Kapitel 3 beleuchtet Geschäftsmodelle und Geschäftsmodellinnovation sowie Krisen als Auslöser von ebendieser Innovation, als Forschungsobjekt dieser Arbeit. In diesem Kontext wird auch Digitalisierung, insbesondere touristischer Geschäftsmodelle, näher problematisiert. Die Übersicht der relevanten Konzepte konzentriert sich dabei, entsprechend dem Fokus vorliegender Arbeit, auf die Literatur zum Unternehmertum, strategischem Management und der Tourismuswissenschaft. Zu weiteren Forschungsgebieten wie beispielsweise dem Innovationsmanagement oder Organisationswissenschaft findet an gegebenen Stellen eine Abgrenzung statt.

3.1 Konzept des Geschäftsmodells

Das Konzept des Geschäftsmodells ist keineswegs unumstritten. Porter geht sogar so weit zu behaupten, dass das Geschäftsmodellkonzept „eine Einladung zu fehlerhaftem Denken und Selbsttäuschung ist“ (Porter, 2001, S. 73). Selbst der im Rahmen von Geschäftsmodellen häufig zitierte Teece (2010) argumentiert, dass „das Konzept des Geschäftsmodells keine etablierte theoretische Grundlage in den Wirtschaftswissenschaften oder in der Betriebswirtschaftslehre habe“ (Teece, 2010, S. 174), und Arend äußerte sich dahingehend, dass „man argumentieren könnte, die Idee des Geschäftsmodells wäre eine weitere unbedarfte, neu etikettierte Neuinterpretation der Gewinngleichung auf der Suche nach einer Unterscheidung als neue Analyseebene“, und dass zudem die Verwendung des Begriffs „als Beschreibung der Funktionsweise eines traditionellen Unternehmens stark redundant und wenig theoretisch fundiert sei“ (Arend, 2013, S. 390). Etwas gemäßigter, doch ebenso kritisch sehen es aktuell Bigelow und Barney (2021). Zumindest räumen sie ein, dass das Konstrukt des Geschäftsmodells „einen gewissen praktischen Nutzen für Manager und Unternehmer haben kann“ (Bigelow & Barney, 2021, S. 10). Bezüglich eines weiteren Streitpunktes, ob das Konzept des Geschäftsmodells die Strategieliteratur bereichert, bleiben sie jedoch pessimistisch und billigen dem Geschäftsmodellkonzept nur begrenzte Möglichkeiten zu, theoretische Beiträge zu liefern.

In dieser Arbeit wird – im Gegensatz zu Vorangegangenem – die Ansicht vertreten, dass das Konstrukt des Geschäftsmodells das Potenzial hat, nicht nur die Literatur um theoretische Erkenntnisse, sondern besonders um praktische Instrumente zu bereichern. Wenig überraschend wird diese Ansicht von den zahlreichen Forschern, die auf diesem Gebiet publiziert haben, als Konsens über die Bedeutung von Geschäftsmodellen für die Managementpraxis, Theorie und Politik geteilt (Amit & Zott, 2015, S. 331; Chesbrough, 2010, S. 355–356; Demil et al., 2015, S. 2; Goyal et al., 2017, S. 102; Spieth et al., 2014, S. 238; Wirtz et al., 2016, S. 36; Zott et al., 2011, S. 1036). So stellen Lanzolla und Markides fest, dass „sich in den letzten 15 Jahren viel Literatur zum Konzept des Geschäftsmodells entwickelt hat […] und Methoden geschaffen wurden, die Unternehmen zur Entwicklung neuer innovativer Geschäftsmodelle verhelfen können“, und „hat das Potenzial, die Strategieliteratur um praktische Instrumente und theoretische Erkenntnisse zu bereichern“ (Lanzolla & Markides, 2021, S. 540–541).

Dafür sprechen sowohl die gewonnene Bedeutung der Geschäftsmodelle als strategische Priorität für Manager zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit (Chesbrough, 2007, S. 13, Figure 1) als auch berühmte, wenn auch anekdotische Beispiele für außerordentlich profitable Geschäftsmodelle wie Google, Netflix oder Xerox (Chesbrough, 2002, S. 529; Rachinger et al., 2019, S. 1153; Zhang et al., 2021, S. 6). Außerdem wirken völlig neue Kräfte wie Digitalisierung, Globalisierung, Klimaerwärmung, aber möglicherweise auch die COVID-19-Pandemie derart disruptiv auf die Marktteilnehmer, so dass insbesondere Unternehmen dazu gezwungen werden, die Art und Weise zu überdenken, wie sie ihre Ziele wie Rentabilität, Wachstum, aber eben auch ökologische oder soziale Auswirkungen erreichen. Das könnte durch ein Verständnis um und über die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle erreicht werden (Massa & Tucci, 2014, S. 438; Osiyevskyy & Dewald, 2015, S. 2, 2018, S. 555; Sarkar & Osiyevskyy, 2018, S. 47–48).

Ein weiteres Argument für das Geschäftsmodellkonzept könnte die neue Dimension der „Innovation“ darstellen (vgl. Abschnitt 3.2). Sie ergänzt traditionelle Dimensionen wie Produkt-, Prozess- und Organisationsinnovation und erweitert damit die Forschung zu innovationsbezogenen Phänomenen (Casadesus-Masanell & Tarzijan, 2012, S. 1; Eckardt & Okruch, 2021, S. 332–335; Massa et al., 2017, S. 74; Massa & Tucci, 2014, S. 424–425). Die zusätzliche Denkweise darüber, was innoviert werden kann, und dass darüber Wert (value) aber auch Nachhaltigkeit Eingang in das Konzept finden, hat das Interesse von Praktikern und Wissenschaftlern geweckt (Massa et al., 2017, S. 96). Die Forschung zu Geschäftsmodellen entwickelt sich, ungeachtet der Kritik, zu einer eigenen Disziplin innerhalb des spezialisierten Bereichs der Managementforschung und ist somit weit mehr als nur ein Teilgebiet der Strategieforschung oder ein spezifischer Gegenstand der Innovationsforschung (DaSilva & Trkman, 2014, S. 382; Gassmann et al., 2016, S. 47–66).

3.1.1 Geschäftsmodell im strategischen Management und Unternehmertum

Das Konzept des Geschäftsmodells (business model) und, in jüngerer Zeit, die Schaffung von Geschäftsmodellinnovationen (business model innovation) hat in der Managementliteratur und unter Praktikern zunehmend an Aufmerksamkeit gewonnen (Foss & Saebi, 2017, S. 203; Spieth et al., 2014, S. 237–239; Zhang et al., 2021, S. 803). Historisch gewann BMI in den 1990er Jahren während des Dotcom-Booms an Popularität (DaSilva & Trkman, 2014, S. 380). Eine rege und vielfältige Forschungstätigkeit wurde dabei in jüngerer Zeit entfaltet (Casadesus-Masanell & Tarzijan, 2012; Chesbrough, 2002; Geissdoerfer, Vladimirova, & Evans, 2018; George & Bock, 2011; Johnson, 2018; Lanzolla & Markides, 2021; Morgan et al., 2020; Morris et al., 2005; Osterwalder & Pigneur, 2010; Ritter & Pedersen, 2020; Seetharaman, 2020; Zott et al., 2011) und wird in der Literatur schon seit mehr als zwei Jahrzehnten diskutiert (Sinkovics et al., 2021, S. 7266; Wirtz et al., 2016, S. 36), was bereits zu einer beträchtlichen Anzahl an Literaturübersichten geführt hat (Budler et al., 2021, S. 480–495; Ferasso et al., 2020, S. 3006–3024; George & Bock, 2011, S. 83–111; Goyal et al., 2017, S. 99–118; Lüdeke-Freund et al., 2018, S. 145–162; Massa et al., 2017, S. 73–104; Reinhold, Zach, et al., 2019, S. 1120–1134; Sahebalzamani & Bertella, 2018, S. 3226–3241; Wirtz et al., 2016, S. 36–54). Besonders gut ausgearbeitete Übersichten zu aktuellen Forschungsrichtungen und Entwicklungen finden sich u. a. bei Gassmann, Wirtz, Andreini et. al und Filser (Andreini & Bettinelli, 2017, S. 25–49; Filser et al., 2021, S. 4, Figure 1; Gassmann et al., 2016; Wirtz et al., 2016, S. 6, Figure 1).

Da diese Geschäftsmodellforschung auf Kernkonzepte wie den „Wettbewerbsvorteil“ und die „ressourcenbasierte […] Sichtweise“ zurückgreift, lässt sich annehmen, dass sie ursprünglich auf dem Wissensfundus des strategischen Managements und unter anderem den in den 1980er- und 1990er-Jahren verfassten Arbeiten von Porter (value chain, five forces), oder Barney (resource based view of the firm) aufbaut (Barney, 1991, S. 97–98; Porter, 1979, S. 137–145). Im Zentrum waren die Dimensionen der Wertschöpfung und der Wertaneignung eines Geschäftsmodells, zu deren Logik jede Denkschule ihren eigenen Beitrag leistete (Gassmann et al., 2016, S. 7–42). Bei einer Darstellung der Geschäftsmodellforschung ist es insofern notwendig, sich nach einer disziplinären Abgrenzung auch mit der Definition des Geschäftsmodells und der Definition von Innovation zu beschäftigen, da die Literatur zur Geschäftsmodellinnovation sich nicht nur in Bezug auf das Konzept der „Innovation“, sondern auch des „Geschäftsmodells“ weiterentwickelt hat und zudem nach theoretischer und disziplinärer Perspektive variiert. Nur so lässt sich die heterogene Literatur zum Geschäftsmodell einordnen und verstehen (Andreini & Bettinelli, 2017, S. 4–7).

Die meisten Beiträge konzentrieren sich darauf, was eine Geschäftsmodellinnovation in Bezug auf ihren Inhalt ist, der typischerweise als eine neue Konfiguration des Mehrwertversprechens eines Unternehmens, der Wertschöpfungsaktivitäten und/oder der Organisation der Wertschöpfungskette konzeptualisiert wird (Bouwman et al., 2019, S. 2; Osterwalder & Pigneur, 2010, S. 14–16; Teece, 2010, S. 173). So wird der Begriff der BMI zunehmend in der Wissenschaft verwendet, um komplexe Fragen auf Unternehmensebene zu formulieren und zu analysieren, die eine strategische und systemische Dimension haben (Foss & Saebi, 2017, S. 216–217). Die sich daraus ergebenden potenziellen Geschäftsmodelle liefern die notwendigen Informationen über die Umsetzung der konzeptionellen und technologischen Implikationen von Phänomenen, die als Grundlage für die weitere Forschung in diesen Bereichen benötigt werden (Geissdoerfer, Vladimirova, & Evans, 2018, S. 410).

Dennoch fehlt es in der Forschungsliteratur an einer einheitlichen Definition oder Rahmenwerken, wodurch die bereits eingangs erwähnte grundlegende Frage nach dem theoretischen Aspekt des Geschäftsmodells aufgeworfen wird (Budler et al., 2021, S. 480; Goyal et al., 2017, S. 114–115; Teece, 2010, S. 175; Wirtz et al., 2016, S. 35). In einem Großteil der Studien wird das Geschäftsmodell als integrativer Rahmen betrachtet, der Beiträge aus verschiedenen Theorien des strategischen Managements zur Wertschöpfung und Wertbereitstellung enthält (Goyal et al., 2017, S. 115; Morris et al., 2005, S. 729–731; Zott et al., 2010, S. 6). Zu den am häufigsten zitierten Definitionen zählen die von Teece (2010), dass Geschäftsmodelle das Mehrwertangebot einer Organisation, die Wertschöpfung, Wertbereitstellung sowie die Logik der Werterfassung umreißen (Belussi et al., 2019, S. 101048; Budler et al., 2021, S. 480–481; Sinkovics et al., 2021, S. 1–3; Teece, 2010, S. 173), und die darauf basierende Geschäftsmodell-Leinwand (Business Model Canvas) von Osterwald und Pigneur (Osterwalder & Pigneur, 2010, S. 14–19).

Des Weiteren finden sich Beschreibungen des Geschäftsmodells (vgl. Tabelle 3.1) als heuristische Logik, Strukturvorlage, Architektur des Unternehmens und konzeptionelles Werkzeug (Amit & Zott, 2001, S. 511; Chesbrough, 2002, S. 532; Geissdoerfer et al., 2016, S. 1218; George & Bock, 2011, S. 99; Johnson, 2018, S. 28; Osterwalder & Pigneur, 2010, S. 14; Saebi et al., 2017, S. 567–568; Teece, 2010), als Narrativ (Doganova & Eyquem-Renault, 2009, S. 1559; Magretta, 2002, S. 87) oder kognitive Konfiguration (Baden-Fuller & Mangematin, 2013, S. 419; Massa et al., 2017, S. 73), als Rahmenwerk (Afuah, 2004, S. 2; Johnson, 2018, S. 28; Richardson, 2008, S. 138), als System von Aktivitäten und Strategie (Casadesus-Masanell & Ricart, 2010, S. 195; Lanzolla & Markides, 2021, S. 542; Reinhold, Zach, et al., 2019, S. 1120; Zott et al., 2010, S. 216), als komponentenbasiertes Modell (Clauss, 2017, S. 387; Clauss, Breier, et al., 2021, S. 3; Demil & Lecocq, 2010, S. 242; McGrath, 2010, S. 249; Morris et al., 2005, S. 727; Osterwalder & Pigneur, 2010, S. 14; Yunus et al., 2010) und neuerdings auch als Prozess (Wirtz et al., 2016, S. 41). Unerwartet häufig wird das Geschäftsmodell jedoch auch ohne eine ausdrückliche Definition des Konzepts untersucht (Zott et al., 2010, S. 5).

