Grundsätzliche Zielsetzung dieser Arbeit war es, Erkenntnisse über die COVID-19-Krise als Auslöser für Geschäftsmodellinnovation zu erlangen und deren mögliche Integration als proaktive Maßnahme im touristischen Krisenmanagement vorzuschlagen. Dieses Ziel wurde sowohl auf empirischer als auch auf theoretischer Ebene erreicht. In Abschnitt 6.1 werden die eingangs formulierten Forschungsfragen nochmals kurz aufgegriffen und beantwortet. Die Darstellung der Implikationen für Forschung und Praxis folgt in Abschnitt 6.2. Weiterführende Forschungsbedarf und Limitationen dieser Arbeit werden in Abschnitt 6.3 näher ausgeführt. Abschließend erfolgt in Abschnitt 6.4 ein Ausblick auf die Zukunft des touristischen Krisenmanagements sowie die Rolle von Digitalisierung und Innovation seiner Akteure in diesem Kontext.

6.1 Beantwortung der Forschungsfragen

Forschungsfrage 1: Inwiefern nehmen Akteure einer Flusskreuzfahrtdestination die COVID-19-Pandemie als Krise wahr und ergreifen (Sofort-)Maßnahmen, um deren Auswirkungen entgegenzuwirken?

Inwiefern wurden Ereignisse vor der COVID-19-Pandemie als Krisen wahrgenommen? Grundsätzlich wird die Tourismusbranche von allen Akteuren als krisenanfällig wahrgenommen. Obwohl jeder angibt, mindestens eine Krise erlebt zu haben (z. B. Wirtschaftskrise, Terroranschlag oder Hochwasser), wird eine solche als lokal begrenzte und temporäre Bedrohung empfunden.

Inwiefern hatten vergangene Ereignisse Auswirkungen auf die touristische Tätigkeit? Überwiegend wurden von den Akteuren nach den genannten Ereignissen keine bemerkenswerten Auswirkungen verzeichnet. Nur ein kleiner Teil konnte Einkommensverluste und Buchungsrückgänge jenseits üblicher Marktschwankungen feststellen.

Inwieweit wurden aufgrund vergangener Ereignisse Maßnahmen ergriffen? Die Mehrheit der Befragten hat keine Maßnahmen zur Krisenprävention getroffen. Der kleine Teil betroffener Akteure beschreibt Maßnahmen in Form von Diversifikation, Marktentwicklung und Produktentwicklung innerhalb der Branche (Wachstumsstrategien).

Inwiefern wird die COVID-19-Pandemie als Krise wahrgenommen? Die Befragten nehmen die COVID-19-Pandemie als internationale und dauerhafte Krise war, die sie mehrheitlich wirtschaftlich bedroht (Zitate: „Metastörung“ oder „Gesundheitskrieg“).

Inwiefern hat die COVID-19-Pandemie Auswirkungen auf die touristische Tätigkeit? Nahezu alle Teilnehmer verzeichnen einen vollständigen Rückgang ihrer Buchungen, der mit schweren wirtschaftlichen Verlusten verbunden ist. Die Befragten bringen diese mehrheitlich mit staatlichen (COVID-)Restriktionen in Verbindung.

Inwieweit werden aufgrund der COVID-19-Pandemie Maßnahmen ergriffen? Mehrheitlich werden von den Akteuren Sofortmaßnahmen beschrieben, als da sind Auflösung von Rücklagen und Beantragung staatlicher Hilfen (Rückzug), Sicherung von Cashflow und Umlaufvermögen (Ausharren) sowie auch BMI (Innovation). In einigen Fällen wird der Wechsel von Branche bzw. Job angestrebt (Ausstieg). Keine Maßnahmen vermelden lediglich Akteure mit Rentenbezug.

Forschungsfrage 2: Wie und in welcher Weise wirkt sich die COVID-19-Pandemie auf Geschäftsmodelle von Akteuren an einer Flusskreuzfahrtdestination aus?

Inwiefern verändern Akteure ihre Geschäftsmodelle während der COVID-19-Pandemie? Überwiegend passen die Akteure ihre Geschäftsmodelle den staatlichen (COVID-)Restriktionen an. So werden beispielsweise interaktive Gästeführungen per Videokonferenz, virtuelle Gästeführungen in sozialen Medien sowie Informationssysteme ohne Gästeführer angeboten. Neben solchen digitalen oder digital erweiterten Produkten bzw. Dienstleistungen wird an prozessualen Änderungen und nachhaltigen Tourismusstrategien gearbeitet. Von einem Akteur wird gar eine radikale Veränderung seines BM hin zu einer Aqua-Farm sowie Drive-in-Bäckerei beschrieben.

