Vorliegende Arbeit beschäftigte sich mit den Voraussetzungen und Bedingungen sowie den Möglichkeiten und Grenzen von Kritiklernen innerhalb wie außerhalb der Institution Schule. Ausgangspunkt der Überlegungen war die Annahme, dass Antonio Gramscis zentrale Kategorien einen Beitrag zur theoretischen Fundierung einer kritischen politischen Bildung und Politikdidaktik leisten können. Eine wesentliche Frage dabei war, ob Gramscis Einsichten zum Alltagsverstand und seine hegemonietheoretischen Überlegungen sich für eine konstruktive Kritik der einschlägigen politikdidaktischen Kategorie der Sinnbilder eignen, um daraus Hinweise für eine gezielte Weiterentwicklung eines politikdidaktischen Planungsmodells ableiten zu können. Im Folgenden sollen die zentralen Ergebnisse der Untersuchung gesichert werden. Sie zeigen, dass die Fragen positiv beantwortet werden konnten. Eine Einschätzung, die es selbstredend in der bildungstheoretischen und politikdidaktischen Debatte zu diskutieren und zu prüfen gilt.

Kapitel 2 setzte sich zunächst mit der Kategorie der Sinnbilder und ihrer Funktion für Lernprozesse bzw. ihrer Bedeutung für die politikdidaktische Forschung auseinander. Dies geschah am Beispiel der Sinnbild-Konstruktionen des Politikdidaktikers Dirk Lange. Zweifelsohne, so das Ergebnis, leistet diese Kategorie für eine kritische politische Bildung, die sich am Ziel politischer Selbstbestimmung und der Herausbildung von Urteils-, Kritik- und Handlungsfähigkeit der Lernenden orientiert, wertvolle Dienste. Das Langesche Modell stellt insofern eine bildungspolitische Innovation dar, da es explizit eine über Jahrzehnte im Mainstream der Politikdidaktik vernachlässigte bzw. in ihren politischen Implikationen nicht hinreichend reflektierte Mikrowelt der Lernenden fokussiert. Durch die Betonung der Kategorie des Alltags grenzt sich das Modell von Konzeptionen ab, in denen Lernende letztlich zu bloßen Objekten des Lernprozesses degradiert werden.

Vorliegende Arbeit teilt diese schüler:innenorientierte Herangehensweise und die implizite Aufwertung von Alltag und Lebenswelt als Paradigmen kritischer politischer Bildung. Gleichwohl stehen dem Langeschen Ansatz nicht zu übersehende Defizite gegenüber. Aus einer kritischen Perspektive fehlen dem unterlegten Lernverständnis drei wesentliche Dimensionen, die für politisches Lernen und damit am Ende auch für eine auf Emanzipation zielende (individuelle) Urteils-, Kritik- und Handlungsfähigkeit unverzichtbar sind: Zu diesen gehören erstens die Vernachlässigung vertikaler und horizontal-intersubjektiver Verständigungsprozesse, die für die Herausbildung kritischen Denkens und Handelns unverzichtbar sind; zweitens die Tendenz zur Herauslösung der Sinnbilder aus der Interdependenz zwischen gesellschaftlicher Mikro- und Makrostruktur sowie drittens ein eindimensionaler, letztlich affirmativer Bezug auf die Sinnbilder, der die Doppelstruktur sozialer Sinnkonstruktionen und damit ihre inneren Spannungen als wichtige Bezugspunkte politischer Bildung übersieht.

