Im folgenden Kapitel wird das Model of Collective Information Processing – kurz MCIP – vorgestellt. Dabei handelt es sich um eine Ausarbeitung und Weiterentwicklung eines vorher bereits in Grundzügen skizzierten Modells der Medienrezeption in Gruppen (Schindler & Bartsch, 2019, S. 14–16). Das MCIP stellt den zentralen theoretischen Beitrag der vorliegenden Arbeit dar und verbindet Ansätze und Erkenntnisse aus der Forschung zu (Klein-)Gruppenprozessen und individuellen Informationsverarbeitungsprozessen. Während theoretische Modelle zur Medienrezeption bzw. Informationsverarbeitung in der Regel auf die Individualebene abzielen (siehe 2.3.1), bezieht sich das MCIP auf die Gruppenebene. Es soll in der Lage sein, kollektive Informationsverarbeitungsprozesse zu beschreiben, zu erklären und vorherzusagen. Das MCIP beschäftigt sich also mit kollektiver Informationsverarbeitung im Allgemeinen, wird im empirischen Teil der Arbeit aber auf kollektive Medienrezeptionsprozesse im Speziellen angewandt.

In einem ersten Schritt wird das Modell mit Blick auf natürliche Kleingruppen entwickelt (siehe 2.1.1 für eine Gruppendefinition). Hintergrund ist, dass diese eine überzeitliche und interkulturelle „Grundform“ der menschlichen Gruppe darstellen und sich kollektive Medienrezeption typischerweise in ihnen abspielt (siehe 2.2.1). Kleingruppen sind zudem relativ gut empirisch untersucht. Auch wenn dabei häufig aufgabenorientierte Informationsverarbeitung in künstlichen Kleingruppen betrachtet wird, dürfte zumindest ihre wesentliche Funktionsweise auf alltägliche Informationsverarbeitung in natürlichen Kleingruppen übertragbar sein (siehe 3.1.2). Deshalb erscheinen (natürliche) Kleingruppen und die (sozialpsychologische) Kleingruppenforschung als geeignete Ausgangspunkte, um theoretische Annahmen zu den grundlegenden Mechanismen kollektiver Informationsverarbeitung zu entwickeln und diese anschließend empirisch zu prüfen. Dementsprechend fokussiert sich das MCIP zunächst auf kurzfristigere Episoden kollektiver Informationsverarbeitung während direkter Interaktionen in der Gruppe. Unter 3.3.1 wird auf die Anschlussfähigkeit des MCIP für andere und insbesondere größere Gruppenformen, längerfristige und onlinevermittelte kollektive Verarbeitungsprozesse sowie andere disziplinäre Perspektiven eingegangen. Dort werden außerdem die Grenzen des MCIP diskutiert, zu denen insbesondere der Fokus auf genuin kollektive – und damit kollaborative – Informationsverarbeitung gehört.

Das MCIP baut auf sechs zentralen Annahmen auf: Annahmen 1–3 bilden die Basis des Modells. Sie zielen im Kern auf die Betrachtung von Gruppen als informationsverarbeitende Systeme (Hinsz et al., 1997) ab (siehe 3.1). Annahmen 4–6 bilden das Herzstück des MCIP. Sie nehmen eine Mehrprozess-Perspektive auf Informationsverarbeitung in Gruppen ein und gehen von Systematik und Offenheit als zentrale Dimensionen kollektiver Informationsverarbeitung aus (siehe 3.2). Nach einem zusammenfassenden Überblick werden schließlich aus dem MCIP abgeleitete Forschungsfragen vorgestellt, um das Modell einer ersten empirischen Prüfung zu unterziehen (siehe 3.3). Sie beziehen sich auf die Umsetzbarkeit bzw. Validität eines standardisierten Befragungsinstrumentes für Kleingruppen (FF1–2) und auf die Funktionsweise kollektiver Informationsverarbeitung (FF3–11).

3.1 Grundlagen kollektiver Informationsverarbeitung

In diesem Kapitel werden die grundlegenden Mechanismen kollektiver Informationsverarbeitung vorgestellt. Als Methode der Theoriebildung wurde hier eine auf Individualebene gängige Betrachtungsweise auf die Gruppenebene angewandt und mit bestehenden theoretischen Ansätzen verknüpft. Im Folgenden wird auf die soziale Ausrichtung von Individuen (siehe 3.1.1, Annahme 1), die Funktionsweise von Gruppen als informationsverarbeitende Systeme (siehe 3.1.2, Annahme 2) und die Bedeutung von sozialen Einflüssen, Konformität und Abweichungen im Gruppenprozess eingegangen (siehe 3.1.3, Annahme 3). Die ersten drei Annahmen bilden das Fundament des MCIP und zeigen, dass und wie kollektive Informationsverarbeitung als eigenständiger Prozess auf Gruppenebene betrachtet werden kann.

3.1.1 Annahme 1: Soziale Ausrichtung von Individuen

Annahme 1 des MCIP: Menschen sind auf das Leben in Gruppen ausgerichtet und können je nach Kontext eine internalisierte soziale Identität annehmen.

Die erste Annahme des MCIP geht davon aus, dass Individuen auf das Zusammenleben mit anderen Menschen ausgerichtet sind und damit verbunden eine internalisierte soziale Identität als Teil einer Gruppe annehmen können. Sie macht damit deutlich, wie sozial die Wahrnehmung von Individuen ist und ebnet den Weg für eine theoretische Verknüpfung der Informationsverarbeitung von Individuen und Gruppen. Um Annahme 1 genauer zu begründen, wird im Folgenden auf die existenzielle Bedeutung des Lebens in Gruppen für den Menschen (siehe 3.1.1.1) und darauf aufbauend auf das Konzept der sozialen Identität eingegangen (siehe 3.1.1.2).

3.1.1.1 Die existenzielle Bedeutung des Lebens in Gruppen

Um die besondere Bedeutung und Funktionsweise von Gruppen zu verstehen, lohnt sich zunächst ein kurzer Blick auf ihre evolutions- und sozialpsychologischen Grundlagen. Diese werden auf Basis der entsprechenden Forschung in der Core Social Motives Theory zusammengefasst (Fiske, 2000; Stevens & Fiske, 1995). Grundbedürfnisse sind Bedürfnisse, die allen Menschen gemein sind, die für ihr Wohlergehen erfüllt sein müssen und die sie tiefgehend und umfassend in ihren Zielen, ihrer Wahrnehmung und ihrem Verhalten prägen (Pittman & Zeigler, 2007). Die Core Social Motives Theory betrachtet das menschliche Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe als zentrales Grundbedürfnis, da Individuen über die Menschheitsgeschichte hinweg immer andere Menschen bzw. eine Gruppe brauchten, um zu überleben. Daraus ergeben sich vier weitere Grundbedürfnisse, die dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit in verschiedener Weise dienen: Demnach haben Menschen das Bedürfnis nach einem gemeinsamen Verständnis der Umwelt, um sich in einer Gruppe verständigen zu können. Weiterhin haben sie das Bedürfnis nach einem gewissen Maß an Kontrolle bzw. Einfluss auf die soziale Umwelt, um effektiver Bestandteil einer Gruppe sein zu können. Außerdem haben sie das Bedürfnis nach Selbstaufwertung, das über die Zugehörigkeit zu einer Gruppenidentität erfüllt wird und so das Leben in Gruppen erleichtern kann. Schließlich haben Menschen noch das Bedürfnis nach Vertrauen in andere und sind erst dadurch überhaupt in der Lage, in Gruppen zusammenzuleben (Fiske, 2000; Stevens & Fiske, 1995). Die Core Social Motives Theory zeigt also, wie stark die Eigenschaften menschlicher Individuen auf die Gruppenebene ausgerichtet und mit ihr verbunden sind.

Das Core Configurations Model (Caporael, 1997) berücksichtigt diesen Umstand und nimmt dabei eine globalere, weniger auf das Individuum fokussierte Perspektive ein. Auf Basis biologischer und sozialpsychologischer Erkenntnisse geht es davon aus, dass Leben in ineinander verschachtelten und immer komplexer werdenden Einheiten organisiert ist: Aus Molekülen setzen sich Chromosomen zusammen, aus Chromosomen Zellen und aus Zellen Organismen. Damit endet die Ordnung aber nicht, sondern (menschliche) Organismen können sich wiederum als nächsthöhere Einheiten zu Gruppen zusammensetzen. Die verschiedenen Einheiten dieser Ordnung versuchen jeweils zu überleben und sich zu verbreiten und sind dabei auf das Bestehen der nächsthöheren Ebene angewiesen. Deshalb geht das Modell davon aus, dass sich Individuen über die Menschheitsgeschichte hinweg besonders gut auf das Funktionieren in (insbesondere kleinen) Gruppen und Gruppen besonders gut auf das Funktionieren in ihrer Umwelt spezialisiert haben. Menschliche Kognitionen können demnach als „truly social“ (Caporael, 1997, S. 277), also nicht als rein individuelle, sondern eng mit dem sozialen Umfeld verflochtene Prozesse betrachtet werden. Das Core Configurations Model verweist – wie die Core Social Motives Theory (s. o.) – auf eine tief im Menschen verankerte soziale Programmierung. Es macht darüber hinaus plausibel, dass menschliche Gruppen grundsätzlich als genauso sinnvolle Einheiten betrachtet werden können wie menschliche Individuen. Auf dieser Grundlage soll es im Folgenden genauer darum gehen, anhand welcher Mechanismen die menschliche Spezialisierung auf das Leben in Gruppen funktioniert.

3.1.1.2 Soziale Identität

Aus der sozialen Orientierung des Menschen (siehe 3.1.1.1) ergeben sich verschiedene Phänomene, die von Tajfel und Turner (1986) durch die Theorie der sozialen Identität erklärt werden. In der Psychologie und den Sozialwissenschaften ist sie die wohl bekannteste und bedeutendste Theorie, die sich mit Gruppen beschäftigt. Sie wurde ursprünglich zur Erklärung von Intergruppenphänomenen wie Vorurteilen und Diskriminierung zwischen Angehörigen größerer gesellschaftlicher Gruppen entwickelt, wird inzwischen aber auch auf weitere Gruppenphänomene und kleinere Gruppen angewandt (Hogg et al., 2004).

Die Theorie der sozialen Identität geht im Kern davon aus, dass Menschen nicht nur ihre soziale Umwelt, sondern auch sich selbst über soziale Kategorisierungsmechanismen (Turner et al., 1987) wahrnehmen und einordnen. Neben einer individuellen Identität (ich vs. du) können sie deshalb auch eine soziale Identität als Angehörige einer sozialen Kategorie bzw. Gruppe annehmen, der sie sich zugehörig fühlen (wir vs. ihr). Dabei ist entscheidend, dass sie ihre Zugehörigkeit zur Gruppe als Teil ihres Selbstkonzeptes internalisieren, sich also tatsächlich selbst mit ihr identifizieren und nicht von anderen innerhalb oder außerhalb der Gruppe dazu gedrängt werden (Tajfel & Turner, 1986; Turner et al., 1987). In diesem „Wir“-Modus entspricht das Denken und Verhalten eines Individuums dem der jeweiligen Ingroup im Sinne eines prototypischen Konstruktes, das es in Abgrenzung von prototypischen Outgroups wahrnimmt. Auf diese Weise rücken die individuellen Persönlichkeiten aller Beteiligten – also sowohl des Selbst als auch anderer In- und Outgroup-Mitglieder – in den Hintergrund (Depersonalisierung oder Stereotypisierung). Menschen können ganz unterschiedliche soziale Identitäten annehmen, die sich aus einem einzelnen oder mehreren Merkmalen ergeben können und die je nach situativem und sozialem Kontext wechseln. Zu einem bestimmten Zeitpunkt kann aber immer nur eine soziale Identität salient und damit prägend sein (Hogg et al., 2004; Tindale & Kameda, 2000).

Hintergrund der Übernahme einer sozialen Identität ist das menschliche Motiv nach Selbstaufwertung. Demzufolge können Menschen ein positives Selbstbild erreichen, indem sie sich einer Gruppe anschließen und diese positiv von anderen Gruppen abgrenzen (Tajfel & Turner, 1986). Als zweites zentrales Motiv wird Unsicherheitsreduktion genannt. Demnach können Menschen subjektive Sicherheit und Kontrolle in ihrer sozialen Umwelt erreichen, indem sie über soziale Kategorisierung bei sich selbst und anderen Identität und Verhalten einordnen und prognostizieren (Hogg et al., 2004). Die Motive für die Übernahme einer sozialen Identität überschneiden sich stark mit den unter 3.1.1.1 vorgestellten menschlichen Grundbedürfnissen. Dadurch wird deutlich, wie universell und prägend diese Motive für menschliches Zusammenleben sind.

Die Annahmen der Theorie der sozialen Identität wurden in unzähligen Studien empirisch untermauert (einen Überblick bieten z. B. Hogg et al., 2004). Es wurde beispielsweise gezeigt, dass Menschen – je nachdem, welche Identität salient gemacht wurde – unterschiedliche Einstellungen und Emotionen gegenüber Outgroups haben (z. B. Ray et al., 2008; Verkuyten & Hagendoorn, 1998). Außerdem wurde ein als Minimal Group Paradigm bekanntes Phänomen nachgewiesen, wonach bereits anhand irrelevanter Kriterien im Labor gebildete, künstliche Gruppen zur positiven Abgrenzung bzw. Diskriminierung von anderen Gruppen neigen (Tajfel et al., 1971; siehe Balliet et al., 2014 für eine Meta-Analyse). Das Konzept der sozialen Identität hat sich wie bereits erwähnt auch in der Kleingruppenforschung bewährt, um Phänomene rund um Differenzierung und Rollenverteilung innerhalb der Gruppe, Führung, Abweichung und Verständigung zu erklären, auf die in den folgenden Kapiteln weiter eingegangen wird. Häufig wird dabei erst ab drei Personen von einer sozialen Identität gesprochen, da Dyaden nicht alle Merkmale von Gruppen aus drei oder mehr Personen erfüllen (Hogg et al., 2004). Deshalb gibt es Ansätze, die noch ein Konzept gemeinsamer Identität für Dyaden einbeziehen (z. B. Brewer & Gardner, 1996). Da die Idee eines gemeinsamen Selbstverständnisses zumindest im Wesentlichen auch auf Dyaden anwendbar ist, sollen in dieser Arbeit Gruppen ab zwei Personen aus der Perspektive sozialer Identität betrachtet werden, um kollektive Informationsverarbeitung zu erklären (siehe 2.1.1 für den hier verwendeten Gruppenbegriff).

3.1.2 Annahme 2: Gruppen als informationsverarbeitende Systeme

Annahme 2 des MCIP: Durch Social Sharedness und Combinations of Contributions ihrer Mitglieder können Gruppen als eigenes informationsverarbeitendes System funktionieren.

Aus der sozialen Ausrichtung des Menschen (siehe 3.1.1, Annahme 1) ergeben sich besondere Möglichkeiten des Zusammenwirkens in einer Gruppe. Darauf aufbauend geht die zweite Annahme des MCIP davon aus, dass Gruppen ein eigenes informationsverarbeitendes System darstellen können. Das funktioniert, indem Mitglieder einer Gruppe auf Basis geteilter Wahrnehmungen, Motive, Normen etc. (Social Sharedness) individuelle Beiträge zu einem kollektiven Prozess verbinden (Combinations of Contributions). Die Konzeptualisierung von Gruppen als informationsverarbeitendes System wurde von Hinsz et al. (1997) aus einem umfangreichen Überblick über Ergebnisse der Kleingruppenforschung abgeleitet. Auch wenn sie sich dabei primär auf aufgabenorientierte Kleingruppen beziehen, gehen sie davon aus, dass ihre Ergebnisse grundsätzlich auch auf Informationsverarbeitung durch andere Arten von Kleingruppen wie z. B. Familien übertragbar sind (Hinsz et al., 1997, S. 44). Als Grundlage für Annahme 2 wird der Ansatz im Folgenden genauer vorgestellt und um weitere Literatur ergänzt. Dazu wird zunächst auf Social Sharedness (siehe 3.1.2.1) und Combinations of Contributions (siehe 3.1.2.2) als Voraussetzungen für die Informationsverarbeitung durch Gruppen eingegangen. Schließlich wird die Struktur kollektiver Verarbeitungsprozesse beleuchtet (siehe 3.1.2.3).

