Im Folgenden wird das methodische Vorgehen zur Beantwortung der unter 3.3.2 vorgestellten Forschungsfragen beschrieben. Dazu wird als erstes ein Überblick über das verwendete Mixed-Methods-Design gegeben (siehe 4.1). Daraufhin wird das für diese Arbeit ausgearbeitete standardisierte Befragungsinstrument für Kleingruppen vorgestellt (siehe 4.2), da es die Grundlage für beide empirischen Studien bildet. Als Nächstes wird das methodische Vorgehen von Studie I dokumentiert, in der eine qualitative Beobachtung und Diskussion von bzw. mit acht natürlichen Kleingruppen durchgeführt wurde (siehe 4.3). Sie diente dem Test, der Validierung und der Weiterentwicklung des Befragungsinstrumentes für Gruppen, das den methodischen Beitrag dieser Arbeit darstellt. Abschließend wird das methodische Vorgehen von Studie II – der quantitativen Befragung von n = 182 natürlichen Kleingruppen – vorgestellt (siehe 4.4). Ihre Ergebnisse zur Funktionsweise kollektiver Medienrezeption stellen den zentralen empirischen Beitrag der vorliegenden Arbeit dar.

4.1 Überblick über das Forschungsdesign

Das verwendete Forschungsdesign hatte zwei aufeinander aufbauende Ziele: Erstens sollte untersucht werden, ob Kleingruppen eine standardisierte Befragung valide beantworten können. Zweitens sollten durch eine solche Gruppenbefragung weitere Erkenntnisse zur Funktionsweise kollektiver Medienrezeptionsprozesse gewonnen werden (siehe 3.3.2). Dabei bestand die zentrale Herausforderung darin, den gesamten Forschungsprozess systematisch auf die Besonderheiten und Komplexität kollektiver Prozesse abzustimmen (siehe 3.1). Deshalb und aufgrund der explorativen Forschungsfragen wurde ein Mixed-Methods-Design gewählt, in dem sich theoretische Fundierung, Datenerhebung, Datenanalyse, qualitative und quantitative sowie bewährte und neue Herangehensweisen gegenseitig ergänzen können (Kalch & Bilandzic, 2013). Abbildung 4.1 bietet einen Überblick über das Design. Es setzte sich aus zwei Studien zusammen, die durch denselben Gruppenfragebogen verbunden waren. Studie I beschäftigte sich mit der Validität der Gruppenbefragung (FF1–2, siehe 3.3.2). In ihr wurde eine qualitative Beobachtung von natürlichen Gruppen beim gemeinsamen Ausfüllen des Fragebogens und eine Gruppendiskussion zu seiner Gestaltung durchgeführt. Studie II untersuchte die Funktionsweise kollektiver Medienrezeption durch eine quantitative Gruppen- und Einzelbefragung (FF3–12, siehe 3.3.2).

Abbildung 4.1
figure 1

Überblick über das verwendete Mixed-Methods-Design

Basis für Studie I und II: Standardisierter Gruppenfragebogen

Als Grundlage für beide Studien wurde ein standardisierter Fragebogen zu kollektiver Medienrezeption entwickelt, der sich an Gruppen als Untersuchungseinheiten richtete und auf ihre Besonderheiten abgestimmt war (siehe 4.2 für Details zum Gruppenfragebogen). Hintergrund dieses Vorgehens ist die theoretische Betrachtung von Gruppen als eigenes informationsverarbeitendes System (siehe 3.1), wonach sie dazu in der Lage sein müssten, Fragen zur Gruppe sinnvoll zu beantworten (siehe 3.3.2).

Im Fragebogen wurde den Gruppen zunächst ein kontroverser Medienstimulus präsentiert, der sich entweder mit dem Thema „Autofreie Stadt“ oder dem Thema „Regenbogenfamilien“ beschäftigte. Anschließend wurden sie gebeten, sich über den Stimulus bzw. das Thema zu unterhalten. Hintergrund dieses Vorgehens war, dass Gruppenmitglieder während der unmittelbaren Nutzung eines Medienstimulus primär mit der Informationsaufnahme beschäftigt sind und deshalb nur eingeschränkt miteinander kommunizieren können (Baldauf, 2001). Da Gruppen für gemeinsame Informationsverarbeitung auf Kommunikation angewiesen sind (siehe 3.1.2.2), kann sich ein umfangreicherer kollektiver Verarbeitungsprozess – wie er hier untersucht werden sollte – erst nach der unmittelbaren Nutzung vollständig entfalten. Ausgehend von den Annahmen des MCIP und den daraus abgeleiteten Forschungsfragen beinhaltete der Gruppenfragebogen zudem Fragen zu den Voraussetzungen, Eigenschaften und Auswirkungen dieses gemeinsamen Rezeptionsprozesses.

Durch die Abfolge der verschiedenen Phasen der Gruppenbefragung wurden in gewissem Umfang Kausalitätsschlüsse ermöglicht: Einflussfaktoren auf den kollektiven Verarbeitungsprozess konnten vor der gemeinsamen Nutzung des Stimulus oder retrospektiv für die Phase während der gemeinsamen Nutzung des Stimulus gemessen werden. Die Eigenschaften des kollektiven Verarbeitungsprozesses konnten retrospektiv für das Gespräch nach der Nutzung des Stimulus abgefragt werden. Auch wenn gemeinsame Medienrezeption bereits während der gemeinsamen Nutzungsphase beginnt, findet sie primär im anschließenden Gespräch statt (s. o.). Die Auswirkungen des kollektiven Verarbeitungsprozesses konnten schließlich nach Nutzung und Gespräch gemessen werden.

Studie I: Qualitative Gruppenbeobachtung und -diskussion

Um den oben angesprochenen Gruppenfragebogen zu testen, zu validieren und weiterentwickeln zu können, wurde in Studie I eine qualitative Beobachtung von acht natürlichen Gruppen beim gemeinsamen Ausfüllen des Fragebogens umgesetzt. Anschließend wurde eine ergänzende Gruppendiskussion durchgeführt (siehe 4.3 für Details zu Studie I).

Die qualitative Beobachtung eignet sich besonders zur Untersuchung komplexer Gruppenprozesse, da sie diese umfassend und unmittelbar erfassen kann (z. B. Thierbach & Petschick, 2014; Zillich, 2013, S. 155–156). Eine entscheidende Besonderheit von Gruppen im Vergleich zu Individuen ist, dass sie Informationen praktisch vollständig kommunikativ verarbeiten und damit automatisch lautes Denken praktizieren (siehe 3.1.2.2). Durch die Beobachtung der Gruppen bei der Teilnahme an der Gruppenbefragung konnten auf diese Weise unmittelbar der Gegenstand der Messung (d. h. der kollektive Rezeptionsprozess), der Prozess der Messung (d. h. das gemeinsame Ausfüllen des Gruppenfragebogens) und das Ergebnis der Messung (d. h. die standardisierten Antworten im Gruppenfragebogen) erfasst werden. Auf Basis der Beobachtung des gemeinsamen Ausfüllprozesses konnte dessen Funktionsweise analysiert werden (FF1). Durch den Abgleich von Beobachtung und standardisierten Messungen des kollektiven Rezeptionsprozesses im Sinne einer Methoden-Triangulation (Flick, 2007, S. 44–45; 519–520) konnte der Gruppenfragebogen qualitativ validiert werden (FF2).

Ergänzend dazu konnten in einer anschließenden offenen Gruppendiskussion implizite Aspekte des kollektiven Ausfüllprozesses beleuchtet werden. Eine Gruppendiskussion zielt ebenfalls auf die Gruppe als Untersuchungseinheit ab und ist in der Lage, kollektive Orientierungen zu erfassen (z. B. Lüthje, 2016). In der vorliegenden Studie konnten mit ihr z. B. Hintergründe des Gruppenverhaltens oder kollektive Einschätzungen zu konkreten Aspekten des Gruppenfragebogens beleuchtet werden. Während der Erhebungsphase flossen die Ergebnisse der Beobachtungen und darauffolgenden Diskussionen mit den Gruppen kontinuierlich in den Fragebogen ein, der anschließend wieder angewendet, getestet und qualitativ validiert wurde.

Studie II: Quantitative Gruppenbefragung

Um die Funktionsweise kollektiver Medienrezeption genauer zu beleuchten, wurde in Studie II mit dem finalen Gruppenfragebogen eine standardisierte Onlinebefragung von n = 182 natürlichen Kleingruppen aus insgesamt 438 Individuen durchgeführt. Damit individuelle Angaben – z. B. zum Einverständnis mit den gemeinsamen Antworten – auch ohne Einfluss der anwesenden Gruppe erfasst werden konnten, wurde nach ein bis drei Tagen zudem eine Einzelbefragung der Gruppenmitglieder durchgeführt (siehe 4.4 für Details zu Studie II).

Besonderheiten und erste praktische Erfahrungen, die sich im Rahmen der Gruppenbefragung z. B. bei der Rekrutierung, Datenbereinigung und in der Datenstruktur ergaben, werden an entsprechender Stelle des Methoden- bzw. Ergebnisteils dokumentiert. Die so gewonnen Daten hatten eine Mehrebenenstruktur und konnten nicht nur auf Individual-, sondern auch auf Gruppenebene mit gängigen statistischen Verfahren ausgewertet werden. Mit ihnen konnten zunächst standardisierte Indizes für Systematik und Offenheit auf Gruppenebene gebildet und damit die Eigenschaften kollektiver Informationsverarbeitung beleuchtet werden (FF3–5). Auf dieser Grundlage konnten dann Auswertungen zu den Einflussfaktoren auf kollektive Verarbeitungsprozesse (FF6–7) und ihren Auswirkungen auf Gruppenebene (FF8–9) sowie ihren Auswirkungen auf Individualebene (FF10–12) vorgenommen werden.

4.2 Standardisierte Gruppenbefragung

Im Folgenden werden Grundprinzip (siehe 4.2.1), Medienstimuli (siehe 4.2.2), Messungen (siehe 4.2.3) sowie Aufbau und technische Umsetzung (4.2.4) des für diese Arbeit entwickelten Gruppenfragebogens beschrieben. Dabei wird auch auf Messungen und Aufbau der anschließenden Einzelbefragung der Gruppenmitglieder eingegangen (siehe Punkt 8 im elektronischen Zusatzmaterial für den Gruppenfragebogen und Punkt 9 für den Einzelfragebogen). Der Gruppenfragebogen bildete die Grundlage für Studie I und II. Er wird in seiner endgültigen Version vorgestellt, in die bereits die Überarbeitungen auf Basis der Gruppenbeobachtung und -diskussion aus Studie I eingeflossen sind. Im Verlauf von Studie I wurden in der Regel nur kleinere Anpassungen z. B. von Formulierungen vorgenommen, die im Folgenden nicht extra erwähnt werden (siehe 4.3.4). Zentrale Überarbeitungen der Messungen werden dagegen an der jeweiligen Stelle genannt.

4.2.1 Grundprinzip

Ausgehend von den unter 3.1 und 3.3.2 ausgeführten theoretischen Vorüberlegungen richtete sich der hier entwickelte standardisierte Gruppenfragebogen an natürliche Gruppen aus zwei bis vier Personen, die gemeinsam an einem Gerät teilnehmen konnten. Da die Gruppenbefragung auf die Messung kollektiver Prozesse abzielte, wurden gruppenspezifische Dynamiken (z. B. soziale Einflüsse) nicht als Störfaktoren, sondern als Teil des zu messenden Prozesses verstanden und miteinbezogen (siehe 3.1.3). Vor diesem Hintergrund wurden klassische, auf Individuen abzielende Messungen in folgenden Punkten abgewandelt bzw. erweitert:

  • Frage- und Antwortformulierungen wurden auf die Gruppe bezogen und im Plural formuliert, z. B.: „Die folgenden Fragen richten sich an Sie als Gruppe“ oder „Stimmen voll und ganz zu“ (siehe Abbildung 4.2).

  • Zusätzlich zu einer ausformulierten Verankerung der Extrema wurde jeder Skalenpunkt nummeriert, damit sich die Gruppenmitglieder gezielt über die verschiedenen Antwortoptionen austauschen konnten (siehe Abbildung 4.2).

  • Die Antwortoptionen wurden um die Option „Wir sind uns nicht einig“ ergänzt, um der möglichen Vielfalt von Wahrnehmungen und Einstellungen in der Gruppe gerecht zu werden (siehe Abbildung 4.2).

  • Bei Uneinigkeit wurden teils individuelle Antwortmöglichkeiten für jedes einzelne Gruppenmitglied eingeblendet. Dafür wurden Pseudonyme verwendet, die sich die Gruppenmitglieder vorher gegeben hatten. Die zusätzlichen Antwortmöglichkeiten wurden nur angezeigt, wenn die Option „Wir sind uns nicht einig“ ausgewählt war und ansonsten ausgeblendet (siehe Abbildung 4.2 vs. Abbildung 4.3). So konnte nicht nur die inhaltliche Ausprägung eines Merkmals auf Gruppenebene (d. h. ein bestimmter Einstellungswert auf der Skala), sondern bei Bedarf auch die Zusammensetzung in der Gruppe (d. h. der Grad der Homogenität bzw. Heterogenität der Einstellungen) erfasst werden. Diese Möglichkeit wurde nur bei ausgewählten Messungen eingesetzt, da sie relativ komplex umzusetzen und auch für die Teilnehmenden mit erhöhtem Zeitaufwand verbunden war. Auf diese Weise konnten Positionen gemessen werden, die einzelne Mitglieder im Kontext der Gruppe äußerten. Individuelle Messungen ohne mögliche soziale Einflüsse durch die Gruppe konnten darüber hinaus in der anschließenden Einzelbefragung vorgenommen werden.

  • Das Einverständnis der Gruppenmitglieder mit den gemeinsamen Antworten wurde anhand zusätzlicher Kontrollfragen geprüft. In der Gruppenbefragung konnten die Gruppen auf diese Weise daran erinnert werden, tatsächlich gemeinsam zu antworten (siehe z. B. die offene Messung der Systematik kollektiver Informationsverarbeitung unter 4.2.3.1). Vor allem aber konnten die Mitglieder in der Einzelbefragung ohne Einflüsse der Gruppe rückmelden, wie sehr sie tatsächlich mit den individuellen Antworten einverstanden waren (siehe die Messung des Einverständnisses unter 4.2.3.4).

Abbildung 4.2
figure 2

Antwortoptionen bei Einigkeit der Gruppe

Abbildung 4.3
figure 3

Antwortoptionen bei Uneinigkeit der Gruppe

4.2.2 Medienstimuli

Um nicht nur themenspezifische, sondern möglichst universelle Mechanismen kollektiver Informationsverarbeitung beobachten zu können, wurden zwei Versionen des Gruppenfragebogens mit Medienstimuli zu unterschiedlichen Themen verwendet. Auf Basis eines Pretests (s. u.) wurden dafür zwei ca. fünfminütige Videoclips aus der ARD-Sendung „W wie Wissen“ zu den Themen „Autofreie Stadt“ und „Regenbogenfamilien“ ausgewählt. Die Beiträge wurden auch online in der ARD-Mediathek und auf YouTube veröffentlicht und repräsentierten damit typische Inhalte kollektiver Medienrezeption: Gespräche über Medien beziehen sich meist auf TV- oder Online-Inhalte (2015–2017 zu ca. je einem Drittel; Gehrau, 2019) und auf politische Themen (2015–2017 ebenfalls zu ca. einem Drittel; Gehrau, 2019).