Die bei weitem ausführlichste dogmatische Darstellung und Abgrenzung – deren Wiedergabe an dieser Stelle den Rahmen der Arbeit überschreiten würde – findet sich im Buch von Gassmann (Gassmann et al., 2016). Seine Darstellung erfolgt einerseits nach Denkschulen in kognitiv, prozessorientiert, strategisch und andere (u. a. Wharton, St. Gallen, LBS) und andererseits mit über fünfzig möglichen theoretischen Anknüpfungspunkten des Geschäftsmodellkonzepts zur Agency-Theorie (agency theory), verhaltens-wissenschaftlichen Entscheidungstheorie (behavioural decision theory), Theorie der unternehmerischen Entscheidungsfindung (managerial cognition theory), aber auch des Konzepts der Geschäftsmodellinnovation unter anderem zur kognitiven Dissonanz, Prospect-Theorie (prospect theory) und zum Produktlebenszyklusmodell (product lifecycle model). Zusammenfassend gliedert er die Forschungsansätze in acht übergreifende Kategorien: (1) organisatorisch, (2) kognitiv (Baden-Fuller & Mangematin, 2013; Dewald & Bowen, 2010; Martins et al., 2015), (3) rationale/strategische Wahl (Chesbrough, 2002; Osiyevskyy & Dewald, 2015), (4) ressourcenbasiert (Kellermanns et al., 2016), (5) wissens-/lernbasiert (Andries & Debackere, 2013; Sosna et al., 2010), (6) evolutionär, (7) verhaltensorientiert und (8) sozialkonstruktivistisch (Gassmann et al., 2016; Osiyevskyy & Dewald, 2018). Somit entwickelt sich die Forschung jüngst weg von klassischen Strömungen wie der ressourcenbasierten oder der wissensbasierten Sichtweise hin zu organisatorischer Dimension (George & Bock, 2011; Morris et al., 2005; Zott & Amit, 2007).

Zu der Differenzierung der ressourcenbasierten Sichtweise als wichtige Perspektive in den Organisationswissenschaften, deren Nutzung im Bereich des Unternehmertums und ihrer Entstehung im strategischen Management sei an dieser Stelle auf den Aufsatz Kellermanns verwiesen (Kellermanns et al., 2016, S. 26–48). Das Spannungsverhältnis zwischen Strategie, dynamischen Fähigkeiten und der Verortung des Geschäftsmodells über verschiedene zeitliche Perspektiven erörtern eindrücklich DaSilva und Trkman (DaSilva & Trkman, 2014, S. 383). Als besonders interessante Richtung für weitere Forschung im organisationalen Kontext nennt Gassmann (2016) unter anderem die Transaktionskosten- oder Stakeholder-Theorie. Er spezifiziert aber auch, dass Krisen als Auslöser von BMI und deren Kontext im Allgemeinen weitere Forschungsbereiche darstellen, die es zu füllen gilt (Amit & Zott, 2015, S. 347; Gassmann et al., 2016, S. 21 & 86; Leatherbee & Katila, 2016, S. 3; Osiyevskyy & Dewald, 2015, S. 1–2).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Wertschöpfung (value) als der Hauptzweck eines Geschäftsmodells überwiegend anerkannt ist und dass diese Wertkomponente lediglich aus verschiedenen theoretischen Perspektiven wie der des Marketings (Kundenwert), der Ökonomie (Gewinne und Margen), der Strategie (Wettbewerbsfähigkeit), der Organisation (organisatorische Effizienz), des Unternehmertums (Innovation) und letztendlich auch einer institutionellen Perspektive (Effizienz der Marktstruktur) untersucht wurde (Andreini et al., 2021, S. 4; Andreini & Bettinelli, 2017, S. 137–150; Shakeel et al., 2020, S. 121202–121203; Wirtz et al., 2016, S. 41). Einen Überblick ausgewählter Definitionen von Geschäftsmodellen bietet nachfolgend Tabelle 3.1. Dabei erfolgt in der letzten Spalte die bereits beschriebene Einordnung der Modelle in Architektur, kognitive Konfiguration, Rahmenwerk und Komponenten. Insgesamt wird ersichtlich, dass die Konzeptualisierung eines jeweiligen Modells stark von der fachlichen Linse des Autors, dem betrachteten Wertschöpfungsaspekt sowie spezifischen Nutzen abhängt. So eignen sich beispielsweise die Business-Model-Canvas von Osterwalder und Pigneur für die Neuentwicklung eines Geschäftsmodells. Die Übertragung vorhandener Geschäftsmodelle auf andere Unternehmen erleichtert hingegen das Verständnis des Geschäftsmodells als Architektur. Innovation innerhalb eines Geschäftsmodells lässt sich hingegen am besten über ein komponentenbasiertes Konzept analysieren. Mithin wurde eine solche modulare Konzeptualisierung für die vorliegende Studie gewählt (vgl. Kapitel 4).

Tabelle 3.1 Übersicht ausgewählter Geschäftsmodell-Definitionen (chronologisch)

3.1.2 Geschäftsmodell in der Tourismuswissenschaft

In den frühen Anfängen des Tourismus war die Wertschöpfung bei Gästen und Reisenden einfach. Reichte es doch, ihnen den Weg zu zeigen, ihnen zu helfen, sich zurechtzufinden, lokale Geschichten zur Unterhaltung zu erzählen, eine Unterkunft für die Nacht, Essen und Trinken zur Stärkung und zum Vergnügen zu bieten, alles im Austausch gegen Bargeld oder Tauschwaren (Reinhold, Zach, et al., 2019, S. 1120). Reinhold (2017) bezeichnet dieses „touristische Geschäftsmodell“ grob als „ein kohärentes Bündel von Aktivitäten, das einen Mehrwert für die Kunden schafft und Mechanismen festlegt, mit denen sich das Unternehmen auf der Grundlage dieser Aktivitäten profitabel selbst tragen kann“ (Reinhold et al., 2017, S. 467).

Mag diese vereinfachte Sichtweise auf den frühen Tourismus auch in einzelnen Bereichen heute immer noch zutreffen, entspricht es immer weniger der Realität, mit der die touristischen Akteure an Destinationen konfrontiert sind (vgl. Kapitel 2). So stehen Destinationen nicht nur im internationalen Wettbewerb (Matteucci et al., 2021, S. 3), sondern ihre Akteure sind auch viel stärker unternehmerisch und gewinnorientiert ausgerichtet (Peters & Buhalis, 2013, S. 92). Entlang der touristischen Dienstleistungskette werden touristische Dienstleistungen beispielsweise in Flusskreuzfahrtdestinationen innerhalb von Netzwerken mit Partnern und Wettbewerbern unterschiedlicher Spezialisierung koproduziert, die mehrere Konstellationen umfassen (vgl. Kapitel 2). Einer der Haupttreiber ist auch in dieser Branche das Aufkommen des kommerziellen Internets, das eine allgegenwärtige Kommunikation und immer billigere Möglichkeiten zur Übermittlung von immer umfangreicheren Informationsmengen ermöglicht und Unternehmen in die Lage versetzt, Dinge zu tun, die sie vorher nicht tun konnten (McGrath, 2010, S. 247; Viglia et al., 2016, S. 327–328; Zillinger, 2021, S. 4–8). Darüber hinaus vereinen ihre Dienstleistungen mittlerweile physische und digitale, immaterielle Aspekte (Reinhold, Zach, et al., 2019, S. 1121). Wie in anderen Branchen, ließe sich diesen Herausforderungen im Tourismus mithilfe des Geschäftsmodellkonzepts begegnen. Trotz des Potentials eines solchen Ansatzes gibt die spärliche Literatur im Tourismusbereich jedoch kaum Aufschluss darüber, wie mit tourismusspezifischen Eventualitäten bei der Entwicklung neuer oder bestehender Geschäftsmodelle umgegangen werden kann (Breier et al., 2021, S. 1–2; Reinhold et al., 2017, S. 463–464; Souto, 2015, S. 142–143). Reinhold, der sich als einer der hauptsächlichen Autoren in diesem Forschungsbereich profiliert, sieht in den zahlreichen Berührungspunkten mit Konzepten aus verschiedenen Forschungsbereichen die Ursache für fehlende Forschung. Die auf sehr unterschiedliche Weise verwendeten Konstrukte erschweren seiner Ansicht nach jeden Versuch, Erkenntnisse aus den Forschungsbemühungen zusammenzuführen, auch wenn das BM dabei hilft, die Komplexität der Wertschöpfung zu bewältigen (Reinhold et al., 2017, S. 464).

Überwiegend scheinen zumindest Autoren im Bereich Tourismus einig, dass sie Geschäftsmodelle im weitesten Sinne als ein Konzept definieren, das beschreibt, „wie ein Unternehmen funktioniert“ oder „wie Firmen Geschäfte machen“ (Alegre & Berbegal-Mirabent, 2016, S. 1160; Andersson & Getz, 2009, S. 254; Graf, 2005, S. 315). So betrachten einige das BM als System von Aktivitäten (Graf, 2005, S. 315; Reinhold, Beritelli, et al., 2019, S. 1149), um den Idealtyp eines DMO-BM zu untersuchen. Das in der Forschungsliteratur am häufigsten zitierte Modell stammt von Amit und Zott (2001), wenngleich es oft nicht zur direkten Operationalisierung herangezogen wird (Tham & Huang, 2019, S. 1154; Weigert, 2019, S. 1171; Zott et al., 2011, S. 1020). Ein weiterer Ankerpunkt für viele Forscher ist der Business-Model-Canvas nach Osterwalder und Pigneur (Ambroz & Omerzel, 2017, S. 175; Osterwalder & Pigneur, 2010; Schiavone et al., 2019, S. 210; Strulak-Wojcikiewicz et al., 2020, S. 1643). Weitere Untersuchungen verwenden entweder vage (Langviniene & Daunoraviciute, 2015, S. 903–904) oder keine Definitionen (Diaconu, 2012, S. 342–243; Fageda & Flores-Fillol, 2012a, S. 702–714; Heicks, 2010, S. 71–77). Die unterschiedlichen Konzeptualisierungen demonstrieren allerdings laut Reinhold „nur eine Pluralität der Ansätze und die Eignung des Konzepts zur Untersuchung tourismusrelevanter Fragestellungen nach unterschiedlichen Operationalisierungen“ (Reinhold, Beritelli, et al., 2019, S. 1149–1150).

Dabei konzentriert sich ein Großteil der Autoren im touristischen Bereich um das Thema Geschäftsmodelle von Airlines, Low-Cost-Fliegern und Flughäfen (Bieger & Wittmer, 2006, S. 40–46; Diaconu, 2012, S. 342–346; Fageda & Flores-Fillol, 2012a, S. 702–714, 2012b, S. 1164–1179; Fenclova & Coles, 2011, S. 337–354; Frank, 2011, S. 25–35; Graf, 2005, S. 313–327; Heicks, 2010, S. 71–77; Papatheodorou & Lei, 2006, S. 47–52). Fast ebenso zahlreich sind die Publikationen rund um Geschäftsmodelle und Nachhaltigkeit im Beherbergungsgewerbe (Alegre & Berbegal-Mirabent, 2016, S. 1155–1176; Bohdanowicz & Zientara, 2009, S. 147–158; Hogevold et al., 2015, S. 17–33; Mihalic, 2016, S. 461–470). Vereinzelte Beiträge behandeln Geschäftsmodelle im Kontext der Sharing Economy („Wirtschaft des Teilens“) im Tourismus (Kannisto, 2017, S. 206–208; Matzler et al., 2013, S. 30–37), im Smart- und Ökotourismus (Coles et al., 2017, S. 471–488; Peric et al., 2019, S. 100561; Sahebalzamani & Bertella, 2018, S. 3226; Scheepens et al., 2016; Sinha & Sarkar, 2015, S. 100–106; Tham & Huang, 2019, S. 1153), im Wein-Tourismus (Hojman & Hunter-Jones, 2012, S. 13–21), im Tourismus durch Festivals (Andersson & Getz, 2009, S. 249–265) wie auch die Geschäftsmodelle von stationären und Online-Reisebüros (Kshetri, 2007, S. 443–452; Rusu, 2016, S. 166–175; Weigert, 2019, S. 1167–1178). Kritisch ist insgesamt anzumerken, dass das in der Tourismusforschung zunehmend angesprochene Konzept der Value Co-Creation (Buhalis & Sinarta, 2019, S. 563–582; Cabiddu et al., 2013, S. 86–107; Prebensen et al., 2013, S. 240–261; Rihova et al., 2015, S. 356–363) nur in zwei Studien thematisiert wird, was im Kontext des Geschäftsmodells und dessen Wertschöpfungsgedankens erstaunt (Koukopoulos & Styliaras, 2013, S. 129–150; Pine II & Gilmore, 2016, S. 3–10; Reinhold et al., 2017, S. 462–482).

Der für die vorliegende Arbeit interessante Bereich des BM von Akteuren an einer Destination, wird außer in Reinholds Geschäftsmodelltypologie für DMO (Reinhold, Beritelli, et al., 2019), lediglich noch bei den Arbeiten von Koukopoulos über Smartphone-basierte Gästeführungssysteme (Koukopoulos & Styliaras, 2013, S. 131), BM in der Gästebeförderung (Panou et al., 2015, S. 22–23), dem Geschäftsmodell einer Flugreisedestination (Bieger & Wittmer, 2006, S. 41) als auch in der allgemein gehaltenen Abhandlung von Langyiniene und Daunoraviciute behandelt (Langviniene & Daunoraviciute, 2015, S. 903). Insgesamt lässt sich sagen, dass die Forschung zu BM in der Tourismusbranche noch überschaubar ist. Für die Branche sind empirische Überlegungen zu diesem Thema aber relevant (Breier et al., 2021, S. 102723). Besonders für den Bereich der Destinationen und ihre Akteure besteht eine Notwendigkeit, die Ausgestaltung und Auswirkungen von neuen und aufkommenden Geschäftsmodellkonfigurationen zu untersuchen (Reinhold et al., 2017, S. 466). Eine besonders für den touristischen Bereich indizierte Konzeptionalisierung des Geschäftsmodells ist der einschlägigen Forschung jedoch nicht zu entnehmen.

