieser Instrumente (ebd.). Als Gegenposition verfolgte er bestimmte Ausführungsmediationen. Der Akteur produzierte seine Musik nämlich lediglich mit einer Software, die keine Echtzeitmanipulation von Klängen ermöglichte (sondern bei der Parameter vorab festgelegt wurden, die dann von der Software zu Klängen umgerechnet werden). Die Ausführungsmediation repräsentierte eine Möglichkeit, dem „Widerspruch“ zu begegnen. Zudem markierte die vom Akteur gewählte Produktionstechnik eine Änderung gegenüber denjenigen Ausführungsmediationen, die in der EEM verbreitet waren. Diese würden stärker auf eine unmittelbare und physische Interaktion mit Instrumenten und Gerätschaften abzielen.

Bei einer Feststellung von barnesischen Performativität wie im Fall dieses Akteurs (JM) sowie allgemein zeigen sich zwei Schwierigkeiten: Die eine Schwierigkeit betrifft die Position der Akteur*innen selbst. Es kann keineswegs davon ausgegangen werden, dass sich immer ein solch starker, performativer Effekt einstellt. Vielmehr muss auf dessen Unwahrscheinlichkeit verwiesen werden. Offensichtlich wird dies bereits an der Tatsache, dass lediglich in einem der empirischen Fälle der vorliegenden Arbeit dieser Effekt festgestellt werden konnte. Grundsätzlich müssen sich die theoriegeleiteten Attachements gegenüber einer immensen Vielzahl von bereits etablierten Bezügen behaupten können, die sich gegenseitig validieren (vgl. Barnes 1983, S. 538). Ein sozialer Bereich müsste daher noch „unorganisiert“ sein (vgl. Fligstein und McAdam 2012, S. 109; siehe [3.2.2]), damit sich barnesische Performativität etablieren kann. Ist hingegen bereits eine feldeigene Organisationsweise vorhanden, kann diese Effektstärke höchstens über eine besondere Art der Fokussierung der Akteur*innen selbst möglich werden. Diese Schwierigkeit kann nochmals konzeptionell gefasst werden: Michel Callon (2021) folgend lassen sich verschiedene Mittel des Attachements unterscheiden. Die Übersetzung 1 und die daraus folgende Problematisierung verdeutlichen den Akteur*innen, dass eine bestimmte Theorie mit ihrer Situation korrespondiert. Es ist ein „Dialog“, der die ersten Attachments etabliert (Callon 2021, S. 270 f.). Mit der Übersetzung 2 wird mehr und mehr eine Nähe zwischen Theorie und den verschiedenen Bereichen der Kulturproduktion hergestellt: Es geht um mehr Möglichkeiten, wie übersetzte Theorien intervenieren können und eine Art der „Ko-Produktion“ erfolgen kann (vgl. Callon 2021, S. 273 f.). Damit sich die Attachments zu einer barnesischen Performativität entwickeln können, braucht es ein weiteres Mittel:

Starting and maintaining a dialogue is good. It is even better to orient the dialogue toward the codesign and coproduction […], which provides those for whom they are destined with margins of maneuver to experience and express what they want. As the affectation process proceeds from one device to another, things weigh more and more. But the most effective approach for attaching people is to manage the dialogue so that goods [GS: Theorien] condition behavior directly, become indispensable to the customers [GS: Kulturproduzent*innen], and throw them into a state of dependence that they cannot dream of leaving. […] to addict the user […] (Callon 2021, S. 278, eigene Hervorhebung)

Was zuvor als Fokussierung beschrieben wurde, erläutert Callon als „Sucht“: Jeder Bereich muss auf eine Abhängigkeit in Bezug auf die theoretische Formulierung ausgerichtet werden. Dies erfolgt natürlich nicht von alleine, sondern benötigt einen großen Aufwand (vgl. Callon 2021, S. 279). Für den oben beschriebenen Akteur hatte die performative Kulturproduktion teilweise einschneidende Konsequenzen für die Lebensführung und die Tätigkeiten in der Kulturwelt.

Die andere Schwierigkeit der barnesischen Performativität zeigt sich im Bezug zur Position, welche den Effekt analysieren und feststellen möchte. Denn die Stärke des performativen Effektes kann kaum mit abschließender Sicherheit bestimmt werden.Footnote 60 Insbesondere für den Bereich der Ausführungsmediationen kann nicht geklärt werden, ob die theoretische Perspektive wirklich für alle (oder nur für eine Vielzahl der) Mediationsweisen miteinbezogen wurde. Es könnten sich daher immer noch Produktionstechniken zeigen, die unabhängig von der Theorie durchgeführt wurden. Fehlt diese abschließende Sicherheit, könnte genauso argumentiert werden, dass zwar eine effektive Performativität über verschiedene Bereiche der Kulturproduktion vorzufinden ist, aber eben keine barnesische Performativität: Es wären trotzdem noch nicht-theoretisch-informierte Elemente der Kulturproduktion in den verschiedenen Bereichen vorhanden. Hierfür soll eine konzeptionelle Lösung vorgeschlagen werden. Von barnesischer Performativität lässt sich ausgehen, wenn folgende drei Bedingungen erfüllt sind: (1) In allen Bereichen der Kulturproduktion finden sich Aspekte vor, die gemäß einer theoretischen Perspektive ausgerichtet sind. (2) Zudem sollen in mehr als einem Bereich effektiv performative Effekte erfolgt sein, damit auf weitere Veränderung als Folge der Übersetzung 2 geschlossen werden kann. In den Bereichen der Kulturproduktion können dabei Aspekte vorhanden sein, die nicht gemäß dem theoretischen Konzept ausgerichtet werden. (3) Diese weiteren Aspekte dürfen allerdings der jeweiligen Akteurin nicht als Inkonsistenzen bewusst sein. Den drei Bedingungen folgend wurde beim oben beschriebenen Akteur (JM) die barnesische Performativität festgestellt.

5.4 Die Situation der neuen Prozesse durch Theorien

5.4.1 Dekonstruktion der Evidenzen

Nachdem die Verwendung der Theorien und die daraus folgenden performativen Effekte beschrieben wurden, geht es im Rahmen der dritten Situation des Ergebniskapitels darum, diese Verwendung in weiteren Zusammenhängen aufzufassen. Es sollen die neuen Prozesse der Kulturproduktion beschrieben werden, die mit der Performativität der kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien ermöglicht werden. Im aktuellen ersten Abschnitt wird hierzu eine allgemeine Ausgangslage für diese Situation verdeutlicht, mit der sich die Akteur*innen konfrontiert sehen. In den bisherigen Erläuterungen wurde die Ausgangslage der Performativität vor allem anhand der neuen Problematisierung festgemacht: In einer Kulturwelt wie der EEM etablieren die Studies theoretische Probleme und Interessen aus den Kultur- und Sozialwissenschaften, wodurch die entsprechenden Konzepte eine Relevanz für die Akteur*innen erhalten [5.2.15.2.2]. Diese Beschreibung markiert den Anfang der zentralen Erklärungsrichtung, mit der eine Wirkung der Theorie auf das Soziale beziehungsweise auf die Gesellschaft verdeutlicht wird. Ergänzend wird über eine andere Erklärungsrichtung die Wirkung der Gesellschaft auf die Theorie hervorgehoben. Diese Erklärung zeigt ebenfalls auf, wie Theorien in die Produktionsfelder gelangen. Jedoch wird der Beginn hierfür nicht in einer theoretischen Problematisierung gesucht, sondern in gesellschaftlichen Problemstellungen. Nicht nur eine Forschungsperspektive „verlangt“ daher nach Theorien, sondern auch andere gesellschaftliche Prozesse können im Zusammenhang mit theoretischen Konzepten stehen und deren Verwendung durch die Akteur*innen begünstigen. Diese Ergänzung der Ausgangslage für Performativität soll dabei nicht klären, wie Performativität tatsächlich abläuft (hierbei wird kein Unterschied zwischen den beiden Erklärungsrichtungen angenommen). Sie soll lediglich über eine andere Richtung den Weg der Theorien in die Kulturproduktion verdeutlichen.

Zur Ergänzung der Ausgangslage für Performativität können mindestens vier Aspekte beschrieben werden, die sich teilweise gegenseitig bedingen: Erstens kann auf Bestrebungen einer sozialen Welt verwiesen werden, die zu deren Emanzipation führen sollen. Das heißt, dass die Akteur*innen versuchen, ihre Praktiken oder Rollen als wertvoll zu fassen, diese im Hinblick auf andere Welten abzuheben oder abzugrenzen, und hierfür Wissenschaft als Mittel heranziehen. Dabei können sowohl spezifische theoretische Konzepte als auch allgemein eine komplexere, wissenschaftliche Sprache eine Ressource sein, die Emanzipation ermöglichen. Wichtig ist vor allem, dass der Ausgangspunkt für die Verwendung von Theorie nicht eine Problematisierung ist, sondern der Wunsch nach Emanzipation. Solche Emanzipationstendenzen können feldtheoretisch einem allgemeinen Streben der Kulturwelt nach Autonomie und symbolischer Anerkennung zugerechnet werden (vgl. Diaz-Bone 2010, S. 52; Bourdieu 1999). Die Verwendung von theoretischen Konzepten wird hierfür als eine legitime Strategie von Akteur*innen angesehen, wie im folgenden Zitat deutlich wird: „Für mich war bei der elektronischen Musik die deutliche Nähe zu Theorie ein wichtiger Pluspunkt gegenüber anderen Popstilen. Dank dem haben auch um die Jahrtausendwende das Feuilleton und der Hochkulturbetrieb dann doch ein Interesse daran gefunden – was zuerst strikt nur als stumpfes Bumm-Bumm abgetan wurde“ (Quelle: Materialsammlung). Ein Streben nach Emanzipation zeigt sich auch darin, dass es für EEM-Akteur*innen eine gängige Praxis ist, Fördergelder zu beantragen. Dabei wird unter anderem um die Anerkennung staatlicher Institutionen geworben (vgl. Britton 2016, S. 65). Emanzipationstendenzen stehen darüber hinaus im Zusammenhang zu einer bestimmten Rolle, die über die letzten drei Jahrzehnte mehr und mehr an Relevanz gewonnen hat: die Kurator*innen, die zwischen Produzierenden und Konsumierenden vermitteln sollen (Jansson und Hracs 2018; siehe auch [5.2.4]). Bei diesen Vermittlungsprozessen selbst als auch bei ihrer Rechtfertigung, weshalb es eine solche Rolle braucht, werden Emanzipationsbestrebungen einer Kulturwelt deutlich.

Zweitens kann nicht nur eine positive Emanzipation einer Kulturwelt betrachtet werden, sondern auch Entwicklungen, die vom Standpunkt der Akteur*innen aus eher negativ bewertet würden. Hierbei sind es weniger die Autonomiebestrebungen eines Feldes, die deutlich werden, sondern externe Veränderungen, die vergleichbare Tendenzen der Bewertung und Hervorhebung einfordern (vgl. Tschmuck 2013, S. 303 f.; Kropf i. E.). Das Beantragen von staatlichen Fördermitteln hängt etwa damit zusammen, dass immer weniger Einnahmen mit dem Verkauf von Tonträgern erzielt werden können (Lange und Bürkner 2013; Jansson und Hracs 2018). Der Relevanzverlust von Verkaufseinnahmen durch die Digitalisierung führt zu weiteren Emanzipationsformen: So erläuterte ein Musiker im Gespräch, dass er seine Rolle in den gängigen Distributions- und Wertschöpfungsweisen hinterfragen möchte, und verwies in diesem Zusammenhang auf zwei kulturwissenschaftliche Bücher. Eine weitere Emanzipation aufgrund von negativen Entwicklungen kann mit der sogenannten Demokratisierung der Musikproduktion verbunden werden (vgl. Cole 2011): Immer mehr Gerätschaften wurden ab den 1970er Jahren massenproduziert und konnten günstig erworben werden (vgl. Bürkner 2018, S. 51). Diese Entwicklung erreichte mit den digitalen Möglichkeiten des Computers ihren bisherigen Höhepunkt. Eine solche Demokratisierung hat nicht nur dazu geführt, dass eine größere Anzahl von Personen Musik produzieren kann. Gleichzeitig wurde auch immer mehr Musik produziert und veröffentlicht, die einer immer größeren Vielzahl von Musikgenres, -formen oder -stilen entspricht. Diese neue Vielfalt muss im Sinne einer Emanzipation ebenfalls beworben, vermittelt und vermarktet werden (vgl. Tschmuck 2013, S. 301; Huber 2018, S. 66). Wiederum können theoretische Konzepte für solche Emanzipationsbestrebungen als Ressource dienen.

Ein dritter Aspekt der erweiterten Ausgangslage für Performativität zeigt sich in Bezug zu der politischen Haltung der Akteur*innen: Verschiedenste Positionen aus dem politischen Spektrum stehen im Zusammenhang mit theoretischen Konzepten. Die Theorien zeigen sich dabei sowohl implizit als auch explizit in einer jeweiligen politischen Haltung und können sowohl kleinere als auch größere Relevanz für kultur- und sozialwissenschaftliche Ansätze haben. Ein vergleichsweises explizites Beispiel ist die dezidiert linke politische Haltung: Verorten sich Akteur*innen als „links“, so können sie über diese Position in Kontakt mit theoretischen Konzepten wie etwa dem Marxismus kommen und diese als relevant ansehen. Dieses Konzept entspricht allerdings nicht nur einer politischen Theorie, sondern stellt eine Grundlage für die Kultur- und Sozialwissenschaften dar. Für die Akteur*innen kann damit ein theoretischer Ansatz der Kultur- und Sozialwissenschaften Relevanz erhalten, weil er im Zusammenhang mit einer politischen Haltung steht. Für denjenigen EEM-Musiker (JM), der auf den historischen Materialismus Bezug nahm, war die theoretische Position insbesondere mit Politik verknüpft. Dies verdeutlichte er wie folgt im Gespräch: „Ich bin kein utopischer Kommunist, aber ich würde mich als Marxisten bezeichnen. Ich glaube überhaupt nicht an den Traum von der Revolution, aber ich praktiziere einen historischen Materialismus, und ich halte das für ein sehr wichtiges Analyseinstrument.“ (Quelle: Feldnotizen)

Der vierte Aspekt umfasst sehr verschiedene gesellschaftliche Themen, die ebenfalls mit theoretischen Konzepten in Zusammenhang gebracht werden können.Footnote 61 Beispiele für diese Themen sind etwa das Anstreben von Geschlechtergerechtigkeit und Diversität oder die Bekämpfung von sozialer Ungleichheit. Das Aufkommen eines „Bewusstseins“ für diese Themen, wie dies eine Akteurin in einem Gespräch beschrieb (Quelle: Feldnotizen), kann nicht eindeutig einem Forschungsinteresse oder einer politischen Einstellung zugeschrieben werden. Zudem werden die Themen gleichzeitig in verschiedenen sozialen Welten behandelt. Sie sind also keineswegs das alleinige Interesse eines sozialen Bereichs, obschon sie sich auf spezifische Art und Weise in einem Bereich zeigen können (wie etwa oben beschriebene Veränderung im Zusammenhang mit dem allgemeineren Thema der Digitalisierung; vgl. Hurwitz und Ordóñez Eslava 2022). Die Problematisierung der Themen mag nun in vergleichbarer Weise auch in den Kultur- und Sozialwissenschaften erfolgen. Gleichzeitig kann nicht in jedem Fall von einem direkten Einfluss einer theoretischen Position ausgegangen werden, der dazu führt, dass die Themen überhaupt erst für die Akteur*innen relevant werden (vgl. Bacevic 2021, S. 12). Für das vorliegende Untersuchungsinteresse ist hingegen relevant, dass die Beschäftigung mit diesen Themen wiederum die Verwendung von Theorien aus den Kultur- und Sozialwissenschaften befördern kann. Beispielsweise widmete sich ein Workshop eines EEM-Festival dem Thema, welche Formen von Rassismus in der Musikindustrie zu finden seien. Am Workshop selbst wurde den anwesenden Personen unter anderem das soziologische Konzept des „Tokenismus“ (Kanter 1977) erklärt.

Die gesellschaftlichen Problemstellungen etablieren mit der theoretischen Problematisierung eine gemeinsame Ausgangslage. Innerhalb dieser kumuliert sich eine bestimmte „Nebenfolge“ (vgl. Beck 1986, S. 31). Ein Bewusstsein für die beiden Problembereiche führt nicht nur zu mehr Wissen über die ablaufenden Prozesse in der Kulturwelt sowie zu möglichen Änderungen oder Verbesserungen. Gleichzeitig wird eine große Unsicherheit gegenüber bisherigen Evidenzen produziert: Die verschiedensten Prozesse einer Kulturwelt, die während längerer Zeit vorherrschten und Sicherheit boten, werden über die theoretische Problematisierung und die gesellschaftlichen Problemstellungen dekonstruiert. Die Dekonstruktion kann als ein eigentlicher Wertverlust verstanden werden, der sich in der Kulturproduktion zeigt: Die Klangproduktion selbst, aber auch Konsum-, Distributions- und Kurationsformen sowie die bisherige Art und Weise, über diese Aspekte nachzudenken, werden hinterfragt. Dabei kann die Dekonstruktion eher in einem starken Sinne erfolgen, wenn konkrete Probleme in Prozessen offensichtlich werden. Sie kann sich aber auch in einem eher schwachen Sinne zeigen, nämlich im Erleben, dass es noch weitere legitime Perspektiven und Sichtweisen auf einen Prozess gibt. In jedem Fall zeigt sich aber eine gemeinsame Nebenfolge: Die Dekonstruktion etabliert eine Unsicherheit gegenüber bisherigen Selbstverständlichkeiten im Zusammenhang mit Kulturproduktion.

Die Dekonstruktion der bisherigen Evidenzen ist dabei kein alleiniges Merkmal einer Kulturwelt wie der EEM. Vielmehr zeigen sich seit den 1990er Jahren vergleichbare Prozesse in verschiedensten Bereichen westlicher Gesellschaften, wie die soziologischen Zeitdiagnosen von Ulrich Beck (Beck et al. 1996a) und Anthony Giddens (1995) hervorgehoben haben. Was hier als Dekonstruktion und als Etablierung von Unsicherheit beschrieben wurde, erläutern sie als das „Reflexivwerden“ von sozialen Prozessen. Beck und ihm folgende Autor*innen verdeutlichen damit über einen vergleichbaren Prozess den Strukturbruch zwischen einer „Ersten“ und „Zweiten“ Moderne:

Erklärt man den Strukturbruch in diesem Sinne durch die Kumulation von Nebenfolgen grenzensprengender Marktgeneralisierung, Rechtsuniversalisierung, technischer Revolutionen etc. […], so erscheint der Übergang von der Ersten, nationalstaatlich geschlossenen zu einer Zweiten, sich selbst in Frage stellenden Moderne als Prozess, der nur begrenzt intendierten Veränderungen folgt und der somit in der Kontinuität „kapitalistischer“ Modernisierung verbleibt, die gemäß ihrer eigenen Logik die national und sozialstaatlichen Fesseln abstreift – in unserer Sprache: Basisprämissen aufhebt. Damit ist auch der zentrale Gehalt des Wortes „reflexiv“ angegeben […]. „Reflexiv“ meint nicht etwa, daß Menschen heute ein bewußteres Leben führen. Ganz im Gegenteil: „Reflexiv“ signalisiert gerade nicht ein „increase of mastery and consciousness, but an heightened awareness that mastery is impossible“ (Latour [2003a]). Denn aus der „einfachen“ wird eine „reflexive“ Modernisierung in dem Maße, wie die Modernisierung die Prämissen der Moderne entzaubert, wodurch sich am Ende die Voraussetzungen und Standards des Rechtsstaats, des Sozialstaats, der Nationalökonomie und des korporatistischen Systems ebenso auflösen wie die der parlamentarischen Demokratie; schließlich stehen auch tief eingeschliffene Muster von Normalbiographie, Normalarbeit und Normalfamilie auf dem Prüfstand und müssen neu ausgehandelt werden. (Beck et al. 2001, S. 19)Footnote 62

Anstelle der fortschreitenden Rationalisierung oder auch der Gewinnung von Unabhängigkeit werden Prozesse hinterfragt. Damit zeigen sich innerhalb gesellschaftlicher Institutionen Turbulenzen, mit denen Gewissheiten nicht mehr als solche angesehen werden und eine Politisierung von innen her erfolgt (Beck et al. 1996b, S. 9).Footnote 63 Wenn einmal diese durch soziale Prozesse selbst eingeführte Unsicherheit vorhanden ist, muss verhandelt werden, wie überhaupt noch Prozesse ausgerichtet und Entscheidungen getroffen werden können (vgl. Beck et al. 1996b, S. 12). Als Folge der Dekonstruktion müssen die Akteur*innen sich andere beziehungsweise neue Wege überlegen, wie ihre Prozesse gerechtfertigt werden können. Dies kann in einem fundamentalen Sinne erfolgen oder in einer ergänzenden Weise (vgl. Boltanski und Thévenot 2007, S. 289 f.), je nach Ausmaß, indem Prozesse problematisiert oder in Bezug zu gesellschaftlichen Problemstellungen gesetzt wurden. Zudem erleben nicht nur die produzierenden Akteur*innen im engeren Sinne eine solche Dekonstruktion, sondern auch konsumierende Personen sowie die vermittelnden und entscheidenden Instanzen.Footnote 64 Über alle Positionen hinweg kann sich in der Suche nach neuen Wegen der Prozess der reflexiven Modernisierung zeigen.

In der Kulturwelt der EEM sehen sich die Akteur*innen als Folge der Dekonstruktion unter anderem mit einer Situation konfrontiert, die mit Kritik gesättigt ist. Wie bereits kurz eingeführt [5.3.6], ist etwa die Vorstellung eines Genies kaum noch eine legitime Begründung für den Status des eigenen Schaffens. Insbesondere die Kultur- und Sozialwissenschaften haben genau diesen Status auf andere soziale Faktoren zurückgeführt (etwa die Feldposition als Resultat des Kapitalumfangs). Würde ein Akteur trotzdem einen Geniestatus als Rechtfertigung heranziehen, könnte sofort eine Kritik folgen. Die Akteur*innen haben daher einen enormen Zuwachs an Begründungen und Erklärungen erlebt, die bisherigen Evidenzen widersprechen. So beschrieb ein Musiker (HK) die Vorstellung des Genies sowie die damit verbundenen Vorstellungen einer transzendenten und immanenten Musikproduktion als „falsches Narrativ“:

HK::

Die meisten Künstler*innen wollen sich hinter einer Erzählung verstecken, die sich auf das Genie, die Immanenz oder die Transzendenz konzentriert. Ich möchte, dass sich die Erzählung über meine Arbeit um Prozesse dreht. Denn letztlich ist es das, was passiert, was wir alle tun: Wir folgen Prozessen, und dies können sowohl sichtbare als auch unsichtbare Prozesse sein; bewusst oder unbewusst. Diese Prozesse sollten so offen wie möglich dokumentiert werden, um die falschen Narrative darüber zu dekonstruieren, wie Musik gemacht wird. (Quelle: Materialsammlung).

Eine weitere Musikerin (EG) beschrieb die Dekonstruktion allgemeiner, indem sie auf eine „Gleichzeitigkeit“ verwies, welche die aktuelle Zeit ausmache. Als Akteurin sehe sie sich permanent mit verschiedensten gesellschaftlichen Themen gleichzeitig konfrontiert: „Es ist ja verhältnismäßig einfach, ein Richtig und Falsch zu definieren, wenn alles simpel und linear ist. Hier ist der Anfang, hier ist das Ende … Und nichts passiert nebenbei. Aber so ist das ja nicht mehr, schon lange nicht mehr“ (Quelle: Interview). Anstelle von klaren Unterscheidungen erleben die Akteur*innen daher eine Pluralisierung der bisherigen Zuordnungen sowie der dadurch ermöglichten Sicherheiten.

Kultur- und sozialwissenschaftliche Theorien spielen nun insofern eine Rolle, da mit diesem Wissen wiederum eine Sicherheit gewonnen werden kann (vgl. Giddens 1995, S. 58).Footnote 65 Neben den performativen Effekten, wie sie in der Situation der Verwendung der Theorien vorgestellt wurden, ermöglichen die Konzepte den Akteur*innen, alternative Erklärungen zu finden, um ihre dekonstruierten Prozesse begründen zu können und zu neuer Evidenz zu gelangen. Die Theorien bieten eine Möglichkeit, dem Zwang zur Rechtfertigung zu begegnen, der sich aufgrund der Reflexivität der sozialen Prozesse zeigt. Die Kultur- und Sozialwissenschaften liefern dabei sowohl kognitiv-szientistische als auch kulturell-hermeneutische Möglichkeiten, um Sicherheiten zu erlangen (vgl. Lash 1996a, S. 340; Oevermann 1988, S. 243 ff.). Erstere gehen stärker von den Sozialwissenschaften aus und etablieren Objektivierungen oder Vorschläge zur „Messung“, welche die Akteur*innen nutzen können. Kulturell-hermeneutische Strategien zur Gewinnung von Sicherheit gehen hingegen stärker von den Kulturwissenschaften aus: Sie etablieren ein Angebot von möglichen Interpretationsstrategien, mit denen die dekonstruierten Auslegungen ersetzt werden können. Unabhängig vom jeweiligen Schwerpunkt liefern die Disziplinen und ihre Konzepte Quellen der Sicherheit (vgl. Lash 1996a, S. 341): Sie sind ein möglicher Ersatz für dekonstruierte Sinngebungsprozesse.