Für den Pretest wurden vier Clips zu den Themen „Impfpflicht für Kinder“Footnote 1, „Regulierung von Heilpraktiker:innen“Footnote 2, „Autofreie Stadt“Footnote 3 und „Regenbogenfamilien“Footnote 4 ausgewählt. Dabei handelte es sich jeweils um kontroverse Themen, die zum Erhebungszeitpunkt (vor der COVID-19-Pandemie) in dieser spezifischen Ausprägung aber nicht im Zentrum des öffentlichen Diskurses standen. Auf diese Weise sollte gewährleistet werden, dass ein Großteil der Teilnehmenden noch Gesprächsbedarf und keine bereits vollkommen festgelegte Meinung hatte. Die Clips waren vergleichbar gestaltet und erschienen darüber hinaus geeignet, mehr oder weniger ausgeprägte systematische und offene Informationsverarbeitung anzuregen: Sie begründeten und favorisierten eine positive Position zum jeweiligen Thema, die in der Auswertung in ein Verhältnis zu den Voreinstellungen der Teilnehmenden gesetzt werden konnte. Zudem beleuchteten sie das jeweilige Thema aus unterschiedlichen Perspektiven: Sie bezogen zum einen Hintergrundinformationen wie Statements von Expert:innen und Ergebnisse wissenschaftlicher Studien und zum anderen lebendige Fallbeispiele und O-Töne mit ein.

Pretest

Um daraus die beiden Stimuli auszuwählen, die zusammen ein möglichst breites Spektrum kollektiver Informationsverarbeitung ermöglichen, wurde ein Pretest durchgeführt. Dafür wurde von Juni bis Juli 2019 eine Online-Einzelbefragung mit 201 Teilnehmenden durchgeführt, denen zufällig einer der Stimuli gezeigt wurde. Zudem wurden ihre Einstellungen vorher und nachher, Themenbedeutung, Wissen (siehe 4.2.3 für die analoge Gestaltung der Messungen im späteren Gruppenfragebogen) sowie Bewertungen der Videos gemessen. Die Stichprobe war gleichmäßig nach Alter und Geschlecht quotiert und hatte relativ gemischte BildungsabschlüsseFootnote 5. Tabelle 23 und Tabelle 24 unter Punkt 10 im elektronischen Zusatzmaterial geben einen Überblick über die zentralen Ergebnisse des Pretests. Auf ihrer Grundlage wurde das Thema „Autofreie Stadt“ ausgewählt, weil die Voreinstellungen dazu relativ gleichmäßig in der Stichprobe verteilt waren, die Themenbedeutung einen relativ hohen Mittelwert mit hoher Varianz aufwies und das Video tendenziell zu einer Einstellungsänderung führte. Das Thema „Regenbogenfamilien“ wurde ausgewählt, weil die Voreinstellungen eine relativ hohe Varianz aufwiesen und sich durch das Video relativ stark sowie mit großer Varianz veränderten. Außerdem war der Stimulus aus Sicht der Teilnehmenden besonders emotional bewegend und brachte neue Aspekte auf. All diese Faktoren dürften je nach Eigenschaften der rezipierenden Gruppen unterschiedliche kollektive Verarbeitungsmodi begünstigen (siehe 3.2).

Stimulus 1: Autofreie Stadt (5 Minuten, „W wie Wissen“)

Der Beitrag stellte das Konzept der autofreien Stadt vor. Er ging auf die konkrete Umsetzung ein und zeigte den damit verbundenen Gewinn an Lebensqualität auf. Im Beitrag wurde erstens eine Familie vorgestellt, die in Köln im größten autofreien Quartier Deutschlands lebt. Zweitens kam ein Verkehrsexperte zu Wort, der sich für den sofortigen Beginn einer Verkehrswende in Städten aussprach. Dafür plädierte er für einen Maßnahmenmix, räumte aber ein, dass dieser nur in kleinen Schritten und mit hohen Kosten umgesetzt werden könnte. Drittens berichtete ein alteingesessener Bewohner eines autofreien Viertels in Tübingen, wie das dort geltende Parkverbot zunehmend aufgeweicht worden sei.

Stimulus 2: Regenbogenfamilien (5 Minuten, „W wie Wissen“)

Der Beitrag beschäftigte sich mit dem Aufwachsen von Kindern in Regenbogenfamilien. Er zeigte, dass Kinder dort genauso gut aufwachsen können wie in klassischen Familien, da die Qualität der Beziehung zu ihren Eltern entscheidend ist. Dazu wurde erstens eine Familie mit zwei Müttern vorgestellt, deren beide Kinder über Samenspenden entstanden sind. Zweitens kam eine Familie mit zwei Vätern zu Wort, die einen kleinen Pflegesohn hatten und ihm bestmögliche Bedingungen für seine Entwicklung bieten wollten. Drittens wurden auf Basis von Ergebnissen wissenschaftlicher Studien verschiedene Vorurteile gegenüber Kindern aus Regenbogenfamilien entkräftet, die sich empirisch genauso gut entwickeln wie Kinder aus klassischen Familien.

4.2.3 Messungen

Im Folgenden werden die einzelnen Messungen aus der Gruppenbefragung und der nachfolgenden Einzelbefragung vorgestellt. Dazu wird auf Messungen zu den Eigenschaften (siehe 4.2.3.1), Einflussfaktoren (siehe 4.2.3.2) und Auswirkungen (siehe 4.2.3.3) kollektiver Medienrezeption sowie Messungen weiterer Variablen zur Deskription und Kontrolle eingegangen (siehe 4.2.3.4). Die Messungen auf Gruppenebene wurden ausgehend von bewährten Messungen auf Individualebene entwickelt und an Gruppen als Untersuchungseinheiten angepasst (siehe 4.2.1). Bei der Vorstellung der einzelnen Messungen werden bereits die entsprechenden Mittelwerte und Standardabweichung aus Studie II berichtet. In Studie II wurden anhand der vorgestellten Gruppen- und nachfolgenden Einzelbefragung n = 182 natürliche Kleingruppen aus insgesamt 438 Individuen befragt (siehe 4.4). Die Werte themenspezifisch formulierter Messungen werden in der Regel getrennt ausgewiesen und die Werte allgemein formulierter Messungen themenübergreifend zusammengefasst. Im elektronischen Zusatzmaterial ist jeweils der vollständige Gruppenfragebogen (Punkt 8) und Einzelfragebogen (Punkt 9) dokumentiert.

4.2.3.1 Eigenschaften

Zunächst werden die Messungen der Eigenschaften kollektiver Medienrezeption dokumentiert. Sie alle bezogen sich auf das Gespräch nach der gemeinsamen Nutzung des Stimulus (siehe 4.1). Ausgehend vom MCIP und den daraus abgeleiteten Forschungsfragen stand dabei die Messung der Verarbeitungsdimensionen Systematik und Offenheit auf Gruppenebene im Zentrum (siehe 3.3). Analog zur Messung auf Individualebene sind dafür drei Möglichkeiten denkbar: Erstens können Selbsteinschätzungen anhand entsprechender Items verwendet werden. Zweitens können Thought-Listing-Techniken angewendet und daraus entsprechende Indizes berechnet werden. Und drittens können durch experimentelle Variationen gezielt verschiedene Modi ausgelöst und damit assoziierte Variablen gemessen werden (Shen & Seung, 2018, S. 80). Für diese erste Untersuchung wurden die ersten beiden Möglichkeiten – also eine standardisierte Messung über Selbsteinschätzung und eine offene Messung über Thought Listing – kombiniert. Auf diese Weise konnten beide Varianten zur Validierung miteinander abgeglichen werden. Eine experimentelle Variation schien in diesem frühen, explorativen Stadium schwierig umsetzbar, da bisher wenig spezifisches Vorwissen zu den kollektiven Verarbeitungsmodi vorliegt.

Neben den standardisierten und offenen Messungen der Systematik und Offenheit kollektiver Informationsverarbeitung werden im Folgenden auch die Messungen der damit verbundenen Arten der Verständigung und Affekte vorgestellt.

Systematik der Informationsverarbeitung – standardisierte Messung (Gruppenbefragung)

Um das Ausmaß systematischer (vs. automatischer) kollektiver Informationsverarbeitung standardisiert zu erheben, sollten die Gruppen ihr Gespräch nach der Nutzung des Videostimulus anhand von vier Items einordnen (siehe S. 13 des Gruppenfragebogens unter Punkt 8 im elektronischen Zusatzmaterial). Dafür wurde eine siebenstufige Skala verwendet (1 = „Stimmen überhaupt nicht zu“ bis 7 = „Stimmen voll und ganz zu“; Residualoption: „Wir sind uns nicht einig“). Die Einschätzungen des Gruppenprozesses wurden nur ausgewertet, wenn sich die gesamte Gruppe darüber einig war. Uneinigkeit wurde als fehlender Wert codiert und es wurden keine zusätzlichen Antworten der einzelnen Gruppenmitglieder erhoben, da eine konsistente Einordnung des Gruppenprozesses entscheidend für eine valide Messung war.

Die Items wurden auf Grundlage der theoretischen Überlegungen des MCIP zur Verarbeitungsdimension Systematik und erster qualitativer Daten zu kollektiver Medienrezeption (Schindler & Bartsch, 2019) entwickelt. Als Orientierung für die Formulierungen dienten zudem Items zur Messung systematischer Informationsverarbeitung bzw. verwandter Konstrukte auf Individualebene (Cacioppo et al., 1986, zu cognitive effort; Reynolds, 1997, zu message elaboration; Schemer et al., 2008, zu systematischer Informationsverarbeitung). Bei der Formulierung der Items wurde darauf geachtet, den gruppenspezifischen – und damit kommunikativen – Aspekt mit abzubilden. Darüber hinaus wurde in Studie I besonderes Augenmerk auf die qualitative Weiterentwicklung der Items gelegt, die zusätzlich zur Beobachtung der Gruppen beim Ausfüllprozess in einer anschließenden Gruppendiskussion besprochen wurden. Dieses Vorgehen orientiert sich an den Empfehlungen zur klassischen Skalenentwicklung für Individuen, wonach sich bei der Formulierung von Items die Arbeit mit Fokusgruppen und Think-Aloud-Techniken bewährt hat (S. Carpenter, 2018; Mallinckrodt et al., 2016).

Die Items zielten in Einklang mit den theoretischen Vorüberlegungen (siehe 3.2.1.1) auf die Breite (1.) und Tiefe (2.), sowie die Motivation (3.) bei der gemeinsamen Verarbeitung ab. Außerdem wurde ein invertiertes und alle drei Aspekte abdeckendes Item formuliert (4.). Die endgültigen Items werden im Folgenden aufgelistet. In den Auswertungen zu FF3 wird dann näher auf die Entwicklung eines Index zur Messung systematischer kollektiver Informationsverarbeitung eingegangen (siehe 6.1.1):

  1. 1.

    Wir haben ausführlich diskutiert (M = 5,10; SD = 1,48; uneinig: 2,2 %).

  2. 2.

    Über einige Aspekte haben wir uns besonders gründlich ausgetauscht (M = 4,90; SD = 1,51; uneinig: 1,1 %).

  3. 3.

    Es gab bestimmte Punkte, die uns im Gespräch besonders wichtig waren (M = 5,21; SD = 1,52; uneinig: 1,6 %).

  4. 4.

    Wir hatten wenig Gesprächsbedarf (invertiert: M = 4,79; SD = 1,81; uneinig: 2,2 %).

Offenheit der Informationsverarbeitung – standardisierte Messung (Gruppenbefragung)

Die Messung des Ausmaßes offener (vs. geschlossener) kollektiver Informationsverarbeitung wurde analog zu systematischer Informationsverarbeitung entwickelt und anhand derselben siebenstufigen Skala in einem Itemblock vorgenommen (siehe S. 13–14 des Gruppenfragebogens unter Punkt 8 im elektronischen Zusatzmaterial).

Für diese Verarbeitungsdimension lagen keine etablierten Items auf Individualebene vor, die als Orientierung hätten dienen können (s. o.). Ausgehend von den theoretischen Vorüberlegungen (siehe 3.2.2.1) wurden deshalb explorativ jeweils zwei gegensätzliche Items zu geschlossener Informationsverarbeitung in Bezug auf Meinung (5. und 6.), Argumente (7. und 8.) und Information (9. und 10.) in Gruppen formuliert. Diese wurden noch um ein Item zur Entwicklung neuer Ideen als Indikator für einen systematischen offenen Prozess ergänzt (11.). Auch für offene kollektive Informationsverarbeitung wurde auf Basis der vorgestellten Items in den Auswertungen zu FF3 ein Index entwickelt (siehe 6.1.1):

  1. 5.

    Im Gespräch waren wir fast immer einer Meinung (invertiert: M = 2,49; SD = 1,45; uneinig: 1,1 %).

  2. 6.

    Wir waren immer wieder unterschiedlicher Meinung und haben darüber diskutiert (M = 2,54; SD = 1,53; uneinig: 0,5 %).

  3. 7.

    Wir haben hauptsächlich über Punkte gesprochen, die uns in unserer Meinung bestätigen (invertiert: M = 3,12; SD = 1,59; uneinig: 1,1 %).

  4. 8.

    Wir haben sowohl Argumente für die eine als auch für die andere Seite ausgetauscht (M = 4,67; SD = 1,91; uneinig: 0 %).

  5. 9.

    Das Meiste, worüber wir uns unterhalten haben, wusste jeder von uns schon vorher (invertiert: M = 3,09; SD = 1,68; uneinig: 3,8 %).

  6. 10.

    Durch das Gespräch haben wir viel Neues gelernt (M = 3,36; SD = 1,68; uneinig: 1,1 %).

  7. 11.

    Im Gespräch haben wir gemeinsam neue Ideen entwickelt (M = 3,29; SD = 1,74; uneinig: 1,1 %).

Systematik der Informationsverarbeitung – offene Messung (Gruppenbefragung)

Zusätzlich zur standardisierten Messung via Items wurde die Verarbeitungsdimension Systematik offen über eine Thought-Listing-Technik erhoben (siehe S. 11–12 des Gruppenfragebogens unter Punkt 8 im elektronischen Zusatzmaterial). Als Orientierung dafür dienten Thought-Listing-Techniken zur Messung der Eigenschaften individueller Informationsverarbeitung (z. B. Cacioppo & Petty, 1981; Das & Fennis, 2008; Shen & Seung, 2018). In einem ersten Schritt wurden die Gruppen unmittelbar nach ihrem Gespräch über den Stimulus gebeten, jeden Punkt aus dem Gespräch in einem eigenen Textfenster aufzulisten. Dabei wurde explizit auch nach Punkten gefragt, die nichts mit dem Stimulus zu tun hatten. Der Weiter-Knopf wurde für zwei Minuten ausgeblendet, damit die Messung nicht vorschnell übersprungen werden konnte.

In einem zweiten Schritt sollten die Gruppen für jeden der aufgelisteten Punkte angeben, welche Position dieser zur autofreien Stadt bzw. zu Regenbogenfamilien implizierte. Als Antworten standen „Eher dagegen“, „Teils/teils“, „Eher dafür“, „Nicht relevant“ und „Nicht einig“ zur Auswahl. Auch hier wurde bei Uneinigkeit auf eine zusätzliche Messung der individuellen Einordnungen verzichtet, da die gemeinsame Wahrnehmung der Gruppe im Zentrum stand. Deshalb wurde die Messung um die Kontrollfrage ergänzt, ob alle Mitglieder mit den aufgelisteten Punkten und ihrer Einordnung einverstanden waren (Antwortoptionen: „ja“ oder „nein“). Wenn die Kontrollfrage mit „nein“ beantwortet wurde, wurden die Antworten nicht ausgewertet (in 0,5 % der Fälle). Dass die Gruppen selbst – und nicht Codierer:innen – die Punkte einordneten, hatte den Vorteil, dass die Punkte nicht falsch interpretiert werden konnten (Cacioppo & Petty, 1981, S. 325). Darüber konnte die Messung für die Datenbereinigung in Studie II verwendet werden (siehe 4.4.2).

Als Indikator für systematische Verarbeitung wurde daraufhin – wie in der Literatur zu individueller Informationsverarbeitung (z. B. Cacioppo & Petty, 1981; Das & Fennis, 2008; Shen & Seung, 2018) – die absolute Anzahl an für das Thema relevanten Gesprächspunkten berechnet (M = 3,84; SD = 2,10). Außerdem wurde der Anteil themenrelevanter Punkte an allen Gesprächspunkten berechnet (M = 0,86; SD = 0,25).