3.1.3 Komponentenbasierte Arbeitsdefinition des Geschäftsmodells

Diese Arbeit neigt daher insgesamt (vgl. Abschnitte 3.1.1 und 3.1.2) zu einer komponentenbasierten Sichtweise von Geschäftsmodellen, da sich diese besser für die beabsichtigte Darstellung von Veränderungen der Geschäftsmodelle eignet. Man kann Geschäftsmodelle in Abgrenzung zur „dynamischeren Sichtweise, die Phänomene wie Innovation und Anpassung von Geschäftsmodellen untersuchen“, als Abbildung eines „bestimmten Zeitpunkts“ in der Entwicklung eines Unternehmens verstehen (Saebi et al., 2017, S. 568). Das Verständnis eines Geschäftsmodels als Modular oder architektonisch hat im Weiteren Folgen für die Innovation desselben. Modular bedeutet, dass es möglich ist, einige wenige Komponenten zu ändern, ohne die anderen zu beeinträchtigen. Architektonisch bedeutet, dass die Änderung einer Komponente eine vollständige Neukonfiguration der BM erfordert (Franco et al., 2021, S. 69189). Die Festlegung auf ein Konzept des Geschäftsmodells hängt mithin davon ab, ob das Konzept untersucht wird, um die Analyse und Planung von Transformationen von einem Geschäftsmodell zu einem anderen zu verstehen und zu erleichtern (Geissdoerfer, Vladimirova, & Evans, 2018, S. 401–416; Schallmo, 2013, S. 27). Zusammenfassend erweist sich das Geschäftsmodell als die einzigartige Konfiguration des (1) Wertangebots des Unternehmens (was wird wem angeboten?), der (2) Wertschöpfung (wie wird dieses Wertversprechen geschaffen?) und der (3) Werterfassung (wie werden daraus Gewinne generiert?) (Breier et al., 2021, S. 102723; Clauss, 2017, S. 387; Clauss, Abebe, et al., 2021, S. 767–784). Der Begriff des „Werts“ ist dabei die vorherrschende Komponente des Geschäftsmodells (Massa et al., 2017, S. 73–104; Shakeel et al., 2020, S. 121201). So schreibt Wirtz, dass ein Geschäftsmodell „nicht nur eine Theorie ist, sondern vielmehr ein stillschweigendes Wissen über die Art und Weise, wie aggregierte Aktivitäten eines Unternehmens dargestellt werden und Wert schaffen, wenn sie miteinander verbunden werden“ (Wirtz et al., 2016, S. 36–54; Wirtz & Daiser, 2017, S. 14–34, 2018, S. 40–58). Diese Elemente werden als sich gegenseitig verstärkende Systeme konfiguriert, die zusammen die Gestalt der Organisation definieren (Clauss, Breier, et al., 2021, S. 294–312; Martins et al., 2015, S. 99–117).

Das Geschäftsmodell wird im vorliegenden Kontext also als ein Aktivitätssystem verstanden, das sich auf ein fokales Unternehmen konzentriert und aus drei Hauptelementen (1) Wertangebot, (2) Wertschöpfung und (3) Werterfassung besteht (Baden-Fuller & Mangematin, 2013, S. 420; Clauss, 2017, S. 387; Filser et al., 2021, S. 891–907; Lanzolla & Markides, 2021, S. 542; Massa & Tucci, 2014, S. 423; Morris et al., 2005, S. 727–728; Spieth et al., 2014, S. 241–242; Zott et al., 2010, S. 22). Die Kombination der drei Wertbereiche definiert die Gestalt des Geschäftsmodells eines Unternehmens und bietet eine ganzheitliche Perspektive auf die Aktivitäten eines Unternehmens, die über die bloße Beschreibung der Geschäftsabläufe hinausgeht (Clauss, 2017, S. 387; Spieth et al., 2014, S. 242). Die Dimension des (1) Wertangebots umfasst ein Portfolio von Lösungen für Kunden und die Art und Weise, wie diese angeboten werden (Johnson, 2018; Morris et al., 2005, S. 727). Die Kernkompetenzen im Unternehmen und die Wertschöpfung, die entlang des Prozesses erzielt werden kann, stellt die Dimension der (2) Wertschöpfung dar. Das heißt, „wie und mit welchen Mitteln“ Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette Wert schaffen, indem sie die Ressourcen und Fähigkeiten intra- und interorganisatorischer Prozesse nutzen (Clauss, 2017, S. 387; Kathan et al., 2016, S. 665; Matzler et al., 2013, S. 30). Wie die Wertangebote in Einnahmen umgewandelt werden, erklärt die Dimension der (3) Werterfassung. Sie definiert, wie Unternehmen Einnahmen erzielen, welche die Kosten decken und Gewinne erzielen, die eine nachhaltige Leistung gewährleisten (Baden-Fuller & Mangematin, 2013, S. 421–422; Johnson, 2018; Teece, 2010, S. 179).

3.2 Geschäftsmodellinnovation

3.2.1 Das Geschäftsmodell als Gegenstand von Innovation

Technologischer Fortschritt, Konjunkturabschwünge und die Agenda für nachhaltige Entwicklung verlagern den Schwerpunkt von Geschäftsmodellen auf diejenigen Geschäftsmodelle, die in der Lage sind, aktuelle Herausforderungen zu bewältigen (Geissdoerfer, Vladimirova, & Evans, 2018; Sinkovics et al., 2021, S. 7266). Die Innovation von Geschäftsmodellen ermöglicht Unternehmen eine schnelle Anpassung an Marktveränderungen sowie ein Überleben und Gedeihen in dynamischen und wettbewerbsorientierten Geschäftsumfeldern und Krisen (Clauss, Breier, et al., 2021, S. 294–312; Kraus et al., 2022, S. 2; Osiyevskyy & Dewald, 2018, S. 540–560; Ritter & Pedersen, 2020, S. 214–224), indem sie neue Wege zur Schaffung und Erfassung von Werten für ihre Stakeholder ermöglicht (Geissdoerfer, Vladimirova, & Evans, 2018, S. 401–416; Osterwalder & Pigneur, 2010; Teece, 2010, S. 172–194; Zott & Amit, 2007, S. 181–199). Es wird davon ausgegangen, dass Geschäftsmodellinnovation eine zentrale Rolle für den Erfolg und die Leistung von Unternehmen spielt (Clauss, Abebe, et al., 2021, S. 767–784; Cucculelli & Bettinelli, 2015, S. 329–350; Zott & Amit, 2007, S. 181–199).

Bei Geschäftsmodellinnovation handelt es sich um eine effektive und effiziente Form der Innovation (Chesbrough, 2007, S. 12–17; Wirtz et al., 2016, S. 36–54), die sich mit neuen Wegen der Geschäftsorganisation befasst und bei erfolgreicher Umsetzung mit nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen verbunden wird (Lüdeke-Freund et al., 2018, S. 145–162; Massa & Tucci, 2014, S. 424; Mitchell & Coles, 2003, S. 15–21; Sinkovics et al., 2021, S. 7266; Yang et al., 2017, S. 1795). Auch wenn sich die Forschung zu BMI bisher überwiegend auf prominente Beispiele innovativer Geschäftsmodelle von Unternehmen wie Nestlé, Netflix, Ryanair oder Amazon bezog (Casadesus-Masanell & Tarzijan, 2012, S. 1; Matzler et al., 2013; Rachinger et al., 2019; Zhang et al., 2021) und davon auszugehen schien, dass BMI vor allem für große internationale Unternehmen von Bedeutung ist (Bucherer et al., 2012, S. 183–198), verlagert sich der Fokus in letzter Zeit – speziell im Kontext der Corona-Pandemie – auch auf KMU, die im touristischen Bereich tätig sind (Bouwman et al., 2019, S. 101828; Breier et al., 2021, S. 102723; Clauss, Breier, et al., 2021, S. 294–312; Clauss et al., 2020, S. 2050015; Guo, Tang, et al., 2017, S. 431–442; Kraus, Clauss, et al., 2020, S. 1067; Martinez-Roman et al., 2015, S. 118–135; Pucihar et al., 2019, S. 344; Ratten, 2020, S. 1379; Renz & Vladova, 2021, S. 1–26; Ritter & Pedersen, 2020, S. 214–224; Seetharaman, 2020, S. 102173).

Dass auch Geschäftsmodelle Gegenstand von Innovation sein können, wird in der Literatur überwiegend einem Aufsatz von Mitchell und Coles zugeschrieben (Mitchell & Coles, 2003, S. 15–21). Trotz des großen Interesses von Praktikern und Wissenschaftlern an BMI weist die Forschung darüber auch heute noch viele der Merkmale eines aufkommenden Forschungsstroms auf, insbesondere einen Mangel an Klarheit des Konzepts selbst. So gilt Geschäftsmodellinnovation nach wie vor als „ein schwer zu untersuchendes Konstrukt“ (Casadesus-Masanell & Zhu, 2013, S. 480).

Wie bereits im Rahmen des BM angeschnitten, sind die Grenzen zwischen der BMI- und der BM-Theorie durchlässig, wenn es darum geht, welche Elemente und Mechanismen in diesen beiden verwandten Literaturen enthalten sind und welche nicht. Bestehende BM-Definitionen spiegeln oft multidimensionale Ambitionen wider (Foss & Saebi, 2017; Gassmann et al., 2013; Osterwalder, 2004; Wirtz et al., 2016) und so ist auch die die Entwicklung der BMI-Theorie von dem eng verwandten BM-Konzept abhängig (Massa et al., 2017; Schneckenberg et al., 2022; Wirtz et al., 2016). Gleichzeitig führen Verflechtung und Einfluss der BM-Theorie auf das BMI-Konzept zu Komplikationen hinsichtlich einer weiteren Theoriebildung (Massa et al., 2017, S. 73–104). Dabei kann sich beispielsweise auf die rationale Positionierung sowie kognitive und evolutionäre Sichtweisen bezogen werden, um BMI zu erforschen (Martins et al., 2015, S. 101). So theoretisieren Forscher, die dem kognitiven Ansatz folgen, BM als mentale Modelle oder Schemata, welche die Entscheidungen des Managements über die Gestaltung von BM und die Zuweisung von Ressourcen beschreiben (Baden-Fuller & Mangematin, 2013, S. 422). Dagegen werden etwa für die vorliegende Forschungsfrage wichtigen – Auslöser (z. B. Krisen), Moderatoren und Ergebnisse von BMI als Schlüsselvariablen gesehen (Foss & Saebi, 2017, S. 218). Aus völlig anderer Perspektive schlagen Spieth et al. (2014) die BMI-Funktionen von Erläuterung, Führung und Entwicklung eines Unternehmens als Leitfaden vor (Spieth et al., 2014, S. 238). So folgert Schneckenberg zutreffend, dass angesichts der großen Vielfalt an Ansätzen die Suche nach einem vereinheitlichenden Modell für das heterogene BMI-Phänomen zwar nützlich, aber möglicherweise nicht realistisch ist (Schneckenberg et al., 2022, S. 594).

3.2.2 Geschäftsmodellinnovation im strategischen Management, Unternehmertum und Innovationsmanagement

Die Forschung zu Geschäftsmodellinnovation vollzieht sich – ähnlich dem Geschäftsmodell – in den Bereichen des strategischen Managements (Bigelow & Barney, 2021; Cortimiglia et al., 2016; DaSilva & Trkman, 2014; Hampel et al., 2020; Lanzolla & Markides, 2021, 2021; Shakeel et al., 2020; Spieth et al., 2014; Zott & Amit, 2008) Unternehmertum (Bhatti et al., 2021; Clauss, 2017; Clauss, Breier, et al., 2021; Demil et al., 2015; Doganova & Eyquem-Renault, 2009; Guo, Tang, et al., 2017; Heikkilä et al., 2018; Laudien & Daxböck, 2017; Martins et al., 2015; Osiyevskyy & Dewald, 2015; Silva et al., 2020) sowie Innovations- und Technologiemanagement (Andries & Debackere, 2013; Bucherer et al., 2012; Chesbrough, 2002; Clauss et al., 2020; Desyllas & Sako, 2013; Franco et al., 2021; George & Bock, 2011; Heider et al., 2021; Hock-Doepgen et al., 2021; Kraus, Filser, et al., 2020; Latilla et al., 2020; Schneider & Spieth, 2013). Diese Bereiche stellen zugleich die drei zentralen Forschungsrichtungen dar (Schneckenberg et al., 2022, S. 7). Weitere Forschungsrichtungen sind BMI und Nachhaltigkeit sowie BMI in der Kreislaufwirtschaft und Sharing Economy (Geissdoerfer, Vladimirova, & Evans, 2018; Girotra & Netessine, 2013; Hogevold et al., 2015; Mihalic, 2016; Parida et al., 2019; Sahebalzamani & Bertella, 2018; Sinkovics et al., 2021; Wang & Chebo, 2021).

Wird BM als ein Innovationsinstrument zur Erlangung von Wettbewerbsvorteilen und zur Steigerung der Leistung betrachtet, legt dies nahe, dass BM selbst nicht stagnieren darf, um einen Wettbewerbsvorteil in einem fluktuierenden Geschäftsumfeld aufrechtzuerhalten. Zudem ist die Änderung der Aktivitätssysteme eines Unternehmens für die kontinuierliche Verbesserung des BM unerlässlich (Geissdoerfer, Vladimirova, Fossen, et al., 2018, S. 165–172; Shakeel et al., 2020, S. 121201; Teece, 2010, S. 189). Die Gründe für die strategische Bedeutung, die der BMI zugeschrieben wird, ähneln denen für das Streben nach Innovationsfähigkeit: die Umwandlung des Unternehmens in einen Innovationsmotor. Beispielsweise führen Demil und Lecocq das Konzept der „dynamischen Konsistenz“ als die Fähigkeit eines Unternehmens ein, seine BM ständig zu erneuern und dabei ein hohes Leistungsniveau aufrechtzuerhalten (Demil & Lecocq, 2010, S. 230). Ähnlich argumentieren Cortimiglia et al. sowie Schneider und Spieth, dass BMI positive Auswirkungen auf die strategische Flexibilität eines Unternehmens hat, d. h. seiner Fähigkeit, auf Veränderungen im Umfeld zu reagieren (Cortimiglia et al., 2016, S. 417; Schneider & Spieth, 2013, S. 1340001–1340006). Es entwickelte sich die Idee, dass BMI prozessual verstanden werden kann; so beschreibt Wirtz sie in seiner Definition explizit als „Gestaltungsprozess zur Geburt eines relativ neuartigen Geschäftsmodells auf dem Markt, der mit einer Anpassung des Wertversprechens und/oder der Wertkonstellation einhergeht und darauf abzielt, einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil zu generieren oder zu sichern“ (Wirtz et al., 2016, S. 4). Dessen ungeachtet variiert die Bedeutung des BMI-Prozesses aber noch von Studie zu Studie, und die Art des Konstrukts ist immer noch fragmentiert und mehrdeutig (Wirtz & Daiser, 2018, S. 41). Darum ist eine breitere und systematischere Überprüfung der Forschung immer noch notwendig, um die recht vielfältige Literatur über BMI-Prozesse zu integrieren und zu synthetisieren (Andreini et al., 2021, S. 2).

