Im Folgenden werden die Ergebnisse von Studie II dargestellt. In ihr sollte die Funktionsweise der kollektiven Verarbeitung von Medienbotschaften untersucht werden, wobei die Ergebnisse auf kollektive Informationsverarbeitung im Allgemeinen übertragbar sein dürften. Dafür wurde erstmals der im Rahmen dieser Arbeit entwickelte (siehe 4.2) und in Studie I validierte (siehe Kapitel 5) standardisierte Gruppenfragebogen eingesetzt und eine standardisierte Befragung von n = 182 natürlichen Kleingruppen durchgeführt (siehe 4.4 zu Rekrutierung, Datenbereinigung, Stichprobe und dem allgemeinen Vorgehen bei der Auswertung). Zunächst werden FF3–5 zu den Eigenschaften kollektiver Medienrezeption beantwortet, da ihre Ergebnisse die Grundlage für weitere Analysen bilden (siehe 6.1). Als Nächstes wird auf FF6–7 zu den Einflussfaktoren auf kollektive Medienrezeption eingegangen (siehe 6.2). Danach werden FF8–9 zu ihren Auswirkungen auf Gruppenebene (siehe 6.3) und FF10–12 zu ihren Auswirkungen auf Individualebene (siehe 6.4) beantwortet. Schließlich werden die Ergebnisse zusammengefasst und diskutiert (siehe 6.5). Aufgrund des großen Umfangs der Ergebnisse werden kleinere Befunde schon bei der Ergebnisdarstellung besprochen. Die abschließende Diskussion konzentriert sich dann auf die zentralen und übergreifenden Ergebnisse.

6.1 Eigenschaften

In einem ersten Schritt sollten die Forschungsfragen zu den Eigenschaften kollektiver Medienrezeption beantwortet werden. Dazu wurde zunächst geprüft, ob und wie sich die Verarbeitungsdimensionen Systematik und Offenheit durch standardisierte Indizes abbilden lassen (FF3; siehe 6.1.1). Anschließend wurde betrachtet, in welchem Verhältnis beide Verarbeitungsdimensionen zueinander stehen (FF4; siehe 6.1.2). Schließlich wurde der Zusammenhang beider Verarbeitungsdimensionen mit verschiedenen Arten der Verständigung (FF5a) und Affekten (FF5b) als Eigenschaften des gemeinsamen Rezeptionsprozesses getestet (siehe 6.1.3).

6.1.1 Indizes für Systematik und Offenheit

In FF3 wurde gefragt, ob die Verarbeitungsdimensionen Systematik (FF3a) und Offenheit (FF3b) durch standardisierte Indizes operationalisiert werden können, die gängigen Validitätskriterien aus Einzelbefragungen entsprechen. Um sie zu beantworten, wurden auf Basis einer explorativen Faktorenanalyse (siehe 6.1.1.1) Items für entsprechende Indizes ausgewählt (siehe 6.1.1.2). Die Indizes wurden dann mit verschiedenen Messungen und Konstrukten korreliert und so einer ersten Validitätsprüfung unterzogen (siehe 6.1.1.3).

6.1.1.1 Explorative Faktorenanalyse

Um Skalen für das Ausmaß systematischer und offener kollektiver Informationsverarbeitung zu entwickeln, sollte mit den entsprechenden Items (siehe 4.2.3.1 und unten) eine explorative Faktorenanalyse (EFA) vorgenommen werden. Dafür wurde zunächst ihre Korrelationsmatrix betrachtet (siehe Tabelle 6.1). Jedes Item korrelierte mit mehreren anderen Items, was auf gemeinsame Faktoren schließen lässt. Dabei betrug die höchste Korrelation, 80, gefolgt von, 56, was gleichzeitig auf eine hinreichende Trennschärfe der Items hindeutet. Mit n = 182 Teilnehmenden war die Stichprobe zudem ausreichend groß für eine Faktorenanalyse mit elf Items (S. Carpenter, 2018).

Tabelle 6.1 Korrelationsmatrix der Items zu systematischer (1–4) und offener (5–10) kollektiver Informationsverarbeitung (Item 11 ist eine Kombination aus beiden)

Anschließend wurde mit der Funktion fa des R-Pakets psych (Revelle, 2021) eine explorative Faktorenanalyse durchgeführt (Methode: Hauptachsenanalyse/Principal Axis Factoring). Dabei wurde eine oblique Rotationsmethode (Oblimin) gewählt, um keine künstliche Orthogonalität zu erzeugen und das Verhältnis beider Dimensionen später empirisch betrachten zu können (siehe 6.1.2). Der Bartlett-Test auf Sphärizität (χ2 (55) = 737,801, p < ,001) sprach für ausreichend große Korrelationen zwischen den Items. Auch nach dem Kaiser-Meyer-Olkin-Kriterium (KMO = ,75; für Einzelitems > ,58) eigneten sich die Daten für eine Faktorenanalyse. Anhand eines Scree-Tests wurden – wie angenommen – zwei Faktoren für die endgültige Analyse bestimmt.

Tabelle 6.2 zeigt die rotierten Ladungen jedes Items für beide Faktoren. Items 1–4 sollten entsprechend der theoretischen Vorüberlegungen verschiedene Aspekte kollektiver systematischer (vs. automatischer) Informationsverarbeitung abdecken (siehe 4.2.3.1 und unten). Sie luden tatsächlich auf den ersten Faktor, der deshalb „Systematik“ genannt werden kann.

Items 5–10 sollten aus theoretischer Perspektive drei verschiedene Aspekte offener (vs. geschlossener) Informationsverarbeitung abdecken, wobei pro Aspekt jeweils zwei gegensätzlich formulierte Items verwendet wurden (siehe 4.2.3.1 und unten). Item 11 bezog sich spezifisch auf die Kombination systematischer und offener Informationsverarbeitung. Empirisch zeigte sich, dass nur ein Teil der Items auf den zweiten Faktor „Offenheit“ lud. Mit Ausnahme von Item 6 luden ausschließlich die in Richtung geschlossener Verarbeitung formulierten Items auf dieser Dimension, womit zumindest alle drei theoretischen Aspekte abgedeckt waren (Item 5, 7 und 9). Die Items 8, 10 und – wie erwartet – 11 luden dagegen auf den Faktor „Systematik“. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass Items 8 und 10 durch ihre Formulierung ebenfalls die spezifische Kombination aus systematischer und offener Verarbeitung abdeckten und die systematische Dimension dabei offenbar noch stärker ins Gewicht fiel.

Um zu prüfen, ob sich die Faktorstruktur zwischen den Teilnehmenden zum Thema „Autofreie Stadt“ und „Regenbogenfamilien“ unterschied, wurden alle Analysen noch einmal getrennt für die beiden Teile der Stichprobe durchgeführt (siehe 4.4.4). Die Ergebnisse stimmten im Wesentlichen überein, sodass eine gemeinsame Analyse legitim schien. Auf eine getrennte Faktorenanalyse mit den auf unterschiedlichen Wegen rekrutierten Stichprobenteilen wurde aufgrund der geringen Stichprobengröße des zweiten Teils (n = 14) verzichtet.

Tabelle 6.2 Faktorladungen der Items zu Systematik und Offenheit als Dimensionen kollektiver Informationsverarbeitung

6.1.1.2 Indizes

Auf Basis der theoretischen Überlegungen und der explorativen Faktorenanalyse (siehe 6.1.1.1) wurden als Nächstes Items für Indizes zur Systematik und Offenheit kollektiver Informationsverarbeitung ausgewählt.

Für den Index zur Systematik wurden Items 1–4 verwendet, die allesamt hohe Faktorladungen hatten (,77–,52). Die ersten drei Items bezogen sich auf Breite (1), Tiefe (2) und Motivation (3) bei gemeinsamer systematischer Verarbeitung und deckten damit alle theoretisch hergeleiteten Aspekte dieser Verarbeitungsdimension ab. Das vierte Item war umgekehrt formuliert und deckte alle drei Aspekte ab (siehe 4.2.3.1). Die Items 8, 10 und 11 wurden nicht in den Index miteinbezogen, da sie eigentlich für die Messung von Offenheit konzipiert waren (siehe 4.2.3.1).

Die endgültig miteinbezogenen Items lauteten also:

  1. 1.

    Wir haben ausführlich diskutiert.

  2. 2.

    Über einige Aspekte haben wir uns besonders gründlich ausgetauscht.

  3. 3.

    Es gab bestimmte Punkte, die uns im Gespräch besonders wichtig waren.

  4. 4.

    Wir hatten wenig Gesprächsbedarf. (invertiert)

Der Index für systematische Verarbeitung wurde berechnet, wenn mindestens zu drei Items Werte vorlagen (M = 5,00; SD = 1,21). Mit Cronbach's α = ,76 wies diese Skala – insbesondere angesichts der relativ geringen Itemzahl und der explorativen Anlage der Studie – eine gute Reliabilität auf.

Für den Index zur Offenheit kollektiver Informationsverarbeitung wurden ebenfalls vier Items gewählt: Entsprechend der Faktorladungen (,87–,45) wurden die Items 5, 6, 7 und 9 mit einbezogen. Auch hier waren auf diese Weise alle drei theoretisch hergeleiteten Aspekte abgedeckt, in diesem Fall Offenheit in Bezug auf Meinung (5 und 6), Argumente (7) und Information (9) (siehe 4.2.3.1). Auf die Meinung bezogene Offenheit war durch zwei Items repräsentiert. Das erschien insofern als sinnvoll, als die homogene Meinung das zentrale Definitionsmerkmal geschlossener kollektiver Informationsverarbeitung ist und Item 6 über Item 5 hinausging, indem es zusätzlich eine gemeinsame Diskussion miteinschloss.

Die schließlich verwendeten Items waren damit:

  1. 5.

    Im Gespräch waren wir fast immer einer Meinung. (invertiert)

  2. 6.

    Wir waren immer wieder unterschiedlicher Meinung und haben darüber diskutiert.

  3. 7.

    Wir haben hauptsächlich über Punkte gesprochen, die uns in unserer Meinung bestätigen. (invertiert)

  4. 9.

    Das Meiste, worüber wir uns unterhalten haben, wusste jeder von uns schon vorher. (invertiert)

Auch der Index für offene Verarbeitung wurde ab drei vorliegenden Werten berechnet (M = 2,79; SD = 1,53). Die Reliabilität dieser Skala war mit Cronbach’s α = ,73 ebenfalls verhältnismäßig gut.

Getrennte Reliabilitätstests zwischen den Teilen der Stichprobe, die zur „Autofreien Stadt“ und zu „Regenbogenfamilien“ befragt wurden, ergaben vergleichbare Werte von Cronbach's α (,68–,82). Auch die nach Rekrutierungswegen getrennte Analyse führte zu ähnlichen Werten (,72–,77). Bei einer erneuten Faktorenanalyse mit nur den in beiden Skalen verbliebenen Items (d. h. ohne Item 8, 10 und 11) blieb die gleiche Faktorstruktur erhalten.

6.1.1.3 Validitätsprüfung

Schließlich sollte noch geprüft werden, inwieweit die unter 6.1.1.2 gebildeten Indizes für Systematik und Offenheit Validitätskriterien entsprachen, wie sie in Einzelbefragungen üblich sind. Dabei ging es in diesem frühen, explorativen Stadium der Untersuchung lediglich um einen ersten Gesamteindruck. Die Inhaltsvalidität beider Messungen – also ob sie das jeweilige Konstrukt inhaltlich plausibel und vollständig abbildeten – ergab sich aus ihrer theoretischen Herleitung (siehe 3.2.1.1 und 3.2.2.1). Ihre KonstruktvaliditätFootnote 1 – also ob sie mit anderen Messungen oder Konstrukten im jeweils angenommenen Zusammenhang standen – konnte dagegen empirisch getestet werden (Hartmann & Reinecke, 2013, S. 55–57).

Ein erster Subtyp der Konstruktvalidität ist die konvergente Validität. Sie liegt vor, wenn verschiedene Messungen der gleichen Konstrukte oder verwandter Konstrukte wie erwartet miteinander korrelieren (Hartmann & Reinecke, 2013, S. 55–57). Um einen ersten Eindruck der konvergenten Validität der standardisierten Indizes zu ermöglichen, wurden über eine Thought-Listing-Technik zusätzlich Indikatoren für beide Dimensionen gemessen. Dafür wurden die Gruppen gebeten, die einzelnen inhaltlichen Punkte aus ihrem Gespräch nach dem Stimulus aufzulisten und anschließend einzuordnen, in welchem Verhältnis diese zum jeweiligen Thema standen (siehe 4.2.3.1).

Als grober Indikator für die Systematik des kollektiven Verarbeitungsprozesses wurden die absolute Anzahl an themenrelevanten Gesprächspunkten sowie ihr relativer Anteil an allen Gesprächspunkten berechnet. Beide Werte korrelierten mittelstark mit dem Index für die Systematik kollektiver Informationsverarbeitung (r = ,38 bzw. r = ,37, p < ,001). Das entspricht den Erwartungen: Gruppen, die sich umfangreicher und fokussierter über den Stimulus unterhielten, hatten auch einen höheren Wert auf der standardisierten Skala für systematische Informationsverarbeitung.

Um die Offenheit des kollektiven Verarbeitungsprozesses grob abzubilden, wurde der Betrag des Verhältnisses von Pro- und Contra-Punkten berechnet, also der relative Anteil an Gesprächspunkten zu einer bestimmten Seite. Dieser Wert korrelierte leicht negativ mit dem Index für die Offenheit kollektiver Informationsverarbeitung (r = −,15, p = ,048). Auch dieser Zusammenhang ist erwartungsgemäß: Gruppen, die sich stärker mit Aspekten einer bestimmten Seite auseinandergesetzt hatten, hatten tendenziell auch einen geringeren Wert auf der standardisierten Skala für offene Informationsverarbeitung. Dass der Zusammenhang nur schwach war, lässt sich schlüssig erklären: Geschlossene Informationsverarbeitung muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass ausschließlich über Argumente für eine Seite gesprochen wird. Sie kann auch miteinschließen, dass die eigene Position unter Bezugnahme auf entgegengesetzte Argumente bestätigt wird, indem diese etwa entkräftet werden (siehe 3.2.2.1). Dieses Muster kann nicht durch das quantitative Verhältnis der Gesprächspunkte erfasst werden, da es anders als die Indizes lediglich abbildet, ob – und nicht wie – über Punkte für beide Seiten gesprochen wurde.

Für die Themen „Autofreie Stadt“ und „Regenbogenfamilien“ getrennte Analysen ergaben ähnlich starke Zusammenhänge zwischen dem Index für systematische Verarbeitung und der absoluten (r = ,40, p < ,001 bzw. r = ,33, p = ,003) bzw. relativen Menge an Gesprächspunkten (r = ,34, p < ,001 bzw. r = ,36, p = ,002). Der ohnehin schwache Zusammenhang zwischen dem Index zu offener Verarbeitung und dem Verhältnis der Gesprächspunkte löste sich durch die kleineren Fallzahlen auf (r = −,11 p = ,294 bzw. r = −,14, p = ,248).

Durch die nachfolgenden Analysen zu den Zusammenhängen systematischer und offener kollektiver Informationsverarbeitung mit theoretisch plausiblen Einflussfaktoren (siehe 6.2) und Auswirkungen (siehe 6.3) erfolgten darüber hinaus weitere Prüfungen der konvergenten Validität beider Indizes. Die meisten Konstrukte korrelierten wie im MCIP vermutet mit beiden Verarbeitungsmodi (siehe 6.3.1.2 und 6.3.2.2).

Der zweite Subtyp der Konstruktvalidität ist die diskriminante Validität – sie liegt vor, wenn unterschiedliche Konstrukte wie erwartet keine oder nur eine schwache Korrelation miteinander aufweisen (Hartmann & Reinecke, 2013, S. 55–57). Da das MCIP davon ausgeht, dass die Verarbeitungsdimensionen Systematik und Offenheit unabhängig voneinander sind (siehe 3.3.1), konnte die diskriminante Validität durch ihre Korrelation überprüft werden. Es zeigte sich erwartungsgemäß kein Zusammenhang (für Details zur Auswertung siehe 6.1.2).

Insgesamt korrelierten die Indizes für Systematik und Offenheit kollektiver Informationsverarbeitung also beide überwiegend wie erwartet (nicht) mit anderen Messungen bzw. Konstrukten, was als erster Hinweis auf ihre Konstruktvalidität gewertet werden kann.

6.1.2 Verhältnis von Systematik und Offenheit

FF4 fragte nach dem Verhältnis zwischen Systematik und Offenheit als Dimensionen kollektiver Informationsverarbeitung. Um sie zu beantworten, wurde die Korrelation und ein Streudiagramm beider Indizes betrachtet.

Es zeigte sich keine Korrelation zwischen systematischer und offener Verarbeitung (r = ,002, p = ,983). Beide Verarbeitungsdimensionen scheinen also tatsächlich – wie in Annahme 6 des MCIP vermutet (siehe 3.3.1) – unabhängig voneinander zu sein.