Die Ursachen für die benannten Schwachstellen sind vielfältig. Wie gezeigt werden konnte, resultiert die Vernachlässigung intersubjektiver Verständigungsprozesse aus einer Gleichsetzung des Individuums mit dem Souverän der Demokratie, dem „Volk“. Durch diesen demokratietheoretischen Kurzschluss gerät aus dem Blick, dass die intersubjektive Kommunikation eine wichtige Dimension demokratischer Praxis auf dem Weg zum demokratischen Souverän und einer demokratischen Willensbildungs- und Entscheidungsfindung darstellt. Die Fähigkeit und Bereitschaft des Individuums, sich in meinungsbildende und entscheidungssuchende Diskurse auf horizontaler Ebene zu begeben, spielt bei den Zielen politischer Bildung eine ausschlaggebende Rolle. Ohne Beteiligung an diesen Prozessen kann Demokratie nicht funktionieren. Diese horizontale Interaktionsfähigkeit findet keinen systematischen Eingang in den von Lange entwickelten Begriff von „Mündigkeit“ und Bürgerbewusstsein. Damit bleibt der Ansatz letztlich einem verkürzten, in der liberalen Demokratietradition stehenden Begriff von Individuum und Bildung verhaftet.

Neben dieser Vernachlässigung sozialer Interaktion und demokratischer Praxis auf der horizontalen Ebene gerät, so ein weiteres Ergebnis, ein wesentlicher Wirkungszusammenhang auf der vertikalen Gesellschaftseben aus dem Blick. Die politikdidaktische Analyse darf m. E. nicht auf der Mikroebene verharren und die Makroebene aus dem Blick verlieren. Die Betonung des Politischen in der Lebenswelt wird verabsolutiert, wenn es außerhalb der Lebenswelt nichts Politisches mehr gibt. Doch Lebenswelt und Gesamtgesellschaft, Mikro- und Makroebene greifen ineinander, stehen in einem dialektischen Verhältnis, bedingen sich gegenseitig und müssen auch so reflektiert werden. Weder darf die Mikroebene aus ihren sozioökonomischen Verankerungen gelöst noch dürfen die Strukturen der Gesellschaft, des Politischen und Ökonomischen für irrelevant und obsolet erklärt werden. Das zentrale Ziel politischer Bildung, die Lernenden zur theoretischen Auseinandersetzung und praktischen Beeinflussung der Makrostrukturen zu befähigen, wäre nicht mehr begründbar und verlöre seine Bedeutung in den politikdidaktischen Konzeptionen. Das gleiche Schicksal erlitte das Lernziel, gesamtgesellschaftliche Entwicklungen nach den eigenen Vorstellungen partizipativ und emanzipativ gestalten zu können.

Schließlich vermeidet das diskutierte „Sinnbild-Modell“ es, sich mit der inneren Doppelstruktur der Sinnbilder auseinanderzusetzen, da es einem defizitären Verständnis ihrer Binnenstruktur folgt. Dass dies nicht zuletzt der Vernachlässigung der historischen Sinnbildungsprozesse geschuldet ist, konnte mittels der analytischen Kategorien Antonio Gramscis gezeigt werden. Ihre systematische Entfaltung und Begründung stand im Zentrum des nachfolgenden Kapitels.

Deutlich tritt dabei zu Tage, welches wissenschaftliche Potential ein Gramscianischer Zugang für eine politikdidaktische Sinnbild-Konzeption bietet. Auch wenn die Verdienste und Vorzüge des diskutierten Sinnbild-Modells vor allem gegenüber subjektfernen politikdidaktischen Überlegungen hervorgehoben werden müssen, so lassen sich mit einer materialistischen Analyse des Subjektiven, wie sie sich in den politisch-pädagogischen Ansätzen von Gramsci finden, zusätzliche Perspektiven eröffnen. Für dieses Unterfangen erwiesen sich vor allem Gramscis Verständnis des Alltagsverstandes und seine hegemonietheoretischen Überlegungen als hilfreich. Durch die Rekonstruktion der Kategorie des Alltagsverstandes aus einer bildungs- und lerntheoretischen Perspektive konnten insbesondere zwei Erkenntnisse in die Analyse eingebracht werden: Entscheidend war zunächst die Überzeugung, dass es sich beim Alltagsverstand und seinen Sinnbildern keineswegs um ein harmonisches und widerspruchsfreies ‚Ganzes‘ handelt. Vielmehr muss der Alltagsverstand als ein in sich widersprüchliches und inkohärentes Konstrukt begriffen werden, das restriktive und affirmative sowie neuerungsorientierte und kritische Elemente und Bruchstücke zugleich beinhaltet. Diese überlagern sich, koexistieren. Vor allem aber sind sie tief in der individuellen und gesellschaftlichen Historie verwurzelt. So tragen sie Vergangenes in die Gegenwart.