Inwiefern handelt es sich um Geschäftsmodellinnovationen? Anhand der beschriebenen Veränderungen innerhalb einer der drei BM-Dimensionen Wertschöpfung, Wertangebot und Werterfassung kann bei neun Akteuren BMI positiv festgestellt werden. Diese beschreiben BMI als einen intendierten, aber nicht intentional gesteuerten oder zielgerichteten Prozess. Rund ein Drittel der Befragten gibt an, BMI nur temporär, während der COVID-19-Krise, verfolgen zu wollen.

Inwiefern ist die COVID-19-Krise Auslöser für diese Veränderungen? Bestehende touristische BM sind während der COVID-19-Pandemie, u. a. durch Kontakt- und Reisebeschränkungen, nicht mehr fortführbar. Da die Akteure ihre BM vorrangig aufgrund staatlicher (COVID-)Restriktionen verändern, kann die COVID-19-Krise mittelbar als Trigger-Event für die beobachtete BMI interpretiert werden. Das nach vorangegangenen Krisen bei den Akteuren keine BMI festgestellt werden konnte, kann als weiteres Indiz für die COVID-19-Krise als Trigger-Event erachtet werden.

Welche Faktoren begünstigen oder erschweren diese Veränderungen? Als begünstigende Faktoren konnten sowohl staatliche (COVID-)Restriktionen als auch wirtschaftliche Einbußen identifiziert werden. Aufgrund ihrer engen Verzahnung konnten diese im Rahmen der Studie jedoch nur im Zusammenspiel beobachtet werden. Erschwerende Faktoren wurden nicht identifiziert. Entgegen anfänglichen Annahmen ließ sich auch kein hemmender Einfluss staatlicher Hilfen eindeutig feststellen.

Inwiefern ist die Digitalisierung von Bedeutung? Die Mehrheit der beschriebenen BMI bewegt sich im Bereich Digitalisierung. Insbesondere aufgrund von Kontakt- oder Betriebsverboten verbleibt für die Akteure zumeist nur der virtuelle Raum für eine Weiterführung der touristischen Tätigkeit. Ebenso sind in diesem Kontext digitale Lösungen zur Umsetzung von Kontaktverfolgung, Zugangsbeschränkungen und kontaktlosen Bezahlvorgängen von Bedeutung. Des Weiteren wird durchweg von einem erhöhten Engagement der Akteure im Bereich sozialer Medien berichtet: im Rahmen des Krisenmanagements, „um im Gespräch zu bleiben“, bei BMI, „um neue Märkte zu erreichen“. Eine Begrenzung sehen die meisten Akteure in der „Digitalisierbarkeit“ touristischer Dienstleistungen, da die Digitalisierung ihrer BM eng Paradigmen in Frage stellt, die eng mit dem Tourismusbegriff verbunden sind, wie z. B. Ortsveränderung, Gastfreundschaft und sozialer Bezug zur Destination.

6.2 Implikationen

6.2.1 Beitrag zu Forschung

Erstens wird die Literatur zum Flusskreuzfahrttourismus, basierend auf einer ausgiebigen theoretischen Auswertung, um eine bisher fehlende Konzeptualisierung der Flusskreuzfahrtdestination ergänzt (vgl. Abschnitt 2.2.3). Somit kann diese Arbeit als Bezugspunkt für spätere Untersuchungen zum Thema Flusskreuzfahrten dienen (Cooper et al., 2019, S. 9; Tomej & Lund-Durlacher, 2020, S. 100302).

Zweitens wird die Literatur zum touristischen Krisenmanagement ergänzt. Einerseits durch die Einordnung der COVID-19-Pandemie in vorhandene Typologien nach Santana (2004), andererseits durch die Bestätigung von Faulkners Modell zum Krisenmanagement an Destinationen (2001). Einen besonderen Beitrag stellt dabei der Erhebungszeitpunkt dieser Studie dar, der nicht wie üblich im Nachgang der Krise, sondern bereits in der Notfallphase stattfindet (Lai & Wong, 2020, S. 3138).