Abbildung 6.1
figure 1

(Anmerkungen: n = 175 Gruppen; höhere Werte stehen für ein höheres Ausmaß der systematischer bzw. offener Informationsverarbeitung; Messungen: siehe 6.1.1.2)

Streudiagramm zur Verteilung systematischer und offener kollektiver Informationsverarbeitung.

Das in Abbildung 6.1 gezeigte Streudiagramm sollte zudem Aufschluss darüber geben, wie die Kombinationen der beiden Verarbeitungsdimensionen in der vorliegenden Stichprobe verteilt waren. Annahme 6 des MCIP geht davon aus, dass sich aus den verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten automatischer vs. systematischer und geschlossener vs. offener Informationsverarbeitung insgesamt vier prototypische Verarbeitungsmodi ergeben (siehe Abbildung 3.1 zum 4-Modi-Modell unter 3.2.3.2). Sie entsprechen den vier Quadranten des Streudiagramms, die in der Abbildung durch Linien markiert wurden.

Eine Häufung der Datenpunkte im unteren rechten Quadranten zeigte, dass die Mehrzahl der Gruppen den Stimulus in einem primär systematisch-geschlossenen Modus (= Bestätigung) verarbeitet hat. Deutlich weniger Gruppen befanden sich hauptsächlich in einem automatischen geschlossenen (= Abruf, unten links) oder systematischen offenen Modus (= Deliberation, oben rechts). Ein automatischer offener Modus (= Heuristiken, oben links) war in fast keiner Gruppe vorherrschend. Die Grenzen zwischen den Modi empirisch am Median beider Indizes zu ziehen, hätte zwar zu einer gleichmäßigeren Verteilung geführt, wäre aber theoretisch nicht sinnvoll gewesen: Die Items waren so formuliert, dass der Übergang zwischen den jeweiligen Polen in der Skalenmitte lag (siehe 6.1.1.2).

Nach Themen getrennte Analysen (siehe 4.4.4) führten zu vergleichbaren Ergebnissen. Es gab also keine Korrelationen zwischen den beiden Dimensionen (r = ,05, p = ,594 bzw. r = −,10, p = ,396) und die Datenpunkte befanden sich vor allem im unteren rechten Quadranten des Streudiagramms. Beim Thema Regenbogenfamilien zeigte sich lediglich eine etwas breitere Verteilung über die Quadranten.

Insgesamt gab es also sowohl eine Tendenz hin zu systematischer (statt automatischer) als auch eine Tendenz hin zu geschlossener (statt offener) kollektiver Informationsverarbeitung. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass diese Ausprägungen jeweils generell stärker verbreitet sind. Das müsste insbesondere bei geschlossener Verarbeitung der Fall sein: Wie auch Individuen (Pendry, 2007) dürften Gruppen Informationen im Alltag tendenziell auf Grundlage bereits festgelegter Muster und Ergebnisse verarbeiten – und ihnen nur in Ausnahmefällen völlig unvoreingenommen begegnen. Die Tendenz der Stichprobe zu systematischer Informationsverarbeitung kann so aber nicht erklärt werden, da im Alltag aufgrund begrenzter Ressourcen eher ein automatischer Modus vorherrschen müsste (Pendry, 2007). Deshalb dürfte die einseitige Verteilung der Verarbeitungsmodi auch durch das verwendete Studiendesign erklärt werden (siehe 4.2 und 4.4). Auch wenn das Setting möglichst natürlich gestaltet wurde, könnte die Teilnahme an einer universitären Studie und die neue Situation die Gruppen zu einem eher systematischen Verarbeitungsmodus angeregt haben. Die Themen „Autofreie Stadt“ und „Regenbogenfamilien“ könnten einen geschlossenen Modus zudem (zusätzlich) begünstigt haben, da die Gruppen bereits relativ homogene (siehe 4.4.3) und möglicherweise gefestigte Voreinstellungen hatten. Auf Basis der vorliegenden Daten konnten die vier kombinierten prototypischen Verarbeitungsmodi somit nicht miteinander verglichen werden. Die Verarbeitungsdimensionen Systematik und Offenheit konnten aber einzeln und als Kontinuum betrachtet werden, da sie für sich genommen trotzdem genügend Varianz aufwiesen.

6.1.3 Weitere Eigenschaften von Systematik und Offenheit

Als Nächstes sollte FF5 beantwortet werden, in welchem Zusammenhang systematische und offene kollektive Informationsverarbeitung mit Arten der Verständigung (a; siehe 6.1.3.1) und Affekten auf Gruppenebene stehen (b; siehe 6.1.3.2).

6.1.3.1 Zusammenhang mit Arten der Verständigung

Tabelle 6.3 zeigt die Korrelationen der Indizes für Systematik bzw. Offenheit mit den verschiedenen Messungen zu Arten der Verständigung im kollektiven Verarbeitungsprozess (siehe 4.2.3.1).

Tabelle 6.3 Korrelationen zwischen Systematik bzw. Offenheit und Arten der Verständigung

Systematik

Ein systematischer Modus auf Gruppenebene korrelierte mit einer gleichen Beteiligung aller Mitglieder sowie der Überzeugung durch Argumente. Diese Zusammenhänge entsprechen den Vermutungen aus dem MCIP (siehe 3.2.1.1). Dagegen zeigte sich kein Zusammenhang mit der Orientierung an Meinungsführer:innen bzw. Expert:innen aus der Gruppe. Aus theoretischer Perspektive war unklar, ob die Orientierung an Meinungsführer:innen eher als Heuristik mit einem automatischen Modus einhergeht oder als Strategie zur Bewältigung komplexer Probleme in einem systematischen Modus angewandt wird (siehe 3.2.1.1). Außerdem gab es keinen signifikanten Zusammenhang zwischen systematischer Verarbeitung und der Orientierung an der Mehrheit. Damit konnte die theoretische Vermutung, dass sich Gruppen in einem automatischen Modus als Heuristik an der Mehrheit orientieren, nicht bestätigt werden (siehe 3.2.1.1).

In nach Themen getrennten Auswertungen (siehe 4.4.4) zeigten sich bezüglich Richtung und Signifikanz der Korrelationen die gleichen, mitunter aber unterschiedlich stark ausgeprägten Muster. Eine Ausnahme bildete die Orientierung an Meinungsführer:innen, die beim Thema „Regenbogenfamilien“ leicht mit systematischer Verarbeitung korrelierte (r = ,24, p = ,040). Das bedeutet erstens, dass Meinungsführer:innen Gruppen mitunter doch in einem systematischen Modus unterstützen können (s. o.). Zweitens deuten diese Befunde darauf hin, dass es zwar typische Verständigungsarten für die verschiedenen Verarbeitungsmodi gibt, diese aber abhängig vom konkreten Inhalt des kollektiven Prozesses unterschiedlich stark ins Gewicht fallen können.

Offenheit

Offene kollektive Informationsverarbeitung wies dagegen vor allem eine negative Korrelation mit der Orientierung an der Mehrheit auf. Wie im MCIP theoretisch vermutet wurde, orientierten sich die Gruppen in einem geschlossenen Verarbeitungsmodus also deutlich stärker an der Mehrheit als in einem offenen Verarbeitungsmodus (siehe 3.2.2.1). Außerdem zeigte sich ein leicht negativer Zusammenhang zwischen Offenheit und gleichberechtigter Beteiligung. Dieser Befund ist überraschend, da theoretisch das Gegenteil vermutet wurde (siehe 3.2.2.1). Eine Erklärung dafür könnte sein, dass geschlossene Informationsverarbeitung in Gruppen von einer besonderen Homogenität der Einstellungen innerhalb der Gruppe geprägt ist, die wiederum eine gleichmäßige Beteiligung aller Mitglieder begünstigt (Sargis & Larson, 2002). Weiterhin gab es einen schwach positiven Zusammenhang zwischen offener Verarbeitung und der Orientierung an Meinungsführer:innen bzw. Expert:innen aus der Gruppe. Theoretisch wäre auch plausibel gewesen, dass sich Gruppen insbesondere in einem gruppenzentrierten geschlossenen Modus an Meinungsführer:innen orientieren. Empirisch wurde aber die gegenteilige Vermutung bestätigt, was dafür spricht, dass Meinungsführer:innen ihre Gruppe dabei unterstützen konnten, das Thema von verschiedenen Seiten zu betrachten. Gründe hierfür könnten sein, dass solche Gruppenmitglieder tendenziell innovativer und unangepasster sind (siehe 3.2.2.1), dass es sich um Expert:innen mit diversem Wissen handelt oder sie – wie in Studie I – eine Art Moderator:innenrolle für die ganze Gruppe einnehmen (siehe 5.1.5). Zwischen der Verarbeitungsdimension Offenheit und der Überzeugung durch Argumente gab es dagegen keine signifikante Korrelation. Diese Art der Verständigung konnte also gleichermaßen bei geschlossener und bei offener kollektiver Informationsverarbeitung eine Rolle spielen. Der Befund passt insofern zu den theoretischen Vorüberlegungen, als beides plausibel schien (siehe 3.2.2.1).

Bei der themenspezifischen Analyse zeigten sich auch hier vergleichbare, aber teils unterschiedlich starke Zusammenhänge (s. o.). Eine Ausnahme bildete der schon vorher schwache Zusammenhang zwischen offener Verarbeitung und Orientierung an Meinungsführer:innen, der beim Thema „Regenbogenfamilien“ nicht signifikant war (r = ,08, p = ,482). Dafür zeigte sich ein negativer Zusammenhang zwischen offener Verarbeitung und der Überzeugung durch Argumente (r = −,23, p = ,047). Hier konnte also die Vermutung bestätigt werden, dass Gruppen in einem geschlossenen Modus zu vermehrten Verwendung von Argumenten neigen, um ihre Position zu bestärken (siehe 3.2.2.1).

6.1.3.2 Zusammenhang mit Affekten

In Tabelle 6.4 sind die Korrelationen zwischen den beiden Informationsverarbeitungsdimensionen und Affekten als Eigenschaft des Verarbeitungsprozesses aufgelistet.

Tabelle 6.4 Korrelationen zwischen Systematik bzw. Offenheit und Affekten

Systematik

Es zeigte sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen systematischer kollektiver Informationsverarbeitung und Leidenschaft in der Gruppe. Das entspricht der theoretischen Vermutung, wonach die besondere Motivation in einem systematischen Modus mit einem starken positiven Affekt gegenüber der Sache verbunden ist (siehe 3.2.1.1). Dagegen gab es keine signifikante Korrelation mit Humor. Theoretisch schien sowohl ein Zusammenhang mit automatischer als auch mit systematischer Verarbeitung denkbar (siehe 3.2.1.1). Erwartungsgemäß gab es auch keinen signifikanten Zusammenhang mit einer angespannten Stimmung.

Eine nach Themen getrennte Betrachtung führte mit Blick auf die Richtung und Signifikanz der Zusammenhänge wieder zu vergleichbaren Ergebnissen. Die einzige Ausnahme war, dass Humor beim Thema „Autofreie Stadt“ positiv mit Systematik korrelierte (r = ,23, p = ,020). Insofern könnte Humor hier doch eher einem systematischen Modus auf Gruppenebene gedient haben, indem er z. B. effektive Kommunikation vereinfachte (siehe 3.2.1.1). Eine zusätzliche Erklärung könnte sein, dass zumindest komplexerer Humor ein höheres Maß an Reflexion voraussetzt und insofern mit systematischer Informationsverarbeitung verknüpft ist. In jedem Fall deutet sich an, dass es themenspezifisch stärkere oder schwächere Verknüpfungen von Verarbeitungsmodi und Affekten gibt.

Offenheit

Mit Blick auf offene Informationsverarbeitung zeigte sich ein moderater Zusammenhang mit einer angespannten Stimmung in der Gruppe. Dieser Befund deckt sich mit theoretischen Vorannahmen, die hier von mehr Konfliktpotenzial ausgehen (siehe 3.2.2.1). Es gab aber keine signifikante Korrelation zwischen Offenheit und Humor, obwohl hier ein positiver Zusammenhang angenommen wurde (siehe 3.2.2.1). Den Erwartungen entsprechend zeigte sich zudem kein Zusammenhang mit Leidenschaft.

In nach Themen getrennten Analysen gab es nur eine wesentliche Abweichungen zu diesen Mustern: Der Zusammenhang zwischen Offenheit und angespannter Stimmung war nur beim Thema „Regenbogenfamilien“ signifikant (r = ,37, p < ,001), nicht aber beim Thema „Autofreie Stadt“ (r = ,15, p = ,112). Es liegt nahe, dass offene Informationsverarbeitung in Gruppen insbesondere dann zu emotionaler Gespanntheit und Konflikten führt, wenn ein Thema eine stärker emotionale, moralische und/oder identitätsbezogene Bedeutung hat. Auch hier scheint es also themenspezifische Muster zu geben (s. o.).

6.2 Einflussfaktoren

In einem nächsten Schritt wurden die Einflussfaktoren auf systematische (FF6; siehe 6.2.1) und offene (FF7; siehe 6.2.2) kollektive Informationsverarbeitung betrachtet. Wie bereits unter 4.1 dargelegt, waren durch die zeitliche Abfolge verschiedener Phasen im Studiendesign Kausalitätsschlüsse möglich.

6.2.1 Einflussfaktoren auf systematische Verarbeitung

In FF6 wurde gefragt, wie systematische Informationsverarbeitung in Gruppen durch Themenbedeutung (FF6a), die Abweichung vom wahrgenommenen Meinungsklima (FF6b), Wissen (FF6c), Aufmerksamkeit (FF6d) und Affekte (FF6e) beeinflusst wird. Um sie zu beantworten, wurde eine multiple lineare Regression mit den relevanten Einflussfaktoren als Prädiktoren und dem Index für Systematik als abhängige Variable durchgeführt. Nach Modell 1 auf Basis der theoretischen Vorannahmen (siehe 6.2.1.1) wurde mit den bestätigten Einflüssen ein bereinigtes Modell 2 berechnet (siehe 6.2.1.2). Aufgrund eines aus theoretischer Perspektive besonders überraschenden Befundes wurde anschließend eine explorative Folgeanalyse zum Interaktionseffekt aus Themenbedeutung und Einstellung durchgeführt (siehe 6.2.1.3). Daraus ergab sich schließlich das finale Modell 3 zur Erklärung systematischer kollektiver Informationsverarbeitung (siehe 6.2.1.4).

6.2.1.1 Modell 1 (theoretische Annahmen)

Um das Ausmaß systematischer Informationsverarbeitung in Gruppen zu erklären, wurde ein lineares Modell (Methode: Ordinary Least Squares/OLS) mit dem Index für Systematik (siehe 6.1.1.2) als abhängige Variable berechnet. Auf Basis der unter 3.2.1.2 ausgeführten theoretischen Annahmen wurden folgende auf Gruppenebene gemessenen Prädiktoren ausgewählt: Themenbedeutung, Heterogenität der Themenbedeutung in der Gruppe, Abweichung der Gruppenmeinung vom wahrgenommenen Meinungsklima, Wissen (jeweils vor der Nutzung des Stimulus) sowie Aufmerksamkeit, Ärger, emotionale Bewegtheit und Humor (jeweils während der Nutzung des Stimulus; siehe 4.2.3.2).

Als Kontrollvariablen wurden Gruppentyp, Gruppengröße, Durchschnittsalter der GruppeFootnote 2, Frauenanteil in der Gruppe, Anteil an Gruppenmitgliedern mit Hochschulabschluss, Thema und Rekrutierungsweg mit aufgenommen. Wie unter 4.4.4 erläutert, wurden alle Prädiktoren mittelwertzentriert, sodass ihr Nullpunkt bei ihrem jeweiligen Mittelwert lag. Vor der Interpretation wurde geprüft, ob das Modell die gängigen Annahmen für multiple lineare Regressionen erfüllteFootnote 3.

Tabelle 6.5 zeigt die Ergebnisse von Modell 1 (F(16, 138) = 5,44, p < ,001), das 38,69 Prozent der Varianz systematischer kollektiver Informationsverarbeitung erklären konnte. Die Themenbedeutung für die Gruppe hatte keinen Effekt auf das Ausmaß systematischer Informationsverarbeitung. Dieser Befund war überraschend, da eine hohe Themenbedeutung schon per Definition mit systematischer Informationsverarbeitung verbunden ist (siehe 3.2.1.2). Deshalb wurde die Rolle der Themenbedeutung in einer explorativen Folgeanalyse genauer beleuchtet (siehe 6.2.1.3). Eine heterogenere Verteilung der Themenbedeutung bei den Mitgliedern einer Gruppe reduzierte dagegen wie vermutet das Ausmaß systematischer Verarbeitung (siehe 3.2.1.2).