5.4.2 Das benötigte „Mehr“

Der Zwang zur Rechtfertigung, der sich aus der Dekonstruktion der Evidenzen ergibt, kann über zwei sich ergänzende Betrachtungsweisen analysiert werden (Beck et al. 2001, S. 32 f.): Es können Reaktionen betrachtet werden, die entweder auf Legitimationskrisen oder auf Funktionskrisen reagieren, wobei hier insbesondere letztere hervorgehoben werden. Bei ersterer Betrachtungsweise wird ein Zwang zur Rechtfertigung explizit. In bestimmten Zusammenhängen sehen sich die Akteur*innen mit einer öffentlichen „Kritik“ konfrontiert, auf die sie reagieren müssen (vgl. Fine 2018, S. 173 ff.). Beispielsweise müssen sie im Rahmen ihrer Ausbildungen an Kunsthochschulen, an den Gesprächsformaten einer Kulturwelt oder auch in Interviews die eigenen Prozesse explizit begründen. In diesem Bereich hat die Dekonstruktion dazu geführt, dass bisherige Rechtfertigungsweisen nicht mehr als angemessen betrachtet werden und stattdessen eine theoretische Begründung vorgebracht wird. Diese erste Variante des Umgangs mit der Dekonstruktion reagiert auf eine Legitimationskrise in der öffentlichen Begründung, indem eine theoretische Reflexionsweise „vorgetragen“ wird (vgl. Beck et al. 2001, S. 33). Im Rahmen der zweiten Betrachtungsweise kann auf einen stärker impliziten und gleichzeitig weitreichenderen Umgang mit den Konzepten fokussiert werden. Dieser Umgang zeigt sich womöglich ebenfalls in expliziten Begründungsformen, taucht aber zusätzlich in anderen Prozessen auf. Denn es müssen nicht nur neue Legitimationen gefunden werden, sondern auch neue Produktionsprozesse. Die Dekonstruktion ist nämlich „Sand im Getriebe“ (Beck et al. 2001, S. 32) der bisher üblichen Arten und Weisen des „Machens“ (und nicht nur des „Begründens“). Es muss daher auch auf die Prozesse geachtet werden, die auf eine Funktionskrise reagieren (Beck et al. 2001, S. 33) und mit denen konkrete Aspekte der Produktion neu ausgerichtet werden. Diese Betrachtung nimmt zudem den spezifisch ontologischen Aspekt von Performativität ernst (vgl. Butler 2010, S. 14; siehe [2.1.1]): Die Verwendung von Theorien wird nicht nur als Zeichen aufgefasst.

Als Folge der Dekonstruktion erleben die Akteur*innen, dass ihre Kulturproduktion im engeren Sinne nicht mehr ausreicht. Im empirischen Material fanden sich immer wieder Aussagen, die darauf hinwiesen, dass die eigentlich zentralen Inhalte als mangelhaft empfunden wurden: Das Resultat der Kulturproduktion dürfe nicht nur ein Album, nicht nur ein Konzert und nicht nur ein DJ-Auftritt sein. Ein Fokus auf diesen zentralen Aspekt alleine wäre „unglaublich langweilig“, wie das ein Musiker (JM) ausdrückte, oder würde „zu wenig bieten“, wie das eine andere Musikerin (EG) beschrieb (Quelle: Feldnotizen bzw. Interview). Auch eine Organisatorin (DA) erläuterte, dass ein bestimmter Musiker nicht allein aufgrund seiner Musik für eine Veranstaltung gewählt wurde: „Wir hätten natürlich auch sagen können: Wir laden ihn jetzt ein für ein Konzert, denn er gefällt uns halt, also seine Musik. So war es aber nicht“ (Quelle: Interview). Auf dieselbe Weise wurden weitere Aspekte der Kulturproduktion in der EEM als mangelhaft aufgefasst: Ein Zeitschriftenredakteur erläuterte beispielsweise, dass er immer nach Texten suchen würde, die eben nicht „nur auf Ästhetik“ in der Besprechung von Musik eingehen (Quelle: Materialsammlung). In all diesen Fällen wurde deutlich, dass etwas Zusätzliches zur eigentlichen Kulturproduktion hinzukommen muss, damit die Produkte nicht als mangelhaft beschrieben wurden. Als neuer Prozess wird daher ein „Mehr“ in der Kulturproduktion benötigt.

Grundsätzlich kann das Mehr als eine Begründung verstanden werden, die von Akteur*innen für das vorgebracht wird, was sie tun, und die gegen eine antizipierte Kritik schützen kann. Es ist die Reaktion auf eine Legitimationskrise. In einem Gespräch zwischen zwei Akteur*innen der EEM, in dem die beiden Personen über Gemeinsamkeiten ihrer Musik sprachen, zeigte sich diese Begründung etwa wie folgt. Der eine Akteur erklärte: „Unsere Musik ist nicht futuristisch oder eine Vorstellung von zukünftigen Dingen. Und wenn sie referentiell ist, dann eher historisch referentiell als nostalgisch“ (Quelle: Feldnotizen). Insbesondere im zweiten Satz des Zitats wird bereits eine mögliche Kritik antizipiert, nämlich dass eine Musik „nostalgisch“ sein könnte, weil sie mit Referenzen auf ältere Musikgenres arbeitet. Gegen eine solche Kritik wird vom Akteur bereits das Mehr der eigenen Kulturproduktion hinzugefügt, nämlich dass die eigene Musik eben mit „historischen“ Referenzen arbeiten würde. Solche Begründungen und der damit ermöglichte Schutz vor Kritik werden von den verschiedenen Akteur*innen nicht etwa als komplexer, zusätzlicher Aspekt aufgefasst, der keinen Bezug zum eigentlichen Handeln in der Kulturwelt ausweisen könnte. Vielmehr wird dies als etwas Nützliches angesehen, das „ganz praktisch einen Mehrwert schafft“, wie das eine Akteurin erklärte (Quelle: Feldnotizen). Der Zwang zur Rechtfertigung und Begründung wird von den Akteur*innen daher als eine Chance erlebt (vgl. Giddens 1996, S. 116).Footnote 66 Da die Dekonstruktionen die Prozesse der Kulturproduktion in einen weiteren gesellschaftlichen Zusammenhang stellen, erleben die Akteur*innen das, was sie machen, als etwas Relevantes: Ihre Kulturproduktion hängt mit wichtigen sozialen Themen zusammen. Ein Freizeitaspekt kann stark politisiert sowie als Arena aufgefasst werden, in der die aktuellen Fragen einer Gesellschaft verhandelt werden. In jedem Fall wird Kulturproduktion mit mehr Begründungen ergänzt und erweitert.

Das Mehr gilt es nicht nur im Zusammenhang zu einer Legitimationskrise, sondern auch zu einer Funktionskrise zu betrachten. Diese zeigt sich etwa darin, dass Akteur*innen eine fehlende Passung zwischen den vorhandenen Bezeichnungen für ihre Rolle und ihren Tätigkeiten erleben. Begriffe wie Musikerin oder Künstler werden für die eigenen Tätigkeiten als unangemessen empfunden, da die Akteur*innen immer mehr Funktionen ausführen müssen und immer mehr Aspekte im Rahmen der Kulturproduktion wichtig werden. Diese Aspekte gilt es als mit der Mediation des Klangs ebenbürtig aufzufassen. In einigen Fällen beschrieben Akteur*innen das Mehr sogar als wichtiger als ihre Musikproduktion. Die veränderten Funktionsweisen zeigen sich auch darin, dass die Akteur*innen für das Mehr einen beträchtlichen Aufwand betreiben. Dies wurde bereits in den Beschreibungen der Gesprächsformate deutlich [5.2.5], kann aber nochmals erweitert werden. So verfügte ein EEM-Festival über eine zusätzliche Website für Forschungen zu „ökologischen und sozialwissenschaftlichen Themen“ (Quelle: Materialsammlung), die eigens betrieben wurde. Während das Festival mit den Konzerten und Partys alljährlich an vier Tagen stattfand, wurde die Webseite während des ganzen Jahres mit Inhalten ergänzt und zählt knapp 190 Beiträge von 26 Kulturproduzierenden, die so zum Teil des Festivals wurden. Der betriebene Aufwand wurde auch bei einzelnen Akteur*innen selbst deutlich, etwa beim Erlernen der konzeptionellen Themen, wofür viel Zeit investiert wurde. Der Aufwand floss aber auch in die Resultate der Kulturproduktion hinein: Klangliche Produktionen und Speichermedien wurden mit einer Vielzahl von weiteren Formaten ergänzt wie Interviews, langen Texten oder weiteren physischen Resultaten der Kulturproduktion. All diese zusätzlichen Aspekte machen deutlich, dass die bisherige Funktionsweise nicht angemessen ist. Es wird ein großer zusätzlicher Aufwand von den produzierenden Akteur*innen verlangt, der ergänzend zu den neuen Begründungen hinzukommt.

Um ein solches Mehr in der Kulturproduktion zu erreichen, greifen die Akteur*innen auf die Konzepte der Kultur- und Sozialwissenschaften zurück. Dabei können natürlich auch verschiedene andere Bezüge oder Möglichkeiten herangezogen werden, um die Eigenkomplexität der Resultate der Kulturproduktion zu erhöhen. Insbesondere das Veranstalten von Festivals und eine damit verbundene Tendenz einer „Eventisierung“ (Hitzler 2011) repräsentiert eine allgemeine Möglichkeit, ein Mehr in der Kulturproduktion zu schaffen. Die hier beschriebenen Aspekte im Zusammenhang mit den Theorien können dann als ein spezifischer Teil einer solchen Eventisierung aufgefasst werden (vgl. Reckwitz 2017, S. 170; Vogel 2023). Über die theoretischen Konzepte scheinen die Akteur*innen sicherstellen zu wollen, dass sie nicht einfach zufällige Themen mit ihrer Kulturproduktion ansprechen, sondern dass relevante Aspekte verdeutlicht werden. Ihre wissenschaftlich-konzeptionelle Absicherung darf aber nicht ausschließlich als Schutz gegen eine mögliche Kritik von anderen Personen verstanden werden.Footnote 67 Zusätzlich dazu erleben die Akteur*innen ihre Kulturproduktion als etwas, das einen Bezug zur sozialen Realität aufweist und in dem sie ein Erkenntnisinteresse verorten können: Das jeweilige Mehr wird zu etwas, was mit mehr Dingen im Zusammenhang steht und mehr Dinge erklären kann; es impliziert einen Ansatz der Welterklärung und des Weltverstehens. Die Rezipient*innen des Mehr können aufgrund eines Wissens um die Theorien den vorgebrachten Argumenten folgen und diese erweitern. Die theoretischen angereicherten Produktionsweisen sind eine Möglichkeit, die Eventisierung im Rahmen der Kulturwelt „authentisch“ zu betreiben.

Das Mehr kann an verschiedenste Themen anschließen und diese erweitern. Dessen Charakter kann nochmals besser erfasst werden, wenn zuerst auf mögliche Gegenpole verwiesen wird, um dann zu verdeutlichen, wie diese dennoch als Mehr verwendet werden können. Dies wäre beispielsweise eine technische Optimierung von Klangproduktion: Würde eine Entwicklung von solchen Techniken verfolgt, ohne weitere konzeptionelle Aspekte zu beachten, wäre dies nicht wirklich legitim in der Kulturwelt. Würden hingegen dieselben Techniken entwickelt und gleichzeitig mit weiteren Aspekten verbunden – etwa mit ethischen Fragen –, wäre dies ein Mehr von Kulturproduktion. Ein weiterer möglicher Gegenpol wäre eine Kulturproduktion, die lediglich auf Hedonismus abzielt: nur das Tanzen, das Feiern, den Rausch und so weiter verfolgt. Gleichzeitig könnten diese Aspekte im Rahmen eines Mehrs der Kulturproduktion aufgenommen werden oder zu einer Form des Erlebens des Mehrs werden, wenn sie theoretisch begründet würden und so wiederum auf etwas anderes abzielen könnten. Hedonismus wäre dann wahlweise ein Weg zum Ziel, eine logische Konsequenz oder eine sonstige Schlussfolgerung, die aus dem Mehr folgen würde, das mit der Kulturproduktion verdeutlicht wird. Ein letzter Gegenpol wäre eine bestimmte politische Haltung, die mit wenig Anspruch auf Komplexität formuliert ist. In einer solchen „naiven“ Form würde die Haltung noch nicht ausreichen als Mehr der Kulturproduktion. Vielmehr müsste sie genauer spezifiziert oder sonst irgendwie angereichert werden, wofür wieder theoretische Konzepte hinzugezogen werden könnten. Das Mehr kann so an verschiedenste Themen anschließen, die mit der Kulturproduktion verbunden sind.

Die beschriebene Erweiterung der Kulturproduktion gilt es als neuen Prozess aufzufassen, der sich in einer von Performativität beeinflussten Kulturwelt wie der EEM zeigt. Dies erlaubt es, verschiedene vergleichbare Beschreibungen zu bündeln, zu ergänzen und als Teil desselben Prozesses zu verstehen. In anderen Analysen der EEM werden beispielsweise die Multimedialität der Kulturproduktionen betont (Ludewig 2019, S. 74 f.) oder hervorgehoben, dass die Kulturproduktion in besonderem Maße „konzeptionell“ sei (vgl. Prior 2008, S. 309; Britton 2016, S. 67). Hinsichtlich der Multimedialität kann nun aufgezeigt werden, dass eine gleichzeitige Verwendung von verschiedenen medialen Techniken oder Kunstformen weiterhin von den Akteur*innen als defizitär ausgewiesen werden könnte. Erst eine bestimmte erklärende sowie verstehende Komponente eines Mehrs würde eine multimediale Kulturproduktion tatsächlich als legitim erscheinen lassen. Umgekehrt können im Vergleich sehr einfache und nicht multimediale Produktionen eine Legitimität leisten, sollte in den Produkten ein Mehr festgemacht werden können (vgl. Fine 2018, S. 84). Die Multimedialität selbst ist eine mögliche Strategie, aber nicht ausreichend. Auch der Fokus auf konzeptionelle Kulturproduktion wird ergänzt: So könnten als Konsequenz des Mehrs auch Konzepte in der Kommunikation weggelassen und vielmehr „praktische“ Aspekte in den Fokus gerückt werden. Dies könnte eine mögliche Schlussfolgerung aus dem Mehr sein, dass im Zusammenhang mit Kulturproduktion steht. Als neuer Prozess wird so deutlich, dass die Kulturproduktion sehr variabel sein kann für die Akteur*innen, solange kohärent ein Mehr damit zusammenhängt.

Diese Ausführungen zum Mehr können weiter mit Überlegungen zu kulturellen beziehungsweise singulären Gütern von Lucien Karpik und Andreas Reckwitz ergänzt werden (Karpik 2011; Reckwitz 2017; siehe [2.2.2]). Ihren Diagnosen folgend nehmen diese Güter in einer spätmodernen Gesellschaft eine zentrale Stellung ein und werden zu einem Vorbild für alle Einheiten des Sozialen (Karpik 2011, S. 20 f.; Reckwitz 2017, S. 12 f./118 f.). Dabei können insgesamt fünf „Qualitäten“ ausgemacht werden, welche die kulturellen Güter auszeichnen und aufgrund derer sie nicht mehr als allgemein, sondern als einzigartig und singulär gelten (Reckwitz 2017, S. 87 ff.).Footnote 68 Die ersten beiden sind die Grundqualitäten, nämlich (1) eine ästhetische und eine (2) narrative-hermeneutische Qualität. Während die ästhetische Qualität die klanglichen Aspekte selbst sind, können die ergänzenden Aspekte des Mehrs der zweiten Qualität zugeordnet werden: Es geht um Erzählungen, die implizit in den Gütern stecken (als Überlegungen der Produzentinnen oder Erklärungen der Konsumierenden), oder die explizit ausgeführt werden in Pressematerialen oder weiteren Paratexten. Die drei weiteren Qualitäten von kulturellen Gütern wurden zuvor als thematische Gegenpole des Mehrs eingeführt: (3) die gestalterische-produzierende, (4) die ludisch-hedonistische und (5) die ethisch-politische Qualität. Bei diesen drei ergänzenden Qualitäten muss eine zusätzliche Komplexität verdeutlicht werden, die erst über die narrativ-hermeneutische Qualität ermöglicht wird. Folgt man Reckwitz’ Auflistung der Eigenschaften, wird deutlich, dass im besonderen Maße die erste Qualität dekonstruiert wurde: Über eine Ästhetik wird nicht mehr unmittelbar eine Originalität oder eine Rarität eines Gutes deutlich, was dieses als singulär auszeichnen würde (Reckwitz 2017, S. 126). Auf der einen Seite problematisieren die Kultur- und Sozialwissenschaften eine Originalität der Ästhetik: Eine absolute Andersheit wurde nämlich in Beziehung gesetzt zu sozialen Faktoren und damit (je nach theoretischer Perspektive) erklärbar, vergleichbar oder gar vernachlässigbar. Auf der anderen Seite erschwerte insbesondere die Digitalisierung der Distribution eine Rarität der Musik, als andere Eigenschaft eines singulären Status.

5.4.3 Generische Performativität als Valorisierungsstrategie

Die eingeführten Überlegungen zum Mehr der Kulturproduktion verdeutlichen, dass sich mit dem Phänomen der Performativität eine bestimmte Art und Weise zeigt, wie die Qualitäten von Resultaten der Kulturproduktion verändert werden. Im Zentrum steht nun eine narrativ-hermeneutische Qualität, während eine ästhetische Qualität teilweise marginalisiert und als etwas aufgefasst wird, was noch nicht ausreicht.Footnote 69 Eine kultur- und sozialwissenschaftliche Narration bildet daher die Grundlage für eine „Valorisierung“ (vgl. Reckwitz 2017, S. 66): Sie lädt die Einheiten des Sozialen mit Wert auf. Die bisher beschriebenen Valorisierungen in der Situation der Verwendung der Theorien erfassten lediglich eine der Möglichkeiten, wie die Eigenschaften eines singulären oder allgemein kulturellen Gutes kreiert werden können: Es wurde diejenige Hervorbringung beschrieben, bei der ein Produkt erst gezielt produziert wird (vgl. Reckwitz 2017, S. 68).Footnote 70 Davon kann allerdings noch eine zweite Variante unterschieden werden. Reckwitz beschreibt diese als eine „Singularisierungsarbeit“, bei der „eine Idiosynkrasie (oder auch ein Exemplar des Allgemein-Besonderen) bereits vorhanden ist und im Zuge eines Reframings – also einer Art sekundären Produktion – singularisiert wird“ (Reckwitz 2017, S. 68). Mit dem „Reframing“ beziehungsweise der Neurahmung verweist er auf einen zeitlich nachlaufenden Aspekt der Valorisierung, betont aber gleichzeitig, dass auch ein Hervorbringen „auf bereits gegebene Elemente zurück[greift]“ (Reckwitz 2017, S. 69). Beide Varianten funktionieren als Arrangement, als „eine Zusammenstellung von Gegenständen, Texten, Bildern, Individuen etc. in ihrer Heterogenität, die sich zu einem möglichst stimmigen Ganzen zusammenfügen sollen“ (ebd.).

Die Neurahmung wird im Folgenden detaillierter als generische Performativität zur Valorisierung erläutert, um einen neuen Prozess der durch Performativität beeinflussten Kulturproduktion zu verdeutlichen. Zudem ermöglicht diese detaillierte Erläuterung eine klare theoretische Unterscheidung zwischen den beiden Valorisierungen. Die bisher erläuterten Effekte von Performativität [5.3.45.3.7], die mit einer Hervorbringung gleichgesetzt werden können, standen jeweils im Zusammenhang mit einer bestimmten Akteurin, deren Kulturproduktion und einem verwendeten theoretischen Konzept. Davon kann nun die spezifische Form der generischen Performativität zur Valorisierung unterschieden werden, die der Variante der Neurahmung entspricht. Die Dreierkonstellation kann nämlich auf zwei Weisen über einen zusätzlichen Akteur verändert werden: Auf der einen Seite kann der Akteur sich auf die Kulturproduktion einer Akteurin beziehen und deren verwendete theoretischen Beschreibung ebenfalls aufnehmen. Zwischen dem neuen Akteur, der Kulturproduktion und dem theoretischen Konzept tritt dann ein generischer performativer Effekt auf: Eine soziale Realität von Kulturproduktion wird neu vom Akteur ebenfalls über eine Theorie beschrieben. Für ihn selbst erfolgt dabei keine Veränderung der sozialen Realität (der generische Effekt ist unabhängig von der Effektstärke bei der produzierenden Akteurin). Auf der anderen Seite kann eine solche Valorisierung auch erfolgen, ohne dass die eigentlich produzierende Akteurin einen Theoriebezug ausweist oder indem der Akteur auf eine andere Theorie zurückgreift, als sie dies tut. Hier zeigt sich daher eine neue Verbindung zwischen dem Akteur, seiner Theorie und der Kulturproduktion der Akteurin, bei der wiederum ein generisch performativer Effekt erfolgt: Eine theoretisch-informierte Beschreibung durch den Akteur erfolgt für eine vorhandene soziale Realität, nämlich diejenige der produzierenden Akteurin (nun jedoch über eine andere Theorie). Über den Fokus auf den Umgang mit einem theoretischen Konzept lässt sich eine hervorbringende von einer neurahmenden Valorisierung unterscheiden.

Die zuvor erläuterten beiden Weisen der Neurahmung mittels generischer Performativität werden in der Abbildung [Abb. 5.11] nochmals schematisch von der bisherigen, hervorbringenden Performativitätsbeschreibung abgegrenzt, bevor sie dann über empirisches Material sowie zusätzliche Konzeptualisierungen weiter erläutert werden. Die erste Weise der neurahmenden Valorisierung zeigt sich insbesondere bei Rezensionen von Musikstücken, die von anderen Personen als den Produzent*innen verfasst wurden. Eine Theoriereferenz, die von der produzierenden Akteurin erwähnt wird – sei dies in einem Interview, einem Pressetext oder in einem Musiktitel – wird von einem Akteur aufgenommen, um ein Resultat der Kulturproduktion weiter zu diskursivieren. Dies erfolgt auch bei Rezensionen der Veröffentlichungen derjenigen Musikerin (BF), die in ihren Produktionen Bezug auf die Cultural Studies nahm. Ein rezensierender Akteur beschrieb dann die Musik wie folgt, wobei ein generisch performativer Effekt im Bereich der Ontologie und Autorschaft deutlich wird:

Abb. 5.11
figure 11

(Quelle: Eigene Darstellung)

Vergleich der Performativität als Hervorbringung und als Neurahmung

Subjektivität und Identität sind die Treiber für musikalische Differenzen. BF wusste das genau und zitiert [einen Vertreter der Cultural Studies], um zu erläutern, dass ihr neues Album eine Hommage an die eigenen Wurzeln in der britischen Arbeiterklasse ist. Während daraus nur ein weiteres nebulöses Punk-Klagelied hätte werden können, filtert BFs eigene Subjektivität diese Referenzen durch ritualisierte Geräuschstrukturen, um etwas Einzigartiges zu schaffen, das auf den idiosynkratischen Erfahrungen und Ohren einer Person beruht. (Quelle: Materialsammlung)

Eine solche Rezension kann nicht nur in schriftlicher Form erfolgen, sondern zeigt sich auch in Gesprächen, wenn Resultate der Kulturproduktion mit vorhandenen theoretischen Referenzen besprochen werden. Eine interviewte Person (AC) verwies etwa auf einen befreundeten Musiker, der in seinem Künstlernamen auf den französischen Wissenschaftstheoretiker Georges Canguilhem Bezug nahm: „Ja, was er macht, ist wirklich sehr Canguilhem-mäßig nicht?“ (Quelle: Interview).Footnote 71 Auch hier wird ein generisch performativer Effekt deutlich, der – sehr vage – eine Innovation im Bereich der Ausführungsmediationen hervorhebt und so eine Kulturproduktion valorisiert.

Die zweite Weise der neurahmenden Valorisierung zeigt sich dann, wenn ein generisch performativer Effekt unabhängig davon erfolgt, ob bei der produzierenden Akteurin ein Theoriekonzept explizit erwähnt wurde oder überhaupt vorhanden ist. Die Verbindung zwischen Akteurin und Theorie spielt hierbei also keine Rolle. Vielmehr nutzt ein anderer, valorisierender Akteur ein eigenes theoretisches Konzept, um die Kulturproduktion der Akteurin zu beschreiben. Wiederum ändert sich dabei die soziale Realität der Kulturproduktion nicht, sondern es zeigt sich ein generisch performativer Effekt. Die interviewte Person (DA), die ein EEM-Festival organisierte, verdeutlichte diese Valorisierung wie folgt: Zuerst erläuterte sie, dass ein von ihr gebuchter Künstler keine solchen Theoriebezüge aufwies: „Wenn ich jetzt überlege: Wieso haben wir [den Künstler] eingeladen? Da war jetzt nicht mehr so offensichtlich, so ‘ah, ja, Theorie’. Das ist nebulöser“ (Quelle: Interview). Trotzdem gab es für die Organisatorin theoretische Bezüge – von ihr als „soziologisch“ bezeichnet –, mit denen die Arbeiten des Künstlers valorisiert werden konnten. Diese Bezüge machten ihn sowie seine Musik interessant und veranlassten die Organisatorin dazu, den Künstler für eine Veranstaltung zu buchen:

DA::

Aus soziologischer Perspektive gäbe es natürlich Interessantes zu sagen, weil [der Künstler] natürlich ein Vertreter ist einer bestimmten „Do-it-yourself“-Kultur und die über einen sehr langen Zeitraum aufrechterhalten hat, trotz relativ großem Erfolg. Er bildet einen Gegenpol zu vielen anderen Erfahrungen, die man in der Musikkultur macht. Das wäre so ein Punkt: Die Ausdauer, die Hartnäckigkeit, das Beharren, sich nicht weiter zu verändern; die Authentizität, die daraus entsteht, und wieso das die Leute anbindet. Dann kannst du anfangen, dir Gedanken zu machen. (Quelle: Interview)

Eine eigene theoretische Perspektive (hier nun nicht explizit benannt) ermöglicht es der Interviewpartnerin, einen Künstler zu valorisieren, indem dessen normatives Praxisprinzip gerechtfertigt wird.

Neben den zwei grundsätzlichen Weisen der Valorisierung mithilfe generischer Performativität können einige weitere Aspekte erwähnt werden, die für beide gelten. In den empirischen Fällen wurde etwa deutlich, dass auch Wissenschaftler*innen bewusst angefragt wurden, um eine solche Valorisierung mittels generischer Performativität zu betreiben. Neben anderen Akteuren und Wissenschaftlerinnen kann zudem die produzierende Akteurin die neurahmend-valorisierende Rolle selbst übernehmen. Dies erfolgt dann, wenn eine Wertzuschreibung über Theorie für die eigenen, zeitlich weiter zurückliegenden Kulturproduktionen betrieben wird. Unabhängig von der jeweiligen Rolle können die valorisierenden Akteur*innen eine Kombination der beiden Arten der Neurahmung verfolgen: Dies wäre der Fall, wenn eine Akteurin bereits auf Theorie verweist und der zusätzliche Akteur eine weitere theoretische Perspektive miteinbezieht, um eine Valorisierung zu betreiben. Die zuvor erwähnte Interviewpartnerin (DA) buchte auch Künstler*innen, die eine theoretische Perspektive auswiesen. Dies bot die Möglichkeit, sowohl eine Valorisierung mittels der Konzepte der produzierenden Künstler*innen zu betreiben als auch eine performative Kulturproduktion nochmals mit einer eigenen theoretischen „Brille“ zu beurteilen. Zuletzt gilt es zu verdeutlichen, dass Kritik von Akteur*innen immer einer hervorbringenden Valorisierung zugerechnet werden sollte, und nicht der hier präsentierten Neurahmung. Die Abbildung [Abb. 5.12] erläutert dies schematisch.