3.2.2.1 Abgrenzung zu Prozess-, Produkt- und Organisationsinnovation

Während sich Geschäftsmodelle traditionell mit der Wertschöpfung und -erfassung auf Unternehmensebene befassen, wirft der Aspekt der Innovation des Geschäftsmodells darüber hinaus Fragen nach der Neuartigkeit des Kundenwertangebots und nach entsprechender logischer Umgestaltung und strukturellen Neukonfiguration von Unternehmen auf (Spieth et al., 2014, S. 237–238; Tidd, 2006, S. 6; Varadarajan, 2018, S. 157). In der Literatur wird in diesem Kontext häufig auf Schumpeter, als Urheber des Innovationsbegriffs, verwiesen, der unter Innovationen „Veränderungen in Produktionsfunktionen [versteht], die nicht in infinitesimale Schritte zerlegt werden können“ (Schumpeter, 1934, S. 4). Die nachfolgende Diskussion beruht weitestgehend auf unterschiedlichen Interpretationen dieser Definition.

BMI wird überwiegend als eine neue Art der Innovation verstanden, welche „die traditionelle Prozess-, Produkt- und Organisationsinnovation“ ergänzt und noch schlecht erforscht ist, was sich möglicherweise dadurch erklärt, dass die Literatur zu Geschäftsmodellinnovation jünger ist als die zu Geschäftsmodellen (Sorescu et al., 2011, S. 3–5; Zott et al., 2011, S. 1032). In ähnlicher Weise bestehen Foss und Saebi auf eine eigenständige Betrachtung und Theoretisierung von BMI. Dabei müssen eine Reihe grundlegender theoretischer und empirischer Fragen beantwortet werden, einschließlich der empirischen Untersuchung ihrer Auslöser, Begünstiger und Hinderer (Bhatti et al., 2021, S. 389; Foss & Saebi, 2017, S. 201).

Frühe wissenschaftliche Arbeiten konzentrierten sich dazu in erster Linie darauf, eine eindeutige konzeptionelle Abgrenzung der Konzepte vorzunehmen. Dies geschieht in der Gestalt, dass ihre Definitionen (d. h., was sie sind und ihre Dimensionen) geklärt und von anderen etablierten Formen der Innovation (z. B. Produkt- und Prozessinnovationen) als unterschiedliche, aber komplementäre organisatorische Handlungen abgrenzt werden (Clauss, Abebe, et al., 2021, S. 4; George & Bock, 2011, S. 83–84; Zott et al., 2010, S. 3).

3.2.2.2 Neuheitsgrad vs. Diversifizierung

Die Begriffe Innovation und Diversifizierung werden im wissenschaftlichen Schrifttum unterschiedlich definiert und es fehlt eine klare Abgrenzung. Es fehlen Schwellenwerte für Änderungen in den Aktivitäten eines Unternehmens, die dann als BMI eingeordnet werden können; beispielsweise wann eine Produktinnovation ein neues Wertversprechen darstellt (Varadarajan, 2018, S. 149, Table 1). Somit bleibt konzeptionell unerforscht, unter welchen Umständen Produktinnovationen, Dienstleistungsinnovationen oder Änderungen in der Lieferkette als Geschäftsmodellinnovation gelten (Geissdoerfer, Vladimirova, & Evans, 2018, S. 405). So wird BMI auch im Bereich Unternehmensdiversifizierung (vgl. Ansoff, 1975), Business-Venturing und Start-up diskutiert. Geissdoerfer et al. erkennen in diesem Kontext vier generische Konfigurationen von Geschäftsmodellinnovationen: (1) Neugründung, (2) Transformation von Geschäftsmodellen, (3) Diversifizierung von Geschäftsmodellen und die (4) Übernahme von Geschäftsmodellen (vgl. dazu bei Ansoff, 1957, S. 114; Geissdoerfer, Vladimirova, & Evans, 2018, S. 405). Sie definieren BMI „entweder [als einen] Prozess der Transformation von einem Geschäftsmodell zu einem anderen innerhalb etablierter Unternehmen oder nach Fusionen und Übernahmen oder die Schaffung völlig neuer Geschäftsmodelle“ (Geissdoerfer et al., 2016, S. 1220).

Foss und Saebi unterscheiden Innovation hinsichtlich ihres Neuheitsgrads und ihres Umfangs. Sie argumentieren mit Schumpeter, dass Innovationen in Bezug auf ihren Neuheitsgrad dimensionalisiert werden können und Geschäftsmodellinnovation ein neuer Weg der Unternehmensorganisation darstellt. Schumpeter unterscheidet fünf Arten von Innovationen: (1) neue Produkte, (2) neue Produktionsmethoden, (3) neue Versorgungsquellen, (4) Erschließung neuer Märkte und (5) neue Wege der Unternehmensorganisation (Foss & Saebi, 2017, S. 17; verweist auf Schumpeter, 1934). Foss und Saebi (2017) unterscheiden bei BMI dem (1) Neuheitsgrad der BMI, d. h., ob eine BMI nur für das Unternehmen neu ist (George & Bock, 2011, S. 101–102; Johnson et al., 2008, S. 2–3) oder für die gesamte Branche völlig neu ist (Clauss, Breier, et al., 2021, S. 3), sowie (2) dem Umfang der BMI, inwieweit also bestehende BM von der Innovation betroffen ist. Ihre Definition von BMI als „geplante, neuartige, nicht-triviale Änderungen an den Schlüsselelementen des Geschäftsmodells eines Unternehmens und/oder der Architektur, die diese Elemente miteinander verbindet“ (Foss & Saebi, 2017, S. 201), gehört zu den in der aktuellen Literatur meistzitiertesten Ansätzen (Clauss, Breier, et al., 2021, S. 296; Franco et al., 2021, S. 69191; Geissdoerfer, Vladimirova, & Evans, 2018, S. 408–409; Loon & Quan, 2021, S. 549; Parida et al., 2019; Zhang et al., 2021, S. 804).

3.2.2.3 Bewusst vs. unbewusst

Sosna et al. sowie Laundien und Daxböck verstehen Geschäftsmodellinnovation für durchschnittliche Marktteilnehmer als das Ergebnis eines emergenten, auf Versuch und Irrtum basierenden Prozesses oder eine wissensbildende Aktivität ohne einen formalen und expliziten Plan. Folglich sprechen ihre Ergebnisse gegen die Notwendigkeit einer „geplanten“ Innovation (Laudien & Daxböck, 2017, S. 8; Sosna et al., 2010, S. 402). So wird auch Wissensgestaltung, in Form von Versuch und Irrtum (trial and error), als wesentlicher Bestandteil der BMI gesehen, da sie rekursiv mit strategischen und kognitiven Prozessen verbunden ist (z. B. im Kontext nachhaltiger Kreislaufwirtschaft) (Andreini et al., 2021, S. 13; Chesbrough, 2010, S. 360; Demil & Lecocq, 2010, S. 229; Ferasso et al., 2020, S. 2–3; Planing, 2018, S. 71). Darüber hinaus sind sich die meisten Forscher einig, dass es wichtig ist, Netzwerkpartner und andere Stakeholder in Innovationsprozesse des BMI einzubinden (Frankenberger et al., 2013, S. 262; Zott et al., 2010, S. 19).

3.2.2.4 Modular vs. vollständig

Wird das Geschäftsmodell, anstelle von Produkten oder Prozessen, als Gegenstand der Innovation im Rahmen der BMI verstanden (Baden-Fuller & Mangematin, 2013, S. 419; Clauss, 2017, S. 387; Clauss, Breier, et al., 2021, S. 296), sollte unabhängig vom beschriebenen Grad der Innovativität für Geschäftsmodellinnovation eine Veränderung in den primären Dimensionen festgestellt werden (Baden-Fuller & Mangematin, 2013, S. 420; Clauss, 2017, S. 387; Johnson et al., 2008, S. 59–61; Shakeel et al., 2020, S. 121202–121203). Ein weiterer Ansatz ist demnach die Frage nach der Anzahl der Geschäftsmodell-Elemente (d. h. Wertschöpfung, Wertangebot und Werterfassung), die durch die BMI verändert werden müssen (Clauss, Breier, et al., 2021, S. 296). Lindgardt et al. definieren, dass sich mindestens zwei Geschäftsmodellelemente ändern müssen, damit eine Innovation als Geschäftsmodellinnovation eingestuft werden kann (Lindgardt et al., 2009, S. 2). Allerdings schlagen auch einige Wissenschaftler vor, dass sich BMI in Änderung einer einzelnen Komponente des BM eines Unternehmens manifestieren kann (Bock et al., 2012, S. 7; Santos et al., 2009, S. 10; Schneider & Spieth, 2013, S. 1340001–1340023). Werden nur ein oder wenige Elemente des Geschäftsmodells geändert, ist der Umfang einer BMI modular, während dagegen die orchestrierte Rekonfiguration aller Elemente des Geschäftsmodells als architektonische BMI bezeichnet wird (Clauss, Breier, et al., 2021, S. 296; Foss & Saebi, 2017, S. 201). Wenn BMI als Veränderung von BM-Konfigurationen betrachtet wird, müssen solche Änderungen nicht in allen Komponenten gleichzeitig stattfinden, um Auswirkungen auf den Erfolg des Unternehmens zu haben (Kraus et al., 2022, S. 57).

Osterwalder und Pigneur (2010) schlagen in ihrem weitverbreiteten Konzept Business-Model-Canvas vor, dass Geschäftsmodelle umfassend „als die Methoden, die Organisationen einsetzen, um Werte für Kunden und Eigentümer zu schaffen“ definiert werden können. Per Definition sind Geschäftsmodellinnovationen dann bedeutende Veränderungen, und zwar in der Art und Weise, wie diese Werte geschaffen werden. Geschäftsmodellinnovationen können sich mit jeder der neun Komponenten befassen, die im Canvas hervorgehoben werden, sowie mit deren Wechselbeziehungen. Diese neun Komponenten aus dem Business-Model-Canvas bestehen auf Seiten der (1) Kostenstruktur aus (2) Schlüssel-Partnerschaften, (3) Schlüssel-Aktivitäten, (4) Schlüssel-Ressourcen und (5) Wertangebot und auf der Seite der (6) Einnahmequellen aus (7) Kunden-Beziehungen, (8) Kunden-Segmenten und (9) Kanälen (Osterwalder & Pigneur, 2010, S. 16–19). Die BM-Canvas ist in ihrer Zielsetzung mehr ein Werkzeug zur Kreation neuer Geschäftsmodelle als eine Konzeptualisierung um BMI zu beschreiben.

Clauss versucht hingegen, die Innovation des Geschäftsmodells als Konstrukt genauer zu erfassen (Clauss, 2017, S. 385). Dafür verlangt er Veränderungen in den drei primären Dimensionen des BM. Clauss relativiert diese Anforderung jedoch dahingehend, „dass es nicht notwendig ist, dass sich alle potenziellen Unterkonstruktionen oder jede Dimension des Geschäftsmodells zur gleichen Zeit oder auf die gleiche Weise ändern“ (Clauss, 2017, S. 397). Je mehr Komponenten geändert werden und je neuartiger die Änderungen außerhalb des Unternehmens sind, desto radikaler die BMI (Clauss, Breier, et al., 2021, S. 296). Auch wenn die Aspekte der BMI – wie bereits beschrieben – in der Forschung von zahlreichen Autoren geschildert werden, haben sich dagegen nur wenige mit weiteren Sub-Dimensionen der drei Haupt-Dimensionen sowie deren empirischen Überprüfung beschäftigt (Clauss, 2017, S. 387–393; Zhang et al., 2021, S. 804). Clauss (2017) unterteilt dabei die Wertschöpfung in die Sub-Dimensionen (1) neue Fähigkeiten, (2) neue Technologie/Equipment, (3) neue Partner und (4) neue Prozesse. Diese vier Unterkonstrukte untersuchen Veränderungen einerseits in den Ressourcen und Fähigkeiten, die einem Unternehmen zur Verfügung stehen, sowie anderseits in den externen Beziehungen, die es herstellt und ihm ermöglichen, neue Formen von Wert zu schaffen. Weitere vier Unterkonstrukte befassen sich mit dem Wertangebot, und somit der Art und Weise, wie das Unternehmen diesen Wert den Kunden anbieten will: (5) neues Angebot, (6) neue Kunden/Märkte, (7) neue Vertriebskanäle und (8) neue Kundenbeziehungen. Schließlich umfasst Clauss (2017) zwei weitere Unterkonstrukte, welche die Dimension der Werterfassung ausmachen: (9) neue Erlösmodelle und (10) neue Preis- oder Kostenstrukturen. Zusammengenommen ergeben Veränderungen in jeder der drei übergreifenden Wertdimensionen eine Geschäftsmodellinnovation (vgl. ausführlich Abschnitt 4.6.2.6).

3.2.2.5 Radikal, inkrementell oder adaptiv

Andere Forscher unterscheiden BMI nach dem Grad der Innovationskraft. Häufig werden radikale und inkrementelle Veränderungen genannt (Bucherer et al., 2012, S. 184–186; Demil & Lecocq, 2010, S. 241). Inkrementelle BMI basiert auf modularen Verbesserungen der bestehender BM eines Unternehmens (Clauss, Breier, et al., 2021, S. 297). Dabei entsteht zwar ein „unterschiedliches“ Geschäftsmodell, aber keine wesentliche Diskontinuität. Radikal ist dagegen die Innovation eines Geschäftsmodells, das sowohl für den Markt, als auch für die Branche eine Diskontinuität bedeutet. Neben den Dimensionen Radikalität vs. Innovation betrachten Bucherer et al. (2012) zudem die Dimensionen Markt vs. Branche. Eine bahnbrechende BMI für die gesamte Branche wirkt sich nach dieser Auffassung nur auf die in der Branche tätigen Unternehmen aus, nicht aber auf den Endkunden. Dagegen bedeutet eine bahnbrechende BMI für den Markt eine Diskontinuität für den Kunden, nicht aber für die anderen in der Branche tätigen Unternehmen (Cortimiglia et al., 2016, S. 417).

Für Bucherer (2012) kann BMI, aus der Perspektive des Innovationsmanagements betrachtet, sowohl durch interne, als auch durch externe Faktoren angetrieben werden. Er unterscheidet dabei grundsätzlich zwischen Anpassung vs. Innovation eines Geschäftsmodells. Innovation impliziert für ihn auch eine Art von Neuheit, die zwar ein wahrscheinliches Ergebnis der Geschäftsmodellanpassung, aber keine notwendige Voraussetzung ist. Eine Geschäftsmodellanpassung kann auch „nicht innovativ“ sein und ist eine Reaktion auf externe Ursachen (Bucherer et al., 2012, S. 190, 195). In eine ähnliche Richtung bewegt sich Saebi mit der sogenannten Geschäftsmodelladaptation. Eine solche beinhaltet zwar Änderungen im gesamten Geschäftsmodell, die zwar für das einzelne Unternehmen neu sind, aber nicht notwendigerweise für die gesamte Branche (Saebi et al., 2017, S. 569).