Drittens wird die aktuelle Literatur zu temporärer sowie dauerhafter Geschäftsmodellinnovation, als mögliche proaktive Strategie für KMU zur Bewältigung von Krisen, mit empirischen Ergebnissen ergänzt bzw. bestätigt (Clauss et al., 2021, S. 312; Kraus et al., 2020, S. 1091). Unter anderem konnte dargelegt werden, dass BMI als Reaktion auf sich verändernde äußere Umstände nicht unbedingt radikal und unumkehrbar ist, sondern ein taktischer Ansatz innerhalb mehrerer strategischer Optionen in der Krise sein kann (Clauss et al., 2021, S. 312; Wenzel et al., 2021, S. o27).

Viertens wird zur interdisziplinären Diskussion im Rahmen der COVID-19-Forschung beigetragen, indem nicht nur Krise als Auslöser von BMI im Tourismus untersucht (Alves et al., 2020, S. 1; Dvoulety et al., 2021, S. 481; Filser et al., 2021, S. 891; Ritter & Pedersen, 2020, S. 214; Sigala, 2020, S. 313), sondern auch die Bedeutung der Digitalisierung sowie der Digitalisierbarkeit touristischer Geschäftsmodelle kritisch analysiert wird (Gössling et al., 2020, S. 2; Hall et al., 2020, S. 577; Reinhold et al., 2019, S. 1135; Zillinger, 2021, S. 1–55).

6.2.2 Beitrag zur Praxis

Die COVID-19-Krise ist in ihrer globalen Reichweite, ihren wirtschaftlichen Auswirkungen und ihrem politischen Einfluss außergewöhnlich. Ziel dieser Arbeit war es daher, neue konzeptionelle und empirische Erkenntnisse sowohl für das Krisenmanagement von Destinationen als auch für die Geschäftsmodellinnovation von touristischen KMU zusammenzuführen und damit klare Implikationen für die Praxis zu liefern. Zum einen können diese Erkenntnisse zur Verbesserung staatlicher Förderprogramme sowie im Krisenmanagement der Destinationen genutzt werden. Beispielsweise können die beschriebenen Probleme der Akteure bei der Finanzierung größerer Digitalisierungsmaßnahmen und notwendiger neuer Infrastrukturen durch Förderprogramme gezielt abgemildert werden. Darüber hinaus kann Geschäftsmodellinnovation insgesamt als beabsichtigter, zielgerichteter Prozess und aktive strategische Option durch Schulungs- und Informationsangebote der DMO in das Bewusstsein aller Akteure der Destination gebracht werden. Auf diese Weise kann den zahlreichen KMU in den Destinationen ein proaktiver Ansatz an die Hand gegeben werden, um mit temporärer BMI auf aktuelle und zukünftige Krisen reagieren zu können. Insgesamt können diese Maßnahmen zur Resilienz der Destination beitragen.

Insbesondere aus Sicht der KMU in den Destinationen können die beschriebenen Innovationen, wie z. B. digitale und interaktive Gästeführungen, als Inspiration und Blaupause für bestehende oder neue Geschäftsmodelle dienen. Gerade innovative Ansätze zur Überwindung sozialer Distanz durch Videokonferenzen bieten mögliche Ansatzpunkte für Geschäftsmodelle sowohl innerhalb als auch außerhalb des Tourismus. Einen besonderen gesellschaftlichen Beitrag leisten neue virtuelle Gästeführungsangebote für Menschen mit Handicap. Sie sind nun in der Lage, touristische Angebote zu nutzen, die ihnen bisher nicht zugänglich waren. So können Rollstuhlfahrer an Gästeführungen durch Innenstädte teilnehmen, deren mittelalterliches Pflaster sonst ein unüberwindbares Hindernis darstellt.