Weiterhin zeigte sich ein Effekt der Abweichung von Gruppenmeinung und wahrgenommenem MeinungsklimaFootnote 4: Wenn eine Gruppe davon ausging, selbst eine im Vergleich zum Meinungsklima negativere bzw. konservativere Position zu einem der Themen zu haben, neigte sie zu systematischerer Informationsverarbeitung. Die Richtung der Gruppeneinstellung für sich genommen – die testweise ebenfalls mit ins Modell aufgenommen wurde – hatte dagegen keinen Einfluss (siehe auch Modell 3 in Tabelle 6.6 unter 6.2.1.4). Dieser Zusammenhang deckt sich grundsätzlich mit den theoretischen Annahmen (siehe 3.2.1.2). Interessant ist aber, dass er sich nur bei negativen und nicht bei positiven Abweichungen zeigte. Eine Erklärung könnte sein, dass die Contra-Positionen zur autofreien Stadt und Regenbogenfamilien – anders als die Pro-Positionen – von wahrgenommenen oder tatsächlichen gesellschaftlichen Normen (Umweltschutz, Toleranz) abwichen. Insofern könnten Gruppen mit diesen Positionen einen verstärkten Reflexions- bzw. Rechtfertigungsdruck empfunden haben.

Tabelle 6.5 Modell 1 zu Einflussfaktoren auf systematische kollektive Informationsverarbeitung (nicht standardisierte Regressionskoeffizienten, alle Prädiktoren mittelwertzentriert)

Das Wissen der Gruppe zum Thema hatte wiederum keinen Einfluss auf die systematische Informationsverarbeitung, obwohl theoretisch ein positiver Zusammenhang vermutet wurde (siehe 3.2.1.2). Im Nachhinein leuchtet ein, dass zumindest einfaches Faktenwissen – wie es hier gemessen wurde (siehe 4.2.3.2) – nicht entscheidend dafür sein dürfte, wie systematisch sich Gruppen mit einem Thema beschäftigen wollen und können.

Die Aufmerksamkeit der Gruppe während der Nutzung des Stimulus wirkte sich wiederum wie erwartet positiv auf systematische Informationsverarbeitung aus (siehe 3.2.1.2).

Weiterhin hatte es keinen Einfluss auf das Ausmaß systematischer Verarbeitung, ob sich Gruppen über den Stimulus geärgert hattenFootnote 5. Der Befund passt insoweit zu den theoretischen Annahmen, als hier unterschiedliche Einflüsse denkbar schienen (siehe 3.2.1.2). Dass empirisch kein signifikanter Zusammenhang gefunden wurde, könnte aber auch schlicht daran liegen, dass sich in der Stichprobe nur sehr wenige Gruppen über den Stimulus geärgert hatten (insgesamt 5,5 % mit Werten oberhalb der Skalenmitte).

Bei emotionaler Bewegtheit der Gruppe zeigte sich erwartungsgemäß ein positiver Einfluss auf systematische Informationsverarbeitung (siehe 3.2.1.2).

Schließlich hatte Humor während der Nutzung des Stimulus keinen Effekt auf das Ausmaß systematischer Informationsverarbeitung. Hier wäre ein negativer Einfluss auf systematische Informationsverarbeitung in Gruppen plausibel gewesen (siehe 3.2.1.2). Allerdings gab es auch hier nur wenige Gruppen mit höheren Werten (insgesamt 10,4 % mit Werten oberhalb der Skalenmitte).

Unter den Kontrollvariablen zeigte sich, dass Paare im Vergleich zu Familien und Freund:innen zu einem signifikant weniger systematischen kollektiven Verarbeitungsmodus neigen. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass Paarbeziehungen häufig durch ein besonders großes Ausmaß an Nähe und Routine geprägt sind, was besonders entspannte gemeinsame Medienrezeption mit geringem kognitivem Aufwand begünstigen könnte. Außerdem verarbeiteten die Gruppen den Stimulus zum Thema „Regenbogenfamilien“ weniger systematisch. Grund dafür könnte sein, dass die Gruppen hier leichter auf Stereotype zurückgreifen konnten, was einen automatischen Modus begünstigt haben könnte. Bei den anderen Kontrollvariablen gab es dagegen keinen signifikanten Einfluss. Systematische kollektive Informationsverarbeitung ließ sich also tatsächlich primär über die vermuteten Einflussfaktoren erklären.

6.2.1.2 Modell 2 (bereinigt)

Anschließend wurde ein bereinigtes Modell 2 mit allen signifikanten Prädiktoren und den Kontrollvariablen berechnet (F(12, 142) = 7,07, p < ,001). Modell 2 erklärte 37,40 Prozent der Varianz systematischer kollektiver Informationsverarbeitung und damit nur geringfügig weniger als Modell 1 mit vier zusätzlichen Variablen. Beide Modelle hatten sehr ähnliche Regressionskoeffizienten (für eine umfassende Darstellung von Modell 2 siehe Tabelle 25 unter Punkt 12 im elektronischen Zusatzmaterial).

6.2.1.3 Explorative Folgeanalyse zum Einfluss der Themenbedeutung

Unter allen Ergebnissen zu den Einflussfaktoren auf systematische kollektive Informationsverarbeitung war eines besonders überraschend: Die Themenbedeutung für die Gruppe hatte keinen Einfluss auf systematische Informationsverarbeitung, obwohl sie schon per Definition mit systematischer Informationsverarbeitung verbunden ist (siehe 6.2.1.1 und 3.2.1.2). Dieser Befund lässt sich theoretisch schwer erklären. Deshalb wurde der Einfluss der Themenbedeutung in einer explorativen Folgeanalyse genauer betrachtet.

Da die Stimuli zu beiden Themen jeweils eine bestimmte (positive) Position einnahmen, wurde geprüft, ob es einen Interaktionseffekt zwischen Einstellung und Themenbedeutung gab. Dazu wurde die Johnson-Neyman-Technik eingesetzt. Mit dieser Technik wird der Zusammenhang zwischen zwei Variablen gesondert für alle Ausprägungen einer Moderatorvariable betrachtet und getestet, auf welchen Intervallen der Moderatorvariable ein signifikanter Zusammenhang zwischen den beiden Variablen besteht (Bauer & Curran, 2005; Hayes, 2022). Als Grundlage dafür wurde ein Regressionsmodell mit der Themenbedeutung für die Gruppe, ihrer Einstellung und der Interaktion aus beiden Prädiktoren sowie mit den Kontrollvariablen aus Modell 1 inklusive Thema und Rekrutierungsweg berechnet (siehe 6.2.1.1). Die Einstellungsmessung war nicht mittelwertzentriert, sodass ihr Nullpunkt eine „neutrale“ bzw. in der Mitte liegende Position abbildete (siehe 4.4.4). Anschließend wurde mit der Funktion johnson_neyman aus dem R-Paket interactions (Long, 2020) ein Johnson-Neyman-Intervall mit einem Signifikanzniveau von α = ,05 berechnet.

Abbildung 6.2 zeigt, dass es tatsächlich einen durch die Einstellung der Gruppe moderierten Zusammenhang zwischen Themenbedeutung und systematischer Informationsverarbeitung gab. Ab einem Wert von −0,67 auf der Einstellungsskala beeinflusste die Themenbedeutung das Ausmaß systematischer Verarbeitung demnach signifikant positiv. Das bedeutet, dass eine höhere Themenbedeutung nur bei Gruppen mit einer eher neutralen oder positiven Einstellung zum jeweiligen Thema zu systematischerer Informationsverarbeitung geführt hat und bei Gruppen mit einer eher negativen Einstellung keinen Effekt hatte. Je positiver die Einstellung der Gruppe gegenüber dem jeweiligen Thema des Stimulus war, desto stärker steigerte eine hohe Themenbedeutung einen systematischen Verarbeitungsmodus. Für sich genommen hatte die Einstellung dagegen keinen Einfluss auf das Ausmaß systematischer Verarbeitung (siehe 6.2.1.4).

Um diesen Befund zu interpretieren ist relevant, dass die Stimuli jeweils eine positive Position zum Thema „Autofreie Stadt“ bzw. „Regenbogenfamilien“ einnahmen (siehe 4.2.2). Insofern könnte es sein, dass eine hohe Themenbedeutung systematische Informationsverarbeitung grundsätzlich begünstigt, dass dieser Einfluss aber durch eine zu geringe Übereinstimmung mit einem Stimulus aufgehoben wird. Bei einem zu großen Widerspruch zwischen der eigenen Einstellung und dem Stimulus könnte schlicht die Bereitschaft fehlen, sich tiefergehend mit seinen Inhalten zu beschäftigen. Die theoretische Vorannahme ließ sich somit nur teilweise bzw. mit dieser Einschränkung bestätigen (siehe 3.2.1.2).

Abbildung 6.2
figure 2

(Anmerkungen: n = 176 Gruppen; der grau markierte Bereich bildet das 95 %-Konfidenzintervall des Effekts ab; Einstellungsmessung zum jeweiligen Thema von −3 (negative Einstellung) bis 3 (positive Einstellung), siehe 4.2.3.3; Messung von Systematik: siehe 6.1.1.2; Messung der Themenbedeutung: siehe 4.2.3.2)

Johnson-Neyman-Plot zum bedingten Effekt der Themenbedeutung auf systematische Informationsverarbeitung in Abhängigkeit von der Einstellung.

6.2.1.4 Modell 3 (final)

Abschließend wurde das finale Modell 3 mit allen signifikanten Prädiktoren sowie den Kontrollvariablen aus Modell 1 (6.2.1.1) und dem Interaktionsterm aus Themenbedeutung und Einstellung (siehe 6.2.1.3) berechnet. Tabelle 6.6 gibt einen Überblick über Modell 3 (F(15, 139) = 6,37, p < ,001). Es erklärte 40,72 Prozent der Varianz systematischer Informationsverarbeitung in Gruppen. Die Regressionskoeffizienten waren weitgehend vergleichbar mit Modell 1 und 2 (siehe 6.2.1.1 und 6.2.1.2). Allerdings verlor die Heterogenität der Themenbedeutung in der Gruppe in diesem Modell ihren signifikanten Einfluss. Stattdessen zeigte sich der unter 6.2.1.3 besprochene Interaktionseffekt aus Themenbedeutung und Einstellung in der Gruppe.

Tabelle 6.6 Modell 3 zu Einflussfaktoren auf systematische kollektive Informationsverarbeitung (nicht standardisierte Regressionskoeffizienten, alle Prädiktoren bis auf Einstellung mittelwertzentriert)

6.2.2 Einflussfaktoren auf offene Verarbeitung

In FF7 wurde gefragt, wie offene Informationsverarbeitung in Gruppen durch Einstellung (FF7a), Themenbedeutung (FF7b), die Abweichung vom wahrgenommenen Meinungsklima (FF7c), Wissen (FF7d) und Affekte (FF7e) beeinflusst wird. Analog zum Vorgehen bei FF6 zu den Einflussfaktoren auf systematische Informationsverarbeitung (siehe 6.2.2) wurde wieder eine multiple lineare Regression mit den entsprechenden Prädiktoren und dem Index für Offenheit als abhängige Variable berechnet. Auf ein theoretisch begründetes Modell 1 (siehe 6.2.2.1) folgte wieder ein bereinigtes Modell 2 mit allen bestätigten Einflüssen (siehe 6.2.2.2). Da es auch hier einen mit Blick auf die theoretischen Grundlagen besonders überraschenden Befund gab, wurde als Nächstes eine explorative Folgeanalyse zum Interaktionseffekt aus Themenbedeutung und Extremität der Einstellung durchgeführt (siehe 6.2.2.3). Abschließend wurde das finale Modell 3 zur Erklärung offener kollektiver Informationsverarbeitung berechnet (siehe 6.2.2.4).

6.2.2.1 Modell 1 (theoretische Annahmen)

Um zu erklären, wie offen Gruppen Informationen verarbeiten, wurde analog zum Vorgehen unter 6.2.1.1 ein lineares Modell (Methode: Ordinary Least Squares/OLS) mit dem Index für Offenheit (siehe 6.1.1.2) als abhängige Variable berechnet. Entsprechend der Vorannahmen aus 3.2.2.2 wurden folgende auf Gruppenebene gemessenen Prädiktoren verwendet: Extremität der Einstellung, Heterogenität der Einstellungen in der Gruppe, Themenbedeutung, Abweichung der Gruppenmeinung vom wahrgenommenen Meinungsklima, Wissen (jeweils vor der Nutzung des Stimulus) sowie Ärger und emotionale Bewegtheit (jeweils während der Nutzung des Stimulus; siehe 4.2.3.2).

Außerdem wurden dieselben Kontrollvariablen wie im Modell zur Erklärung von Systematik mit aufgenommen. Mit Ausnahme der Extremität der Einstellung waren wieder alle Prädiktoren mittelwertzentriert, sodass ihr Nullpunkt bei ihrem jeweiligen Mittelwert lag (siehe 4.4.4). Zudem wurde auf die gleiche Weise geprüft, ob die Modellvoraussetzungen erfüllt waren (siehe 6.2.1.1 für Details).

In Tabelle 6.7 sind die Ergebnisse von Modell 1 (F(15, 140) = 3,43, p < ,001) aufgeführt, das 26,89 Prozent der Varianz offener Informationsverarbeitung in Gruppen erklären konnte. Es zeigte sich, dass Gruppen mit extremeren Einstellungen zum jeweiligen Thema zu eher geschlossener Informationsverarbeitung neigten. Homogenere Einstellungen in der Gruppe begünstigten ebenfalls einen geschlossenen Verarbeitungsmodus, heterogenere Einstellungen umgekehrt einen offenen Verarbeitungsmodus. Diese Befunde decken sich mit den theoretischen Erwartungen (siehe 3.2.2.2).

Die Themenbedeutung hatte dagegen keinen signifikanten Einfluss auf die Offenheit der Informationsverarbeitung. Da sie aus theoretischer Perspektive wieder ein zentraler Prädiktor für geschlossene Informationsverarbeitung sein müsste wurde ihre Bedeutung in einer explorativen Folgeanalyse genauer betrachtet (siehe 6.2.2.3).

Tabelle 6.7 Modell 1 zu Einflussfaktoren auf offene kollektive Informationsverarbeitung (nicht standardisierte Regressionskoeffizienten, alle Prädiktoren bis auf Extremität der Einstellung mittelwertzentriert)

Bei der Abweichung der Gruppenmeinung vom wahrgenommenen Meinungsklima zeigte sich ebenfalls kein EffektFootnote 6. Aus theoretischer Perspektive wäre hier ein Zusammenhang denkbar gewesen (siehe 3.2.2.2). Es leuchtet aber auch ein, dass das Phänomen geschlossener Informationsverarbeitung bei Gruppen unabhängig davon auftritt, ob sie sich mit ihrer Einstellung als Mehrheit oder als Minderheit begreifen.

Dafür hatte mehr Wissen der Gruppe einen negativen Einfluss auf die Offenheit ihrer Informationsverarbeitung. Wie vermutet neigten Gruppen mit mehr Wissen zum jeweiligen Thema also zu einem geschlossenen Verarbeitungsmodus (siehe 3.2.2.2).

Ärger und emotionale Bewegtheit bei der Nutzung des Stimulus wirkten sich dagegen nicht auf die Offenheit der kollektiven Informationsverarbeitung aus, obwohl auf Basis der Theorie Zusammenhänge möglich schienen (siehe 3.2.2.2). Es wurde vermutet, dass Ärger geschlossene Verarbeitung begünstigt. Wie unter 6.2.1.1 dargelegt, gab es allerdings auch nur sehr wenige Gruppen, die sich nennenswert über den Stimulus geärgert hatten, sodass der Befund nur beschränkt interpretierbar ist. Bei emotionaler Bewegtheit wurde dagegen angenommen, dass sie zu mehr Offenheit führen könnte. Es leuchtet aber auch ein, dass geschlossene Informationsverarbeitung entsprechend ihrer Definition durch Einstellungen und nicht durch Affekte bedingt ist (siehe 3.2.2.1).

Unter den Kontrollvariablen gab es einen Einfluss des Alters: Gruppen mit einem höheren Durchschnittsalter neigten eher zu einem geschlossenen Verarbeitungsmodus. Da die Variablen nicht standardisiert waren, muss das geringe Regressionsgewicht von 0,02 in ein Verhältnis zu den vielen Ausprägungen bei der Messung des Alters gesetzt werden. Mit jeder Erhöhung des Altersdurchschnitts um 10 Jahre sank die Offenheit einer Gruppe somit um 0,20 Punkte auf einer siebenstufigen Skala. Dabei könnte es sich um einen klassischen Alterseffekt handeln, wonach ältere Menschen im Verlauf ihres Lebens bereits gefestigtere Einstellungen entwickelt haben und weniger bereit sind, diese zu ändern. Dies deckt sich mit empirischen Befunden zu Einstellungsstärke, die mit dem Alter steigt, und erst im hohen Alter wieder sinkt (z. B. Visser & Krosnick, 1998). Die anderen Kontrollvariablen hatten dagegen keine signifikanten Effekte. Das Ausmaß offener kollektiver Informationsverarbeitung hing also tatsächlich eher von den erwähnten Einflussfaktoren und kaum von Merkmalen wie Frauen- bzw. Männeranteil, Gruppengröße und -typ, Thema oder Rekrutierungsweg ab.