3.2.2.6 Temporär vs. langfristig

Eine letzte definierende Eigenschaft des BMI, die zu Divergenzen in der aktuellen Forschung führt, ist die zeitliche Komponente. Demnach bezieht sich BMI von Natur aus auf einen Entwicklungsprozess im Unternehmertum oder einen Veränderungsprozess in etablierten Unternehmen (Massa & Tucci, 2014, S. 424; Schneckenberg et al., 2022, S. 596–597; Spieth et al., 2014, S. 237–239). Da komplexe BMI grundlegende Änderungen im Organisationssystem erfordern, eine erhebliche Umschichtung von Ressourcen mit sich bringen und in der Regel die Folge einer langfristigen, vom Unternehmen definierten Strategie sind (Casadesus-Masanell & Ricart, 2010, S. 196), wurde unter BMI lange nur die dauerhafte Rekonfiguration des Unternehmens verstanden (Clauss, Breier, et al., 2021, S. 296).

Dagegen wird vertreten, dass BMI auch durch vorübergehendes Experimentieren mit neuen Geschäftsmodellen (Andries & Debackere, 2013, S. 338; Sosna et al., 2010, S. 384) oder durch die Gründung vorübergehender „Spin-off-Geschäftsmodelle“ erreicht werden kann, die zu einem späteren Zeitpunkt wieder in das Mutterunternehmen integriert werden (Chesbrough, 2002, S. 551; Clauss, Breier, et al., 2021, S. 296–297). Regelmäßige „Pivots“, also signifikante strategische Kurswechsel, werden (insbesondere/vor allem) bei Start-up-Unternehmen vorgeschlagen, bei denen die Elemente des Geschäftsmodells dann auf Basis von Marktfeedback angepasst werden (Hampel et al., 2020, S. 441–444; Leatherbee & Katila, 2016, S. 1–3; Morgan et al., 2020, S. 375–376).

Aktuell schlagen Clauss, Breier et al. das „temporäre BMI“ als einen potenziellen Mechanismus für Unternehmen vor, um auf dramatische Veränderungen, wie konkret im Rahmen der laufenden COVID-19-Pandemie in Form von Nachfrage- und Angebotsschocks, reagieren zu können. Er versteht temporäre BMI, ähnlich dem vorübergehenden Spin-off, als optimalen Anwendungsfall oder einen Prototyp für langfristige BM-Veränderungen (Clauss, Breier, et al., 2021, S. 311). Mithin würde BMI nicht zwangsläufig zu einer dauerhaften Rekonfiguration der Organisation führen, sondern nur für einen bestimmten Zeitraum notwendig sein (Clauss, Breier, et al., 2021, S. 299). Dabei ist diese temporäre Geschäftsmodellinnovation, zumindest zum Zeitpunkt ihrer Entstehung, nicht als dauerhaft gedacht. Es wird angenommen, dass diese temporären BMI vor allem dann angebracht sind, wenn sich die Betriebsbedingungen der Unternehmen erheblich ändern. In solchen Fällen können modularere und weniger neuartige Änderungen an den Elementen des BM die Wettbewerbsposition wiederherstellen bzw. verbessern (Clauss, Breier, et al., 2021, S. 308). In diesem Sinne ersetzen vorläufige BMI – im Gegensatz zu Anforderungen radikaler Innovation – nicht unbedingt bestehende Geschäftsmodelle, sondern existieren parallel in Situationen, in denen etablierte BM aufgrund äußerer Bedingungen (z. B. Hygienevorschriften) nicht weitergeführt werden können (Clauss, Breier, et al., 2021, S. 294–295).

3.2.2.7 Ebenen der BMI

Schneckenberger et al. erarbeiten in ihrem Aufsatz drei Ebenen der Innovation. Auf Mikroebene der einzelnen Akteure dient BMI als Bezugspunkt für die Entscheidung über wertschaffende und wertschöpfende Aktivitäten. BM stellen dabei kognitive Konfigurationen oder mentale Modelle dar, und BMI manifestiert sich in diskreten Ressourceninvestitionen und Transaktionen, um neuen Kundenwert zu schaffen. Auf der Mesoebene stellt das BM einen Bezugsrahmen dar, um den wesentlichen Kundennutzen zu verstehen. So kann das Unternehmen durch BMI neue Aktivitäten zur Wertschöpfung und -erfassung umsetzen. In diesem Kontext hilft das BM dem Unternehmen bei der systematischen Abbildung der organisatorischen Fähigkeiten und Ressourcen in Geschäftsfunktionen und Märkten. Auf der Makroebene bilden Geschäftsmodellinnovationen Konfigurationen der Wertschöpfung und -erfassung zwischen Unternehmen und ihren Stakeholdern in breiteren Branchenkontexten (Schneckenberg et al., 2022, S. 4).

3.2.3 Geschäftsmodellinnovation in der Tourismuswissenschaft

3.2.3.1 Statisches Verständnis des Geschäftsmodells

Wie bereits im Kontext des Geschäftsmodells beschrieben gibt es einzelne Publikationen, die touristische Unternehmen sowie DMO hinsichtlich des BM-Konzeptes betrachten und bestehende Geschäftsmodelle analysieren (Peric et al., 2019, S. 100561; Reinhold, Zach, et al., 2019, S. 1120; Sahebalzamani & Bertella, 2018, S. 3226). Beispielsweise untersucht Li acht bestehende, für den Tourismus charakteristische/spezifische typische Geschäftsmodelle im Internetzeitalter (Li, 2019, S. 99), während Kannisto mögliche „sharing economy“-Geschäftsmodelle, die für den Tourismus anwendbar wären, betrachtet (Kannisto, 2017, S. 206). Indes erforschten Langvinien und Daunoraviciute im Rahmen einer theoretischen Abhandlung die Erfolgsfaktoren von Geschäftsmodellen, die im Gastgewerbe eingesetzt werden (Langviniene & Daunoraviciute, 2015, S. 902). Das BM-Konzept wird ebenfalls für die von Grund auf neue Konzeption von nachhaltigen Geschäftsmodellen herangezogen, wie etwa bei Strulak-Wojcikiewicz et. al., die für die Entwicklung einer E-Plattform für den Segeltourismus die Business-Model-Canvas von Osterwalder und Pigneur einsetzen (Strulak-Wojcikiewicz et al., 2020, S. 1643).

Die BM-Perspektive ist in der Regel statisch, und Innovationen werden nur am Rande berücksichtigt (Sahebalzamani & Bertella, 2018, S. 1), obgleich der Bedarf nach und die Kraft von Innovation im Tourismus bereits länger diskutiert wird (Hall & Williams, 2008, S. 202–229; Hjalager, 2010, S. 1–4; Pikkemaat et al., 2018, S. 55–56; Shaw & Williams, 2011, S. 33–35). So führte Pikkemaat bereits vor zwei Jahrzehnten eine empirische Studie in alpinen Tourismusdestinationen durch und konzentrierte sich auf die Bewertung von Innovationsaktivitäten in kleinen und mittleren Hotels, allerdings aus dem Verständnis von Innovation als Schlüsselkomponente der Unternehmensstrategie heraus (Pikkemaat & Peters, 2006, S. 89). Ebenso stellen Martinez-Roman et al. Innovationsfähigkeit und Unternehmensleistung im KMU-Bereich Tourismus in Zusammenhang (Martinez-Roman et al., 2015, S. 119).

3.2.3.2 Interne und nicht technische Geschäftsmodellinnovation

Eine der ersten empirischen Arbeiten zum Konzept der Geschäftsmodellinnovationen im Tourismus geht auf Souto zurück, in der er auf Grundlage von Interviews mit 115 Führungskräften aufzeigt, wie Tourismus- und Hotelbetrieben erfolgreiche Innovationen möglich sind (Souto, 2015, S. 142). So führt er spezifisch für die Tourismusbranche aus, dass sowohl nichttechnologische als auch technologische Innovationen für die Wettbewerbsfähigkeit von Tourismus- und Hotelunternehmen wichtig sind. Er stellt dabei fest, dass die meisten Innovationen in Tourismus- und Hotelbetrieben nichttechnologischer Natur sind und „relevante“ BMI ein Weg zur Erzielung technologischer und nichttechnologischer inkrementeller und radikaler Innovationen sind (Souto, 2015, S. 152). Dabei definiert Souto, ausgehend von der BM-Definition von Teece (2010), die Geschäftsmodellinnovation als „eine neue Konfiguration dessen, was im Unternehmen getan wird und wie es getan wird, um den Kunden ein neues Mehrwertangebot zu machen. Mit anderen Worten, es handelt sich um ein neues oder deutlich verbessertes System von Aktivitäten, die für die Schaffung eines neuen Wertschöpfungsangebots erforderlich sind“ (Souto, 2015, S. 145). Um sicherzustellen, dass BMI „keine bloßen Änderungen oder Umgestaltungen“ umfasst, die sich nicht auf die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens auswirken, fordert er das Merkmal der „Relevanz“ (Souto, 2015, S. 145). Souto vertritt einerseits sowohl radikale als auch inkrementelle Innovation, argumentiert aber andererseits mit Schumpeter (1934), dass Innovation dabei nicht notwendigerweise die Entdeckung einer neuen Technologie bzw. neuen Wissens ist. So führt er weiter aus, dass die erforderlichen Technologien und das Wissen manchmal bereits vorhanden sind und zur Verfügung stehen, um zur Befriedigung eines bestimmten Bedarfs eingesetzt zu werden. Bei der Innovation geht es für ihn also darum, einen ungedeckten Bedarf zu finden und zu befriedigen bzw. ein Kundenproblem zu finden und zu lösen (Kommerzialisierung einer neuen Lösung). Relevanz bedeutet für Souto im Kern dabei „etwas anderes anzubieten“ als die Konkurrenz. „Tourismus bedeutet, etwas zu besuchen, zu sehen und auf eine andere Art und Weise zu leben; mit anderen Worten, er ist eine Lebenserfahrung. Um die Lebenserfahrung eines Touristen zu verändern, ist ein neues Geschäftsmodell erforderlich, das das Angebot neuer Dienstleistungen und eine neue Kombination von Dienstleistungen ermöglicht“ (Souto, 2015, S. 145).

In die gleiche Richtung gehend und allein schon aufgrund der gewählten Stichprobe von über 214 Unternehmen aus dem touristischen Bereich von Interesse ist die empirische Studie von Chea et al. (2018). Sie gehen dabei von einem ressourcenbasierten Ansatz von BM aus. Für eine touristische Dienstleistung spezifisch ist dabei für Chea et al. (2018), dass die Erfahrung menschlicher Interaktion im Vergleich zum Produkt variieren kann. Dies hat zur Folge, dass, sofern die Bedingungen und die zugewiesenen Ressourcen für jede Dienstleistung nicht identisch sein können, auch die Konfiguration und die Erfahrung der Dienstleistung nicht notwendigerweise in einem Geschäftsmodell dupliziert werden können (Cheah et al., 2018, S. 3). Dieser neue Gedanke wird in Bezug auf Innovationsgrad und -umfang der BMI leider nicht weiter ausgeführt. Bemerkenswert ist, bei dieser spezifischer auf den touristischen Bereich abgestimmten Studie, das mit Souto (2015) übereinstimmende Ergebnis. Beide resümieren, dass Innovation, die im Tourismus zum Erhalt einer guten Performance des BM führt, in der Regel interner und nichttechnischer Natur ist, mithin das Geschäftsmodell selbst betrifft (Cheah et al., 2018, S. 1).

3.2.3.3 Entwicklung zu einer modularen Auffassung des BMI-Konzepts

In Bezug auf eine konkrete Konzeptualisierung von Geschäftsmodellinnovation − speziell im touristischen Kontext – besteht noch reichlich Forschungspotential. So wird BMI in Beiträgen zu sozialem Unternehmertum im Tourismus (Alegre & Berbegal-Mirabent, 2016, S. 1155) oder die Analyse von eingeführten Innovationen eines kleinen Reisebüros (Rusu, 2016, S. 166–168) lediglich gestreift. Ähnlich verhält es sich mit der Fallstudie einer slowenischen Tourismusagentur. Deren Beitrag liegt zwar durchaus in der Anwendung der Business-Model-Canvas von Osterwalder und Pigneur, bietet aber nur wenig an tourismusspezifischen Ansätzen zur konkreten Beschreibung von BMI (Ambroz & Omerzel, 2017, S. 175–183). Saur-Amaral et al. (2018) konzeptionalisieren ein Rahmenwerk für BMI im Tourismus auf Basis einer systematischen Literaturübersicht, deren Quellen es aber auch am touristischen Bezug mangelt. Sie vertreten eine komponentenbasierte Auffassung des Geschäftsmodells nach Amit, Zott und Massa. Konsequenterweise entwickeln sie daher einen theoretischen Ansatz, in dem die Innovation „die Änderungen von Elementen oder Kombinationen [darstellt], um den vom Unternehmen geschaffenen Wert zu erhöhen“ (Saur-Amaral et al., 2018, S. 80). In einer der aktuellsten Literaturübersichten zu BMI in der Tourismusindustrie stellen Adrianto et al. den weiterhin bestehenden Mangel an empirischen Studien fest (Andrianto et al., 2021, S. 3). Auch ihre Ausführungen basieren auf einer Auffassung des BMI als Prozess im Rahmen der Business-Model-Canvas von Osterwalder und Pigneur. Auch in den hervorragenden Ausführungen von Hjalager und Madsen zu Innovation im Tourismus-Management wird überwiegend auf die BM-Canvas von Osterwalder und die Innovationskategorien Schumpeters (1934) zurückgegriffen (Hjalager & Madsen, 2018, S. 373–388). Ein empirischer Beitrag zu Krisen als Auslöser von BMI aus der Tourismusindustrie selbst, also dem Gegenstand vorliegender Untersuchung, findet sich lediglich in einem aktuellen Konferenzbeitrag von Renz und Vladova sowie bei Breier et al. in einer empirischen Fallstudie (Breier et al., 2021, S. 102723; Renz & Vladova, 2021, S. 3–7).