3.1.2.1 Social Sharedness

Informationsverarbeitung in Gruppen erfordert laut Hinsz et al. (1997) zunächst ein Mindestmaß an Social Sharedness. Das Konzept beschreibt, inwieweit sich Zustände und Prozesse, die für Informationsverarbeitung relevant sind, zwischen den Gruppenmitgliedern überschneiden. Social Sharedness kann sich z. B. auf Informationen, kognitive Prozesse, Einstellungen, Motive, Normen oder Identitäten beziehen. Diese können bereits zwischen den Gruppenmitgliedern geteilt sein, wenn sie von vornherein z. B. derselben Norm folgen (shared), oder erst im Verarbeitungsprozess interaktiv geteilt werden, wenn sie sich z. B. auf eine gemeinsame Norm einigen (sharing). Erst durch ein gewisses Maß solcher Überschneidungen existiert eine gemeinsame Basis, auf der eine Gruppe als Einheit Informationen verarbeiten kann. Dabei stellt Social Sharedness einen dynamischen Prozess dar, in dem sich das Geteiltsein und Teilen sowie Individuen und Gruppe gegenseitig beeinflussen (Hinsz et al., 1997; Tindale & Kameda, 2000). Die Idee der Social Sharedness knüpft somit unmittelbar an die der sozialen Identität an (siehe 3.1.1.2). Soziale Identität stellt letztendlich eine besonders ausgeprägte und umfassende Form der Social Sharedness dar, nämlich eine unter den Mitgliedern einer Gruppe geteilte Identität. Aus dieser Gruppenidentität können sich weitere geteilte Einstellungen, Vorstellungen, Vorgänge etc. ergeben.

Empirisch zeigt eine Vielzahl von Studien, dass Einstellungen, Vorstellungen, Vorgänge etc. den Gruppenprozess grundsätzlich umso stärker beeinflussen, je stärker sie zwischen den Mitgliedern der Gruppe geteilt werden (für einen Überblick siehe Tindale & Kameda, 2000). Besonders bekannt ist in diesem Zusammenhang der Common Knowledge Effect, wonach Entscheidungsprozesse in Gruppen in der Regel am stärksten durch Informationen beeinflusst werden, die bereits allen Mitgliedern bekannt sind (z. B. Gigone & Hastie, 1993; Stasser & Titus, 1985). Das Phänomen tritt aber beispielsweise auch bei Einstellungen, Zielvorstellungen, Entscheidungsregeln und Identitäten auf. Die verschiedenen Aspekte können sich abhängig von ihrem Grad an Social Sharedness gegenseitig in ihrem Einfluss auf den Gruppenprozess übertreffen. In diesem Zusammenhang haben geteilte Metakognitionen bzw. Shared Mental Models (z. B. Cannon-Bowers et al., 1993; Mathieu et al., 2000) einen besonderen Einfluss auf kollektive Verarbeitungsprozesse. Sie bezeichnen Vorstellungen davon, welches Gruppenmitglied welches Wissen oder welche Aufgaben hat oder nicht hat. Ein prominentes Beispiel aus diesem Bereich ist das transaktive Gedächtnis (Wegner, 1987), also ein „Gruppengedächtnis“, das vergleichbar mit einem Computernetzwerk über die kommunikative Verknüpfung des Wissens aller Mitglieder funktioniert (Tindale & Kameda, 2000).

Während Kognitionen und Motivationen auf Gruppenebene bereits in den 80er- und 90er-Jahren umfassend erforscht wurden, werden kollektive Affekte erst in der neueren (Klein-)Gruppenforschung stärker berücksichtigt (einen umfangreichen Überblick bieten z. B. Scheve & Salmella, 2014). Dort zeigt sich, dass Menschen im Zusammenhang mit ihrer sozialen Identität Affekte als Gruppenmitglied – und nicht als Individuum – empfinden können und somit sozial geteilte „Gruppenemotionen“ möglich sind (Smith, 1993; Smith et al., 2007). Diese spielen z. B. für die Identität, Normen und Zusammenarbeit in der Gruppe eine Rolle und prägen damit ebenfalls kollektive Verarbeitungsprozesse (van Kleef & Fischer, 2016).

3.1.2.2 Combinations of Contributions

Um Informationsverarbeitung auf Gruppenebene zu ermöglichen, reicht Social Sharedness (siehe 3.1.2.1) alleine nicht aus – die Gruppenmitglieder müssen zusätzlich zusammenwirken. Um dieses Zusammenwirken genauer zu beschreiben, haben Hinsz et al. (1997) in Einklang mit diversen Ergebnissen der Kleingruppenforschung den meta-theoretischen Ansatz der Combinations of Contributions entwickelt. Um Informationen verarbeiten zu können, muss eine Gruppe demnach 1) identifizieren, welche relevanten Beiträge ihre Mitglieder auf Individualebene zum Gruppenprozess beisteuern können und diese verschiedenen Beiträge 2) auf Gruppenebene kombinieren. Solche individuellen Beiträge können beispielsweise Ressourcen, Fähigkeiten oder Wissen sein. Die Kombination der Beiträge findet dann in einem interaktiven bzw. kommunikativen Prozess statt, indem diese auf Gruppenebene aggregiert, verknüpft oder transformiert werden (Hinsz et al., 1997).

Das Muster der Combinations of Contributions findet sich implizit in vielen Erkenntnissen der Kleingruppenforschung wieder, beispielsweise dem transaktiven Gedächtnis (Wegner, 1987), bei dem das Wissen der Mitglieder die Beiträge und der kommunikative Zugriff bzw. die kommunikative Verknüpfung die Kombination darstellen. Ein anderes Beispiel sind Social Decision Schemes (Davis, 1973), also gemeinsame Entscheidungsprinzipien einer Gruppe, nach denen die Positionen ihrer Mitglieder zu einer gemeinsamen Antwort kombiniert werden können (Für einen Überblick und weitere Beispiele siehe Hinsz et al., 1997).

Wie eingangs erwähnt, ist der Ansatz der Combinations of Contributions unmittelbar mit dem Konzept der Social Sharedness verknüpft: Erst durch ein gewisses Maß an Social Sharedness – insbesondere einer unter den Gruppenmitgliedern geteilten, entsprechenden Motivation – kann eine Kombination von Beiträgen stattfinden. Gleichzeitig kann durch Combinations of Contributions – also einen interaktiven Prozess in dem sich Gruppenmitgieder auf gemeinsame Einstellungen, Vorstellungen, Vorgänge etc. abstimmen – Social Sharedness entstehen. Beide Konzepte sind damit ineinander verschachtelt und können sich auf verschiedenen Ebenen beobachten lassen und gegenseitig verstärken. Trotzdem lassen sie sich klar differenzieren: Social Sharedness bezieht sich auf das reine Ausmaß an geteilten Einstellungen, Vorstellungen, Vorgängen etc. Combinations of Contributions bezeichnen dagegen den Prozess der Integration individueller Beiträge, wobei die einzelnen Beiträge nicht bereits von allen Mitglieder geteilt sein müssen. Zusammen zeigen diese Ansätze, wie individuelle und kollektive Informationsverarbeitung auf Gruppenebene zusammenwirken können.

3.1.2.3 Struktur kollektiver Verarbeitungsprozesse

Wie unter 3.1.2.1 und 3.1.2.2 gezeigt wurde, kann durch die kommunikative Verknüpfung der Beiträge einzelner Mitglieder ein eigener kohärenter Verarbeitungsprozess auf Gruppenebene entstehen. Da dieser Prozess über die Summe seiner Teile hinausgeht, erscheint es sinnvoll, Gruppen als eigene informationsverarbeitende Systeme zu betrachten. Hinsz et al. (1997) haben in diesem Zusammenhang gezeigt, dass kollektive Informationsverarbeitungsprozesse im Kern die gleichen Elemente haben wie individuelle Informationsverarbeitungsprozesse: Auch Gruppen verarbeiten Informationen auf Basis eines (in diesem Fall kollektiven) a) Verarbeitungszieles. Sie können ihre b) Aufmerksamkeit verschiedenen Informationen zu- oder von ihnen abwenden. Außerdem können Gruppen Informationen c) enkodieren (d. h. strukturieren und interpretieren), d) speichern und weitere, im Verarbeitungsprozess benötigte Informationen e) abrufen. Diese können sie dann auf Basis des Verarbeitungszieles anhand verschiedener Techniken wie z. B. Heuristiken oder anderer Entscheidungsregeln f) verarbeiten und eine g) Antwort wie z. B. ein Urteil oder eine Lösung generieren. Schließlich können sie auch h) Feedback mit einbeziehen und durch all diese Schritte Lernprozesse durchlaufen. Zusätzlich lässt sich aus den Ausführungen zu Social Sharedness (siehe 3.1.2.1) ableiten, dass Gruppen ähnlich wie Individuen über Motivationen, kognitive Ressourcen und Affekte verfügen können, die für ihre Informationsverarbeitung relevant sind.

Neben den strukturellen Gemeinsamkeiten, die kollektive Verarbeitungsprozesse mit individuellen Verarbeitungsprozessen haben, weisen diese aber auch Besonderheiten auf. Die erste zentrale Besonderheit ist, dass Gruppen bei den Mustern ihrer Informationsverarbeitung durch die Notwendigkeit von Social Sharedness insgesamt zu weniger Variabilität neigen als potenziell durch ihre Mitglieder vorhanden wäre. Stattdessen treten in kollektiven Prozessen verstärkt die Aspekte hervor, die bereits unter den Gruppenmitgliedern vorhanden sind und geteilt werden. Daraus ergibt sich, dass Verarbeitungsprozesse auf Gruppenebene generell sogar prototypischer sind als auf Individualebene (z. B. Chalos & Pickard, 1985). Diese vergleichsweise homogenen und ausgeprägten Verarbeitungsmuster können in alle Richtungen deuten – Gruppen können Informationen also beispielsweise besonders oberflächlich, aber auch besonders elaboriert verarbeiten (einen Überblick dazu bieten z. B. Hinsz et al., 1997, S. 50).

Die zweite zentrale Besonderheit kollektiver Informationsverarbeitung ist, dass kollektive Verarbeitungsprozesse von zusätzlichen gruppenspezifischen Faktoren geprägt werden. Das betrifft zunächst die Eigenschaften des Verarbeitungsprozesses, zu dem auf Gruppenebene z. B. spezifische Arten der Verständigung und zwischenmenschliche Emotionen gehören können (siehe 3.2.1.1 und 3.2.2.1 für Details). Des Weiteren werden kollektive Prozesse auch durch zusätzliche Einflussfaktoren geprägt. Zu ihnen gehört insbesondere das Ausmaß an Social Sharedness von Motivationen, kognitiven Ressourcen und Affekten. Neben der Ausprägung eines Merkmales auf Gruppenebene (z. B. welche kollektive Einstellung eine Gruppe hat) ist also auch dessen Verteilung innerhalb der Gruppe (z. B. wie homogen oder heterogen die Einstellungen unter den Mitgliedern sind) relevant für den gemeinsamen Verarbeitungsprozess (siehe 3.2.1.2 und 3.2.2.2 für Details). Damit verbunden wird der kollektive Verarbeitungsprozess durch verschiedene soziale Einflüsse aus der Gruppe selbst – wie Normen, Mehrheiten und Meinungsführer:innen – beeinflusst. Auf sie und die entsprechende Konformität bzw. Abweichung der Mitglieder wird im Folgenden unter 3.1.3 näher eingegangen. Schließlich sind kollektive Verarbeitungsprozesse auch mit gruppenspezifischen Auswirkungen verbunden, die nicht nur die Ausprägung, sondern auch die Verteilung von Merkmalen in der Gruppe betreffen können (siehe 3.2.1.3 und 3.2.2.3 für Details).

3.1.3 Annahme 3: Soziale Einflüsse und Konformität

Annahme 3 des MCIP : Soziale Einflüsse aus der Gruppe und Konformität durch Gruppenmitglieder ergeben sich aus ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe und sind Bestandteil des kollektiven Prozesses.

Wie unter 3.1.2.3 dargelegt wurde, werden Gruppen bei ihrer Informationsverarbeitung von sozialen Einflüssen aus der Gruppe – insbesondere von Normen, Mehrheiten und Meinungsführer:innen – geprägt. Ihre Mitglieder können auf solche Einflüsse mit Konformität oder Abweichung reagieren. Die dritte Annahme des MCIP geht davon aus, dass soziale Einflüsse und entsprechende Konformität fester Bestandteil des kollektiven Prozesses sind. Sie helfen der Gruppe, sich selbst zu regulieren. Im Folgenden wird Annahme 3 untermauert. Dazu wird genauer darauf eingegangen, welche Rolle soziale Einflüsse durch Normen, Mehrheiten und Meinungsführer:innen (siehe 3.1.3.1) und Konformität und Abweichung (siehe 3.1.3.2) bei der kollektiven Informationsverarbeitung spielen.

3.1.3.1 Soziale Einflüsse: Normen, Mehrheiten und Meinungsführer:innen

Zu den zentralen sozialen Einflüssen, die kollektive Informationsverarbeitung prägen können, zählen erstens Normen. Sie legen prototypisch fest, welches Verhalten mit einer Gruppenmitgliedschaft verbunden ist und sind damit sowohl Folge als auch Ausdruck einer gemeinsamen sozialen Identität (siehe 3.1.1.2). Dabei können sie ganz unterschiedliche Formen und Ausprägungen annehmen (Hogg et al., 2004). Gruppennormen können also als eine Art „Meta-Einflussfaktor“ betrachtet werden, da sich eine Gruppe über sie definiert und sie Gruppenprozesse grundsätzlich immer beeinflussen. Dadurch spielen sie bei sämtlichen sozialen Einflüssen (d. h. auch Einflüssen durch Mehrheiten oder Meinungsführer:innen) eine Rolle.

Zweitens kann Informationsverarbeitung in Gruppen durch eine Mehrheit innerhalb der Gruppe beeinflusst werden. Das ergibt sich schon alleine aufgrund der Bedeutung von Social Sharedness für kollektive Informationsverarbeitung (siehe 3.1.2.1). Tatsächlich entscheiden Gruppen empirisch häufig – aber nicht immer – nach dem Mehrheitsprinzip. Das ist insbesondere der Fall, wenn keine klar demonstrierbare richtige Antwort existiert. Gruppen können sich aber auch an anderen Prinzipien als an ihrer Mehrheit orientieren, wenn diese für sie zentraler sind (Tindale & Kameda, 2000).

Drittens können kollektive Verarbeitungsprozesse durch Meinungsführer:innen beeinflusst werden, die hier allgemein als Individuen mit besonderem Einfluss auf die Gruppe und ihren Informationsverarbeitungsprozess verstanden werdenFootnote 1. Aus Gruppenperspektive betrachtet sind Meinungsführer:innen besonders prototypische Mitglieder, die sich stark mit der Gruppe identifizieren und besonderes Vertrauen unter den anderen Mitgliedern genießen. Gleichzeitig dürfen sie in ihrer Rolle innovativer und unangepasster sein als andere Gruppenmitglieder. Dabei stehen sie vielmehr im Dienste der Gruppe als die Gruppe im Dienste der Meinungsführer:innen (Hogg et al., 2004). Auch kognitiv zentrale Mitglieder einer Gruppe, die einen großen Anteil an mit anderen Gruppenmitgliedern geteilter Information und damit eine Art Expert:innenrolle haben, können besonders einflussreich sein (Tindale & Kameda, 2000). Da es sich dabei immer um Expert:innen aus Perspektive der Gruppe – und nicht aufgrund objektiver Kriterien – handelt, werden sie im Folgenden als Unterkategorie von Meinungsführer:innen betrachtet.

Die genannten sozialen Einflüsse setzen allesamt Social Sharedness voraus und stellen jeweils eine spezifische Form der Combinations of Contributions dar (siehe 3.1.2.2): Im Fall der Gruppennormen werden verschiedene Beiträge der einzelnen Mitglieder auf Gruppenebene zunächst zu einer kollektiven Identität und dann zu entsprechenden Verhaltensregeln kombiniert. Bei Einflüssen einer Mehrheit wird aus den Beiträgen der einzelnen Mitglieder durch die ganze Gruppe die in ihr am stärksten verbreitete Position abgeleitet. Und bei Einflüssen von Meinungsführer:innen wird der Beitrag eines bestimmten Mitgliedes von der Gruppe als besonders maßgeblich gewertet. Allen genannten sozialen Einflüssen liegen also Prinzipien zugrunde, die zentraler Bestandteil kollektiver Informationsverarbeitungsprozesse sein können und damit nicht nur einzelnen Mitgliedern, sondern der Gruppe als Ganzes zuzurechnen sind. In der Regel sind Gruppen dabei aber keine vollständig homogenen Einheiten, die vollumfänglich durch Normen, Mehrheiten oder Meinungsführer:innen beeinflusst werden. Stattdessen existieren innerhalb einer Gruppe verschiedene Rollen und gegebenenfalls Untergruppen, sodass sie ein gewisses Maß an Heterogenität aufweisen und in unterschiedlichem Ausmaß durch vielfältige und dynamische soziale Einflüsse geprägt werden (Hogg et al., 2004).