6.3 Limitationen und weiterführender Forschungsbedarf

6.3.1 Grenzen der Studie

Eine Fallstudienforschung unterliegt notwendigerweise Einschränkungen. In der Forschung werden Fallstudien üblicherweise mangels Repräsentativität, schwieriger Übertragbarkeit von Befunden und einer möglichen emotionalen Beeinflussung des Forschers kritisiert. Auch in der vorliegenden Arbeit ist dieser kritische Einwand angebracht. Bereits durch die Beschränkung der Stichprobe auf eine Destination, die im Kontext touristischer Forschung durchaus in der besseren Übertragbarkeit der Studienergebnisse begründet und üblich ist, ergeben sich Verzerrungen allein durch die i. d. R. ungleichmäßige Verteilung der Akteursgruppen. So sind für eine Destination nur eine, maximal zwei öffentlich finanzierte DMOs zuständig. Auch die Anzahl der ansässigen Busunternehmen ist selten zweistellig. Allein aufgrund von Sprachenvielfalt und Bedarfsmenge für eine Destination kann dagegen die Anzahl der Gästeführer leicht dreistellig sein. In diesem Bewusstsein wurde der Erkenntnisgewinn, der darin besteht, das Forschungsfelds während der Krise zu beschreiben und zu erforschen, priorisiert. Die Notfallphase als besonderer Untersuchungszeitraum während der Krise ist dabei Segen und Fluch zugleich. So liefert dieser einerseits im Bereich des Krisenmanagements einen wertvollen Beitrag zur Forschung. Andererseits wäre für den Bereich der Geschäftsmodellinnovation eine Folgeuntersuchung derselben Stichprobe erforderlich, um beispielsweise die Beständigkeit der zum Teil noch in Planung befindlichen Geschäftsmodelle zu eruieren. Spezifisch zu dem interessierenden Konstrukt der BMI könnte die Innovation, in Anbetracht der hier gewählten modularen Sichtweise des Geschäftsmodells, aus Änderungen einer Wertedimension und nachfolgenden Anpassungen anderer Dimensionen resultieren (Clauss, 2017, S. 385; Laudien & Daxböck, 2017, S. 420). Demnach könnte BMI als ein inkrementeller, emergenter Prozess verstanden werden, dessen Feststellung einer Langzeitstudie bedarf. Dieses Dilemma der begrenzten Verallgemeinerbarkeit anerkennend, werden in der BMI-Forschung diesbezüglich mehr empirische Analysen gefordert (Bhatti et al., 2021, S. 390).

Während sich die Fallstudie als nützlich erwies, um das komplexe neue Phänomen der Auswirkungen von COVID-19 während des ersten Lockdowns im Jahr 2020 zu untersuchen, wird mit zunehmenden Wissen über die Entwicklung der Pandemie mehr quantitative und replizierbare Forschung erforderlich sein. Diese kann dann zur Validierung von Konzepten und Beziehungen beitragen. Mixed Methods könnten sich in diesem Stadium als besonders geeignet erweisen, um die wissenschaftliche Strenge der Forschung zu erhöhen und gleichzeitig die Komplexität des untersuchten Phänomens zu adressieren. Die Verwendung quantitativer Ansätze könnte insbesondere dazu beitragen, kausale Zusammenhänge, wie beispielsweise zwischen begünstigenden oder erschwerenden Faktoren (vgl. Abschnitt 5.3.4), besser herauszuarbeiten und die benannten Wissenslücken zu schließen. Größere empirische Analysen wären darüber hinaus geeignet, nicht nur die beschriebenen Zusammenhänge besser zu erkennen, sondern auch die Generalisierbarkeit zu verbessern.

Auch wenn die vorliegende Arbeit aus den genannten Gründen keinen Anspruch auf statistische Repräsentativität erhebt, sprechen insbesondere die Implikationen dafür, dass die identifizierten Muster auch in einem weitaus größeren Kontext von Bedeutung sind. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich die Innovationsaktivitäten und -prozesse zwischen den betrachteten KMU – zum Teil Ein-Mann-Dienstleistungsunternehmen – im Tourismus und beispielsweise Industrieunternehmen erheblich unterscheiden können. Die Ergebnisse der Studie beruhen auf einer deutschen Stichprobe. Die durch COVID-19 bedingten BMI-Einflussfaktoren sind jedoch keine Eigenheit des deutschen Markts. Dadurch wird die Erklärungskraft der Ergebnisse nicht einschränkt. Allerdings beruht die Stichprobe auf nur einer Destination. Eine Ausweitung der Untersuchung auf weitere Flusskreuzfahrtdestinationen in Deutschland (z. B. Köln, Passau und Speyer) oder im europäischen Ausland (z. B. Budapest, Novi Sad und Wien) sowie weltweit (z. B. Ägypten, Australien, China und USA) wäre in dieser Hinsicht aufschlussreich. Die Begrenzung auf eine geografische Region erhöht die Vergleichbarkeit der Forschung an unterschiedlichen Destinationen. Gleichzeitig limitiert die Beschränkungung auf eine geografische Region die Aussagen über begünstigenden oder erschwerende Faktoren für BMI, da in anderen Ländern sowohl andere staatliche Restriktionen gelten (z. B. Hygieneauflagen) als auch andere staatliche Unterstützungen gewährt werden (z. B. Corona-Hilfen). Mithin könnten also überregionale externe und interne Treiber für BMI existieren (z. B. Lebenszyklus der Branche, organisatorische Trägheit oder Führung), die als signifikante Einschränkungen der vorliegenden Arbeit gelten dürfen. Als Ansatz zur Förderung der Resilienz in touristischen Destinationen sollten Geschäftsmodellinnovationen im Kontext von Krisen in weiteren Forschungsansätzen untersucht werden.