Abb. 5.12
figure 12

(Quelle: Eigene Darstellung)

Abgrenzung der performativen Effekte der Kritik gegenüber der neurahmenden Valorisierung

Eine negative Valorisierung, die in Bezug zu einem performativen Effekt steht, muss immer in Verbindung der Dreierkonstellation Akteurin – Kulturproduktion – Theorie erfasst werden. Kritik nimmt stets auf eine eigene Vorstellung von Kulturproduktion Bezug, bevor diejenige eines anderen Akteurs kritisiert wird. Diese Vorstellung kann zwar nur sehr implizit vorhanden sein. Gleichzeitig gilt es, die performativen Effekte im Rahmen dieser Kombination zu verorten (siehe die Kritikstrategien in [5.3.45.3.6] sowie [5.3.9]) und nicht als Teil der in diesem Abschnitt erläuterten, neurahmenden Valorisierungsstrategie.

5.4.4 Die Metaebene der performativen Kulturproduktion

Die Verwendungsweisen von Theorie in der Kulturproduktion, die bisher dargestellt wurden, beschreiben alle einen „experimentellen“ Umgang mit den Konzepten (vgl. Reckwitz 2021, S. 147): Die Theorien dienen als Werkzeug, mit dem die soziale Realität neu aufgefasst oder verändert wird. Auch in den zuvor verdeutlichten, neurahmenden Valorisierungen dienten die Konzepte als ein solches Werkzeug, entweder in Bezug auf die Kulturproduktion von anderen Personen oder aber in Bezug zu eigenen, zeitlich weiter zurückliegenden Produktionen. Gleichzeitig wurde im vorherigen Abschnitt ein weiterer Aspekt von performativer Kulturproduktion deutlich: Die verschiedenen Akteur*innen der EEM nehmen die Verwendung der Theorien durch andere Personen ebenfalls wahr. Das heißt, dass performative Kulturproduktion ein Prozess ist, der den Akteur*innen oftmals bewusst ist. Dies zeigte sich auch in anderen Abschnitten dieses Ergebniskapitels, etwa bei den Intermediationsformen, die Theorien an die Akteur*innen vermitteln [5.2.3]: Die Akteur*innen legen im Rahmen ihrer Ausbildung an einer Kunsthochschule eine Erwartungshaltung gegenüber Theorie an den Tag und implizieren damit, dass theoretische Konzepte Teil einer Kulturproduktion sein sollten. Weiter wurde die Wahrnehmung von performativer Kulturproduktion bei der Kritik in der Übersetzung 2 deutlich [5.3.8]: Ausgangspunkt dieser Kritik war es, dass eine Übereinstimmung hinsichtlich der Verwendung einer Theorie zwischen zwei Akteur*innen vorherrscht, bevor ausbleibende Effekte in weiteren Bereichen der Kulturproduktion angeprangert werden.

Die Tatsache, dass die Akteur*innen sich der Verwendung von Theorien durch andere produzierende Personen bewusst sind, erlaubt, einen weiteren Umgang mit den theoretischen Konzepten einzuführen. Das Bewusstsein führt nämlich dazu, dass die Akteur*innen die Verwendungen der anderen Personen kommentieren: Die Arte und Weise, wie Theorie verwendet werden soll, wird von den Akteur*innen reflektiert und normativ besprochen. Auch weitere Aspekte, die im Zusammenhang zur performativen Verwendung von Kulturproduktion stehen und im Rahmen dieser Forschungsarbeit eingeführt wurden, sind den Akteur*innen durchaus bewusst und werden verhandelt.Footnote 72 Hier soll aber lediglich die Verhandlung von performativer Kulturproduktion präsentiert werden. Denn damit wird neben dem experimentellen Umgang ein sogenannter „theoretizistischer“ Umgang mit Theorien deutlich (Reckwitz 2021, S. 144): Die Akteur*innen fühlen sich durch die Theorieverwendung von anderen Produzierenden „herausgefordert“ und sie können versuchen aufzuzeigen, dass eine bestimmte Verwendung nicht funktioniert. Oder sie heben in einem positiven Sinne die Verwendungsweise als korrekt hervor. Es zeigt sich also ein der Kulturwelt interner Diskurs über die Verwendung der Theorien, der als Metaebene bezeichnet werden kann. Dies ist als neuer Prozess der Kulturproduktion in Bezug auf Performativität aufzufassen.

Auf der Metaebene zeigt sich zuerst eine grundsätzliche Einschätzung von performativer Kulturproduktion: Die Akteur*innen vertreten eine bestimmte Haltung dahingehend, ob den Theorien ein Potenzial für Veränderungen der Kulturproduktion zuzuschreiben ist oder nicht. Sie können dabei die Position vertreten, dass starke performative Effekte erfolgen, oder aber der Meinung sein, dass Theorien lediglich als zusätzliche Beschreibung fungieren, ohne dass eine Veränderung der Kulturproduktion erfolgt. Die Einschätzung der Effektstärke kann als erste Dimension der Metaebene aufgefasst werden und mit einer weiteren, normativen Beurteilung der Wirkungsweise ergänzt werden. Als zweite Dimension können die Akteur*innen nämlich den Grad der Veränderungen allgemein als erstrebenswert oder eher als schlecht bewerten. Zwischen den beiden Dimensionen zeigt sich dann etwa ein positiver Zusammenhang: Größere Veränderungen werden als etwas Erstrebenswertes angesehen und geringere Veränderungen als etwas Schlechtes eingeschätzt. Im folgenden Zitat einer interviewten Person (BF) wird eine solche Einschätzung von schwachen performativen Effekten deutlich: „Ich habe einen ziemlich zynischen und abgestumpften Blick auf diese theoretischen Referenzen. Du sagst: ‚Dies passiert, das passiert, vielleicht passiert auch gar nichts.‘ Ich erlebe, dass meistens gar nichts passiert. Das ist doch nur eine Kommerzialisierung, um Alben zu verkaufen“ (Quelle: Interview). Die Kombination der beiden Dimensionen kann aber auch in einem negativen Zusammenhang stehen: Eine ausbleibende Veränderung wird gelobt oder größere Veränderungen werden als schlecht empfunden. So wurde etwa geäußert, dass die Verwendung der Theoriekonzepte in Ordnung gehe, da wichtige Merkmale der EEM nicht wirklich verändert würden. Oder den Theorien wurde ein großer Einfluss zugesprochen, der zu negativen Auswirkungen führe, weil „das Potential der Musik“ eingeschränkt würde (Quelle: Materialsammlung).

Bei der soeben erläuterten, grundsätzlichen Einschätzung von Performativität wird deutlich, dass keine einheitliche Vorstellung der Wirkungsweisen von Theorien in der Kulturwelt vorherrscht. Die Unterschiede in den Vorstellungen können in Zusammenhang gebracht werden mit den verschiedenen Intermediationsformen, mit denen die theoretischen Konzepte an die Akteur*innen vermittelt werden [5.2.3]. Relativ eindeutige Positionen scheinen von den Formen des Marktes und der Interaktion etabliert zu werden: Im Rahmen des Marktes wird ein detaillierter Umgang mit Theorie erlernt (insbesondere bei einem kultur- oder sozialwissenschaftlichen Studium). Bei einem entsprechenden „korrekten“ Umgang können die Akteur*innen ein großes und erstrebenswertes Potenzial der Performativität festmachen. Die Form der Interaktion und deren persönliche Vermittlung der Konzepte scheint hingegen zu einer eher negativen Einschätzung von Performativität zu führen, insbesondere bei größeren Veränderungen. Erst eine sehr unmittelbare Erfahrung der Theorie, wie sie eben die Interaktionsform ermöglicht, scheint einen legitimen Umgang mit den Theorien zu konstituieren. Ist diese Umgangsweise nicht vorhanden, wird auch den Theorien kein großes Veränderungspotenzial zugeschrieben. Aus den anderen beiden Intermediationsformen des Netzwerks und der Institutionen folgen hingegen ambivalente Einschätzungen auf der Metaebene: Die teilweise negative Bewertung von ausbleibenden Effekten kann eher noch dem Netzwerk zugeordnet werden; dies im Sinne einer Enttäuschung darüber, dass ein in der Kulturwelt immer wieder auftauchendes Konzept keine Wirkung zeigt. Eine teilweise positive Einschätzung von ausbleibenden Effekten wäre hingegen als Folge der Intermediationsform der Institution denkbar. In dieser Form wird die Wissenschaft als Maßstab angesehen, der eine Theorieverwendung beurteilt. Ein eigenes (negatives) Urteilen über eine Theorieverwendung wird hingegen den Akteur*innen in der Form der Institution weniger vermittelt. Ausbleibende Effekte müssten daher zumindest nicht von den Akteur*innen kritisiert werden.

Im Anschluss an die präsentierte Ausgangslage lassen sich folgende beiden Aspekte genauer betrachten: Zuerst lässt sich fragen, welche Diskursstrategien (vgl. Diaz-Bone 2010) von den Akteur*innen auf der Metaebene verfolgt werden. Danach können die Funktionen aufgelistet werden, die von der Metaebene im Sinn eines Dispositivs in der Kulturwelt etabliert werden.

Diskursstrategien auf der Metaebene

Auf der Metaebene zeigen sich drei verschiedene Inhalte, die von den Akteur*innen in Bezug auf Performativität verhandelt werden und an denen die Diskursstrategien ausgerichtet werden. Diese werden im folgenden längeren Zitat eines Interviewpartners (KN) deutlich. Er verweist dort auf eine bestimmte Person (M1) und kontrastiert deren Kulturproduktion im weiteren Verlauf mit einer anderen Person (M2). Für beide Personen erläutert der Akteur zudem eine bestimmte Art und Weise, wie diese Personen mit den theoretischen Konzepten umgehen. Zuletzt erklärt er im Zitat noch, welche Theorien für ihn hilfreich seien und welche nicht.

KN::

Es gibt durchaus Leute, die Theorie für sich nutzbar machen konnten. [Musiker M1] ist für mich immer noch das treffendste Beispiel: Was ich in irgendwelchen Büchern gelesen habe, hat er eng mit dem eigenen Leben zusammengedacht. Er konnte daraus etwas erschaffen, mit dem er die Zeit und den Raum angeht, in dem er drinsteckt. Das merkt man den Leuten schnell an, wenn sie nicht nur „Namedropping“ betreiben, sondern einen Begriff so gebrauchen, als wäre es der eigene. Dann musst du auch nicht das Buch gelesen haben. Denn eine solche Person wie [M1] kann sagen: „das und das“ – und das macht dann Sinn. Dazu kommt: Es gibt auch Leute, die sich einfach gut Dinge ausmalen können. Das ist auch sehr interessant. Ich weiß noch [Musikerin M2], als ich gemeinsam mit ihr eine Show organisiert habe, hat auch einfach irgendwelche Geschichten erzählt, und dabei so Begriffe gebraucht, so theoretische Konzepte. Total daneben, haarsträubend. […] Es ist eine enorme Perspektivenfrage, was man mit den Theorien macht. Das beste Beispiel ist Latour; darum erwähn’ ich den immer. Ich habe das Gefühl, der hilft mir sehr, Sachen zu verstehen. Aber andere Konzepte wiederum nicht, etwa Foucault: Panoptikum dies und Panoptikum das. Ob das interessant wäre, ist die andere Frage. Mir hilft das nicht. (Quelle: Interview)

Die drei im Zitat auftauchenden Inhalte – (1) Auswahl der Theorie, (2) Umgang mit Theorie und (3) die Personen, die Theorien verwenden – können detaillierter als Diskursstrategien der Metaebene erfasst werden.

Bei der Auswahl der Theorie verhandeln die Akteur*innen, welche Konzepte zur Anwendung kommen sollen und welche nicht (im Sinne einer Spezifizierung des Theoriekanons, der durch die Studies vermittelt wird [5.2.2]). Während die Akteur*innen im Prozess der Anrufung eine Theorie als für ihre eigene Kulturproduktion relevant erleben (siehe [5.3.1]), wird hier nun explizit verhandelt, weshalb ein jeweiliges Konzept das „richtige“ ist oder nicht. Dafür dienen den Akteur*innen diverse Kriterien: Eine Position kann etwa sein, dass ein theoretisches Konzept aktuell ist, während ein anderes schon veraltet sei. Ebenfalls kann Bekanntheit wie vermeintliche Obskurität eine Begründung sein, dass eine bestimmte Theorie verwendet werden soll oder nicht. Nicht zuletzt wurde von gewissen Akteur*innen die Position vertreten, dass ein theoretischer Text „leicht“ und „schön“ zu lesen sein müsse. Egal welches Kriterium herangezogen wird: Es geht darum, dass die Akteur*innen erfassen, ob ein bestimmtes Konzept zur Verwendung im Rahmen der Kulturproduktion angemessen ist oder nicht. Diese Auswahl wird oftmals über eine*n bestimmte*n Autor*in verdeutlicht. Die tabellarische Auflistung [Tab. 5.1] liefert daher einen Überblick zu den Theoretiker*innen, die im empirischen Material aufgetaucht sind. Die Reihenfolge gibt einen Anhaltspunkt zu der relativen Häufigkeit, mit der die Namen im Material vertreten waren. Gleichzeitig sollten die Ränge aufgrund des theoretischen Samplings nicht überinterpretiert werden. Es geht lediglich um einen illustrativen Überblick.

Tab. 5.1 Übersicht der im empirischen Material erwähnten Theoretiker*innen

Neben der Auswahl der Theorien verhandeln die Akteur*innen auch den spezifischen Umgang mit den theoretischen Konzepten. Denn ein anderer Musiker kann gemäß der Meinung einer Akteurin die richtige Theorie ausgewählt haben, aber „falsch“ damit umgehen. Dies kann sehr grundsätzlich verhandelt werden, wie im folgenden Zitat einer Musikerin (AC) deutlich wird: „Es gibt eine Tendenz, die Theorie falsch zu betrachten. Die Leute benutzen die Theorie, um Dinge abzuleiten. Ich denke also nicht, dass die Leute sich etwas ansehen und dann rückwärts davon arbeiten [hin zur Theorie]“ (Quelle: Interview). Ergänzend zu solch fundamentalen Aspekten zeigt sich eine Vielzahl von weiteren Überlegungen, welche die Akteur*innen vorbringen können. So kann der Umgang mit Theorie als zu „oberflächlich“ beschrieben und ein komplexerer Umgang eingefordert werden. Oder es kann umgekehrt hervorgehoben werden, dass ein sehr freier Umgang mit theoretischen Konzepten wichtig sei. Ebenfalls wird verhandelt, wie explizit die Verweise auf Theorien erfolgen sollen. Auch die Rezeptionsweise wird besprochen: Reicht es beispielsweise aus, eine Theorie zu kennen, oder muss der entsprechende Text vertieft gelesen werden? Teil der Rezeptionsweise kann auch die mediale Form des Textes sein, also ob er als Buch oder elektronisches PDF vorliegen sollte. Nicht zuletzt wurde der Kontext einer jeweiligen Kulturproduktion für den Umgang mit den theoretischen Texten hinzugezogen. Ein Akteur bewertete etwa die performative Verwendung von Theorie negativ, wenn diese außerhalb einer Bildungsinstitution stattfand, da so die Rezeption der Theorie nicht vertieft genug erfolgen könne. So werden verschiedene Arten und Weisen deutlich, welche die Akteur*innen als richtigen oder falschen Umgang mit Theorien interpretieren.

Die dritte Diskursstrategie auf der Metaebene bezieht sich auf die Personen, welche die Theorien im Rahmen ihrer Kulturproduktion verwenden. Das heißt, es wird bestimmten Personen die Möglichkeit für die richtige performative Kulturproduktion zu- oder abgesprochen. Die Akteur*innen schätzen daher das Potenzial für Performativität bei anderen Personen jeweils unterschiedlich ein. Dies zeigte sich etwa darin, dass ein interviewter Musiker (CD) aus der Kulturwelt selbst ein theoretisches Konzept verwendet, anderen Personen aber genau dieses Wissen nicht zutraute. Während in dem Beispiel der Musiker anderen Personen überhaupt keine Verwendung der Theorien zutraute, gibt es natürlich auch Abstufungen. Ein besonderer Fall der Abstufung wäre etwa folgender: Eine Akteurin könnte zwar eine Auswahl von sowie den Umgang mit einem theoretischen Konzept bei einer anderen Person als „richtig“ empfinden, dann aber trotzdem diese Person und ihre Kulturproduktion ablehnen. Das, was die Person in ihrer Kulturproduktion macht, ist möglicherweise nicht interessant oder wird gar als „falsch“ beurteilt, obschon der Aspekt der performativen Kulturproduktion anerkannt wird.

Neben den einzelnen Diskursstrategien auf der Metaebene zeigen sich Merkmale, die quer stehen beziehungsweise überall auftreten. Ein solches Merkmal wurde zuvor implizit bereits angesprochen: Die drei Strategien stehen nicht direkt in einem Zusammenhang, sondern funktionieren teilweise unabhängig voneinander. Eine negative Beschreibung eines Aspektes führt nicht notwendigerweise zu einer negativen Einschätzung bei einem anderen. Dies zeigt sich insbesondere in Bezug auf Personen: Wenn ein Akteur eine andere Person und deren Kulturproduktion schätzt, dann kann ein als „falsch“ beschriebener Umgang mit Konzepten durchaus ignoriert werden. Dies beschrieb ein Interviewpartner (KN) in Bezug auf eine befreundete Künstlerin wie folgt: „Sie orientiert sich sehr an den theoretischen Konzepten und arbeitet mit denen teilweise auch etwas stümperhaft. Sie denkt sich ihre Sachen halt anders und es ist eigentlich … Es wird wieder interessant“ (Quelle: Interview). Ein weiteres allgemeines Merkmal ist, dass die Wissenschaft und deren Verwendung von Theoriekonzepten nicht der zentrale Vergleichspunkt für die Metaebene ist. Die Akteur*innen qualifizieren daher eine Auswahl von Theorie und den Umgang mit den Konzepten nicht in Bezug auf Wissenschaft, oder anders: Sie sehen eine Wissenschaftlerin nicht als die optimale Person für performative Kulturproduktion an. Die Einschätzungen erfolgen vielmehr mit Bezug auf die Kulturwelt. So war für eine interviewte Akteurin (MP) zwar klar, dass es in einer wissenschaftlichen Weise inkorrekte Verwendungen von Theorien geben kann. Das damit verbundene Richtig und Falsch war aber für ihre Position auf der Metaebene nicht relevant: „Es kann besser und schlechter gemacht werden. Aber es kann ja auch was Spannendes haben, wenn es überhaupt nicht richtig ist.“ (Quelle: Interview)

Die Metaebene als Dispositiv

Die Metaebene und die dabei erfolgenden Verhandlungen bieten einige Funktionen für die Akteur*innen einer Kulturwelt. Neben der grundsätzlichen Einschätzung von performativer Kulturproduktion, die oben erläutert wurde, werden weitere Verortungen ermöglicht: So kann in Bezug zur Metaebene auch ein Urteil zu Resultaten der Kulturproduktion selbst gefällt werden. Die zuvor bereits zitierte Akteurin (BF), die vor allem schwache performative Effekte erwartete und diese bereits negativ beurteilte, erweiterte dies auf mögliche stärkere performative Effekte: „Manchen Produzent*innen glaube ich wirklich, dass sie sich hingesetzt, die Theorien gelesen und intellektuelle Vorstellung davon entwickelt haben, was sie tun werden. Der Grund, warum ich ihnen das glaube, ist, dass ihre Musik oft wirklich stumpf und langweilig ist“ (Quelle: Interview). Daneben lassen sich auch Personen über die Metaebene einschätzen: So wurde etwa ein bestimmter Künstler von verschiedensten Interviewpartner*innen hervorgehoben, weil sie dessen Ansatz der performativen Kulturproduktion schätzten. Die Akteur*innen waren daran interessiert, was dieser Künstler zu verschiedensten Themen zu sagen hatte. Nicht zuletzt ermöglicht die Metaebene, die eigene Kulturproduktion einzuschätzen und mit anderen abzugleichen. Dies erläuterte etwa eine Interviewpartnerin (MP), indem sie ihre eigene Kompetenz bei der Einschätzung der Theorieverwendung von anderen Personen beschrieb:

MP: Ich müsste [beim Einschätzen von anderen Leuten] sowieso vorsichtig sein. Ich bediene mich dieser theoretischen Sprache gar nicht – ich könnte das gar nicht. Ich versuche also überhaupt nicht, auf die Begriffe zurückzugreifen. Weil ich weiß, dass ich wohl schnell auffliegen würde. Gleichzeitig funktioniert das auch anders rum: Ich muss vorsichtig sein, mit dem Finger auf jemand zu zeigen und zu sagen: ‘Ahh, da, nur so eine oberflächliche Verwendung [der Theorie]!’ (Quelle: Interview)

Die zentrale Funktion der Metaebene, die anhand der verschiedenen Einschätzungen deutlich wird, ist die Generierung von symbolischem Kapital in der Kulturwelt. Das heißt, das Vertreten einer bestimmten Theorieauswahl und eines bestimmten Theorieumgangs sowie die Einordnung von Personen ist eine Strategie, wie die eigene Position hervorgehoben wird und/oder andere Positionen diskreditiert werden. Es ist ein Distinktionsprozess auf der Metaebene, der vor allem der Binnendifferenzierung in der Kulturwelt dient.Footnote 73 Mit diesen Verhandlungen wird feldtheoretisch gesehen „Prestige“ oder „Reputation“ erlangt und um eine „Position der Autorität“ gekämpft (Diaz-Bone 2010, S. 52 f.). Eine solche Art der Gewinnung von symbolischem Kapital weicht teilweise davon ab, was bei Feldern in einem konzeptionellen Sinne üblich wäre (vgl. Bourdieu 1999, S. 88 ff.; siehe [3.2.2]). Denn theoretisch erwartbar wäre, dass Akteur*innen symbolisches Kapital zu gewinnen versuchen, indem sie auf „reine“ Musik pochen würden, die frei von irgendwelchen Einflüssen sein müsse. Diese Gewinnung des symbolischen Kapitels zeigte sich auch in einigen Fällen der EEM: als spezifische Position im Rahmen der Metaebene, die sämtliche theoretischen Referenzen ablehnt. Sie repräsentiert aber nur eine mögliche Position neben einer Vielzahl anderer erfolgreicher(er) Varianten, wie die Akteur*innen über die Metaebene ihre Reputation zu erweitern versuchten.

Mit Bezug auf die eben erläuterte, theoretisch-erwartbare Form der Generierung von symbolischem Kapital kann ein weiterer Aspekt der Metaebene als Dispositiv verdeutlicht werden: Selbst diejenigen Akteur*innen, die eine „reine“ Musik auf der Metaebene vertreten, tun dies in einigen Fällen über einen Bezug auf Theorie. Auf der einen Seite ist dies möglich, wenn Akteur*innen die Position vertreten, dass Kulturproduktion ganz ohne theoretische Elemente erfolgen soll, und zur Begründung dieser Position eine theoretische Argumentation nutzen. Ein Musiker erläuterte beispielsweise, dass er vor allem das machen wolle, was ihm Freude bereite, und er „unmittelbar“ und ohne Konzepte arbeiten möchte (Quelle: Feldnotizen). Zur Begründung dieser Vorstellung bezog er sich allerdings auf Überlegungen des Künstlers und Autors James Bridle und dessen Buch The New Dark Age (2019).Footnote 74 Auf der anderen Seite zeigen sich aber auch Akteur*innen, die in der Vergangenheit eine Form der theoretisch-informierten Kulturproduktion betrieben hatten, bevor sie auf der Metaebene eine solche komplett ablehnten. Bei beiden Varianten wird Folgendes deutlich: Sind die Konzepte in einer Kulturwelt etabliert, so wird es schwierig, sich von diesen theoretischen Grundlagen vollständig zu lösen. Die Theorieverwendung und die Verhandlung der Theorieverwendung zeigt sich daher fast als Zwang, dem die Akteur*innen nicht ausweichen können. Selbst die explizite Vorstellung einer komplett theoriefreien Kulturproduktion ist nur aufgrund der Tatsache möglich, dass eine theorie-informierte Kulturproduktion offensichtlich ist.Footnote 75

Abschließend kann auf einen weiteren allgemeinen Aspekt verwiesen werden, welcher den Akteur*innen die Verhandlung der Verwendung von Theoriekonzepten ermöglicht. In der ganzen Beschreibung der Metaebene wurde immer wieder Folgendes deutlich: Es findet sich keineswegs eine einheitliche Vorstellung von performativer Kulturproduktion in der Kulturwelt. Anstelle einer stabilen Form, die Vergleichbarkeit etabliert und einheitliche Bewertungen ermöglicht, zeigen sich interne Distinktionsprozesse. Mit dieser Unklarheit wird die Verwendung der Theorie als etwas vermittelt, das eigentlich „magisch“ bleibt und dessen genauer Ablauf nie wirklich im Detail besprochen wird beziehungsweise einheitlich erfahrbar wäre. Es wird zwar der Umgang mit Theorien diskutiert, aber nicht wie genau diese in der Kulturproduktion „funktionieren“ sollen. So beschreibt ein Musiker im Interview in einer Zeitschrift der Kulturwelt, dass seine Produktion untrennbar verknüpft sei mit Kulturtheorie und Kritischer Theorie. Auf die Nachfrage der Journalistin nach dem Wie erläuterte er dann lediglich: „Wir brauchen neue Wege des Denkens, des Sehens und des aktiven Theoretisierens der Welt, in der wir leben, um deren größere Komplexität zu verstehen. Ich kann meine musikalische Praxis nicht von meinem Wunsch trennen, die Welt zu verstehen und sie zu artikulieren“ (Quelle: Materialsammlung). Während also die Theorieauswahl, der Umgang mit Theorie und auch andere Personen sowie deren Kulturproduktion verhandelt werden, bleibt die eigentliche Verwendungsweise der Theorie etwas kaum Fassbares. Diese unklare und „magische“ Wirkung scheint auf die Akteur*innen oftmals eine Faszination auszuüben. Sie bietet einen Ersatz für diejenigen magischen Aspekte, die von den Kultur- und Sozialwissenschaften dekonstruiert oder „entzaubert“ wurden (siehe [5.2.1 und 5.4.1]; vgl. auch Nyfeler 2020, S. 208 f.).