Die Rolle der verschiedenen sozialen Einflüsse wird im Verlauf der Arbeit noch spezifiziert. Aus der sozialen Identität und den Normen einer Gruppe ergeben sich verschiedene Faktoren, die den kollektiven Verarbeitungsprozess beeinflussen. Diese werden unter 3.2.1.2 und 3.2.2.2 genauer beleuchtet. Unter 3.2.1.1 und 3.2.2.1 wird genauer darauf eingegangen, wie und unter welchen Umständen kollektive Verarbeitungsprozesse von Mehrheiten und Meinungsführer:innen beeinflusst werden können.

3.1.3.2 Konformität und Abweichung

Die Kehrseite von sozialen Normen, Mehrheiten und Meinungsführer:innen in Gruppen ist Konformität bzw. Abweichung durch Gruppenmitglieder. In der Regel ist die Konformität eines Gruppenmitgliedes zu sozialen Einflüssen umso stärker, je ausgeprägter und salienter dessen soziale Identität ist (siehe 3.1.1.2). Sie entsteht typischerweise, indem Gruppenmitglieder aus Beobachtungen für ihre Gruppe prototypische Normen ableiten und diese dann im Rahmen eines Selbstkategorisierungsprozesses internalisieren. Unter diesen Umständen handelt es sich also um keine rein extrinsisch motivierte Zustimmung aufgrund sozialen Zwangs, sondern um einen intrinsisch motivierten Anpassungsprozess auf Individualebene. Dabei ist ein gewisses Maß an Konformität zu Gruppennormen (und damit auch zu Mehrheiten oder Meinungsführer:innen) grundsätzlich sowohl für die einzelnen Mitglieder als auch für die Gruppe als Ganzes funktional, da die Gruppe so homogen und positiv abgrenzbar bleibt, ihre Mitglieder sich als zugehörig einordnen können und Konflikte innerhalb der Gruppe vermieden werden können (Hinsz et al., 1997; Hogg et al., 2004; Tindale & Kameda, 2000). Mit Blick auf Informationen kann Konformität die Gruppe und ihre Mitglieder zudem vor fehlerhaften individuellen Wahrnehmungen und Erinnerungen schützen (Caporael, 1997). In Bezug auf Emotionen kann Konformität bei der Einordnung und beim Umgang mit sozialen Situationen helfen (Bruder et al., 2014; Van Kleef, 2009). Konformität in und zu einer Gruppe spielt also eine Schlüsselrolle, um Social Sharedness und damit kollektive Informationsverarbeitung zu ermöglichen (siehe 3.1.2). Sie hilft dabei, auf Individual- und Gruppenebene menschliche Grundbedürfnisse wie Zugehörigkeit, Verständnis und Kontrolle der sozialen Umwelt, Selbstaufwertung und Vertrauen in andere zu erfüllen (3.1.1.1). Gleichzeitig macht ein gewisses Maß an Heterogenität – und damit Abweichung – Gruppen aber auch weniger anfällig für extreme Gruppendynamiken (s. u.), sodass sie Informationen tiefgehender und umfassender verarbeiten können (Hinsz et al., 1997; Hogg et al., 2004).

Die Konformität zu einer Gruppe kann je nach sozialer Identität und Rahmenbedingungen verschieden stark ausgeprägt sein. Am oberen Ende dieses Kontinuums steht das Phänomen der Deindividuation. Es beschreibt einen Zustand, in dem sich Mitglieder einer Gruppe (scheinbar) nicht mehr als Individuen, sondern nur nochals Teil der Gruppe begreifen und dabei auch bereit sind, gegen gesellschaftliche Normen zu verstoßen, die sie außerhalb der Gruppe einhalten würden (Festinger et al., 1952; Vilanova et al., 2017). Das Social Identity Model of Deindividuation Effects (SIDE) erklärt dieses Phänomen damit, dass Gruppennormen für die Mitglieder in solchen Situationen salienter sind als allgemeine gesellschaftliche Normen (Reicher et al., 1995). Das Modell wurde durch eine Meta-Analyse gestützt (Postmes & Spears, 1998) und kann beispielsweise auch antinormatives Verhalten in Online-Umgebungen erklären (Chen & Wu, 2015). Im Zusammenhang mit extremer Konformität in Gruppen werden darüber hinaus Phänomene wie Groupthink (Janis, 1982; siehe Mullen et al., 1994 für eine Meta-Analyse) oder Group Centrism (Kruglanski et al., 2006) beschrieben. Sie bezeichnen kollektive Verhaltensmuster, die sich durch ausgeprägte Gruppennormen und Konformitätsdruck, Abgrenzung und Überhöhung der Ingroup, Unterstützung autokratischer Meinungsführer:innen und eingeschränkte Informationsverarbeitung kennzeichnen.

Auf der anderen Seite können Mitglieder auch von ihrer Gruppe abweichen. Je weniger prototypisch ein Gruppenmitglied ist und je schwächer dessen soziale Identität ausgeprägt ist, desto weniger orientiert es sich an den jeweiligen Gruppennormen (eine Ausnahme bilden sehr zentrale Gruppenmitglieder bzw. Meinungsführer:innen, die in ihrer Rolle auch unangepasster sein können, s. o.) (Hinsz et al., 1997; Hogg et al., 2004). Gruppen und ihre Mitglieder können abhängig von den jeweiligen Umständen unterschiedlich mit solchen Abweichungen umgehen. Wenn Vielfalt innerhalb der Gruppe Teil ihrer Identität und Normen ist, dürfte sie Abweichungen sogar unterstützen und von ihnen profitieren (s. o.). Wenn solche Abweichung die Identität der Gruppe bedrohen, tritt allerdings der Black Sheep Effect (Marques et al., 1988) auf und die abweichenden Gruppenmitglieder werden noch stärker abgelehnt als Mitglieder einer Outgroup (Hogg et al., 2004). Dabei reagieren andere Gruppenmitglieder umso negativer auf sie, je ausgeprägter ihre eigene Identifikation mit der Gruppe ist (Coull et al., 2001). Außerdem werden zentrale Gruppenmitglieder bei Abweichungen negativer bewertet und eher sanktioniert, da diese die Gruppenidentität in besonderem Maße gefährden. Bei Abweichungen neuerer Gruppenmitglieder steht für den Rest der Gruppe dagegen im Vordergrund, sie im Rahmen eines Sozialisationsprozesses argumentativ von konformem Verhalten zu überzeugen (Pinto et al., 2010).

Aus der Perspektive der sozialen Identität agieren einzelne Mitglieder also trotz potenzieller Abweichungen nicht gegen, sondern in und mit ihrer Gruppe. Umso weniger dies der Fall ist und umso grundlegender die Abweichungen eines Individuums sind, desto weniger kann es als Mitglied der jeweiligen Gruppe betrachtet werden.

3.2 Mehrprozess-Perspektive auf kollektive Informationsverarbeitung

Unter 3.1 wurde dargelegt, warum und wie Gruppen als sinnvolle informationsverarbeitende Einheiten betrachtet werden können. Die Kernpunkte wurden in Annahmen 1–3 zusammengefasst und bilden die Basis des MCIP. Nun soll es darum gehen, wie kollektive Informationsverarbeitungsprozesse genauer charakterisiert und systematisiert werden können. Als Methode der Theoriebildung wurden hier auf Individualebene gängige Unterscheidungen auf die Gruppenebene angewandt und mit bisheriger Gruppenforschung verbunden. Als Nächstes wurden zwei auf diese Weise hergeleitete Unterscheidungsdimensionen in einer Vierfeldermatrix systematisiert.

Individuelle Informationsverarbeitung dient aus zwei Gründen als erster Orientierungspunkt: Erstens wurde sie bisher wesentlich besser untersucht als kollektive Informationsverarbeitung. Zweitens hat sich bereits unter 3.1.2.3 abgezeichnet, dass es universelle Strukturen menschlicher Informationsverarbeitung gibt, die sowohl auf Individual- als auch auf Gruppenebene vorhanden sind. Auf Individualebene haben sich verschiedene Mehrprozess-Modelle bzw. -Ansätze bewährt, um Informationsverarbeitung bzw. Medienrezeption zu beschreiben, erklären und vorherzusagen (z. B. Bartsch & Schneider, 2014; Chaiken et al., 1989; Forgas, 1995; Lang, 2006; Petty & Cacioppo, 1986). Es erscheint folgerichtig, bei Gruppen von vergleichbaren Verarbeitungsmodi auszugehen. Diese Idee wurde in der Literatur bisher nur selten und in Ansätzen in theoretischen Modellen ausgearbeitet (z. B. De Dreu et al., 2008).

Im Folgenden werden deshalb Systematik (siehe 3.2.1) und Offenheit (siehe 3.2.2) als grundlegende Dimensionen kollektiver Informationsverarbeitung vorgestellt. Anschließend wird dargelegt, wie sich beide Dimensionen in einem 4-Modi-Modell integrieren lassen (siehe 3.2.3). Jeder dieser Punkte stellt jeweils eine weitere Annahme des MCIP dar. Aus Annahmen 4–6 ergibt sich somit eine Mehrprozessperspektive auf kollektive Informationsverarbeitung, die das Herzstück des MCIP bildet.

3.2.1 Annahme 4: Verarbeitungsdimension Systematik

Annahme 4 des MCIP: Kollektive Informationsverarbeitung kann auf einem Kontinuum von automatisch (= einfach) bis systematisch (= sorgfältig) differenziert werden.

Die vierte Annahme des MCIP bezieht sich auf Systematik als eine zentrale Dimension menschlicher Informationsverarbeitung. Demnach bewegt sich kollektive Informationsverarbeitung auf einem Kontinuum zwischen rein automatischer und systematischer Informationsverarbeitung. Auf Individualebene hat sich diese grundsätzliche Unterscheidung – mit unterschiedlichen Bezeichnungen – in diversen Zwei- und Mehrprozessansätzen bewährt. Zu ihnen gehört z. B. die Arbeit von Kahneman (2012, System 1 vs. System 2), das ELM (Petty & Cacioppo, 1986, peripher vs. zentral), das HSM (Chaiken et al., 1989, heuristisch vs. systematisch), das LC4MP (Lang, 2006, automatisch vs. kontrolliert) oder das Dual-Process Model of Entertainment Experience (Bartsch & Schneider, 2014, heuristisch vs. elaboriert). Für das MCIP wird diese Perspektive auf die Gruppenebene angewandt und Annahme 4 so untermauert. Dabei wurde als weitere Methode der Theoriebildung eine Kausalkette durchdekliniert: Im Folgenden werden zentrale Eigenschaften (siehe 3.2.1.1), Einflussfaktoren (siehe 3.2.1.2) und Auswirkungen (siehe 3.2.1.3) automatischer vs. systematischer Informationsverarbeitung in Gruppen vorgestellt, die sich aus den Ergebnissen bisheriger Forschung ableiten lassen. Bei ihnen handelt es sich jeweils nur um eine erste Auswahl an konkreten Faktoren, die besonders zentral erschienen, aber durch zukünftige Forschung noch ergänzt werden könnten.

3.2.1.1 Eigenschaften

In einem ersten Schritt werden die Eigenschaften automatischer vs. systematischer Informationsverarbeitung in Gruppen dargelegt. Dazu wird zunächst die Definition der beiden Ausprägungen auf Individualebene erläutert und dann auf die Gruppenebene übertragen. Anschließend wird noch auf die mögliche Verbindung eines automatischen vs. systematischen Verarbeitungsmodus mit spezifischen Arten der Verständigung und Affekten in Gruppen eingegangen.

Definition auf Individualebene

Auf Individualebene kennzeichnet sich ein automatischer Modus durch einfache und dadurch oft eingeschränkte und oberflächliche Informationsverarbeitung. Dabei werden häufig Heuristiken verwendet, d. h. effiziente aber eher unpräzise Entscheidungsregeln (Tversky & Kahneman, 1974). Automatische Informationsverarbeitung läuft meist unbewusst ab und erfordert keine hohe Motivation. Sie ist insgesamt wenig voraussetzungsreich und hilft somit, Ressourcen zu sparen und sich in einer komplexen Welt zurechtzufinden. Ein systematischer Modus kennzeichnet sich dagegen durch die sorgfältige und damit in der Regel umfangreiche und tiefgehende Auseinandersetzung mit Informationen. Dabei werden z. B. Informationen miteinander verknüpft und Argumente geprüft. Systematische Informationsverarbeitung läuft bewusst ab und erfordert ein hohes Maß an Motivation. Damit ist sie wesentlich aufwändiger bzw. voraussetzungsreicher als automatische Informationsverarbeitung (Bartsch & Schneider, 2014; Chaiken et al., 1989; Kahneman, 2012; Lang, 2006; Petty & Cacioppo, 1986). Im Kern lässt sich also zusammenfassen, dass sich systematische Informationsverarbeitung durch besondere Breite, Tiefe und Motivation kennzeichnet.

Während automatische Informationsverarbeitung immer stattfindet, findet systematische Informationsverarbeitung nur manchmal und unterschiedlich stark statt, sodass sie automatische Prozesse mehr oder weniger überlagern kann (Petty & Wegener, 1999). Auf diese Weise entsteht effektiv ein Kontinuum von ausschließlich automatischer bis hin zu voll ausgeprägter systematischer Informationsverarbeitung. Im Folgenden wird aber vereinfachend von zwei Modi gesprochen.

Aus einer normativen Perspektive dürfte systematische Informationsverarbeitung als generell wünschenswerter erscheinen. Automatische Informationsverarbeitung ist für Menschen aber unverzichtbar, um trotz begrenzter kognitiver Ressourcen orientierungs-, urteils- und handlungsfähig zu bleiben (Pendry, 2007).

Übertragung auf die Gruppenebene

Vor dem Hintergrund der Funktionsweise von Gruppen als eigene informationsverarbeitende Systeme (siehe 3.1.2) erscheint es plausibel, dass auch Gruppen Informationen mehr oder weniger systematisch verarbeiten können. Genauso wie ein individueller Denkprozess dürfte auch ein kollektiver Denkprozess – d. h. ein Gespräch – unterschiedlich breit, tiefgehend und motiviert ausfallen können. Tatsächlich zeichnet sich in der Literatur zu Kleingruppenprozessen bereits seit längerer Zeit ab, dass sich auch kollektive Informationsverarbeitung auf einem Kontinuum zwischen automatisch und systematisch bewegt. Diese Differenzierung wird eher selten explizit und ausführlicher behandelt (z. B. De Dreu et al., 2008; Scholten et al., 2007), aber immer wieder impliziert (siehe z. B. Hinsz et al., 1997 für einen Überblick) und lässt sich aus verschiedenen Erkenntnissen der Kleingruppenforschung ableiten.

Auf der einen Seite gibt es dort Phänomene, die einen oberflächlichen, automatischen Verarbeitungsmodus auf Gruppenebene nahelegen: Es wurde z. B. gezeigt, dass auch Gruppen aus der individuellen Informationsverarbeitung bekannte Heuristiken verwenden (z. B. Argote et al., 1990) und auf weitere gruppenspezifische Heuristiken zurückgreifen können (z. B. Mehrheit, s. u. für Details). Zu einem automatischen Modus passt zudem der Common Knowledge Effect (Gigone & Hastie, 1993), wonach Gruppen dazu neigen, immer wieder über bereits allen bekannte Informationen zu sprechen (siehe Lu et al., 2012 für eine Meta-Analyse). Schließlich entspricht auch das unter 3.1.3.2 erwähnte Phänomen des Groupthink – also besonders irrationaler Verarbeitungsprozesse in Gruppen (Janis, 1982; siehe Mullen et al., 1994 für eine Meta-Analyse) – einem automatischen Verarbeitungsmodus.

Auf der anderen Seite gibt es in der Kleingruppenforschung auch Phänomene, die einem sorgfältigen systematischen Verarbeitungsmodus auf Gruppenebene entsprechen: Zu ihnen gehört z. B. das unter 3.1.2.2 erwähnte transaktive Gedächtnis (Wegner, 1987), also ein leistungsfähiges kollektives Gedächtnis von Gruppen, das das Wissen der verschiedenen Mitglieder und das Meta-Wissen um seine Verteilung beinhaltet (siehe Zhou & Pazos, 2020 für eine Meta-Analyse). Ein weiteres Beispiel ist kollektive Intelligenz, also die Fähigkeit von Gruppen, unterschiedliche komplexe Aufgaben zu lösen. Sie ist anhand eines kollektiven Intelligenzquotienten messbar und lässt sich nicht durch die Intelligenzquotienten einzelner Gruppenmitglieder, sondern durch die Art der Zusammenarbeit der Gruppe erklären (Woolley et al., 2010). Schließlich kann auch demokratische Deliberation in Gruppen (Gutmann & Thompson, 1996; Habermas, 1990) – also die gemeinsame, gleichberechtige, aufeinander bezogene und aufgeschlossene Abwägung von Argumenten – als Form systematischer kollektiver Verarbeitung verstanden werden (zusammenfassende Definition und Forschungsüberblick bei Mendelberg, 2002).