6.2.2.2 Modell 2 (bereinigt)

Als nächstes wurde mit den signifikanten Einflussfaktoren und den Kontrollvariablen wieder ein bereinigtes Modell 2 berechnet (F(11, 164) = 4,79, p < ,001). Es erklärte 24,30 Prozent der Varianz offener kollektiver Informationsverarbeitung und somit etwas weniger als Modell 1 mit vier weiteren Variablen. Die Regressionskoeffizienten der beiden Modelle waren sehr ähnlich (für eine umfassende Darstellung von Modell 2 siehe Tabelle 26 unter Punkt 12 im elektronischen Zusatzmaterial).

6.2.2.3 Explorative Folgeanalyse zum Einfluss der Themenbedeutung

Bei den Ergebnissen zur Erklärung offener kollektiver Informationsverarbeitung gab es einen besonders unerwarteten Befund: Auch hier zeigte die Themenbedeutung keinen signifikanten Einfluss auf das Ausmaß offener Informationsverarbeitung (siehe 6.2.2.1). Das war insofern überraschend, als eine höhere Themenbedeutung mit einer stärkeren Verbindung zwischen Einstellung und Gruppenidentität einhergehen müsste. Vor diesem Hintergrund erscheint es naheliegend, dass Gruppen mit einer höheren Themenbedeutung eher zu geschlossener Informationsverarbeitung neigen, um ihren kollektiven Selbstwert zu schützen (siehe 3.2.2.2). Gleichzeitig leuchtet die umgekehrte Betrachtung, dass ein offener kollektiver Verarbeitungsmodus eher durch eine niedrige Themenbedeutung begünstigt wird, weniger ein.

Da sich bereits bei der Erklärung systematischer Verarbeitung ein relevanter Interaktionseffekt der Themenbedeutung zeigte (siehe 6.2.1.3), wurde auch hier eine explorative Folgeanalyse zu ihrem Einfluss vorgenommen. In Modell 1 wurde gezeigt, dass Gruppen mit extremeren Einstellungen erwartungsgemäß eher zu geschlossener Informationsverarbeitung neigten (siehe 6.2.2.1). Da extremere Einstellungen typischerweise besonders stark verteidigt werden müssen (siehe 3.2.2.2), könnte es sein, dass der oben vermutete negative Einfluss der Themenbedeutung auf offene Verarbeitung nur bei ihnen auftrat. Um diese Vermutung zu prüfen, wurde analog zum Vorgehen unter 6.2.1.3 ein Johnson-Neyman-Intervall mit einem Signifikanzniveau von α = ,05 berechnet. Grundlage bildete ein Regressionsmodell mit der Themenbedeutung für die Gruppe, der Extremität ihrer Einstellung und der Interaktion aus beiden Prädiktoren sowie den Kontrollvariablen aus Modell 1 inklusive Thema und Rekrutierungsweg (siehe 6.2.2.1). Die Messung der Extremität der Einstellung war nicht mittelwertzentriert, sodass ihr Nullpunkt für eine moderate bzw. mittlere und damit nicht extreme Einstellung stand (siehe 4.4.4).

In Abbildung 6.3 wird deutlich, dass die Themenbedeutung tatsächlich einen durch die Extremität der Gruppe moderierten Effekt auf das Ausmaß offener Informationsverarbeitung hatte. Ab einem Wert von 1,89 auf der Skala der Extremität der Einstellung trat ein signifikanter negativer Effekt der Themenbedeutung auf die Offenheit der Informationsverarbeitung in der Gruppe auf. Das bedeutet, dass eine höhere Themenbedeutung nur bei Gruppen mit Einstellungen an den Skalenrändern einen geschlossenen Verarbeitungsmodus begünstigte und bei Gruppen mit einer moderateren Einstellung keinen Einfluss hatte. Der Effekt der Themenbedeutung war umso stärker, je extremer die Einstellung der Gruppe war.

Wenn in Gruppen extremere Einstellungen und eine hohe Themenbedeutung zusammentreffen, könnte eine offene Auseinandersetzung also tatsächlich mit einer besonders hohen Bedrohung für den kollektiven Selbstwert verbunden sein, wodurch ein geschlossener Verarbeitungsmodus begünstigt wird. Die theoretische Vermutung, dass eine hohe Themenbedeutung geschlossene kollektive Informationsverarbeitung verstärkt, konnte somit in Teilen untermauert werden (siehe 3.2.2.2).

Abbildung 6.3
figure 3

(Anmerkungen: n = 176 Gruppen; der grau markierte Bereich bildet das 95 %-Konfidenzintervall des Effekts ab; Messung der Extremität der Einstellung von 0 (moderat) bis 3 (extrem), siehe 4.2.3.3; Messung von Offenheit: siehe 6.1.1.2; Messung der Themenbedeutung: siehe 4.2.3.2)

Johnson-Neyman-Plot zum bedingten Effekt der Themenbedeutung für die Gruppe auf offene Informationsverarbeitung in Abhängigkeit von der Extremität der Einstellung.

6.2.2.4 Modell 3 (final)

Als Letztes wurde ein finales Modell 3 mit allen signifikanten Prädiktoren und den Kontrollvariablen aus Modell 1 (siehe 6.2.2.1) sowie dem Interaktionsterm aus Themenbedeutung und Extremität der Einstellung (siehe 6.2.2.3) berechnet. Die Ergebnisse werden in Tabelle 6.8 zusammengefasst. Modell 3 (F(13, 162) = 5,02, p < ,001) konnte 28,72 der Varianz offener Informationsverarbeitung in Gruppen erklären. Die Ergebnisse entsprachen denen von Modell 1 (siehe 6.2.2.1) und zeigten zusätzlich den unter 6.2.2.3 ausgeführten Interaktionseffekt aus Themenbedeutung und Extremität der Einstellung der Gruppe.

Tabelle 6.8 Modell 3 zu Einflussfaktoren auf offene kollektive Informationsverarbeitung (nicht standardisierte Regressionskoeffizienten, alle Prädiktoren bis auf Extremität der Einstellung mittelwertzentriert)

6.3 Auswirkungen auf Gruppenebene

Als Nächstes wurden die Auswirkungen systematischer (FF8; siehe 6.3.1) und offener (FF9; siehe 6.3.2) kollektiver Informationsverarbeitung auf Gruppenebene untersucht. Unter 4.1 wurde bereits gezeigt, dass aufgrund der zeitlichen Abfolge verschiedener Phasen im Studiendesign von einer bestimmten Kausalitätsrichtung ausgegangen werden konnte.

6.3.1 Auswirkungen systematischer Verarbeitung

FF8 fragte nach den Auswirkungen automatischer vs. systematischer kollektiver Informationsverarbeitung auf Einstellungen (FF8a), Themenbedeutung (FF8b) und Verständnis des Stimulus (FF8c) bei Gruppen. Dafür wurden die Korrelationen zwischen dem Index für Systematik und den verschiedenen abhängigen Variablen betrachtet (siehe 6.3.2.1). Anschließend wurde anhand einer exemplarischen Pfadmodellierung getestet, ob die Effekte systematischer Informationsverarbeitung tatsächlich über die unter 6.2.1 identifizierten Einflussfaktoren vermittelt werden. Dabei wurde die Änderung der Themenbedeutung betrachtet (siehe 6.3.1.2).

6.3.1.1 Überblick

Um die Auswirkungen automatischer vs. systematischer Informationsverarbeitung in Gruppen abschätzen zu können, wurden zunächst Korrelationen mit allen gemessenen abhängigen Variablen betrachtet. Die Ergebnisse sind in Tabelle 6.9 aufgelistet.

Mit Blick auf die Einstellung deutete sich ein schwacher positiver Zusammenhang zwischen einem systematischen Verarbeitungsmodus und einer richtungsspezifischen Einstellungsänderung an, der aber knapp nicht signifikant war (p = ,050). Weitere Auswertungen zeigten, dass dieser Zusammenhang themenabhängig war (s. u.). Es gab keinen signifikanten Zusammenhang mit einer von der Richtung unabhängigen, allgemeinen Einstellungsänderung.

Bei den anderen einstellungsbezogenen Messungen – nämlich zu Polarisierung oder einer Änderung der Heterogenität der Einstellungen in der Gruppe – zeigten sich erwartungsgemäß keine signifikanten Zusammenhänge. Durch systematische Verarbeitung wurden die Einstellungen der Gruppe also weder extremer oder moderater, noch wurden die Einstellungen der Mitglieder innerhalb der Gruppen heterogener oder homogener als vorher.

Weiterhin zeigte sich, dass systematische Informationsverarbeitung die Themenbedeutung für die Gruppen leicht steigerte. Dieser Zusammenhang entspricht den theoretischen Erwartungen (siehe 3.2.1.3), dürfte aber von der Gestaltung des Stimulus und vom jeweiligen Thema abhängig gewesen sein.

Schließlich gab es keinen Zusammenhang zwischen systematischer kollektiver Informationsverarbeitung und dem Index für das Verständnis des Stimulus. Dieser Befund überrascht, da beides per Definition zusammenhängen sollte (siehe 3.2.1.3). Er könnte aber mit der Messung des Verständnisses des Stimulus erklärt werden: Für sie wurde ein Summenindex aus relevanten inhaltlichen Aspekten gebildet, die in einer freien Zusammenfassung des Beitrags durch die Gruppen erwähnt wurden (siehe 4.2.3.3). Rückblickend liegt nahe, dass es von vielen Faktoren abhängt, wie ausführlich und konkret Gruppen einen Inhalt zusammenfassen und daran nicht unbedingt beurteilt werden kann, wie tiefgehend ihr Verständnis ist.

Tabelle 6.9 Korrelationen zwischen Systematik und verschiedenen abhängigen Variablen auf Gruppenebene

In nach Themen getrennten Auswertungen (siehe 4.4.4) zeigten sich weitgehend vergleichbare Muster, allerdings verlor der Zusammenhang zwischen systematischer Verarbeitung und einer Änderung der Themenbedeutung seine Signifikanz. Zudem wurde ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Themen deutlich: Beim Thema „Autofreie Stadt“ gab es einen positiven Zusammenhang zwischen systematischer Verarbeitung und einer positiven Einstellungsänderung (r = ,29, p = ,003), der beim Thema „Regenbogenfamilien“ nicht vorhanden war (r = −,002, p = ,985). Das bedeutet, dass sich Gruppen in einem systematischen Modus durch den Stimulus eher von einer positiveren Einstellung gegenüber der autofreien Stadt, nicht aber Regenbogenfamilien überzeugen ließen. Der erste Befund lässt sich mit den theoretischen Vorannahmen in Einklang bringen, wonach eine systematische Auseinandersetzung eine kollektive Einstellungsänderung begünstigen kann (siehe 3.2.1.3). Die in der vorliegenden Studie verwendeten Stimuli waren professionell produziert und enthielten gut untermauerte Argumente zugunsten des jeweiligen Themas (siehe 4.2.2). In einem systematischen Verarbeitungsmodus konnten sich die Gruppen vermutlich besser mit solchen Argumenten auseinandersetzen und ließen sich dementsprechend eher überzeugen. Der zweite Befund spricht allerdings dafür, dass dieser Zusammenhang eher voraussetzungsreich ist. Dass beim Thema „Regenbogenfamilie“ keine Einstellungsänderung auf Basis systematischer Verarbeitung beobachtet werden konnte, könnte schlicht dadurch erklärbar sein, dass der Stimulus weniger überzeugend war. Zudem schien bei diesem Thema generell weniger Spielraum für Einstellungsänderungen vorhanden zu sein (siehe die Mittelwerte unter 4.2.3.3), was beispielsweise an seiner besonderen moralischen Bedeutung oder seinem vergleichsweise geringeren Neuigkeitswert gelegen haben könnte. Es leuchtet ein, dass es vom jeweiligen Stimulus und Thema abhängt, auf welche Art und in welchem Umfang systematische kollektive Informationsverarbeitung eine Einstellungsänderung einer Gruppe begünstigt.

6.3.1.2 Exemplarisches Pfadmodell zur Änderung der Themenbedeutung

Unter 6.3.1.1 zeichnete sich ein Zusammenhang zwischen systematischer kollektiver Informationsverarbeitung und einer Steigerung der Themenbedeutung der Gruppe ab. Um die theoretisch vermutete Wirkungskette zwischen Einflussfaktoren, Verarbeitungsmodus und Auswirkung (siehe 3.3.1) empirisch zu prüfen, wurde als Nächstes exemplarisch ein Pfadmodell mit der Änderung der Themenbedeutung in der Gruppe als abhängige Variable berechnet. Die Analyse wurde mit der Funktion sem des R-Pakets lavaan (Rosseel, 2012) durchgeführt, die auf linearen Regressionen beruht (Methode: Maximum-Likelihood/ML).

Dabei diente der Index für systematische kollektive Informationsverarbeitung als Mediator (siehe 6.1.1.2). Als Prädiktoren wurden bis auf eine Ausnahme die unter 6.2.1.4 im finalen Modell 3 identifizierten Einflussfaktoren auf systematische Verarbeitung eingesetzt: Themenbedeutung, Einstellung, die Interaktion aus beiden (jeweils vor der Nutzung des Stimulus), Aufmerksamkeit und emotionale Bewegtheit (jeweils während der Nutzung des Stimulus; siehe 4.2.3.2). Aufgrund des Interaktionseffekts wurde eine moderierte Mediation in den ersten Pfad des Modells aufgenommen („first stage moderated mediation“; Edwards & Lambert, 2007; Hayes, 2015). Die Abweichung der Gruppenmeinung vom wahrgenommenen Meinungsklima wurde trotz ihres Einflusses auf systematische Verarbeitung nicht in das Modell mit aufgenommen, da hier 14,3 Prozent der Gruppen mit „wissen wir nicht“ geantwortet hatten. Alleine durch diese fehlenden Werte wären nur 156 Gruppen in der Stichprobe für das Pfadmodell geblieben. Ohne die Abweichung vom wahrgenommenen Meinungsklima konnten dagegen 176 Gruppen in das Modell aufgenommen werden. Um grundsätzlich zu prüfen, ob verschiedene Einflussfaktoren einen über systematische kollektive Informationsverarbeitung vermittelten Effekt haben können, erschien eine größere Teststärke relevanter als die Aufnahme eines weiteren Einflussfaktors.

Analog zum Vorgehen in 6.2.1.1 wurden Gruppentyp, Gruppengröße, Durchschnittsalter, Frauenanteil, Anteil an Gruppenmitgliedern mit Hochschulabschluss, Thema und Rekrutierungsweg kontrolliert. Wie unter 4.4.4 erläutert waren alle Prädiktoren bis auf die Einstellung mittelwertzentriert. Außerdem wurde analog zum Vorgehen unter 6.2.1.1 geprüft, ob die einzelnen Modelle die gängigen Annahmen für multiple lineare Regressionen erfüllten.

Zur Berechnung von Konfidenzintervallen und Inferenzstatistiken wurde bias-korrigiertes Bootstrapping mit 5000 Iterationen eingesetzt. Indirekte Effekte wurden ausschließlich anhand der Konfidenzintervalle getestet, da bei ihnen meist nicht die statistischen Voraussetzungen für die Verwendung von p-Werten erfüllt sind. Wenn das 95 %-Konfidenzintervall für den Mediationseffekt (d. h. dem Produkt aus Pfad a und Pfad b) keine Null mit einschließt, kann ein Mediationseffekt vermutet werden (Hayes, 2022). Um moderierte Mediationseffekte zu prüfen, wurde der Index of Moderated Mediation (Hayes, 2015) verwendetFootnote 7.

Tabelle 6.10 zeigt die Ergebnisse der modellrelevanten Variablen. Im Modell zu den a-Pfaden erklärten die Einflussfaktoren demnach 36,2 Prozent der Varianz systematischer Informationsverarbeitung. Die Effekte der einzelnen Einflussfaktoren entsprachen weitgehend denen aus Modell 3, wobei zusätzlich der Haupteffekt der Themenbedeutung auf systematischer Verarbeitung in der Gruppe signifikant war. Anders als in Modell 3 hatte außerdem die Einstellung der Gruppe einen signifikanten Effekt, wonach konservativere Gruppen den Stimulus systematischer verarbeiteten. Dabei dürfte es sich eigentlich um den Effekt der Abweichung vom wahrgenommenen Meinungsklima handeln (siehe 6.2.1.4), die im vorliegenden Modell nicht mit aufgenommen wurde (s. o.). Das Thema und der Gruppentyp „Paar“ verloren dagegen ihre signifikanten Einflüsse auf das Ausmaß systematischer Verarbeitung (siehe 6.2.1.4).