Breier et al. unterscheiden dabei zwischen evolutionären und adaptiven Geschäftsmodellinnovationen. Sie verstehen evolutionäre BMI, in Anlehnung an Demil und Lecocq (2010), als eher freiwillige und emergente Veränderungen in einzelnen BM-Komponenten. Dagegen begreifen Breier et al. adaptive BMI ähnlich wie Foss und Saebi (2017) als Veränderungen des gesamten Geschäftsmodells und seiner Architektur, d. h. der Art und Weise, wie BM-Komponenten miteinander verbunden sind, als Reaktion auf Veränderungen im externen Umfeld. Ihrer Auffassung nach müssen bei evolutionären und adaptiven Geschäftsmodellinnovationen die Veränderungen typischerweise neu für das Unternehmen sein, aber nicht zwingend neu für die Branche. Werden die BM-Veränderungen hingegen von der Unternehmensleitung proaktiv initiiert, um die Marktbedingungen innerhalb einer bestimmten Branche zu verändern, sprechen sie von fokussierter, komplexer modularer oder architektonischer BMI, die sowohl für das Unternehmen, als auch die Branche neu ist (Breier et al., 2021, S. 102725). Renz und Vladova teilen mit Breier et al. und Kraus, Clauss et al. den Zusammenhang von Krise als Auslöser von Geschäftsmodellinnovation. Sie erkennen für BMI im Tourismus das größte Potenzial in den Veränderungen und Erweiterungen des Nutzenversprechens. Dagegen interpretieren sie BMI wie Geissendoerfer als „entweder ein[en] Prozess der Transformation von einem Geschäftsmodell zu einem anderen innerhalb etablierter Unternehmen oder nach Fusionen und Übernahmen oder die Schaffung völlig neuer Geschäftsmodelle“ (Breier et al., 2021, S. 1027723; Geissdoerfer et al., 2016, S. 1220; Kraus, Clauss, et al., 2020, S. 1067; Renz & Vladova, 2021, S. 3–7). Zudem identifizieren sie speziell für den touristischen Bereich „derzeit spannende Bewegungen auf dem Markt“, da „immer mehr Unternehmen ihre Geschäftsmodelle im virtuellen Raum reflektieren und damit (un-)bewusst ihre bestehenden Geschäftsmodelle erneuern“. Dabei ist es speziell im Tourismus kritisch, dass „die erbrachten Dienstleistungen an die physische werden Präsenz gebunden sind und daher nicht einfach in den digitalen Raum übertragen werden können“ (Renz & Vladova, 2021, S. 4). Mit dem Problem der Digitalisierbarkeit touristischer Dienstleistungen, mithin der Herausforderung bei der Übertragung des Geschäftsmodells in den digitalen Raum, befasst sich die Diskussion zu Tourismus und Digitalisierung im Abschnitt 3.4.3.

Zusammenfassend bietet sich für die vorliegende Studie ein komponentenbasiertes Modell des Geschäftsmodells an. Dieses ermöglicht es, die Aktivitäten der Studienteilnehmer grundsätzlich den Bereichen Wertangebot, Wertschöpfung und Wertschöpfung zuzuordnen. Erweitert um ein modulares Verständnis von Geschäftsmodellinnovation, das trotz der punktuellen Betrachtung Veränderungen der Komponenten und damit Transformationen von einem Geschäftsmodell zu einem anderen sichtbar macht (vgl. Kapitel 4).

3.3 Krisen als Auslöser von Geschäftsmodellinnovation

3.3.1 Antezedenzien von Geschäftsmodellinnovation

Tatsächlich entsteht BMI oft als Folge externer Faktoren wie Globalisierung (Lee et al., 2012, S. 832), Veränderungen im Wettbewerbsumfeld (De Reuver et al., 2013, S. 1340006–6; Osiyevskyy & Dewald, 2018, S. 544), technologische Innovation (Cortimiglia et al., 2016, S. 416–417; Parida et al., 2019, S. 392–393; Rachinger et al., 2019, S. 1144–1147) und insbesondere Digitalisierung (Caputo et al., 2021, S. 488–489). In Kontexten hoher Umweltvolatilität kann BMI innovative Wege zur Reaktion auf veränderte Quellen der Wertschöpfung und -erfassung bieten (Breier et al., 2021, S. 102725). In der BMI-Literatur werden einerseits Geschäftsmodelle selbst als wichtigste Voraussetzungen gesehen, welche die Unternehmensleistung beeinflussen, andererseits liegt vermehrt die Aufmerksamkeit auf der Frage nach Veränderungen des externen Umfelds als Auslöser für BMI (Zhang et al., 2021, S. 804–806). Auch Renz und Vladova (2021) sind im touristischen Kontext der Meinung, das durch externe Ereignisse verursachte Marktstörungen die Innovationsfähigkeit von Unternehmen stimulieren, die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen beschleunigen und zur Entstehung neuer Märkte und Technologien führen (Renz & Vladova, 2021, S. 3). Die Mehrzahl der Studien waren bisher allerdings isoliert und eher konzeptionell als empirisch (Cheah et al., 2018, S. 3952). Es wurden mit einigen Ausnahmen (Chesbrough, 2007, S. 12; Guo, Liu, et al., 2017, S. 779; Guo, Tang, et al., 2017, S. 431) nur wenige Versuche unternommen, die möglichen Auslöser des BMI zu untersuchen (Wirtz et al., 2016, S. 36; Zhang et al., 2021, S. 803; Zott et al., 2011, S. 1019).

3.3.2 Krise als externer Faktor von Geschäftsmodellinnovation

Die aktuelle Forschung zu Auslösern von Geschäftsmodellinnovation lässt sich grundsätzlich in externe und interne Faktoren aufteilen (Zhang et al., 2021, S. 3). So kategorisierten bereits Bucherer et al. (2012) internen vs. externen Ursprung der Innovation und Bedrohung vs. Chance, wobei sich der Ursprung der Bedrohung auf Situationen bezieht, in denen ein Unternehmen gezwungen ist, seine BM zu ändern, während der Ursprung der Chance die BMI zur Nutzung einer Chance anzeigt (Bucherer et al., 2012, S. 184). Einen ähnlichen Ansatz verfolgen Cortimiglia et al. Sie begreifen BMI einerseits als Änderung des Wertversprechens als Reaktion auf neue Kundenbedürfnisse oder Umweltchancen (demand-pull), andererseits als Änderung des Wertversprechens als Reaktion auf technologische Durchbrüche des Unternehmens (Cortimiglia et al., 2016, S. 417).

Zu den externen Faktoren gehören Marktchancen, situative Faktoren, Wertschöpfungsnetzwerke, technologische Innovationen und Krisen, während zu den internen Faktoren das Wissen der Führungskräfte, interne Ressourcen und Fähigkeiten sowie Merkmale der Organisation zählen.

Zu solchen internen Faktoren können z. B. in der aktuelleren Fachliteratur, trotz ihres Bezugs zu Krisen, Publikationen von Bhatti et al. mit Untersuchungen zur Wissensaufnahmefähigkeit (absorptive capacity), Agilität und Achtsamkeit von Unternehmen sowie von Alves et al. im Kontext von organisatorischem Lernen von KMU nach einer Krise zugeordnet werden (Alves et al., 2020, S. 4; Bhatti et al., 2021, S. 389). Darüber hinaus sind Osiyevskyy und Dewald zu nennen, die Krise als möglichen Stimulus von Absicht zu BMI aus der verhaltensbasierten Entscheidungsfindung (behavioural decision making) untersuchen (Osiyevskyy & Dewald, 2018, S. 541). Sie verfolgen dabei den von Dewald und Bowen (2010) angegangenen Ansatz, die Forschung zu organisatorischer Resilienz, mit der zu disruptiven Innovationen und insbesondere zu disruptiven Geschäftsmodellinnovationen, zu kombinieren (Dewald & Bowen, 2010, S. 4; Osiyevskyy & Dewald, 2015, S. 58–60; Sijde & Schmidt, 2022, S. 2–3). Sie kombinieren risikoaffine Reaktion (Kahneman & Tversky, 1979, S. 263–292) mit risikoaversen Reaktionen (Dutton, 1986, S. 501–517) im Zusammenhang mit organisationalem Verhalten bei disruptiven Innovationen im Vorfeld von Geschäftsmodellen.

Konzeptionelle Argumente und empirische Ergebnisse hinsichtlich der Verbindung zwischen Krisen als externe Faktoren und Innovations-Konstrukten sind begrenzt und unschlüssig (Cheah et al., 2018, S. 3952; Foss & Saebi, 2017, S. 201). Foss und Saebi folgern von der Annahme, dass sich BMI in Bezug auf Umfang und Neuartigkeit unterscheidet (vgl. Abschnitt 3.2.2.2), dass Antezedenzien für evolutionäre oder adaptive BMI anders sein können als für komplexere Formen von BMI und bei genauer Betrachtung eine empirische Frage bilden (Foss & Saebi, 2017, S. 217). Die Reaktionen etablierter Unternehmen auf externe disruptive Störungen sind zentral für die Arbeit von Markides (1997–2021). Aus dem Kontext des strategischen Management kommend, bezeichnete er Veränderungen des BM zunächst als disruptive strategische Innovationen und erst später als BMI (Lanzolla & Markides, 2021, S. 540–553; Markides, 1997, S. 9–23, 2006, S. 19–25).

3.3.3 Innovation als Reaktionsstrategie auf Krisen

In aktuelleren Aufsätzen identifizieren u. a. Wenzel et al. sowie Marx und Klotz Innovation als eine unternehmerische Reaktionsstrategie auf eine Krise (Marx & Klotz, 2021, S. 1–12; Morgan et al., 2020, S. 359–379; Wenzel et al., 2021, S. O16–O27). Dabei untersuchen Marx und Klotz (2021) touristische KMU als „Rückgrat der Tourismusindustrie“, um zu verstehen, wie KMU ihr Geschäft anpassen und welche Rolle ihre Zusammenarbeit spielt. Sie stellen dabei fest, dass insbesondere der Reiseveranstaltermarkt zeigt, dass KMU trotz ihrer (Betriebs-)Größe in der Lage sind, während einer Krise mehrere Innovationsprojekte unterschiedlicher Art sowie in verschiedenen Stadien der Innovationswertschöpfungskette gleichzeitig zu initiieren und zu verwalten. Dabei behandeln sie aber Krise als Auslöser der Innovation nicht weiter (Marx & Klotz, 2021, S. 1–3). Wenzel stellt Innovation als eine von vier möglichen strategischen Reaktionen auf Krisen dar, namentlich (1) Rückzug, (2) Ausharren, (3) Innovation und (4) Ausstieg (Wenzel et al., 2021, S. O23).

Dabei beinhaltet Rückzug Kostensenkungsmaßnahmen, um die Ausgabe eines Unternehmens zu reduzieren. Diese Strategie soll Unternehmen dabei zu helfen, eine Krise kurzfristig zu überstehen. Beim Ausharren geht es darum, den Status quo der Geschäftstätigkeit z. B. durch Fremdfinanzierung zu erhalten. Es scheint als mittelfristige Reaktion auf eine Krise geeignet, die allerdings das langfristige Überleben des Unternehmens gefährden kann. Ausstieg bedeutet die Einstellung der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens. Diese Strategie ist nicht auf eine Krise beschränkt und kann jederzeit gewählt werden. Innovation schließlich bedeutet, dass das Unternehmen als Reaktion auf eine Krise eine strategische Erneuerung vornimmt (Clauss, Breier, et al., 2021, S. 296; Wenzel et al., 2021, S. O23) (vgl. Abbildung 3.1).

Abbildung 3.1
figure 1

(Quelle: Eigene Darstellung nach Kraus et al. (2020))

Innovation als unternehmerische Reaktionsstrategie in der Krise.

Eine Reihe von Forschern nehmen diesen Ansatz nicht nur auf, sondern bestätigen auch empirisch, dass diese vier Strategien die frühen Reaktionen von KMU auf die COVID-19-Pandemie erfolgreich beschreiben. Sie plädieren für eine Innovationsstrategie zur Nutzung von Chancen, die sich aus einer Krise ergeben (Breier et al., 2021, S. 1027733; Ebersberger & Kuckertz, 2021, S. 126; Kraus, Clauss, et al., 2020, S. 1068; Manolova et al., 2020, S. 482).

Dies betrifft insbesondere Clauss, Breier et al., die anhand ihrer Studie erarbeiten, wie KMU auf eine exogene Krise mit einer vorübergehenden Geschäftsmodellinnovation reagieren können (Clauss, Breier, et al., 2021, S. 296). Sie argumentieren damit, dass Unternehmen, die explorative Strategien zur Entwicklung neuer Produkte und Märkte verfolgen, Krisen besser bewältigen (Clauss, Breier, et al., 2021, S. 294). Manolova et al. (2020) vertreten die Auffassung, dass sich auch etablierte Unternehmen an ein neues Innovationsumfeld anpassen. Demgegenüber argumentieren Gausemeier et al., dass sich Unternehmen in schwierigen Zeiten vielmehr auf ihr Kerngeschäft konzentrieren (Gausemeier et al., 2019, S. 15). Diese Auffassung bestätigen u. a. Marx und Klotz unlängst in einem Report der Unternehmens- und Strategieberatung McKinsey (Marx & Klotz, 2021, S. 2). Sie vertreten die Auffassung, dass Unternehmen die meisten Gewinne durch sogenannte „Routine-Innovationen“ erzielen, die auf bestehenden Kompetenzen basieren und zum etablierten Geschäftsmodell passen (Marx & Klotz, 2021, S. 3). Daran anknüpfend stellen Renz und Vladova fest, dass besonders für touristische KMU radikale Innovationen eine besondere Herausforderung darstellen. Solche Unternehmen sind häufig durch begrenzte finanzielle und betriebswirtschaftliche Kompetenzen gekennzeichnet und verlassen sich hauptsächlich auf inkrementelle Produkt- und Dienstleistungsinnovationen (Renz & Vladova, 2021, S. 4). Ebersberger und Kuckertz zeigen sich in ihren Einschätzungen hingegen insgesamt noch zurückhaltend und sprechen von einer „sich verändernde[n] Innovationslandschaft“ und einem bisher unklaren Bild des Innovationsverhaltens in einer Krise (Ebersberger & Kuckertz, 2021, S. 134). Davidsson et al. untermauern dieses Argument und halten eine stärkere Berücksichtigung externer Veränderungen des Unternehmensumfelds (z. B. Krisen in der Entrepreneurship-Forschung und in verwandten Bereichen) für überfällig (Davidsson et al., 2021, S. 8).

