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Gegen Responsibilisierung. Über die Herrschaft von Begriffen

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Responsibilisierung

Part of the book series: Zürcher Begegnungen ((ZUEBE))

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Zusammenfassung

Begriffe herrschen, so können wir im Anschluss an Wittgenstein und Nietzsche sagen, wenn sie unsere Denk-, Handlungs-, und Seinsweisen bestimmen und uns zugleich vergessen machen, dass sie Ergebnisse einer langen Geschichte von Konflikten um jene sozialen Praktiken sind, in denen sie gebraucht werden. Denn ihre heutige Bedeutung ergibt sich aus dem Sieg eines bestimmten Gebrauchs – mit jeder unreflektierten Verwendung bekräftigen wir daher unhinterfragt die Sieger der Begriffsgeschichte. Die Responsibilisierung unseres Denkens ist die in diesem Sinne verstandene Herrschaft eines bestimmten Gebrauchs von „Verantwortung“. Die heute selbstverständliche Verwendung von „Verantwortung“ resultiert aus der Entwicklung des Begriffs in Recht, Politik und Philosophie, in der „Verantwortung“ an ein spezifisches Selbstverständnis des verantwortlichen Subjekts gebunden wird. Darin verbirgt sich eine Objektivierung von Machtbeziehungen im Inneren des Subjekts, damit dieses sich allen Einschränkungen zum Trotz souverän fühlen kann. Insofern haben wir gute Gründe, die Responsibilisierung des Denkens zu kritisieren.

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Notes

  1. 1.

    Vgl. z. B. Wittgenstein (2000, § 114): „Man glaubt, wieder und wieder der Natur nachzufahren, und fährt nur der Form entlang, durch die wir sie betrachten.“

  2. 2.

    „Die Philosophie darf den tatsächlichen Gebrauch der Sprache in keiner Weise antasten, sie kann ihn am Ende also nur beschreiben. Denn sie kann ihn auch nicht begründen. Sie läßt alles wie es ist“ (Wittgenstein, 2000, § 124).

  3. 3.

    Diese Formulierung greift die drei Achsen des Wissens, der Macht und der Selbstverhältnisse von Foucault (2004, S. 9–13) auf (vgl. dazu auch Vogelmann, 2016).

  4. 4.

    Und umgekehrt: „Wenn etwas als Handlung einer Person gilt, ist diese Person dafür verantwortlich“ (Nida-Rümelin, 2011, S. 25).

  5. 5.

    In Harts (1949, S. 188–189) Beispiel: weil es ein Verhalten ist, dem ein Willensakt vorherging.

  6. 6.

    Sachlich schwerwiegender ist Geachs (1985, S. 242–243) Einwand, dass der Askriptivismus ein Problem mit dem prädikativen Gebrauch von Begriffen (beispielsweise in Konditionalsätzen) habe, den er unzulässig auf den assertiven Gebrauch reduziere. Um zu zeigen, dass Harts Gebrauch von „Verantwortung“ damals noch ungewöhnlich war, ist dieser Einwand jedoch nicht so hilfreich.

  7. 7.

    Man könnte die weiteren Ausführungen Constants zur Ministerverantwortlichkeit (vgl. vor allem Constant, 1831, S. 32–51) und ihren Prozeduren, die doch wieder dem Gerichtsprozess und der strafrechtlichen Verantwortung nachgebildet sind, als Beleg dafür ansehen, dass er die anfangs so prononcierte Trennung nicht durchhält. Allerdings betont er auch in diesen Kapiteln stets den Unterschied zwischen Strafbarkeit und Verantwortung, von der er im letzten Kapitel zeigen will, dass sie meist, wenn nicht immer, ohne den Vollzug der möglicherweise angedrohten Strafe auskommt (Constant, 1831, S. 51–56).

  8. 8.

    Das kommt dem frühen politischen Gebrauch von „responsibility“ nahe, den die Federalists prägen (vgl. Hamilton et al., 1994, S. 381; dazu Proschwitz, 1988, S. 82–92). Constant geht in De la responsabilité des ministres jedoch nicht auf sie ein.

  9. 9.

    Für Nietzsche (2010, II/17, S. 324) ist die Entstehung des schlechten Gewissens aus der Verinnerlichung des eigentlich nach außen wirkenden Willens zur Macht an die Entstehung des Staates gekoppelt, der „demgemäss als eine furchtbare Tyrannei, als eine zerdrückende und rücksichtslose Maschinerie auftrat und fortarbeitete, bis ein solcher Rohstoff von Volk und Halbthier endlich nicht nur durchgeknetet und gefügig, sondern auch geformt war“.

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Vogelmann, F. (2024). Gegen Responsibilisierung. Über die Herrschaft von Begriffen. In: Heite, C., Magyar-Haas, V., Schär, C. (eds) Responsibilisierung. Zürcher Begegnungen. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-42456-5_2

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