Tabelle 6.10 Nicht standardisierte Regressionskoeffizienten (B, Standardfehler in Klammern) mit Konfidenzintervallen (CI) zu über systematische kollektive Informationsverarbeitung vermittelten Einflüssen auf eine Änderung der Themenbedeutung

Das Modell zum b-Pfad erklärte 9,8 Prozent der Varianz der Veränderung der Themenbedeutung für die Gruppe, wobei systematische kollektive Verarbeitung wie erwartet eine Steigerung der Themenbedeutung begünstigte.

Auf Basis der beiden Modelle wurden die indirekten Effekte der Einflussfaktoren auf die Steigerung der Themenbedeutung geprüft. Die Themenbedeutung hatte einen über systematische Informationsverarbeitung vermittelten Haupteffekt (Ba1b = 0,021, SE = 0,011, 95 %-CI [0,005, 0,050]). Der Index of Moderated Mediation für die Interaktion aus Themenbedeutung und Einstellung lag bei a3b = 0,012 (SE = 0,008, 95 %-CI [0,001, 0,033]) und war somit ebenfalls signifikant. Damit zeigt sich also, dass eine hohe Themenbedeutung für die Gruppe über systematische kollektive Informationsverarbeitung vermittelt eine Steigerung der Themenbedeutung begünstigte – insbesondere wenn Gruppen vorher schon eine positive Einstellung zum Thema hatten (siehe dagegen 6.2.2.3 zur genaueren Betrachtung des Interaktionseffekts). Auch die restlichen Prädiktoren hatten einen über systematische Verarbeitung vermittelten Effekt auf die Themenbedeutung: Sowohl größere Aufmerksamkeit (Ba4b = 0,080, SE = 0,040, 95 %-CI [0,013, 0,172]) als auch eine stärkere emotionale Bewegtheit bei der Nutzung des Stimulus (Ba5b = 0,033, SE = 0,019, 95 %-CI [0,006, 0,083]) begünstigten über den Verarbeitungsmodus vermittelt eine Steigerung der Themenbedeutung der Gruppe.

Abbildung 6.4 gibt einen Überblick über das geprüfte Pfadmodell. Wie vermutet begünstigten die betrachteten Einflussfaktoren systematische kollektive Informationsverarbeitung und diese begünstigte wiederum eine Steigerung der Themenbedeutung.

Abbildung 6.4
figure 4

(Anmerkungen: n = 176 Gruppen; nicht standardisierte Koeffizienten, Haupteffekte werden unterhalb der Pfeile, Interaktionseffekte oberhalb der Pfeile dargestellt; Haupteffekt der Einstellung: B = −0,163***; Kontrollvariablen: Gruppentyp, Gruppengröße, Durchschnittsalter, Frauenanteil, Anteil mit Hochschulabschluss, Thema und Rekrutierungsweg (alle n. s.); * p < ,05, ** p < ,01, *** p < ,001)

Pfadmodell zu den Zusammenhängen zwischen systematischer kollektiver Informationsverarbeitung, ihren Einflussfaktoren und einer Änderung der Themenbedeutung.

6.3.2 Auswirkungen offener Verarbeitung

In FF9 wurde nach den Auswirkungen geschlossener vs. offener kollektiver Informationsverarbeitung auf die Einstellung einer Gruppe gefragt. Um einen Überblick zu bekommen, wurden zunächst wieder Korrelationen zwischen dem Index für Offenheit und verschiedenen abhängigen Variablen berechnet (siehe 6.3.2.1). Als nächstes wurde über eine exemplarische Pfadmodellierung geprüft, ob die Auswirkungen offener Informationsverarbeitung tatsächlich über die unter 6.2.2 identifizierten Einflussfaktoren vermittelt wurden. Dafür wurde die ungerichtete Einstellungsänderung (siehe 6.3.2.2) als abhängige Variable betrachtet.

6.3.2.1 Überblick

Analog zum Vorgehen zu den Auswirkungen systematischer Informationsverarbeitung (siehe 6.3.1.1) wurden die Auswirkungen geschlossener vs. offener kollektiver Informationsverarbeitung zunächst ebenfalls anhand von Korrelationen mit allen gemessenen abhängigen Variablen betrachtet. Die Ergebnisse sind in Tabelle 6.11 dargestellt.

Bezüglich der Einstellung zeigte sich kein signifikanter Zusammenhang mit einer richtungsspezifischen positiven Einstellungsänderung. Dafür gab es einen Effekt auf eine ungerichtete Einstellungsänderung. Das bedeutet, dass Gruppen in einem offenen Verarbeitungsmodus häufiger ihre Einstellung änderten und dabei sowohl eine negativere als auch eine positivere Einstellung als vorher entwickeln konnten. Dieser Befund deckt sich mit den theoretischen Vorüberlegungen (siehe 3.2.2.3): In einem offenen Modus sind Gruppen aufgeschlossen für neue Informationen und Argumente. In der vorliegenden Studie konnten diese aus den Medienstimuli, aber auch aus der Gruppe selbst kommen, wodurch Einstellungsänderungen in beide Richtungen erklärbar wären.

Tabelle 6.11 Korrelationen zwischen Offenheit und verschiedenen abhängigen Variablen auf Gruppenebene

Außerdem gab es einen negativen Zusammenhang zwischen Offenheit und Polarisierung der Gruppe. Das bedeutet, dass Gruppen nach geschlossener Informationsverarbeitung zu einer extremeren Einstellung neigten. Dies entspricht ebenfalls den theoretischen Annahmen (siehe 3.2.2.3).

Die Heterogenität der Einstellungen in der Gruppe veränderte sich durch offene Informationsverarbeitung zwar nicht in eine bestimmte Richtung, aber es gab einen positiven Zusammenhang zwischen Offenheit und einer ungerichteten Veränderung der Heterogenität. Das bedeutet, dass die Einstellungen der Gruppenmitglieder in einem offenen Modus sowohl homogener als auch heterogener werden konnten als vorher. Theoretisch wurde angenommen, dass ein geschlossener Modus zu einer Homogenisierung führt (siehe 3.2.2.3). Der vorliegende Befund lässt sich aber gut erklären: Homogene Einstellungen sind bereits eine Voraussetzung geschlossener kollektiver Informationsverarbeitung (siehe 3.2.2.2 und 6.2.2) – somit ist eine weitere Homogenisierung in diesem Modus kaum noch möglich bzw. nötig. In einem offenen Modus sind Gruppen und ihre Mitglieder dagegen grundsätzlich bereit, ihre Einstellungen zu verändern. Deshalb leuchtet es ein, dass Gruppenmitglieder im gemeinsamen Verarbeitungsprozess sowohl ähnlichere als auch unterschiedlichere Einstellungen entwickeln können als vorher.

Die Themenbedeutung für die Gruppe veränderte sich dagegen nicht in Abhängigkeit vom Ausmaß offener Informationsverarbeitung. Schließlich gab es auch keinen Zusammenhang zwischen offener Informationsverarbeitung in Gruppen und dem Index für das Verständnis des Stimulus.

Auch hier verwiesen nach Themen getrennte Auswertungen (siehe 4.4.4) wieder auf einen Unterschied zwischen den Themen „Autofreie Stadt“ und „Regenbogenfamilien": So gab es nur beim Thema „Autofreie Stadt“ den Zusammenhang mit der ungerichteten Einstellungsänderung (r = ,26, p = ,008) und der Polarisierung (r = −,21, p = ,029). Beim Thema „Regenbogenfamilien“ waren dagegen weder signifikante Zusammenhänge eines offenen Modus mit der Einstellungsänderung (r = ,15 p = ,202) noch mit einer Polarisierung zu beobachten (r = −,04, p = ,742). Die anderen Korrelationen fielen vergleichbar aus. Dieses Muster ließ sich schon bei den Auswirkungen systematischer Informationsverarbeitung beobachten und wurde genauer diskutiert (siehe 6.3.1.1). Analog dazu dürften sich unterschiedliche Themen und Stimuli naheliegenderweise auch darin unterscheiden, wie und wie stark sie über offene Informationsverarbeitung vermittelt zu Einstellungsänderungen bzw. Polarisierung führen.

6.3.2.2 Exemplarisches Pfadmodell zur Änderung der Einstellung (ungerichtet)

Unter den unter 6.3.2.1 ermittelten Zusammenhängen wurde exemplarisch der zwischen offener kollektiver Informationsverarbeitung und einer ungerichteten Einstellungsänderung für ein Pfadmodell ausgewählt. So konnte die theoretisch angenommene Wirkungskette aus Einflussfaktoren, Verarbeitungsmodus und Auswirkung (siehe 3.3.1) auch für die Dimension geschlossener vs. offener kollektiver Informationsverarbeitung empirisch geprüft werden.

Als Mediator wurde dementsprechend der Index für Offenheit verwendet (siehe 6.1.1.2). Prädiktoren waren die unter 6.2.2.4 im finalen Modell 3 identifizierten Einflussfaktoren auf offene Verarbeitung: Extremität der Einstellung, Themenbedeutung, die Interaktion aus beiden, Heterogenität der Einstellungen und das Wissen der Gruppe (jeweils vor der Nutzung des Stimulus; siehe 4.2.3.2). Das datenanalytische Vorgehen inklusive der verwendeten Kontrollvariablen war identisch mit dem Vorgehen für das Pfadmodell zu systematischer kollektiver Informationsverarbeitung (siehe 6.3.1.2). Abgesehen von der Extremität der Einstellung waren zudem wieder alle Prädiktoren mittelwertzentriert (siehe 4.4.4).

Tabelle 6.12 zeigt die Ergebnisse der modellrelevanten Variablen. Das Modell zu den a-Pfaden mit den Einflussfaktoren erklärte 26,2 Prozent der Varianz offener Informationsverarbeitung. Auch hier entsprachen die Ergebnisse der einzelnen Einflussfaktoren im Wesentlichen denen aus Modell 3 unter 6.2.2.4.

Tabelle 6.12 Nicht standardisierte Regressionskoeffizienten (B, Standardfehler in Klammern) mit Konfidenzintervallen (CI) zu über offene kollektive Informationsverarbeitung vermittelten Einflüssen auf eine ungerichtete Einstellungsänderung

Mit dem Modell zum b-Pfad konnten 10,6 Prozent der Varianz einer allgemeinen Einstellungsänderung in der Gruppe erklärt werden. Dabei spielte zum einen – wie angenommen – offene Informationsverarbeitung eine Rolle: Je offener eine Gruppe die Informationen aus dem Stimulus verarbeitete, desto eher änderte sie ihre Einstellung. Zum anderen zeigte sich bei den Kontrollvariablen, dass sich die Einstellungen von Gruppen, die sich mit dem Thema „Regenbogenfamilien“ beschäftigten, weniger stark änderten als die von Gruppen, die sich mit dem Thema „Autofreie Stadt“ beschäftigten. Wie unter 6.3.2.1 diskutiert, dürften hier unterschiedliche Eigenschaften der Themen zum Tragen kommen.

Anhand der beiden Regressionsmodelle wurden die indirekten Effekte der Einflussfaktoren auf die allgemeine Einstellungsänderung in der Gruppe getestet. Die Extremität der Einstellung der Gruppe zeigte einen über offene Verarbeitung vermittelten Haupteffekt (Ba1b = −0,027 (SE = 0,019, 95 %-CI [−0,078, −0,001]). Zusätzlich gab es einen durch die Themenbedeutung moderierten indirekten Effekt der Extremität der Einstellung (Ba3b = −0,015 (SE = 0,012, 95 %-CI [−0,047, −0,001]). Das bedeutet, dass eine höhere Themenbedeutung bei Gruppen mit einer extremeren Einstellung einen geschlossenen Verarbeitungsmodus zusätzlich verstärken und damit indirekt eine Einstellungsänderung verhindern konnte (siehe 6.2.2.3 zur genaueren Betrachtung des Interaktionseffekts). Außerdem begünstigten Heterogenität der Einstellungen in der Gruppe (Ba4b = 0,075 (SE = 0,035, 95 %-CI [0,022, 0,168]) und geringeres Wissen (Ba5b = −0,021 (SE = 0,014, 95 %-CI [−0,059, −0,002]) über offene Informationsverarbeitung vermittelt eine Einstellungsänderung.

Abbildung 6.5 zeigt das getestete Pfadmodell zur Erklärung einer allgemeinen Einstellungsänderung. Die dargestellten Einflussfaktoren verstärkten bzw. verminderten demnach offene kollektive Informationsverarbeitung und dies begünstigte wiederum eine Einstellungsänderung in eine positive oder negative Richtung.

Abbildung 6.5
figure 5

(Anmerkungen: n = 175 Gruppen; Haupteffekte werden unterhalb der Pfeile, Interaktionseffekte oberhalb der Pfeile dargestellt; Kontrollvariablen: Gruppentyp, Gruppengröße, Durchschnittsalter (B = −0,019** für offene Informationsverarbeitung), Frauenanteil, Anteil mit Hochschulabschluss, Thema (B = −0,227* bei „Regenbogenfamilien“ für Einstellungsänderung) und Rekrutierungsweg (bis auf genannte alle n. s.); * p < ,05, ** p < ,01, *** p < ,001

Pfadmodell zu den Zusammenhängen zwischen offener kollektiver Informationsverarbeitung, ihren Einflussfaktoren und einer ungerichteten Einstellungsänderung.

6.4 Auswirkungen auf Individualebene

Schließlich sollte untersucht werden, inwieweit die auf Gruppenebene festgestellten Auswirkungen kollektiver Informationsverarbeitung (siehe 6.3) auch auf Individualebene relevant waren. Dazu wurde geprüft, ob und unter welchen Bedingungen Gruppenmitglieder in der nachfolgenden Einzelbefragung eine andere Einstellung (FF10; siehe 6.4.1) oder Themenbedeutung (FF11; siehe 6.4.2) angaben als am Ende der Gruppenbefragung. Während alle bisherigen Auswertungen auf Gruppenebene vorgenommen wurden, wurden die folgenden Auswertungen somit auf Individualebene bzw. in hierarchischen Modellen auf beiden Ebenen durchgeführt. Zu Auswirkungen auf das Verständnis des Stimulus (FF12) wurden keine weiteren Auswertungen vorgenommen, da der verwendete Index rückblickend als unzureichend erschien (siehe 6.3.1.1).

6.4.1 Auswirkungen auf die Einstellung

FF10 fragte, ob es Abweichungen zwischen den individuellen Angaben zur Einstellung im Kontext der Gruppenbefragung und in der anschließenden Einzelbefragung gab. Sie fragte außerdem, inwieweit Abweichungen beider Angaben durch Einstellungen auf Individual- und Gruppenebene (FF10a), die individuelle Themenbedeutung (FF10b) und kollektive Verarbeitungsmodi (FF10c) erklärt werden können. Um sie zu beantworten, wird zunächst ein Überblick darüber gegeben, wie stark und wie häufig die beiden Angaben voneinander abwichen (siehe 6.4.1.1). Anschließend werden die Ergebnisse (hierarchischer) linearer Modelle vorgestellt, um die ungerichtete (siehe 6.4.1.2) und gerichtete Abweichung (siehe 6.4.1.3) beider Angaben anhand der genannten Einflussfaktoren zu erklären.

6.4.1.1 Überblick

Die Abweichung zwischen der Einstellungsmessung in der Gruppenbefragung und der Einzelbefragung ergab sich aus zwei Variablen. Erstens handelte es sich um die Angabe, die das jeweilige Individuum am Ende der Gruppenbefragung bei der Einstellungsmessung gemacht hatte (siehe 4.2.3.3). Wenn sich alle Gruppenmitglieder bei der Messung einig waren, wurde der Gruppenwert verwendet, da er gleichzeitig auch die Antwort des Individuums repräsentierte. Wenn sich die Gruppenmitglieder bei der Messung uneinig waren und einzeln geantwortet hatten, wurde die Antwort des jeweiligen Individuums betrachtet. Zweitens handelte es sich um die Angabe, die dasselbe Individuum bei der anschließenden Einzelbefragung zu seiner Einstellung gemacht hatte (siehe 4.2.3.3).

Beide Angaben korrelierten sehr stark miteinander (r = ,88, p < ,001). Abbildung 6.6 zeigt ein Histogramm der Differenz aus beiden Angaben, wobei ein positiver Wert für die Angabe einer positiveren Einstellung in der Einzelbefragung steht und ein negativer Wert für die Angabe einer negativeren Einstellung. Die einzelnen Gruppenmitglieder veränderten ihre Einstellungsangabe auf der siebenstufigen Skala im Durchschnitt um einen halben Punkt (Betrag: M = 0,55; SD = 0,77). Insgesamt blieben 48,5 Prozent der Teilnehmenden in der Einzelbefragung bei ihrer Einstellung aus der Gruppenbefragung, 37,7 Prozent veränderten sie um einen halben bis einen SkalenpunktFootnote 8 und nur 13,8 Prozent um mehr als einen Skalenpunkt. Die durchschnittliche Abweichung der Einstellungsangabe ohne Betrag lag nahe Null, es ließen sich also gleichermaßen Veränderungen in eine positive wie eine negative Richtung beobachten (M = −0,06; SD = 0,94).