Segen und Fluch zugleich war die bereits in Abschnitt 4.7 beschriebene persönliche Beziehung zwischen Forscher und Studienteilnehmern. So gab es durchaus schwierige Interviewsituationen, in denen die Studienteilnehmer den Interviewer selbst als Experten befragten und somit die Rollen vertauschten. Dieser Beeinträchtigung steht eine besondere Güte der Daten gegenüber. Allein die offene Darlegung von Geschäftsmodellen und Unternehmensstrategien mit der Quantifizierung von Erträgen und Verlusten sind sensible Daten, die einem Fremden so nicht mitgeteilt worden wären. Die Interviews erforderten daher unter anderem ein hohes Maß an Anonymisierung, um leicht mögliche Rückschlüsse auf die Identität der Studienteilnehmer zu vermeiden.

Schließlich können die Ergebnisse qualitativer Forschung nicht losgelöst von der Weltsicht des Forschers betrachtet werden. Daher ist an dieser Stelle besonders zu betonen, dass der Forscher im Sinne des Konstruktivismus einen erkannten Gegenstand nicht anders als vom Betrachter selbst, durch den Vorgang des Erkennens konstruiert, begreift. Die empirische Bestätigung einer Hypothese kann in diesem Verständnis nicht die Erkenntnis einer objektiven Welt bedeuten.

6.3.2 Weiterführende Forschung

Vor dem Hintergrund der im vorherigen Abschnitt dargestellten Grenzen der Studie sollte zukünftige Forschung den emergenten Charakter von Geschäftsmodellinnovationen differenziert untersuchen, da dieses Verständnis insbesondere im Hinblick auf die Identifikation von Erfolgsfaktoren von BMI von Bedeutung sein könnte. Ein vielversprechender Forschungsansatz könnte sich aus der Analyse ergeben, wie kulturelle Unterschiede BMI begünstigen oder erschweren, wie die Profitabilität durch temporäre Geschäftsmodellinnovation im Kontext touristischer KMU beeinflusst wird und ob sie aus dieser Perspektive überhaupt unternehmerisch sinnvoll ist. Wie bereits in Abschnitt 6.3.1 erwähnt wären Langzeitstudien sinnvoll, um auch die Dauer und Beständigkeit einer BMI zu erfassen. Aufgrund der Fokussierung der Arbeit auf touristisches Krisenmanagement und Geschäftsmodellinnovation wurden eine Reihe interessanter Aspekte nicht weiter vertieft, so erscheinen z. B. interdisziplinäre Forschungsansätze in den Bereichen Innovations- und Change-Management sowie organisationales Lernen vielversprechend. Insbesondere das Modell von Dewald und Bowen (2010), das einen Zusammenhang zwischen Entscheidungen, Risiko und Resilienz herstellt (Dewald & Bowen, 2010, S. 200), könnte einen fruchtbaren Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen im Hinblick auf die Stärkung der Resilienz von KMU darstellen.

Vor allem im Rahmen der Tourismusforschung sollten wissenschaftliche Untersuchungen auf weitere Teilbereiche des Tourismus ausgedehnt werden. Neben dem Vergleich mit anderen Destinationen würden sich auch andere Tourismusformen wie Bus- oder Individualtourismus, aber auch andere Formate wie Städte- und Naturtourismus anbieten. Dadurch könnten vorgeschlagene Konzepte erprobt und auf ihre Anwendbarkeit in anderen Tourismuskontexten überprüft werden.