Offenheit der Informationsverarbeitung – offene Messung (Gruppenbefragung)

Die Offenheit des kollektiven Verarbeitungsprozesses wurde analog zu seiner Systematik ebenfalls über die oben beschriebene Thought-Listing-Technik erhoben (siehe S. 11–12 des Gruppenfragebogens unter Punkt 8 im elektronischen Zusatzmaterial).

Ausgehend von der Definition offener bzw. geschlossener Informationsverarbeitung (siehe 3.2.2.1) wurde als Indikator der Betrag des Verhältnisses von Pro- und Contra-Punkten zum jeweiligen Thema berechnet. Der Wert steht dafür, wie ausgeglichen bzw. offen (0) oder einseitig bzw. geschlossen (1) die Gesprächspunkte aus einer quantitativen Perspektive waren (M = 0,78; SD = 0,35).

Arten der Verständigung (Gruppenbefragung)

Die verschiedenen Arten der Verständigung im kollektiven Verarbeitungsprozess wurden standardisiert zusammen mit Systematik und Offenheit anhand derselben siebenstufigen Skala gemessen (siehe S. 14 des Gruppenfragebogens unter Punkt 8 im elektronischen Zusatzmaterial). Uneinigkeit wurde wieder als fehlender Wert codiert (s. o.).

Die Items deckten in Einklang mit den theoretischen Vorüberlegungen (siehe 3.2.1.1 und 3.2.2.1) ab, inwieweit die Gruppenmitglieder auf Basis gleicher Beteiligung (12.), von Meinungsführer:innen (inklusive Expert:innen; 13.), personenunabhängig von Argumenten (14.) und/oder der Mehrheit (15.) entschieden. Das Item zur Mehrheit wurde nur bei Gruppen ab drei Personen verwendet:

  1. 12.

    Jeder von uns hat sich gleich stark ins Gespräch mit eingebracht (M = 5,39; SD = 1,53; uneinig: 2,2 %).

  2. 13.

    Im Gespräch haben wir uns an einer Person orientiert, die sich gut mit dem Thema auskennt (M = 2,56; SD = 1,63; uneinig: 3,3 %).

  3. 14.

    Im Gespräch wurden gute Argumente aufgebracht, die uns überzeugt haben (M = 4,41; SD = 1,66; uneinig: 4,4 %).

  4. 15.

    Im Gespräch haben wir uns an der Position orientiert, die die meisten von uns hatten (ab drei Personen; M = 5,05; SD = 1,57; uneinig: 2,2 %).

Affekte (Gruppenbefragung)

Affekte als Eigenschaft des kollektiven Verarbeitungsprozesses wurden ebenfalls standardisiert in einem Itemblock zusammen mit Systematik, Offenheit und Arten der Verständigung und anhand derselben siebenstufigen Skala erhoben (siehe S. 14 des Gruppenfragebogens unter Punkt 8 im elektronischen Zusatzmaterial). Auch hier wurde Uneinigkeit als fehlender Wert betrachtet.

Auf Grundlage der theoretischen Vorüberlegungen (siehe 3.2.1.1 und 3.2.2.1) wurde gemessen, wie stark der gemeinsame Verarbeitungsprozess durch Humor (16.), Leidenschaft (17.) und eine angespannte Stimmung (18.) geprägt war.

  1. 16.

    Wir haben das Gespräch mit viel Humor aufgelockert (M = 4,13; SD = 1,84; uneinig: 0 %).

  2. 17.

    Unsere Diskussion war leidenschaftlich (M = 3,84; SD = 1,60; uneinig: 1,6 %).

  3. 18.

    Die Stimmung im Gespräch war teilweise wegen Meinungsverschiedenheiten angespannt (M = 1,78; SD = 1,29; uneinig: 1,1 %).

4.2.3.2 Einflussfaktoren

Als Nächstes werden die Messungen der möglichen Einflussfaktoren auf kollektive Informationsverarbeitung vorgestellt. Unter 4.1 wurde erläutert, warum aufgrund der verschiedenen Phasen der Gruppenbefragung von einer bestimmten Kausalitätsrichtung ausgegangen werden konnte. Die Messungen zu den Einflussfaktoren bezogen sich dementsprechend alle auf die Phase vor oder während der Nutzung des Stimulus. In Einklang mit den Annahmen des MCIP und den daraus abgeleiteten Forschungsfragen (siehe 3.3) wurden verschiedene Motivationen, kognitive Ressourcen und Affekte auf Gruppenebene gemessen.

Einstellung: Ausprägung, Extremität und Heterogenität (Gruppenbefragung)

Als Grundlage der einstellungsbezogenen Messungen wurde die Ausprägung der Einstellung der Gruppen vor der Rezeption des Stimulus gemessen (siehe S. 5 des Gruppenfragebogens unter Punkt 8 im elektronischen Zusatzmaterial). Dafür wurden die Gruppen auf einer siebenstufigen Skala nach ihrer Zustimmung zu je zwei themenspezifischen Items gefragt (−3 = „Stimmen überhaupt nicht zu“ bis 3 = „Stimmen voll und ganz zu“; Residualoptionen: „keine Meinung“, „Wir sind uns nicht einig“). Bei Uneinigkeit wurden die individuellen Einstellungen der Gruppenmitglieder gemessen. Die unterschiedlichen Angaben der einzelnen Mitglieder wurden dann zu einem Mittelwert auf Gruppenebene zusammengefasst, der die kollektive Position der Gruppe repräsentierte. Dies erschien legitim, da die Heterogenität der Einstellungen in der Gruppe in einer eigenen Variable erfasst wurde (s. u.). Die Items wurden auf Grundlage des Pretests der Medienstimuli ausgewählt, in dem verschiedene Items mit Blick auf Mittelwert, Streuung und Veränderung durch den Stimulus getestet wurden (siehe 4.2.2).

Die verwendeten Items zum Thema „Autofreie Stadt“ lauteten:

  1. 1.

    Städte sollten autofrei sein (M = −0,55; SD = 1,89; uneinig: 9,5 %; keine Meinung: 1,0 %)

  2. 2.

    Städte können auch ohne Autos gut funktionieren. (M = 0,18; SD = 1,94; uneinig: 11,4 %; keine Meinung: 1,0 %)

Für das Thema „Regenbogenfamilien“ wurden folgende Items verwendet:

  1. 1.

    Gleichgeschlechtliche Paare sollten Kinder haben dürfen. (M = 1,78; SD = 1,73; uneinig: 10,4 %; keine Meinung: 1,3 %)

  2. 2.

    Gleichgeschlechtliche Eltern können Kindern alles geben, was sie brauchen. (M = 1,55; SD = 1,80; uneinig: 11,7 %; keine Meinung: 2,6 %)

Die beiden Items korrelierten jeweils stark miteinander (Autofreie Stadt: r = ,84, p <,001; Regenbogenfamilien: r = ,82, p <,001) und wurden für weitere Analysen jeweils zu einem Mittelwertindex verrechnet (Autofreie Stadt: M = −0,18; SD = 1,83; Regenbogenfamilien: M = 1,66; SD = 1,69).

Als Indikator für die Extremität der Einstellungen in der Gruppe wurde der Betrag der Einstellung berechnet (Autofreie Stadt: M = 1,55; SD = 0,99; Regenbogenfamilien: M = 2,14; SD = 1,01). Schließlich wurde die Heterogenität der Einstellungen in der Gruppe anhand der durchschnittlichen Standardabweichung der jeweiligen Items pro Gruppe abgebildet (Autofreie Stadt: M = 0,16; SD = 0,45; Regenbogenfamilien: M = 0,15; SD = 0,43).

Themenbedeutung: Ausprägung und Heterogenität (Gruppenbefragung)

Die Ausprägung der Themenbedeutung für die Gruppe wurde in Anlehnung an das Konstrukt der persönlichen Themenbedeutung gemessen (siehe S. 7 des Gruppenfragebogens unter Punkt 8 im elektronischen Zusatzmaterial). Dabei handelt es sich um eine Dimension des Konstruktes der Themenrelevanz, zu dem zusätzlich die wahrgenommene Bedeutung für andere und für interpersonale Kommunikation gehören (Rössler, 2011, S. 250–254). Die Gruppen konnten dazu auf einer siebenstufigen Skala angeben, wie wichtig ihnen ihre „Position zum Thema ‚Autofreie Stadt‘/‘Regenbogenfamilien‘“Footnote 6 war (1 = „Überhaupt nicht wichtig“ bis 7 = „Sehr wichtig“; Residualoption: „Wir sind uns nicht einig“). Bei Auswahl der Option „uneinig“ konnten die Gruppenmitglieder einzeln antworten. Wie bei der Einstellungsmessung wurde auch bei der Messung der Themenbedeutung ein Mittelwert auf Gruppenebene gebildet, wenn die Mitglieder unterschiedlich geantwortet hatten (s. o.). Die konkrete Formulierung der Frage wurde im Verlauf von Studie I optimiert, da die Teilnehmenden die Frage nach der Wichtigkeit „des Themas“ an sich tendenziell in Abhängigkeit von ihrer Einstellung beantworteten, d. h. bei einer positiven Einstellung zur autofreien Stadt oder zu Regenbogenfamilien eine hohe Bedeutung und bei einer negativen Einstellung eine niedrige Bedeutung angaben, selbst wenn das Thema ihnen wichtig war. Aus diesem Grund wurde die Frage zudem um eine entsprechende Erläuterung mit zwei kurzen Beispielen ergänzt (Autofreie Stadt: M = 4,55; SD = 1,67; uneinig: 21,0 %; Regenbogenfamilien: M = 5,15; SD = 1,58; uneinig: 20,8 %).

Für die Heterogenität der Themenbedeutung in der Gruppe wurde wieder die Standardabweichung pro Gruppe berechnet (Autofreie Stadt: M = 0,32; SD = 0,69; Regenbogenfamilien: M = 0,27; SD = 0,69).

Abweichung vom wahrgenommenen Meinungsklima (Gruppenbefragung)

Das wahrgenommene Meinungsklima der Gruppe wurde anhand der gleichen Items wie die Einstellung der Gruppe gemessen (siehe S. 6 des Gruppenfragebogens unter Punkt 8 im elektronischen Zusatzmaterial). Dazu konnten die Gruppen auf einer siebenstufigen Skala angeben, wie sehr „die meisten Leute in Deutschland“ nach ihrem Eindruck den entsprechenden Aussagen zustimmten (−3 = „Überhaupt nicht“ bis 3 „Voll und ganz“; Residualoptionen: „Wissen wir nicht“, „Wir sind uns nicht einig“ ohne Optionen zu Einzelantworten). Die Frageformulierung war an die bei Rössler (2011, S. 250–254) dokumentierten Messung der wahrgenommenen Themenbedeutung für andere angelehnt. Analog zur Einstellungsmessung wurde auch hier wieder ein Mittelwertindex aus beiden Items gebildet (Autofreie Stadt: M = −0,60; SD = 1,15; uneinig: 4,8 %; wissen wir nicht: 7,6 %; Regenbogenfamilien: M = 0,56; SD = 1,35; uneinig: 15,6 %; wissen wir nicht: 18,2 %). Für die Messung der Abweichung der Gruppenmeinung vom wahrgenommenen Meinungsklima wurde erstere von letzterem abgezogen. Ein negativer Wert bedeutete somit, dass eine Gruppe sich im Vergleich zur Gesellschaft in einer stärkeren Contra-Haltung zum jeweiligen Thema wahrnahm, ein positiver Wert, dass sie sich in einer stärkeren Pro-Haltung wahrnahm (Autofreie Stadt: M = 0,38; SD = 2,14; Regenbogenfamilien: M = 1,01; SD = 1,97). Um unabhängig von ihrer Richtung das reine Ausmaß dieser Abweichung abzubilden, wurde zudem der Betrag dieses Wertes gebildet (Autofreie Stadt: M = 1,77; SD = 1,24; Regenbogenfamilien: M = 1,78; SD = 1,30).

Wissen (Gruppenbefragung)

Das kollektive Wissen der Gruppen wurde durch jeweils vier Single-Choice-Fragen pro Thema gemessen (siehe S. 8 des Gruppenfragebogens unter Punkt 8 im elektronischen Zusatzmaterial). Pro Frage gab es je eine richtige Antwort und drei Distraktoren. Alternativ konnten die Gruppen auf die Antwortoptionen „Wir sind uns nicht einig“ oder „Wir wissen es nicht“ ausweichen oder die Frage unbeantwortet lassen. Um zu vermeiden, dass die Gruppen die Antworten nebenbei recherchieren konnten, wurde die Antwortzeit auf 30 Sekunden je Frage beschränkt. Die Zeitbeschränkung wurde vor Beginn des Wissenstests angekündigt und die verbleibende Zeit bei jeder Frage eingeblendet. Nach Ablauf der Zeit wurde automatisch die nächste Fragebogenseite geöffnet. Die Operationalisierung war damit – aufgrund der begrenzten Kapazitäten im Fragebogen allerdings in deutlich abgespeckter Form – an bewährte Vorgehensweisen bei der Messung von Wissen bei Individuen angelehnt (Müller, 2019, S. 83–85, 167).

Die Fragen wurden auf Grundlage von Medienberichterstattung über die beiden Themenfelder „Autofreie Stadt“ und „Regenbogenfamilien“ formuliert und aus fünf im Pretest verwendeten Wissensfragen ausgewählt (siehe 4.2.2 für das Vorgehen beim Pretest) ausgewählt.

Die Fragen zum Thema „Autofreie Stadt“ waren:

  1. 1.

    Was ist mit dem Begriff „Verkehrswende“ gemeint?

    (Richtig: Eine grundlegende Umstellung auf umweltschonenden Verkehr; 81,9 %)

  2. 2.

    Welches Verkehrsmittel braucht pro Person und pro km am meisten Energie?

    (Richtig: Auto; 77,1 %)

  3. 3.

    Welcher gehört nicht zu den Vorschlägen für umweltschonenden Verkehr?

    (Richtig: Die Verlagerung des gesamten Straßenverkehrs in Tunnel; 79,0 %)

  4. 4.

    Wer ist der aktuelle Bundesverkehrsminister?

    (Richtig: Andreas Scheuer (CSU); 72,4 %)

Die Fragen zum Thema „Regenbogenfamilien“ lauteten:

  1. 1.

    Welche Möglichkeit haben gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland nicht, um Eltern zu werden?

    (Richtig: Die Beauftragung einer Leihmutter; 58,4 %)

  2. 2.

    Seit wann können Schwule und Lesben in Deutschland heiraten („Ehe für alle“)?

    (Richtig: Seit 2017; 46,8 %)

  3. 3.

    Welches der folgenden Rechte haben gleichgeschlechtliche Paare durch die „Ehe für alle“ in Deutschland neu bekommen?

    (Richtig: Sie können als Ehepaar gemeinsam Kinder adoptieren; 46,8 %)

  4. 4.

    Welche Partei steht der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare besonders kritisch gegenüber?

    (Richtig: CSU; 74,0 %)

Aus den richtigen Antworten wurde jeweils ein Summenindex gebildet (Autofreie Stadt: M = 3,10; SD = 0,94; Regenbogenfamilien: M = 2,26; SD = 1,15). Da die Wissenstests für die unterschiedlichen Themen offenbar unterschiedlich schwierig waren, wurden die Werte für die weiteren Auswertungen jeweils z-transformiert. Der Mittelwert lag damit für beide Themen bei nahe 0 und die Standardabweichung bei 1. Durch die Standardisierung konnte themenübergreifend verglichen werden, wie der Wissensstand einer Gruppe im Verhältnis zum mittleren Wissensstand aller Gruppen zum jeweiligen Thema war.