Abbildung 6.6
figure 6

(Anmerkungen: n = 334 Individuen; Messung von −6 (negativere Einstellung in Einzelbefragung) bis 6 (positivere Einstellung in Einzelbefragung), s. o.)

Abweichung zwischen der von Individuen angegebenen Einstellung in der Gruppenbefragung und in der anschließenden Einzelbefragung.

Nach Themen getrennte Auswertungen zeigten vergleichbare Muster (siehe 4.4.4), wobei die Abweichungen beim Thema „Autofreie Stadt“ insgesamt größer waren (Betrag: M = 0,70; SD = 0,84) als beim Thema „Regenbogenfamilien“ (Betrag: M = 0,35; SD = 0,61). Hier deutet sich – wie schon auf Gruppenebene (siehe 6.3.1.1 und 6.3.2.1) – an, dass die Einstellungen zum Thema „Regenbogenfamilie“ offenbar gefestigter bzw. weniger verhandelbar waren.

Insgesamt zeigte sich somit, dass die von den Teilnehmenden im Gruppenkontext geäußerten Einstellungen im Wesentlichen auch später und außerhalb der Gruppe vorhanden waren. Das spricht wie vermutet dafür, dass sich kollektive Informationsverarbeitung nicht nur auf Gruppen-, sondern auch auf Individualebene auswirkt (siehe 3.3.2).

6.4.1.2 Modell zur ungerichteten Abweichung der Einstellungsmessungen

Um genauer zu verstehen, unter welchen Umständen Teilnehmende in der Gruppenbefragung dennoch eine andere Einstellung vertraten als in der Einzelbefragung, sollte als Nächstes ein lineares Modell mit Prädiktoren auf Individual- und Gruppenebene berechnet werden. Dabei wurde zunächst das reine Ausmaß – also der Betrag – der Abweichung beider Einstellungsangaben als abhängige Variable betrachtet.

Als Prädiktoren auf Individualebene (Level 1) wurden die Einstellung, ihre Extremität und die Themenbedeutung aus der anschließenden Einzelbefragung in das Modell mit aufgenommen. Sie dienten jeweils als Bezugspunkt ohne Gruppeneinfluss. Auf Gruppenebene (Level 2) wurden die Einstellung der Gruppe, ihre Extremität, ihre Heterogenität in der Gruppe (jeweils am Ende der Befragung, siehe 4.2.3.3) sowie das Ausmaß systematischer und offener Verarbeitung in der Gruppe aufgenommen (siehe 6.1.1.2). Um die Bedeutung des Verhältnisses zwischen der individuellen, außerhalb der Gruppe geäußerten Einstellung und der Gruppeneinstellung analysieren zu können, wurde außerdem der Interaktionseffekt aus beiden in das Modell mit aufgenommen.

Auf Individualebene wurden zudem die weitere Beschäftigung mit dem Thema innerhalb und außerhalb der Gruppe, das Einverständnis mit den Gruppenantworten, Alter, Geschlecht und Hochschulabschluss kontrolliert (siehe 4.2.3.4). Kontrollvariablen auf Gruppenebene waren Gruppentyp, Thema des Stimulus und Rekrutierungsweg. Wie in den bisherigen Auswertungen wurden mit Ausnahme der Messungen von Einstellungen und ihrer Extremität – die einen inhaltlich relevanten Nullpunkt aufwiesen – alle Prädiktoren auf Individual- und auf Gruppenebene mittelwertzentriert (Grand-Mean-Zentrierung; siehe 4.4.4 zur Begründung der Mittelwertzentrierung).

Um die Notwendigkeit einer Mehrebenenanalyse zu prüfen, wird in einem ersten Schritt häufig ein Nullmodell mit einem Modell mit Random Intercept verglichen (z. B. Field et al., 2012; Hayes, 2006). Da solche Modelle potenziell stärker durch Scheinkorrelationen beeinflusst werden, wurde auf diesen Schritt verzichtet. Stattdessen wurde die Entscheidung für oder gegen die Mehrebenenstruktur auf Grundlage des tatsächlich verwendeten – und damit hinreichend komplexen – Modells getroffen. Zu diesem Zweck wurde mit den oben genannten Prädiktoren ein nicht-hierarchisches (Modell 1) und ein hierarchisches lineares Modell (Modell 2; auch: Mehrebenenmodell, Mixed Model) berechnet. Für die Berechnung der Modelle wurden die Funktionen gls (klassisches lineares Modell) und lme (hierarchisches lineares Modell) aus dem R-Paket nlme (Pinheiro et al., 2021) verwendet (Methode: Restricted Maximum Likelihood/REML, um einen Vergleich zwischen beiden Modellen zu ermöglichen). Anschließend wurde anhand eines Likelihood-Ratio-TestsFootnote 9 geprüft, ob die hierarchische Modellierung einen Mehrwert bot. Wenn das hierarchische Modell im Modellvergleich signifikant besser abschnitt, wurde es interpretiert, ansonsten wurde das nicht-hierarchische Modell interpretiert. Zudem wurde geprüft, ob die Modellannahmen erfüllt warenFootnote 10.

Beide Modelle beinhalteten somit Fixed Effects, also Parameter, die über alle Gruppen hinweg gleich geschätzt wurden. Zu den Fixed Effects gehörten Regressionskoeffizienten und Standardfehler. Das hierarchische Modell beinhaltete zusätzlich Random Effects, also Modellbestandteile, die mögliche Korrelationen kontrollierten, die nicht durch die aufgenommenen Fixed Effects erklärt werden. Zu den Random Effects gehörte die Varianz innerhalb der Gruppen – d. h. der Residuen der einzelnen Gruppenmitglieder – und die Varianz zwischen den Gruppen – d. h. es wurde von einem pro Gruppe variierenden Intercept ausgegangen (Field et al., 2012; Peugh, 2010).

Tabelle 6.13 Lineare Modelle zur Erklärung der ungerichteten Abweichung zwischen der in der Gruppenbefragung und in der anschließenden Einzelbefragung angegebenen Einstellung

Tabelle 6.13 zeigt die Ergebnisse des nicht-hierarchischen (Modell 1) und des hierarchischen (Modell 2) linearen Modells, mit dem erklärt werden konnte, in welchem Ausmaß die Einstellungsangabe in der Einzelbefragung von der im Gruppenkontext abwich. Der Vergleich der Devianzen von Modell 1 und Modell 2 mittels eines Likelihood-Ratio-Tests zeigte, dass Modell 2 eine signifikante Verbesserung gegenüber Modell 1 brachte (χ2 (2) = 7,06, p = ,008). Weiterhin zeigte sich, dass 8,4 Prozent der Gesamtvarianz in Modell 2 durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe – also auf Level 2 statt auf Level 1 – erklärt werden konnten (ICC = 0,084)Footnote 11. Deshalb werden im Folgenden die Ergebnisse aus Modell 2 vorgestellt.

Fixed und Random Effects aus Modell 2 erklärten gemeinsam 65,75 Prozent der Varianz der allgemeinen Abweichung zwischen Einstellungsangabe in Gruppen- und EinzelbefragungFootnote 12. Größere Abweichungen beider Messungen wurden als stärkere Anpassung an die Gruppenmeinung in der Gruppenbefragung interpretiert. Da zwischen Gruppen- und Einzelbefragung ein bis drei Tage lagen, wären Abweichungen auch durch eine weitere Beschäftigung mit dem Thema denkbar, diese wurde in den Modellen aber kontrolliert (s. u.).

Es gab einen leicht negativen Haupteffekt der in der Einzelbefragung geäußerten Einstellung auf die Abweichung zwischen beiden Messungen. Das bedeutet, dass Individuen mit einer negativeren (d. h. konservativeren) Einstellung zum jeweiligen Thema etwas stärker dazu neigten, ihre Einstellung an die Gruppe anzupassen. Umgekehrt ließ sich auch ein leicht positiver Haupteffekt der Einstellung der Gruppe feststellen, wonach Mitglieder aus Gruppen mit einer positiveren (d. h. progressiveren) Einstellung zum jeweiligen Thema ebenfalls eher dazu neigten, ihre Einstellung an die Gruppe anzupassen. Im Verhältnis zu ihrer Gruppe konservativere Gruppenmitglieder könnten stärker das Gefühl gehabt haben, von gesellschaftlichen Normen (Umweltschutz, Toleranz) abzuweichen und daher einen stärkeren Anpassungsdruck empfunden haben. Das passt zu dem Befund, dass Gruppen mit einer im Vergleich zum wahrgenommenen Meinungsklima konservativeren Einstellung auch zu einem systematischeren Verarbeitungsmodus neigten (siehe 6.2.1.1).

Weiterhin zeigte sich, dass Individuen mit einer in der Einzelbefragung gemessenen extremeren Einstellung im Gruppenkontext eher zu voneinander abweichenden Angaben neigen. Das spricht dafür, dass sie sich stärker an ihre Gruppe anpassten bzw. anpassen mussten als Mitglieder mit moderateren Einstellungen. Dieser Befund leuchtet ein, da Menschen mit extremeren Einstellungen tendenziell häufiger und/oder stärker von anderen Gruppenmitgliedern abweichen dürften als Menschen mit moderaten Einstellungen. Umgekehrt zeigte sich, dass auch Mitglieder extremer eingestellter Gruppen größere Abweichungen ihrer Einstellungsangaben aufwiesen. Sie schienen sich also ebenfalls stärker an ihre Gruppen anzupassen.

Außerdem gab es einen negativen Interaktionseffekt aus der in der Einzelbefragung geäußerten Einstellung und der Einstellung der Gruppe nach dem Stimulus. Um diesen Effekt genauer nachvollziehen zu können, wurde auf Basis von Modell 1 ein Johnson-Neyman-Intervall (siehe 6.2.1.3) mit einem Signifikanzniveau von α = ,05 berechnetFootnote 13.

Abbildung 6.7 zeigt, dass bei einem Einstellungswert der Gruppe außerhalb des Intervalls von −0,45 bis −0,07 ein von der Gruppeneinstellung moderierter Effekt der in der Einzelbefragung geäußerten Einstellung auf die Abweichung beider Einstellungsmessungen auftrat. Das bedeutet, dass sich Individuen mit einer progressiven Einstellung stärker anpassten, wenn sie Teil einer konservativeren Gruppe waren und Individuen mit einer konservativeren Einstellung, wenn sie Teil einer progressiveren Gruppe waren. Der Effekt war umso stärker, je größer die Abweichung zwischen der in der Einzelbefragung geäußerten Einstellung und der Gruppeneinstellung war. Dieses Phänomen zeigte sich also – anders als der oben beschriebene Haupteffekt – unabhängig von der Richtung der Einstellung der Gruppe.

Die individuelle Themenbedeutung und die Heterogenität der Einstellungen in der Gruppe hatten dagegen keinen Effekt auf die Anpassung an die Gruppenmeinung. Genauso wenig ließ sich ein Effekt systematischer oder offener Informationsverarbeitung in der Gruppe beobachten. Unter den Kontrollvariablen zeigte sich lediglich ein signifikanter Einfluss auf die Abweichung beider Einstellungsmessungen: In einer Partnerschaft passten sich Individuen weniger stark der kollektiven Einstellung an als in einer Familie oder einem Freundeskreis. Das leuchtet insofern ein, als Paarbeziehungen im Vergleich zu familiären oder freundschaftlichen Beziehungen in der Regel von noch mehr Nähe und Akzeptanz geprägt sind, sodass für ihre Mitglieder weniger Anpassung nötig scheint.

Abbildung 6.7
figure 7

(Anmerkungen: n = 328 Individuen aus 157 Gruppen; der grau markierte Bereich bildet das 95 %-Konfidenzintervall des Effekts ab; Einstellungsmessung zum jeweiligen Thema von −3 (negative Einstellung) bis 3 (positive Einstellung), siehe 4.2.3.3; Messung der Abweichung: siehe 6.4.1.1)

Johnson-Neyman-Plot zum bedingten Effekt der in der Einzelbefragung angegebenen Einstellung auf ihre Abweichung zur in der Gruppenbefragung angegebenen Einstellung in Abhängigkeit von der Einstellung der Gruppe.

Besonders interessant war schließlich, dass sich kein Zusammenhang zwischen dem Einverständnis mit den gemeinsamen Antworten aus der Gruppenbefragung und der Anpassung an die Gruppenmeinung beobachten ließ. Wenn sich Individuen an die Einstellungen ihrer Gruppe anpassten, dann also nicht gegen ihren Willen aufgrund von extrinsischem Gruppendruck. Stattdessen schienen dem tatsächlich intrinsische bzw. internalisierte Motivationen zugrunde zu liegen (siehe 3.3.2).

6.4.1.3 Modell zur gerichteten Abweichung der Einstellungsmessungen

Die bisherigen Modelle beschäftigten sich mit dem Ausmaß, in dem die Einstellungsmessung in Gruppen- und Einzelbefragung voneinander abwich – also mit der Frage, wann Individuen Ihre Einstellungen im Beisein einer Gruppe stärker oder schwächer veränderten. Als Nächstes wurde die Richtung dieser Veränderung betrachtet. Um sie zu erklären, wurde analog zum Vorgehen unter 6.4.1.2 ein nicht-hierarchisches (Modell 1) und ein hierarchisches Modell (Modell 2) mit der gerichteten Abweichung beider Messungen berechnet und verglichen.

Als Prädiktor auf Individualebene (Level 1) wurde die Einstellung in der Einzelbefragung in das Modell mit aufgenommen. Auf Gruppenebene (Level 2) wurden die Einstellung der Gruppe (am Ende der Befragung, siehe 4.2.3.3) sowie das Ausmaß systematischer und offener Verarbeitung in der Gruppe aufgenommen (siehe 6.1.1.2). Außerdem wurde wieder der Interaktionseffekt aus individueller Einstellung und Gruppeneinstellung mit aufgenommen. Messungen zu Extremität oder Heterogenität der Einstellung(en) sowie zu Themenbedeutung wurden nicht in das Modell aufgenommen, da diese Konstrukte unabhängig von der Einstellungsrichtung sein dürften.

Die Kontrollvariablen waren dieselben wie im Modell zur Erklärung der ungerichteten Abweichung (siehe 6.4.1.2). Außerdem wurden wieder alle Messungen außer die der Einstellung mittelwertzentriert (Grand-Mean-Zentrierung; siehe 4.4.4 zur Begründung der Mittelwertzentrierung).

Tabelle 6.14 zeigt die Ergebnisse des nicht-hierarchischen (Modell 1) und hierarchischen (Modell 2) linearen Modells zur Erklärung der Abweichung der Einstellungsangaben in Gruppen- und Einzelbefragung. Ein Likelihood-Ratio-Test mit einem Signifikanzniveau von α = ,05 zeigte, dass Modell 2 keine signifikante Verbesserung gegenüber Modell 1 brachte (χ2 (2) < 0,001, p = ,997). Darüber hinaus zeigte sich, dass keinerlei Varianz in Modell 2 durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe erklärt werden konnte (ICC < 0,001), weshalb die Koeffizienten in beiden Modellen identisch waren. Deshalb werden im Folgenden die Ergebnisse von Modell 1 vorgestellt.

Tabelle 6.14 Lineare Modelle zur Erklärung der gerichteten Abweichung zwischen der in der Gruppenbefragung und in der anschließenden Einzelbefragung angegebenen Einstellung

Modell 1 erklärte 78,37 Prozent der Varianz der Abweichung beider EinstellungsmessungenFootnote 14. Diese Erklärkraft war beinahe vollständig auf zwei Prädiktoren zurückzuführen: Auf der einen Seite zeigte sich ein positiver Einfluss der individuellen, in der Einzelbefragung geäußerten Einstellung, auf der anderen Seite ein negativer Einfluss der Einstellung der Gruppe. Berücksichtigt man die gleich großen Regressionsgewichte beider Prädiktoren, dass ihre Nullpunkte für eine neutrale Haltung standen und dass der Intercept bei Null lag, ergibt sich aus der Regressionsgleichung ein weitgehender Ausgleich der individuellen Abweichung von der Gruppenmeinung: Wenn die individuelle Einstellung eines Gruppenmitglieds mit der Einstellung der Gruppe übereinstimmte, gab es in der Regel keine Abweichung zwischen beiden Messungen. Wenn eine im Verhältnis progressivere Person in einer konservativeren Gruppe war, war die Abweichung eher positiv – die Person äußerte sich in der Gruppenbefragung also konservativer als in der Einzelbefragung. Wenn eine im Verhältnis konservativere Person Mitglied einer progressiveren Gruppe wurde, war die Abweichung dagegen eher negativ – die Person äußert sich im Kontext der Gruppe also eher progressiver als alleine. Wie unter 6.4.1.1 gezeigt wurde, gaben die Teilnehmenden in ca. der Hälfte der Fälle in beiden Befragungen die gleiche Einstellung an. Wenn beide Messungen aber voneinander abwichen, so passten sich die Gruppenmitglieder mit ihrer Angabe weitgehend der Einstellung der Gruppe an. Dabei gab es keinen Interaktionseffekt aus beiden Einstellungsmessungen. Die Tendenz, sich mit seiner individuellen Einstellung der Gruppe anzupassen ließ sich also unabhängig von der Konstellation der Einstellungen von Individuum und Gruppe beobachten (wohingegen das Ausmaß der Anpassung leicht variierte und sich Mitglieder progressiver Gruppen etwas stärker anpassten, siehe 6.4.1.2).