3.3.4 Krise als Trigger-Event, Enhancer und Inhibitoren von Geschäftsmodellinnovation

Im Gegensatz zu den im letzten Abschnitt beschriebenen Publikationen konnten Breier et al. in einer empirischen Studie Krisen im Allgemeinen sowie konkret die COVID-19-Pandemie als Auslöser für BMI identifizieren (Breier et al., 2021, S. 8). Auch Sigala spricht, im touristischen Kontext, überwiegend von „Innovation aus der Not heraus“, ohne allerdings diesen Zusammenhang empirisch zu begründen (Sigala, 2020, S. 316). So gehen auch Gössling et al. und Hall et al. selbstverständlich von Krise als Auslöser aus (Gössling et al., 2020, S. 3; Hall et al., 2020, S. 591). Breier et al. (2021) differenzieren ihr Ergebnis aber dahingehend, dass Bedrohungen durch Krisen nicht unbedingt als Antezedenz für BMI ausreichen, sondern eine Reihe weiterer Einflussfaktoren für die endgültige Entscheidung zur Durchführung einer BMI verantwortlich sind.

Breier et al. (2021) identifizieren als begünstigende Faktoren (enhancer) für BMI – neben dem bereichsspezifischen Faktor Stammgast – freie Zeitressourcen und einen allgemeinen Veränderungsdruck aufgrund einer Krise. Die Unternehmen erhalten durch die Stammgäste zum einen eine psychologische Sicherheit, zum anderen werden sie zur Erneuerung ihres Geschäftsmodells angeregt. Staatlich verordnete Schließungen und die damit verbundene Entlastung von operativen Aufgaben haben in Unternehmen, insbesondere bei Entscheidungsträgern, Zeitressourcen freigesetzt, die in strategische statt operative Entwicklungen investiert werden können (Breier et al., 2021, S. 7).

Abbildung 3.2
figure 2

(Quelle: Eigene Darstellung nach Breier et al. (2021))

Krise als Trigger-Event von BMI.

Dagegen betrachten Breier et al. (2021) umfassende staatliche Unterstützung und hohe Liquidität eines Unternehmens als erschwerende Faktoren (inhibitor) (vgl. Abbildung 3.2). Entgegen einer weit verbreiteten Ansicht in der Literatur, dass finanzielle Ressourcen eine wichtige Triebkraft für Innovationen im Tourismus sind (Kallmuenzer et al., 2019, S. 330), sorgten im spezifischen Kontext der Untersuchung von Breier et al. (2021) umfangreiche finanzielle Ressourcen lediglich dafür, dass Unternehmen die Zeit der Krise überstehen, ohne weiter an Veränderungen zu arbeiten (Breier et al., 2021, S. 8). Sie erklären dies damit, dass Unternehmen durch verminderten finanziellen Druck auch die Bedrohung durch die Krise geringer wahrnehmen. Folglich wird auch der Druck reduziert, das Geschäftsmodell zu ändern. Breier et al. verweisen dabei auf die „Strategie des Ausharrens“ nach Wenzel et al. (2020) (vgl. Abbildung 3.1). Sie bestätigen damit u. a. das Ergebnis von Eggers, dass KMU gemeinhin über weniger finanzielle Mittel verfügen und deshalb gerade durch finanziellen Druck in der Krise dazu neigen, bestehende Geschäftsmodelle in Frage zu stellen (Eggers, 2020, S. 206). So stellen Breier et al. (2021) fest, dass Unternehmen, die weniger Unterstützung erfahren (z. B. vom Staat), von längeren Schließungen bedroht sind und für viele Beschäftigte verantwortlich sind, proaktiver Geschäftsmodellinnovation betreiben. Im Ergebnis lässt sich also festhalten, dass finanzieller Druck ein Unternehmen zu proaktiver BMI veranlassen kann, während eine umfangreiche finanzielle Unterstützung die BMI hemmt.

In einer weiteren gemeinsamen Studie erweitern Clauss, Breier und Kraus das Modell um den Faktor der Betroffenheit (Clauss, Breier, et al., 2021, S. 308). Dabei bestätigen sie, dass Krisen, insbesondere die Corona-Pandemie, ein Auslöser für BMI bei KMU sein kann. Ob eine BMI allerdings nur temporär oder dauerhaft implementiert bleibt, bestimmt im neuen Modell das Maß der Betroffenheit. Stark von der Krise betroffene Unternehmen verfolgten Innovationen, die für sie neu waren, während bei weniger betroffenen Unternehmen eher schrittweise, modulare Änderungen festgestellt werden konnten. Jene Unternehmen, die z. B. stärker von COVID-Restriktionen eingeschränkt waren, konnten ihr bestehendes BM nicht mehr verfolgen und mussten aufgrund dessen architektonische Änderungen in bzw. an ihrem BM vornehmen, um neue Einnahmen erzielen zu können (Clauss, Breier, et al., 2021, S. 12).

3.4 Digitalisierung im Rahmen der Innovation touristischer Geschäftsmodelle

3.4.1 Die Verbindung zwischen Geschäftsmodellinnovation, Digitalisierung und technischer Innovation

Geschäftsmodellinnovation erschließt – besonders im Tourismus – das Potenzial neuer Technologien, technologischen und nichttechnologischen Wissens und durchbricht die Beschränkungen alter Geschäftsmodelle (Ammirato et al., 2021, S. 1–22; Li, 2019, S. 99–108; Souto, 2015, S. 142–155). BMI gibt Antworten darauf, wie innovative Unternehmungen, die der Logik traditioneller Industrien fremd sind und sich mit Technologie oder anderen Formen von unklaren, aber potenziell profitablen Konzepten beschäftigen, in betriebswirtschaftliche Begriffe umgesetzt werden können (DaSilva & Trkman, 2014, S. 380; Ritter & Pedersen, 2020, S. 180). So sind Digitalisierung, Technologie und Innovation unmittelbar mit der Terminologie des Geschäftsmodells verbunden (Bouwman et al., 2019, S. 1; Kraus et al., 2021, S. 1–2; Rachinger et al., 2019, S. 1144). Unternehmen wie Amazon, Facebook, Google, Netflix, Alibaba, AirBnB und Uber gelten als Erfolgsgeschichten einer solchen Verbindung (Gassmann et al., 2016, S. 1–2; Kraus et al., 2022, S. 53–55; Teece, 2010, S. 188). So wird die Auffassung vertreten, dass technologische Innovation Geschäftsmodelle erfordert, um Innovationen zu kreieren und auf den Markt zu bringen sowie BMI die Gelegenheit schafft, unbefriedigten Kundenbedürfnisse zu stillen (Teece, 2010, S. 172–173; Wang & Chebo, 2021, S. 2–3). Mit einer sich ständig verändernden betriebswirtschaftlichen Umwelt (d. h. verschärfter Wettbewerb und Komplexität, verkürzte Innovationszyklen und erhöhte Marktvolatilität) und technologischen Entwicklungen (Digitalisierung) werden die Phänomene im Zusammenhang mit BMI jedoch immer komplexer (Zhang et al., 2021, S. 805). Speziell bei Digitalisierung geht es nicht nur darum, interne Prozesse zu optimieren oder neue Technologien einzubinden, sondern die Geschäftsmodelle von KMU grundlegend zu verändern (Bouwman et al., 2019, S. 1; Parida et al., 2019, S. 391–393). Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen KMU ihre Geschäftsmodelle digitalisieren, z. B. durch das Angebot digitaler und digital erweiterter Produkte bzw. Dienstleistungen. Dies erfordert einerseits Zusammenschlüsse mit neuen digitalen Partnern, anderseits aber auch Unterstützung bei der Digitalisierung seitens bestehender Lieferanten, Partner und anderen Beteiligter. Diese Koordination eines wachsenden Ökosystems erweist sich für KMU aktuell als eine der größten Herausforderungen (Sjödin et al., 2022, S. 50). Zudem spielen dabei bei touristischen Unternehmen immer noch nicht-technologisches Wissen und nicht-technische Innovationen eine entscheidende Rolle (Souto, 2015, S. 152).

In der Fachliteratur werden die Begriffe technische Innovation, digitale Transformation und Digitalisierung häufig synonym verwendet (Caputo et al., 2021, S. 490). Technische Innovation ist ein Vorgang, in dem neue Ideen, die mit praktischem Wissen oder Erfahrung verbunden sind, in einen produktiven Prozess umgesetzt werden. Technische Innovation führt dabei zu einer Form von neuen oder verbesserten Produkten, Dienstleistungen, Management-Know-how und Prozesstechnologie für Produktion oder Dienstleistung (Al‐Jinini et al., 2019, S. 69; Damanpour, 1991, S. 560–561). Unter digitaler Transformation wird dagegen die Nutzung neuer digitaler Technologien wie sozialer Medien, mobiler Technologien, Analysen oder eingebetteter Geräte verstanden, um wichtige geschäftliche Verbesserungen zu ermöglichen, z. B. verbesserte Kundenerfahrungen, rationalisierte Abläufe oder neue Geschäftsmodelle (Berman, 2012, S. 20; Kraus et al., 2021, S. 9; Schallmo et al., 2017, S. 1740014–1740019). „Digitale Transformation befasst sich mit den Veränderungen, die digitale Technologien im Geschäftsmodell eines Unternehmens bewirken können und die sich in veränderten Produkten oder Organisationsstrukturen oder in der Automatisierung von Prozessen niederschlagen“ (Marx, 2019, S. 158). Digitalisierung beschreibt den Übergang von analog zu digital, kann aber auch als verstärkter Einsatz digitaler Technologie und deren Auswirkung auf den Menschen verstanden werden (Marx, 2019, S. 158). Dagegen sehen Bouwman et al. Digitalisierung beispielsweise „als der Prozess, mit dem Wirtschaft, Institutionen und Gesellschaft auf einer Systemebene umstrukturiert werden“ (Bouwman et al., 2019, S. 1). Reis et al. verstehen Digitalisierung als „das Phänomen der Umwandlung analoger Daten in eine digitale Sprache, die wiederum die Geschäftsbeziehungen zwischen Kunden und Unternehmen verbessern kann und der gesamten Wirtschaft und Gesellschaft einen Mehrwert bringt“ (Reis et al., 2020, S. 448). Verhoef et al. bezeichnen die Digitalisierung „als Umwandlung von analogen in digitale Aufgaben“ oder konzeptualisieren sie „als die Einbindung von IT in bestehende Abläufe“. Digitalisierung definiert für sie, wie digitale Technologien oder IT genutzt werden können, um bestehende Geschäftsprozesse zu verändern (Liu et al., 2011, S. 1730; Verhoef et al., 2021, S. 891; Vial, 2019, S. 118–119). Bokolo und Sobah stellen bei der Digitalisierung auf IT als entscheidender „Enabler“ ab, um neue Geschäftsmöglichkeiten zu nutzen, indem aktuelle Geschäftsaktivitäten, wie z. B. Geschäftsbeziehungsmanagement, Kommunikation oder Vertrieb, verändert werden (Bokolo & Sobah Abbas, 2021, S. 618).

Caputo et al. (2021) differenzieren die Begriffe dahingehend, dass sich digitale Transformation im weiteren Sinn auf strategische Transformationen bezieht, die durch Digitalisierungsprojekte umgesetzt werden und auf organisatorische Veränderungen abzielen. Dagegen betrachten sie Digitalisierung als Übergang von analoger Information in ein digitales Format im Rahmen eines umfassenden soziotechnischen Prozesses. Beispiele hierfür sind die Umwandlung eines Buches von maschinengeschriebenem Text in eine digitale Form, Smart Homes, Smart Mobility und Smart Cities. Ungeachtet dieser unterschiedlichen Definitionen herrscht Einigkeit darüber, dass „alle diese digitalen Möglichkeiten, die eine transformative Wirkung auf die Organisation der Wirtschaftstätigkeit haben“, BMI unterstützen (Caputo et al., 2021, S. 490). Dabei gibt viele verschiedene Möglichkeiten, wie die Digitalisierung durch neue und oft fortschrittlichere Dienstleistungsangebote einen Mehrwert für den Kunden schaffen kann (Caputo et al., 2021, S. 489; Parida et al., 2019, S. 391; Rachinger et al., 2019, S. 1154–1155).

3.4.2 Digitalisierung und technische Innovation im Tourismus

In der Tourismusforschung zählt Digitalisierung aktuell zu den diskutierten Themen, spaltet aber auch die Lager in Befürworter und Gegner derselben (Buhalis, 2020, S. 267; Zillinger, 2021, S. 1–55). Neben zahlreichen Untersuchungen zu den Themen Nutzungstrends, Business Intelligence, digitale Innovationsprozesse, mobile Dienste, Informationssuchverhalten, Empfehlungssysteme und soziale Medien existieren einschlägige Fachzeitschriften wie das Journal of Hospitality and Tourism Technology und das Journal of Information Technology & Tourism, um mit der rasanten Entwicklung des technischen Fortschritts bzw. des Nutzerverhaltens im Tourismus Schritt zu halten (Buhalis, 2020, S. 267–268; Gössling, 2021, S. 849; Zillinger, 2021, S. 6). Übereinstimmung herrscht dahingehend, dass der Tourismus durch enorme Innovationen revolutioniert wird, die der Branche vornehmlich dazu dienen, den wachsenden Bedarf an außergewöhnlichen touristischen Erlebnissen zu decken (Beck et al., 2019, S. 586–587; Chiao et al., 2018, S. 30). So gelten Virtual-Reality-Tourismus, virtueller Tourismus und Augmented Reality zu den meist untersuchten Themen in der Tourismusforschung (Akhtar et al., 2021, S. 1).

Im Zeitraum zwischen 1960 und 1990 ging es im Tourismus noch um Themen wie Computerreservierungssysteme/Reservierungen per Computer, Systeme für Reiseveranstalter und Destinationen, um das Kapazitätsmanagement, die betriebliche Effizienz und Produktivität zu erhöhen. In den frühen 2000er-Jahren veränderte den Tourismus dann das Internet mit dem Aufkommen von Webseiten (Banerjee & Chua, 2020, S. 102887–1), Electronic Commerce und Suchmaschinen (Buhalis, 2020, S. 267; Rasoolimanesh et al., 2019, S. 481–482). Die Entwicklung von Blogs und sozialen Medien führte die Ära des Web 2.0 im Tourismus ein und revolutionierte die Kommunikation der Akteure untereinander (Buhalis et al., 2019, S. 267; Fan et al., 2019, S. 102757) wie beispielsweise durch Chatbots (Calvaresi et al., 2021, S. 3) oder VR (Adachi et al., 2020, S. 1; Beck et al., 2019, S. 586; Reis et al., 2020, S. 443).