5.4.5 Eine Kulturwelt als „unsichtbares College“

Der vorangehende Abschnitt erläuterte, wie die Akteur*innen in einer Kulturwelt selbst die Verwendung von kultur- und sozialwissenschaftlichen Theoriekonzepten verhandeln. In Bezug zu dieser Metaebene wurde deutlich, dass der Kontext der Vermittlung von einem Theoriekonzept zwar diskutiert wird, aber hierfür keineswegs eine durchgängige Vorstellung herrscht, was gut und was schlecht sei. Es fanden sich keine einheitlichen Beurteilungen davon, ob etwa eine Vermittlung der Theoriekonzepte für den Zweck der Kulturproduktion an einer Universität besser wären als an einer Fachhochschule, oder dass überhaupt eine solche Hochschulausbildung notwendig wäre. Anders formuliert: Die verschiedenen Arten der Vermittlung, wie sie analytisch als Intermediationsformen erläutert wurden [5.2.3], koexistieren und haben alle eine Berechtigung auf der Metaebene. Zwar mögen sich unterschiedliche Konsequenzen für die Beurteilung von performativer Kulturproduktion im engeren Sinne ergeben. Doch die institutionelle Zugehörigkeit, die im Zusammenhang mit der Vermittlung der Theorien steht, bildet keinen eindeutigen und einheitlichen normativen Orientierungspunkt für die Akteur*innen.

Die fehlende Relevanz von Institutionengrenzen verweist auf einen weiteren neuen Prozess, der im Zusammenhang mit der performativen Kulturproduktion eingeführt werden kann: Anstelle von objektivierten und institutionellen Zugehörigkeiten zeigt sich in der EEM vielmehr ein Phänomen, das als „unsichtbares College“ bezeichnet werden kann. Der Begriff wurde ursprünglich von Diana Crane (1972) eingeführt und beschreibt eine stärker informelle soziale Organisation zum Austausch unter Wissenschaftler*innen an Universitäten. Die Spezifikation über den Zusatz des Unsichtbaren bezieht sich darauf, dass diese Colleges und die darin enthaltenen Netzwerke nicht von den formalen Strukturen einer Universität erfasst sind (also etwa die Zugehörigkeit zu einer Fakultät). Trotzdem, so die Erkenntnis von Crane, lassen sich Forschungsbereiche, deren Austausch und die erzielten Ergebnisse besser durch diese informellen Bezüge oder eben die unsichtbaren Colleges erklären als über die formal erfassten Zusammenhänge: „[T]he most important indicators of social organization in a research area are informal discussions of research, published collaborations, relationships with teachers, and influence of colleagues upon the selection of research problems and techniques“ (Crane 1972, S. 41). Es ist das unsichtbare College, das einen bestimmen Forschungsbereich sowie dessen Auswahl von Problemen und die angewandten Techniken bestimmt (Crane 1972, S. 13). Dieses Konzept kann nun auch auf eine Welt wie die EEM angewendet werden, in der sich performative Kulturproduktion zeigt.

In einem einführenden Schritt können einige Aspekte der Situation der Intermediation nochmals aufgenommen und auf das unsichtbare College bezogen werden, bevor dann auf den neuen Prozess verwiesen wird (und basierend darauf weitere Aspekte erläutert werden). Dies ist zunächst die Art der Grenzziehung, die in der EEM erfolgt [5.2.5]: Auch die selbstverständlich wissenschaftliche Perspektive und die damit etablierten Grenzen waren keineswegs formal zu erfassen. Denn die Akteur*innen der Kulturwelt gehörten einer Vielzahl verschiedener Institutionen beziehungsweise verschiedenen Feldern an. Die eigentlichen sozialen Grenzen – teilweise objektiviert über Mitgliedschaften – würden daher anhand anderer Linien verlaufen. Die damit verbundenen Zuschreibungen erfassen jedoch nicht das Zusammengehören von Akteur*innen in der EEM und die darin stattfindenden Prozesse. Vielmehr wird eine Entdifferenzierung deutlich: Die eigentliche soziale Organisation lässt sich besser durch die Selbstverständlichkeit der wissenschaftlichen Perspektive auf Kulturproduktion und deren informelle Zusammenhänge fassen. Weiter kann hervorgehoben werden, dass in der Kulturwelt selbst bereits Theorien vermittelt werden, nämlich im Rahmen der als Netzwerkstruktur beschriebenen Intermediationsform [5.2.3]. Die Theorien werden daher nicht nur in der Kulturwelt verwendet, sondern dort auch verbreitet und Akteur*innen lernen theoretische Konzepte teilweise erstmals in der Kulturwelt kennen. Ebenfalls können die Nahelegungen der Theorieverwendung erneut aufgenommen werden [5.2.6]: Diese erfolgten keineswegs nur im Rahmen einer bestimmten Ausbildungsinstitution, sondern zeigten sich über verschiedene Kontexte hinweg. Zuletzt wird deutlich, dass das unsichtbare College als Umfeld für die Akteur*innen die konventionelle Grundlage für Performativität [5.2.8] erweitert: Es ist nicht nur ein Sinn für performative Kulturproduktion, der vermittelt wird, sondern auch eine Vielzahl weiterer und konkreter Gelegenheiten, um performative Kulturproduktion selbst zu fördern.

Die konzeptionelle Fassung der Kulturwelt EEM als unsichtbares College erlaubt es, Aspekte aus der Situation der Intermediation mit einem anderen Schwerpunkt zu fassen sowie weitere Überlegungen anzubringen. Zuerst lässt sich grundsätzlich hervorheben, dass es kaum formale Kontexte gibt, im Rahmen derer ein Umgang mit kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien für Kulturproduktion vermittelt wird. Die Verwendung der Theorien ist nicht klar festgelegt oder abgebildet, was bereits als „magisch“ beschrieben wurde (siehe oben). Selbst im Rahmen der Ausbildung an Fachhochschulen bleiben die Details der Anwendung der Konzepte bei Kulturproduktionen unklar. In den untersuchten empirischen Fällen zeigte sich dies folgendermaßen: Die an Kunst- und Musikhochschulen eingeschriebenen Akteur*innen mussten ergänzend zu ihrer Kulturproduktion schriftliche Arbeiten verfassen, wozu sie auf theoretische Konzepte zurückgriffen. Hierbei suchten sich die Akteur*innen auch Hilfe von befreundeten Studierenden aus kultur- und sozialwissenschaftlichen Fächern. Dies taten sie nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass der genaue Umgang mit Theorie an den Fachhochschulen kaum erlernt wurde. Die befreundeten Studierenden hatten dann zwar eine stärker formalisierte Ausbildung genossen in Bezug auf das Schreiben von Arbeiten und den Umgang mit theoretischen Konzepten. Für die Art und Weise der Verknüpfung von Kulturproduktion und Theorie hingegen hatten sie jedoch genauso wenig eine Grundlage. Sowohl an den Fachhochschulen als auch an den Universitäten fehlt daher eine institutionalisierte Vorstellung des Umgangs mit Theorie in der Kulturproduktion, die formal vermittelt werden könnte.

Stattdessen hält die Kulturwelt selbst Praktiken bereit, welche die Verwendungen von Theorien an die Akteur*innen vermitteln. Dies sind beispielsweise erste eigene Formate: Etwa Workshops im Rahmen von Veranstaltungen, bei denen nicht nur Theorien vermittelt, sondern auch deren Verwendung bei der Kulturproduktion genauer betrachtet werden sollte. Ein Beispiel hierfür war ein Nachmittag zum Konzept des „Doing Gender“ der beiden Soziolog*innen Candace West und Don Zimmermann (1987), der von EEM-Akteur*innen im Rahmen eines Festivals veranstaltet wurde. Ziel der Veranstaltung war es, „sich mit ausgewählten und zentralen Konzepten des Textes auseinanderzusetzen und die Teilnehmer*innen zu inspirieren, diese in ihrem Leben sinnvoll zu nutzen: kreativ, politisch und gesellschaftlich“, so die eigene Beschreibung (Quelle: Materialsammlung). Über solche und ähnliche Beispiele werden Versuche deutlich, bei denen die Details der Verwendung von Theorie explizit gemacht und in einer formalisierten Weise etabliert werden sollen. Gleichzeitig bleibt aber der größere Teil der Vermittlung der Theorieverwendung implizit. Dies zeigt sich auch daran, dass an Workshops oder Gesprächsformaten der Kulturwelt die Theoriekonzepte oftmals nur beiläufig eingeführt werden: als etwas, das bereits allen bekannt ist. Ein ähnlicher Prozess zeigt sich bei Referenzen auf Theorien im Rahmen der konkreten Resultate der Kulturproduktion (z. B. ein Albumcover oder ein Pressetext). Obschon die theoretischen Konzepte kurz erklärt werden, bleiben die Ausführungen oft sehr eingeschränkt und stärker evozierend. Im Sinne eines unsichtbaren Colleges erfolgt daher vor allem ein implizites Erlernen von performativer Kulturproduktion.

Die Colleges, die von Kulturwelten wie der EEM etabliert werden, entwickeln verschiedene Formen, die zur informellen Verbreitung von Theoriekonzepten und den Umgangsweisen damit dienen. Neben den erwähnten Workshops oder Pressetexten ist dies eine Vielzahl von Publikationen wie Zeitschriften, die Theoriekonzepte vermitteln und/oder eine theoretische informierte Sprache aufweisen, während sie gleichzeitig Aspekte der Kulturwelt verhandeln (etwa Rezensionen von Musikveröffentlichung präsentieren usw.). Solche Zeitschriften werden auch im Zusammenhang mit Veranstaltungen produziert. Neben den das Musikprogramm ergänzenden Gesprächsformaten wird so eine weitere Möglichkeit zur Vermittlung von theoretischen Inhalten etabliert. Im Sinne eines Colleges wird dabei der Umgang mit Theorie nicht nur für die lesenden Personen nahegelegt, sondern vor allem für eine Vielzahl an den Magazinen beteiligter Personen. In einem Beispiel wurden die Autor*innen beispielsweise von (nicht weiter spezifizierten) „Expert*innen“ begleitet (Quelle: Materialsammlung). Neben den Magazinen finden sich weitere Formen, mit denen die Colleges Theorie und deren Verwendung vermitteln: Onlineforen wurden ergänzend zu Veranstaltungen betrieben, Empfehlungen zu Büchern auf den sozialen Medien geteilt, gemeinsame Bücherlisten zusammengestellt oder Videos hergestellt, bei denen mit Theorie arbeitende Künstler*innen bei Diskussionen mit anderen Akteur*innen gefilmt wurden.

Die Akteur*innen selbst erleben im Rahmen des unsichtbaren Colleges über die Zeit vor allem eine Gewöhnung an performative Kulturproduktion. Zu Beginn werden Referenzen auf Theorie als etwas Befremdliches erlebt, bevor diese dann immer mehr „akzeptiert“ und als etwas Normales angesehen werden. Dies beschreibt auch die folgende Interviewpartnerin (MP) und ergänzt, wie sich bei ihr ein theoretisches Wissen anhäufte und wie sie einen eigenen Umgang mit den theoretischen Konzepten entwickeln konnte:

GS::

Wie sehr ist das noch befremdlich für dich, wenn du den theoretischen Referenzen begegnest?

MP::

Am Anfang war das sehr befremdlich. Ich hatte das Gefühl, nur wenig oder einen schlechten Zugang dazu zu haben. Ich konnte mir den nie wirklich erarbeiten. Aber ich habe einen Umgang damit gefunden. Ich habe irgendwann angefangen, das einfach als eigene Sprache oder eigene Disziplin zu begreifen. Wie Lyrik: Ich kann das auch lesen und begreif es nicht – und das ist okay … Seitdem ich die Dinge so betrachte, kann ich sie anders lesen und auch verstehen, ohne selbst unendlich viel davon gelesen zu haben. Mit dem geht ein Wissen Hand in Hand, das sich aufbaut, ringsherum; wie Konzepte, die man immer wieder hört, anders hört, ohne dass man sie selbst gelesen haben muss. So entwickelt man auch ein Verständnis dafür. Mittlerweile kann ich etwas lesen – ich bin jetzt gerade an einem kleinen Buch, wo extrem viel zitiert und auf Theorie verwiesen wird. Und ich weiß damit umzugehen. Früher hingegen war das so: “Ist das wirklich meins?” Jetzt kann ich das lesen und ich weiß, dass ich mir die Fußnoten je nachdem merken kann, und das noch etwas nachlese oder auch nicht. Es ist wie … Wie sagt man denn, wenn man Lücken überspringt? Es gibt doch die ganz einfachen Dinge, wenn man einen Satz hat und es fehlen Buchstaben. Aber man kann es trotzdem lesen. So kommt mir das manchmal vor. (Quelle: Interview).

Die von der Interviewpartnerin beschriebene Fähigkeit im Umgang mit Theorie, welche sie über die Zeit erlernte, hat den Charakter eines impliziten Wissens (Polanyi 2016). Der Umgang mit Theorie wird nicht formal erlernt und repräsentiert nicht eine Fähigkeit, die durch die Akteur*innen selbst erfasst werden kann oder genau festgelegt ist (vgl. Crane 1972, S. 136). Neben der Gewöhnung spielt im Rahmen des unsichtbaren Colleges der EEM die Nachahmung eine wichtige Rolle. Dies wurde insbesondere bei Akteur*innen deutlich, die Texte für die Medien der EEM verfassten. Dabei erläuterten sie, wie sie einerseits versuchten, die Sprache zu übernehmen, die in Texten auftraten, die bereits Theorien verwendeten. Oder wie sie andererseits auf ähnliche theoretische Konzepte verweisen wollten, die sie bereits aus Texten kannten. Wiederum wird das Schreiben dieser Texte der EEM-Medien nicht formal vermittelt, stattdessen dienten die bereits vorhandenen Texte als Orientierung. Eine Interviewpartnerin (MP) beschrieb das so: „Ich habe vor allem mit [einer bestimmten Zeitschrift] angefangen. Da hab’ ich gemerkt, die sprechen und schreiben anders, oder gewisse Kolumnen, gewisse Autor*innen sprechen anders. Das hat mich interessiert. Ich hatte zwar nicht das Gefühl, das auch können zu müssen – okay, vielleicht ein wenig.“ (Quelle: Interview)

Im Rahmen des unsichtbaren Colleges werden zudem bestimmte neue Rollen etabliert, die Vermittlungsprozesse übernehmen. Diese Rollen ergänzen die Intermediationsprozesse der Studies (siehe [5.2.2]) oder übernehmen diese teilweise komplett. Crane folgend können sie als Meinungsführer*innen im College aufgefasst werden (Crane 1972, S. 72 f.). Sie fördern beispielsweise über persönlichen Einfluss den Kontakt zwischen Akteur*innen aus der Wissenschaft und der Kulturwelt. Die interviewte Veranstaltungsorganisatorin (DA) kann als solch eine Meinungsführerin aufgefasst werden. Sie sah sich auch selbst in einer solchen Rolle: „Von Anfang an wollten wir die Grenzen überschreiten: nämlich von dem, was einem zugeschrieben wird als der Ort, an dem man sich entfalten darf. Leute sollten auch zu uns kommen und in einen Austausch treten, die vielleicht diskursiver verortet sind, teilweise aus akademischen Zusammenhängen kommen“ (Quelle: Interview). Die gegenseitige Partizipation sowie Vermischung von Kulturproduktion und Wissenschaft war für sie eine „Idealvorstellung“ (ebd.). Neben einer vermittelnden Rolle für performative Kulturproduktion fördern die Meinungsführer*innen die Performativität aber auch direkt. Die eben zitierte Person ermutigte beispielsweise Musiker*innen zur Verwendung von Konzepten. So sollten die Produzent*innen ihre Prozesse „anders, systematischer, präziserer, theoretischer und analytischer“ angehen und diese noch mal „schärfen“ (ebd.). Die Meinungsführung im College wird dabei von Positionen im Feld übernommen, die auch sonst einflussreich sind: Akteur*innen, deren Musikproduktion angesehen ist, die wichtige Veranstaltungen organisieren oder die regelmäßig angefragt werden, Texte für Medien der Kulturwelt zu schreiben.Footnote 76 Die Vermittlung beziehungsweise Förderung von performativer Kulturproduktion ist daher auch eine mögliche Auszeichnung für eine dominante Rolle in der Kulturwelt.

Neben der Relevanz für die Kulturproduzent*innen spielt das unsichtbare College eine Rolle für die wissenschaftlichen Akteur*innen. Die im College stattfindende Weitervermittlung von theoretischen Konzepten mag dabei nicht für alle einen gleichermaßen relevanten Kontext repräsentieren. Insbesondere bei den im wissenschaftlichen Feld etablierten Akteur*innen können Anfragen aus den Kulturwelten auch für Verwirrung sorgen. Dies zeigt sich etwa in der Aussage der folgenden Soziologieprofessorin, die zu einem Gesprächsformat der EEM eingeladen wurde: „Ich war bei dieser Einladung etwas irritiert, denn ich wusste eigentlich trotz vieler Kommunikation bis vorher nicht wirklich, um was es hier geht. Aber das ist ja was sehr Produktives und ich lasse mich gerne irritieren“ (Quelle: Feldnotizen). In vergleichbarer Weise bezeichnete ein Philosophieprofessor, der an einem anderen Gesprächsformat teilnahm, dies als „willkommene Abwechslung“ (Quelle. Feldnotizen). Bei weniger etablierten wissenschaftlichen Akteur*innen repräsentieren die Kulturwelten aber durchaus auch eine relevante Bühne für deren Forschungsergebnisse. Die Kontexte des Colleges werden von ihnen aktiv gesucht: Vorschläge für Vorträge werden von den Wissenschaftler*innen eingereicht oder Buchpräsentationen an den Orten der Kulturwelt organisiert.Footnote 77 Es scheint durchaus die Vorstellung zu herrschen, dass eine Kulturwelt die wissenschaftlichen Arbeiten als relevant ausweisen kann.

5.4.6 Ein Feld für die Reise durch Institutionen

In den bisherigen Erläuterungen zur performativen Kulturproduktion in der EEM wurde immer wieder der Begriff des Feldes verwendet. Grundsätzlich scheinen auch einige empirische Mechanismen vorzuliegen, die auf die Präsenz eines eigenen Feldes schließen lassen (Bourdieu 1993, S. 107 ff.; vgl. Martin 2003, S. 11): Die EEM zeigt sich als bestimmte Form der Produktion, an der verschiedene Akteur*innen beteiligt sind und die ein finanzielles Einkommen ermöglicht. Hierfür bietet die Kulturwelt gewisse Ressourcen, die in Verbindung mit weiteren gesellschaftlichen Zusammenhängen stehen: Es finden sich einige Bildungsangebote an Kunsthochschulen, ein Musikmarkt für Verkäufe oder staatliche Kulturförderung können mit Bezug auf die Kulturwelt beantragt werden. Die EEM ist daher ein konkretes Produktionsfeld. Darin herrscht eine geteilte Vorstellung der Produktionsform und damit der Art und Weise, wie Ressourcen gewonnen und genutzt werden können. Dies ermöglicht eine Passung zu einem bestimmten Habitus. Als Praxisfeld etabliert die Kulturwelt daher Handlungs-, Denk- und Wahrnehmungsschemata für die Kulturproduktion und deren Wertigkeiten. Mit Bezug auf die Prozesse um Performativität wurde deutlich, dass die Theorien über einen Brechungseffekt importiert werden (vgl. Bourdieu 1999, S. 349; siehe [5.2.7]): Die Kulturwelt hat eine eigene Logik im Umgang mit den Konzepten (die im wissenschaftlichen Feld mit einer anderen Logik verwendet werden). Die ersten beiden Mechanismen der EEM als Produktions- und Praxisfeld waren diejenigen, die sich durch die stärker performativen Effekte veränderten. Neben diesen Effekten zeigt sich weiter, dass sowohl der Umgang mit theoretischen Konzepten als auch die Kulturproduktion allgemein von dominanten Personen beeinflusst wird. Diese Beeinflussung erfolgt auch ohne einen direkten Kontakt unter den verschiedenen Akteur*innen, aber bei gegenseitiger Wahrnehmung. Nicht zuletzt konkurrieren die Akteur*innen um diese dominanteren Positionen, wie zuvor bei der Betrachtung der Metaebene deutlich wurde [5.4.4]. Die EEM repräsentiert daher auch ein soziales Kräftefeld.

Die Kulturwelt weist jedoch auch Eigenschaften auf, die darauf verweisen, dass die EEM lediglich als ein sekundäres Feld vorhanden ist oder gar nicht als eigenständiges Feld aufgefasst werden sollte (vgl. Lahire 2015, S. 63 f.).Footnote 78 Mit Hinblick auf ein mögliches Kräftefeld gilt es nämlich hervorzuheben, dass ein sehr großer Teil der Personen, die in der EEM tätig sind, „Amateur*innen“ sind. Das heißt, dass deren Musikproduktion, die Organisation von Veranstaltungen oder das Schreiben von Texten lediglich ein Hobby repräsentiert, während sie hauptsächlich in einem anderen Berufsfeld tätig sind. Diese Amateur*innen mögen zwar Interesse in der EEM verfolgen, tun dies aber keineswegs in einer Art und Weise, die dem Streben nach „dominanten“ Positionen in einem stark institutionalisierten Berufsfeld entsprechen würde (so steht beispielsweise Freundschaft und weniger der symbolische oder ökonomische Erfolg im Zentrum des Handelns). Zudem findet sich selbst für die „professionellen“ Akteur*innen kein einheitliches Berufsprofil, das von der EEM etabliert wurde und worauf sich Personen beziehen könnten. Ein Studiengang an einer Kunsthochschule, der von verschiedenen untersuchten Akteur*innen abgeschlossen wurde, verdeutlicht dies: „Einige unserer ehemaligen Studierenden setzen ausschließlich auf musikalisch-künstlerische Projekte. Bei den meisten Absolvent*innen ist dies jedoch nur ein Teil der Praxis, die sich schlussendlich aus diversen weiteren Tätigkeitsbereichen ergibt“ (Quelle: Materialsammlung). Die Absolvent*innen dieser Fachhochschule arbeiteten als Audioingenieur*innen in verschiedenen Studios, komponierten kommissionierte Musik für andere Medien, waren in der Bildung tätig oder widmeten sich Forschungsprojekten. Neben den Mechanismen eines Praxisfeldes zeigen sich daher genauso Aspekte, die einer einheitlichen Passung eines Habitus entgegenlaufen. Die EEM scheint daher am ehesten einem Produktionsfeld zu entsprechen. Da jedoch die Merkmale eines Kräftefeldes und Praxisfeldes nicht vorhanden sind, kann gefolgert werden, dass vielmehr andere Felder die Art und Weise der Kulturproduktion beeinflussen: das weitere Feld der Kunst, der Musik und der Wissenschaft. Die Abwesenheit von einer eigenen Autonomie der Produktion (vgl. Bourdieu 1969, S. 91) würde dann wiederum gegen die EEM als Feld sprechen.

Dass die Kulturwelt ein nur teilweise etabliertes Feld ist, ist nicht nur die Feststellung einer analysierenden Perspektive. Diese Charakteristik erfahren auch die Akteur*innen selbst und sie haben hierfür zwei spezifische Umgangsformen entwickelt. Die beiden Formen des Umgangs mit der unklaren Feldsituation stehen zudem im Zusammenhang mit einer performativen Kulturproduktion.

Einerseits versuchen die Akteur*innen, gewisse Bereiche der Kulturwelt als ein Segment der Sicherheit anzusehen: Sie „setzen“ auf die EEM als Feld und versuchen sich vollständig als dessen Agent*innen zu etablieren. Ausgehend von den Produktionsweisen wird so etwa auf den Aspekt der EEM als Praxisfeld gesetzt: Eine Interviewpartnerin (AC) brach beispielsweise ihr kulturwissenschaftliches Studium ab und zog in eine andere Stadt, um sich dem theoretisch-informierten Schreiben für die Kulturwelt zu widmen. Sie begründete dies wie folgt: „Ich dachte, das wäre vielleicht etwas lukrativer – und das war es auch“ (Quelle: Interview). Auch der Amateurstatus in der Kulturwelt wird verlassen und voll auf die EEM als Kräftefeld gesetzt. So gab ein weiterer interviewter Akteur (CD) seine feste Position in einem Musikorchester der Klassik auf und arbeitete stattdessen nur noch Teilzeit als Bratschenspieler. Den Hauptteil seiner Zeit widmete er fortan der Arbeit für einen EEM-Musikverlag. Auch eine andere Musikerin (NR) gab ihre Karriere in der Klassik auf, um ganz auf die Musikproduktion in der EEM zu setzen. Beide Akteur*innen erläuterten diesen Wechsel damit, dass in der Kulturwelt ein Umgang mit theoretischen Konzepten vorherrsche und sie der EEM deshalb eine größere Relevanz zusprachen als dem Feld der klassischen Musik. Die erste Umgangsform und die Anerkennung der EEM als Feld durch die Akteur*innen kann aber auch scheitern, was dazu führt, dass sie eine große Unsicherheit in der Kulturwelt erleben (vgl. Thom 2019b, S. 217).

Als Reaktion auf die Unsicherheit versuchen die Akteur*innen daher andererseits, Sicherheit in etablierteren Feldern zu finden. Dies kann in verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen erfolgen, wie das ein Akteur beschreibt: „Die Musik der 90er Jahre bot sichere Verkäufe, Budgets für Videos, eine Knappheit sowohl von Konkurrenz als auch Medienkanälen. Das ist aber schon längstens entkoppelt und jetzt gibt es andere Unterstützungsmodelle: Einige [Musiker*innen] sind in der Modewelt tätig, einige in der Kunstwelt, wieder andere im Tech-Bereich – oder gleich überall“ (Quelle: Materialsammlung). Eine andere Musikerin (BF) entschied sich, ein Buch zu schreiben und hierfür staatliche Fördergelder zu beantragen. Sie begründete dies unter anderem damit, dass sie keine finanzielle Sicherheit mit der Veröffentlichung von Musik in der EEM erreichen könne. Für das Buch arbeitete sie zudem mit einer Vertreterin der Cultural Studies zusammen (siehe [5.3.4]). Die Wissenschaft scheint daher Sicherheiten für die Akteur*innen zu bieten beziehungsweise sie wird als Feld mit größeren Sicherheiten als die EEM imaginiert. Ein weiterer interviewter Musiker (FI) beschrieb dies so: „Ich habe meine Tätigkeit [in der EEM] satt, die keine Arbeitsplatzsicherheit oder Zukunft im Sinne von Stabilität oder Weiterentwicklung bietet. Deshalb bin ich daran interessiert, an Universitäten zu arbeiten“ (Quelle: Interview). In den Zitaten wird deutlich, dass die EEM als Produktionsfeld auch als sehr unsicher erlebt wird und dass diese Unsicherheit über eine Agentschaft in anderen Feldern kompensiert werden soll.