Verschiedene quantitative und qualitative Studien deuten darauf hin, dass speziell auch die kollektive Medienrezeption auf einem Kontinuum von rein automatisch bis systematisch stattfindet. So demonstrierte z. B. Klemm (2000), dass die Funktionen von fernsehbegleitenden Gesprächen von gemeinsamen oberflächlichen Vergnügen bis hin zur tiefergehenden interaktiven Verständnissicherung und Deutung der Inhalte reicht. Ähnlich zeigte Friemel (2010), dass Gespräche über Medien dem Eskapismus oder schneller und einfacher Information, aber auch tiefergehender kognitiver Verarbeitung und Persuasion dienen können. Haas (2014) zeigte anhand eines Index für Reflective Integration, dass Gespräche über Medien mehr oder weniger elaboriert sein können. Schließlich lieferte eine qualitative Beobachtung explizite Hinweise auf automatische vs. systematische Medienrezeption in Kleingruppen (Schindler & Bartsch, 2019).

Verbindung mit Arten der Verständigung

Eine Besonderheit kollektiver Verarbeitungsprozesse ist, dass sie auf Basis von Combinations of Contributions stattfinden und somit mit verschiedenen für Gruppen spezifischen Arten der kollektiven Verständigung verbunden sind (siehe auch Metakognitionen bzw. Shared Mental Models unter 3.1.2.2). Diese setzt entsprechende Social Sharedness voraus (siehe 3.1.2.1) und dürfte sich je nachdem unterscheiden, ob eine Gruppe Informationen primär automatisch oder systematisch verarbeitet. Im Folgenden wird deshalb genauer darauf eingegangen, wie verschiedene Möglichkeiten der Verständigung mit dem Ausmaß an Systematik des kollektiven Prozesses verbunden sein könnten.

Zunächst einmal können Gruppen Informationen unter mehr oder weniger gleicher Beteiligung ihrer Mitglieder verarbeiten. Systematische kollektive Verarbeitung dürfte eher mit einer gleich starken Beteiligung aller Gruppenmitglieder einhergehen, da diese ein Wesensmerkmal demokratischer Deliberation ist (s. o.; Mendelberg, 2002). Tatsächlich wurde gezeigt, dass Gruppen mit gleichmäßigem Turn Taking (d. h. gleichmäßiger Beteiligung ihrer Mitglieder) einen höheren kollektiven Intelligenzquotienten haben (Woolley et al., 2010).

Unabhängig vom Ausmaß der Beteiligung der einzelnen Mitglieder während des Prozesses haben Gruppen verschiedene Möglichkeiten, zu einem Urteil oder einer Entscheidung zu finden (vgl. auch die Social Decision Scheme Theory; Davis, 1973). Sie können sich z. B. an einer internen Mehrheit orientieren (siehe auch 3.1.3.1). Individuen neigen vor allem in einem automatischen Verarbeitungsmodus dazu, Mehrheitspositionen zu übernehmen (Martin et al., 2007). Dies könnte auch bei Gruppen der Fall sein. Dazu passt die Beobachtung, dass Gruppen sich im Regelfall an der Mehrheit orientieren und nur in besonderen Fällen davon abweichen (Tindale & Kameda, 2000).

Darüber hinaus können sich Gruppen bei der gemeinsamen Informationsverarbeitung auch an Meinungsführer:innen (inklusive Expert:innen) aus ihrer Mitte orientieren (siehe auch 3.1.3.1). Einerseits könnte dies als klassische Heuristik gewertet werden, um mit geringem Aufwand ein akzeptables Ergebnis zu erzielen (Petty & Cacioppo, 1986). In diesem Fall wäre die Orientierung an Meinungsführer:innen innerhalb der Gruppe ein Merkmal automatischer kollektiver Verarbeitung. Andererseits könnte sie aber auch eine reflektierte Entscheidung sein, um möglichst das aus Gruppenperspektive beste Ergebnis zu erzielen und wäre dann eher Merkmal eines systematischen Prozesses. So wurde z. B. gezeigt, dass sich Gruppen nur bei schwierigeren Problemen auf Expert:innen verließen, nicht aber bei leichteren, denen sich die anderen Mitglieder vermutlich besser gewachsen fühlten (Bonner et al., 2002). Außerdem wurde gezeigt, dass Hierarchien (und damit die Orientierung an Meinungsführer:innen) die Leistung von Gaming-Teams verbesserten (Y. J. Kim et al., 2017).

Schließlich können sich Gruppen bei der gemeinsamen Informationsverarbeitung auch inhaltlich durch Argumente überzeugen lassenFootnote 2. Diese Art der Verständigung ist per Definition mit systematischer Verarbeitung im Allgemeinen und demokratischer Deliberation (s. o.; Mendelberg, 2002) verbunden. Es zeigt sich auch empirisch, dass sich Gruppen von internen Minderheiten überzeugen lassen, wenn diese demonstrieren können, dass ihre Lösung korrekt ist (Laughlin, 1980).

Verbindung mit Affekten

Bei der kollektiven Informationsverarbeitung spielen auch Affekte auf Gruppenebene eine Rolle, indem sie z. B. die Interaktion der Gruppenmitglieder unterstützen (van Kleef & Fischer, 2016). An dieser Stelle geht es um Affekte als Merkmal automatischer vs. systematischer Informationsverarbeitung in Gruppen – Affekte als Einflussfaktoren bzw. Auslöser bestimmter Modi werden unter 3.2.1.2 besprochen.

Für das Ausmaß an Systematik bei kollektiver Informationsverarbeitung könnte Humor eine besondere Rolle spielen. Humor ist kein genuiner Affekt, hat aber eine zentrale affektive Komponente und wird deshalb an dieser Stelle eingeordnet. In einem Arbeitskontext wurde gezeigt, dass Humor in Gruppen Bestandteil eines systematischen Modus sein kann, da er z. B. effektive Kommunikation, die Entwicklung gemeinsamer Ziele und den Umgang mit Emotionen vereinfacht (Romero & Pescosolido, 2008). Humor könnte im kollektiven Verarbeitungsprozess auch als Pause dienen, die Gruppen anschließend wieder eine systematischere Verarbeitung erleichtert (Schindler & Bartsch, 2019). Auf der anderen Seite passt Humor auch gut zu einem automatischen Modus, wie er sich z. B. beim gemeinsamen Fernsehen beobachten lässt, wenn sich Kleingruppen unterhaltsam und scherzhaft mit den Inhalten auseinandersetzen (Klemm, 2000).

Darüber hinaus dürfte sich ein systematischer kollektiver Verarbeitungsprozess durch stärkere Leidenschaft kennzeichnen als ein rein automatischer Prozess. Auch bei Leidenschaft handelt es sich um keinen klassischen Affekt, aber um starke positive Affekte gegenüber einer Aktivität besonderer persönlicher (bzw. in diesem Fall kollektiver) Relevanz (Vallerand et al., 2003). Die Verbindung mit Leidenschaft ergibt sich aus der besonderen Motivation, die Wesensmerkmal und Voraussetzung systematischer Informationsverarbeitung ist. So wurde z. B. gezeigt, dass Teams aus Unternehmer:innen, die besonders leistungsfähig sind, auch besonders leidenschaftlich zusammenarbeiten (Uy et al., 2021).

3.2.1.2 Einflussfaktoren

Nachdem die Eigenschaften automatischer vs. systematischer Informationsverarbeitung in Gruppen dargelegt wurden, soll es nun darum gehen, wesentliche Einflussfaktoren auf die beiden Ausprägungen zu identifizieren. Dazu werden spezifische Motivationen, kognitive Ressourcen und Affekte auf Gruppenebene thematisiert, die mehr oder weniger systematische kollektive Informationsverarbeitung begünstigen könnten. Sie können sich aus dem Zusammenspiel aus Eigenschaften der Gruppe, der Situation und der Botschaft ergeben. Im Hintergrund stehen dabei die jeweilige soziale Identität (siehe 3.1.1.2) und die damit verbundenen Normen der Gruppe (siehe 3.1.3.1). Wo es besonders relevant erscheint, wird nicht nur auf die Ausprägung eines Faktors auf Gruppenebene, sondern auch die Heterogenität seiner Ausprägung bei den verschiedenen Mitgliedern eingegangen.

Motivationen: Themenbedeutung und wahrgenommenes Meinungsklima

Zunächst einmal dürfte die Themenbedeutung auf Gruppenebene einen Einfluss auf kollektive automatische vs. systematische Informationsverarbeitung haben. Das Konzept der Themenbedeutung ist eng mit dem des Involvements, also dem verstärkten Engagement für ein Thema oder eine Aufgabe, verknüpft (Bilandzic et al., 2015, S. 78). Systematische Informationsverarbeitung ist schon per Definition mit erhöhter Motivation verbunden (siehe 3.2.1.1). Dementsprechend gelten eine höhere Themenbedeutung bzw. ein höheres Involvement als zentrale Prädiktoren für einen systematischen Modus bei Individuen – und ihre schwächere Ausprägung als Prädiktor für einen rein automatischen Modus (z. B. Bartsch & Schneider, 2014; Chaiken et al., 1989; Petty & Cacioppo, 1986). Auf Gruppenebene müsste eine erhöhte Themenbedeutung einen ähnlichen Effekt haben: Es wurde gezeigt, dass Gruppen mit spezifischen gemeinsamen Zielen (Wegge & Haslam, 2005) und Gruppen, denen ihr gemeinsamer Entscheidungsprozess zugerechnet werden kann (Scholten et al., 2007), zu systematischeren Verarbeitungsprozessen und Ergebnissen neigen.

Zusätzlich zur Stärke der Themenbedeutung dürfte auf Gruppenebene auch ihre Verteilung bzw. Heterogenität relevant sein. In diesem Zusammenhang ist Forschung zum Phänomen des Social Loafings interessant, wonach Menschen bei der Zusammenarbeit mit anderen unter bestimmten Umständen ihre Einzelleistung reduzieren – und dementsprechend auch das Potenzial der Gruppe zur Informationsverarbeitung sinkt (Karau & Williams, 1993). In Bezug auf die Themenbedeutung zeigt sich empirisch, dass Individuen bei Aufgaben, die ihnen sinnvoll erscheinen, zu mehr kollaborativem Einsatz neigen (K. D. Williams & Karau, 1991)Footnote 3. Das spricht dafür, dass Gruppen Informationen eher systematisch verarbeiten, wenn alle Mitglieder dem Thema eine homogen hohe Bedeutung zumessen.

Das Ausmaß systematischer Informationsverarbeitung in Gruppen müsste laut Definition unabhängig von ihrer Einstellung zu einem Thema sein – sofern es überhaupt eine ideologische Bedeutung hat. In welchem Verhältnis sie mit ihrer Einstellung zum wahrgenommenen Meinungsklima stehen, könnte dagegen durchaus eine Rolle dabei spielen, ob sie Informationen mehr oder weniger systematisch verarbeiten. Auf Individualebene geht das Source-Position Congruency Model davon aus, dass eine subjektiv überraschende Verteilung von Einstellungen – d. h. wenn die Mehrheit der eigenen Einstellung widerspricht bzw. nur die Minderheit ihnen zustimmt – eine aufwändigere Verarbeitung begünstigt, um den Widerspruch aufzulösen (Baker & Petty, 1994). Analog dazu könnten Gruppen, die sich mit ihrer Meinung als gesellschaftliche Minderheit wahrnehmen, ebenso zu einer systematischeren Verarbeitung neigen als Gruppen, die sich als Angehörige der Mehrheitsmeinung wahrnehmen.

Kognitive Ressourcen: Wissen und Aufmerksamkeit

Weiterhin müsste es auch auf Gruppenebene von kognitiven Ressourcen abhängen, ob und in welchem Ausmaß systematische Informationsverarbeitung stattfindet. Das betrifft zum einen das Wissen, das auf Gruppenebene vorhanden ist, indem die Gruppe kommunikativ auf das Wissen einzelner oder mehrere Gruppenmitglieder zugreift (siehe 3.1.2.2 zum transaktiven Gedächtnis). Auf Individualebene gilt genügend Vorwissen zum jeweiligen Thema als klassische Voraussetzung für einen systematischen Modus (z. B. Chaiken et al., 1989; Petty & Cacioppo, 1986). Bei Gruppen lassen Erkenntnisse zum Hidden Profile Paradigm (Stasser & Titus, 1985) ähnliche Schlüsse zu. In diesem Forschungszweig geht es um den Einfluss unter allen Mitgliedern geteilter Informationen vs. nur einzelnen Mitgliedern bekannter Informationen auf Entscheidungsprozesse in Gruppen. In einer Meta-Analyse wurde gezeigt, dass ein umfangreicherer Austausch über Informationen, die nur einzelnen Mitgliedern bekannt sind, zu rationaleren Entscheidungen führt (siehe Lu et al., 2012 für eine Meta-Analyse). Ähnlich zeigt eine Meta-Analyse zu transaktiven Gedächtnissystemen (s. o.), dass diese mit elaborierteren Gruppenprozessen einhergehen (Zhou & Pazos, 2020). Beide Befunde sprechen dafür, dass mehr Wissen auf Gruppenebene mit einem systematischeren kollektiven Verarbeitungsmodus einhergehen müsste.

Schließlich ist Aufmerksamkeit eine relevante kognitive Ressource, von der Gruppen unterschiedlich viel in ihren Verarbeitungsprozess investieren können oder wollen. Auch hier ergibt sich bereits aus der Definition der verschiedenen Verarbeitungsmodi auf Individualebene, dass eine geringere Aufmerksamkeit mit automatischer und eine höhere Aufmerksamkeit mit systematischer Informationsverarbeitung verbunden ist (z. B. Lang, 2006; Petty & Cacioppo, 1986). Analog dazu zeigen verschiedene Studien, dass dieser Zusammenhang auch für die kollektive Aufmerksamkeit von Gruppen und ihre gemeinsamen Verarbeitungsprozesse gilt: So wurde beispielsweise gezeigt, dass Zeitdruck – und damit ein geringeres Aufmerksamkeitslevel – zu geringerer Kreativität (Experiment 1, Chirumbolo et al., 2004) und schlechteren Entscheidungen (Kelly & Loving, 2004) von Gruppen führt.

Affekte: Ärger, Bewegtheit und Humor

Schließlich müssten auch kollektive Affekte bzw. affektiv aufgeladene Konstrukte einen Einfluss darauf haben, in welchem Ausmaß Gruppen systematische Informationsverarbeitung betreiben (für Affekte als Eigenschaft automatischer vs. systematischer kollektiver Informationsverarbeitung siehe 3.2.1.1). Für das hier entwickelte MCIP steht nicht im Fokus, wie Affekte direkten Einfluss auf die inhaltlichen Ergebnisse kollektiver Verarbeitungsprozesse haben können (affect-as-information), sondern wie sie bestimmte Modi der Informationsverarbeitung begünstigen können (affect priming) (Forgas, 1995; Van Kleef et al., 2010). Dazu sollen im Folgenden exemplarisch drei spezifische Emotionen betrachtet werden, die besonders relevant für kollektive Informationsverarbeitung sein könnten.

Zunächst einmal könnte sich kollektiver Ärger auf das Ausmaß systematischer Verarbeitung auswirken. Damit ist Ärger gemeint, den die Gruppe gemeinsam empfindet und nicht Ärger, der zwischen den Gruppenmitgliedern besteht. Es wurde gezeigt, dass negative Stimmungen in Gruppen – vermutlich durch eine erhöhte Wachsamkeit – einen bereits vorhandenen systematischen Verarbeitungsmodus verstärken können (Kooij-de Bode et al., 2009). Bei sehr starkem Ärger könnten dagegen durch das hohe Erregungslevel kognitive Ressourcen zur systematischen Verarbeitung fehlen, wie es bei Individuen der Fall ist (Lang, 2006).

Weiterhin könnte emotionale Bewegtheit einen Einfluss auf kollektive Informationsverarbeitung haben. Auf Individualebene ist emotionale Bewegtheit mit eudaimonisch motivierter, d. h. auf tieferen Sinn ausgerichteter, systematischer Verarbeitung verbunden (Bartsch & Schneider, 2014). Ähnlich zeichnet sich auch auf Gruppenebene ab, dass emotionale Bewegtheit einen systematischen Verarbeitungsmodus begünstigen kann (Schindler & Bartsch, 2019, S. 29–31).

Neben ernsteren Affekten könnte schließlich auch Humor mitbeeinflussen, ob Gruppen Informationen mehr oder weniger systematisch verarbeitenFootnote 4. Auf Individualebene gilt eine positive Stimmung eher als hinderlich für systematische Informationsverarbeitung (z. B. Mohanty & Suar, 2014), da sie eine sichere Situation impliziert, in der keine besondere Achtsamkeit notwendig ist (Forgas, 1995). In Gruppen lässt sich ebenfalls beobachten, wie ein scherzhafter Austausch über ein Thema einer Situation ihren Ernst nehmen und anschließend einen automatischen Modus begünstigen kann (Schindler & Bartsch, 2019, S. 25).