Aufmerksamkeit (Gruppenbefragung)

Die Aufmerksamkeit der Gruppe bei der Nutzung des Medienstimulus wurde anhand eines Items gemessen (siehe S. 15 des Gruppenfragebogens unter Punkt 8 im elektronischen Zusatzmaterial). Dafür wurde wieder eine siebenstufige Skala verwendet (1 = „Stimmen überhaupt nicht zu“ bis 7 = „Stimmen voll und ganz zu“; Residualoption: „Wir sind uns nicht einig“). Wenn sich die Gruppenmitglieder nicht einig waren bzw. ein unterschiedliches Aufmerksamkeitslevel hatten, konnten sie einzeln antworten. In Studie I hatte sich abgezeichnet, dass die Option „uneinig“ in Bezug auf das Erleben des Stimulus nicht so sehr für unterschiedliche Wahrnehmungen des kollektiven Prozesses, sondern vielmehr für unterschiedliche individuelle Prozesse relevant war. Falls keine gemeinsame Antwort der Gruppe vorhanden war, wurde deshalb der Mittelwert aus den individuellen Antworten gebildet und als Aufmerksamkeitslevel der Gruppe gewertet. Einerseits büßte die Messung dadurch leicht an Präzision ein, andererseits lag dafür für jede Gruppe aus der Stichprobe ein inhaltlich sinnvoller Wert vor. Das verwendete Item lautete „Wir haben das Video aufmerksam verfolgt“ (siehe z. B. die Messung auf Individualebene bei Eveland, 2001, S. 593). Neben dem Ausmaß der Aufmerksamkeit (M = 6,48; SD = 0,89; uneinig: 4,4 %) wurde auch die Standardabweichung als Maß für deren Heterogenität berechnet (M = 0,11; SD = 0,57).

Affekte: Emotionale Bewegtheit, Ärger, Humor (Gruppenbefragung)

Die Affekte der Gruppe während der Nutzung des Medienstimulus wurden mit je einem Item anhand derselben siebenstufigen Skala wie die Aufmerksamkeit gemessen (siehe S. 15 des Gruppenfragebogens unter Punkt 8 im elektronischen Zusatzmaterial). Auch hier konnten die Gruppenmitglieder bei Bedarf einzeln antworten und es wurde ein Gruppenmittelwert gebildet.

Emotionale Bewegtheit wurde anhand des Items „Das Video hat uns emotional bewegt“ gemessen (siehe z. B. die Messung auf Individualebene bei Bartsch et al., 2014, S. 132). Neben dem Gruppenwert (M = 3,75; SD = 1,84; uneinig: 7,7 %) wurde wieder die Heterogenität anhand der Standardabweichung pro Gruppe abgebildet (M = 0,13; SD = 0,51).

Ärger über die Botschaft wurde mit dem Item „Wir haben uns über das Video geärgert“ operationalisiert (siehe z. B. die Messung auf Individualebene bei Rössler, 2011, S. 161–165). Auch hier wurden der Gruppenwert (M = 1,69; SD = 1,26; uneinig: 2,8 %) und die Standardabweichung pro Gruppe gebildet (M = 0,04; SD = 0,29).

Humor bei der Nutzung wurde über das Item „Wir haben Witze über das Video gemacht“ erfasst. Davon wurden ebenfalls Gruppenwert (M = 1,97; SD = 1,65; uneinig: 2,2 %) und Standardabweichung pro Gruppe berechnet (M = 0,02; SD = 0,16).

4.2.3.3 Auswirkungen

Nach den Messungen der Einflussfaktoren werden im Folgenden die Messungen der möglichen Auswirkungen verschiedener kollektiver Informationsverarbeitungsmodi vorgestellt. Aufgrund der Reihenfolge der Messungen und Prozesse im Gruppenfragebogen kann auch hier wieder von einer bestimmten Kausalitätsrichtung ausgegangen werden (siehe 4.1). Auf Basis des MCIP und der daraus abgeleiteten Forschungsfragen (siehe 3.3) wurden einstellungsbezogene Auswirkungen, Veränderungen der Themenbedeutung und das Verständnis des Stimulus auf Gruppenebene operationalisiert. Einstellung, Themenbedeutung und Verständnis wurden in der nachfolgenden Einzelbefragung zusätzlich auf Individualebene gemessen.

Einstellung: Änderung, Polarisierung und Heterogenität (Gruppenbefragung)

Als Grundlage für die Messung aller einstellungsbezogenen Auswirkungen wurde am Ende des Fragebogens noch einmal die Einstellung der Gruppe gemessen (siehe S. 18 des Gruppenfragebogens unter Punkt 8 im elektronischen Zusatzmaterial). Dafür wurde derselbe siebenstufige Mittelwertindex verwendet wie bei der Vorhermessung (siehe 4.2.3.2; Autofreie Stadt: M = 0,19; SD = 1,70; Regenbogenfamilien: M = 1,86; SD = 1,68).

Eine mögliche Änderung der Gruppeneinstellung wurde durch zwei Werte abgebildet: Erstens wurde aus der Differenz aus der Einstellung nachher und vorher die richtungsspezifische bzw. gerichtete Einstellungsänderung berechnetFootnote 7. Ein positiver Wert stand dabei für eine Einstellungsänderung in Richtung pro und ein negativer Wert für eine Einstellungsänderung in Richtung contra des Stimulus (Autofreie Stadt: M = 0,38; SD = 0,95; Regenbogenfamilien: M = 0,21; SD = 1,01). Zweitens wurde der Betrag dieses Wertes berechnet, um das Ausmaß einer allgemeinen bzw. ungerichteten Einstellungsänderung zu erfassen (Autofreie Stadt: M = 0,69; SD = 0,75; Regenbogenfamilien: M = 0,51; SD = 0,89).

Für das Ausmaß der Polarisierung wurde ein Index berechnet, der angibt, um wie viele Skalenpunkte die Einstellung der Gruppe nach dem kollektiven Verarbeitungsprozess extremer war als vorher. Ein positiver Wert stand dabei für eine Polarisierung, also eine Verstärkung der anfangs bereits vorhandenen Tendenz und ein negativer Wert für eine Depolarisierung, also Abschwächung. Wenn die Einstellung der Gruppe unverändert blieb, mindestens einmal „keine Meinung“ angegeben wurde oder die Voreinstellung genau in der Mitte lag, wurde der Wert 0 – also keine (De-)Polarisierung – codiert (Autofreie Stadt: M = −0,34; SD = 0,89; Regenbogenfamilien: M = −0,02; SD = 0,96).

Schließlich wurde die Veränderung der Heterogenität der Einstellungen in der Gruppe anhand der Differenz der Werte nachher und vorher berechnet. Ein positiver Wert stand für eine stärkere Heterogenität und ein negativer Wert für eine stärkere Homogenität der Einstellungen nach dem gemeinsamen Gruppenprozess (Autofreie Stadt: M = 0,06; SD = 0,48; Regenbogenfamilien: M = −0,03; SD = 0,57).

Themenbedeutung (Gruppenbefragung)

Nach dem gemeinsamen Verarbeitungsprozess wurde noch einmal die Themenbedeutung für die Gruppe gemessen (siehe S. 19 des Gruppenfragebogens unter Punkt 8 im elektronischen Zusatzmaterial). Dafür wurde dieselbe siebenstufige Skala verwendet, wie vorher (siehe 4.2.3.2; Autofreie Stadt: M = 5,11; SD = 1,50; Regenbogenfamilien: M = 5,51; SD = 1,67).

Um eine mögliche Veränderung der kollektiven Themenbedeutung abzubilden, wurde wieder die Differenz aus dem Wert nachher und vorher gebildet. Ein positiver Wert stand dabei für eine Vergrößerung und ein negativer Wert für eine Verkleinerung der Themenbedeutung (Autofreie Stadt: M = 0,56; SD = 1,33; Regenbogenfamilien: M = 0,36; SD = 1,17).

Verständnis (Gruppenbefragung)

Wie gut und umfassend die Gruppen und ihre Mitglieder den Stimulus verstanden hatten, wurde anhand der freien Wiedergabe des Inhalts operationalisiert (siehe S. 17 des Gruppenfragebogens unter Punkt 8 im elektronischen Zusatzmaterial). Diese gilt im LC4MP als Indikator dafür, dass Individuen Informationen aus einem Medienstimulus mit Vorwissen verknüpft und somit verstanden haben (Lang, 2006). Für die Messung wurden die Gruppen gebeten, den Stimulus gemeinsam kurz zusammenzufassen. Um die Ergebnisse vergleichbar zu halten, wurden als Richtwert ca. 250 Zeichen angegeben, die aktuelle Zeichenzahl angezeigt und die mögliche Zeichenzahl auf 300 Zeichen begrenzt. Der Weiter-Button wurde außerdem für 60 Sekunden ausgeblendet, um ein vorschnelles Überspringen der Frage zu vermeiden. Da diese Messung nur auf Gruppenebene vorgenommen wurde, wurde anschließend die Kontrollfrage ergänzt, ob alle Mitglieder mit der Zusammenfassung einverstanden sind (Antwortoptionen: „ja“ oder „nein“). Wenn die Kontrollfrage mit „nein“ beantwortet wurde, wurden die Antworten nicht ausgewertet (in 2,2 % der Fälle). Anschließend wurde für jede Zusammenfassung codiert, wie viele von jeweils sechs vorher festgelegten zentralen inhaltlichen Punkten des Videostimulus genannt wurdenFootnote 8. Daraus wurde ein Summenindex von null bis sechs Punkten berechnet, wobei die Werte zu beiden Themen fast identisch waren (Autofreie Stadt: M = 3,33; SD = 1,31; Regenbogenfamilien: M = 3,25; SD = 1,34). Nach vier Wochen wurden jeweils zehn Prozent der Zusammenfassungen erneut codiert und mit dem R-Paket tidycomm (Unkel, 2021) die Intracoder-Reliabilität berechnet (Autofreie Stadt: Krippendorff’s α = 0,993; Regenbogenfamilien: Krippendorff’s α = 0,923).

Individuelle Einstellung (Einzelbefragung)

In der nachfolgenden Einzelbefragung wurden zudem die individuellen, außerhalb des Gruppenkontexts geäußerten Einstellungen der Gruppenmitglieder gemessen (siehe S. 5 des Einzelfragebogens unter Punkt 9 im elektronischen Zusatzmaterial). Dafür wurde wieder der siebenstufige Mittelwertindex aus der Gruppenbefragung verwendet (siehe 4.2.3.2), wobei die Antwortoptionen für Individuen formuliert waren (Autofreie Stadt: M = 0,12; SD = 1,78; Regenbogenfamilien: M = 1,95; SD = 1,59).

Individuelle Themenbedeutung (Einzelbefragung)

Darüber hinaus wurde in der Einzelbefragung die individuelle, außerhalb der Gruppe geäußerte Themenbedeutung erhoben (siehe S. 6 des Einzelfragebogens unter Punkt 9 im elektronischen Zusatzmaterial). Dafür wurde ebenfalls die an Individuen angepasste Messung aus der Gruppenbefragung verwendet (siehe 4.2.3.2; Autofreie Stadt: M = 4,87; SD = 1,62; Regenbogenfamilien: M = 5,43; SD = 1,62).

Individuelles Verständnis (Einzelbefragung)

In der Einzelbefragung wurden die Gruppenmitglieder noch einmal um eine Zusammenfassung des Stimulus gebeten, den Sie im Rahmen der Gruppenbefragung gemeinsam gesehen hatten (siehe S. 4 des Einzelfragebogens unter Punkt 9 im elektronischen Zusatzmaterial). Da der Summenindex zum Verständnis des Stimulus (s. o.) bei den Auswertungen auf Gruppenebene allerdings keinerlei Korrelation mit den Indizes für kollektive Informationsverarbeitung aufwies und rückblickend nicht geeignet schien, Verständnis zu messen (siehe 6.3.1), wurde auf eine analoge Codierung der individuellen Zusammenfassungen verzichtet.

4.2.3.4 Weitere Variablen

Der Gruppen- und der Einzelfragebogen enthielten jeweils weitere Messungen, die z. B. der Stichprobenbeschreibung oder als Kontrollvariablen dienten. Diese werden im Folgenden dokumentiert. Zu ihnen gehören die Bewertung des Stimulus auf Gruppenebene sowie die Betroffenheit vom jeweiligen Thema, das Einverständnis mit den Gruppenantworten, die weitere Informationsverarbeitung nach der Gruppenbefragung und soziodemographische Merkmale auf Individualebene.

Bewertung des Stimulus (Gruppenbefragung)

In der Gruppenbefragung wurde die kollektive Bewertung des Videostimulus gemessenFootnote 9 (siehe S. 16 des Gruppenfragebogens unter Punkt 8 im elektronischen Zusatzmaterial). Dafür konnten die Gruppen auf einer siebenstufigen Skala angeben, wie sie das Video fanden (1 = „Schlecht gemacht“ bis 7 = „Gut gemacht“; Residualoption: „Wir sind uns nicht einig“; siehe z. B. die Messung auf Individualebene bei Rössler, 2011, S. 84–86). Wenn sich die Gruppe nicht einig war, konnten die Gruppenmitglieder einzeln antworten (siehe 4.2.1). Wenn keine gemeinsame Antwort vorlag, wurde der Mittelwert pro Gruppe gebildet (Autofreie Stadt: M = 5,68; SD = 1,27; Regenbogenfamilien: M = 5,88; SD = 1,34). Außerdem wurde die Standardabweichung pro Gruppe berechnet, um das Ausmaß der Heterogenität dieser Einschätzung abzubilden (Autofreie Stadt: M = 0,06; SD = 0,27; Regenbogenfamilien: M = 0,13; SD = 0,51).

Betroffenheit (Einzelbefragung)

Um die individuelle Betroffenheit zum jeweiligen Thema zu ermitteln, wurden die Teilnehmenden in der Einzelbefragung gebeten anzugeben, ob relevante Bedingungen auf sie zutreffen (siehe S. 3 des Einzelfragebogens unter Punkt 9 im elektronischen Zusatzmaterial). Dabei konnten sie für jede Option „ja“ oder „nein“ auswählen. Für das Thema „Autofreie Stadt“ wurden sie gefragt, ob sie 1) ein Auto besaßen (66,1 %), 2) in einer kleineren Stadt lebten (5.000–100.000 Einwohner:innen; 44,1 %), 3) in einer Großstadt lebten (mehr als 100.000 Einwohner:innen; 42,1 %) und 4) in einem autofreien Viertel lebten (0,5 %). Für das Thema „Regenbogenfamilien“ wurden sie gefragt, ob sie 1) homo- oder bisexuell waren (ab 18 Jahren: 9,6 %), jemand aus ihrem 2) nahen (36,8 %) oder 3) weiteren sozialen Umfeld (64,6 %) homo- oder bisexuell war und ob 4) sie selbst jemals Mitglied einer Regenbogenfamilie waren (0 %).

Einverständnis mit Gruppenantworten (Einzelbefragung)

Um das Ausmaß sozialer Einflüsse beim gemeinsamen Ausfüllen des Gruppenfragebogens abschätzen zu können, wurden die Teilnehmenden in der Einzelbefragung nach ein bis drei Tagen gefragt, wie sehr sie mit den gemeinsamen Antworten in der Gruppenbefragung einverstanden waren (siehe S. 1 des Einzelfragebogens unter Punkt 9 im elektronischen Zusatzmaterial). Sie konnten dies auf einer siebenstufigen Skala angeben (1 = „Überhaupt nicht“ bis 7 = „Voll und ganz“). Unter den Teilnehmenden der Einzelbefragung war das Einverständnis mit den gemeinsamen Antworten sehr hoch (M = 6,25; SD = 0,85), wobei die zwei Fälle mit einem Zustimmungswert < 4 bereits im Rahmen der Datenbereinigung ausgeschlossen worden waren (siehe 4.4.2). Darüber hinaus konnten die Teilnehmenden in einem offenen Textfenster Anmerkungen zur Gruppenbefragung machen.