Dass sich in der EEM sowohl ein Segment der Sicherheit als auch ein Segment der Unsicherheit zeigt, verdeutlicht einen weiteren Aspekt. Die Akteur*innen erleben in Verbindung mit ihrer Tätigkeit in der EEM eine Reise durch eine Vielzahl von Institutionen. Dies zeigt sich bereits in Bezug auf die Kulturproduktion im engeren Sinne: Hier kommen die Akteur*innen in Kontakt mit Institutionen des erweiterten Musikfeldes, etwa bei Zusammenarbeiten mit Vertreter*innen der Kunstmusik, der Klassik oder der Popmusik. Diese Zusammenarbeiten entstehen bei der Nutzung von Veranstaltungsorten oder im Rahmen von Festivals. Die Reise geht durch weitere Institutionen der Kulturproduktion in anderen Feldern, etwa Kunstmuseen und Galerien, da Akteur*innen ihre Musik im Rahmen von Ausstellungen präsentieren. Ebenfalls sind Zusammenarbeiten mit Theaterinstitutionen üblich, da Veranstaltungsorte verschiedene Kultursparten bedienen. Ergänzend zu diesen Institutionen aus den Feldern der Kulturproduktion kommen weitere gesellschaftliche Bereiche hinzu: An den Fachhochschulen erhalten die Akteur*innen im Rahmen ihrer Ausbildung nicht nur Einblicke in Theoriekonzepte, sondern mit diesen Bildungsinstitutionen werden weitere Projekte initiiert. Die EEM-Akteur*innen geben Workshops, arbeiten in Forschungsprojekten oder laden die wissenschaftlichen Akteur*innen zu eigenen Gesprächsformaten ein. Ein weiterer Kontakt erfolgt mit staatlichen Institutionen über die Beantragung von Fördergeldern. Ebenfalls sind Tätigkeiten im Journalismus möglich. Nicht zuletzt ist die Reise auch im physikalisch-räumlichen Sinne zu verstehen: Die Tätigkeiten erfolgen in verschiedenen Städten und Ländern.

Die Reise durch die Institutionen kann an einem Beispiel erläutert werden, bei dem mindestens zwölf verschiedene institutionelle Bezüge einer einzelnen EEM-Akteurin deutlich werden. Sie studierte Medienwissenschaft sowie Anthropologie und arbeitete im Rahmen eines Doktorats sowohl an einer (1) Fachhochschule als auch an einer (2) Universität. Als Teil ihrer Forschung war sie aktiv im (3) Bereich der Sound Studies und veröffentlichte Sammelbände bei (4) wissenschaftlichen Verlagen. Ergänzend zur Wissenschaft war die Akteurin als Journalistin für größere (5) Tageszeitungen tätig, publizierte aber auch eine (6) EEM-Zeitschrift gemeinsam mit weiteren Personen. Für die Arbeit an ihrer Zeitschrift erhielt sie nicht nur Unterstützung der (7) öffentlichen Hand, sondern auch Fördergelder einer (8) genossenschaftlich organisierten Firma. Neben all diesen Aspekten kam die eigene Kulturproduktion der Akteurin hinzu: Sie produzierte (9) eigene Musik, war beteiligt an (10) Dokumentarfilmen, organisierte (11) Kunstausstellungen und Konzerte, die unter anderem in (12) Theaterhäusern stattfanden. Das Beispiel zeigt auf, wie umfangreich die institutionellen Bezüge sind, in welchen sich die EEM-Akteur*innen bewegen.

Anhand dieser Reisen gilt es einige Punkte hervorzuheben: Die Zuordnung zu institutionellen Bezügen, wie sie im Beispiel der Akteurin beschrieben wurde, ist keineswegs eindeutig. So sind Überschneidungen möglich, während die vorherige Aufzählung auch hätte erweitert werden können. Die damit verbundene Uneindeutigkeit erleben die Akteur*innen auch selbst, nämlich in Form einer Art Verflüssigung der institutionellen Bezüge: Die Grenzen einer jeweiligen Institution werden womöglich wahrgenommen, allerdings ohne dass sie größere Implikationen hätten. So finden sich kaum zentrale Organisationen, die über eine Mitgliedschaft die verschiedenen Beschäftigungen bestimmen würden. Die Tätigkeit in einer Vielzahl von Institutionen erfolgt oftmals gleichzeitig, obschon natürlich gewisse chronologische Abfolgen vorhanden sind. In der Kulturwelt selbst werden als Folge dieser Konstellationen die Vorstellung eines „Scheiterns“ von Institutionen und auch eine damit verbundene ökonomische Prekarität verhandelt. Gleichzeitig verstehen die Akteur*innen dies alles nicht nur als Problem, sondern oftmals auch als Chance für eigene Möglichkeiten. Im empirischen Material tauchten immer wieder Vorstellungen auf, dass eigene Institutionen imaginiert werden müssten und dass die Grundlagen hierfür in der Kulturwelt etabliert würden. Der wichtigste Punkt bei der Reise der Akteur*innen ist daher folgender: Über alle Institutionen hinweg bietet die Kulturwelt der EEM Bezugspunkte für die Akteur*innen. Das heißt, sie übernehmen teilweise die Handlungs-, Denk- und Wahrnehmungsschemata aus der EEM und wenden diese in anderen Institutionen an oder kombinieren sie mit den darin vorzufindenden Schemata. Dies mag die Musikproduktion im engeren Sinne zwar nicht ermöglichen, aber eine Vielzahl damit verbundener Aspekte. Deutlich wurde die Rolle der EEM auch an konkreten personellen Bezügen: Die Akteur*innen treffen in ihren Reisen durch Institutionen immer wieder auf Personen, die sie aus der Kulturwelt kennen. Weiter zeigen sich die Bezugspunkte der EEM in Bewertungen, die aus der Kulturwelt übernommen und als legitim für die verschiedenen Institutionen angesehen werden. Ein Aspekt, der in der EEM relevant ist, gilt für die Akteur*innen dann auch als relevant in einer wissenschaftlichen Institution oder in Bezug auf eine Theaterproduktion.

Eine vergleichbare Schlussfolgerung in Bezug auf die Rolle einer Kulturwelt für verschiedene institutionelle Bezüge ziehen auch Bastian Lange und Hans-Joachim Bürkner (2013). Die beiden Autoren analysieren verschiedene Formen der (finanziellen) Wertschöpfung in der Musikwelt einer deutschen Stadt, wobei die untersuchte „Szene“ große Überschneidungen zur EEM aufweist. Lang und Bürkner stellen zuerst ebenfalls fest, dass noch keine festen professionellen Kategorien etabliert sind, welche die verschiedenen Tätigkeiten der Akteur*innen erfassen (2013, S. 163 f.) und auf die Anwesenheit eines Feldes verweisen könnten. Gleichzeitig streben die Akteur*innen eine Art der Professionalisierung ihrer Tätigkeiten an (ebd.). Die Studie verdeutlicht daher ebenso Strategien, die auf die Sicherheit einer Kulturwelt setzen, während gleichzeitig eine (insbesondere ökonomische) Unsicherheit für die Akteur*innen herrscht. Statt einer „Reise“ beschreiben die Autoren eine Flexibilität, die bei den in der Szene tätigen Personen offensichtlich wird. Lange und Bürkner verdeutlichen damit aber dasselbe: Die Akteur*innen sind in verschiedenen Institutionen tätig, sowohl in einer sequentiellen Abfolge als auch gleichzeitig. Hierfür bietet die Kulturwelt eine Grundlage, nämlich einen einheitlichen Bezugspunkt für die verschiedenen Institutionen: „The scene performs a stabilizing function as it gives clues to and hints at promising enterprises and products. It is the basic generator and guarantor of flexibility“ (Lange und Bürkner 2013, S. 163). Neben der Ermöglichung von Flexibilität wird über die Reise durch die Institutionen Folgendes nochmals hervorgehoben: Die eigene Kulturwelt und damit etwas, was für eine Vielzahl von Akteur*innen lediglich eine Freizeitaktivität ist, wird als relevant wahrgenommen für andere gesellschaftliche Bereiche. Erfahrungen und Wissen aus der EEM bilden eine Grundlage für eine Karriere in verschiedenen Institutionen.

In Anbetracht der Reise durch die Institution zeigt sich eine Rolle der EEM, welche der Kulturwelt wiederum einen stärkeren Feldcharakter zuweist. Ein Feld kann nämlich auch als etwas aufgefasst werden, das eine Regelmäßigkeit in Bezug auf verschiedene Institutionen etabliert:

Most generally, we may say fields emerge whenever we find a set of institutions that individuals tend to traverse in predictable ways with minimal dislocation of subjectivity. In all cases, the field is something that spans and coordinates institutions by allowing individuals to understand their past, current, and future situations in terms of position, trajectory, and similarity or closeness […]. (Martin 2003, S. 42)

Auch in Bezug auf die EEM erfahren die Akteur*innen eine Beständigkeit, die sie in den anderen institutionellen Bezügen nicht erleben: Während die Reise durch die Institutionen durch eine Diskontinuität geprägt ist, schaffen die Bezugspunkte aus der Kulturwelt eine Kontinuität, indem die Handlungs-, Denk- und Wahrnehmungsschemata der EEM als relevant für die anderen gesellschaftlichen Bereiche angesehen werden (vgl. Diaz-Bone 2010, S. 404). Dadurch werden die Übergänge zwischen den Institutionen ohne eine Verlagerung der Subjektivität erlebt. Wenn hingegen die Bezüge der EEM nicht übertragen werden können, erfahren die Akteur*innen deutlicher eine Trennung zwischen den Institutionen. Dies kann anhand der Aussage der erwähnten Musikerin (NR) erläutert werden, die ihre Karriere in der Klassik beendete, um nur noch auf die Agentschaft in der EEM zu setzen. Sie beschrieb ihre frühere Tätigkeit in der Klassik als „ein anderes Leben“ (Quelle: Feldnotizen). Der Wechsel weg von den Institutionen der klassischen Musik markierte eine Verschiebung der Subjektivität. Im Rahmen ihrer Tätigkeit in der EEM erlebte die Musikerin hingegen die Übergänge und Parallelitäten bei Institutionen nicht als Wechsel. Vielmehr konnte sie verschiedenste Tätigkeiten als Teil ihrer „künstlerischen Praxis“ verstehen, ohne einen Bruch hervorzuheben (ebd.). Dies obschon die Musikerin auch in der EEM in vergleichbaren Projekten tätig war und mit denselben Instrumenten Musik produzierte wie noch in der Klassik. Trotz des beständigen Wechsels erlebte sie in der Kulturwelt aber eine Konsistenz von Bezugspunkten. Aufgrund dieser Rolle kann der EEM durchaus ein Feldcharakter zugewiesen werden.

5.4.7 Theorie als Grenzobjekt und Garant von universalem Wissen

Die Vielfalt an institutionellen Bezügen, die Akteur*innen in der EEM erfahren, ist keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal dieser Kulturwelt. Vielmehr können solche „Reisen“ von Personen in spätmodernen westlichen Gesellschaften schon fast als Normalfall aufgefasst werden (vgl. Lash 1996a, S. 354 f.; Lahire 2017, S. 7; Sennett 1999).Footnote 79 Verbunden damit ist eine geringere biografische Sicherheit (vgl. Beck und Beck-Gernsheim 1994, S. 179; Hitzler und Honer 1994), die sowohl mehr Freiheiten in Lebensläufen ermöglicht als auch ein gesteigertes Potenzial für Enttäuschungen bietet (vgl. Reckwitz 2017, S. 123). Sicherheit muss von den Mitgliedern einer Gesellschaft aktiv über konkrete Handlungszusammenhänge und Begründungsmuster hergestellt werden (vgl. Beck 1986, S. 216 f.). In einer vergleichbaren Weise kann ein weiterer Aspekt der Reise durch die Institutionen verallgemeinert werden: Die Institutionen selbst und organisationale Mitgliedschaften sowie die dadurch etablierten Grenzen beeinflussen immer weniger die Handlungen der Akteur*innen. Auch dies kann als allgemeinere Tendenz von spätmodernen westlichen Gesellschaften beschrieben werden (vgl. Lash 1996a, S. 338 f.; Scott 2004, S. 10 f.). Damit stellt sich die Frage, was anstelle der „objektiven“ Zuordnungen und Handlungsbezüge tritt, mit denen eine neue Sicherheit gewonnen werden kann. In Bezug zur Gewinnung dieser Sicherheit lässt sich wiederum die spezifische Rolle einer Kulturwelt wie der EEM hervorheben.

Zuvor wurde allgemein erläutert, dass die EEM als Feld Handlungsanleitungen für eine Reise durch die Institutionen bietet. Mit dem Blick auf performative Kulturproduktion lässt sich nun weiter verdeutlichen, welche Rolle die theoretischen Konzepte der Kultur- und Sozialwissenschaften dabei einnehmen. Diese Rolle kann zweigeteilt werden: Auf der einen Seite findet sich die Funktion der Theorien allgemein und auf der anderen Seite kann die Rolle des Inhaltes der theoretischen Konzepte diskutiert werden. Diese beiden Seiten werden in diesem Abschnitt erläutert. Während für die Funktion der Theorien auf das Konzept des Grenzobjektes zurückgegriffen wird (Star und Griesemer 1989; Bowker und Star 1999; Bowker et al. 2015), zeigt sich für die inhaltlichen Aspekte eine Art universelles Wissen, das die theoretischen Konzepte zu implizieren scheinen und das die Reise ermöglicht. Insbesondere in Bezug zum Inhalt der Theorien werden neue Prozesse der performativen Kulturproduktion deutlich.

Die Funktion als Grenzobjekt

Aufgrund der Reise durch die Institutionen stehen die Akteur*innen der EEM grundsätzlich vor einer bestimmten Herausforderung: Sowohl die eigene Reise als auch die Vielzahl der institutionellen Bezüge von anderen Personen führen dazu, dass sie sich mit zahlreichen Optionen konfrontiert sehen, was es zu erreichen gilt und wie dies üblicherweise erreicht werden kann. Obschon nicht alle Institutionen fundamental anders funktionieren müssen, gilt es doch, divergierende Blickwinkel zu vereinen und verschiedene soziale Welten zu kombinieren. Dies wird in den folgenden Erläuterungen einer Interviewpartnerin (DA) deutlich, bei der sie die Zusammenarbeit für die Organisation eines Gesprächsformats bei einer Veranstaltung erläutert. In diesem Gesprächsformat sollten Wissenschaftlerinnen, Musiker, Journalisten, Kuratorinnen und weitere Akteur*innen zu einem Thema Vorträge halten und gemeinsam diskutieren.

GS::

Wenn ihr euch für einen Vortrag aus der Wissenschaft entscheidet, wie kommt ihr zu dem Entschluss? Wieso wird jemand Bestimmtes eingeladen?

DA::

… Es ist eine Gemengelage. Wir sind ja auch viele und machen es gemeinschaftlich im Team. Ich mach das ja nicht alleine. Da bringt jeder die eigenen Themen mit. Ich habe natürlich immer versucht, das Team, das an diesem Gesprächsformat arbeitet, auch zu mischen. Als wir angefangen haben, war da G1, der auch so ein Kulturprozent ist und ähnliche Interessen hat, solche Gemengelage herzustellen. Eine Zeit lang habe ich mich auch immer recht intensiv mit G2 ausgetauscht. Er hat das Musikprogramm [eines Konzertlokals] gemacht. Und G3 nahm ich auch dazu. Sie ist jetzt jemand, die sich zwar für Musik interessiert, aber überhaupt nicht aus der Musik kommt. Sie ist Philosophin, Herausgeberin, Autorin, Übersetzerin und so weiter. Im Grunde habe ich G3 immer hinzugezogen, wenn ich das Gefühl hatte, so „oh ich komme hier mit meinen Fragen an echte Wissensgrenzen und ich brauche jetzt mal jemanden, der das nochmals anders einordnen kann, und zwar jemand, der“ – so halt. Das haben wir immer weiterentwickelt: G4 kommt aus der Musikwissenschaft. G5 war ja zeitweilig auch involviert, die natürlich auch mit einem Fuß so in der Sound- und Musikpraxis drinsteckt. Oder G6, der kommt vom öffentlich-rechtlichen Radio, hat selbst auch Philosophie und Literaturwissenschaft studiert und ist dann bei der Klangkunst gelandet. G7 – ich weiß nicht, ob du die kennst? Die arbeitet auch ganz eng mit [einem weiteren Akteur] zusammen, der ein Medienwissenschaftler ist und viel publiziert; viel zum Thema Videokunst, aber auch so zu audiovisuellen Praktiken … Da war auch noch G8 dabei. Der hat an einer Fachhochschule gearbeitet, beim Bereich Audiotechnik. Und da gibts meine Kollegin G9, die Biologie studierte. Das ist jetzt gar nicht – die ist Quereinsteigerin. Oder G10 ist auch so ein Quereinsteiger. Mit dem bearbeiten wir eher so die Schnittstelle zur künstlerischen Praxis. (Quelle: Interview)

Eine Zusammenarbeit, wie sie im Zitat beschrieben wurde, scheint Spannung zu implizieren: Es müssen unterschiedliche Blickrichtungen und Vorgehensweisen zusammenfinden, da das Team für die Organisation aus unterschiedlichsten institutionellen Bereichen stammt, die dann im Rahmen der Kulturwelt EEM zusammenkommen (obschon nicht alle zehn erwähnten Akteur*innen gleichzeitig zusammengearbeitet hatten). Die Herausforderung ist daher, unterschiedliche Verständnisse und Bedeutungen in Einklang zu bringen, während die Integrität der je eigenen Vorstellungen aufrechterhalten werden soll (vgl. Star und Griesemer 1989, S. 388 f.). Als Lösung dieses Problems können verschiedene Varianten möglich sein, von der eine genauer betrachtet wird. Beispielsweise könnte die Kulturwelt über „Zwang“ die Vorstellungen vereinheitlichen. Dies mag teilweise funktionieren, ist aber nicht für alle Bereiche ein gangbarer Weg. So würde die Vereinheitlichung einer interdisziplinären Zusammenarbeit entgegenlaufen, wie sie im Zitat erläutert wird. Im Rahmen anderer Zusammenarbeiten scheint die Vereinheitlichung auch nicht möglich zu sein, da die EEM nur schwach institutionalisiert ist. Es kann daher noch weniger erwartet werden, dass die Kulturwelt eine Dominanz auf andere gesellschaftliche Bereiche wie Theater oder Politik ausübt. Eine weitere Möglichkeit ist diejenige der Standardisierung (vgl. Star und Griesemer 1989, S. 405 f.). Eine Zusammenarbeit erfolgt, indem ein minimales Set von Vorgaben festgelegt wird. Hierbei wird lediglich das „Wie“ definiert, ohne auf das „Warum“ einzugehen. In Bezug auf das im Zitat dargestellte Beispiel könnte dies etwa funktionieren, indem die zeitliche Vorgabe für einen Vortrag festgelegt wird, während die Vorträge von den Akteur*innen einzeln ausgewählt würden, ohne den Inhalt mit den anderen abzusprechen. Eine solche Form der Zusammenarbeit ist also durchaus denkbar. Damit wird bereits deutlich, dass eine Übereinstimmung der Perspektiven keine notwendige Bedingung ist, sondern eine Einigung auch auf andere Weisen erreicht werden kann. Die Variante zur Ermöglichung der Zusammenarbeit, die nun genauer erläutert wird, ist diejenige der kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien sowie der damit verbundenen Problematisierungen als Grenzobjekte.Footnote 80

Mit dem Konzept des Grenzobjektes wird theoretisch erfasst, wie divergierende Blickpunkte auf eine bestimmte Art und Weise generalisiert werden können:

Boundary objects are those objects that both inhabit several communities of practice and satisfy the informational requirements of each of them. Boundary objects are thus both plastic enough to adapt to local needs and constraints of the several parties employing them, yet robust enough to maintain a common identity across sites. They are weakly structured in common use and become strongly structured in individual-site use. These objects may be abstract or concrete. […] Such objects have different meanings in different social worlds but their structure is common enough to more than one world to make them recognizable, as means of translation. The creation and management of boundary objects is a key process in developing and maintaining coherence across intersecting communities. (Bowker und Star 1999, S. 297)

Die Grenzobjekte schaffen die Basis für eine Zusammenarbeit aufgrund einer bestimmten Offenheit, die zwischen interner Vielseitigkeit und externer Eindeutigkeit etabliert wird. Dies kann am Beispiel der Verwendung des Begriffs „Grenzobjekt“ selbst aufgezeigt werden. Denn nicht nur die vorliegende wissenschaftliche Arbeit verwendet dieses theoretische Konzept, sondern auch ein empirischer Fall aus der Kulturwelt EEM. Ein Musiker benutzte „Grenzobjekt“ als Titel seines Albums. In der vorliegenden Arbeit wiederum dient „Grenzobjekt“ zur Beschreibung eines sozialen Prozesses. Wäre hingegen kein solcher Begriff vorhanden, sondern lediglich die umfassende Beschreibung des Konzeptes, dann könnte der Musiker dies nicht als Albumtitel wählen (weil es nicht möglich ist, eine zu große Anzahl Buchstaben für einen Titel zu verwenden). In der aktuellen Form scheint „Grenzobjekt“ jedoch genügend plastisch zu sein, sodass der Begriff sowohl in der Kulturwelt als auch in der Wissenschaft zur Anwendung kommen kann. Gleichzeitig weist er eine gemeinsame Identität aus, die sowohl in der Musikwelt als auch in der Wissenschaft anerkannt wird: „Grenzobjekt“ wird als ein sozialwissenschaftliches Konzept verstanden. In den jeweiligen Anwendungen wird „Grenzobjekt“ konkreter, und zwar auf verschiedene Weise. Der Musiker erläuterte, wie er den Begriff auf die Musikwelt übertragen konnte: auf diejenigen Leute, die verschiedene Musikgenres produzieren und damit zwischen diesen verschiedenen Genres vermitteln. Seine Hoffnung sei, dass sein Album als Grenzobjekt funktionieren könne (Quelle: Materialsammlung). In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff konkret verwendet (d. h. hier detailliert beschrieben), um die Zusammenarbeit von verschiedenen Welten über Theoriekonzepte genauer zu erfassen. Neben den beiden lokal strukturierten Verwendungen kann „Grenzobjekt“ allerdings auch übergreifend gebraucht werden, wobei es ohne weitere Strukturierung einfach eine Verknüpfung von verschiedenen Welten beschreibt. Diese Eigenschaften (Plastizität und Robustheit sowie unterschiedliche Strukturiertheit nach Verwendungszusammenhang) ermöglichen eine Zusammenarbeit von verschiedenen sozialen Welten. Da keine Zusammenarbeit zwischen dem erwähnten EEM-Musiker und dem Autor der vorliegenden Arbeit stattfand, wird diese Funktion der Grenzobjekte anhand von weiteren Beispielen erläutert.

Grundsätzlich können die Theorien der Kultur- und Sozialwissenschaften als Grenzobjekte funktionieren, da sie in ganz unterschiedlichen Institutionen beziehungsweise sozialen Welten auftauchen. Neben den Disziplinen selbst, deren Studiengängen sowie der hier im Zentrum stehenden Kulturwelt haben die Konzepte eine große Verbreitung in der Gesellschaft erfahren. Verschiedenste soziale Welten haben in vergleichbarer Weise eine neue Problematisierung gemäß den Kultur- und Sozialwissenschaftlern erlebt, wie dies anhand der Exkurse deutlich wird (siehe [5.2.7], [5.3.9] und unten]) und in weiteren Analysen aufgezeigt wurde (siehe [1.21.3] und [2.3]). In diversen institutionellen Kontexten findet sich ein Teil von Personen, die mit den Theorien in Kontakt gekommen sind und die an der neuen Problematisierung von Kulturproduktion beteiligt sind. Im Gegensatz zur rein wissenschaftlichen Verwendung der Theorien kann in diesen inter-institutionellen Bezügen eine eher eingeschränktere Auswahl an Theorien als Grenzobjekte erwartet werden. Denn an Fachhochschulen sowie im Rahmen einer universitären Grundausbildung wird eine kleinere Auswahl von grundlegenden Theorien vermittelt.Footnote 81 Die Auswahl findet sich auch im Kanon der Studies wieder. Nicht zuletzt ergänzen die theoretischen Konzepte, die über die unterschiedlichen Kulturwelten hinweg auftauchen, dasjenige kultur- und sozialwissenschaftliche Wissen, welches als Teil der massenmedialen Berichterstattung rezipiert wird (Merton und Wolfe 1995; Korte 2019, 2021). Über verschiedenste Institutionen hinweg findet sich daher eine mehr oder weniger abgegrenzte Anzahl Konzepte, die vielen Personen als Referenzen bekannt sind.

Die eigentliche Zusammenarbeit wird ermöglicht, da die theoretischen Konzepte insbesondere einen „Idealtyp“ repräsentieren, als bestimmte Ausprägung von Grenzobjekten (Star und Griesemer 1989, S. 410).Footnote 82 Sie ermöglichen eine Beschreibung von etwas, während sie gleichzeitig keine genauen und detaillierten Angaben zu dem jeweiligen Etwas beinhalten. Ein solcher Idealtyp ist von allen Bereichen abstrahiert und bleibt vage. Damit kann er genau an die jeweiligen Gegebenheiten angepasst werden. In diesem Sinne dient eine Theorie als Mittel zur Kommunikation und etabliert die Kooperation in einem symbolischen Sinne: eine erste Begründung, dass man sich über etwas einig ist; eine Abstimmung, von der aus weitere Ansprüche gestellt werden oder gemeinsame Handlungen folgen können (vgl. Star und Griesemer 1989, S. 410; Bowker und Star 1999, S. 298). Dabei können die konkreten Verweise auf Theoretiker*innen oder Theorienamen und die theoretischen Themen sowie eine kultur- und sozialwissenschaftliche Problematisierung als Grenzobjekt funktionieren. So funktionierte etwa das Konzept einer Arbeiterklasse-Identität als Grenzobjekt für die bereits mehrmals erwähnte Musikerin (BF). Mit dem Verweis auf dieses Konzept konnte sie eine Zusammenarbeit mit einer Onlinezeitschrift initiieren, ohne genauer erläutern zu müssen, was mit dieser Identität konkret gemeint sei. Die Kontaktperson bei der Zeitschrift erläutert im Anschluss an die Nennung des Begriffs: „Das ist genau das, wonach wir immer suchen! Wir sind sehr an Texten interessiert, die auch mit politischer Theorie zu tun haben. Und ich glaube, dass Klassenfragen heutzutage manchmal übersehen werden – was auch Mark Fisher kritisiert hat“ (Quelle: Materialsammlung). Im Zitat wird nicht nur die symbolische Wirkung des Konzeptes der Klassenidentität deutlich, sondern auch wie die Kontaktperson der Zeitschrift gleich ein weiteres Grenzobjekt nutzt, nämlich den Verweis auf den Kulturwissenschaftler Mark Fisher. So kann eine Kooperation über Teilbereiche der sozialen Welten hinweg initiiert werden – hier zwischen einer Musikerin und einem Zeitschriftenredakteur.