3.2.1.3 Auswirkungen

Schließlich sollen die Auswirkungen automatischer vs. systematischer kollektiver Informationsverarbeitung thematisiert werden. Dazu wird auf Auswirkungen auf Einstellung und Themenbedeutung sowie auf das Verständnis von Inhalten eingegangen. Der Fokus liegt auch hier auf der Gruppenebene, wobei Auswirkungen auf die Gruppe durch die Internalisierung sozialer Identitäten auch für Individuen relevant sein dürften (siehe 3.1.1.2).

Einstellung

Zunächst einmal könnte rein automatische vs. systematische Verarbeitung in Gruppen unterschiedliche Auswirkungen auf deren Einstellungen haben. Auf Individualebene gilt, dass systematische Informationsverarbeitung zu stärkeren und nachhaltigeren Einstellungsänderungen führen kann als automatische Informationsverarbeitung. Der Grund dafür ist, dass sich Menschen in einem systematischen Modus stärker mit den jeweiligen Argumenten auseinandersetzen (z. B. Chaiken et al., 1989; Lang, 2006; Petty & Cacioppo, 1986). Auf Gruppenebene wurde ebenfalls gezeigt, dass ein systematischer Modus (in Form von Deliberation) Einstellungsänderungen der einzelnen Mitglieder begünstigt (Esterling et al., 2021; Westwood, 2015). Somit müsste auch die Gruppe auf Basis systematischer Verarbeitung eher ihre kollektive Einstellung verändern.

Themenbedeutung

Aus ähnlichen Gründen dürfte systematische Informationsverarbeitung in Gruppen auch eine Veränderung bzw. Neueinschätzung der Themenbedeutung begünstigen. So wurde beispielsweise in einer quasi-experimentellen Feldstudie gezeigt, dass die Teilnahme an einer Diskussionsveranstaltung zu einem sozialen Thema zu einem gesteigerten Problembewusstsein bei den Teilnehmenden führte (Rojas et al., 2005). Weiterhin wurde gezeigt, dass die reflektierte Verarbeitung in einem Gespräch zu einer höheren Relevanzeinschätzung von Themen aus der Medienberichterstattung führte (Haas, 2014). Dieser Zusammenhang müsste folglich auch für die ganze Gruppe vorliegen.

Verständnis

Schließlich dürfte kollektive systematische Informationsverarbeitung ein besseres Verständnis im Sinne eines gründlichen Durchdringens der Inhalte begünstigen. Dieser Zusammenhang ergibt sich bereits aus der Definition systematischer Verarbeitung auf Individualebene, wonach diese mit einer genaueren Betrachtung und Verknüpfung der Inhalte verbunden ist (z. B. Chaiken et al., 1989; Lang, 2006; Petty & Cacioppo, 1986). Er zeichnet sich empirisch auch für Gruppen ab: Beispielsweise wirkt sich die Zusammenarbeit in Lerngruppen – d. h. ein systematischer kollektiver Prozess – positiv auf individuelle Lernerfolge aus (Laal & Ghodsi, 2012). Das dürfte auch auf den kollektiven Lernerfolg zutreffen. Befunde, wonach Gruppen mit mehr Zeit (Kelly & Loving, 2004) oder umfangreicherem Informationsaustausch (Lu et al., 2012) rationalere Entscheidungen treffen, sprechen ebenfalls für tieferes Verständnis nach kollektiver systematischer statt rein automatischer Verarbeitung.

3.2.2 Annahme 5: Verarbeitungsdimension Offenheit

Annahme 5 des MCIP: Kollektive Informationsverarbeitung kann auf einem Kontinuum von geschlossen (= festgelegt) bis offen (= ergebnisoffen) differenziert werden.

Die fünfte Annahme des MCIP geht von Offenheit als einer weiteren zentralen Dimension der menschlichen Informationsverarbeitung aus. Neben dem Kontinuum zwischen automatisch und systematisch kann sich kollektive Informationsverarbeitung demnach auch auf einem Kontinuum zwischen geschlossener und offener Informationsverarbeitung bewegen. Die Idee, dass Informationsverarbeitung auf das Erreichen eines bestimmten Ergebnisses festgelegt – oder ergebnisoffen – sein kann, ist in der Literatur zwar vergleichsweise weniger prominent, findet sich aber mit unterschiedlichen Bezeichnungen in verschiedenen Ansätzen auf Individualebene wieder. Dazu gehört z. B. die Theory of Lay Epistemics (Kruglanski, 1989; Kruglanski et al., 2009, high vs. low need for specific closure), das HSM (Chaiken et al., 1989, high vs. low defense motivation) oder das Konzept des Motivated Reasoning (weak vs. strong directional goals Kunda, 1990). Für das MCIP wurde auch diese Perspektive als Grundlage für Annahme 5 auf die Gruppenebene übertragen und eine entsprechende Kausalkette durchgearbeitet. Auf Basis bisheriger Forschung wurden dazu zentrale Eigenschaften (siehe 3.2.2.1), Einflussfaktoren (siehe 3.2.2.2) und Auswirkungen (siehe 3.2.2.3) kollektiver geschlossener vs. offener Informationsverarbeitung hergeleitet. Auch hier handelt es sich um eine Auswahl, die durch zukünftige Arbeiten erweitert werden könnte. Unter 3.2.3 wird auf das Verhältnis zwischen den Verarbeitungsdimensionen Systematik und Offenheit eingegangen, die voneinander unabhängig sind (z. B. Forgas, 1995; Kunda, 1990).

3.2.2.1 Eigenschaften

Zunächst werden die Eigenschaften geschlossener vs. offener Informationsverarbeitung in Gruppen dargestellt. Als Ausgangspunkt werden wieder beide Ausprägungen auf Individualebene dargelegt und dann auf die Gruppenebene übertragen. Daraufhin wird die mögliche Verbindung geschlossener vs. offener kollektiver Informationsverarbeitung mit spezifischen Arten der Verständigung und Affekten in Gruppen erarbeitet.

Definition auf Individualebene

Auf Individualebene ist eine geschlossene Verarbeitung auf das Erreichen oder Beibehalten eines bestimmten, bereits vorher festgelegten Ergebnisses ausgerichtet. Das bedeutet, dass Menschen in diesem Modus darauf abzielen, ihre Meinung durch den selektiven Zugriff bzw. die selektive Suche nach entsprechenden Argumenten und Informationen zu bestätigen (z. B. Chaiken et al., 1989; Kruglanski & Webster, 1996; Kunda, 1990). Hintergrund ist das menschliche Bedürfnis nach einer Bestärkung bzw. Verteidigung des eigenen Selbstwertes und der Reduktion damit verbundener kognitiver Dissonanz (Festinger, 1957; Kunda, 1990). Im Rahmen der Theory of Lay Epistemics (Kruglanski, 1989) wird davon noch das Bedürfnis nach dem möglichst schnellen Erreichen eines beliebigen Ergebnisses (Need for Nonspecific Closure) unterschieden (Kruglanski et al., 2009; Kruglanski & Webster, 1996). Im Folgenden liegt der Fokus aber auf der Ausrichtung auf ein spezifisches Ziel. In einem offenen Verarbeitungsmodus sind Menschen dagegen bereit, verschiedene Ergebnisse zu akzeptieren. Dementsprechend beschäftigen sie sich aufgeschlossen(er) mit unterschiedlichen Meinungen, Argumenten und Informationen (z. B. Chaiken et al., 1989; Kruglanski & Webster, 1996; Kunda, 1990). Es lässt sich also zusammenfassen, dass offene Informationsverarbeitung mit Aufgeschlossenheit gegenüber Meinungen, Argumenten und Informationen verbunden ist, wohingegen diese bei geschlossener Informationsverarbeitung festgelegt sind.

Während automatische Informationsverarbeitung immer stattfindet und lediglich mehr oder weniger stark durch einen systematischen Modus überlagert werden kann (siehe 3.2.1.1), stellen geschlossene vs. offene Informationsverarbeitung tatsächlich die Extrempunkte eines Kontinuums dar (z. B. Kruglanski & Webster, 1996; Kunda, 1990). Im Folgenden werden diese aber vereinfachend als zwei Modi bezeichnet.

Auf den ersten Blick und aus einer normativen Perspektive erscheint offene Informationsverarbeitung grundsätzlich wünschenswerter als geschlossene Informationsverarbeitung. Geschlossene Informationsverarbeitung ist aber zutiefst menschlich und in einem gewissem Maße notwendig, um sich in einer komplexen sozialen Umwelt zu orientieren (Pendry, 2007) und den eigenen Selbstwert zu wahren (s. o.). Darüber hinaus können Überzeugungen zunächst in einem ergebnisoffenen Verarbeitungsprozess erlangt, von da an aber vorübergehend oder dauerhaft in einem geschlossenen Modus verteidigt werden, da eine kontinuierliche Neubewertung im sozialen Alltag schlicht nicht möglich ist. Insofern verweist ein geschlossener Verarbeitungsmodus in einer bestimmten Situation nicht zwangsläufig auf eine generell geringe Aufgeschlossenheit gegenüber Meinungen, Argumenten und Informationen.

Übertragung auf die Gruppenebene

Wie bei der Dimension Systematik (siehe 3.2.1.1) ist es auch bei der Dimension Offenheit plausibel, dass sie nicht nur für individuelle, sondern auch für kollektive Informationsverarbeitung relevant ist. Auch Gruppen dürften in gemeinsamen Denkprozessen bzw. Gesprächen mehr oder weniger aufgeschlossen gegenüber Meinungen, Argumenten und Informationen sein. In der Literatur zu Kleingruppenprozessen gibt es kaum explizite Ausarbeitungen, die auf dieses Kontinuum verweisen (z. B. Kruglanski et al., 2006), es lässt sich aber aus bisherigen Erkenntnissen ableiten.

Zum einen deuten eine Reihe an Phänomenen auf einen festgelegten, geschlossenen Verarbeitungsmodus bei Gruppen hin: So wurde z. B. gezeigt, dass auch Gruppen unter bestimmten Umständen zu Confirmation Bias neigen (Schulz-Hardt et al., 2000). Auch der Common Knowledge Effect (Gigone & Hastie, 1993), also der Fokus von Gruppen auf bereits allen bekannte Informationen (siehe Lu et al., 2012 für eine Meta-Analyse) entspricht einem geschlossenen Verarbeitungsmodus. Schließlich passt auch das Phänomen des Group Centrism zu geschlossener Verarbeitung auf Gruppenebene. Es bezeichnet kollektive Prozesse, die sich unter anderem durch Widerstand gegenüber Veränderungen, ausgeprägten Gruppennormen und Konformitätsdruck sowie Unterstützung autokratischer Meinungsführer:innen kennzeichnen (Kruglanski et al., 2006).

Zum anderen entsprechen eine Reihe Phänomene aus der Kleingruppenforschung einem aufgeschlossenen offenen Verarbeitungsmodus in Gruppen: Dazu gehört die Verwendung von Heuristiken, die naturgemäß zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können (Argote et al., 1990; Martin et al., 2007). Außerdem passt kollektive Kreativität und Innovation, also die Fähigkeit von Gruppen, neue Ideen und Konzepte zu generieren und anzuwenden (De Dreu et al., 2011) zu offener Verarbeitung. Demokratische Deliberation (Gutmann & Thompson, 1996; Habermas, 1990) kann ebenfalls als Form offener Informationsverarbeitung in Gruppen betrachtet werden, da sie per Definition aufgeschlossen ist (für einen Überblick siehe Mendelberg, 2002).

Es gibt auch empirische Hinweise, dass die Unterscheidung zwischen geschlossener und offener Informationsverarbeitung speziell bei der kollektiven Medienrezeption relevant ist. Klemm (2000) und Friemel (2010) konnten zeigen, dass Gespräche über Medieninhalte einerseits der Bestätigung bereits feststehender Positionen, andererseits aber auch der Aushandlung neuer Positionen in der Gruppe dienen können. Ähnlich kam Sommer (2010) zu dem Ergebnis, dass Gespräche über Medien entweder durch die gegenseitige Bestätigung einer gemeinsamen Einstellung oder durch die diskursive Beschäftigung mit unterschiedlichen Einstellungen geprägt sein können. Eine qualitative Studie demonstrierte ebenfalls, dass kollektive Medienrezeption in einem eher geschlossenen oder in einem eher offenen Modus stattfinden kann (Schindler & Bartsch, 2019).

Verbindung mit Arten der Verständigung

Kollektive Verarbeitungsprozesse beinhalten gruppenspezifische Arten der Verständigung (siehe auch Metakognitionen bzw. Shared Mental Models unter 3.1.2.2). Im Folgenden wird beleuchtet, inwieweit diese mit geschlossener oder offener Informationsverarbeitung in Gruppen verbunden sein könnten.

Zunächst einmal können Gruppen Informationen mit mehr oder weniger gleicher Beteiligung verarbeiten. Gleichberechtigte Beteiligung gehört zu den Definitionsmerkmalen demokratischer Deliberation (s. o.; Mendelberg, 2002). Außerdem verhilft sie Gruppen zu einem höheren kollektiven Intelligenzquotienten, d. h. der Fähigkeit, Probleme zu lösen (Woolley et al., 2010). Beides spricht dafür, dass offene kollektive Verarbeitung eher mit einer gleichmäßigen Beteiligung der Gruppenmitglieder einhergeht.

Um am Ende zu einer Entscheidung zu kommen, können Gruppen sich zudem an einer internen Mehrheit orientieren (Davis, 1973) (siehe auch 3.1.3.1). Da Gruppen in einem geschlossenen Verarbeitungsmodus gemeinsam eine bereits festgelegte Position bestätigen wollen, ergibt sich schon rein logisch, dass sie sich in diesem Modus stärker an der Mehrheit orientieren. Dazu passt auch, dass das Phänomen des Group Centrism mit ausgeprägten Gruppennormen und Konformitätsdruck einhergeht (Kruglanski et al., 2006).

Weiterhin können sich Gruppen auch an Meinungsführer:innen (inklusive Expert:innen) aus ihrer Mitte orientieren (siehe auch 3.1.3.1). Auf der einen Seite ist Group Centrism mit der Unterstützung autokratischer Meinungsführer:innen verbunden (Kruglanski et al., 2006), was für einen Zusammenhang mit geschlossener Verarbeitung sprechen würde. Auf der anderen Seite können Meinungsführer:innen innovativer und unangepasster sein als andere Gruppenmitglieder (Hogg et al., 2004). Empirisch wurde auch gezeigt, dass Führung das Innovationspotenzial in Gruppen steigern kann (Somech, 2006).

Gruppen können sich bei der gemeinsamen Informationsverarbeitung aber auch an Argumenten orientieren. Diese Art der Verständigung ist Bestandteil demokratischer Deliberation (s. o.; Mendelberg, 2002) und schon per se ergebnisoffen, was für eine Verbindung mit offener Verarbeitung sprechen würde. Gleichzeitig kann auch geschlossene Informationsverarbeitung – zumindest dem Anschein nach – auf Argumente bauen, um eine vorher bereits festgelegte Position zu erreichen (Kunda, 1990). Dieses auf Individualebene beobachtbare Muster könnte auch auf Gruppen zutreffen.

Verbindung mit Affekten

Geschlossene vs. offene Verarbeitungsprozesse in Gruppen können mit affektiv aufgeladenen Konstrukten verbunden sein. Im Folgenden werden Affekte als Eigenschaft der beiden Modi betrachtet. Auf Affekte als Einflussfaktoren bzw. Auslöser bestimmter Modi wird unter 3.2.2.2 eingegangen.

Offene Informationsverarbeitung in Gruppen könnte mit Humor einhergehen. Es wurde gezeigt, dass Humor und Kreativität miteinander verbunden sind, da beide die Herstellung neuer und ungewöhnlicher Verknüpfungen erfordern. Dieser Zusammenhang zeichnet sich nicht nur bei Individuen, sondern auch bei Gruppen ab (für einen Überblick siehe Eliav et al., 2016).

Gleichzeitig könnte ein offener Modus auch mit einer angespannten Stimmung in der Gruppe verknüpft sein. Offene Informationsverarbeitung bedeutet, unterschiedliche Positionen gegeneinander abzuwägen. Insofern müsste sie mit mehr Konflikt und einer entsprechend angespannteren Stimmung zwischen den Mitgliedern verbunden sein als ein geschlossener Modus, in dem die Mitglieder einer Gruppe gemeinsam eine bereits feststehende Position bestätigen. Tatsächlich zeigt sich z. B. empirisch, dass Gruppen Aufgaben kreativer lösen können, wenn im gemeinsamen Prozess Diskussion und Kritik erlaubt sind (Nemeth et al., 2004) und dass sich verärgerte Individuen stärker an deliberativen Prozessen beteiligen (N. Kim, 2016).