Weitere Beschäftigung (Einzelbefragung)

Weiterhin wurde kontrolliert, ob sich die Teilnehmenden zwischen Gruppen- und Einzelbefragung weiter mit dem Thema des Stimulus beschäftigt hatten (siehe S. 2 des Einzelfragebogens unter Punkt 9 im elektronischen Zusatzmaterial). Für die Beschäftigung innerhalb ihrer Gruppe konnten sie in der anschließenden Einzelbefragung auf einer siebenstufigen Skala (1 = „Gar nicht“ bis 7 = „Sehr intensiv“) angeben, ob und wie intensiv sie mit ihrer Teilnehmer:innengruppe weiter über das Thema gesprochen hatten (M = 3,51; SD = 1,94). Für die weitere Beschäftigung außerhalb der Gruppe wurde anhand der gleichen Skala gefragt, ob sie 1) weiter über das Thema nachgedacht hatten, 2) sich darüber informiert hatten oder 3) mit anderen Personen darüber gesprochen hatten. Die drei Items wurden zu einem Mittelwertindex zusammengefasst (Cronbach's α = ,77; M = 2,86; SD = 1,40).

Gruppengröße und -typ (Gruppenbefragung)

In der Gruppenbefragung wurden anhand von Auswahlfragen wesentliche Merkmale der Gruppen erfasst (siehe S. 1 des Gruppenfragebogens unter Punkt 8 im elektronischen Zusatzmaterial). Dabei handelte es sich um ihre Größe (zwei Mitglieder: 68,7 %; drei Mitglieder: 22,0 %; vier Mitglieder: 9,3 %) und ihren Typ (Paare: 35,7 %; Freund:innenFootnote 10: 22,5 %; Familien: 41,8 %).

Individuelle Merkmale: Alter, Geschlecht, Bildung (Gruppenbefragung)

Die individuellen soziodemographischen Merkmale der Teilnehmenden wurden anhand von offenen Eingaben bzw. Auswahlfragen in der Gruppenbefragung gemessen (siehe S. 20 des Gruppenfragebogens unter Punkt 8 im elektronischen Zusatzmaterial). Dabei wurden Alter (M = 38,49; SD = 15,73), Geschlecht (weiblich: 54,8 %; männlich: 45,0 %; divers: 0,2 %) und der höchste Bildungsabschluss erhoben (ohne Abschluss: 0,7 %; noch Schüler:in: 4,8 %; Hauptschulabschluss: 4,1 %; Realschulabschluss: 13,9 %; abgeschlossene Lehre: 17,1 %; Abitur: 27,4 %; Hochschulabschluss: 31,5 %; Sonstige: 0,5 %). Für die Stichprobenbeschreibung wurden daraus Indizes auf Gruppenebene gebildet (siehe 4.4.3).

4.2.4 Aufbau und technische Umsetzung

Der Gruppen- und Einzelfragebogen wurde mit SoSci Survey (Leiner, 2019a) realisiert. Das Softwarepaket ist auf die Anforderungen sozialwissenschaftlicher Forschung abgestimmt und bietet durch die Möglichkeit eigener Programmierung mittels PHP und HTML/CSS große Flexibilität in der Fragebogengestaltung. Auf diese Weise konnten die verschiedenen benötigten Sonderfunktionen wie z. B. das Einblenden zusätzlicher Optionen in Echtzeit und die Verwendung vorher angegebener individueller Namen bzw. Pseudonyme im Fragebogentext (siehe 4.2.1) umgesetzt werden. Außerdem konnten so Daten auf zwei Ebenen (Gruppe und Individuum) und aus zwei Erhebungszeitpunkten (Gruppenbefragung und nachfolgende Einzelbefragung) anonym miteinander verbunden werden.

Gruppenbefragung

Der Gruppenfragebogen war auf PCs bzw. Laptops ausgelegt, da sich in der qualitativen Studie I die Vermutung bestätigte, dass beim gemeinsamen Ausfüllen ein großer Bildschirm und eine Tastatur hilfreich waren. Der Ablauf der Gruppenbefragung war wie folgt (siehe Punkt 8 im elektronischen Zusatzmaterial für den gesamten Gruppenfragebogen): Jeder Gruppe wurde zufällig eines der beiden Themen – „Autofreie Stadt“ oder „Regenbogenfamilien“ – zugeteilt. In der Begrüßung bekam sie vorab Informationen zu Inhalt und Ablauf der Studie, Datenschutz und Incentives. Als besonderes Gruppenincentive wurde die Verlosung von Gutscheinpaketen im Wert von 25 Euro pro Person angekündigt. Im Gruppenfragebogen wurden zunächst die für die Stichprobensteuerung relevanten Gruppenmerkmale abgefragtFootnote 11 (Seite 1). Als Nächstes wurden die einzelnen Gruppenmitglieder gebeten, jeweils einen Namen bzw. ein Pseudonym für sich festzulegen (Seite 2). Dieser Name wurde im weiteren Verlauf verwendet, um Informationen zu den einzelnen Gruppenmitgliedern abfragen und später zuordnen zu können. Für die Einladung zur anschließenden Einzelbefragung wurden die einzelnen Mitglieder zudem aufgefordert, ihre E-Mail-Adressen anzugeben (Seite 3). Die E-Mail-Adressen wurden durch das Befragungstool separat und ohne Zugriffsmöglichkeit durch die Forscherin gespeichert, während im Datensatz jedem Mitglied eine anonyme Mitglieder-ID zugeordnet wurde (siehe Abbildung 4.4).

Anschließend wurde der Gruppe mithilfe von Beispiel-Screenshots das Grundprinzip der Gruppenbefragung und insbesondere der Option „Wir sind uns nicht einig“ erläutert (Seite 4). Daraufhin wurde ein Teil der Messungen zu den Einflussfaktoren kollektiver Informationsverarbeitung durchgeführt, nämlich die Messung der Einstellung vorher, der Abweichung vom wahrgenommenen Meinungsklima, der Themenbedeutung und des Wissens (S. 5–8).

Als Nächstes wurde der Gruppe der Videostimulus gezeigt, wobei die Gruppe zur Verwendung des Vollbildmodus und einer alltagstypischen Nutzung ermutigt wurden (S. 9). Anschließend wurde die Gruppe gebeten, sich möglichst spontan und natürlich „über das Video und das Thema“ zu unterhalten, um einen umfangreicheren kollektiven Rezeptionsprozess anzustoßen (S. 10). Der Weiter-Knopf wurde für zwei Minuten ausgeblendet, aber längere Unterhaltungen waren explizit möglich.

Nach dem Stimulus wurden die Messungen zu den Eigenschaften des kollektiven Verarbeitungsprozesses durchgeführt, also die offenen (S. 11–12) und standardisierten (S. 13–14) Messungen von Systematik und Offenheit und die Messungen von Arten der Verständigung und Affekten (S. 14). Dabei wurde im Fragebogentext und mittels eines Piktogramms verdeutlicht, dass sich die Fragen auf das Gespräch nach dem Video bezogen. Daraufhin wurden retrospektiv die restlichen Einflussfaktoren kollektiver Informationsverarbeitung gemessen, d. h. Aufmerksamkeit und Affekte bei der Nutzung (S. 15). Hier wurde wieder sprachlich und visuell verdeutlicht, dass sich die Fragen auf die Phase der gemeinsamen Nutzung des Videos bezogen. Anschließend wurde die Bewertung des Videos erhoben (S. 16). Schließlich wurden die Messungen zu den Auswirkungen des kollektiven Verarbeitungsprozesses durchgeführt, nämlich von Verständnis (S. 17), Einstellung (S. 18) und Themenbedeutung (S. 19). Als Letztes wurden die Teilnehmenden anhand ihres Namens bzw. Pseudonyms (s. o.) um Angaben zu ihren individuellen soziodemographischen Merkmalen gebeten (S. 20).

Bei der Verabschiedung wurden die Gruppen über den weiteren Ablauf der Studie informiert und konnten eines von mehreren Gutscheinpaketen über 25 Euro pro Mitglied auswählen, das sie gerne gewinnen wollten (siehe 4.4.1 für Details). Voraussetzung für die Teilnahme am Gewinnspiel war, dass alle Gruppenmitglieder an der Einzelbefragung teilgenommen hatten. Um in der Einzelbefragung auf die entsprechenden Informationen zugreifen zu können, wurde eine interne Datenbank angelegt, in der jeder Mitglieder-ID eine anonyme Gruppen-ID und jeder Gruppen-ID die jeweilige Gruppengröße zugeordnet war (siehe Abbildung 4.4).

Abbildung 4.4
figure 4

Anonyme Verknüpfung von Gruppen- und Einzeldaten für Teilnehmer:in X

Einzelbefragung

Nach ein bis maximal drei Tagen wurde eine zusätzliche Einzelbefragung der Gruppenmitglieder durchgeführt, die auch auf dem Smartphone ausgefüllt werden konnte (siehe Punkt 9 im elektronischen Zusatzmaterial für den gesamten Einzelfragebogen). Ein gewisser zeitlicher Abstand war nötig, damit die Teilnehmenden den Fragebogen nicht in der Gruppensituation, sondern alleine beantworten konnten. Gleichzeitig sollten ihre Eindrücke noch möglichst frisch sein. Der Ablauf war folgender: Die einzelnen Gruppenmitglieder wurden 24 Stunden nach der Gruppenbefragung über ihre separat gespeicherte E-Mail-Adresse zur Teilnahme eingeladen. Nach 48 und 72 Stunden folgte jeweils eine Erinnerung an die Teilnahme. Bei der Begrüßung bekamen die Gruppenmitglieder Informationen zu Inhalt, Ablauf und Datenschutz und wurden ermutigt, sich gegenseitig an die Teilnahme zu erinnern und so für das Gewinnspiel zu qualifizieren. Im Fragebogen wurde zunächst ihr Einverständnis mit den gemeinsamen Antworten der Gruppenbefragung gemessen (S. 1). Als Nächstes wurden die weitere Verarbeitung des Themas (S. 2) und die individuelle Betroffenheit abgefragt (S. 3). Danach wurden noch einmal auf individueller Ebene Verständnis des Stimulus (S. 4), Einstellung (S. 5) und Themenbedeutung (S. 6) erhoben. Am Schluss wurde mithilfe der in der Gruppenbefragung angelegten internen Datenbank anonym überprüft, ob bereits alle Mitglieder der Gruppe bei der Einzelbefragung teilgenommen hatten (siehe Abbildung 4.4). Wenn noch Gruppenmitglieder fehlten, wurden die Teilnehmenden darauf hingewiesen. Erst wenn die Gruppe vollständig teilgenommen hatte, wurde für den oder die letzte:n Teilnehmer:in das Gewinnspiel freigeschaltet, bei dem er oder sie stellvertretend für die ganze Gruppe teilnehmen konnte.

4.3 Studie I: Qualitative Gruppenbeobachtung und -diskussion

Studie I diente dazu, das unter 4.2 vorgestellte Befragungsinstrument für Gruppen zu testen, zu validieren und weiterzuentwickeln. Dazu wurden acht natürliche Gruppen beim gemeinsamen Ausfüllen des Fragebogens qualitativ beobachtet. Auf diese Weise konnte sowohl die Funktionsweise des kollektiven Ausfüllprozesses beleuchtet (FF1) als auch ein Abgleich zwischen beobachtbarem Verhalten und Antworten im Gruppenfragebogen durchgeführt werden (FF2). Durch eine anschließende Gruppendiskussion konnten zudem weitere Anregungen zur Gestaltung des Gruppenfragebogens gewonnen werden. Im Folgenden werden Zusammensetzung der Teilnehmer:innengruppen (siehe 4.3.1), Ablauf (siehe 4.3.2), Auswertungsstrategie und Kategoriensystem (siehe 4.3.3) dokumentiert. Abschließend wird auf die Weiterentwicklung des Gruppenfragebogens im Verlauf von Studie I eingegangen (siehe 4.3.4).

4.3.1 Teilnehmer:innengruppen

Um den Gruppenfragebogen umfassend testen und validieren zu können, sollten die teilnehmenden Gruppen ein möglichst breites Spektrum an kollektiven Rezeptions- und Antwortprozessen abdecken. Deshalb wurden mit dem Ziel der theoretischen Sättigung schrittweise Gruppen in unterschiedlichen Konstellationen und mit unterschiedlichen Bezügen zu beiden Themen des Fragebogens rekrutiert (Scheu, 2016). Die Gruppen stammten aus dem erweiterten Umfeld der Forscherin, die somit keine oder nur eine entfernte persönliche Beziehung zu ihren Mitgliedern hatte. Als Incentive erhielt jedes Gruppenmitglied 10 Euro für die Teilnahme. Um die Anonymität der Teilnehmenden zu gewährleisten wurden sämtliche Namen und sonstige personenbezogenen Angaben pseudonymisiert bzw. verallgemeinert. Wie in der späteren Gruppenbefragung wurden Familie mit Jugendlichen ab 14 Jahren mit einbezogen (siehe 4.4.1 für Überlegungen zum Mindestalter). Dafür wurden die Familien vorab über das Thema und den Ablauf informiert und das Einverständnis der während Studie I durchweg anwesenden Eltern eingeholt.

Tabelle 4.1 gibt einen Überblick über die Teilnehmer:innengruppen und den themenspezifischen Kontext. An Studie I nahmen acht Gruppen aus insgesamt 23 Personen teil – jeweils vier Gruppen zum Thema „Autofreie Stadt“ und zum Thema „Regenbogenfamilien“. Mit ihnen waren unterschiedliche Gruppengrößen (2–4) und Beziehungen (Paare, Familien und Freund:innen bzw. Wohngemeinschaften in unterschiedlichen Zusammensetzungen) repräsentiert. Dabei variierten nicht nur die einzelnen Teilnehmenden hinsichtlich ihres Geschlechts, Alters (14–69 Jahre) und Bildungsabschlusses (Hauptschulabschluss bis Promotion), sondern auch die Gruppen hinsichtlich der Homogenität dieser Merkmale (gemischt- vs. gleichgeschlechtlich, Altersunterschiede von 0–34 Jahren, gleiche vs. gemischte Bildungsabschlüsse). Außerdem gab es Gruppen, in denen alle, ein Teil oder keiner der Teilnehmenden einen Migrationshintergrund hatte.

Die Gruppen und ihre Mitglieder hatten unterschiedliche Bezüge zum jeweiligen Thema: Die Teilnehmenden der Version zur „Autofreien Stadt“ lebten an unterschiedlichen Orten (in einer kleineren Stadt, am Rand und im Zentrum einer Großstadt)und besaßen teils ein Auto, teils nicht. Unter ihnen waren sowohl Studentinnen eines mit Nachhaltigkeit verbundenen Faches, die sich meist mit dem Fahrrad oder dem ÖPNV fortbewegten als auch ein Ingenieur bei einem großen Autohersteller mit seiner Familie, die drei Autos besaß. Unter den Teilnehmenden der Version zu „Regenbogenfamilien“ war einer selbst homosexuell, die anderen hatten teils homosexuelle Menschen in ihrem näheren oder weiteren sozialen Umfeld und teils keinen persönlichen Kontakt zu homosexuellen Menschen. Unter ihnen waren zudem Menschen mit unterschiedlichen Familienmodellen, Menschen aus verschiedenen Ländern sowie Jurist:innen mit potenziell unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema.

Tabelle 4.1 Teilnehmer:innengruppen (personenbezogene Angaben wurden geändert oder verallgemeinert)

4.3.2 Ablauf

Die Erhebungen fanden zwischen Januar und Mai 2020 statt. Um ein möglichst natürliches, mit einer späteren quantitativen Gruppenbefragung vergleichbares Setting zu gewährleisten, wurden sie bei den Teilnehmer:innengruppen zu Hause durchgeführt. Da während dieses Zeitraumes die COVID-19-Pandemie in Deutschland begann, konnten nur die ersten vier Gruppen im direkten Kontakt mit der Forscherin teilnehmen. Bei Gruppe 5 bis 8 wurde die Studie kontaktlos durchgeführt, um ein durch die Teilnahme bedingtes Ansteckungsrisiko für alle Beteiligten und deren Umfeld auszuschließen (s. u. für die einzelnen Anpassungen).