Das ermöglichte Universalwissen

Ein Verweis auf die Theorien erfolgt daher, wenn die EEM-Akteur*innen sich in anderen Institutionen wiederfinden. Ein Interviewpartner (FI) tourte beispielsweise durch China mit einer Theaterproduktion, zu der er die Musik komponiert hatte. Im Rahmen dieser Tour war er an einer chinesischen Fachhochschule eingeladen, um einen Vortrag zu halten. Im folgenden Zitat erwähnt der Musiker, dass er beim Vortrag auf Butlers Performanzkonzept einging. Zuerst wird im Zitat deutlich, dass der theoretische Verweis nur teilweise als Grenzobjekt funktionierte, da die Referenz nicht allen Personen bekannt war. Danach wird weiter deutlich, wie durch das theoretische Konzept nicht nur eine Überwindung von Institutionengrenzen ermöglicht werden sollte (was teilweise scheiterte), sondern warum der Musiker weiter darauf zurückgriff. Während die Funktion der Theorien als Grenzobjekt kein für die Akteur*innen bewusster Aspekt ist, zeigt sich so ein bewusster Umgang mit dem Inhalt der Theorien. Das Konzept sollte dem Musiker helfen, den richtigen Inhalt für seinen Vortrag zu finden.

FI::

Letztes Jahr, als ich die Tour in China machte, wurde ich von diesem Konservatorium kontaktiert. Sie luden mich ein, einen Vortrag zu halten, und es war … Das war sehr lehrreich: sich vor etwa 100 Leute zu setzen, die einen ganz anderen Bezug zur zeitgenössischen Kultur haben. Ich versuchte, einer Gruppe junger chinesischer Musiker*innen zu erklären, was ich tue und wie ich das angehe. Das hat mich zum Nachdenken gebracht, nämlich darüber, wie ich über das, was ich mache, sprechen kann.

GS::

Und wie bist du an diese Situation herangetreten?

FI::

Ich habe über Performanz gesprochen; ich habe über Judith Butler gesprochen; ich habe mit ihnen über „queere“ Geschlechtsidentität gesprochen – auch, um ans Limit zu gehen. Und ich hab’ dann schon gemerkt, wie es einen „Aha“-Moment gab. Aber ja, es war wirklich schwierig, ihnen Performanz zu erklären. Ein paar von den Zuhörer*innen nahmen das auf. Viele haben es aber gar nicht verstanden, was ich aus ihren Gesichtern ablesen konnte. Es war eine interessante Diskussion, die sich entwickelte. Es ist eine Herausforderung, in Peking über Performanz zu sprechen.

GS::

Es gab also eine Menge Fragen nach deinem Vortrag?

FI::

Ja!

GS::

Was haben die Leute gefragt?

FI::

Einige von ihnen meinten nur: Was hat das damit zu tun, dass du Musik machst? Sie konnten es nicht verknüpfen.

GS::

Und was hast du geantwortet? Ich denke, das ist eine gute Frage: Was hat das mit Musik zu tun?

FI::

Was habe ich geantwortet … Ich glaube, ich habe nur gesagt: Tut mir leid, ich kann das nicht erläutern. Und der eine Typ sagte: „Kannst du mir deine Lieblingstipps fürs Produzieren verraten? Wie lässt du deine Beats gut klingen?“ Und ich so: „Warst du in den letzten zwei Stunden hier? Hast du nicht – warum fragst du mich das?“. […] Bis zu diesem Vortrag in Peking habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Leute es lieben, diese kleinen Referenzen auf Konzepte zu hören, sodass sie denken: „Ah, das ist jetzt was Wichtiges“.

GS::

Du wirst aber jeweils wegen deiner Musik im Rahmen von Theaterproduktionen für die Vorträge eingeladen oder? Denkst du nicht, dass es reicht, darüber zu sprechen?

FI::

… Ein paar Jahre [vor der China-Tour] wurde ich eingeladen, eine „Masterclass“ an der Hochschule für Theater in Hamburg zu geben, während ich für eine Aufführung in der Stadt war. Und ich fand es – es ist seltsam, sehr seltsam. Es waren nur zwei oder drei Stunden, aber: Es war schon fast schmerzhaft, einfach darüber zu reden, was ich mache, was ich gut finde und warum ich das mache, was ich mache. Man muss schon sehr viel Mut haben, um das so anzugehen. Ich denke nicht, dass es interessant ist, solche Vorträge zu halten. Ist es nicht offensichtlich, was ich mache!? Vor 50 Leuten in einem Raum sitzen und einfach über meine Arbeit sprechen, ohne den Anwesenden irgendeinen Rahmen zu geben, das ist seltsam. (Quelle: Interview)

Der Verweis auf die Theorien wird daher nicht nur als Signal angesehen, das eine Zusammenarbeit über Grenzen hinweg initiieren kann. Die Konzepte stehen auch für einen bestimmten Inhalt. Die Akteur*innen versprechen sich über die Verwendung der Theorien eine Kompetenz, die sie in unterschiedlichen Situationen anwenden können: ein Universalwissen. Ein weiterer EEM-Akteur (KN) beschrieb, dass es interessant sein könnte, „in konsequenter Weise die theoretische Sprache und deren implementierbare Begriffe zu brauchen“ (Quelle: Interview). Dies könne dann „einem selbst oder eine Organisation extrem weiterbringen oder hilfreich sein, um sich zu verorten; zu kapieren, wie man zu Dingen steht“ (ebd.). Der Akteur (KN) ergänzte weiter, dass er im Rahmen einer Firmengründung mit weiteren Personen darüber sprechen würde. Die theoretischen Konzepte repräsentierten für ihn einen Aspekt, der in diversen Bereichen eine Relevanz erlangen konnte: im Studium, im Zusammenhang mit der Kulturproduktion der EEM als auch in einer neu von ihm gegründeten Firma und damit wiederum in diversen gesellschaftlichen Bezügen. Er erläuterte daher weiter: „Ich finde es cool, wenn du hochkomplexe theoretische Modelle nehmen und skalieren kannst. Wenn du mit Leuten aus der Mode zusammenarbeitest, dann musst du es anders skalieren als für eine Kulturinstitution. Aber wie kann man für alle Bereiche den gleichen Grad von Komplexität aufrechterhalten? Das finde ich spannend“ (Quelle: Interview). Für den Akteur war ein „Modell“ oder ein theoretisches Konzept für alle Bereiche anwendbar und beinhaltete einen Mehrwert. Die theoretischen Konzepte ermöglichen daher die Zusammenarbeit über Grenzen hinweg, indem sie einen universellen Inhalt bereitstellen: ein Wissen, das überall anwendbar ist.

Das Universalwissen, das in Verbindung mit den theoretischen Konzepten steht, soll natürlich einen Bezug zur eigenen Kulturproduktion aufweisen. Dabei wird dieses Wissen als etwas imaginiert, das einen positiven Effekt hat. Die oben erwähnte Organisatorin (DA) einer EEM-Veranstaltung sah das Gesprächsformat als etwas an, aus dem sowohl die Präsentierenden als auch die Zuhörer*innen etwas für sich ableiten sollten: bei dem „eigene Möglichkeiten“ entstünden und „mehr in Bewegung komme“ (Quelle: Interview). Das Vorbereiten und Halten der Vorträge als auch die Teilnahme an diesen Gesprächsformaten beschrieb sie schon fast als eine grundlegende Kompetenz, wie sie in der Schule vermittelt wird: „So wie man alles üben muss: in der Öffentlichkeit auftreten und eine Frage stellen, auf dem Podium sitzen“ (ebd.). Diese grundlegende Kompetenz sollte eine jeweilige Kulturproduktion verbessern können. In sehr ähnlicher Weise sprachen Akteur*innen in einer Kooperation der Kulturwelt EEM mit dem Musikbereich der Klassik über eine solche grundlegende Kompetenz. Zusammen sollte eine gemeinsame Veranstaltung geplant werden und neben Konzerten schlugen die beteiligten Akteure aus der EEM ebenfalls ein Gesprächsformat vor. Die Akteurinnen der Klassik reagierten mit Interesse darauf und erläuterten, dass es eines ihrer Anliegen sei, die Musiker*innen mittels theoretischer Ansätze über die eigene Tätigkeit reflektieren zu lassen (Quelle: Feldnotizen). Insbesondere die Gesprächsformate scheinen für die Akteur*innen etwas zu repräsentieren, das in diversen Welten eine Relevanz entfalten könnte. In den beiden erwähnten Beispielen beschreiben die Akteur*innen ein Wissen, das im Zusammenhang mit der eigenen Kulturproduktion steht, aber auch in verschiedenen anderen Bereichen anwendbar ist. In vergleichbarer Weise erläutert Gerber (2017, S. 48 f.), wie Künstler*innen eine universelle Fähigkeit beschreiben, die im Zusammenhang zur eigenen Kulturproduktion steht. Performative Kulturproduktion und deren universelles Wissen scheint diese Fähigkeit nochmals zu erweitern, da die theoretischen Konzepte zudem als Grenzobjekte funktionieren.

Wird das Universalwissen als neuer Prozess der performativen Kulturproduktion aufgefasst, so lassen sich drei weitere Dinge verdeutlichen: Erstens stehen das Wissen sowie die damit verbundenen Kompetenzen in weiteren Zusammenhängen. Hier zeigen sich unter anderem die Folgen der Akademisierung von Kunsthochschulen (Singerman 1999; siehe [2.3.2]), mit der Kulturproduzent*innen mehr lernen als die Kulturproduktion im engeren Sinne (hier: das Produzieren von Musik). Es gilt, Vorträge zu halten und schriftliche Arbeiten zu verfassen (vgl. Krause-Wahl 2008), während das Erlernen der eigentlichen Produktionstechniken im Extremfall ganz ausgelassen wird (vgl. Fine 2018). Damit wird in den Ausbildungsinstitutionen nicht nur die beständige Reflexion als Kompetenz etabliert, sondern auch eine Vorstellung, dass diese Kompetenz überall zur Anwendung kommen kann. Eine sehr ähnliche Einstellung kann für diejenigen EEM-Akteur*innen erwartet werden, die eine kultur- und sozialwissenschaftliche Ausbildung genossen haben. Da hier oftmals kaum ein klar vorgegebenes Berufsprofil vorhanden ist (vgl. Diaz-Bone 2021a, S. 292 f.), können die Absolvent*innen „überall“ eine Stelle finden. Neben den Ausbildungsinstitutionen muss das Universalwissen auch im Zusammenhang zur Reise durch die Institutionen betrachtet werden. Eine solche Reise wäre den Akteur*innen verwehrt, würden sie beispielsweise „nur“ Musik produzieren. Über eine allgemeinere Kompetenz, die mit der Verwendung der Theorien in der Kulturproduktion imaginiert wird, können die Akteur*innen sich potenziell für eine Vielzahl gesellschaftlicher Bereiche als relevant betrachten. Diese mögliche Relevanz der eigenen performativen Kulturproduktion wird verstärkt durch eine Kulturalisierung in den spätmodernen Gesellschaften (Reckwitz 2017, S. 119 f.): In immer mehr gesellschaftlichen Bereichen wird den Produkten nicht mehr nur eine Funktion oder ein Nutzen zugeschrieben. Vielmehr sind es Güter, denen aktiv Wert zugeschrieben wird und die mit Geschichten angereichert werden müssen (Boltanski und Esquerre 2018, S. 15 f.). Damit verbreiten sich Prozesse in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, die ursprünglich in der Kulturproduktion entwickelt wurden (vgl. Boltanski und Chiapello 2003). Für diese Prozesse sehen die Akteur*innen ihr Universalwissen als relevant an.

Zweitens zeigen sich bestimmte Veränderungen in den Resultaten der Kulturproduktion selbst, die im Zusammenhang zum Universalwissen stehen und bereits beim benötigten Mehr auftraten. Für die Akteur*innen bietet dieses Wissen eine grundlegende Rechtfertigung, um Resultate der Kulturproduktion auf irgendeine Weise auszurichten. Ist nämlich das Universalwissen in Bezug zur Kulturproduktion vorhanden beziehungsweise darin enthalten, ist ein jeweiliger Prozess und dessen Resultat in jedem Fall relevant. Das Wissen wird an die erste Stelle gerückt, während das Resultat der Kulturproduktion als sekundär betrachtet wird. Das Vorhandsein eines Universalwissens ist somit eine Begründung für die Produzierenden, warum Rezipient*innen ein jeweiliges Resultat womöglich nicht gut finden müssen. Sollte dem nämlich so sein, so würde damit immer noch ein Wissen geschaffen, dass einen Mehrwert für verschiedene Bereiche bietet. Es entsteht eine Qualitätsgarantie für die Resultate der Kulturproduktion, die nicht in allen Details erläutert werden muss (wiederum einer „Partisanenhaltung“ im Umgang mit den theoretischen Konzepten folgend; siehe [5.2.8]). Vielmehr können die Akteur*innen davon ausgehen, dass mit dem Verweis auf die Konzepte etwas Universelles impliziert wird, und dieser Universalbezug entschuldigt Ungenauigkeiten. Weiter scheinen so Resultate der Kulturproduktion geschaffen zu werden, die aufgrund ihrer Verbindung zu diesem Wissen für unterschiedliche institutionelle Bezugswelten interessant sein können. Ein EEM-Stück wird als etwas ausgezeichnet, das gleichzeitig für eine Vielzahl von Kulturwelten, die Wissenschaft und weitere Institutionen relevant sein könnte. Ein solch universeller Charakter muss dabei gar nicht immer entstehen und wird womöglich von anderen Akteur*innen nicht anerkannt. In jedem Fall entspricht aber das Streben nach solchen Resultaten einem neuen Prozess, da gar nicht erst nach einer Autonomie der eigenen Kulturwelt gesucht wird.

Drittens kann auf eine Verschiebung von Rollen im Feld verwiesen werden, die aufgrund des Universalwissens deutlich wird. Hierbei musst zuerst festgehalten werden, dass das Auftauchen von theoretischen Kompetenzen in Kulturwelten nicht ein neuartiges Phänomen ist. Bereits in den 1980er Jahren fanden sich in britischen Zeitschriften Texte, die auf poststrukturalistische Theorien verwiesen (vgl. Brennan 2019). In den 1990er Jahren in Deutschland schrieb etwa der Kulturwissenschaftler Diedrich Diederichsen Texte für Musikmagazine (Hinz 1998, S. 197 f./259 f.) und ihm folgten weitere Autor*innen, die eine theoretisch-informierte Diskursivierung von Kulturproduktion in verschiedenen Zeitschriften betrieben. Ein ähnliches Phänomen zeigte sich in den frühen 2000er Jahre auf Internetblogs. Hier war es beispielsweise der Journalist und Kulturwissenschaftler Simon Reynolds, der mit Referenzen auf Theorie über Musik schrieb und auf „Roland Barthes, Georges Bataille, Friedrich Nietzsche, Michel Foucault, Julia Kristeva sowie Gilles Deleuze und Felix Guattari“ verwies, wie er in einem Interview von 2008 erklärte (Quelle: Materialsammlung). Es finden sich daher schon seit längerer Zeit theoretisch-informierte Valorisierungen von Kulturproduktion. In einer gegenwärtigen Kulturwelt wie der EEM zeigt sich jetzt aber, dass die theoretische Kompetenz für diese Strategien unter den verschiedensten Akteur*innen verteilt ist. Die Kulturwelten mögen zwar weiterhin über zentrale Instanzen der Interpretation verfügen (wie sie Diederichsen und Reynolds repräsentieren). Gleichzeitig werden deren Meinungen ergänzt von einer Vielzahl anderer Personen, die auf ein vergleichbares Universalwissen zur Interpretation und Konsekration von Kulturproduktion zurückgreifen können. Genauso wie die Produktionstechniken für Musik „demokratisiert“ wurden (siehe [5.4.1]), wurden auch die Theorie und damit die Valorisierungstechniken „demokratisiert“.

5.4.8 Das Aussetzen der Performativität

Am Ende des letzten Abschnitts wurde erläutert, dass ein Universalwissen von immer mehr Personen in einer Kulturwelt geteilt wird, die durch kultur- und sozialwissenschaftliche Theorien beeinflusst ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass alle Personen der EEM über ein solches Wissen verfügen und alle Personen Theorien im Zusammenhang mit Prozessen der Kulturproduktion verwenden. Dies ist auch den Akteur*innen in der Kulturwelt EEM bewusst. Die nicht theoretischen Positionen werden dabei nicht etwa abgelehnt, sondern sind durchaus legitim. Die Akteur*innen erläuterten dies als „unterschiedliche Motivationen“, als „intuitiven Umgang“ oder als „erfrischend“ (Quelle: Interviews). Ausgehend von der Tatsache, dass gleichzeitig eine performative und eine nicht performative Kulturproduktion in einer Kulturwelt vorhanden sind, folgen zwei Interessen: Zuerst und in einem einführenden Schritt kann auf Verwerfungen verwiesen werden, die aufgrund dieser Gleichzeitigkeit erfolgen. Danach kann als zweiter Schritt ein Aussetzen von Performativität verdeutlicht werden: wenn Akteur*innen keine performative Kulturproduktion mehr verfolgen, obschon sie dies eigentlich könnten. Dieses Aussetzen kann als ein neuer Prozess der Kulturproduktion angesehen werden, zeigt er sich doch überhaupt erst in Theorie-informierten Kulturwelten wie der EEM.

Aufgrund der Gleichzeitigkeit von theoretisch-informierten und nicht theoretischen Positionen wurden im empirischen Material immer wieder Verwerfungen deutlich: Enttäuschungen, Probleme oder Gegensätzlichkeiten und allgemein „kritische“ Situationen. Solche Verwerfungen wurden bereits in Situationen der Intermediation deutlich. So erfuhren die produzierenden Akteur*innen in sozial durchmischten Interaktionsbezügen (siehe [5.2.2]) teilweise direkt, wie ihre eigenen Formen der Kulturproduktion den Studies als Fälle dienten, anhand derer eine kultur- und sozialwissenschaftliche Problematisierung betrieben wurde. Eine solche Problematisierung muss nicht in jedem Falle zu einer positiven Konsekration führen, sondern kann negativ und kritisch ausgerichtet sein. Die problematisierenden Analysen unterstellen womöglich den Akteur*innen eine Naivität gegenüber den negativen Folgen von sozialen Aspekten wie Klassen, Geschlecht oder Machtpositionen. Die analysierenden Akteur*innen erlebten wiederum, dass ihre Forschungssubjekte direkt auf solche Ergebnisse reagieren können, weil die Subjekte Teil derselben sozialen Welten sind (sich etwa ganz konkret im selben Raum aufhielten). Neben der Situation der Intermediation zeigten sich Verwerfungen auch bei der Verwendung der Theorien. Beispielsweise folgerten zwei der interviewten Akteur*innen (BF & EG) aus ihrer performativen Kulturproduktion, dass sie gerade keine Theorien mehr explizit erwähnen wollten (um stattdessen vielmehr auf eine „unmittelbarere“ Produktion zu setzen). Trotzdem sahen sie sich mit einzelnen Situationen konfrontiert, in denen sie über die von ihnen verwendeten Konzepte hätten sprechen müssen. Aufgrund dieser Verwerfung war die Authentizität ihrer neuen, unmittelbareren Kulturproduktion in Gefahr. Eine immer wieder auftretende Verwerfung war folgende: Obschon die Akteur*innen bei sich selbst performative Effekte festmachen konnten, wurde ein vergleichbares Potenzial für Veränderungen den anderen Personen in der EEM nicht zugesprochen. Deren performative Kulturproduktion wurde so als eine nicht theoretische Position diskreditiert.

Die Verwerfungen zeigen sich allerdings nicht nur zwischen theoretisch-informierten und nicht theoretisch-informierten Akteur*innen, sondern werden auch innerhalb einzelner Individuen deutlich. Es entstehen intra-individuelle Verhaltensvariationen (Lahire 2011b): Akteur*in betreiben teilweise eine performative Kulturproduktion und teilweise nicht.Footnote 83 Solche Verwerfungen wurden etwa dann deutlich, wenn Akteur*innen in Situationen der Intermediation tätig waren und gleichzeitig eine damit verbundene Rolle der öffentlichen Vermittlung der Theoriekonzepte nicht wirklich annehmen wollten. Eine Akteurin erwähnte beispielsweise, dass sie für ein Gesprächsformat einer Veranstaltung ihr „Akademikeroutfit“ trage und dass sie dieses gleich wieder wechseln wolle. Sie wollte zu ihrem „normalen Techno-Outfit“ zurückkehren, um ein Konzert besuchen zu können (das bei derselben Veranstaltung stattfand; Quelle: Feldnotizen). Sie beschrieb damit zwei verschiedene Rollen, die sie einnahm, und eine Trennung innerhalb ihrer Person: Ersteres Outfit war ihre „Verkleidung“ für das Setting, in dem eine Intermediation stattfand; letzteres war ihr „normales“ Aussehen, zu dem sie wieder zurückkehren wollte. Neben einem solchen Rollenwechsel erleben die Akteur*innen teilweise eine intra-individuelle Variation über theoretische Vorstellungen. Der Interviewpartner (FI), der auf Butlers Performanzkonzept zurückgriff, hob hervor, dass er dieses Konzept – und damit sein normatives Praxisprinzip – immer wieder selbst hinterfragte. Dieses Hinterfragen wurde über weitere theoretische Ansätze bewirkt:

FI::

Fast einmal pro Woche stoße ich auf etwas, das all meine bisherigen Überlegungen überwirft. Kürzlich habe ich diesen Text von Jean Francois Lytord gelesen. Und er ist total gegen Performanz! Das sei im Grunde ein neokapitalistischer Trick, um einem langfristigen Diskurs zu entgehen über grundlegende Bildung und Möglichkeiten, Dinge zu verändern. Das Konzept sei eine billige, schnelle Lösung! Und ich dachte mir: „Scheiße, was mach’ ich denn jetzt?“ (Quelle: Interview)

Die Verwerfungen machen deutlich, dass in der Kulturwelt eine bestimmte Inkonsistenz in Bezug auf Performativität vorhanden ist. Nicht alle Aspekte werden gemäß einer kultur- und sozialwissenschaftlichen Perspektive problematisiert und nicht immer wird ein theoretisches Argument in jeder Hinsicht ernst genommen beziehungsweise es kommt gar nicht zur Anwendung. Solche Inkonsistenzen sind kein Spezialfall der performativen Kulturproduktion, sondern sie können in Kulturwelten und deren Wertvorstellungen allgemein erwartet werden (vgl. Gerber 2017, S. 11 f.). Für das Interesse der vorliegenden Arbeit ist dies relevant, da so ein „Aussetzen“ von performativer Kulturproduktion deutlich wird. Dieses Aussetzen muss ergänzend zum Scheitern von Performativität betrachtet werden, das in den anderen beiden Situationen dieses Kapitels erläutert wurde (als ein grundsätzliches Scheitern [5.2.8] und als Scheitern in der Übersetzung 2 [5.3.8]). Das Scheitern zeigte nämlich auf, wann eine performative Wirkung der Theorien nicht erfolgen kann. Das Aussetzen wiederum verdeutlicht, wann Akteur*innen keine performative Kulturproduktion betreiben, obschon kein Grund für ein Scheitern der Performativität vorhanden wäre und sich eine performative Wirkung der Theorien eigentlich entfalten könnte.

Der Blick auf dieses Aussetzen ermöglicht eine spezifische Betrachtung von Performativität, die sowohl eine theoretische als auch eine empirische Erweiterung markiert: Theoretisch lässt sich ein bestimmtes Merkmal der Koordination mittels Qualitätskonventionen einführen. Dieses kann allgemein betrachtet werden, wenn Handlungsweisen von Akteur*innen in Bezug gesetzt werden zu den Rechtfertigungen dieser Konventionen (siehe [2.2.4]), und das Merkmal ist zudem für die eingeführte konventionelle Grundlage für Performativität relevant (siehe [5.2.8]). Um nämlich eine Handlungsanleitung und Koordination zu ermöglichen, sind sowohl ein „Schließen“ als auch ein „Öffnen“ der eigenen „Augen“ gegenüber bestimmen Konventionen notwendig (Boltanski und Thévenot 2007, S. 313 f.; Thévenot 2009, S. 759 f., 2019, S. 55; vgl. Vogel 2019, S. 100 f.).Footnote 84 Anhand einer Metapher mit zwei Augen kann dies wie folgt beschrieben werden: Das geschlossene Auge bezieht sich auf die etablierte Koordinationsweise. Es wird einer gewissen Qualitätskonvention oder einer Kombination von Konventionen ein völliges Vertrauen geschenkt. Die ablaufenden Prozesse werden nicht hinterfragt, da womöglich gegensätzliche konventionenbasierte Möglichkeiten gar nicht in den Blick genommen werden. Das Auge wird gegenüber allem geschlossen, was einen Zweifel in der etablierten Koordinationsweise auslösen könnte (Thévenot 2019, S. 55). Gleichzeitig ist aber das andere Auge geöffnet: Bestimmte Koordinationsformen und deren Wertigkeiten werden als kontingent wahrgenommen oder können kritisiert werden (vgl. Diaz-Bone 2018a, S. 338). Gegenüber diesen anderen Qualitätskonventionen wird die eigene Koordinationsweise abgegrenzt, ohne dass diese Weise hinterfragt wird. Bisher wurde vor allem erläutert, wie die EEM-Akteur*innen der konventionellen Grundlage für Performativität unhinterfragt folgen, und damit ihr anderes Auge für die Handlungskoordinationen der Kulturproduktion öffnen. Über das Aussetzen von Performativität lässt sich nun der umgekehrte Fall verdeutlichen: Das eine Auge der Akteur*innen verschließt sich gegenüber der Kulturproduktion und dieser wird wieder „blind“ gefolgt. Hingegen öffnet sich das andere Auge für die konventionelle Grundlage der Performativität und diese wird von den Akteur*innen als kontingent wahrgenommen: als etwas, dem sie nicht mehr unbedingt folgen müssen.