3.2.2.2 Einflussfaktoren

Nach den Eigenschaften geschlossener vs. offener kollektiver Informationsverarbeitung sollen nun mögliche Einflussfaktoren auf die beiden Modi aufgelistet werden. Auch hier wird wieder auf Motivationen, kognitive Ressourcen und Affekte auf Gruppenebene eingegangen, die sich aus dem Zusammenspiel aus Eigenschaften der Gruppe, der Situation und der Botschaft ergeben können. Im Hintergrund stehen dabei die jeweilige soziale Identität (siehe 3.1.1.2) und die damit verbundenen Normen der Gruppe (siehe 3.1.3.1). Wo es besonders relevant erscheint, wird auch auf die Heterogenität der Merkmale eingegangen.

Motivationen: Einstellung, Themenbedeutung und wahrgenommenes Meinungsklima

Im motivationalen Bereich dürfte die Einstellung der Gruppe von zentraler Bedeutung dafür sein, ob kollektive geschlossene oder offene Informationsverarbeitung stattfindet – zumindest sofern der Gegenstand des Verarbeitungsprozesses eine ideologische Bedeutung hat. Dabei geht es weniger um den konkreten Inhalt der kollektiven Einstellung als vielmehr um ihre Ausprägung und Verteilung innerhalb der Gruppe: Zum einen könnte die Extremität der Einstellung einer Gruppe relevant dafür sein, ob sie Informationen eher geschlossen oder offen verarbeitet. Mit Extremität ist das Ausmaß gemeint, in dem die kollektive Einstellung der Gruppe von einer mittleren bzw. „neutralen“ Position zwischen zwei Polen entfernt ist. Individuen mit extremeren Einstellungen zu einem Thema tendieren eher dazu, damit verbundene Informationen geschlossen zu verarbeiten (Levendusky, 2013). Das leuchtet schon deshalb ein, weil extremere Positionen zu ihrer Rechtfertigung typischerweise besonders stark vor Gegenpositionen verteidigt werden müssen. Gemäßigtere Positionen können im Gegensatz dazu in gewissem Maß auch mit Gegenpositionen integriert werden, ohne den Selbstwert zu stark anzugreifen (siehe 3.2.2.1). Insofern dürften auch Gruppen mit extremeren Einstellungen eher zu geschlossener Informationsverarbeitung neigen.

Mindestens genauso wichtig dürfte die Heterogenität der Einstellungen innerhalb der Gruppe sein. Schon aus der Definition geschlossener Informationsverarbeitung ergibt sich, dass dafür auf Gruppenebene nicht nur ein bestimmtes, sondern auch ein gemeinsames Ziel notwendig ist. Tatsächlich ist gut belegt, dass homogene Einstellungen in einer Gruppe eher einen geschlossenen Modus und heterogene Einstellungen eher einen offenen Modus begünstigen (für einen Überblick siehe De Dreu et al., 2011). Gruppen aus Mitgliedern mit heterogeneren Einstellungen neigen z. B. zu weniger verzerrter Informationssuche (Schulz-Hardt et al., 2000) und zur flexibleren und integrativeren Betrachtung verschiedener Perspektiven (Peterson & Nemeth, 1996).

Darüber hinaus müsste auch die Themenbedeutung auf Gruppenebene relevant dafür sein, ob der kollektive Verarbeitungsprozess geschlossen oder offen ausfällt. Auf Individualebene wurde gezeigt, dass ein hohes Ego-Involvement – also eine starke Verbindung von Einstellungen, Werten und Identitäten mit dem eigenen Selbstkonzept – ein wesentlicher Prädiktor für geschlossene Informationsverarbeitung ist (siehe 3.2.1.2 zur Verbindung von Themenbedeutung und Involvement). Hintergrund ist ein erhöhtes Bedürfnis nach der Reduktion kognitiver Dissonanz (für einen Überblick siehe C. J. Carpenter, 2019). Dieser Zusammenhang ist auch auf Gruppenebene plausibel, wenn man bedenkt, dass Gruppenmitglieder soziale Identitäten als Teil ihres Selbstkonzeptes internalisieren und auf ihrer Basis ein positives Selbstbild erreichen bzw. erhalten wollen (siehe 3.1.1.2). Dazu passt auch der Befund, dass Menschen mit einer stärkeren sozialen Identität (d. h. einer stärkeren Verbindung mit dem eigenen Selbstkonzept) zu einer stärkeren Ingroup Bias neigen (d. h. zu einer Form geschlossener Informationsverarbeitung zugunsten der eigenen Gruppe) (siehe Aberson et al., 2000 für eine Meta-Analyse).

Schließlich könnte auch das Verhältnis zum wahrgenommenen Meinungsklima relevant dafür sein, ob Gruppen Informationen eher geschlossen oder offen verarbeiten. In diesem Zusammenhang wurde gezeigt, dass Individuen, die gemeinsam Zurückweisung durch eine Gruppe erfahren haben, ein verstärktes soziales Zugehörigkeitsbedürfnis entwickeln und daraufhin stärker miteinander kooperieren (Miao et al., 2020). Dementsprechend könnten Gruppen, die sich mit ihrer Meinung als gesellschaftliche Minderheit wahrnehmen, eine stärkere Motivation haben, ihre gemeinsame Position in einem geschlossenen Modus zu verteidigen.

Kognitive Ressourcen: Wissen

Unter den kognitiven Ressourcen könnte das Wissen einer Gruppe eine Rolle dabei spielen, ob Gruppen Informationen eher geschlossen oder offen verarbeiten (siehe 3.1.2.2 zum transaktiven Gedächtnis). Auf Individualebene kann Vorwissen einen geschlossenen Verarbeitungsmodus begünstigen, da es hilft, Gegenargumente zu entkräften (Taber et al., 2009). Auf Gruppenebene wurde zumindest in einem nicht-ideologischen Kontext gezeigt, dass Gruppen aus Expert:innen – d. h. mit themenspezifischem Wissen – genauso zu Bestätigungsfehlern neigen wie Gruppen aus Laien (Schulz-Hardt et al., 2000). In einem ideologischen Kontext ist es plausibel, dass Wissen auch bei Gruppen einen geschlossenen Verarbeitungsmodus begünstigt, indem es ihnen bei der Verteidigung ihrer Position hilft.

Affekte: Ärger und Bewegtheit

Schließlich könnten auch kollektive Affekte ein relevanter Einflussfaktor darauf sein, ob Gruppen Informationen geschlossen oder offen verarbeiten (für Affekte als Eigenschaft beider Modi siehe 3.2.2.1). Im Folgenden werden konkrete Emotionen beleuchtet, die dafür von Bedeutung sein könnten.

Zum einen könnte von der Gruppe gemeinsam empfundener Ärger beeinflussen, ob sie Informationen geschlossen oder offen verarbeitet. Bei Individuen wurde gezeigt, dass den eigenen Einstellungen widersprechende Argumente Ärger auslösen können, der wiederum einen geschlossenen Verarbeitungsmodus verstärkt. Hintergrund ist, dass Ärger Menschen dazu bringt, stärker an ihrem Standpunkt festzuhalten und feindseliger auf Widerspruch zu reagieren (Suhay & Erisen, 2018). Bei Gruppen könnte Ärger einen vergleichbaren Effekt haben und geschlossene Informationsverarbeitung begünstigen.

Zum anderen könnte emotionale Bewegtheit einen offenen Verarbeitungsmodus unterstützen. Auf Individualebene wurde z. B. gezeigt, dass emotionale Bewegtheit in Form von Empathie zu stärkerer deliberativer Offenheit und damit offener Informationsverarbeitung führen kann (Kloß, 2020). Auch bei Gruppen scheint Empathie einen offenen Verarbeitungsmodus zu unterstützen (Schindler & Bartsch, 2019, S. 29–31).

3.2.2.3 Auswirkungen

Als letztes geht es um die Auswirkungen geschlossener vs. offener Informationsverarbeitung bei Gruppen. Diese werden primär auf Gruppenebene betrachtet, dürften aber durch die Internalisierung sozialer Identität auch für Individuen von Bedeutung sein (siehe 3.1.1.2).

Einstellung

Ob Gruppen Informationen geschlossen oder offen verarbeiten, müsste sich auf ihre Einstellungen auswirken. In diesem Zusammenhang ist das Phänomen der Polarisierung interessant, wonach Mitglieder einer Gruppe nach Gesprächen zu extremeren Ansichten neigen als vorher (Moscovici & Zavalloni, 1969). Das Phänomen lässt sich durch verschiedene Mechanismen erklären: a) Gruppenmitglieder identifizieren sich mit einer Gruppenposition, die extremer als ihre individuelle Position ist (Hogg et al., 1990), b) Gruppenmitglieder versuchen, sich mit ihren Positionen in sozialen Vergleichs- und Anpassungsprozessen gegenseitig zu übertreffen und c) persuasive Argumente sind zugunsten der Mehrheitsmeinung überrepräsentiert (für eine Meta-Analyse zu den letzten beiden Mechanismen siehe Isenberg, 1986). Die ersten beiden Mechanismen passen zu einem geschlossenen Modus, der per Definition darauf ausgelegt ist, eigene Überzeugungen zu bestätigen bzw. zu bestärken. Der letzte Mechanismus entspricht dagegen einer grundsätzlich offenen Haltung, die aber unter einseitigen Bedingungen nicht zum Tragen kommen kann. Das bedeutet, dass geschlossene Informationsverarbeitung in Gruppen in der Summe zur Beibehaltung – oder aufgrund der besonderen Dynamik – zur Verstärkung bestehender Einstellungen führen müsste. Offene kollektive Informationsverarbeitung dürfte dagegen eine Einstellungsänderung im Allgemeinen, also in verschiedene Richtungen, begünstigen. Tatsächlich zeigt sich empirisch, dass Gruppen aus Gleichgesinnten ohne deliberative Normen – d. h. bei geschlossener Verarbeitung – zu Polarisierung neigen (Strandberg et al., 2019). Umgekehrt führt eine höheres Level an Deliberation – also offene Verarbeitung – generell eher zu Einstellungsänderungen in Gruppen (Gastil et al., 2008).

Damit verbunden könnte sich geschlossene vs. offene Informationsverarbeitung auch auf die Heterogenität der Einstellungen innerhalb der Gruppe auswirken. Aufgrund der oben erläuterten Mechanismen könnte geschlossene Verarbeitung in Gruppen auch zu einer Homogenisierung der Einstellungen der einzelnen Mitglieder führen, während offene Verarbeitung heterogenere Einstellungen in der Gruppe begünstigt.

3.2.3 Annahme 6: Unabhängigkeit von Systematik und Offenheit

Annahme 6 des MCIP: Die kollektiven Verarbeitungsdimensionen Systematik und Offenheit liegen quer zueinander und aus der Kombination ihrer Extrempunkte ergeben sich vier prototypische Verarbeitungsmodi.

Die sechste und letzte Annahme des MCIP geht davon aus, dass die beiden Verarbeitungsdimensionen Systematik und Offenheit unabhängig voneinander sind und dass sich ihre unterschiedlichen Ausprägungen miteinander zu vier prototypischen Verarbeitungsmodi kombinieren lassen. Am umfassendsten wurde diese Idee bisher für Individuen im Affect Infusion Model (AIM, Forgas, 1995) ausgearbeitet. Das Modell geht von vier prototypischen Verarbeitungsstrategien aus, die sich mit den verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten automatischer vs. systematischer und geschlossener vs. offener Informationsverarbeitung verbinden lassen. Das HSM (Chaiken et al., 1989) oder das Konzept des Motivated Reasoning (Kunda, 1990) gehen ebenfalls davon aus, dass unabhängig von rein automatischer vs. systematischer Verarbeitung ein mehr oder weniger geschlossener Modus vorliegen kann (d. h. defense motivation bzw. directional goals). Im Folgenden wird das Zusammenspiel beider Verarbeitungsdimensionen in Gruppen betrachtet, um Annahme 6 zu untermauern. Dazu wird zunächst genauer auf das Verhältnis beider Verarbeitungsdimensionen eingegangen (siehe 3.2.3.1). Daraufhin werden die vier prototypischen Verarbeitungsmodi durchdekliniert, die sich aus den Extrempunkten beider Verarbeitungsdimensionen ergeben (siehe 3.2.3.2). Sie verdeutlichen, dass diese Konzeptualisierung zumindest auf theoretischer Ebene Sinn macht.

3.2.3.1 Verhältnis der Verarbeitungsdimensionen

Wie oben erwähnt liefert das Affect Infusion Model (AIM, Forgas, 1995) – wenn auch implizit – eine Integration der beiden Verarbeitungsdimensionen Systematik und Offenheit auf Individualebene. Das Modell dient eigentlich der Erklärung des Einflusses von Affekten auf Entscheidungen. Es unterscheidet zum einen zwischen Verarbeitungsstrategien mit bereits vorher festgelegtem Ergebnis, auf die Affekte weniger Einfluss haben können (Low Affect Infusion) und ergebnisoffenen Verarbeitungsstrategien, auf die Affekte mehr Einfluss haben können (High Affect Infusion). Dabei handelt es sich im Wesentlichen um geschlossene vs. offene Informationsverarbeitung. Zum anderen geht das AIM davon aus, dass es unter den geschlossenen und offenen Verarbeitungsstrategien jeweils eine einfachere und eine aufwändigere Variante gibt. Auch wenn sie nicht explizit so eingeordnet werden, können diese jeweils als automatische vs. systematische Informationsverarbeitungsmodi betrachtet werden. Wie auch aus dem HSM (Chaiken et al., 1989) oder dem Konzept des Motivated Reasoning (Kunda, 1990) ergibt sich aus dem AIM also, dass die beiden Verarbeitungsdimensionen Systematik und Offenheit quer zueinander liegen.

Es gibt aber auch Modelle auf Individual- und Gruppenebene, die die Dimension automatischer vs. systematischer Verarbeitung mehr oder weniger explizit mit einer anderen zusätzlichen Dimension der Informationsverarbeitung kombinieren. Auf Individualebene geht z. B. die Theory of Lay Epistemics (Kruglanski, 1989) zusätzlich zum Kontinuum systematischer Verarbeitung von einem Kontinuum zwischen dem Bedürfnis nach dem möglichst schnellen Erreichen eines beliebigen und eines bestimmten Ergebnisses (Need for Nonspecific vs. Need for Specific Closure) aus (Kruglanski et al., 2009; Kruglanski & Webster, 1996). Auf Gruppenebene unterscheidet das Motivated Information Processing in Groups Model (MIP-G; De Dreu et al., 2008) zwischen kollektiver Informationsverarbeitung auf Basis einer niedrigen und einer hohen epistemischen Motivation der einzelnen Mitglieder (Low vs. High Epistemic Motivation) – was im Wesentlichen der Unterscheidung zwischen automatischer vs. systematischer Verarbeitung entspricht. Als zweite, dazu querliegende Dimension unterscheidet das MIP-G zwischen verschiedenen Arten sozialer Motivation bei den einzelnen Mitgliedern: Diese können entweder primär an den Ergebnissen für sich selbst oder primär an den Ergebnissen für die ganze Gruppe interessiert sein (Proself vs. Prosocial Motivation). Eine genauere Abgrenzung des MIP-G vom hier entwickelten MCIP wird unter 3.3.1 vorgenommen. Die unterschiedlichen Verarbeitungsdimensionen, die in verschiedenen Modellen mit der Dimension Systematik kombiniert werden, müssen sich jedoch nicht gegenseitig ausschließen – sie stellen lediglich unterschiedliche Schwerpunkte der jeweiligen Modelle dar.

3.2.3.2 Prototypische Verarbeitungsmodi

In Anlehnung an das AIM (Forgas, 1995) geht das MCIP davon aus, dass sich aus den Kombinationen der Extrempunkte der Verarbeitungsdimensionen Systematik und Offenheit vier prototypische Verarbeitungsmodi von Gruppen ableiten lassen. Abbildung 3.1 gibt einen Überblick über die vier kollektiven Verarbeitungsmodi, die sich aus den orthogonal zueinander ausgerichteten Verarbeitungsdimensionen Systematik und Offenheit ergeben (siehe Schindler & Bartsch, 2019 für einen ersten Entwurf dieses 4-Modi-Modells).