Ein weiterer Ausgangspunkt dieser Arbeit war, dass die durch COVID-19 ausgelöste Krise bzw. der daraus resultierende finanzielle Druck BMI begünstigt und staatliche Unterstützung dem entgegenwirkt. Neben dem Vorschlag, andere methodische Ansätze zu verfolgen, um diese Faktoren zu erforschen, wird an dieser Stelle empfohlen, einen anderen theoretischen Rahmen für die weitere Untersuchung zu verwenden. Aufbauend auf dem entwickelten Modell des Flusskreuzfahrt-Destination-Clusters kann die Destination als Gesamtheit ihrer Akteure und damit als eigenständige Organisation betrachtet werden (vgl. Abschnitt 2.2.3).

Kombiniert man nun das Verständnis des Stresslevels im System der Organisation mit dem Lebenszyklusmodell der Krise nach Braden (2004) (vgl. Abschnitt 2.3.4) und verbindet es mit dem Phasenmodell von Faulkner (2001) (vgl. Abschnitt 2.4.2), so lässt sich mit Blick auf die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit ein Zusammenhang zwischen dem Stresslevel der Destination und BMI vermuten (vgl. Abbildung 6.1, Hervorhebung).

Als Indiz hierfür kann das zeitlich unmittelbare Aufeinanderfolgen von „Peak“, also maximalem Stresslevel, den die Destination als Organisation ertragen kann, und Einsetzen der BMI bei den Akteuren dienen (vgl. Abbildung 6.1, Hervorhebung). Daher wird der Stresslevel der Destination als potenzieller Erklärungsansatz für weitere Untersuchungen von Geschäftsmodellinnovation in der Krise vorgeschlagen.

Abbildung 6.1
figure 1

Stresslevel der Destination als Trigger-Event für BMI. (Quelle: Eigene Darstellung nach Braden et al. (2004) und Faulkner (2001))

Am Rande wurde im Rahmen dieser Arbeit festgestellt, dass Geschäftsmodellinnovation als strategische Option im Bewusstsein der Entscheidungsträger fehlt und diese durch einen Glauben an die Stabilität des Marktes und eine gefühlte Abhängigkeit von etablierten Marktregeln eingeschränkt sind. Eine Untersuchung dieser möglichen kognitiven Einschränkungen von Managern, die bereits in den Arbeiten von Tversky und Kahneman angesprochen wurden (Status Quo Bias), könnte daher auch im Kontext von Geschäftsmodellinnovationen für KMU von Interesse sein (Kahneman & Tversky, 1979, S. 288; Tversky & Kahneman, 1981, S. 456).

6.4 Ausblick

In der Tourismusforschung wurde bereits seit 2002 ein besonderes Augenmerk auf die Auswirkungen des SARS-Erregers – heute besser bekannt als SARS-CoV-1 – auf den Tourismus in Asien im Allgemeinen (Lee & Chen, 2011; McAleer et al., 2010) bzw. in China im Besonderen (Zeng et al., 2005), Hongkong (Pine & McKercher, 2004), Korea (Chun et al., 2005), Japan (Min et al., 2011), Australien (Dwyer et al., 2006) und sogar Schottland (Page et al., 2006), so muss der geringe Grad an Bewusstsein und Vorbereitung auf ein solches Ereignis in den touristischen Destinationen überraschen. Dabei wurden Best-Practice-Beispiele für Grippeepidemien, die Weitergabe von Informationen an Tourismusorganisationen weltweit über die Welttourismusorganisation sowie geeignete Reaktionsstrategien erarbeitet, um Destinationen auf den Ernstfall vorzubereiten (Sigala, 2020, S. 312). Aus dem kurzen Forschungsüberblick geht jedoch hervor, dass die Szenarien regional oder national begrenzt waren. So wurde im Dezember 2019 für SARS-CoV-2 (COVID-19) ein ähnliches Verhalten erwartet und keine rasche globale Ausbreitung (Ozbay et al., 2022, S. 2–3). Trotz der Empfehlungen der UNTWO (Preparing for Tomorrow -Strategie) wurde weiterhin auf kurzfristige lokale Lösungen gesetzt, ohne einheitliche Politik oder Strategie für den weltweit betroffenen Tourismus (Collins-Kreiner & Ram, 2021, S. 103076). Da jedes Land mit seinen Besonderheiten individuell von der Pandemie betroffen ist und auch die Ein- und Ausreisebestimmungen der nationaler Souveränität unterliegen, ist dies einerseits verständlich. Andererseits wird die Branche ohne internationales Engagement für nachhaltigen Tourismus nicht resilienter und krisenfester (Hall et al., 2020, S. 1), worauf auch die Aussagen der DMO-Vertreter im Rahmen dieser Arbeit hinweisen.