Zugleich sedimentieren sich in den Sinnbildern des Alltagsverstandes vergangene und gegenwärtige Hegemoniekonstellationen. Im historischen Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse, dem Gramsci in der Marxschen Tradition die entscheidende Prägekraft für die Bewusstseinsformen der Individuen zuschreibt, spielen nicht nur soziale Lebensbedingungen und gesellschaftliche Kräfteverhältnisse, sondern eben auch alltagskulturelle Kämpfe um die gesellschaftlichen Deutungsmuster eine entscheidende Rolle. Hier erwiesen sich Gramscis Reflexionen als besonders produktiv, da kulturtheoretische Reflexionen und kulturpolitische Strategien elementare und elaborierte Bestandteile seiner wissenschaftlichen und politischen Arbeit sind. Auf dieser Grundlage führt Gramsci die Kategorie der Hegemonie in die historisch-konkrete Bestimmung des Wechselverhältnisses zwischen gesellschaftlicher Lage und individuellem Denken und Tätigsein ein, was zusätzliche Einsichten in die hegemonial geformte Binnenstruktur der Sinnbilder ermöglicht. Aus der Perspektive der nach Vorherrschaft strebenden Klasse ist die Fähigkeit, nicht nur zu herrschen, sondern über die Formung gesellschaftlicher Deutungen auch zu führen, zentral; aus der Perspektive der Subalternen hingegen ist Hegemonie eine Kraft, die Akzeptanz erzeugt und tief in den Alltagsverstand eindringt. Aus diesem Grund ist die Berücksichtigung von Hegemonie im Alltagsverstand für politische Lernprozesse so zentral.

Gramsci lässt diese Überlegungen auch in sein Bildungsverständnis und seine Konzeption der Einheitsschule einfließen. Dabei formuliert er Erkenntnisse, die in vielerlei Hinsicht ihre Bedeutsamkeit bis heute nicht eingebüßt haben. Sein emphatischer Bildungsbegriff zielt auf Selbstpotenzierung des Einzelnen als Voraussetzung für widerständiges Verhalten in den herrschenden Verhältnissen und auf soziale Emanzipation. Mögliche Bildungserfolge sieht er stets im Kontext der gegenwärtigen wie der nachwirkenden Sozialisationserfahrungen der Vergangenheit. Die Veränderung der eigenen Persönlichkeit muss mit der Veränderung des Ensembles der gesellschaftlichen Verhältnisse einhergehen, deren Bestandteil sie ist. Gramsci weist die Vorstellung von Schule als einem ausschließlich repressiven Hegemonieapparat zurück. In seinem Plädoyer für eine disziplinierende Einübung grundlegender Lerntechniken kommt kein autoritäres Lernverständnis, sondern die Anerkennung internalisierter primärer Sozialisationserfahrungen zum Ausdruck, die es Kindern und Schüler:innen aus den subalternen Klassen schwerer als ihren Altersgenoss:innen aus den Intellektuellenfamilien macht, den Regeln der Schule zu folgen. Auf die Überwindung dieser Benachteiligung zielen seine konzeptionellen Überlegungen zur EinheitsschuleFootnote 1, aber auch seine allgemeinen bildungspolitischen Reflexionen.Sie intendieren nicht nur ein ausgewogenes Verhältnis der Entwicklung von manueller und intellektueller Arbeit beziehungsweise praktischer und theoretischer Tätigkeit, sondern es soll die Fähigkeit zur intellektuellen Welt- und zur sozialen Selbsterkenntnis aller Kinder gefördert werden.