Der Ablauf der Erhebung gestaltete sich folgendermaßen (siehe Punkt 11 im elektronischen Zusatzmaterial für den vollständigen Ablauf und Leitfaden): Im Vorfeld bekam jedes Gruppenmitglied ein Informationsblatt zur Studie mit Angaben zum Hintergrund, Ablauf, Datenschutz und unterschrieb eine EinverständniserklärungFootnote 12. Am Erhebungstermin wurde die Gruppe zunächst noch einmal über diese Punkte aufgeklärt und hatte die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Um die Gruppen besser kennenzulernen und das Eis zu brechen, wurden sie dann gebeten, sich als Familie, Paar oder Wohngemeinschaft zu beschreiben.

Anschließend verließ die Forscherin den Raum und die Gruppen wurden gebeten, gemeinsam an der Gruppenbefragung teilzunehmen. Darüber hinaus wurden die Mitglieder gebeten, direkt im Anschluss auf ihrem Smartphone an der Einzelbefragung teilzunehmen, deren Einladung unmittelbar nach der Gruppenbefragung verschickt wurde. Der gemeinsame Ausfüllprozess wurde auf Video aufgezeichnet. Zwar ist die Kamera ein potenzieller Störfaktor, erfahrungsgemäß gerät das Bewusstsein über die Aufzeichnung durch die Gruppendynamik aber die meiste Zeit in den Hintergrund (vgl. z. B. Lüthje, 2016; Schindler & Bartsch, 2019; Sommer, 2010, S. 147). Um die Aufzeichnung möglichst unaufdringlich zu gestalten, wurde zudem die integrierte Kamera eines Laptops verwendet und der Bildschirm abgeschaltet. So konnte insgesamt ein relativ ungestörtes und natürliches Setting für die Teilnahme an beiden Befragungen geschaffen werden.

Nachdem alle Gruppenmitglieder ihre Teilnahme abgeschlossen hatten, kam die Forscherin zurück und stoppte die Aufnahme. Anschließend wurde eine kurze Gruppendiskussion zur Gestaltung des Gruppenfragebogens durchgeführt. Dazu wurden die Gruppen zunächst offen um Feedback gebeten, insbesondere zu Störungen, Unklarheiten, Verbesserungsmöglichkeiten und den Möglichkeiten zu Einzelangaben. Als Nächstes wurden die Items zu den Eigenschaften kollektiver Informationsverarbeitung, d. h. zu Offenheit, Systematik, Arten der Verständigung und Affekten, besprochen (siehe 4.2.3.1). Als Orientierung für den Leitfaden dienten an dieser Stelle Empfehlungen zum Einbezug qualitativer Ansätze und insbesondere Fokusgruppen in die Skalenentwicklung (S. Carpenter, 2018; Mallinckrodt et al., 2016). In den ersten Erhebungsrunden wurde dementsprechend zunächst breit und offen nach Interpretationen und Dimensionen der Konstrukte gefragt. Darüber hinaus wurden allen Gruppen die bisherigen Items vorgelegt und über deren Inhalt und genaue Formulierung diskutiert. Im weiteren Verlauf der Studie wurde der Fokus zunehmend auf Items gelegt, die sich als unklar oder missverständlich erwiesen hatten und umformuliert wurden oder werden sollten. Die Ergebnisse der Gruppendiskussion wurden im Ablaufplan notiert und anschließend in den Gruppenfragebogen eingearbeitet.

Zunächst war der Ablauf von Studie I in einem Pretest mit zwei Gruppen aus je zwei und drei Personen getestet worden. Dieser verlief ohne Probleme und lieferte bereits erste Anregungen für Verbesserungen des Gruppenfragebogens.

Anpassungen aufgrund der COVID-19-Pandemie

Aufgrund der COVID-19-Pandemie (s. o.) wurde der vorgestellte Ablauf bei Gruppe 5 bis 8 wie folgt angepasst: Die Vorbereitung der Beobachtung und die Gruppendiskussion fanden nicht im direkten Kontakt, sondern per Videoanruf bzw. am Telefon statt. Außerdem wurden nur Gruppen rekrutiert, die ohnehin in einem Haushalt lebten. Beim Ausfüllen des Gruppenfragebogens filmten sich die Gruppen mit einer Webcam oder einem Smartphone selbst und speicherten den Film auf einem USB-Stick, der ihnen vorher zugeschickt worden war. Den USB-Stick und ihre Einverständniserklärungen schickten sie dann in getrennten Briefumschlägen zurück. Der Ablauf wurde möglichst unkompliziert für die Gruppen gestaltet, indem sie eine Schritt-für-Schritt-Anleitung und alles Weitere per Post erhielten (Informationsblätter mit Einverständniserklärungen, Incentives, USB-Stick, frankierte Rücksendeumschläge). Dieses Vorgehen funktionierte im Wesentlichen sehr gut, aufgrund eines Missverständnisses fehlen lediglich bei Gruppe 7 die Daten aus der Einzelbefragung der einzelnen TeilnehmendenFootnote 13. Während die Einschränkungen der elektronisch vermittelten Kommunikation mit der Forscherin ein Nachteil des angepassten Vorgehens waren, wurden die Gruppen andererseits besonders wenig gestört, wodurch Effekte sozialer Erwünschtheit vermutlich weiter reduziert werden konnten.

4.3.3 Auswertungsstrategie und Kategoriensystem

Der auf Video aufgezeichnete Ausfüllprozess des Gruppenfragebogens wurde für jede Gruppe vollständig transkribiert. An entsprechender Stelle wurde zudem eine Tabelle mit den jeweiligen Fragen und Antworten aus Gruppen- und Einzelbefragung ergänzt, um einen direkten Abgleich zwischen Ausfüllprozess und Antworten zu ermöglichen. Bei der Transkription wurde ein pragmatischer, am Forschungsinteresse orientierter Ansatz gewählt und z. B. auf eine detaillierte Darstellung von Sprechüberlappungen verzichtet. Stattdessen lag der Fokus auf einer gut lesbaren Darstellung des natürlichen Sprechflusses der Gruppe, der sich durch ständige Sprecherwechsel in Form von Einwürfen (z. B. „ja“, „mhm“) und gegenseitig fortgeführten Sätzen kennzeichnet. Dementsprechend wurden die Beiträge der Teilnehmenden der Reihe nach transkribiert und Anfang und Ende jedes Beitrags mit „..“ gekennzeichnet. Außerdem wurden in Klammern für das Verständnis des Gruppenprozesses relevante nonverbale Äußerungen (z. B. Lachen, Gestik, Mimik, Verhalten) notiert. Weiterhin wurden für das Verständnis relevante inhaltliche Anmerkungen und undeutliche Passagen in Klammern vermerkt. In den Transkripten wurde durch Zwischenüberschriften gekennzeichnet, auf welche Messung bzw. welchen Teil des Gruppenfragebogens sich der Gesprächsabschnitt bezieht.

Als Auswertungsstrategie wurde eine qualitative Analyse gewählt (Mayring, 2010). Dafür wurde ein eigenes Analyseschema verwendet, das sich ähnlich bereits in einer vorherigen qualitativen Studie zu kollektiver Medienrezeption bewährt hatte (Schindler & Bartsch, 2019). Zwar gibt es bereits verschiedene Analysetechniken für interpersonale Kommunikationsprozesse wie z. B. die Konversationsanalyse (Kleemann et al., 2013), die dokumentarische Methode (Bohnsack, 2013) oder die Interaktionsprozessanalyse (Bales, 1950), deren Fokus aber nicht auf der Funktionsweise des kollektiven Prozesses im Sinne dieser Arbeit liegt. Deshalb wurde hier ein Kategoriensystem verwendet, das spezifisch auf die Fragen nach dem gemeinsamen Antwortprozess (FF1) und der Übereinstimmung von Beobachtung und Antworten im Gruppenfragebogen (FF2) zugeschnitten war. Da es sich um explorative Fragestellungen handelt, wurden die Kategorien deduktiv-induktiv in Anlehnung an die Grounded Theory gebildet: Das Kategoriensystem wurde zunächst auf Basis theoretischer Überlegungen erstellt und dann im Laufe der Analyse auf Basis der Daten angepasst und erweitert (Mayring, 2010; Scheu, 2016). Die einzelnen Codings wurden entsprechend des Forschungsinteresses auf Gruppenebene vorgenommen. Das heißt, dass personenübergreifend Sequenzen codiert wurden, die den jeweils relevanten Teil des kollektiven Prozesses abbildeten.

Für die Codierung und Analyse wurde das Programm MAXQDA 2020 (VERBI Software, 2019) verwendet. Wo es sinnvoll erschien, wurden auch die absoluten bzw. relativen Häufigkeiten der Codings berücksichtigt. Aufgrund der heterogenen Gruppen und der großen Zahl an Antwortentscheidungen konnte so ein Eindruck über die ungefähre quantitative Bedeutung verschiedener Phänomene im kollektiven Antwortprozess gewonnen werden.

Kategorien zur Funktionsweise des Ausfüllprozesses

Der erste Teil des Kategoriensystems beinhaltet Kategorien zur Funktionsweise des Ausfüllprozesses (FF1a–f, siehe 3.3.2). Dafür wurden die Transkripte der gemeinsamen Beantwortung des Gruppenfragebogens auf Ebene einzelner kollektiver Antwortentscheidungen (pro Item bzw. Frage) ausgewertet. Auf diese Weise wurden insgesamt über 300 gemeinsame Antwortentscheidungen codiert.

Tabelle 4.2 bietet einen Überblick über die endgültigen Kategorien und die Häufigkeiten der jeweiligen Codings. Die übergeordneten Kategorien ergaben sich bereits durch die Forschungsfragen, die untergeordneten Kategorien wurden induktiv ausgearbeitet. Da sich schon nach wenigen Gruppen keine neuen Kategorien mehr ergaben, konnte die Erhebung nach dem Prinzip der theoretischen Sättigung bei acht Gruppen gestoppt werden (Scheu, 2016).

Die ersten beiden Kategorien in Tabelle 4.2 beziehen sich darauf, ob und wie alle Gruppenmitglieder von Beginn an ihr Einverständnis mit einer gemeinsamen Antwort äußerten (explizit, implizit oder nur auf Rückfrage) oder zunächst Abweichungen vorlagen (1–2 vs. 3 und mehr Skalenpunkte; FF1a). Bei Abweichungen wurde codiert, wann und wie sich die Gruppenmitglieder auf eine gemeinsame Antwort einigtenFootnote 14 (z. B. durch Argumente oder Mehrheitsprinzip; FF1b) und wann sie das nicht taten und mit „uneinig“ antworteten (FF1c).

Darüber hinaus wurden exemplarisch Passagen codiert, in denen die Rolle des jeweils ausfüllenden Gruppenmitglieds besonders deutlich wurde (FF1d). Schließlich wurde auf der einen Seite codiert, wenn durch gegenseitige Unterstützung oder Kontrolle eine Qualitätssicherung der Messungen stattfand (FF1e) und auf der anderen Seite, wenn sich durch das Untersuchungsdesign Reaktivität abzeichnete (durch die Befragung oder die Beobachtung; FF1f).

Tabelle 4.2 Kategorien und Anzahl der Codings zur Funktionsweise des Ausfüllprozesses

Kategorien zum Abgleich von Beobachtung und Messung

Der zweite Teil des Kategoriensystems enthielt Kategorien zum Abgleich von beobachtbarem Gruppenverhalten und Messungen im Gruppenfragebogen (FF2, siehe 3.3.2). Tabelle 4.3 bietet einen Überblick zu den endgültigen Kategorien und Häufigkeiten. Auch hier konnten nach wenigen Gruppen keine neuen Erkenntnisse mehr gewonnen werden.

In einem ersten Schritt wurden Indikatorpassagen für Konstrukte codiert, auf die durch die Beobachtung der Gruppe im gemeinsamen Nutzungs- und Verarbeitungsprozess geschlossen werden konnte (d. h. bei der Nutzung des Stimulus und dem anschließenden Gespräch). Während diese Konstrukte auf Individualebene häufig implizit bleiben würden, werden sie auf Gruppenebene in der Regel kommuniziert und damit explizit (siehe 4.1). Somit konnten sie zumindest in ihren wesentlichen Eigenschaften erfasst werden.

Zu diesen Konstrukten zählt erstens ein Teil der Einflussfaktoren kollektiver Informationsverarbeitung, nämlich Aufmerksamkeit und verschiedene Affekte. Hierfür wurde die Phase der gemeinsamen Nutzung des Stimulus betrachtet und falls möglich aus Äußerungen, Körperhaltung, Mimik und Verhalten der Gruppenmitglieder deren Aufmerksamkeitslevel und Affekte abgeleitet. Wenn die Gruppenmitglieder beispielsweise mit einem „oooh“ und einem Lächeln auf den Stimulus reagierten, wurde diese Passage als Indikator für emotionale Bewegtheit codiert.

Zweitens wurden Indikatorpassagen zu den Eigenschaften des kollektiven Verarbeitungsprozesses codiert, also zu Systematik, Offenheit, Arten der Verständigung und Affekten. Als Anhaltspunkt hierfür diente das gemeinsame Gespräch nach dem Stimulus (siehe 4.2.1). Das Ausmaß systematischer und offener kollektiver Informationsverarbeitung wurde entsprechend der theoretischen hergeleiteten Merkmale eingeordnet. Wenn sich eine Gruppe nach dem Stimulus also beispielsweise verhältnismäßig tiefgehend und motiviert über das Thema unterhalten hatte, wurde die Passage als Indikator für ein höheres Maß an Systematik gewertet (siehe 3.2.1 und 3.2.2).

Für die übrigen Einflussfaktoren und die Auswirkungen des kollektiven Rezeptionsprozesses wurden dagegen keine Indikatorpassagen codiert. Auf diese Konstrukte konnte in der Regel nicht unmittelbar durch die Beobachtung des gemeinsamen Rezeptionsprozesses geschlossen werden. Stattdessen wurden sie erst im gemeinsamen Ausfüllprozess explizit, der durch die Kategorien zu FF1 analysiert wurde.

Tabelle 4.3 Kategorien und Anzahl der Codings zum Abgleich von Beobachtung und Messung

In einem zweiten Schritt wurde dann für jedes Item codiert, ob die Antworten der Gruppen im Fragebogen mit den Beobachtungen aus den Indikatorpassagen vereinbar waren oder nicht. Dabei wurde auch als Übereinstimmung gewertet, wenn es keine Indikatoren für ein Konstrukt wie z. B. eine angespannte Stimmung gab und die Gruppen bei der Messung einen entsprechend niedrigen Wert angegeben hatten. Während sich die meisten Aspekte aus dem ersten Teil des Kategoriensystems – z. B. ob und wie sich eine Gruppe auf eine Antwort geeinigt hatte – in der Regel einfach und klar von außen bestimmen ließen, bestand hier ein größeres Risiko für Beobachtungsfehler. Um der spezifischen kollektiven Wahrnehmung und den besonderen Kommunikationsmustern jeder Gruppe Rechnung zu tragen, wurden deshalb Abweichungen nur codiert, wenn sie deutlich erkennbar waren. In Zweifelsfällen und im Detail wurde die Einschätzung des kollektiven Prozesses dagegen den Gruppen selbst überlassen (z. B. die Einordnung, wie intensiv ein Affekt genau auf einer siebenstufigen Skala war). Deshalb war für den Abgleich nicht der konkrete Skalenpunkt, sondern die generelle Richtung der Antwort relevant. Als Abweichung von Messung und Beobachtung wurde z. B. codiert, wenn eine Gruppe mit sechs oder sieben von sieben Skalenpunkten angab, ausführlich diskutiert zu haben, tatsächlich aber nur knapp über wenige Aspekte gesprochen hatte.

Die Codierung von Indikatorpassagen und ihrer Übereinstimmung mit der Messung fand – wie alle Codierungen – in einem zyklischen Prozess statt. Die Beobachtungen wurden also auch umgekehrt mit den Messungen abgeglichen und ggf. Indikatorpassagen nachcodiert.