Abbildung 3.1
figure 1

4-Modi-Modell zum Verhältnis der Verarbeitungsdimensionen Systematik und Offenheit

Im Folgenden wird jeder der prototypischen Modi in Orientierung an die ursprüngliche Konzeptualisierung durch Forgas (1995) charakterisiert. Dabei muss im Hinterkopf behalten werden, dass die zugrundeliegenden Verarbeitungsdimensionen jeweils ein Kontinuum abbilden und in der Praxis somit mit fließenden Übergängen zwischen diesen Modi zu rechnen ist. Die Ergebnisse einer ersten qualitativen Beobachtung von Gruppen bei der Medienrezeption sprechen grundsätzlich für die vorgestellte Systematisierung kollektiver Informationsverarbeitung. Sie zeigen auch, dass die Übergänge zwischen den verschiedenen Modi in der Praxis fließend sind und dynamisch wechseln (Schindler & Bartsch, 2019). Das liegt nahe, da sich auch die Rahmenbedingungen, die kollektive Informationsverarbeitung beeinflussen, kontinuierlich verändern können.

Automatisch und geschlossen: Abruf

Zu den individuellen Verarbeitungsstrategien aus dem AIM zählt erstens Direct Access, also der äußerst ressourcensparende direkte Zugriff auf eine bereits abgespeicherte Entscheidung (Forgas, 1995). Damit handelt es sich also um automatische und gleichzeitig geschlossene Informationsverarbeitung, da das Ergebnis von Beginn an feststeht. Während automatische Informationsverarbeitung in der Regel mit der Verwendung von Heuristiken gleichgesetzt wird (z. B. Chaiken et al., 1989; Petty & Cacioppo, 1986), ergänzt das AIM somit noch eine geschlossene Form automatischer Informationsverarbeitung.

Im MCIP wird ein automatischer geschlossener Verarbeitungsmodus bei Gruppen analog dazu als Abruf bezeichnet. In diesem Modus müssten die Gruppenmitglieder folglich gemeinsam auf bereits geteilte und bei genügend bzw. zentralen Gruppenmitgliedern abgespeicherte Informationen zurückgreifen. Dieser Modus passt zum empirisch beobachtbaren Phänomen des Common Knowledge Effect (Gigone & Hastie, 1993), also der Neigung von Gruppen, über bereits allen bekannte Informationen zu sprechen (siehe Lu et al., 2012 für eine Meta-Analyse). In einer ersten qualitativen Beobachtung zeichnete sich ebenfalls ab, dass kollektive Informationsverarbeitung in einem automatischen und geschlossenen Modus stattfinden kann (Schindler & Bartsch, 2019, S. 23).

Automatisch und offen: Heuristiken

Als weitere Verarbeitungsstrategie von Individuen zählt das AIM Heuristic Processing – also ressourcensparende Verarbeitung über Heuristiken – auf (Forgas, 1995). Diese Art der Informationsverarbeitung ist automatisch und offen, da das Ergebnis einer heuristischen Entscheidung unterschiedlich ausfallen kann.

Im MCIP wird ein automatischer geschlossener Modus bei Gruppen dementsprechend als Verarbeitung mit Heuristiken bezeichnet. Dabei müssten die Mitglieder einer Gruppe gemeinsam Heuristiken verwenden. Diese können aber von einzelnen Gruppenmitgliedern in den kollektiven Verarbeitungsprozess eingebracht werden. Empirisch wurde gezeigt, dass Gruppen sowohl klassische (z. B. Argote et al., 1990) als auch gruppenspezifische Heuristiken wie die Orientierung an einer internen Mehrheit (Martin et al., 2007) verwenden können. Ebenso sprechen die Ergebnisse einer qualitativen Beobachtung für die Möglichkeit automatischer und offener kollektiver Informationsverarbeitung (Schindler & Bartsch, 2019, S. 23–24).

Systematisch und geschlossen: Bestätigung

Als weitere Verarbeitungsstrategie nennt das AIM Motivated Processing, also die aufwändige, selektive und gezielte Informationsverarbeitung zur Erreichung eines vorher festgelegten Zieles. Dabei handelt es sich also um systematische und geschlossene Verarbeitung bei Individuen.

Das MCIP geht ebenfalls von einem systematischen und geschlossenen Modus bei Gruppen aus und nennt ihn Bestätigung. In diesem Modus müssten Gruppenmitglieder Informationen gemeinsam selektiv verarbeiten, um ein Gruppenziel zu erreichen. Dieses Muster zeigt sich empirisch beispielsweise bei Confirmation Bias in Gruppen (Schulz-Hardt et al., 2000). Auch die Ergebnisse einer qualitativen Beobachtung sprechen dafür, dass Gruppen Informationen in einem systematischen geschlossenen Modus verarbeiten können (Schindler & Bartsch, 2019, S. 24–25).

Systematisch und offen: Deliberation

Schließlich geht das AIM als vierte Verarbeitungsstrategie von Substantive Processing aus, also einer aufwändigen, elaborierten und ergebnisoffenen Auseinandersetzung. Diese Strategie steht also für systematische und offene Informationsverarbeitung bei Individuen.

Im MCIP wird ein systematischer offener Modus auf Gruppenebene als Deliberation bezeichnet, da er ihrem Idealtyp entspricht (Gutmann & Thompson, 1996; Habermas, 1990). Gruppen müssten Informationen dabei durch eine gemeinsame, sorgfältige und sachliche Auseinandersetzung verarbeiten. Deliberation (Mendelberg, 2002) und kollektive Intelligenz (Woolley et al., 2010) sind empirisch beobachtbar und sprechen für einen systematischen offenen Verarbeitungsmodus in Gruppen. Dieser zeichnete sich auch bei einer qualitativen Beobachtung ab (Schindler & Bartsch, 2019, S. 25).

3.3 Zusammenfassung und Forschungsfragen

In diesem Kapitel wurde das Model of Collective Information Processing (MCIP) ausgearbeitet. Es stellt den theoretischen Beitrag der vorliegenden Arbeit dar. Im Folgenden soll das MCIP noch einmal kurz zusammengefasst werden. Dabei wird auch auf seine Anschlussfähigkeit und seine Grenzen eingegangen (siehe 3.3.1). Anschließend werden Forschungsfragen vorgestellt, die aus den Annahmen des MCIP hergeleitet wurden (siehe 3.3.2). Sie bilden den Ausgangspunkt für den methodischen und empirischen Beitrag der Arbeit.

3.3.1 Zusammenfassung

Das Model of Collective Information Processing (MCIP) ist ein Modell der Informationsverarbeitung, das auf Gruppen als Untersuchungseinheiten ausgerichtet ist. Nach dem Vorbild von Mehrprozess-Modellen der Informationsverarbeitung auf Individualebene (z. B. Chaiken et al., 1989; Forgas, 1995; Petty & Cacioppo, 1986) soll es dabei helfen, kollektive Informationsverarbeitungsprozesse zu beschreiben, zu erklären und vorherzusagen. Dafür verknüpft das MCIP Ansätze und Erkenntnisse der primär sozialpsychologischen (Klein-)Gruppenforschung und der Forschung zu individueller Informationsverarbeitung. Diese werden in sechs zentralen Annahmen zusammengefasst. Annahmen 1–3 beziehen sich dabei auf die Grundlagen kollektiver Informationsverarbeitung:

  1. 1.

    Menschen sind auf das Leben in Gruppen ausgerichtet und können je nach Kontext eine internalisierte soziale Identität annehmen (siehe 3.1.1).

  2. 2.

    Durch Social Sharedness und Combinations of Contributions ihrer Mitglieder können Gruppen als eigenes informationsverarbeitendes System funktionieren (siehe 3.1.2).

  3. 3.

    Soziale Einflüsse aus der Gruppe und Konformität durch Gruppenmitglieder ergeben sich aus ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe und sind Bestandteil des kollektiven Prozesses (siehe 3.1.3).

Annahmen 1–3 begründen damit, warum das MCIP sich auf die Gruppe als Ganzes bezieht: Menschen sind so stark auf das Leben in Gruppen spezialisiert, dass Gruppen als eigene, sinnvolle Untersuchungseinheiten betrachtet werden können. Gruppen sind ähnlich wie Individuen in der Lage, Informationen zu verarbeiten, indem ihre Mitglieder auf Basis gemeinsamer Wahrnehmungen, Motive, Normen etc. (Social Sharedness) individuelle Beiträge zu einem kollektiven Prozess verbinden (Combinations of Contributions). Dieser Prozess geht über die Summe seiner Teile hinaus und ist damit tatsächlich ein Gruppenphänomen. Soziale Einflüsse wie Normen, Mehrheiten und Meinungsführer:innen innerhalb der Gruppe – und die Konformität dazu – sind dabei natürlicher Bestandteil des Gruppenprozesses. Bei der Untersuchung kollektiver Informationsverarbeitung sind sie deshalb keine Störfaktoren, sondern Teil des Forschungsgegenstandes.

Auf dieser Grundlage nimmt das MCIP in Anlehnung an Modelle individueller Informationsverarbeitung (z. B. Chaiken et al., 1989; Forgas, 1995; Petty & Cacioppo, 1986) eine Mehrprozess-Perspektive ein. Diese wird in Annahmen 4–6 zusammengefasst:

  1. 4.

    Kollektive Informationsverarbeitung kann auf einem Kontinuum von automatisch (= einfach) bis systematisch (= sorgfältig) differenziert werden (siehe 3.2.1).

  2. 5.

    Kollektive Informationsverarbeitung kann auf einem Kontinuum von geschlossen (= festgelegt) bis offen (= ergebnisoffen) differenziert werden (siehe 3.2.2).

  3. 6.

    Die kollektiven Verarbeitungsdimensionen Systematik und Offenheit liegen quer zueinander und aus der Kombination ihrer Extrempunkte ergeben sich vier prototypische Verarbeitungsmodi (siehe 3.2.3).

Annahmen 46 gehen also davon aus, dass 1) Systematik und 2) Offenheit grundlegende, zueinander querliegende Dimensionen kollektiver Informationsverarbeitung darstellen. In anderen Worten können Gruppen Informationen also ähnlich wie Individuen 1) mehr oder weniger aufwändig und sorgfältig und 2) mehr oder weniger ergebnisoffen verarbeiten. Unter 3.2.1 bzw. 3.2.2 wurde genauer ausgearbeitet, welche a) Eigenschaften, b) Einflussfaktoren und c) Auswirkungen mit mehr oder weniger Systematik bzw. Offenheit kollektiver Informationsverarbeitung verbunden sein könnten. Abbildung 3.2 und Abbildung 3.3 liefern dazu jeweils einen zusammenfassenden Überblick. Schließlich geht das MCIP davon aus, dass sich die Extrempunkte beider Dimensionen sinnvoll zu vier prototypischen Verarbeitungsmodi kombinieren lassen. Diese Modi wurden Abruf (automatisch, geschlossen), Heuristiken (automatisch, offen), Bestätigung (systematisch, geschlossen) und Deliberation (systematisch, offen) genannt. In der Realität ist allerdings mit fließenden Übergängen zwischen den verschiedenen Modi zu rechnen.

Abbildung 3.2
figure 2

Einflussfaktoren, Eigenschaften und Auswirkungen systematischer (vs. automatischer) kollektiver Informationsverarbeitung (theoretische Annahmen). (Anmerkung: + steht für Annahme eines positiven, – für die Annahme eines negativen Zusammenhangs)

Abbildung 3.3
figure 3

Einflussfaktoren, Eigenschaften und Auswirkungen offener (vs. geschlossener) kollektiver Informationsverarbeitung (theoretische Annahmen). (Anmerkung: + steht für Annahme eines positiven, – für die Annahme eines negativen Zusammenhangs)

Anschlussfähigkeit des MCIP

Mit dem MCIP können also generalisierbare Aussagen über kollektive Informationsverarbeitungsprozesse getroffen werden. Durch seine Mehrprozess-Perspektive ist das Modell dazu in der Lage, unterschiedliche, auch widersprüchliche Phänomene aus der Kleingruppenforschung miteinander zu integrieren. Das MCIP verbindet auf Gruppenebene verschiedene Einflussfaktoren mit spezifischen Eigenschaften bzw. Modi kollektiver Informationsverarbeitung und diese wiederum mit Auswirkungen. Eigenschaften und Prozesse von und zwischen den individuellen Mitgliedern – z. B. spezifische Interaktionen und Rollen – werden nur am Rande berücksichtigt. Da das MCIP aber z. B. durch das Konzept der Heterogenität Bezüge zur Individualebene herstellt, könnte es auch mit entsprechenden Ansätzen verbunden werden.

Wie zu Beginn von Kapitel 3 erläutert, wurde das MCIP in einem ersten Schritt mit Blick auf natürliche Kleingruppen (siehe 2.1.1 für eine Definition) und kurzfristige Episoden kollektiver Informationsverarbeitung entwickelt. Dabei haben sich bereits universelle Muster menschlicher Informationsverarbeitung abgezeichnet, die sich sowohl bei Individuen als auch bei Kleingruppen beobachten lassen. Analog dazu könnte in weiteren Schritten geprüft werden, ob und inwieweit die theoretischen Annahmen des MCIP auf kollektive Informationsverarbeitung durch andere Arten von Gruppen auf Mikro-, Meso- und Makroebene übertragbar sind. Dazu gehören z. B. spontane Interaktionen, Organisationen, soziale Bewegungen oder soziale Kategorien. Damit verbunden könnten die Annahmen des MCIP – die vor allem auf den Erkenntnissen der sozialpsychologischen Kleingruppenforschung basieren – stärker mit Theorien und Modellen anderer Disziplinen wie der Soziologie abgeglichen werden. Aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive erscheint besonders interessant, ob die vom MCIP angenommenen Muster auch auf kollektive Informationsverarbeitung durch größere Gruppen im Internet wie soziale Online-Bewegungen und Communities zutreffen. Tatsächlich deuten Erkenntnisse aus dem Feld der Computer-Supported Cooperative Work darauf hin, dass solche Gruppen trotz fehlendem direkten Kontakt und trotz ihrer Größe dazu in der Lage sind, Informationen im Sinne des MCIP zu verarbeiten (siehe Schindler, 2022 für eine erste Ausarbeitung). Neuberger et al. (2019, 2023) zeigen, wie Generierung, Prüfung, Distribution und Aneignung von Wissen in verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen durch unterschiedliche Elaborationsgrade (d. h. mehr oder weniger Systematik) und Erkenntnisstile (d. h. mehr oder weniger Offenheit) geprägt werden. Schließlich könnten neben Systematik und Offenheit noch weitere Dimensionen kollektiver Informationsverarbeitung identifiziert und in das MCIP integriert werden.

Grenzen des MCIP

Während das MCIP in verschiedene Richtungen anschlussfähig ist, unterliegt es in anderen Bereichen klaren Grenzen. Wie zu Beginn von Kapitel 3 angekündigt, bezieht sich das Modell auf genuin kollektive und somit kollaborative Informationsverarbeitung. Deren Grundlage ist ein Mindestmaß an Social Sharedness, also geteilten Einstellungen, Vorstellungen, Vorgänge etc. unter den Gruppenmitgliedern (siehe 3.1.2.1). Nur wenn alle Mitglieder im Wesentlichen über den Zweck und das Vorgehen des gemeinsamen Verarbeitungsprozesses übereinstimmen, können sie Combinations of Contributions vornehmen, also zusammenwirken und so als Gruppe agieren (siehe 3.1.2.2). Auf dieser Basis können trotzdem Meinungsverschiedenheiten und Konflikte innerhalb der Gruppe vorkommen, die im MCIP durch Konzepte wie die Heterogenität der Einstellungen oder eine angespannte Stimmung berücksichtigt werden. Das MCIP bezieht sich aber nicht auf Interaktionen, die aus grundsätzlich widerstreitenden individuellen Interessen resultieren. Es deckt also z. B. keine fundamentalen Konflikte, Übergriffe oder Zwang zwischen Mitgliedern einer Gruppe ab. Nach der empirischen Prüfung des MCIP wird unter 7.2 noch einmal auf seine Einschränkungen eingegangen.

Der Aspekt selbst- vs. gruppenbezogener Motivationen wird z. B. vom Motivated Information Processing in Groups Model (MIP-G; De Dreu et al., 2008) aufgegriffen. Dabei handelt es sich – nach Stand dieser Arbeit – um das einzige weitere explizite Modell der Informationsverarbeitung in Gruppen. Das Modell geht davon aus, dass die Beiträge einzelner Gruppenmitgliedern zum kollektiven Verarbeitungsprozess von zwei Arten individueller Motivation geprägt werden (Low vs. High Epistemic Motivation und Proself vs. Prosocial Motivation). Das MIP-G beschäftigt sich somit stärker mit dem Zusammenspiel individueller und kollektiver Prozesse, während das MCIP den kollektiven Prozess als Ganzes in den Blick nimmt. Beide Modelle betrachten zudem unterschiedliche Einflussfaktoren, Dimensionen und Auswirkungen kollektiver Informationsverarbeitungsprozesse.