Aus einer bildungstheoretischen Perspektive betrachtet, kann die Rekonstruktion von Gramscis Kategorien des Alltagsverstandes und der Hegemonie sowie seiner erziehungs- und schulpolitischen Vorstellungen auch die heutige lerntheoretische und politikdidaktische Fachdebatte bereichern. Die Sinnbilder des Alltagsverstandes werden als ein in sich widersprüchliches und inkohärentes Ensemble aus subjektiven Bewusstseinsbruchstücken erkennbar, die tief in der individuellen und gesellschaftlichen Historie wurzeln und sich in einem permanenten, durch vergangene und gegenwärtige Hegemoniekonstellationen geprägten Entwicklungsprozess befinden – so ließe sich die analytische Essenz zusammenfassen. Diese Erkenntnisse ermöglichen auch heute zusätzliche Einsichten in die Entwicklung und innere Beschaffenheit der subjektiven Lernvoraussetzungen von Schüler:innen. Mit der hegemonietheoretisch angeleiteten Analyse des Alltagsverstandes lässt sich die bildungstheoretische Konstruktion der Sinnbilder einer materialistischen Kritik unterziehen. Während ein eher affirmativer, quasi-positivistischer Bezug auf die Sinnbilder des Alltags, der sie als unhinterfragten Bezugspunkt von Lernprozessen adressiert, als defizitär charakterisiert werden muss, kann eine kritisch-reflexive Bezugnahme auf die Sinnbilder den Weg zu einer Erweiterung kritisch-emanzipatorischer politischer Bildung und ihrer Didaktik ebnen. Nicht die empirisch zu erfassenden Inhalte der Sinnbilder an sich, sondern ihre inneren Spannungen und Inkonsistenzen sowie ihr Wandel unter den Bedingungen spezifischer Hegemoniekonstellationen erweisen sich als wichtigster Ausgangspunkt von Lerntheorien und -prozessen. Nicht die Sinnbilder, sondern die instabilen Sinnbildungen müssen also in den Vordergrund gerückt werden. Ziel solcher Bemühungen ist ein Ansatz, der weder das Subjekt und seine Bewusstseinsformen als bloßen Reflex auf die Makrostrukturen begreift, noch von der Autonomie des Einzelnen ausgeht; und der zugleich nach dem versteckten Sinngehalt sowie den Ursprüngen von Inkonsistenzen in den Sinnbildern fragt. In Folge bedarf es eines kritisch-reflexiven Zu- bzw. Umgangs mit den Sinnbildern. Nicht nur die offensichtlichen Aussagen und Intentionen der Lernenden gilt es in den Blick zu nehmen, sondern zugleich muss nach den nicht offen zutage tretenden Elementen und Prozeduren der Sinnkonstruktionen gefahndet werden, die mitunter nur unter Berücksichtigung der historischen Dimension der Sinnbildungsprozesse zu ermitteln sind.

Schließlich konnte gezeigt werden, dass die eher theoretisch orientierten Analyseergebnisse der Arbeit diskursiv und didaktisch an die gegenwärtige Debatte um eine kritische politische Bildung anknüpfen. Die diskursive Anschlussfähigkeit wurde anhand der Rekonstruktion zweier Themenstränge – zur Europäischen Integration sowie zum Stellenwert von Arbeit unter Jugendlichen – bewiesen. Und um die Ergiebigkeit der gewonnenen Erkenntnisse für die politikdidaktische Planung von Unterrichtsvorhaben zu illustrieren, leitet die Arbeit aus den theoriegestützten Erkenntnissen Vorschläge für die Weiterentwicklung eines konkreten Planungsmodells ab. Bestätigt hat sich dabei, dass mit Gramscis Überlegungen zum Alltagsverstand und zur Hegemonie die Subjekt-, Konflikt- und Handlungsorientierung des Planungsmodells vertieft und ergänzt werden kann.