4.3.4 Weiterentwicklung des Gruppenfragebogens

Auf Grundlage der Gruppendiskussionen und Beobachtungen in Studie I wurde der Gruppenfragebogen nach jeder Erhebungsrunde weiterentwickelt. Dabei mussten meist nur leichte Änderungen an Formulierungen und der Fragebogengestaltung vorgenommen werden. Vereinzelt wurden aber auch grundlegendere Anpassungen von Messungen vorgenommen, die an der entsprechenden Stelle der Fragebogenbeschreibung dokumentiert sind (siehe 4.2.3). Ebenso wurde dokumentiert, wenn Konzepte erst im Verlauf von Studie I in die theoretische Ausarbeitung des MCIP und/oder die Messungen aufgenommen wurden (siehe 3.2 bzw. 4.2.3). In Einklang mit der Idee des Theoretical Samplings wurde der Überarbeitungsbedarf des Gruppenfragebogens schon nach Gruppe 2 deutlich geringer und pendelte sich nach Gruppe 4 auf einem niedrigen Niveau ein (Gruppe 1–2: 9–19 Anpassungen; Gruppe 3–4: 3–8 Anpassungen, Gruppe 5–8: 0–4 Anpassungen).

Abbildung 4.5 zeigt, dass analog dazu auch die Codings zur gegenseitigen Unterstützung beim Frageverständnis deutlich weniger wurden und auf einem niedrigen Level blieben. Abweichungen von Beobachtung und Messung waren dagegen von Beginn an selten (siehe 5.2.2). Nach der Validierung durch Studie I (siehe Kapitel 5) war der Gruppenfragebogen somit bereit, in Studie II für eine erste quantitative Gruppenbefragung eingesetzt zu werden.

Abbildung 4.5
figure 5

Häufigkeit des Codes „Unterstützung beim gegenseitigen Frageverständnis“ im Verlauf von Studie I

4.4 Studie II: Quantitative Gruppenbefragung

In Studie II sollte die Funktionsweise der kollektiven Verarbeitung von Medienbotschaften genauer untersucht werden. Dafür wurde mit dem unter 4.2 entwickelten und in Studie I getesteten und validierten Gruppenfragebogen eine standardisierte Onlinebefragung mit n = 182 natürlichen Kleingruppen aus insgesamt 438 Individuen durchgeführt und um eine Einzelbefragung der Mitglieder ergänzt. Auf dieser Grundlage konnten Eigenschaften (FF3–5), Einflussfaktoren (FF6–7) und Auswirkungen kollektiver Medienrezeption auf Gruppenebene (FF8–9) und Individualebene (FF10–12) untersucht werden. Im Folgenden wird ein Überblick über das Vorgehen bei der Rekrutierung (siehe 4.4.1) und Datenbereinigung (siehe 4.4.2), die Merkmale der Stichprobe (siehe 4.4.3) und das Vorgehen bei der Auswertung (4.4.4) gegeben. Das Erhebungsinstrument und die Werte der einzelnen Messungen wurden bereits unter 4.2 dokumentiert. Da der Gruppenfragebogen in Studie I umfassend getestet wurde, musste für Studie II kein gesonderter Pretest durchgeführt werden.

4.4.1 Rekrutierung

Die teilnehmenden Gruppen wurden überwiegend zwischen Juni und August 2020 über ein kommerzielles Online-Panel rekrutiert (s. u. zur Nachrekrutierung über andere Wege). Dafür wurden einzelne Panelmitglieder per E-Mail zur Teilnahme eingeladen und gebeten, ihre Partner:innen, Familienmitglieder, Freund:innen oder Mitbewohner:innen dazu zu holen. Die Einladungen wurden in den frühen Abendstunden und häufig zu Beginn des Wochenendes verschickt, um die Chance zu erhöhen, dass sich die Teilnehmenden gerade in passenden sozialen Konstellationen befanden.

Incentives

Um die Gruppen zu dem neuen Umfrageformat zu motivieren, wurde ein Gewinnspiel ausgelobt, in dem die ganze Gruppe eines von drei Gutscheinpaketen über je 25 Euro pro Mitglied gewinnen konnte (für einen Onlineversandhändler, einen großen Kinobetreiber, eine Spende an SOS-Kinderdorf e. V. oder gemischt). Das Gewinnspiel wurde erst freigeschaltet, wenn alle Teilnehmenden aus der Gruppe die nachfolgende Einzelbefragung ausgefüllt hatten. Dadurch sollten sie motiviert werden, sich gegenseitig an die Teilnahme zu erinnern. Die Mitglieder, die Teil des Panels waren, erhielten für die Teilnahme an Gruppen- und Einzelbefragung zusätzlich Punkte, die sie beim Panelanbieter in kleinere Geldbeträge umwandeln konnten.

Mindestalter

Für einzelne Familienmitglieder wurde eine Altersgrenze von 14 Jahren festgelegt. Diese Grenze schien inhaltlich sinnvoll, da Jugendliche in diesem Alter bereits ein umfassenderes Verständnis gesellschaftlicher Debatten entwickelt haben und eine bedeutende Rolle im gemeinsamen Rezeptionsprozess einnehmen dürften (Oerter, 2016). Sie schien auch aus forschungsethischer Perspektive vertretbar, da zu Beginn der Erhebung das Einverständnis der Eltern eingeholt wurde, die Eltern während der Gruppenbefragung anwesend waren und familienfreundliche Stimuli behandelt wurden. Das jeweilige Thema der Befragung wurde den Familien zudem vorab angekündigt, sodass die Jugendlichen und ihre Eltern informiert entscheiden konnten, ob sie sich in diesem Rahmen damit beschäftigen wollten oder nicht.

Stichprobensteuerung

Ziel der Erhebung war eine möglichst heterogene Stichprobe von ca. 200 Gruppen, um entsprechend der Forschungsfragen allgemeingültige Muster kollektiver Medienrezeption identifizieren zu können (siehe 3.3.2). Dabei sollte insbesondere eine gleichmäßige Verteilung der verschiedenen Gruppengrößen (2–4) und -typen (Paare, Familien, Freund:innen oder Mitbewohner:innen) erreicht werden. Da bis zum Erhebungszeitpunkt keine Erfahrungen zur Rekrutierung von Gruppen für eine Onlinebefragung vorlagen, wurde ein exploratives Vorgehen gewählt. Anstatt von Anfang an Quoten zu setzen wurden die Einladungen des Panelanbieters schrittweise verschickt. Zunächst wurden Personen mit bunt gemischten soziodemographischen Merkmalen eingeladen und dann kontinuierlich beobachtet, welcher Rücklauf bei Gruppen mit unterschiedlichen Merkmalen zu erwarten war. Diese Erfahrungen wurden dann in die nächste Einladungswelle einbezogen und bei Bedarf verstärkt Personen eingeladen, über die eine Rekrutierung bisher schwach repräsentierter Gruppengrößen und -typen denkbar war.

Es zeigte sich, dass sich die verschiedenen Gruppengrößen und -typen erheblich in ihrem Rücklauf unterschieden: Paare waren mit Abstand am einfachsten zu rekrutieren. Auch Familien und Freund:innen konnten in Gruppen von zwei Personen noch relativ gut erreicht werden. Deshalb wurden dort im Verlauf der Rekrutierung Quotenstopps gesetzt. Der Rücklauf größerer Gruppen aus drei oder vier Personen war hingegen gering. Durch gezielte und umfangreiche Einladungswellen an Personen aus größeren Mehrpersonenhaushalten konnten schließlich auch Familien aus drei oder vier Personen rekrutiert werden. Bis zum Schluss konnte auf diesem Weg aber keine einzige Gruppe aus drei oder vier Freund:innen erreicht werden (s. u. für eine Schätzung des Gesamtrücklaufs und 4.4.3 für die Stichprobenbeschreibung).

Nachrekrutierung

Da über den Panelanbieter keine Gruppen aus mehr als zwei Freund:innen erreicht werden konnten, wurden diese zwischen August und November 2020 gezielt aus dem erweiterten Umfeld der Forscherin nachrekrutiert. Um ein zusätzliches Infektionsrisiko während der fortdauernden COVID-19-Pandemie zu vermeiden, wurden die Gruppen gebeten, nur teilzunehmen, wenn sie sich ohnehin trafen. Dementsprechend wurde die Gruppenbefragung mit großem zeitlichem Vorlauf angekündigt. Auf diese Weise konnten insgesamt 14 weitere Gruppen rekrutiert werden (13 Gruppen aus drei oder vier Freund:innen und ein Paar).

Der zweite Teil der Stichprobe ist – wie der erste Teil – soziodemographisch und ideologisch heterogen zusammengesetzt (siehe 4.4.3). Deshalb ist nicht davon auszugehen, dass sich beide Teile der Stichprobe systematisch in ihren Mustern kollektiver Informationsverarbeitung unterscheiden. Dennoch wird der Rekrutierungsweg bei den Auswertungen wenn möglich kontrolliert. Trotz der kleinen Fallzahl könnten so zumindest starke Verzerrungen erkannt werden.

Rücklauf und Einfluss der COVID-19-Pandemie

Die gesamte Rücklaufquote der Gruppenbefragung kann nur grob geschätzt werden. Nach der Datenbereinigung (siehe 4.4.2) umfasste die Stichprobe n = 182 Gruppen, wovon 168 Gruppen (92,3 %) über den Panelanbieter rekrutiert worden waren. Die Startseite des Fragebogens zur Hauptbefragung wurde insgesamt über 4300 mal aufgerufenFootnote 15. Darüber hinaus kann von einer deutlich größeren Zahl an vorgeschalteten E-Mail-Einladungen an die Panelmitglieder ausgegangen werden. Die Rücklaufquote lag damit vermutlich bei unter einem Prozent. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass dieser Wert wie oben erläutert je nach Gruppentyp und -größe bedeutend variiert und beispielsweise bei Paaren wesentlich höher war.

Die im Vergleich zu Befragungen von Individuen geringere Rücklaufquote überrascht wenig: Für Gruppen ist die Teilnahme wesentlich voraussetzungsreicher, da mehrere Personen gleichzeitig anwesend und motiviert sein müssen. Bei größeren und insbesondere nicht in einem Haushalt lebenden Gruppen wie Freund:innen steigt der Abstimmungsbedarf für die Teilnahme noch einmal erheblich, was eine Erklärung für den besonders geringen Rücklauf in diesen Gruppen sein dürfte. Dieser Faktor dürfte durch die COVID-19-Pandemie deutlich verschärft worden sein, da haushaltsübergreifende Treffen im Erhebungszeitraum teils nicht oder nur eingeschränkt möglich waren. Auch die gezielte Einladung von Studierenden, um Gruppen aus Mitbewohner:innen zu rekrutieren, brachte kaum Erfolg. Da die meisten Universitäten pandemiebedingt auf Online-Lehre umgestellt hatten und die Erhebungsphase weitgehend in den Semesterferien lag, waren vermutlich viele Studierende bei ihren Eltern.

Die Rücklaufquote der anschließenden Einzelbefragung war dagegen relativ hoch: Von den 438 Individuen aus der endgültigen Stichprobe füllten 339 bzw. 77,4 Prozent innerhalb von drei Tagen die Einzelbefragung aus. Bei 124 bzw. 68,1 Prozent der Gruppen haben alle Mitglieder aus der Gruppe an der anschließenden Einzelbefragung teilgenommen. Das spricht dafür, dass das an die Teilnahme aller Gruppenmitglieder gekoppelte Gewinnspiel ein geeignetes Incentive war (s. o.).

4.4.2 Datenbereinigung

Ursprünglich hatten 361 Gruppen an der Befragung teilgenommen. Davon musste allerdings ca. die Hälfte ausgefiltert werden (179 Fälle bzw. 49,6 %), sodass in der endgültigen Stichprobe noch 182 Gruppen blieben. Die überwiegende Mehrheit der ausgefilterten Fälle (177 bzw. 98,9 %) machten Gruppenfragebögen mit geringer Datenqualität aus, die vermutlich von einer einzelnen Person statt von einer Gruppe ausgefüllt worden waren. Im Folgenden wird genauer auf die einzelnen Kriterien bei der Bereinigung der Gruppen- und Einzeldaten eingegangen.

Datenqualität

Bei der Durchsicht der Daten zeichnete sich schnell ab, dass ein beträchtlicher Anteil der Gruppenfragebögen eine geringe Datenqualität aufwies. Durch die relativ hohe Incentivierung (siehe 4.4.1), bestand vermutlich Anreiz, diese alleine auszufüllen. Um die entsprechenden Fälle identifizieren und ausfiltern zu können, wurde ein Summenindex aus einer Reihe von Indikatoren herangezogen.

Zu ihnen zählten zum einen Merkmale der Gruppenbefragung, die auf ein bloßes Durchklicken des Fragebogens und/oder die Teilnahme einer Einzelperson hinwiesen:

  • Ein Relative Speed Index (Leiner, 2019b) von > 1,75, also eine auffällig hohe Ausfüllgeschwindigkeit. In der Regel gilt ein Wert von 2,0 als Grenze. Da der Relative Speed Index hier aber nicht alleine ausschlaggebend war, sondern in Kombination mit anderen Indikatoren berücksichtigt wurde, wurde ein konservativerer Grenzwert gewählt.

  • Auffälligkeiten bei den offenen Messungen der Eigenschaften kollektiver Informationsverarbeitung (siehe 4.2.3.1). Als Auffälligkeit wurden z. B. offensichtliche Fülltexte oder ein eindeutiger Widerspruch zwischen den aufgelisteten Punkten aus dem Gespräch und deren anschließender Einordnung gewertet. Humorvolle oder themenfremde Gesprächspunkte (z. B. „Abendessen“) wurden dagegen nicht als Auffälligkeit gewertet, da sie Teil des Gruppenprozesses sein konnten.

  • Auffälligkeiten bei der Messung des Verständnisses des Stimulus über eine offene Zusammenfassung (siehe 4.2.3.3), z. B. offensichtliche Fülltexte, offensichtlich geratene Inhalte oder die Verwendung der „Ich-"Form.

  • Offensichtlich widersprüchliche Angaben bei invertierten Items der standardisierten Messung der Eigenschaften kollektiver Informationsverarbeitung.

Zum anderen wurden Merkmale der Einzelbefragungen aus der Gruppe als Indikatoren für ein Durchklicken des Fragebogens und/oder die Teilnahme einer Einzelperson gewertet:

  • Ein Relative Speed Index (s. o.) von > 1,75 bei mindestens einer Einzelbefragung aus der Gruppe.

  • Auffälligkeiten bei der Messung des Verständnisses des Stimulus über eine offene Zusammenfassung (s. o.). Neben offensichtlichen Fülltexten wurde hier auch geprüft, ob die Zusammenfassungen in den unterschiedlichen Einzelbefragungen identisch oder auffallend ähnlich in Wortwahl und Schreibstil waren.

  • Eine direkte zeitliche Abfolge aller Einzelbefragungen aus einer Gruppe ohne Überschneidungen der Bearbeitungszeiten. In solchen Fällen wurden die Einzelfragebögen vermutlich nacheinander durch dieselbe Person abgearbeitet. Dafür spricht auch, dass der Relative Speed Index dabei häufig mit jedem Einzelfragebogen höher wurde. Da die Einzelbefragungen – z. B. in Familien – aber auch tatsächlich von verschiedenen Personen hintereinander an einem Gerät ausgefüllt werden konnten, wurden nur direkte Abfolgen innerhalb von einer Minute gewertet. Bei mehreren ausfüllenden Personen wurde dagegen von einer längeren Übergangszeit ausgegangen, bis die nächste Person am Gerät ist, ihren E-Mail-Account geöffnet hat etc.