Aus Sicht der Befürworter der Digitalisierung als Innovationsmotor im Tourismus können IKT-gestützte Lösungen aktuell den Entscheidungsfindungsprozess und den Lebenszyklus des Tourismuserlebnisses unterstützen, die Durchführung reisebezogener Aktivitäten fördern sowie kulturelle Erfahrung der Reise bereichern (Ammirato et al., 2021, S. 2). Das Internet bietet dazu eine Quelle für Informationen und den Austausch von Reiseerfahrungen (Hjalager, 2010, S. 2–4). Reiseinformationen werden zunehmend einfach über das Internet abgerufen, weshalb die Technologie der Informationssuche eine entscheidende Rolle bei der Förderung von Destinationen spielt (Chiao et al., 2018, S. 30).

Die Individualisierung und Mehrwert-Co-Creation ist ein entscheidendes Element der aktuellen Tourismusinnovationen (Buhalis et al., 2019, S. 485). Es geht dabei um einen erlebnisorientierten Tourismus (Hjalager, 2010, S. 4), bei dem der Tourist oder Endnutzer ein Tourismusprodukt wie, beispielsweise eine Reise oder ein Urlaubspaket, nach seinem Geschmack und Verhalten gestaltet und produziert (Buhalis et al., 2019, S. 493). Im Rahmen dieser Forschungsentwicklung kam das Konzept der intelligenten Tourismusdestinationen auf (smart destination), weil IKT als wichtige Triebkraft für die Wettbewerbsfähigkeit von Destinationen angesehen wurde (Boes et al., 2016, S. 109–110; Buhalis, 2020, S. 267–272; Gelter et al., 2021, S. 2861). Smarte Destinationen heben die Rolle von Touristen als Mitgestalter ihrer eigenen Erfahrungen (value co-creation) hervor, indem sie es ihnen als Verbrauchern ermöglichen, mit Elementen zu interagieren, die sie bei der Präsentation und Produktion der Destination suchen (Saraniemi & Kylänen, 2011, S. 133). Der Begriff der „Smarten Destination“ wurde im Rahmen einer Initiative der Europäischen Kommission an Städte vergeben, die den Zugang zu Produkten und Dienstleistungen im Bereich Tourismus und Gastgewerbe durch technologische Innovationen erleichtern (Buhalis, 2020, S. 267; Gretzel & Scarpino-Johns, 2018, S. 263–264).

Die Konzeptualisierung der smarten Destination ist in der Forschung bis dato noch nicht abschließend geklärt (Gelter et al., 2021, S. 2). Die Interaktionen zwischen Reisenden und dem technologischen Umfeld der Geräte (ambient intelligence) bilden ein neues, digitales Tourismus-Ökosystem der Destination und prägten auch die neue Rolle des Destinationsmanagements (Buhalis, 2020, S. 270). Sowohl DMO als auch Incoming-Agenturen bzw. DMC befinden sich nach aktuellen Studien daher noch im Prozess der digitalen Transformation (Marx, 2019, S. 165). Erste Forschungsergebnisse deuten in diesem neuen digitalen, Tourismus-Ökosystem dabei auf ein Spannungsverhältnis zwischen der Heterogenität des Sektors und der geforderten Homogenität der touristischen Erfahrung des Besuchers hin (Buhalis, 2020, S. 269–270; Marx, 2019, S. 165–166). Dieses Ökosystem erstreckt sich auf die verwendete Technologie, Interessen und Vision der Destination sowie den erforderlichen Beitrag der verschiedenen Akteure. Das ist der Grund dafür, dass für DMO die Zusammenarbeit mit touristischen Leistungsträgern und anderen Stakeholdern entscheidend ist (Breier et al., 2021, S. 102729; Marx, 2019, S. 165–166). Mobile Endgeräte haben die touristischen Praktiken radikal verändert, da durch sie Kommunikation, soziale Aktivität, Informationsbeschaffung und Unterhaltung erst an einem Ort gebündelt wird (Buhalis, 2020, S. 270; Chiao et al., 2018, S. 30; Kim & Kim, 2017, S. 2082–2083; Zillinger, 2021, S. 14). Das Kernstück von E-Tourismus-Applikationen für Mobiltelefone bilden die standortbezogenen Dienste (location based services).

LBS basiert auf der Lokalisierung von Menschen, Dienstleistungen, Einrichtungen und sämtlichen Attraktionen, die mit touristischen Zielen verbunden sind (Chiao et al., 2018, S. 30, 32; Kim & Kim, 2017, S. 2082–2083; Wali et al., 2019, S. 887–890). Solche standortbezogene Dienste werden erst durch Smartphones, GPS und mobilem Internet auf Festland und Kreuzfahrtschiffen möglich (Dickinger & Zins, 2008, S. 140; Kang et al., 2017, S. 9846–9847; Pedrana, 2014, S. 753–762; Priandani et al., 2017). Solche Smartphone-Reiseführer zielen darauf ab, personalisierte mobile Reiseführer-Anwendungen (online bzw. offline) mit persönlichen profilbasierten Empfehlungssystemen und standortbasierten Informationen für Attraktionen wie Museen, Kunstgalerien, historischen Ruinen und Ausstellungen der Destination zu bieten (Koo et al., 2020, S. 2; Koukopoulos & Styliaras, 2013, S. 130; Nugraha & Alimudin, 2020). Bei solchen Applikationen entfallen Komplikationen im Zuge klassischer Gästeführungen wie beispielsweise Sprachbarrieren oder Mindestteilnehmerzahlen (Chen et al., 2018, S. 59–60; Nugraha & Alimudin, 2020, S. 1–2, 9). Einerseits existieren Apps, die Touristen in der Destination vor Ort für Kontextinformation nutzen können, andererseits bietet ihnen Virtual Reality Möglichkeiten, Sehenswürdigkeiten daheim zu besuchen. Beispielsweise ermöglichen es digitale Führungssysteme wie „TelePort“ Nutzern, eine virtuelle Tour mit mobilen Endgeräten durch die Mogao-Höhlen in Dunhuang City, China, zu unternehmen. Diese Technik versetzt Nutzer in die Lage, Gebäudeteile virtuell besichtigen zu können, die allgemein nicht für die Öffentlichkeit zugänglich sind (Chiao et al., 2018, S. 30). Solche Angebote unterstützen das Marketing touristischer Destinationen (Adachi et al., 2020, S. 10). Bislang galten bei Gästeführungen überzeugende Geschichten, die von guten Gästeführern erzählt wurden, als das Mittel der Wahl, um Touristen, intellektuell und emotional mit dem Reiseziel zu verbinden (Bryon, 2012, S. 27–30). Durch die Social-Media-Komponente der Apps erwachsen Reisende unlängst selbst zum touristischen Geschichtenerzähler und technologische Geräte entwickeln sich zu wesentlichen Trägern touristischer Information (Bryon, 2012, S. 30; Chen et al., 2018, S. 59–61).

Daher werden VR und mobile Apps für digitale Tourismusunternehmen immer interessanter, nicht nur um Gäste bei der Durchführung von Reiseaktivitäten zu unterstützen, sondern auch als Kernstück von digitalen Marktplätzen (Ammirato et al., 2021, S. 5; Tuomi et al., 2021, S. 466). In diesem Sinne ermöglicht Digitalisierung die Produktion und gleichzeitigen Konsum kultureller Dienstleistungen und ebnet den Weg, um kulturtouristische Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen, die besser auf Kundenerwartungen und -bedürfnisse abgestimmt sind (Breier et al., 2021, S. 102730; Calvaresi et al., 2021, S. 4). Digitale Technologien können Touristen mit einer Vielzahl von Funktionen unterstützen. Mithilfe dieser Technologien kann auf spezifische und unvorhergesehene Umstände wie Krisensituationen oder Infektionsgeschehen reagiert werden, was sie zu einem strategischen Vorteil für die Wiederbelebung des globalen Tourismus werden lässt (Buhalis et al., 2019, S. 499; Gössling, 2021, S. 855–856; Tuomi et al., 2021, S. 465). In der folgenden Phase der „Erholung“ von einer Krise sollten Tourismusunternehmen dieses Potenzial der Digitalisierung optimal ausnutzen (Kraus, Clauss, et al., 2020, S. 1080). Mit der Digitalisierung steht die Tourismuswirtschaft vor einer neue Welle von Geschäftsmodellen, bei denen Tourismusakteure mit digitalen Unternehmen interagieren können, um einen positiven Wertschöpfungskreislauf zu erzeugen (Ammirato et al., 2021, S. 2; Souto, 2015, S. 152).

3.4.3 Diskussion der Auswirkungen von Digitalisierung und Übertragung von Tourismus in den digitalen Raum

Die weit verbreitete Annahme, dass mobile Technologie und das Internet einen positiven Beitrag zum Tourismus leisten, wird seit den 2010er-Jahren von einigen kritischen Stimmen in Frage gestellt. Die Digitalisierung verändert im Tourismus nicht nur einzelne Verhaltensweisen des Touristen in Bezug auf Buchungen, Informationssuche oder Art der genutzten Marketingkanäle, sondern auch das Wesen des Tourismus. Konkret: Was ist Tourismus, wann ist Beginn und Ende und wie kann der Begriff Tourismus grundsätzlich verstanden werden (Zillinger, 2021, S. V).

Diese (Gegen-)Bewegung hat viele Name wie z. B. „Digital Detox“ und „Digital Switch-off“ (Dickinson et al., 2016, S. 196). Dieser Wunsch „abzuschalten“, hängt dabei stark mit persönlichen Interessen und dem Kontext zusammen, in dem Urlaub stattfindet. In Studien wurde der Wert der Nutzung digitaler Geräte auf Reisen festgestellt. Ferner wurde belegt, dass sich viele Reisende in den Ferien nach einer „digitalfreien“ Zeit sehnen, um sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren zu können und um sich mehr als Gruppe zu fühlen. Digitaler Freiraum bot den Studienteilnehmern die Möglichkeit persönlicher Beziehungen und ein intensives Gefühl für den Ort (Zillinger, 2021, S. 33). Als negative Effekte mobiler Geräte werden Entkopplung, eine Art „Ausstieg aus Erfahrungen“ sowie ein Mangel an Ortskenntnis und an Interaktion mit Menschen in der Umgebung angeführt (Zillinger, 2021, S. 33).

Zillinger beschreibt eine neue „phygitale“ touristische Wirklichkeit, weil sich die klassischen Verständnisse von physischer und digitaler Realität vermischen, indem der Tourist neue E-Mails seiner beruflichen Tätigkeit checkt, während er zeitgleich das touristische Angebot der Destination genießt (Zillinger, 2021, S. 5–6). Diese neue Wirklichkeit geht sogar weiter, indem diese Beschreibung der Realität impliziert, dass Menschen mit Hilfe digitaler Geräte mehr als einem Ort zugeordnet werden können. Somit werden touristische Erfahrungen tiefgreifend durch die Präsenz von Informationstechnologie geprägt, indem die Digitalisierung im Tourismus die Beziehungen zwischen Touristen, Raum und Ort in fließende Verbindungen umwandelt (Gössling et al., 2018, S. 1586; Jansson, 2020, S. 391; Zillinger, 2021, S. 6). Dies trifft auf Menschen zu, die mittels digitaler Geräte von zu Hause aus an Gästeführungen in touristischen Destinationen teilnehmen. Im weiteren Sinne bedeutet dies, dass es nicht nur eine Frage des Ortes ist, ob man sich innerhalb oder außerhalb des Tourismussystems befindet (Beck et al., 2019). Vielmehr geht es um virtuelle Verbindungen, sei es zu anderen Touristen, Orten oder Tourismusakteuren (Zillinger, 2021, S. 8). Im Kontext von Tourismus und Digitalisierung lässt sich von einem neuen soziotechnischen System sprechen (Zillinger, 2021, S. 8), weshalb bestehende Paradigmen wie das Tourismussystem an sich sowie die Definition von Tourismus zu hinterfragen sind (Buhalis, 2020, S. 267; Gössling, 2021, S. 582–583).

Schaffer et al. fordern mithin eine ganzheitliche Analyse des aktuellen und laufenden Wandels des touristischen Ökosystems: „Wie definieren wir eine Destination, wenn ein Tourist zwar physisch anwesend ist, sich aber über die Online-Kommunikation digital an einem anderen Ort befindet? Wenn der Tourist plötzlich nicht mehr zu der Attraktion reist, weil er zu Hause vor seinem Bildschirm an einer Gästeführung teilnimmt?“ (Schaffer et al., 2021, S. 353).

Wenn Digitalisierung zeitlich-räumliche Anforderungen auflöst, weil Menschen sich nunmehr über Bildschirme anstatt an physischen Orten treffen können, wird ein neues Verständnis von Tourismus in Bezug auf Zeit und Raum nötig. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob Begegnungen und soziale Kontakte in dem prognostizierten Ausmaß ersetzt werden. Während physische Geschäftstreffen, bei welchen Informationsaustausch im Vordergrund steht, relativ leicht austauschbar sind, ist fraglich, ob im privaten Bereich gemeinsam geschaffene, lokale authentische Tourismus-Erfahrungen, ersetzbar sind (Zillinger, 2021, S. 11). So vertrat Bryon (2012) bereits vor zehn Jahren die Auffassung, dass Erlebniswirtschaft die Tourismusbranche dergestalt verändern wird, dass Touristen einen verstärkten Wunsch entwickeln, in „lokale“ Lebensweisen einzutauchen und intensivere Beziehungen zu Einheimischen an Destinationen aufzubauen. Dieses Bedürfnis sei Ausdruck des Wunsches, den „authentischen“ touristischen Ort zu erleben (Bryon, 2012, S. 29). Ähnlich kritisiert Gössling, dass in einer automatisierten Zukunft des Tourismus Begegnungen zunehmend entpersonalisiert und entmenschlicht werden, wodurch Gastfreundschaft einer zentralen Funktion des sozialen Austauschs beraubt wird (Gössling, 2021, S. 852). Zillinger stellt in diesem Kontext als möglichen Lösungsansatz das Konzept des Tourismus als Mittel zur Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen zur Diskussion (Zillinger, 2021, S. 39).