Weiterführende Forschungsdesiderate

Neben den skizzierten Ergebnissen fördert die Arbeit auch neue offene Fragen zu Tage. Die lern- und hegemonietheoretisch fundierte Bearbeitung der Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen von Kritiklernen – innerhalb wie außerhalb der Institution Schule – hat wissenschaftlich (wie politisch) bisher kaum reflektierte Problematiken deutlich werden lassen, die in dieser Arbeit nicht systematisch bearbeitet werden konnten. Aus diesen lassen sich gleichwohl Forschungsfragen ableiten, die interessante neue Forschungslinien und neue Perspektiven auf das Thema eröffnen können. Die Autorin will die vorliegende Arbeit als einen Beitrag zur wissenschaftlich fundierten Weiterentwicklung jener Auffassung von kritischer politischer Bildung verstanden wissen, wie sie im Umfeld der Frankfurter Erklärung entwickelt und in die bildungspolitische Debatte eingebracht wurde. Die abschließend formulierten Forschungsdesiderate stehen in einem engen Zusammenhang mit den hier bearbeiteten Thematiken, weisen aber zugleich in Theorie und Praxis über diese hinaus.

Plädoyer für eine prozessorientierte Empirie der Sinnbildforschung

Dies gilt zum einen für die eingangs formulierte These, dass die Bearbeitung der Fragestellung der vorliegenden Arbeit aus mindestens zwei unterschiedlichen Perspektiven angegangen werden kann. Im realen gesellschaftlichen Prozess des Lernens greifen sie zweifelsohne ineinander und sind auf vielfältige Weise miteinander verbunden. Doch aus einem wissenschaftlich-analytischen Grund ist ihre getrennte Betrachtung durchaus zielführend. Die eine Betrachtungsweise wählt einen schul- und institutionentheoretischen Zugang zum Thema und fokussiert die Analyse auf die Bedingungen, die der institutionelle Lernort Schule für Lernprozesse im politischen Unterricht bereithält. Die zweite hier unterschiedene Bezugnahme führt über einen eher lern-, genauer: hegemonietheoretischen Weg und fokussiert vor allem die Prozesse des Kritiklernens. Dieser Weg lag der vorliegenden Arbeit zugrunde. Doch diese Schwerpunktsetzung sollte nicht als Abwertung der schulsoziologischen Aspekte missverstanden werden. Bereits die kursorischen Ausführungen zu den Ambivalenzen des Lernortes Schule zu Beginn des zweiten Kapitels ließen seine hohe Bedeutung aufblitzen. Es spricht daher viel dafür, diese Perspektive vor allem unter Zuhilfenahme von Methoden der qualitativen empirischen Sozialforschung auszubauen. Ob die skizzierten restriktiven Determinanten der Institution Schule im Prozess der schulischen (Aus-)Bildung dominieren oder ob die ebenfalls zu konstatierenden Spielräume für autonome und reflektierte Lernprozesse die Oberhand gewinnen, kann letztlich nur empirisch beantwortet werden. Zielführend erscheinen hier systematische Evaluierungen, die etwa im Zuge empirischer Längsschnittanalysen die Entwicklung von Sinnbildungsprozessen beobachten. Zu erforschen wäre, welche Veränderungen sich im Zeitablauf in Struktur und Inhalten der Sinnbilder ergeben, welche Ursachen sich erkennen lassen und welche Schlussfolgerungen daraus für eine kritische politische Bildung zu ziehen wären. Dies kann durchaus als ein Plädoyer für eine methodisch reflektierte Empirie einer prozessorientierten Sinnbildforschung verstanden werden, die sich vor allem der Erfassung und Interpretation der Entwicklungs- und Veränderungsprozesse von Sinnbildern der Lernenden widmet.