Art, Umstände und Auswirkungen von COVID-19 und der Einstufung als Pandemie legen nahe, dass diese Krise tiefgreifende und langfristige strukturelle Veränderungen für den Tourismus als sozioökonomische Aktivität und Industrie mit sich bringen wird. Als Ergebnis der Überschneidung von Urbanisierung, Globalisierung und Umweltveränderung stellt die COVID-19-Pandemie ein externes Ereignis (Katastrophe) dar. Für ein internes Versagen der touristischen Flusskreuzfahrtdestination selbst (Krise) spricht, dass die gegenwärtige Form des Flusskreuzfahrttourismus globale Reisen erfordert und deren Entwicklungs- und Wachstumsparadigmen auch ein Teil derjenigen Umstände sind, die die Verbreitung dieses Virus beschleunigt haben. Darüber hinaus werden durch die Digitalisierung im Rahmen der COVID-19-Pandemie touristische Paradigmen wie die Notwendigkeit der „Ortsveränderung“ mit einer neuen virtuellen touristischen Wirklichkeit ins Wanken gebracht, auch weil sich traditionelle Vorstellungen von physischer und digitaler Realität durch soziale Medien weiter vermischen.

Es wird sich zeigen, ob sich der ökologisch, politisch und sozioökonomisch sehr risikoanfällige Tourismus nach COVID-19 wie nach anderen Krisen (z. B. Terrorismus, Erdbeben, Ebola, SARS) erholen wird. Noch besteht die Forschung in diesem Bereich neben frühen Gesamtbetrachtungen überwiegend aus Forschungsberichten und Positionspapieren (Baum et al., 2020; Fotiadis et al., 2021; Jamal & Budke, 2020; Persson-Fischer & Liu, 2021; Sharma et al., 2021; Sigala, 2020; Yeh, 2021) und vereinzelt empirischen Beiträgen zu Spezialbereichen (Breier et al., 2021; Clauss et al., 2021; Collins-Kreiner & Ram, 2021; Le & Phi, 2021; Renz & Vladova, 2021).

Ob im Rahmen von touristischem Krisenmanagement, BMI und Digitalisierung „Corona in der Fähigkeit, Verhalten zu ändern“, nur „ein Strohfeuer“ ist, das, wie ein DMO-Vertreter es ausdrückte, „jetzt ungeheuer hell und wirkungsvoll lodert“ und danach „ganz schnell wieder zusammensacken“ (SSG01, Pos. 94) würde, wird die Zukunft zeigen. Moderne Ansätze des touristischen Krisenmanagements plädieren allerdings dafür, das ganze System, also die Gesamtheit der Akteure der touristischen Destination in einem ständigen Zustand der Innovation und Evolution zu halten, um touristische Nachfrage zu erhalten und weiterhin zu generieren. Eine solche proaktive Innovationsstrategie zur Krisenbewältigung könnte den KMU und letztlich der Destination als solcher helfen, auch für eine stets ungewisse Zukunft gewappnet zu sein.

Um die Zukunft des Tourismus bestmöglich zu gestalten, braucht es mehr Tourismusforschung im Bereich der Digitalisierung, aber auch in Bereichen, die institutionelle Logiken wie Geschäftsmodelle sichtbar und damit veränderbar machen. Entrepreneurship ist – auch in der Tourismuswirtschaft − ein Prozess, der darin besteht, Ideen aufzugreifen, diese in Produkte oder Dienstleistungen umzusetzen und darauf ein Unternehmen aufzubauen. Kommerziellen Erfolg zu erreichen und zu erhalten, erfordert nicht nur unternehmerische Fähigkeiten, notwendige Infrastruktur und Kapital, sondern auch Innovation, um sicherzustellen, dass die Unternehmen und Dienstleistungen den aktuellen Bedürfnissen des Markts entsprechen (Alerasoul et al., 2022, S. 128). Für die KMU, die das Rückgrat der touristischen Destinationen bilden, ist es daher wichtig, eine differenzierte und zielgerichtete Innovationsstrategie zu verfolgen.