Bei der empirischen Analyse des Aussetzens lässt sich neu differenzieren, wann eine kultur- und sozialwissenschaftliche Problematisierung nicht betrieben wird und wann theoretische Konzepte nicht mehr zur Anwendung kommen. In den bisherigen Erläuterungen wurden diese beiden Aspekte immer gleichgesetzt, beziehungsweise es wurde davon ausgegangen, dass eine kultur- und sozialwissenschaftliche Problematisierung immer im Zusammenhang mit einer entsprechenden Theorieverwendung steht. Anhand des Aussetzens von Performativität kann dies genauer betrachtet werden, nämlich getrennt. In Bezug auf eine Position, die performative Kulturproduktion betreibt, kann jeweils gefragt werden, ob entweder eine fehlende Problematisierung oder eine fehlende Theoretisierung zum Aussetzen von Performativität führt. Diese beiden Möglichkeiten können in drei verschiedenen Kontexten aufgezeigt werden, die für die Akteur*innen konkurrierende Logiken bereitstellen (vgl. Lahire 2011a, S. 47): das Private, das Feld und die weitere Gesellschaft.

Im Privaten erfolgt ein Aussetzen von Performativität deshalb, weil ein*e Akteur*in einen Bezug zur eigenen Person oder zu einem Bekannten oder einer Freundin erlebt. Eine kultur- und sozialwissenschaftliche Problematisierung wird nicht mehr betrieben, da die eigene Person oder eben die Bekannte beziehungsweise der Freund negativ betroffen wäre.Footnote 85 So wurde von einem Akteur etwa die Klassenherkunft in der Kulturproduktion problematisiert. Gleichzeitig stellt er aber keine Überlegungen dazu an, wie er selbst in einer solchen Klassenstruktur zu verorten sei, und thematisierte seine sozialstrukturelle Einordnung und die damit einhergehenden Ungleichheiten nicht. In ähnlicher Weise kann eine Problematisierung ausgelassen werden, wenn diese auf eine nahestehende Person angewendet werden müsste. Das Private als Bezugspunkt kann weiter zum Aussetzen einer Theorieanwendung führen. So fanden sich immer wieder Situationen im empirischen Material, in denen Akteur*innen eine Theoretisierung abbrachen, die Erklärung eines theoretischen Konzepts verkürzten oder darüber lachten und diese ironisch darstellen wollten. Dies erfolgte insbesondere in denjenigen Gesprächen, die in einem freundschaftlichen oder intimen Rahmen stattfanden. Dort schienen Theoretisierungen teilweise nicht mehr angemessen zu sein. Hingegen erläuterten dieselben Akteur*innen die Konzepte in anderen, weniger als privat empfundenen Kontexten in vollständiger und ernsthafter Weise. Die Verwendung der Theorien selbst ist daher oftmals Teil eines öffentlichen Auftretens (vgl. Gerber 2017, S. 115), während in einem intimeren Rahmen die Konzepte nicht erwähnt werden.

Ein zweiter Kontext, der die Akteur*innen zu einem Aussetzen der Performativität veranlassen kann, ist das Feld der Kulturproduktion: Performativität findet dann nicht statt, weil ein bestimmter Prozess im Feld dies einschränkt, obwohl die konventionelle Grundlage vorhanden wäre. Das Feld als sozialer Kontext kann daher sowohl eine performative Kulturproduktion befördern, wie dies bisher aufgezeigt wurde, als auch eine solche Produktion einschränken. Das Aussetzen zeigt sich zuerst in ähnlicher Weise wie bereits im privaten Kontext, nun allerdings nicht auf die Person, sondern auf die Position einer Akteurin bezogen: Eine Problematisierung kann nicht betrieben werden, wenn dadurch die eigene Position im Feld in einer negativen Weise dargestellt wird. So können beispielsweise Machtprozesse in der Kulturproduktion problematisiert werden, während gleichzeitig die eigene „Macht“ – etwa des eigenen Musikverlags – nicht Teil dieser Problematisierung ist. Ein solches Aussetzen aufgrund des Feldes wird auch in Bezug zu Theorien deutlich: Auf der einen Seite können Feldprozesse dazu führen, dass theoretische Konzepte ignoriert werden. Ein interviewter Musiker (IL) wurde beispielsweise für eine Veranstaltung gebucht, da er in der Kulturproduktion seine Herkunft als Thema behandelte. In der EEM wurde die Herkunft von Musiker*innen immer mehr zu einem wichtigen Faktor für die Entscheidung zur Zusammenarbeit mit Künstler*innen (etwa für eine Veranstaltung). Dieses „neue“ Thema des Feldes führte aber auch dazu, dass die kultur- und sozialwissenschaftlichen Konzepte, welche der Musiker ebenfalls miteinbezog, nicht bei der Veranstaltung thematisiert wurden (sondern nur seine Herkunft). Auf der anderen Seite können Feldprozesse dazu führen, dass Problematisierungen im Sinne der Kultur- und Sozialwissenschaften eingeführt werden, ohne dass dabei ein Wissen in Bezug auf Theorien notwendig wäre.Footnote 86 Die Akteur*innen gelangen etwa aufgrund von langer Erfahrungen zu einer entsprechenden Problematisierung der Prozesse, allerdings ohne jemals in Kontakt mit einem theoretischen Konzept gekommen zu sein. Auch so wären die Bedingungen für Performativität gegeben, aber die Akteur*innen würde keine Notwendigkeit für die Auseinandersetzung mit den Theoriekonzepten erkennen.

Nicht zuletzt kann Performativität ausgesetzt werden, wenn sich Akteur*innen in Kontexten wiederfinden, die nicht der Kulturwelt, sondern allgemeineren, gesellschaftlich weiterreichenden Bezügen entsprechen. Solche Kontexte können beispielsweise Veranstaltungen mit breitem Publikum oder Berichterstattungen in den Massenmedien sein (vgl. Crane 1992, S. 4 f.). Das Aussetzen einer kultur- und sozialwissenschaftlichen Problematisierung kann daher anhand des Agendasettings der medialen Akteur*innen verdeutlicht werden: Die Massenmedien verhandeln nur diejenigen Aspekte des Sozialen, die von ihnen selbst als relevant erachtet werden und einem „öffentlichen“ Interesse entsprechen sollen (vgl. Merton und Wolfe 1995, S. 17; Fenton et al. 1998, S. 105 ff.; Korte 2021, S. 103/360). Andere kultur- und sozialwissenschaftliche Problematisierungen, die zusätzliche Aspekte behandeln, können im allgemeineren gesellschaftlichen Kontext nicht betrieben werden. Dieser Kontext führt weiter dazu, dass die EEM-Akteur*innen sich mit einem besonders heterogenen Publikum konfrontiert sehen, das nicht dieselben Referenzen teilt wie sie. Die theoretischen Konzepte funktionieren dann womöglich nicht mehr als Grenzobjekte und werden von den Akteur*innen nicht mehr erwähnt. So zeigt sich ein indirektes Aussetzen einer Theoretisierung: Die Akteur*innen werden dazu veranlasst, keine entsprechenden Referenzen mehr zu verwenden. Das Aussetzen kann aber auch direkt durch den weiteren gesellschaftlichen Bezug erfolgen: So führte ein EEM-Akteur (KN) ein Gespräch mit einer Journalistin einer Tageszeitung, bei der ein Musikalbum besprochen wurde. Dabei erwähnte er das Konzept des Plattformkapitalismus und verwies auf den Philosophen und Ökonomen Nick Srnicek (2020). Die Referenz wurde von der Journalistin nicht für ihren Artikel in der Tageszeitung übernommen: Der weitere gesellschaftliche Kontext des Massenmediums führt (über die Journalistin) direkt zum Aussetzen der Performativität.

5.4.9 Exkurs zur Situation der neuen Prozesse: Zeitgenössischer Tanz

Wie in den vorhergehenden beiden Situationen ([5.2.7] und [5.3.9]) soll auch für die neuen Prozesse ein Exkurs in eine andere Kulturwelt präsentiert werden. Dies verdeutlicht nochmals grundsätzlich, dass die Performativität von kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien ein breiteres gesellschaftliches Phänomen ist, welches eine Vielzahl von Produktionswelten beeinflusst. Hier werden nun die neuen Prozesse, die sich aus diesem Phänomen ergeben, in Ausschnitten aus der Welt des Tanzes betrachtet. Schon zu Beginn der empirischen Arbeit wurde immer wieder deutlich, dass in dieser Kulturwelt ebenfalls auf Theorien der Kultur- und Sozialwissenschaften verwiesen wurde. Die Entscheidung, Daten zu diesen Theorieverwendungen zu erheben, wurde deshalb getroffen, weil Tanzaufführungen oftmals in den Kulturhäusern stattfinden, in denen auch Veranstaltungen der EEM präsentiert werden. Die Organisator*innen oder auch Kurator*innen der beiden Welten arbeiten daher teilweise zusammen oder zumindest an denselben Orten. Gleichzeitig ist die Kulturwelt des Tanzes stärker etabliert als eigene „Sparte“ solcher Kulturhäuser, während die EEM oftmals nur den kleinen Teil eines Musikprogramms repräsentiert oder entsprechende Veranstaltungen nur zu bestimmten Zeitpunkten in den Häusern stattfinden (wenn diese etwa als Austragungsorte von EEM-Festivals dienen). Der Tanz, so die Ausgangslage, scheint daher eine stärkere Institutionalisierung aufzuweisen als die im Zentrum stehende Kulturwelt. Deshalb soll betrachtet werden, wie sich am Beispiel des zeitgenössischen Tanzes die neuen Prozesse im Zusammenhang mit Performativität in der Kulturproduktion zeigen.

Zeitgenössischer Tanz umfasst grundsätzlich die Aufführungen von Tanzkunst vor Publikum. Bei diesen Aufführungen, so eine im Feld verwendete Definition (Traub 2001, S. 181), werden verschiedenste Tanzstile und choreografische Verfahren für Bühnenproduktionen kombiniert, wobei sich bisherige Entwicklungslinien vermischen. Damit habe sich der Tanz seit den 1980er Jahren von den „festgelegten Gruppentänzen des Gesellschaftstanzes“ einerseits und dem „hoch spezialisierten Zeichensystem des klassischen Balletts“ anderseits gelöst, um einen neuen Umgang mit Bewegung zu Musik zu entwickeln (Rosiny 2007, S. 11). Mit dieser Entwicklung wurde der Einsatz von Musik von verschiedensten Medien ergänzt sowie eine Vielzahl von Tänzen aus diversen Subkulturen integriert. Gleichzeitig wurde Tanz selbst teilweise fast bis zum „Nichttanz“ reduziert (Rosiny 2007, S. 9) und dies gehe so weit, dass fast keine festen Parameter mehr bestimmt werden können, um Tätigkeiten auf der Bühne als „tänzerisch“ zu erfassen (Apostolou-Hölscher 2015, S. 30). Mit diesen Veränderungen der Tanzaufführungen selbst ging ein organisationaler Wechsel einher: weg von festen Tanzensembles und gleichbleibenden Aufführungsorten hin zu freischaffenden Tanzgruppen und Festivals (vgl. Rosiny 2007, S. 11). Im zeitgenössischen Tanz zeigt sich daher ebenfalls eine große Offenheit der Produktion, die auch in der Kulturwelt der EEM deutlich wurde (siehe [5.3.2]). Entscheidend für eine solche Unbestimmtheit, so eine bereits zitierte Autorin weiter, sei insbesondere der „philosophische Diskurs der Post-Moderne“ gewesen (Rosiny 2007, S. 7). Auch die anderen im Absatz zitierten Autor*innen aus der Kulturwelt beziehen theoretische Konzepte mit ein, um ihre Beschreibungen vorzubringen.

Damit wird bereits deutlich, dass im zeitgenössischen Tanz eine starke Theoretisierung anhand kultur- und sozialwissenschaftlicher Konzepte erfolgt. In der Situation der Intermediation der Kulturwelt kann den Studies wiederum eine zentrale Rolle zugeschrieben werden: den Tanzwissenschaften oder eben den „Dance“ sowie „Performance“ Studies. In den USA wurden diese Fächer bereits aber der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Ergänzung zum eigentlichen Training im Tanz etabliert (vgl. Manning et al. 2020, S. 5). In anderen Ländern wie Deutschland erfolgte diese Etablierung erst später und eher direkt im akademischen Kontext von Theater- und Musikwissenschaften (vgl. Giersdorf 2011, S. 165). Der eigentliche Übergang zu einem Fach, das eine kultur- und sozialwissenschaftliche Problematisierung betreibt, erfolgte in den 1990er Jahren. Zentral hierfür waren die Anwendung der Ansätze der Cultural Studies auf den Tanz (z. B. Desmond 1997), die zu einer Integration von entsprechenden theoretischen Konzepten führten. Teile der Tanzwissenschaften verstanden sich als „Critical Dance Studies“. Der Begriff wurde vom Soziologen, Tänzer und Professor Randy Martin eingeführt (1998; vgl. Apostolou-Hölscher 2015, S. 31).Footnote 87 Dieses neue Verständnis habe nicht nur dazu geführt, dass kultur- und sozialwissenschaftliche Theorie Teil des Fachs wurde, so ein weiterer Autor im Feld, sondern dass Tanz selbst als Theorie verstanden werden könne:

The formation of what Randy Martin has called „critical dance studies“ (1998) has gained increased momentum over the past decade. Martin's notion of critical dance studies clarified how dance scholarship was being reshaped by the explicit inclusion of critical theory in its methodologies and terminologies. One of the major consequences for dance studies in embracing critical theory was an identification of dancing and choreographic practices as being also theory. (Lepecki 2012, S. 95, Hervorhebung i. O.)

Im Bereich des zeitgenössischen Tanzes scheint eine Selbstverständlichkeit bei der Verwendung von theoretischen Konzepten vorzuherrschen, welche diejenige in der Kulturwelt der EEM noch übersteigt. Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass ein zentraler Bezug für die Theoretisierung vorhanden ist, nämlich der Körper. Über dieses einheitliche „Studienobjekt“ versuchen die Akteur*innen den Tanz zu problematisieren und verdeutlichen, dass sich das Soziale sowohl sehr gut anhand des Körpers aufzeigen lasse, als auch dass das Soziale diesen formen würde: Der Körper sei sowohl „Bedeutungsträger“ als auch „Projektionsfläche“, so eine Akteurin (Quelle: Materialsammlung). Solche und ähnliche Theoretisierungen sind so selbstverständlich, dass die Frage, ob eine Integration von theoretischen Konzepten aus den Kultur- und Sozialwissenschaften notwendig sei, nicht mehr gestellt wird. Die Bereiche einer Tanzpraxis auf der einen Seite und eine theoretische Reflexion darüber auf der anderen Seite werden als verknüpft betrachtet beziehungsweise diese Verknüpfung wird vorausgesetzt. Die Akteur*innen sehen es als selbstverständlich an, dass in der Kulturwelt und in der Wissenschaft dieselben Probleme behandelt werden. Im Feld selbst werden andere Dinge befragt: So wird bereits thematisiert, wie es dazu kommen konnte, dass theoretische Konzepte eine so wichtige Rolle spielen. Dies zeigt sich anhand folgender Frage eines Akteurs: „Warum spielt die Theorie eine immer wichtigere Rolle für zeitgenössische Choreograph*innen und an den Hochschulkursen für Tanz, Choreographie und Performance?“ (Quelle: Materialsammlung). In der Welt des Tanzes kann daher davon ausgegangen werden, dass die Theoretisierung bereits weiter fortgeschritten ist als in der hauptsächlich untersuchten Kulturwelt der EEM (oder in den beiden anderen Vergleichswelten des Designs und der Informatik).

Für den vorliegenden Exkurs wurde nicht die Situation der Intermediation in der Welt des Tanzes betrachtet, sondern auf eine Ausgabe eines Tanzfestivals in Deutschland eingegangen. Die dort ersichtlichen neuen Prozesse sollten als Vergleichspunkte dienen. Als empirische Grundlage wurde ein Interview mit dem Festivalorganisator (PT) geführt und Material in Form von Broschüren, Flyern und verschiedenen Medienbeiträgen für die Bewerbung der Veranstaltung gesammelt. In diesem Material wurde schnell das zentrale „Studienobjekt“ deutlich: Die Kommunikationsarbeit machte unter anderem darauf aufmerksam, dass im Festival Fragen nach verschiedenen Körpern und deren Kategorisierung gestellt würden. Mit diesen Fragen, so eine weitere am Festival beteiligte Person (QV), beschäftige sich „nicht nur der Tanz, sondern auch die Forschung“ (Quelle: Feldnotizen). Das Festival versuche, die beiden Bereiche zu verbinden: Man wolle „die Überlegungen der Wissenschaft übersetzen in ein neues Feld: Tanz und Performance“ (ebd.). Gleichzeitig wurde das Festival nicht aufgrund seines Bezugs zu einer kultur- und sozialwissenschaftlichen Betrachtung von Körpern ausgewählt, sondern aufgrund folgender Tatsache: Das Festivalthema verwies auf Das Ende der Illusionen, ein Buch des Soziologen Andreas Reckwitz (2019).Footnote 88 Das Programmheft führte aus: „Viele Erwartungen, die wir lange gehegt haben, erweisen sich heute als Illusionen. Das Ergebnis ist eine gesamtgesellschaftliche Desillusionierung. Was ist da los? […] Das Festival begibt sich unter dem Titel ‘Keine Illusionen’ auf die Spur dieses Phänomens“ (Quelle: Materialsammlung).Footnote 89

Im Exkurs kann zunächst auf einige Aspekte verwiesen werden, die bei der Situation der Verwendung der Theorien deutlich wurden. Bei der Entscheidung der Organisator*innen für den theoretischen Ansatz von Reckwitz wurde wiederum eine Anrufung deutlich. Der interviewte Organisator (PT) erläuterte: „Für uns war der ausschlaggebende Punkt, dass Reckwitz sich auch des Kunstfeldes annimmt. Also entschieden wir: Das schauen wir uns genauer an und da ziehen wir für uns was raus“ (Quelle: Interview). Als Einfallstor und Beginn der performativen Kulturproduktion fungierte ein Festivalkonzept, das vom Organisator gemeinsam mit zwei Mitarbeitenden verfasst wurde und bei dem sie an mehreren Stellen auf Reckwitz’ Buch verwiesen. Als Folge der Übersetzung 1 zeigt sich etwa ein effektiv performativer Effekt im Bereich der Ontologie und Autorschaft. Der Organisator entschied sich dafür, das Programm des Festivals anhand von zwei Einheiten des Sozialen zu ordnen: Produktionen, die einerseits das Individuum sowie Fragen des Ichs in den Fokus stellen, und Produktionen, die andererseits eine Verbundenheit mit Kollektiven ins Zentrum rücken. In dieser Ordnung folgte er den von Reckwitz beschriebenen Einheiten der Hyperkultur und des Kulturessentialismus (vgl. Reckwitz 2019, S. 38/42). Eine Übersetzung 2 erfolgte beispielsweise auf die Ausführungsmediationen, ebenfalls als effektive Performativität. Hier war es die Vorstellung eines „Doing Universality“ (Reckwitz 2019, S. 52 f.), die eine Blaupause für die Kulturproduktion vorgab und dazu führte, dass die Programmtexte auf neue Weise angegangen wurden:

PT::

Wir wissen von Reckwitz ganz klar, dass dieses „Doing Universality“ – eine von Judith Butler geklaute Geschichte – etwas Prozesshaftes ist. Wir müssen diese Arbeit am Universalen machen, da dranbleiben. […] Normalerweise läuft es bei uns dann so weiter, dass wir auch die Texte schreiben für das Programmheft, für die Homepage. Das ist meistens die Dramaturgie, weil die eigentlich näher am Programm dran ist, und da mehr drüber sagen kann. In dem Fall haben wir gesagt: Hey, „Universality“, wie wäre es denn, wenn wir das ganze Team die Texte gemeinsam schreiben lassen? Und das war irgendwie grandios. Wir konnten diejenigen früher miteinbinden, die für ein Festival auch essentiell sind, aber immer auch zum Schluss erst diesen Festivalgedanken mitbekommen: die Technik, zum Beispiel, oder unser Team der Bar. Wir haben die Hoheit des Textschreibens – was ja auch immer ne dramaturgische Geschichte ist –, anders ausgerichtet. So hat die Dramaturgie nicht einen Text alleine geschrieben, sondern gemeinsam mit unserem Praktikanten der Kommunikation, der Leiterin der Bar, dem Produktionsleiter, unserer Betriebsleiterin, meinem Kollegen in der Geschäftsleitung und so weiter. Das sind alles Stimmen, die aus ihrem Zugang zu diesen einzelnen Bühnenproduktionen etwas beitrugen. Und das war wirklich ein Clou. Das macht man sonst nicht. Und da haben uns auch viele gesagt, dass sie das unglaublich bereichernd fanden. (Quelle: Interview)

Die Situation der Verwendung der Theorien bleibt hier nur fragmentarisch, da die empirische Analyse sich auf die Festivalorganisation beschränkte. In dieser Organisation zeigte sich auch ein Scheitern der Übersetzungen 2: Der Festivalorganisator konnte keinen oder nur sehr geringen Einfluss auf die Tanzproduktionen nehmen, da diese Produktionen von „freien“ und nicht mit dem Haus verbundenen Gruppen vorbereitet wurden. Das Kulturhaus, zu dem der Organisator gehörte und in dem das Festival stattfand, hatte hingegen kein eigenes Tanzensemble (was ein gängiges Merkmal des zeitgenössischen Tanzes ist; siehe oben). Er konnte daher lediglich die freien Gruppen auswählen: „Es funktioniert in der freien Szene nicht so, dass du Choreograf*innen ansprechen kannst: ‚Ich mach ein Festival zum Thema Desillusionierung – kannst du bitte ein Stück dazu machen?‘“ (Quelle: Interview). Die Gruppen hätten jeweils ihre eigenen Produktionslogiken und Produktionsrhythmen, so der Organisator weiter, sowie ihre eigenen Themen, die sie bearbeiten würden. Deshalb konnte er beispielsweise kaum einen Einfluss auf die Ausführungsmediationen dieser Gruppen ausüben.

Die Valorisierung mittels generischer Performativität bot dem Organisator eine Möglichkeit, den fehlenden Einfluss auf die Produktionen (und damit das Scheitern der Übersetzung 2) zu kompensieren. Die Neurahmung war eine Strategie, um zu verdeutlichen, dass eine Produktion zum Thema passt, einen Sinn ergibt und zum Festival dazugehört. Er erklärte im Gespräch, dass einzelne Produktionen aufzeigen würden, wie beispielsweise eine Desillusionierung sich beim spätmodernen Individuum zeige. Die Valorisierung im Rahmen des Tanzfestivals machte zudem auf einen anderen Aspekt aufmerksam, der im Rahmen der EEM so nicht auftrat. In den Aussagen des interviewten Organisators wurde deutlich, dass gleichzeitig mit den Valorisierungen eine eigene Übersetzung in Bezug auf die theoretischen Konzepte geleistet wurde. Die Konzepte galt es nicht nur auf die vorhandenen Kulturproduktionen von anderen Akteur*innen anzuwenden, sondern es sollte auch eine kontinuierliche Beschäftigung mit den theoretischen Aspekten erfolgen, um diese zu erweitern und umzuformen. Der Organisator erklärte, dass er nicht einfach ein Buch wie das Ende der Illusionen lese und dann lediglich diesen Ansatz verfolge. Vielmehr seien diese Überlegungen „permanent“ und „nicht nur auf einen Zeitpunkt festgelegt“ (Quelle: Interview). „Du gehst von ’ner soziologischen Perspektive aus und entdeckst dadurch: ‚Moment mal, es gibt noch andere Antworten auf dieses gleiche Phänomen, andere Wissenschaften‘“ (ebd.). Der Organisator betrieb daher im Rahmen der Valorisierung einen Aufwand, um Konzepte zu verknüpfen, zu erweitern und auf Kulturproduktion anwendbar zu machen (und nicht nur, um eine bestimmte Produktion als wertvoll auszuzeichnen).