Impulse für die Weiterentwicklung strukturierter Unterrichtsmodelle

Doch wie eng oder weit die Spielräume für Kritiklernen innerhalb wie außerhalb der Schule auch eingeschätzt werden mögen, von hoher Bedeutung sind auf jeden Fall die Wege und Maßnahmen, mit denen das Ziel eines auf Mündigkeit gerichteten Lernprozesses in konkrete und praxistaugliche Unterrichtsmodelle umgesetzt werden kann. In einer widersprüchlichen Gesellschaft werden alle politikdidaktischen Konzeptionen vielfältigen Widersprüchen ausgesetzt sein. Gegen Ende des Abschlusskapitels konnte aufgezeigt werden, dass aus den hegemonietheoretischen Analysen eher allgemeine, systematische Impulse für eine Weiterentwicklung von strukturierten Unterrichtsmodellen abgeleitet werden können. Doch diese eher theoretisch-systematischen Impulse und Anregungen müssen ausgearbeitet und in strukturierten Unterrichtsvorhaben konkretisiert werden. Anstrengungen dieser Art treffen auf ein weitgehend unbearbeitetes Feld. Dem in vorliegender Arbeit diskutierten Planungsmodell von Nonnenmacher kommt dabei eine Sonderstellung zu. Sein wissenschaftlicher wie unterrichtspraktischer Wert liegt vor allem in der systematischen Planung und Strukturierung von Lernprozessen, ohne Freiräume für ein selbstbestimmtes und reflektiertes Lernen zu vernachlässigen. An einer solchen praxisorientierten Unterrichtsforschung sollte weitergearbeitet werden. Dabei weisen die Resultate der vorliegenden Arbeit auf einige Aspekte hin, die als besonders ergiebig eingeschätzt werden können. Wichtig wäre demnach, das „Geworden-Sein“ der mitgebrachten Sinnbilder der Schüler:innen in die Betrachtungen einzubeziehen sowie eine kritisch-reflexive Bezugnahme auf die Sinnbilder zu ermöglichen und in die Modellüberlegungen zu integrieren.

Alltagsverstand, Hegemonie von rechts und kritisches Demokratielernen

Es ist das analytische Verdienst Gramscis, die immanente Widersprüchlichkeit und Inkonsistenz des Alltagsverstandes und seiner Sinnbilder herausgearbeitet zu haben. Der Alltagsverstand, so konnte gezeigt werden, ist eine „chaotische Ansammlung disparater Auffassungen, und in ihm lässt sich alles finden, was man will“ (Gramsci 1991 ff.: 1396). Die Sinnbilder des Alltagsverstandes enthalten progressive und transformative, aber auch strukturkonservative und neuerungsfeindliche Elemente. In ihrer Gesamtheit bieten sie viel kritisches Potential und damit Anknüpfungspunkte für emanzipative und (selbst-)reflexive Lernprozesse. Aber zugleich werden sie von gesellschaftlichen Hegemoniekonstellationen überformt und sind in unterschiedliche Entwicklungsrichtungen kanalisierbar. Die kritisch-reflexive Dekonstruktion der Bedingungen des Status Quo in vorhandenen Sinnbildern entwickelt sich keineswegs im Selbstlauf in eine progressive Richtung. Wenn sich Denkstrukturen verflüssigen, ist zunächst ungewiss, in welche Richtung sie sich kristallisieren und verfestigen. Die Ungleichheits- und Entsolidarisierungsdynamiken des Gegenwartskapitalismus können zweifelsohne konstruktive Irritationen auslösen, sobald die eigenen Lebenserfahrungen mit den ideologischen Erzählungen des neoliberalen Individualismus abgeglichen werden. Wie die politischen Entwicklungen in vielen gegenwartskapitalistischen Gesellschaften zeigen, können sie jedoch auch Anknüpfungspunkte für eine professionalisierte rechte Polit-Elite abgeben. Diese reagieren auf die Verunsicherungen und Zukunftsängste, die in weiten Teilen der Bevölkerung mit den ökonomischen, sozialen und kulturellen Umbrüchen einhergehen, mit dem Angebot unterschiedlich ausbuchstabierter rassistischer, sexistischer und nationalistischer Deutungsmuster. Dass sich alle diskutierten Varianten kritischer politischer Bildung als Gegenaufklärung gegenüber diesen ideologischen Verzerrungen verstehen, muss sicherlich nicht weiter begründet werden. Aus guten Gründen gehören Konzeptionen der Erzeugung oder Aufrechterhaltung eines kritischen Bürgerbewusstseins zu den derzeitigen Standardzielen der einschlägigen politischen Bildung.