Lediglich das Alter hatte noch einen minimalen (B = 0,004) aber signifikanten Einfluss auf die Abweichung zwischen beiden Messungen. Demnach äußerten sich ältere Personen in der Einzelbefragung etwas progressiver, als in der Gruppenbefragung. Möglicherweise passten sich manche Teilnehmende im Beisein ihrer Gruppe stärker konservativen gesellschaftlichen Normen an, die sie aus früheren Zeiten verinnerlicht hatten. Alle anderen Prädiktoren erwiesen sich dagegen als praktisch unabhängig von der Abweichung beider Einstellungsmessungen. Ob und in welche Richtung Individuen ihre Einstellung im Kontext einer Gruppe veränderten, schien somit fast ausschließlich durch das Verhältnis zwischen Gruppen- und individueller Einstellung erklärbar zu sein.

6.4.2 Auswirkungen auf die Themenbedeutung

In FF11 wurde gefragt, ob es Abweichungen zwischen den individuellen Angaben zur Themenbedeutung im Kontext der Gruppenbefragung und in der anschließenden Einzelbefragung gab. Es wurde außerdem gefragt, inwieweit Abweichungen beider Angaben durch die Themenbedeutung auf Individual- und Gruppenebene (FF11a) und kollektive Verarbeitungsmodi (FF11b) erklärt werden können. Um sie zu beantworten, wird als Erstes wieder ein Überblick über Ausmaß und Verteilung von Abweichungen gegeben (siehe 6.4.2.1). Danach werden (hierarchische) lineare Modelle vorgestellt, um die Abweichung beider Angaben durch die genannten Einflussfaktoren zu erklären (siehe 6.4.2.2).

6.4.2.1 Überblick

Analog zur Abweichung der Einstellungsmessung (siehe 6.4.1.1) wurde hier wieder die individuelle Messung der Themenbedeutung für die Gruppenbefragung (bei Einigkeit der Gruppenwert, bei Uneinigkeit der individuelle Wert) mit der Messung der Themenbedeutung für dasselbe Individuum in der anschließenden Einzelbefragung verglichen.

Beide Werte korrelierten stark, aber nicht vollständig miteinander (r = ,71, p < ,001). In Abbildung 6.8 ist ein Histogramm der Differenz aus beiden Werten abgebildet, wobei ein positiver Wert für eine höhere und ein negativer Wert für eine niedrigere Themenbedeutung in der Einzelbefragung steht. Im Durchschnitt gaben die Teilnehmenden in der Einzelbefragung eine um ca. ein Achtel Skalenpunkt geringere Themenbedeutung auf der siebenstufigen Skala an (M = −0,12; SD = 1,25). 44,0 Prozent veränderten ihre Angabe bei der individuellen Messung gar nicht, 37,8 Prozent um einen Skalenpunkt und 18,3 Prozent um zwei oder mehr Skalenpunkte.

Abbildung 6.8
figure 8

(Anmerkungen: n = 339 Individuen; Messung von −6 (geringere Themenbedeutung in Einzelbefragung) bis 6 (höhere Themenbedeutung in Einzelbefragung), s. o.)

Abweichung zwischen der von Individuen angegebenen Themenbedeutung in der Gruppenbefragung und in der anschließenden Einzelbefragung.

In nach Themen getrennten Auswertungen ergaben sich wieder vergleichbare Muster (siehe 4.4.4), wobei die Abweichungen beim Thema „Autofreie Stadt“ wieder größer waren (M = −0,19, SD = 1,30) als beim Thema „Regenbogenfamilien“ (M = −0,04, SD = 1,19). Auch das deutet wieder auf bereits gefestigtere Haltungen beim Thema „Regenbogenfamilien“ hin.

Insgesamt äußerten die Teilnehmenden in der Gruppenbefragung also eine beinahe ebenso große Themenbedeutung wie in der Einzelbefragung. Auch dieser Befund spricht für Auswirkungen kollektiver Informationsverarbeitungsprozesse auf Individuen (siehe 3.3.2).

6.4.2.2 Modell zur Abweichung der Messung der Themenbedeutung

Um die verbliebene Abweichung zwischen der in der Gruppen- und Einzelbefragung angegebenen Themenbedeutung zu erklären, wurden analog zum Vorgehen unter 6.4.1.2 erneut ein nicht-hierarchisches (Modell 1) und ein hierarchisches Modell (Modell 2) berechnet und miteinander verglichen.

Zu den Prädiktoren gehörten die Themenbedeutung in der Einzelbefragung auf Individualebene (Level 1) und die Themenbedeutung für die Gruppe, deren Heterogenität (jeweils am Ende der Befragung, siehe 4.2.3.3) sowie das Ausmaß systematischer und offener Verarbeitung (siehe 6.1.1.2) auf Gruppenebene (Level 2). Darüber hinaus wurde der Interaktionseffekt aus individueller Themenbedeutung und Themenbedeutung für die Gruppe mit aufgenommen. Bis auf die Auswahl an Prädiktoren entsprach das gesamte Vorgehen – inklusive der verwendeten Kontrollvariablen und Mittelwertzentrierung der Prädiktoren – dem aus 6.4.1.2.

Tabelle 6.15 zeigt die Ergebnisse des nicht-hierarchischen (Modell 1) und hierarchischen (Modell 2) linearen Modells zur Erklärung der Abweichung der Messungen der Themenbedeutung in Gruppen- und Einzelbefragung. Der Likelihood-Ratio-Test mit einem Signifikanzniveau von α = ,05 zeigte, dass Modell 2 die Abweichung beider Messungen nicht signifikant besser erklären konnte als Modell 1 (χ2 (2) < 0,001, p = ,996). Durch die Gruppenzugehörigkeit konnte praktisch kein Anteil der Gesamtvarianz erklärt werden (ICC < 0,001). Im Folgenden werden deshalb die Ergebnisse aus Modell 1 betrachtet.

Tabelle 6.15 Lineare Modelle zur Erklärung der Abweichung zwischen der in der Gruppenbefragung und in der anschließenden Einzelbefragung angegebenen Themenbedeutung

Modell 1 konnte 87,62 Prozent der Abweichung beider Messungen der Themenbedeutung erklären. Die Ergebnisse wiesen das gleiche Muster auf wie im Modell zur Erklärung der gerichteten Abweichungen beider Einstellungsmessungen (siehe 6.4.1.3). Auch hier war die hohe Erklärkraft des Modells nahezu vollständig auf zwei Prädiktoren zurückzuführen: Es gab einen positiven Einfluss der in der Einzelbefragung geäußerten Themenbedeutung und einen genauso starken negativen Einfluss der Themenbedeutung für die Gruppe. Beide können also wieder im Verhältnis zueinander interpretiert werden: Wenn individuelle Themenbedeutung und Themenbedeutung für die Gruppe übereinstimmten, ließ sich in der Regel nur eine geringe Abweichung zwischen beiden Messungen beobachten. Wenn beide voneinander abwichen, passten sich Individuen dagegen an die Gruppe an und gaben dort eine entsprechend höhere bzw. niedrigere Themenbedeutung an. Auch hier gab es keinen Interaktionseffekt zwischen beiden Variablen. Individuen passten ihre Themenbedeutung also unabhängig von der konkreten Konstellation aus individueller und kollektiver Themenbedeutung an die der Gruppe an.

Darüber hinaus ließ sich weder bei den anderen Prädiktoren noch bei den Kontrollvariablen ein Einfluss auf die Abweichungen zwischen beiden Messungen der Themenbedeutung beobachten. Der Wert des Intercepts zeigte lediglich, dass die Teilnehmenden in der nachfolgenden Einzelbefragung generell dazu neigten, eine etwas geringere Themenbedeutung anzugeben. Grund dafür könnte sein, dass das Thema ein bis drei Tage nach der Gruppenbefragung weniger präsent für sie war. Abgesehen davon konnte aber auch hier fast ausschließlich durch das Verhältnis aus kollektiver und individueller Themenbedeutung erklärt werden, ob und auf welche Weise sich die individuell geäußerte Themenbedeutung von der im Beisein der Gruppe geäußerten Themenbedeutung unterschied.

6.5 Zusammenfassung und Diskussion

In Studie II sollte die Funktionsweise kollektiver Medienrezeption – bzw. Informationsverarbeitung im Allgemeinen – genauer beleuchtet werden. Dazu beantworteten n = 182 natürliche Kleingruppen aus zwei bis vier Personen eine standardisierte Gruppenbefragung, in der sie gemeinsam einen Medienstimulus zum Thema „Autofreie Stadt“ oder „Regenbogenfamilien“ sahen und sich anschließend darüber unterhielten. Nach ein bis drei Tagen füllten die Mitglieder der Gruppen zudem eine Einzelbefragung aus (siehe 4.4 für das methodische Vorgehen). Im Folgenden werden die zentralen Ergebnisse der Studie zu Eigenschaften, Einflussfaktoren und Auswirkungen kollektiver Informationsverarbeitung diskutiert. Am Ende werden die Ergebnisse zu systematischer und offener Informationsverarbeitung in Gruppen je in einem Schaubild zusammengefasst. Da sich die Stichprobe aus Gruppen mit heterogener Merkmalsverteilung zusammensetzte, die die typischen Konstellationen gemeinsamer Mediennutzung repräsentierten, dürften die Ergebnisse auch auf natürliche Kleingruppen im Allgemeinen übertragbar sein (siehe 4.4.3 und 4.4.4).

Eigenschaften kollektiver Informationsverarbeitung

FF3 fragte, ob sich Systematik (FF3a) und Offenheit (FF3b) als Dimensionen kollektiver Informationsverarbeitung durch standardisierte Indizes operationalisieren lassen und dabei den Validitätskriterien der Indexbildung in Einzelbefragungen entsprechen (siehe 3.3.2). Auf Grundlage einer explorativen Faktorenanalyse konnten für beide Verarbeitungsdimensionen reliable Indizes aus jeweils vier Items gebildet werden (α = ,76 bzw. ,73). Beim Index für systematische (vs. automatische) kollektive Informationsverarbeitung deckten die Items den theoretischen Annahmen entsprechend eine besondere Breite, Tiefe und Motivation ab. Beim Index für offene (vs. geschlossene) kollektive Informationsverarbeitung bezogen sie sich auf Offenheit in Bezug auf Meinung, Argumente und Information. Beide Indizes korrelierten im Wesentlichen erwartungsgemäß stark bzw. schwach mit offenen Messungen der Verarbeitungsmodi und mit verwandten bzw. entfernten Konstrukten, was für deren Konstruktvalidität spricht.

In FF4 wurde gefragt, in welchem Verhältnis die beiden Verarbeitungsdimensionen Offenheit und Systematik zueinander stehen. Die beiden Indizes wiesen keinerlei Korrelation auf, was dafür spricht, dass beide Dimensionen wie im MCIP erwartet unabhängig voneinander sind. In einem Streudiagramm wurde deutlich, dass in der vorliegenden Stichprobe sowohl eine Tendenz zu systematischer als auch zu geschlossener Informationsverarbeitung vorhanden war. Die Neigung zu einem systematischeren Modus könnte durch die besondere Situation der Studienteilnahme bedingt worden sein. Die Neigung zu einem geschlossenen Modus könnte dagegen typisch für kollektive bzw. menschliche Informationsverarbeitung im Allgemeinen sein.

FF5 fragte zum einen, in welchem Zusammenhang die beiden Verarbeitungsdimensionen mit Arten der Verständigung (FF5a) auf Gruppenebene stehen. Hier zeigte sich in Einklang mit den theoretischen Annahmen, dass ein systematischer Modus vor allem mit einer gleichen Beteiligung aller Gruppenmitglieder sowie der Überzeugung durch Argumente korrelierte. Darüber hinaus deutete sich beim Thema „Regenbogenfamilien“ ein Zusammenhang mit der Orientierung an Meinungsführer:innen an. Diese könnten den Gruppen z. B. als Expert:innen bei der Bewältigung komplexer Probleme geholfen haben.

Ein offener Modus ging dagegen vor allem mit einer schwächeren Orientierung an der Mehrheit einher. Zudem zeigte sich entgegen der theoriegeleiteten Vermutung, dass offene Informationsverarbeitung in Gruppen mit einer eher ungleichen Beteiligung der Mitglieder verbunden war. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass geschlossene kollektive Informationsverarbeitung insbesondere mit einer Orientierung an der Mehrheit innerhalb der Gruppe und tendenziell auch mit einer gleichen Beteiligung aller Mitglieder korrelierte. Diese Befunde sind insofern plausibel, als beide Arten der Verständigung auf die Homogenität der Gruppe verweisen. Außerdem korrelierte Offenheit leicht mit der Orientierung an Meinungsführer:innen bzw. Expert:innen. Diese könnten in den Gruppen z. B. eine Art Moderator:innenrolle eingenommen und ihnen so verschiedene Perspektiven eröffnet haben. Schließlich deutete sich beim Thema „Regenbogenfamilien“ an, dass sich Gruppen in einem geschlossenen Modus zumindest dem Anschein nach stärker auf Argumente stützen.

Die Befunde zur Rolle der Meinungsführer:innen passen zu den qualitativen Beobachtungen aus Studie I, in der zentrale Gruppenmitglieder in der Regel eine besonders strukturierende und ausgleichende Funktion hatten (siehe 5.3). Aus theoretischer Perspektive hätten Meinungsführer:innen aber auch jeweils die gegenteilige Funktion einnehmen und in einem automatischen bzw. geschlossenen Modus eine besondere Rolle spielen können (siehe 3.2.1.1 bzw. 3.2.2.1).

Zum anderen wurde nach dem Zusammenhang zwischen den beiden Verarbeitungsdimensionen und Affekten (FF5b) gefragt. Dabei ging es um Affekte als Eigenschaft der Informationsverarbeitung, Affekte als Einflussfaktor wurden gesondert betrachtet (s. u.). Es zeigte sich, dass systematische kollektive Informationsverarbeitung mit einer leidenschaftlichen Stimmung in der Gruppe korrelierte, die zur höheren Motivation in diesem Modus passt. Beim Thema „Autofreie Stadt“ korrelierte ein systematischer Modus auch mit Humor, der z. B. zu effektiver Kommunikation in der Gruppe beigetragen haben könnte. Bei offener kollektiver Informationsverarbeitung ließ sich dagegen mitunter eine angespanntere Stimmung beobachten, die sich mit dem höheren Konfliktpotenzial unterschiedlicher, insbesondere moralischer und/oder identitätsbezogener Ansichten erklären lässt.

Bezüglich der Eigenschaften kollektiver Informationsverarbeitung zeichnet sich somit insgesamt ein konsistentes Muster ab: Wie im MCIP angenommen, ließ sich kollektive Informationsverarbeitung auch empirisch anhand der beiden grundlegenden zueinander querliegenden Verarbeitungsdimensionen 1) Systematik und 2) Offenheit fassen (siehe 3.3.1). Die Gruppen konnten den Medienstimulus also 1) mehr oder weniger aufwändig und sorgfältig und 2) mehr oder weniger ergebnisoffen verarbeiten. Die verschiedenen Verarbeitungsmodi gingen zudem mit spezifischen Arten der Verständigung und Affekten einher. Diese Zusammenhänge ließen sich meist themenübergreifend beobachten und variierten nur leicht bzw. selten zwischen den beiden unterschiedlichen Themen. Deshalb liegt nahe, dass die Befunde universelle Eigenschaften kollektiver Informationsverarbeitung in Kleingruppen abbilden.