3.3.2 Forschungsfragen

Das unter 3.3.1 zusammengefasste MCIP liefert die theoretische Grundlage für die methodische und empirische Ausrichtung der vorliegenden Arbeit. In ihr soll auf Basis eines Mixed-Methods-Designs (Kapitel 4) erstens die methodische Frage beantwortet werden, ob Kleingruppen eine standardisierte Befragung valide beantworten können (Studie I, Methode: siehe 4.3; Ergebnisse: Kapitel 5). Zweitens will die Arbeit mittels standardisierter Gruppenbefragung die empirische Frage beantworten, wie kollektive Verarbeitungsprozesse von Medienbotschaften in Kleingruppen funktionieren (Studie II, Methode: siehe 4.4; Ergebnisse: Kapitel 6). Kollektive Rezeptionsprozesse werden dabei als besonders relevante Form kollektiver Informationsverarbeitung im Allgemeinen verstanden. Im Folgenden werden beide Fragestellungen genauer erläutert. Dafür wurden aus den bisherigen Ausführungen und dem MCIP jeweils konkrete Forschungsfragen abgeleitet. Die Beantwortung der Forschungsfragen dient somit auch einer ersten empirischen Überprüfung des MCIP.

Validität einer standardisierten Gruppenbefragung (Studie I)

Wie unter 2.4.2 ausgeführt, könnte ein standardisiertes Befragungsinstrument, das sich an Gruppen als Untersuchungseinheiten richtet, eine sinnvolle und vielversprechende Ergänzung zu den bisher in der Gruppenforschung eingesetzten Methoden sein. Deshalb beschäftigt sich die vorliegende Arbeit in ihrem methodischen Beitrag im Rahmen von Studie I zunächst explorativ mit der Frage, ob Kleingruppen eine standardisierte Befragung valide beantworten können. Dazu wurde ein entsprechender Gruppenfragebogen entwickelt, der sich auf kollektive Medienrezeption bezieht und unter 4.2 genauer vorgestellt wird.

Grundsätzlich implizieren die Annahmen 1–3 des MCIP zu den Grundlagen kollektiver Informationsverarbeitung, dass Gruppen als Einheit agieren und somit auch Fragen beantworten können (siehe 3.3.1 für eine Zusammenfassung und 3.1 für die genaue Ausarbeitung). Auch die Beantwortung eines Fragebogens kann als Informationsverarbeitungsprozess verstanden werden. Die ersten drei Annahmen des MCIP zu sozialer Identität, Gruppen als informationsverarbeitenden Systemen und sozialen Einflüssen sind jeweils schon umfassend empirisch untermauert. Es bleibt aber genauer empirisch zu prüfen, ob Gruppen auf dieser Grundlage tatsächlich sinnvoll Fragen beantworten können.

Erfahrungen aus qualitativer Forschung sprechen zumindest dafür: So beschreibt z. B. Lüthje Gruppendiskussionen, die so homogen ablaufen, dass „man meinen [könnte], es spräche nur ein Akteur, so sehr passen die Beiträge zusammen“ (2016, S. 166). In einer qualitativen Gruppendiskussion zu kollektiver Medienrezeption zeigte sich ebenfalls, dass Gruppen Fragen gemeinsam und homogen beantworten konnten, wobei die Gruppenmitglieder gegenseitig ihre Sätze weiter führten (Schindler & Bartsch, 2019). Als Hintergrund für diese Einheit der Gruppe nennt Lüthje (2016) eine geteilte Wahrnehmung des Problems und des existenziellen Hintergrunds, was zum Konzept der sozialen Identität aus Annahme 1 (siehe 3.1.1.2) und dem Konzept der Social Sharedness aus Annahme 2 des MCIP passt (siehe 3.1.2.1). Außerdem beschreibt sie, dass sich Gruppenmitglieder auf Basis ihrer gemeinsamen Orientierung gegenseitig bestätigen, berichtigen und ergänzen (Lüthje, 2016, S. 166). Diese Beobachtung passt zum Konzept der Combinations of Contributions aus Annahme 2 (siehe 3.1.2.2) sowie zu sozialen Einflüssen als Teil des kollektiven Prozesses, wie sie in Annahme 3 des MCIP formuliert werden (siehe 3.1.3).

Um im Folgenden explorativ empirisch zu prüfen, wie gut und valide Gruppen eine standardisierte Befragung beantworten können, wurden zwei übergeordnete Forschungsfragen formuliert. Die erste übergeordnete Forschungsfrage bezieht sich auf die Funktionsweise des kollektiven Ausfüllprozesses. Ein tiefergehendes Verständnis darüber, wie die gemeinsamen Antworten in einer Gruppenbefragung zustande kommen, ist zentral, um beurteilen zu können, ob sie tatsächlich den Gruppenprozess abbilden.

Auf Basis der bisherigen theoretischen Überlegungen lassen sich relevante Aspekte des kollektiven Antwortprozesses identifizieren und in Teilfragen adressieren: Unter 3.1.1 wurde deutlich, dass Individuen auf das Zusammenleben in Gruppen ausgerichtet sind und unter 3.1.3.2, dass Konformität Bestandteil kollektiver Informationsverarbeitung ist. Es wurde außerdem gezeigt, dass Gruppen durch unterschiedliche Arten der Verständigung zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen können (siehe 3.1.2.2, 3.2.1.1 und 3.2.2.1). Vor diesem Hintergrund stellt sich die empirische Frage, wie häufig und unter welchen Umständen Gruppen in einer standardisierten Befragung auf gemeinsame oder unterschiedliche Antworten kommen (FF1a-c). Weiterhin ergibt sich aus der Gruppenforschung, dass Gruppen von einzelnen Mitgliedern geprägt werden können, aber dass solche Meinungsführer:innen eher ihrer Gruppe dienen, als umgekehrt (siehe 3.1.3.1). Da ein standardisierter Gruppenfragebogen immer nur von einer Person aus der Gruppe bedient werden kann, ist von besonderem Interesse, welche Rolle die ausfüllende Person tatsächlich einnimmt (FF1d). Die Gruppenforschung zeigt zudem, dass die Fähigkeiten von Gruppen die ihrer Mitglieder übersteigen können (siehe 3.1.2.2 und 3.2.1.1). Für die standardisierte Gruppenbefragung stellt sich deshalb die Frage, ob der gemeinsame Ausfüllprozess die Qualität der Messungen verbessern kann, indem er z. B. zum Verständnis der Fragen beiträgt (FF1e). Schließlich könnten bei Gruppen genauso wie bei Individuen Reaktivitätseffekte auftreten (Scholl, 2013). Deshalb wird auch gefragt, inwieweit der gemeinsame Antwortprozess durch Reaktivität beeinflusst wird (FF1f).

FF1::

Wie funktioniert der kollektive Ausfüllprozess eines standardisierten Fragebogens durch Kleingruppen?

FF1a::

Wie häufig und auf welche Weise zeigen die Gruppenmitglieder von Beginn an ihr Einverständnis mit einer gemeinsamen Antwort?

FF1b::

Wie häufig und auf welche Weise einigen sich die Gruppenmitglieder im Verlauf des Ausfüllprozesses auf eine gemeinsame Antwort?

FF1c::

Wie häufig und unter welchen Umständen geben die Gruppen an, sich nicht einig zu sein?

FF1d::

Welche Rolle nimmt die den Fragebogen ausfüllende Person im gemeinsamen Antwortprozess ein?

FF1e::

Inwieweit kann der gemeinsame Ausfüllprozess zur Qualität der Messungen beitragen?

FF1f::

Inwieweit führt das gewählte Untersuchungsdesign zu Reaktivität?

Die zweite übergeordnete Forschungsfrage bezieht sich auf den Abgleich zwischen gemessenem und tatsächlich beobachtbarem Verhalten bei der Gruppenbefragung. Sie zielt damit auf eine Validierung im engeren Sinne ab: Soweit möglich soll direkt geprüft werden, ob die gemeinsamen Antworten tatsächlich den Gruppenprozess abbilden:

FF2::

Stimmt das beobachtbare Verhalten der Gruppen im gemeinsamen Rezeptionsprozess mit ihren Antworten im Gruppenfragebogen überein?

Zur Beantwortung von FF1 und FF2 wurde zunächst ein Gruppenfragebogen entwickelt (siehe 4.2) und dann in Studie I eine qualitative Beobachtung und Gruppendiskussion durchgeführt (Methode: siehe 4.3; Ergebnisse: Kapitel 5). So konnte der Gruppenfragebogen getestet, validiert und weiterentwickelt werden, um anschließend zur Beantwortung der im Folgenden vorgestellten weiteren Forschungsfragen in Studie II eingesetzt zu werden.

Funktionsweise kollektiver Medienrezeption (Studie II)

Unter 2.3 wurde dargelegt, dass bisher vergleichsweise wenige empirische Befunde zu kollektiver Medienrezeption vorliegen. Deshalb liegt der empirische Beitrag der vorliegenden Arbeit in quantitativen Ergebnissen zur Funktionsweise kollektiver Medienrezeption. Diese können im Grundsatz auch auf kollektive Informationsverarbeitung im Allgemeinen übertragen werden.

Aus den Annahmen 4–6 des MCIP zur Mehrprozess-Perspektive auf kollektive Informationsverarbeitung lassen sich Vermutungen zu Eigenschaften, Einflussfaktoren und Auswirkungen kollektiver Rezeptionsprozesse ableiten. Sie sprechen dafür, dass kollektive Informationsverarbeitung auf den Dimensionen automatisch vs. systematisch und geschlossen vs. offen differenziert werden kann (siehe 3.3.1 für eine Zusammenfassung und 3.2 für die genaue Ausarbeitung). Auch wenn die aus der Literatur abgeleiteten Vermutungen insgesamt zu einem kohärenten Bild führen, bleiben sie im Einzelnen teils widersprüchlich (z. B. erscheint es plausibel, dass Ärger sowohl einen mehr als auch einen weniger systematischen kollektiven Verarbeitungsmodus begünstigt, vgl. 3.2.1.2). Das verwundert insofern wenig, als es zu den Annahmen 4–6 des MCIP bisher kaum explizite empirische Untersuchungen gibt und deshalb auf Analogien zurückgegriffen wurde. Konkret wurde häufig entweder auf Forschung zu den jeweiligen Prozessen bei Individuen oder auf Forschung zu ähnlichen Prozessen bei Gruppen Bezug genommen. Zudem bleibt trotz aller Plausibilität einzelner Zusammenhänge unklar, ob und wie diese dann im Gesamtkontext kollektiver Informationsverarbeitung zum Tragen kommen. Deshalb erschien es in diesem Stadium des MCIP sinnvoll, hinreichend offene Forschungsfragen – und keine Hypothesen – zu formulieren.

Der erste Block an Forschungsfragen beschäftigt sich allgemein mit den Eigenschaften der Verarbeitungsdimensionen Systematik und Offenheit (Annahmen 4 und 5, siehe 3.2.1.1 und 3.2.2.1) und ihrem Verhältnis zueinander (Annahme 6, siehe 3.2.3.1). Dabei soll erstens geprüft werden, ob sich die beiden Dimensionen durch einen standardisierten Index messen lassen (FF3a–b). Als Nächstes geht es darum, in welchem Verhältnis beide Dimensionen zueinanderstehen (FF4). Schließlich soll beleuchtet werden, mit welchen Arten der Verständigung (FF5a) und mit welchen Affekten (FF5b) systematische und offene Informationsverarbeitung verbunden sind:

FF3::

Ist eine Operationalisierung der Dimensionen a) Systematik und b) Offenheit kollektiver Informationsverarbeitung durch standardisierte Indizes in Gruppenbefragungen möglich, die den Validitätskriterien der Indexbildung in Einzelbefragungen entspricht?

FF4::

In welchem Verhältnis stehen die Dimensionen systematischer und offener kollektiver Informationsverarbeitung zueinander?

FF5::

In welchem Zusammenhang stehen systematische und offene kollektive Informationsverarbeitung mit a) Arten der Verständigung und b) Affekten auf Gruppenebene?

Der zweite Block an Forschungsfragen bezieht sich auf die Einflussfaktoren auf mehr oder weniger systematische bzw. offene Informationsverarbeitung in Gruppen (Annahmen 4 und 5, siehe 3.2.1.2 und 3.2.2.2). In dieser ersten empirischen Untersuchung wurde dazu jede Verarbeitungsdimension einzeln betrachtet. Zukünftige Studien könnten sich dann genauer mit den kombinierten prototypischen Verarbeitungsmodi aus dem 4-Modi-Modell beschäftigen (Annahme 6, siehe 3.2.3.2). Die Forschungsfragen beziehen sich jeweils auf eine Auswahl der auf Basis der Literatur grundsätzlich relevant erscheinenden Einflussfaktoren auf mehr oder weniger systematische (FF6a–e) und offene (FF7a–e) Informationsverarbeitung in Gruppen:

FF6::

Welchen Einfluss haben a) Themenbedeutung, b) die Abweichung vom wahrgenommenen Meinungsklima, c) Wissen, d) Aufmerksamkeit und e) Affekte der Gruppe auf das Ausmaß systematischer Informationsverarbeitung in Gruppen?

FF7::

Welchen Einfluss haben a) Einstellung, b) Themenbedeutung, c) Abweichung vom wahrgenommenen Meinungsklima, d) Wissen und e) Affekte der Gruppe auf das Ausmaß offener Informationsverarbeitung in Gruppen?

Der dritte Block an Forschungsfragen zielt auf Auswirkungen auf Gruppenebene ab. Wie im zweiten Block (s. o.) wurden auch hier jeweils die Verarbeitungsdimension Systematik und Offenheit für sich genommen betrachtet (Annahmen 4 und 5, siehe 3.2.1.3 und 3.2.2.3). Die Forschungsfragen zählen jeweils die Auswirkungen auf, die ein unterschiedliches Ausmaß an Systematik (FF8a–c) und Offenheit (FF9) auf die gesamte Gruppe haben könnte:

FF8::

Welche Auswirkungen hat das Ausmaß systematischer Informationsverarbeitung in Gruppen auf deren a) Einstellung, b) Themenbedeutung und c) Verständnis des Stimulus?

FF9::

Welche Auswirkungen hat das Ausmaß offener Informationsverarbeitung in Gruppen auf deren Einstellung?

Bei Auswirkungen auf Gruppenebene stellt sich automatisch die Frage, inwieweit diese auch Auswirkungen auf Individualebene sind. Mit ihnen beschäftigt sich der vierte und letzte Frageblock. Auch wenn Auswirkungen auf Individuen nicht im Zentrum der vorliegenden Arbeit und des MCIP stehen, hilft ihre Betrachtung, um die Relevanz der kollektiven Verarbeitungsmodi über den Gruppenkontext hinaus einschätzen zu können. Das MCIP geht davon aus, dass Gruppenmitglieder die Identität ihrer Gruppe internalisieren (Annahme 1, siehe 3.1.1), was nahelegt, dass Effekte auf die Gruppe gleichzeitig auch auf ihre Mitglieder wirken. In den letzten, explorativen Forschungsfragen geht es dementsprechend darum, inwieweit die angegebene Einstellung (FF10) und Themenbedeutung (FF11) der einzelnen Mitglieder im Kontext der Gruppen- und Einzelbefragung voneinander abweichen. Das Verständnis des Stimulus wurde in der Gruppenbefragung ausschließlich auf Gruppenebene und ohne die Möglichkeit zu individuellen Angaben gemessen. Hier stellt sich die Frage, inwieweit das in der anschließenden Einzelbefragung gemessene individuelle Verständnis davon abweicht (FF12). Alle drei Forschungsfragen beschäftigen sich zudem damit, welche verwandten Konstrukte auf Individual- und Gruppenebene mögliche Abweichungen erklären (FF10a–c, FF11a–b, FF12):

FF10::

Gibt es Abweichungen zwischen den individuellen Angaben zur Einstellung in der Gruppenbefragung und in der anschließenden Einzelbefragung? Welchen Einfluss haben a) Einstellungen auf Individual- und Gruppenebene, b) die individuelle Themenbedeutung sowie c) kollektive Verarbeitungsmodi auf die Abweichungen beider Angaben?

FF11::

Gibt es Abweichungen zwischen den individuellen Angaben zur Themenbedeutung in der Gruppenbefragung und in der anschließenden Einzelbefragung? Welchen Einfluss haben a) die Themenbedeutung auf Individual- und Gruppenebene sowie b) kollektive Verarbeitungsmodi auf die Abweichungen beider Angaben?

FF12::

Gibt es Abweichungen zwischen dem kollektiven und dem individuellen Verständnis des Stimulus? Welchen Einfluss haben kollektive Verarbeitungsmodi auf die Abweichungen beider Angaben?

Zur Beantwortung von FF3–12 wurde in Studie II eine standardisierte Onlinebefragung von Kleingruppen durchgeführt (Methode: siehe 4.4; Ergebnisse: Kapitel 6). Dafür wurde der unter 4.2 entwickelte und in Studie I (siehe 4.3) getestete und validierte Gruppenfragebogen eingesetzt.