Soziologische und transformative Phantasie

Doch auch der ambitionierteste politikdidaktische Entwurf stößt hier an Grenzen. Mit kritischer politischer Bildungsarbeit alleine lässt sich eine gesellschaftliche Rechtswende nicht kontern. Zu tief wurzelt sie in den gesellschaftlichen Strukturen. Wo aber die Veränderung realer gesellschaftlicher Verhältnisse gefragt ist, kann kritische politische (Bewusstseins-)Bildung einen Beitrag leisten. Zu fragen wäre vor allem, ob die Stabilisierung oder, wo sie bereits durch die Wucht des rechten Populismus beschädigt wurde, die Wiederherstellung der parlamentarischen Demokratie auf kapitalistischer Grundlage ein hinreichendes Ziel darstellt. Das dieser Arbeit zugrunde liegende Verständnis drängt auf eine weitergehende Zielsetzung kritischer politischer Bildung. Wenn ausbeuterische und diskriminierende Macht- und Herrschaftsverhältnisse, wenn ökonomische, soziale und kulturelle Entsolidarisierungsdynamiken und wenn schließlich Fragen einer emanzipativen Praxis zur Überwindung dieser gesellschaftlichen Übel zu Gegenständen kritisch-politischer Bildungsprozesse gemacht werden, weist dies notwendigerweise über die Strukturen und Kulturen der Gegenwartsgesellschaft hinaus. Die Bearbeitung der daraus entstehenden Fragen und Probleme im schulischen Unterricht ist eine komplexe und äußerst anspruchsvolle Aufgabe. Selbstreflexion und Gesellschaftsanalyse müssen ineinandergreifen. Gesellschaftliche Systemgrenzen dürfen keine Denkgrenzen markieren.

Zur Bewältigung dieser Aufgaben dürfte das von hoher Relevanz sein, was der amerikanische Soziologe Charles Wright Mill Soziologische Phantasie genannt hat (Mill [1959] 2016). Mill definiert sie als eine „besondere Art von Verstand“, eine Fähigkeit, die den Menschen „hilft, Informationen zu nutzen und Urteilsvermögen zu entwickeln, um ein klares Gesamtbild dessen zu entwickeln, was auf der Welt passiert und was möglicherweise in ihrem eigenen Inneren vor sich geht“ (Mill [1959] 2016: 26). Zentral ist die „Einsicht, dass das Individuum seine eigenen Erfahrungen nur verstehen und sein eigenes Schicksal nur beurteilen kann, wenn es in der Lage ist, sich in seiner Epoche zu verorten, und dass es seine eigenen Chancen nur zu erkennen vermag, wenn es sich der Lebenschancen aller unter den gleichen Bedingungen wie es selbst lebenden Individuen bewusst wird“ (Mill [1959] 2016: 26 f.). Wie weit der demokratiestabilisierende und gesellschaftsverändernde Anspruch der politischen Bildung auch ausgreifen mag, die Fähigkeit, sich selbst in vorhandenen Gesellschaftsstrukturen verorten zu können und scheinbar individuelle Probleme als klassen-, geschlechts- und kulturstrukturelle zu erkennen, dürfte auf jeden Fall zu den Kernkompetenzen gehören, die eine auf Mündigkeit zielende Bildungsarbeit vermitteln sollte. Doch nicht nur das. Der soziologischen Phantasie zur Entschlüsselung gegenwärtiger Herrschafts- und Machtstrukturen sowie gesellschaftlicher Funktionsmechanismen sollte eine andere „Phantasie“ zur Seite gestellt werden. Gemeint ist die Bereitschaft gemeinsam und reflektiert über die Gesellschaft des Gegenwartskapitalismus hinauszudenken. Die Förderung einer solchen transformativen Phantasie sollte in der Zielagenda einer kritischen politischen Bildung ihren Platz haben.