Pro zutreffendem Indikator wurde ein Punkt vergeben, ab zwei Punkten wurde der Datensatz ausgefiltert. So sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, dass einzelne der verwendeten Kriterien theoretisch auch bei einem ordnungsgemäß durch eine Gruppe ausgefüllten Fragebogen zutreffen konnten. Gemessen an diesen Kriterien waren 82,3 Prozent der 361 Fragebögen entweder gar nicht (142 Fälle bzw. 39,3 %) oder mehrfach (155 Fälle bzw. 42,9 %) auffällig. Das spricht dafür, dass gefälschte Fragebögen anhand des verwendeten Index relativ klar identifiziert werden konnten. 64 bzw. 17,7 Prozent der Fälle wiesen eine Auffälligkeit auf. Fehlten die Einzelbefragungen, wurde der Datensatz schon bei einem Punkt ausgefiltert, da weniger Indikatoren vorhanden waren (12 Fälle). Die übrigen Fälle wurden nach einer genaueren Einzelfallbetrachtung entweder als plausible Gruppendaten befunden und im Datensatz belassen (42 Fälle) oder ebenfalls ausgefiltert (10 Fälle). Insgesamt wurden damit also 177 Gruppen aufgrund niedriger Datenqualität ausgefiltert.

Einverständnis mit den Gruppenantworten

Zwei weitere Gruppen wurden ausgefiltert, da eines ihrer Mitglieder nicht mit den gemeinsamen Antworten im Gruppenfragebogen einverstanden war. Das Einverständnis wurde in der anschließenden Einzelbefragung gemessen (siehe 4.2.3.4). Wie Abbildung 4.6 zeigt, war es insgesamt sehr hoch. Von 341 Individuen aus dem ansonsten vollständig bereinigten Datensatz gaben nur zwei an, nicht mit den gemeinsamen Antworten im Gruppenfragebogen einverstanden zu sein (d. h. sie wählten einen Wert < 4 auf der siebenstufigen Skala). Das bedeutet, dass lediglich 0,6 Prozent der teilnehmenden Mitglieder insgeheim unzufrieden mit den kollektiven Antworten waren. 4,9 Prozent hatten eine neutrale Haltung dazu (4) und 94,7 Prozent standen auch individuell hinter den gemeinsamen Antworten (> 4). Dieser Befund passt zu den theoretischen und methodischen Annahmen dieser Arbeit (siehe 3.3). Die zwei Gruppen mit je einem Mitglied mit geringem Einverständnis wurden ausgefiltert, da ihre Antworten offenbar nicht alle Mitglieder und damit nicht die Gruppe als Ganzes repräsentierten. Da dies sehr selten vorkam, wurden die 58 Gruppen ohne vollständige Einzelbefragungen trotz fehlender Angaben zum Einverständnis im Datensatz belassen.

Abbildung 4.6
figure 6

Einverständnis der einzelnen Gruppenmitglieder mit den gemeinsamen Antworten im Gruppenfragebogen. (Anmerkungen: n = 341 Individuen; Messung von 1 = „Überhaupt nicht einverstanden“ bis 7 = „Voll und ganz einverstanden“, siehe 4.2.3.4)

Einzelbefragung

Aus den 182 Gruppen der finalen Stichprobe hatten insgesamt 347 von 438 Mitgliedern an der anschließenden Einzelbefragung teilgenommen. Davon wurde ein Fall aufgrund eines Relative Speed Index von > 2 ausgefiltertFootnote 16 (Leiner, 2019b). Viele der Einzeldatensätze mit extrem hoher Ausfüllgeschwindigkeit waren bereits im Rahmen der Datenbereinigung auf Gruppenebene weggefallen (s. o.). Bei den verbleibenden Fällen waren die Gruppendaten dagegen unauffällig, weshalb diese im Datensatz behalten wurden. Sieben weitere Fälle wurden ausgefiltert, da der zeitliche Abstand zwischen Haupt- und Einzelbefragung vier Tage bzw. 96 Stunden oder länger war. Auf diese Weise sollte sichergestellt werden, dass die Eindrücke des kollektiven Rezeptionsprozesses noch einigermaßen aktuell und unter den Gruppenmitgliedern vergleichbar waren. Somit blieben letztendlich 339 Fälle im Datensatz der Einzelbefragung.

4.4.3 Stichprobe

Die endgültige Stichprobe setzte sich somit aus n = 182 Gruppen und 438 Individuen zusammen, von denen 339 (77,4 %) auch die Einzelbefragung ausgefüllt hatten. Im Folgenden werden zentrale Merkmale der Stichprobe auf Gruppenebene beschrieben. Dabei wird auch auf Unterschiede zwischen den verschiedenen Themen und Rekrutierungswegen eingegangen.

Gruppengrößen und -typen

Tabelle 4.4 zeigt die Verteilung der verschiedenen Gruppengrößen und -typen: 68,7 Prozent der Stichprobe machten Gruppen aus zwei Personen aus, von denen gut die Hälfte Paare waren. Gruppen aus drei Personen machten 22,0 und Gruppen aus vier Personen ca. 9,3 Prozent der Stichprobe aus. Insgesamt waren ca. 41,8 Prozent der Gruppen Familien, die meist in Gruppen von zwei oder drei Personen, teils aber auch zu viert teilgenommen haben. 35,7 Prozent aller Gruppen waren Paare und 22,5 Prozent Freund:innen, die meist zu zweit und nur zu einem knappen Drittel in größeren Gruppen teilgenommen hatten. Aufgrund der relativ geringen Fallzahlen und der geringen Trennschärfe wurden Mitbewohner:innen mit Freund:innen zusammengefasst. Damit waren die Gruppengrößen und -typen zwar nicht gleichmäßig verteilt, die Stichprobe repräsentierte aber die typischen Konstellationen gemeinsamer Mediennutzung: Diese findet meist zu zweit und in Partnerschaften und Familien, aber teils auch in größeren Gruppen und im Freundeskreis statt (GfK, 2019; Kessler & Kupferschmitt, 2012).

Wie unter 4.4.1 erläutert, wurden insgesamt 13 Gruppen aus mehr als zwei Freund:innen nachrekrutiert. Da in dem über das Onlinepanel rekrutierten Teil der Stichprobe isoliert betrachtet aber sowohl genügend Gruppen aus drei oder vier Personen (44) als auch aus Freund:innen (28) vertreten waren, dürfte keine Konfundierung von Rekrutierungsweg und Gruppengröße bzw. -typ vorgelegen haben. Damit waren alle möglichen Kombinationen aus Gruppengrößen und -typen in der Stichprobe vorhanden und die einzelnen Gruppengrößen und -typen so weit repräsentiert, dass ihr Einfluss auf die kollektiven Verarbeitungsprozesse kontrolliert werden konnte.

Tabelle 4.4 Verteilung von Gruppengrößen und -typen in der Stichprobe

Soziodemographische Merkmale

In Tabelle 4.5 sind die soziodemographischen Merkmale der Stichprobe auf Gruppenebene aufgelistet. Dafür wurden pro Gruppe der Mittelwert und die Standardabweichung des Alters ihrer Mitglieder sowie der Anteil an Frauen und Personen mit Hochschulabschluss unter ihren Mitgliedern berechnet. Unter 4.2.3.4 sind zudem die soziodemographischen Merkmale auf Individualebene dokumentiertFootnote 17. Insgesamt zeigte sich, dass die soziodemographischen Merkmale auf beiden Ebenen breit verteilt waren. Auf Gruppenebene variierte auch die Heterogenität von Alter, Geschlecht und Bildungsabschlüssen innerhalb der Gruppe.

Tabelle 4.5 Soziodemographische Merkmale der Stichprobe auf Gruppenebene (Mittelwerte, Standardabweichungen in Klammern)

Im Vergleich zu den Stichprobenteile aus dem Onlinepanel fallen ein geringerer Altersunterschied und ein höherer Anteil an Hochschulabschlüssen auf. Diese Unterschiede lassen sich vor allem dadurch erklären, dass ausschließlich Freund:innen und Paare (und nicht Familien mit Kindern/Jugendlichen) nachrekrutiert wurden.

Themen

105 Gruppen (57,7 %) haben die Fragebogenversion zum Thema „Autofreie Stadt“ beantwortet und 77 Gruppen (42,3 %) zum Thema „Regenbogenfamilien“. Durch die zufällige Zuordnung waren die Fragebogenversionen in den Rohdaten relativ gleichmäßig verteilt, die Fragebögen zum Thema „Regenbogenfamilien“ wiesen aber häufiger eine niedrige Datenqualität auf. Da das Thema nicht zu Beginn, sondern erst im Verlauf der Befragung ersichtlich wurde, könnte eine Erklärung dafür sein, dass Gruppen den Fragebogen zum Thema „Regenbogenfamilien“ häufiger abbrachen und er dann von einem einzelnen Mitglied fertig ausgefüllt wurde, um trotzdem die Incentives zu bekommen. Grund dafür könnte – vergleichbar mit Einzelbefragungen – Reaktanz der Gruppe oder einzelner Mitglieder gewesen sein, wenn sie z. B. Homosexualität als Tabuthema empfanden. Dieser Unterschied zwischen beiden Stimuli stellte aber kein grundsätzliches Problem für die Datenanalyse dar, da sie keiner streng kontrollierten experimentellen Variation dienten. Stattdessen sollten sie eine gewisse Vielfalt der kollektiven Verarbeitungsprozesse sicherstellen und dabei helfen, universelle Muster der Informationsverarbeitung in Gruppen zu identifizieren.

In der finalen Stichprobe wurden beide Stimuli von den Gruppen auf einer siebenstufigen Skala ähnlich positiv bewertet (Autofreie Stadt: M = 5,68; SD = 1,27; Regenbogenfamilien: M = 5,88; SD = 1,34). Anschließend unterhielten sich die Gruppen mit durchschnittlich ca. drei Minuten ähnlich lange über beide Themen (bereinigt um fünf Ausreißer >1000 Sekunden: Autofreie Stadt: M = 195 Sekunden; SD = 123; Regenbogenfamilien: M = 179 Sekunden; SD = 95). Ihre Gespräche drehten sich dabei überwiegend um für das jeweilige Thema relevante Punkte (Anteil an allen Gesprächspunkten: Autofreie Stadt: M = 0,90; SD = 0,18; Regenbogenfamilien: M = 0,80; SD = 0,30).

Einstellungen

Schließlich sind in Tabelle 4.6 noch die Einstellungen der Gruppen zu beiden Themen aufgeführt. Sie wurden jeweils vor der gemeinsamen Nutzung des Stimulus auf einer Skala von −3 (negativ) bis 3 (positiv) gemessen (siehe 4.2.3.2).

Tabelle 4.6 Einstellungen der Stichprobe auf Gruppenebene (Mittelwerte, Standardabweichungen in Klammern)

Während die durchschnittliche Einstellung der Gruppen zum Thema „Autofreie Stadt“ ungefähr in der Mitte lag, war die zum Thema „Regenbogenfamilien“ eher positiv. Bei beiden Themen variierten die Einstellungen aber erheblich zwischen den Gruppen. Dieses Muster entspricht den individuell gemessenen Einstellungen im Pretest (siehe 4.2.2 und Punkt 10 im elektronischen Zusatzmaterial). Innerhalb der Gruppen war die anhand der Standardabweichung pro Gruppe gemessene Heterogenität der Einstellungen dagegen gering, wies aber zumindest etwas Varianz zwischen den Gruppen auf. Die Stichprobe war damit ideologisch bunt gemischt und enthielt sowohl Gruppen, deren Einstellung im Einklang mit der Botschaft des Stimulus waren als auch solche, deren Einstellungen mit ihr im Widerspruch standen. Die ausgeprägte Homogenität der Einstellungen innerhalb der Gruppen passt zu den theoretischen und methodischen Annahmen dieser Arbeit (siehe 3.3) und den qualitativen Befunden aus Studie I (siehe 5.1).

Die Stichprobenteile aus der Nachrekrutierung wichen in ihrer durchschnittlichen Einstellung von denen aus dem Onlinepanel ab. Da die Fallzahl durch die Aufteilung nach Themen aber besonders gering war und die Einstellungen in verschiedene Richtungen abwichen (einmal progressiver, einmal konservativer), ist auch hier von keinem systematischen Unterschied zwischen beiden Stichprobenteilen auszugehen.

4.4.4 Auswertung

Die Auswertungen für Studie II wurden mit der Programmiersprache R durchgeführt (R Core Team, 2022). Diese bietet vielfältige und flexible Möglichkeiten zur Strukturierung, Analyse und Darstellung von Gruppen- und Einzeldaten. Grafiken wurden in der Regel mit dem R-Paket ggplot2 erstellt (Wickham, 2016). Wenn darüber hinaus Funktionen aus speziellen Paketen verwendet wurden, werden diese an entsprechender Stelle der Ergebnisdarstellung ausgewiesen.

Um FF3–9 zu Eigenschaften, Einflussfaktoren und Auswirkungen kollektiver Medienrezeption auf Gruppenebene zu beantworten (siehe 3.3.2), wurden die Daten konsequent auf Gruppenebene ausgewertet. Hierfür wurden gängige statistische Verfahren wie z. B. lineare Regressionsmodelle eingesetzt. Für die Beantwortung von FF10–12 zu den Auswirkungen kollektiver Medienrezeption auf Individualebene (siehe 3.3.2) wurden Einzel- und Gruppendaten zusammen in Mehrebenenmodellen ausgewertet. Weil es sich um eine neue Erhebungsmethode und ein wenig untersuchtes Forschungsfeld handelte, wurden die Auswertungen bei Bedarf um explorative Folgeanalysen ergänzt. Wenn unterschiedliche Analysewege getestet wurden (z. B. ein Modell mit verschiedenen Codierungen derselben Variable gerechnet wurde) wird dies ebenfalls vermerkt.

Da von allgemeingültigen – d. h. themenübergreifenden – Mechanismen kollektiver Informationsverarbeitung ausgegangen wurde, wurden die Stichprobenteile zu den beiden Themen gemeinsam analysiert. Die beiden Themen „Autofreie Stadt“ und „Regenbogenfamilien“ waren dabei insofern vergleichbar, als eine positive Einstellung in beiden Fällen mit einer progressiven und eine negative Einstellung mit einer konservativen Haltung verbunden ist. Um mögliche themenspezifische Unterschiede dennoch im Blick zu behalten, wurde der Einfluss der Themen aber als Kontrollvariable in die Analysen mit einbezogen bzw. eine zusätzliche, nach Themen getrennte Analyse durchgeführt. Darüber hinaus wurden nach Möglichkeit Rekrutierungsweg und Gruppenmerkmale kontrolliert.

Zur besseren Interpretierbarkeit wurden die Prädiktoren in sämtlichen (hierarchischen) linearen Modellen mittelwertzentriert, sodass ihr Nullpunkt bei ihrem jeweiligen Mittelwert und nicht beim häufig fiktiven Wert Null lag. Lediglich die Messungen der Einstellung und der Extremität der Einstellung wurden nicht mittelwertzentriert. Die Skala der Einstellungsmessung reichte von −3 (negative Einstellung) bis 3 (positive Einstellung) und besaß somit einen inhaltlich sinnvollen Nullpunkt. Dieser stand für eine „neutrale“ bzw. in der Mitte liegende Position und war damit der Referenzpunkt, der unabhängig vom empirischen Mittelwert am besten interpretiert und themenübergreifend verglichen werden kann. Da die Extremität der Einstellung durch den Betrag der Einstellungsmessung abgebildet wurde, stand ihr Nullpunkt ebenfalls für eine in der Mitte liegende Position und damit für die geringste (bzw. keine) Extremität.

Bei den Analysen wurden p-Werte bzw. Konfidenzintervalle ausgewiesen. Bei Stichproben auf Individualebene existiert in der Regel eine klar definier- und abgrenzbare Grundgesamtheit (z. B. die deutsche Bevölkerung). Bei der hier verwendeten Stichprobe aus natürlichen Kleingruppen (siehe 4.4.3) war die Grundgesamtheit dagegen unendlich, da Individuen gleichzeitig verschiedenen Gruppen in unterschiedlichsten Zusammenstellungen angehören. Streng genommen wurden sogar Situationen bzw. Prozesse und nicht die Gruppen selbst analysiert – was die Grundgesamtheit noch schwerer eingrenzbar machte. Da die Stichprobe aber relativ groß, heterogen und prototypisch für kollektive Medienrezeption war (siehe 4.4.3), wurden Signifikanztests trotzdem als Anhaltspunkt verwendet, um auf ihrer Grundlage auf generelle Muster kollektiver Medienrezeption zu schließen.