Einflussfaktoren auf kollektive Informationsverarbeitung

In FF6 wurde gefragt, wie das Ausmaß der Systematik kollektiver Informationsverarbeitung durch verschiedene Faktoren auf Gruppenebene beeinflusst wird. Lineare Modelle zeigten, dass eine höhere Themenbedeutung für die Gruppen systematische kollektive Informationsverarbeitung begünstigte – wenn ihre Einstellungen einigermaßen in Einklang mit dem jeweiligen Stimulus standen (FF6a). Hintergrund dürfte sein, dass ein höheres Involvement die Motivation zu systematischer Verarbeitung verstärkt. Bei einem zu starken Widerspruch zwischen Einstellung und Stimulus könnte die Bereitschaft zu einer tiefergehenden Beschäftigung aber wieder reduziert werden. Außerdem deutete sich an, dass eine stärkere Homogenität der Themenbedeutung zwischen den Gruppenmitgliedern einen systematischen Modus unterstützte. Dieser Effekt war allerdings nicht besonders robust. Darüber hinaus konnte eine konservativere Einstellung der Gruppe im Vergleich zum wahrgenommenen Meinungsklima einen systematischen Verarbeitungsmodus verstärken (FF6b). Da konservativere Einstellungen bei den untersuchten Themen von wahrgenommenen oder tatsächlichen gesellschaftlichen Normen (Umweltschutz, Toleranz) abweichen, könnten sie einen besonderen Reflexions- bzw. Rechtfertigungsdruck ausgelöst haben. Die Befunde zu Themenbedeutung und Abweichung vom wahrgenommenen Meinungsklima widersprechen sich auf den ersten Blick: Im ersten Fall wurde systematische Informationsverarbeitung im Kontext einer eher positiven und im zweiten Fall im Kontext einer eher negativen Einstellung zum Thema verstärkt. Letztendlich verweisen die beiden Befunde aber auf Mechanismen, die nebeneinander existieren und beide – aus unterschiedlichen Gründen – die Motivation der Gruppen zur tiefgehenden Verarbeitung erhöhen können.

Das themenspezifische Wissen der Gruppe führte entgegen der Vermutung zu keinem systematischeren Verarbeitungsmodus (FF6c). Da in der vorliegenden Studie aber einfaches Faktenwissen gemessen wurde, bleibt offen, ob es z. B. einen Zusammenhang mit integrativeren bzw. komplexeren Wissensformen gibt. Dafür zeigte sich, dass höhere Aufmerksamkeit der Gruppen bei der Nutzung des Stimulus – und damit mehr investierte kognitive Ressourcen – systematische Informationsverarbeitung begünstigen (FF6d).

Unter den Affekten führte nur emotionale Bewegtheit der Gruppe bei der Nutzung des Stimulus zu einem systematischeren Modus (FF6e). Dieser Befund verweist auf eudaimonisch motivierte Informationsverarbeitung auf Gruppenebene. Ärger und Humor bei der Nutzung des Stimulus hatten dagegen keinen Einfluss auf das Ausmaß systematischer Verarbeitung. Bei beiden Variablen gab es in der Stichprobe allerdings auch nur wenige Gruppen mit höheren Werten.

Kontrollvariablen wie Größe, Durchschnittsalter, Frauenanteil und Bildungsstand der Gruppe sowie Rekrutierungsweg hatten keinen Einfluss auf das Ausmaß systematischer Verarbeitung. Beim Gruppentyp zeigte sich, dass Paare zu einem automatischeren Verarbeitungsmodus tendierten. Das könnte auf die ausgeprägte Vertrautheit und Routine in Paarbeziehungen zurückzuführen sein. Außerdem neigten die Gruppen beim Thema „Regenbogenfamilien“ zu weniger systematischer Verarbeitung, was durch den stärkeren Rückgriff auf Stereotype erklärbar sein könnte.

FF7 fragte, wie das Ausmaß der Offenheit kollektiver Informationsverarbeitung durch verschiedene Faktoren auf Gruppenebene beeinflusst wird. Lineare Modelle haben gezeigt, dass eine extremere Einstellung der Gruppe wie vermutet einen geschlossenen Modus begünstigte (FF7a). Extremere Einstellungen dürften schlechter mit Gegenpositionen integrierbar sein. Sie müssen vermutlich stärker verteidigt werden, um den kollektiven Selbstwert zu schützen. Außerdem neigten Gruppen mit homogeneren Einstellungen zu geschlossener, und Gruppen mit heterogeneren Einstellungen umgekehrt zu offener kollektiver Informationsverarbeitung. Hintergrund dürfte sein, dass Mitglieder mit heterogenen Einstellungen heterogenere Sichtweisen in den kollektiven Prozess einbringen. Die Themenbedeutung für die Gruppe hatte für sich genommen dagegen keinen Einfluss auf das Ausmaß offener Informationsverarbeitung (FF7b). Bei Gruppen mit extremeren Einstellungen konnte eine hohe Themenbedeutung einen geschlossenen Verarbeitungsmodus allerdings zusätzlich verstärken. Wenn eine extremere Einstellung und eine hohe Themenbedeutung zusammentreffen, dürfte ein besonderes Bedürfnis zur Verteidigung des kollektiven Selbstwertes – und damit zu geschlossener Informationsverarbeitung – bestehen. Die Abweichung vom wahrgenommenen Meinungsklima hatte dagegen keinen Effekt auf die Offenheit der kollektiven Informationsverarbeitung (FF7c). Das Phänomen dürfte also gleichermaßen bei Gruppen auftreten, die sich mit ihrer Einstellung als Mehrheit oder als Minderheit begreifen.

Darüber hinaus zeigte sich, dass mehr themenspezifisches Wissen der Gruppen geschlossene Informationsverarbeitung begünstigen konnte (FF7d). Mehr Wissen könnte Gruppen dabei helfen, ihre Position zu verteidigen.

Bei den Affekten hatten weder Ärger noch emotionale Bewegtheit einen Einfluss auf das Ausmaß offener Informationsverarbeitung (FF7e). In Einklang mit der Definition geschlossener bzw. offener Informationsverarbeitung scheint also tatsächlich die jeweilige Einstellung bzw. das jeweilige Ziel im Mittelpunkt zu stehen.

Kontrollvariablen wie Gruppentyp und -größe, Soziodemographie, Thema des Stimulus und Rekrutierungsweg wirkten sich ebenfalls nicht auf die Offenheit der kollektiven Verarbeitungsprozesse aus. Die einzige Ausnahme war, dass Gruppen mit einem höheren Durchschnittsalter zu einem geschlossenen Verarbeitungsmodus tendierten. Dieser Alterseffekt dürfte sich mit im Laufe des Lebens zunehmend gefestigten Einstellungen erklären lassen.

Insgesamt ergeben auch die Ergebnisse zu den Einflussfaktoren auf systematische bzw. offene kollektive Informationsverarbeitung ein kohärentes Bild. Die verschiedenen Verarbeitungsmodi scheinen durch viele der theoretisch angenommenen Einflussfaktoren begünstigt zu werden (siehe 3.3.1). Davon abweichende Zusammenhänge lassen sich plausibel erklären. Dass die verschiedenen Kontrollvariablen – z. B. zu Typ, Größe und Soziodemographie der Gruppen – kaum Zusammenhänge mit den Verarbeitungsmodi aufwiesen, spricht außerdem dafür, dass auch die Ergebnisse zu den Einflussfaktoren universelle Muster der Informationsverarbeitung in Kleingruppen abbilden.

Auswirkungen kollektiver Informationsverarbeitung auf Gruppenebene

FF8 fragte, wie sich das Ausmaß systematischer kollektiver Informationsverarbeitung auf verschiedene Variablen auf Gruppenebene auswirkt. Bezüglich der Einstellung wurde gezeigt (FF8a), dass ein systematischer Modus mit einer positiven Einstellungsänderung der Gruppe einhergehen konnte. Hintergrund dürfte sein, dass Gruppen eher durch die Argumente des Stimulus überzeugt wurden, wenn sie sie sorgfältig verarbeiteten. Aus vermutlich ähnlichen Gründen begünstigte systematische Verarbeitung zudem eine Steigerung der Themenbedeutung für die Gruppen (FF8b). Dagegen zeigte sich kein Zusammenhang mit dem kollektiven Verständnis des Stimulus (FF8c). Die verwendete Messung schien rückblickend aber nicht unbedingt geeignet, um tiefergehendes Verständnis zu erfassen.

In FF9 wurde nach den Auswirkungen mehr oder weniger offener kollektiver Informationsverarbeitung auf die Einstellung auf Gruppenebene gefragt. Offene Informationsverarbeitung korrelierte erwartungsgemäß mit einer ungerichteten Einstellungsänderung, also Einstellungsänderungen in beide Richtungen. In einem offenen Verarbeitungsmodus veränderte sich auch die Heterogenität der Einstellungen in der Gruppe. Die Einstellungen der Gruppenmitglieder konnten also sowohl homogener als auch heterogener werden, während sie in einem geschlossenen Modus in der Regel von Beginn an homogen waren und blieben. Diese Befunde lassen sich jeweils mit dem Wesensmerkmal offener Informationsverarbeitung – der Bereitschaft, verschiedene Ergebnisse zu akzeptieren – erklären. Geschlossene kollektive Informationsverarbeitung führte dagegen eher zu einer Polarisierung, also zu einer extremeren Einstellung der Gruppe. Grund dafür könnten soziale Identifikations-, Vergleichs- und Anpassungsprozesse in den Gruppen sein.

Die Auswirkungen kollektiver Informationsverarbeitung ließen sich teils nur bei einem der beiden untersuchten Themen beobachten. Selbst kurzfristige Veränderungen der kollektiven Einstellung oder Themenbedeutung dürften relativ voraussetzungsreich sein und in besonderem Maße vom jeweiligen Thema und der Gestaltung des Stimulus abhängen. In der vorliegenden Studie traten insbesondere Einstellungsänderungen nur beim Thema „Autofreie Stadt“ auf, das für die Gruppen vermutlich vergleichsweise neu war. Beim Thema „Regenbogenfamilien“ gab es dagegen weniger Spielraum für Veränderung, was neben vorhandenen Stereotypen auch an seiner besonderen moralischen Bedeutung gelegen haben könnte.

In der Summe wurde deutlich, dass die verschiedenen kollektiven Verarbeitungsmodi theoretisch plausible Auswirkungen auf der Gruppenebene haben können (siehe 3.3.1). Pfadmodelle haben zudem exemplarisch gezeigt, dass die vorher identifizierten Einflussfaktoren (s. o.) über systematische bzw. offene Informationsverarbeitung vermittelte Effekte auf ihre Auswirkungen hatten. Damit konnte die im MCIP angenommene Wirkungskette aus Einflussfaktoren, Eigenschaften und Auswirkungen kollektiver Informationsverarbeitung empirisch untermauert werden. Auch hier zeigten sich nur vereinzelt Einflüsse durch Kontrollvariablen, somit verweisen die identifizierten Auswirkungen auf ein generelles Potenzial von Verarbeitungsprozessen in Gruppen.

Auswirkungen kollektiver Informationsverarbeitung auf Individualebene

Schließlich fragte FF10 nach den Auswirkungen kollektiver Informationsverarbeitung auf die Einstellung auf Individualebene. Es zeigte sich, dass die Gruppenmitglieder in der nachfolgenden Einzelbefragung häufig dieselbe Einstellung angaben, die sie auch in der Gruppenbefragung angegeben hatten. Die Abweichung zwischen beiden Messungen betrug im Mittel einen halben von sieben Skalenpunkten und war nur in ca. 14 Prozent der Fälle größer als ein Skalenpunkt. (Hierarchische) lineare Modelle haben gezeigt, dass diese Abweichung allem voran dadurch erklärt werden konnte, dass sich die Mitglieder in der Gruppenbefragung an die Einstellung ihrer Gruppe anpassten, wenn beide voneinander abwichen (FF10a). Das war insbesondere dann der Fall, wenn entweder das Mitglied oder die Gruppe eine extremere Einstellung hatte und somit vermutlich eine größere Abweichung vorlag. Extremer eingestellte Individuen dürften ihre Einstellungen in moderater eingestellten Gruppen also abschwächen und moderater eingestellte Individuen sie in extremer eingestellten Gruppen verstärken. Darüber hinaus passten sich konservative Mitglieder in vergleichsweise progressiveren Gruppen etwas stärker an, was wieder auf einen höheren Rechtfertigungsdruck bei konservativen Einstellungen verweist (s. o.). Die individuelle Themenbedeutung (FF10b), die kollektiven Verarbeitungsmodi in der Gruppenbefragung (FF10c), die weitere Beschäftigung mit dem Thema zwischen beiden Messungen und diverse Kontrollvariablen hatten dagegen keinen Einfluss auf die Abweichung beider Messungen. Lediglich bei Paaren ließen sich geringere Anpassungen beobachten, was durch die besondere Nähe und Akzeptanz in einer Paarbeziehung erklärt werden könnte.

FF11 fragte analog dazu nach den Auswirkungen kollektiver Informationsverarbeitung auf die Themenbedeutung auf Individualebene. Auch hier gab es nur eine geringe Abweichung zwischen der Angabe in der Gruppen- und der Einzelbefragung. Sie betrug im Mittel ein Achtel Skalenpunkt auf einer siebenstufigen Skala und lag nur in ca. 18 Prozent der Fälle über einem Skalenpunkt. In (hierarchischen) linearen Modellen wurde deutlich, dass diese Abweichung fast ausschließlich auf eine Anpassung an die Themenbedeutung (FF11a) der Gruppe und nicht auf kollektive Verarbeitungsmodi (FF11b) oder andere Variablen zurückzuführen war.

Abschließend fragte FF12 nach Auswirkungen auf das Verständnis des Stimulus auf Individualebene. Nachdem die Verständnismessung rückblickend als unzureichend erschien (s. o.), wurden dazu keine weiteren Auswertungen vorgenommen.

Insgesamt zeigte sich somit, dass die individuellen Mitglieder in der Gruppenbefragung in der Regel dieselben oder nur leicht abweichende Angaben machten, wie in einer nachfolgenden Einzelbefragung. Vorhandene Abweichungen ließen sich primär durch Anpassungen der Mitglieder an ihre Gruppe erklären. Diese könnten zum Teil auf klassische Konformität im Gruppenkontext zurückzuführen sein, die im MCIP als Teil des kollektiven Verarbeitungsprozesses betrachtet wird (siehe 3.3.1). Sie dürften aber auch maßgeblich durch bewusste, vorübergehende Kompromisse bei den gemeinsamen Antworten zustande gekommen sein: Wie in Studie I gezeigt wurde, wählten die Gruppen insbesondere bei kleineren Abweichungen zwischen den Mitgliedern selten die Option „Wir sind uns nicht einig“. Stattdessen einigten sie sich lieber anhand verschiedener Strategien (siehe 5.3). Bei einer Einigung durch den „Mittelwert“ bzw. die Mehrheit liegt nahe, dass die Gruppenmitglieder in der Einzelbefragung wieder ihre ursprüngliche und somit von der Gruppe abweichende Antwort angaben, weil der Kompromiss dort nicht länger nötig war. Wenn die Einigung dagegen zustande kam, weil sie durch Argumente oder Meinungsführer:innen bzw. Expert:innen überzeugt wurden, dürften sie die Antwort aus der Gruppenbefragung beibehalten haben. Die Abweichungen zwischen Messungen in Gruppen- und Einzelbefragung wurden darüber hinaus kaum durch Kontrollvariablen wie eine weitere Beschäftigung mit dem Thema oder ein geringes Einverständnis mit den Antworten in der Gruppenbefragung erklärt. Somit sprechen die Ergebnisse zum einen dafür, dass Auswirkungen kollektiver Informationsverarbeitung generell auch für die beteiligten Individuen relevant sind. Zum anderen demonstrieren sie die Validität individueller Messungen im Rahmen kollektiver Gruppenbefragungen.

Abschließender Überblick

Abbildung 6.9 bzw. Abbildung 6.10 bieten einen abschließenden Überblick über die empirischen Ergebnisse aus Studie II zu Einflussfaktoren, Eigenschaften und Auswirkungen systematischer bzw. offener kollektiver Informationsverarbeitung. Themenspezifische oder weniger robuste Effekte sind in Klammern dargestellt. Unter 3.3.1 wurden in Abbildung 3.2 bzw. Abbildung 3.3 die entsprechenden theoretischen Annahmen aus dem MCIP zusammengefasst. Ein Abgleich der Schaubilder zeigt, dass die Annahmen in Studie II überwiegend empirisch untermauert werden konnten. Einige der vermuteten Effekte ließen sich aber nur eingeschränkt oder gar nicht beobachten. Im Fazit der Arbeit wird genauer auf Einschränkungen der Arbeit und Anknüpfungspunkte für zukünftige Forschung eingegangen (siehe 7.2).

Abbildung 6.9
figure 9

(Anmerkungen: + steht für einen positiven, – für einen negativen Zusammenhang; Zusätze in runden Klammern verweisen auf Interaktionseffekte oder Rahmenbedingungen; eckige Klammern kennzeichnen Zusammenhänge, die themenspezifisch und/oder weniger robust waren)

Einflussfaktoren, Eigenschaften und Auswirkungen systematischer (vs. automatischer) kollektiver Informationsverarbeitung (empirische Ergebnisse).

Abbildung 6.10
figure 10

(Anmerkungen: + steht für einen positiven, – für einen negativen Zusammenhang; Zusätze in runden Klammern verweisen auf Interaktionseffekte; eckige Klammern kennzeichnen Zusammenhänge, die themenspezifisch und/oder weniger robust waren; mit „+ /− Heterogenität d. Einst.“ ist eine Veränderung der Heterogenität der Einstellungen in der Gruppe gemeint)

Einflussfaktoren, Eigenschaften und Auswirkungen offener (vs. geschlossener) kollektiver Informationsverarbeitung (empirische Ergebnisse).