Die zuvor beschriebene Ausgangslage des fehlenden eigenen Ensembles kann der „negativen“ Emanzipation zugeordnet werden, bei der eine gesellschaftliche Problemstellung die Verwendung von Theorie befördert. Neben diesem Aspekt stach vor allem eine „positive“ Emanzipation hervor. Die damit implizierte Hervorhebung der eigenen Produktionswelt schien bereits sehr weit fortgeschritten zu sein. Für den Festivalorganisator war etwa klar, dass mit dem Tanz als Aufführungsmedium eigentlich alles möglich sei. Er und weitere Personen des Festivals verdeutlichten immer wieder, dass „gerade der Tanz“ ein bestimmtes Thema sehr gut veranschaulichen und behandeln könne (Quelle: Materialsammlung). Als Konsequenz dieser Emanzipation war es für den Organisator beinahe eine Notwendigkeit, sich einem bestimmten Thema zu widmen. Dies bot eine Legitimation nach außen, insbesondere für staatliche und private Förderinstitutionen. Wiederum ergänzten sich dabei die theoretische Problematisierung und die gesellschaftliche Problemstellung. Der Interviewpartner ging davon aus, dass über beide „Probleme“ dieselben Themen verfolgten würden, wie er im nächsten Zitat erläutert. Gleichzeitig wird darin deutlich, dass er über eine wissenschaftliche Recherche Sicherheit erlangen und Evidenz für die Themenwahl finden wollte:

PT::

Diese Felder von Wissenschaft und Kunst, die haben sehr viel miteinander zu tun. Die bearbeiten gleiche Dinge mit anderen Mitteln. Dadurch entstehen oft Ideen, Bereiche oder Themen, die gesellschaftlich gerade relevant sind. Und dann ist man auch sehr schnell in der Recherche bei wissenschaftlichen Texten. Das ist uns bei der Recherche auch total wichtig: dass wir nicht einfach irgendwie – wenn wir so ein Festival machen, dass das wirklich auch Hand und Fuß hat. […] Du machst eine fundierte Recherche parallel dazu, dass du sofort dran denkst, welche Produktion dir in den Sinn kommt, die was davon behandelt. (Quelle: Interview)

Im Zusammenhang zum untersuchten Tanzfestival wurde ebenfalls deutlich, dass die Kulturproduktion ein Mehr zu benötigen scheint. Für die Veranstaltung war hierbei ein sogenanntes „Begleitprogramm“ zentral, das teilweise sehr ähnlich gestaltet war wie die Gesprächsformate in der EEM. Dieses Programm sollte einen „Zugang“ zu den Bühnenproduktionen schaffen und das Festivalthema gleichzeitig „vertiefen“ und „weitertragen“, so die Idee (Quelle: Interview). Dessen Umfang verdoppelte das eigentliche Bühnenprogramm. Auf Wunsch des Organisators sollten im Rahmen des Begleitprogramms insbesondere wissenschaftliche Zugänge präsentiert werden. Im tatsächlich präsentierten Programm selbst machten diese dann aber nur einen kleinen Teil aus. Denn hier führte die Vorstellung, dass mit dem Festival ein breites Publikum angesprochen werden sollte, dazu, dass Performativität ausgesetzt wurde: Im Interview erläuterte der Organisator, dass eine Person im Team jeweils sicherstellte, dass sie „nicht nur wissenschaftliche Vorträge“ präsentieren würden, um „an die Leute zu kommen“ (Quelle: Interview). Trotzdem steckte für den Organisator im Begleitprogramm und dem Festival weit mehr als nur Unterhaltung (oder technisches Können beim Tanz). Es gehe um einen „Erkenntnisgewinn“ (Quelle: Interview). Im Interview wurde der Organisator auf eine mögliche Verwerfung angesprochen, die sich aus der folgenden, scheinbar paradoxen Tatsache ergibt: Auf der einen Seite herrscht in der Kulturwelt die Vorstellung eines Mediums vor, das Themen sehr gut verdeutlichen kann, nämlich Tanz. Gleichzeitig musste aber das Thema über ein Begleitprogramm ergänzt werden, dass den Aspekt der „Desillusionierung“ ebenfalls verhandelte. Im folgenden Zitat wird deutlich, dass dies für den interviewten Akteur nicht etwa ein Paradox oder ein Problem darstellte. Das Rahmenprogramm sollte nicht nur das theoretische Thema verdeutlichten (und damit auf die Dekonstruktion der neuen Problematisierung reagieren), sondern das Festival auch zu einem Event machen. Das Mehr reagierte daher auf die Dekonstruktionen, die sich aus gesellschaftlichen „Problemstellungen“ ergeben:

GS::

In dem Radiogespräch hast du gesagt, dass Tanz all das könne. Aber was kann er denn nicht? Etwas muss ja fehlen, sonst würdet ihr kein Begleitprogramm machen, oder?

AB::

Sehr schön, dass du das rausgepickt hast. Denn: Nein, dem Tanz fehlt nichts. Er kann auch ganz für sich alleine stehen. Das machen wir auch viel unter dem Jahr. Es gibt nicht an jeder Veranstaltung, die wir im Bühnenbereich machen – sei das Tanz, Liveart, was auch immer –, ein Begleitprogramm. Es gibt dann ein Begleitprogramm, wenn die Künstler*innen ein solches wünschen oder wenn was auf der Bühne verhandelt wird, wo wir noch mal einen anderen Zugang dazu geben wollen. Ob das Publikum das besucht oder nicht, ist egal. Die müssen nicht das Begleitprogramm besuchen, um diese Bühnenproduktion zu verstehen. Sondern die nehmen einfach nochmals mehr mit, wenn sie das tun. Das ist die eine Antwort. Die andere Antwort ist: Wo „Festival“ draufsteht, muss auch Festival drin sein. Und „Festival“ bedeutet mehr als nur die Bühnenproduktionen. Das braucht ein Drumherum: ein Festivalzentrum; Möglichkeit, wo sich Künstler*innen und Publikum untereinander austauschen können; wo man auch einfach was essen kann, was trinken kann, gemeinsam den Abend ausklingen lassen kann; wo man feiern kann. Dann wird ein Festival zu ’nem Festival. Ansonsten ist es eine Aneinanderreihung von Gastspielen.

Die Metaebene der performativen Kulturproduktion konnte für den Exkurs in die Welt des Tanzes nur sehr beschränkt betrachtet werden, da lediglich ein Fall analysiert wurde (und dieser Aspekt von Performativität erst durch die Bezugnahme verschiedenster Akteur*innen untereinander deutlich wird). Trotzdem können zwei Punkte hervorgehoben werden: Der erste Punkt wurde oben bereits als ein Aussetzen von Performativität angedeutet und kann nun auf die Metaebene übertragen werden. In der Welt des Tanzes herrscht bei der Verhandlung von performativer Kulturproduktion ein stärkerer Konsens hinsichtlich eines Aspektes. Denn beim Umgang mit den Theorien scheinen sich die Akteur*innen der Kulturwelt einig zu sein, dass die theoretischen Konzepte und ihre Autor*innen in den Kommunikationsmaterialien (wie den Pressetexten) nicht explizit zu erwähnen oder zu zitieren sind. Zwar werden deren inhaltliche Aspekte gegen außen kommuniziert (hier: die Desillusionierung in der Spätmoderne), allerdings ohne auf den konkreten Theoretiker oder dessen Werk zu verweisen (hier: Reckwitz bzw. Das Ende der Illusionen). Der Umgang mit den Theoriekonzepten, so könnte ein Konsens auf der Metaebene beschrieben werden, scheint damit den produzierenden Akteur*innen vorbehalten zu sein. Als zweiter Punkt, und wiederum vergleichbar mit der Kulturwelt der EEM, zeigt sich im Tanz, dass die Vorstellungen einer Wissenschaft keine Vergleichspunkte auf der Metaebene repräsentieren. Selbst dann, wenn eine Kulturwelt extrem stark durchtheoretisiert ist (wie dies bei der vorliegenden Welt der Fall zu sein scheint), trennen die Akteur*innen die Verhandlung der performativen Kulturproduktion immer noch ab von der rein wissenschaftlichen Verwendung der Konzepte.

Für die EEM wurde herausgehoben, dass kaum eine Institutionalisierung vorhanden war und stattdessen die Kulturwelt als Feld eine Reise durch die Institutionen begleitet. In der Welt des Tanzes wurde hingegen die bereits zu Beginn gehegte Vorstellung bestätigt: Die theoretisch-informierte Kulturproduktion ist stärker institutionalisiert. Dies hat einige Konsequenzen für das Phänomen eines unsichtbaren Colleges, wie es für die EEM erläutert wurde (siehe oben). Grundsätzlich markieren hier nun die Institutionen tatsächlich Grenzen für die Akteur*innen (das College wäre hier „sichtbar“). Dies kann mit dem zuvor erwähnten Aspekt der Metaebene verbunden werden: Es scheint klarer definiert zu sein, wer mit den Theorien umzugehen hat und wer „nur“ einem Publikum angehört (und deshalb die Konzepte nicht kennen muss). Weiter haben die Meinungsführer*innen einer performativen Kulturproduktion nun ebenfalls eine institutionalisierte Form. Beim Tanz kann den Dramaturg*innen diese Rolle zugewiesen werden:

PT::

Klassischerweise gibt es in so Häusern, wie wir es sind, und auch im Bühnenbereich Dramaturg*innen. Die kommen meistens aus den Tanz- und Theaterwissenschaften und sind wie diejenigen, die beispielsweise in Proben sitzen, und dafür sorgen, dass die Produktion einen roten Faden hat – jetzt mal ganz kondensiert. Das sind auch oft diejenigen, welche die Kommunikation beim Formulieren von Texten unterstützten. Und die eben … Ich weiß nicht genau, was das Profil von wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen ist. Aber von dem, was ich weiß, gibt es da doch viele Ähnlichkeiten in der Art der Aufgabe. Auch eine Dramaturgin hat die Sensoren offen für Zeitungsartikel, die relevant sein können oder schreibt auch mal einen längeren Text für irgendeine Publikation. (Quelle: Interview)

Auch das „sichtbare“ College in der Welt des Theaters verdeutlicht implizite Lernprozesse und Weitervermittlungen in Bezug auf performative Kulturproduktion, wie sie in der EEM vorhanden waren. Beispielsweise lieferte das theoretisch-informierte Konzept des Festivalthemas die Grundlage für eine Vielzahl weiterer Überlegungen zu den Veranstaltungen: Das thematische Konzept „speise“ die Gesuche für Fördermittel und die Kommunikationsarbeit, an der dann eine Vielzahl weiterer Akteur*innen mitschreiben und -arbeiten würden (Quelle: Interview). Und natürlich erfolgte die Vermittlung des theoretischen Themas auch an die Künstler*innen, die am Festival beteiligt waren. Auch die bekämen das mit und würden sich „darin wiederfinden“, so der Organisator (ebd.). Weitervermittlungen erfolgten zumindest teilweise für das Publikum (obschon hier die Theoriekonzepte nicht explizit in Formaten vermittelt wurden): Das Festival arbeitet mit einer Bücherei zusammen, die entsprechende Literatur zum Thema auf dem Festivalgelände bereitstellte, inklusive dem relevanten Buch von Reckwitz.

Obschon im Bereich des Tanzes eine stärkere Institutionalisierung deutlich wurde, sind weiterhin Merkmale eines sekundären Feldes vorhanden und eine Reise durch die Institutionen findet statt. Akteur*innen waren oftmals Teilzeit beschäftigt, was eine gleichzeitige Tätigkeit in Wissenschaft und Kulturwelt ermöglicht. Diese Gleichzeitigkeit galt beispielsweise für eine am Festival beteiligte Person (QV): „QV ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Genderstudies [der lokalen Universität] und ist eben hier tätig als auch dort. Das ist wieder so ’ne Prozent-Geschichte: Sie ist bei mir mit 40 % tätig als Dramaturgin und dort mit den restlichen 60 %“ (Quelle: Interview). Oder es fanden sich Rollen vor, deren Profile weniger eindeutig definiert oder institutionalisiert waren und stärker über die Kulturwelt als Feld zwischen den Institutionen vermittelt werden. Eine solche Rolle sprach sich der Organisator (PT) etwa selbst zu: „Ich habe zuerst Produktionsleitung gemacht an einem anderen Theater und bin über den Weg in diese künstlerische Leitung hier im Haus reingewachsen. Du kannst ja künstlerische Leitung nicht studieren“ (ebd.). Zudem bleibt die Kulturwelt als Feld weiterhin wichtig, indem sie vorgibt, mit welchen Institutionen für ein Festival zusammengearbeitet werden kann. Für den Organisator war eine Zusammenarbeit mit der Wissenschaft schlüssig: „Wir haben von Anfang an logische Synergien gesucht. Also nicht zusammengedrängte Sachen, die gar nicht passen, sondern aus den Inhalten heraus: Mit wem wäre es denn jetzt hier logisch zusammenzuarbeiten? Und da fällt die Universität sehr oft“ (ebd.). In ähnlicher Art und Weise beschrieb die weitere, am Festival beteiligte Person (QV), dass die Zusammenarbeit von Kunst und Wissenschaft „hochgradig Sinn“ mache (Quelle: Feldnotizen).

Aufgrund der Reise durch die Institutionen sind die Akteur*innen im Tanz ebenfalls auf Formen der Koordination angewiesen, die verschiedenste Interessen und Blickwinkel vereinen können. Hierbei kann wiederum auf die Funktion von Theorien und theoretischen Problematisierungen als Grenzobjekte hingewiesen werden, die als „Idealtypen“ funktionieren: Der Organisator (PT) erläuterte etwa, dass sowohl er als auch die für das Musikprogramm des Kulturhauses verantwortliche Kuratorin automatisch das Thema „Gender“ auf ihre Kulturproduktion beziehen würden. Deshalb würden sie beide über „dieselbe Art und Weise des Denkens“ verfügen (Quelle: Interview). Die genaue Anwendung dieses idealtypischen Themas blieb dem Organisator und der Musikkuratorin jeweils selbst überlassen. Im empirischen Material zeigte sich weiter, dass die theoretischen Konzepte eine andere mögliche Form von Grenzobjekten repräsentieren können. Das Thema der „Singularisierung“, das ebenfalls im Buch Das Ende der Illusionen behandelt wird (Reckwitz 2019, S. 20), wurde für die Akteur*innen nicht nur zu einem Idealtyp, sondern auch zu einer „übereinstimmenden Grenze“ (Star und Griesemer 1989, S. 410 f.), als weitere Form der Grenzobjekte. Hierbei werden sich Akteur*innen grundsätzlich über eine Grenze einig – wie etwa, dass es um „Einzigartigkeit“ geht – während der genaue Inhalt sehr stark variieren kann (und es eben nicht um eine Anpassung des idealtypischen Inhalts geht). Im folgenden Zitat beschreibt der Organisator, wie drei völlig unterschiedliche Inhalte aus dem Begleitprogramm mit dem Thema Singularisierung verbunden werden konnten:

PT::

Es gab einen Nachmittag zum Thema Duft, der eigene Körpergeruch. Das ist natürlich total singulär und individuell. Auch hatten wir einen Vortrag von einem Wissenschaftler zum Thema DNA. Das ist genau wieder das Gleiche: Die DNA ist irgendwie total – mehr einzigartig geht ja gar nicht. Und [ein Belletristikautor] hat dann auch darauf reagiert und gesagt: „Diese Einzigartigkeit ist natürlich ganz toll, aber gleichzeitig auch eine Last.“ (Quelle: Interview)

Im Rahmen des untersuchten Festivals schien so nicht nur eine Kulturproduktion präsentiert zu werden (also Tanzaufführungen). Vielmehr, so die Vorstellung des Organisators, würde mit dem Programm ein Universalwissen anhand von „gesellschaftsrelevanten Gedanken“ verhandelt (Quelle: Materialsammlung). In vergleichbarer Weise wie in der EEM bot dies eine Rechtfertigung, um die Kulturproduktion teilweise unabhängig von einem Publikumserfolg oder der positiven Reaktionen eines Publikums zu definieren. Ein solches Festival müsse nicht nur hohe Besucherzahlen anstreben, so der Organisator. Vielmehr solle es „polarisieren“ oder etwas „Kritisches initiieren“ können, weil sich das Festival einem zentralen gesellschaftlichen Phänomen annehme (Quelle: Interview bzw. Feldnotizen). Ein solcher kritischer Bezug des Festivals wurde aber kaum auf die Veranstaltungen selbst bezogen: So hinterfragte weder ein konkreter Programmpunkt noch der Organisator im Gespräch, warum nicht auch ein solches Festival vor dem Hintergrund der von Reckwitz beschriebenen „Kulturalisierung“ problematisiert werden könnte, die im Zusammenhang mit der Desillusionierung steht (Reckwitz 2019, S. 24).  Der Bezug zu sich selbst beziehungsweise zum eigenen Feld führte daher zum Aussetzen von Performativität.

5.4.10 Schlussfolgerung: Die Nutzung der Theorien

Im Rahmen der dritten Situation wurde ein Aspekt von Performativität deutlich, der in den vorhergehenden beiden Situationen ([5.2] und [5.3]) so noch nicht erfasst wurde. Die Verwendung der theoretischen Konzepte in der Kulturproduktion wurde dort als beinahe unbewusster Prozess beschrieben, bei dem die Wirkungsrichtung der Theorien auf das Soziale hervorgehoben wurde: ein „Stoßen“ der theoretischen Beschreibungen. Die gesellschaftlichen Akteur*innen in der Kulturwelt schienen den Wirkungsweisen der Konzepte ausgeliefert zu sein, ohne dass die präsentierte Analyse eine mögliche Einflussnahme auf die Verwendung konzeptualisiert hat. Über den Verlauf der dritten Situation wurde hingegen deutlich, dass nicht nur eine solch unbewusste und kaum beeinflussbare Verwendung der Konzepte erfolgt, die dann zu performativen Effekten führt. Vielmehr kann auch auf eine strategische Nutzung der Konzepte durch die Akteur*innen verwiesen werden. Dies konnte zuerst grundsätzlich aufgezeigt werden, indem die Ausgangslage für Performativität ergänzt wurde: So sind es nicht nur neu eingeführte theoretische Probleme aus den Kultur- und Sozialwissenschaften, die zur Verwendung der Theorien führen. Die theoretischen Konzepte können auch als eine Ressource aufgefasst werden, um auf Herausforderungen zu reagieren, die sich aus gegenwärtigen gesellschaftlichen Problemstellungen in weiteren sozialen Zusammenhängen ergeben. Diese Nutzung der Theorien entspricht stärker einem „Ziehen“, das von den Akteur*innen ausgeht.

Die Nutzung der Konzepte wurde an verschiedenen Prozessen immer wieder deutlich. Zuletzt zeigt sie sich in der Tatsache, dass in bestimmten Kontexten die Akteur*innen eine mögliche performative Wirkung eines Konzeptes aussetzen können, wenn sie keine kultur- und sozialwissenschaftliche Problematisierung mehr betreiben oder eine Theoretisierung ablehnen. Zudem etablieren diese Problematisierungen und Theoretisierungen nicht nur Bedingungen für Performativität. Die Akteur*innen sehen sich aufgrund ihrer performativen Kulturproduktion auch mit einer Art Universalwissen ausgestattet. Dieses innerhalb der Kulturwelt erlangte Wissen kann in vielen anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen und Institutionen genutzt werden. Weiter gilt es hervorzuheben, dass trotz des „Stoßens“ der kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien keine klare Verwendungsweise der theoretischen Konzepte vorhanden ist, die von der Wissenschaft vorgegeben wird. Vielmehr sind es Bestrebungen der Kulturwelt und ihrer Akteur*innen, die Verwendungsweisen zu formalisieren. Der so entwickelte, bewusste Umgang mit den Theorien und dessen Verhandlung auf der Metaebene verdeutlicht darüber hinaus, dass bereits „Forderungen“ der Akteur*innen an die Inhalte der Theorien gestellt werden: Es kann zu einem Kritikpunkt werden, wenn die wissenschaftliche Verhandlung eines theoretischen Konzeptes zu wenig auf die Aspekte einer sozialen Welt wie der EEM ausgerichtet ist. Die Akteur*innen sehen daher einen Nutzen der Theorien, den sie strategisch einsetzen können, wie dies etwa über die Valorisierung mittels generischer Performativität eingeführt wurde. Dabei verdeutlichen sie, dass die eigenen Prozesse der Kulturproduktion oder diejenigen von Anderen nicht nur beliebig sind. Über wissenschaftliche Konzeptualisierungen wird auf eine Legitimität der eigenen Entscheidungen verwiesen.

Die erläuterte Nutzung darf aber gleichzeitig nicht als etwas angesehen werden, das völlig frei ist von Zwängen. Vielmehr sehen sich die Akteur*innen bei dieser bewussten Verwendung der kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien mit Anforderungen konfrontiert. Am offensichtlichsten wurde dies beim „Mehr“, über das eine Kulturproduktion als Folge der neuen Prozesse zu verfügen hat. Trotz der verschiedensten Möglichkeiten, wie ein solches Mehr erreicht werden kann, bleibt dieses immer eine Art Notwendigkeit. Eine Kulturproduktion ohne diese Erweiterung läuft Gefahr, in der Wahrnehmung durch andere Akteur*innen, aber auch in der Selbsteinschätzung einer Person als ungenügend angesehen zu werden. Eine andere Form des Zwangs kann in Bezug zur Metaebene und zur Reise durch die Institutionen hervorgehoben werden. Bei beiden Aspekten müssen die Akteur*innen einen zusätzlichen Aspekt antizipieren: So muss als Teil der Metaebene beachtet werden, welche mögliche Reaktion der weiteren Akteur*innen einer Kulturwelt auf die eigene Theorieverwendung erfolgen könnte. Dann gilt es zu antizipieren, welche mögliche Implikationen aus der eigenen Kulturproduktion folgen, die für andere Institutionen außerhalb der Kulturwelt relevant wären. Dies muss nicht einem Aspekt entsprechen, der von den Akteur*innen negativ wahrgenommener wird. Trotzdem sind es Anforderungen, die bedacht werden müssen. Zudem markiert die Nutzung der Theorien einen allgemeinen Zwang für alle Akteur*innen: Selbst wenn die Verwendung der Konzepte abgelehnt wird, so ist doch deren Omnipräsenz in der Kulturwelt etwas, mit dem die Akteur*innen eine Umgangsweise finden oder sich zumindest daran gewöhnen müssen.

Die Nutzung der kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien durch die Akteur*innen verweist weiter auf eine bestimmte Bedeutung von Kulturproduktion, die sich durch die Prozesse im Zusammenhang mit Performativität ergibt. Zu deren Beschreibung können zuerst zwei vereinfacht dargestellte Vergleichspunkte eingeführt werden:

Der erste Vergleichspunkt ist die digitale Selbstvermessung. Hierbei nehmen gesellschaftliche Akteur*innen Bezug auf das Wissen der Natur- und Technikwissenschaften, indem sie bestimmte Messtechniken nutzen. Dies erfolgt etwa über Applikationen auf Mobiltelefonen, die das Essverhalten oder Gesundheitsdaten aufzeichnen. Nicole Zilien (2020) beschreibt für die digitale Selbstvermessung eine ähnliche Ausgangslage, wie sie in der vorliegenden Arbeit verdeutlicht wurde (siehe [5.4.1]): Die Verwendung des natur- und technikwissenschaftlichen Wissens kann ebenfalls als eine Reaktion auf die reflexive Modernisierung angesehen werden (Zillien 2020, S. 84 f.). Die Verwissenschaftlichung der Gesellschaft hat demnach nicht zu einem Sicherheitsgewinn geführt, sondern zu einer Dekonstruktion von Evidenzen. So entstünden „individuelle Unsicherheiten im Laienalltag“ (Zillien 2020, S. 86). Ausgehend davon wenden die gesellschaftlichen Akteur*innen unter anderem wissenschaftliche Techniken an, um die entsprechenden Unsicherheiten zu bewältigen. Der Alltag zeige sich daher als ein wissenschaftliches Experiment (Zillien 2020, S. 87 f.). Die detaillierten Begründungen der Akteur*innen für die Verwendung der Techniken mag variieren und verschiedene Wertvorstellungen umfassen (vgl. Cappel 2022, S. 90). Als Vergleichspunkt sollen die Alltagsexperimente und deren Begründungen hier auch nicht vollständig beschrieben werden. Vielmehr soll Folgendes hervorgehoben werden: Die Bedeutung der mit natur- und technikwissenschaftlichem Wissen angereicherten Praktiken liegt im Bezug zur je eigenen Person. Es ist eine Verwissenschaftlichung des Selbst.Footnote 90 Über dieses Selbst und über die eigene Verhaltensweise sollen Informationen gewonnen werden, um dort eine Verbesserung oder Veränderung zu erreichen (Zillien 2020, S. 107).

Als zweiter Vergleichspunkt kann auf eine Bedeutung von Kulturproduktion Bezug genommen werden, die unabhängig von einer möglichen Beeinflussung durch die Theorien der Kultur- und Sozialwissenschaft vorhanden ist. Claudia Kühn beschreibt in ihrer Studie Zur Bedeutung ästhetischer Praxis in Biografien (2022) zuerst dieselbe zunehmende Kulturalisierung und Ästhetisierung des Sozialen, die in der Einleitung dieser Arbeit skizziert wurde (siehe [1.1]), und die eine reflexive Verwissenschaftlichung ergänzt. Im Rahmen dieser Entwicklungen erreichten ästhetische Praktiken nicht nur eine allgemeine gesellschaftliche Bedeutung. Auch in Bildungszusammenhängen wurde etwa dem Musikmachen eine immer wichtigere Rolle zugeschrieben (Kühn 2022, S. 8). Kühn untersucht empirisch, wie die ästhetischen Praktiken tatsächlich eine Bedeutung in den Biografien von Personen erlangen. Dabei zeigen sich verschiedene, von ihr als Bildungswerte beschriebene Möglichkeiten, die Akteur*innen zur Bildung auffordern können (Kühn 2022, S. 325 ff.). Die verschiedenen Werte lassen sich aber alle auf einen gemeinsamen Nenner bringen: Über eine eigene ästhetische Praxis „werden sich Gelegenheitsstrukturen erschlossen, die zur Verwirklichung und Entfaltung des Selbst beitragen. […] Ästhetische Praxis ist als Bildungspraxis relevant, um dem Selbst eine ‚Form‘ zu geben“ (Kühn 2022, S. 309). Eine jeweilige ästhetische Praxis wird von Kühn daher als eine „selbsttransformatorische Bildungspraxis“ beschrieben, mit der „Facetten des Selbst entdeckt, (weiter-)entwickelt oder erprobt“ werden (Kühn 2022, S. 310).

Die neuen Prozesse der performativen Kulturproduktion etablieren eine andere Bedeutung als diejenige der beiden Vergleichspunkte. Diese andere Bedeutung entsteht aus der Nutzung der theoretischen Konzepte. Zuerst kann nochmals hervorgehoben werden, dass Elemente der beiden Vergleichspunkte auch beim vorliegenden Phänomen vorzufinden sind, da ebenfalls auf wissenschaftliches Wissen zurückgegriffen wird und dies im Rahmen von Kulturproduktion erfolgt (die zwar nicht ausschließlich, aber insbesondere ästhetische Praktiken umfasst). Auch die theoretischen Konzepte konnten als Reaktion auf eine Dekonstruktion aufgefasst werden, mit der die Akteur*innen Sicherheit zurückgewinnen. Kulturproduktion steht ebenfalls mit der Vorstellung im Zusammenhang, dass ein bildungsrelevantes Universalwissen gewonnen werden kann. Als Konsequenz der Nutzung der kultur- und sozialwissenschaftlichen Konzepte im Rahmen von Kulturproduktion zeigt sich aber ergänzend folgender Umstand: Die theoretisch-informierte Kulturproduktion wird nicht nur als etwas aufgefasst, dass für das jeweilige Selbst wichtig ist. Diese Vorstellung mag zwar ebenfalls noch vorhanden sein, sie wird aber erweitert. Kulturproduktion mit den theoretischen Konzepten wird nämlich als etwas ausgerichtet, das potenziell für viele weitere gesellschaftliche Zusammenhänge eine Bedeutung erlangen kann. So können zwar persönliche Fragen ein Ausgangspunkt sein, aber das kultur- und sozialwissenschaftliche Wissen hilft, diese zu objektiveren: Ein persönliches Anliegen kann zu einem breiten gesellschaftlichen Erkenntnisinteresse umformuliert werden. Weiter können zwar Aspekte des Selbst über die Kulturproduktion erschlossen werden. Dank den theoretischen Konzepten stehen diese aber mit sozialen Prozessen im Zusammenhang, die wiederum das eigentliche Ziel sind. Eine gesellschaftliche Relevanz der Kulturproduktion kann daher über die Nutzung der kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien produziert, vermittelt und anerkannt werden.