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Das Hessische Kultusministerium hat die Professur Schulpädagogik der Universität Marburg damit beauftragt, den Beitrag der unterschiedlichen Fortbildungsformate im Kontext des KulturSchul-Programms zu ermitteln, den diese zur Etablierung Kultureller Bildung und ästhetischer Praxis leisten. Um diese Fragen zu klären, sind in dieser Studie zunächst die

  1. a)

    didaktische Intention und Konzeption der Fortbildungsformate,

  2. b)

    die didaktische Gestaltung der Fortbildungsveranstaltungen und die Resonanz bei den Teilnehmenden sowie

  3. c)

    der individuelle und der institutionelle Transfer rekonstruiert worden, den Teilnehmende, die Fortbildungen in Phasen der Reflexion und die Programmschulen durch Austauschmöglichkeiten erbringen.

Datenquellen für die Evaluation sind neben einer teilnehmenden Beobachtung der «Fachforen» und «Tag X» sowie Vernetzungsformate («Fachaustauschtag», «KulturSchultag») die schriftlichen Einladungsschreiben, fotographisch angereicherte Dokumentationen der Fortbildungen wie sie von der «SLT-Reihe» angefertigt worden sind, Unterlagen aus dem Büro Kulturelle Bildung des HKM und Internet-Informationen sowie die verbalen Daten von Interviews. Die Befragungen sind mit vier Gruppen geführt worden: Programmverantwortliche im Referat Kulturelle Bildung des HKM, Fortbildende des Büros Kulturelle Bildung des HKM, Teilnehmende der Fortbildungen, außerdem mit Schulleitungen und KulturSchulbeauftragten von KulturSchulen. Die Fortbildungen werden zusätzlich durch Austausch- und Vernetzungsformate gestützt, was hinsichtlich einer Bewertung der systemischen Funktion und der Transferunterstützung mitzubedenken ist.

Als übergreifendes zentrales Ergebnis der Evaluation zeigt sich, dass die Lehrkräftefortbildung in den vier unterschiedlichen Zeit- und Inhaltsformaten «Workshops Kreative Unterrichtspraxis», «Fachforum», «Tag X» und «SLT-Reihe» für Schulleitungen und KulturSchul-Beauftragte ein evolutionär gewachsenes, gleichwohl funktionales und in den Lernthematiken und -methoden einander ergänzendes System darstellt. Formatübergreifend dient es der Kompetenzentwicklung der Lehr- und Führungskräfte in KulturSchulen, das in innovativer Zielsetzung vorwiegend fächerübergreifende Ansätze des Lernens in Form ästhetischer Zugänge von den Lehrkräften erfahrbar macht.

Umzusetzen ist dies in der strukturellen Organisation der gesellschaftlichen Institution Schule, die der Bildungshistoriker Jürgen Oelkers als „konservativ“ kennzeichnet. Der Fachunterricht ist als leitendes Prinzip gesetzt (vgl. Oelkers, 2009, S. 310); den Fächern sind aufgrund gesellschaftlicher Interessen ungleiche Rollen zugewiesen. Schülerinnen und Schüler, die ab der Sekundarstufe in Schularten mit unterschiedlichen Lehrplänen selektiert worden sind, werden nach Jahrgängen unterrichtet und nach dem Notenprinzip beurteilt (ebd.). In vergleichender Perspektive befindet Oelkers, dass „[j]e mehr fachliche Anforderungen den Unterricht bestimmen, desto geringer wird der Anteil reformpädagogischer Methoden“ (ebd., S. 311). Es hat den Anschein, dass diese reformpädagogische Methodenarmut sich verständnishinderlich auswirkt. Fächerübergreifende Lerninhalte und ungewöhnliche Zugänge zu Lerninhalten oder prozessorientierte Arbeitsaufträge hingegen weiten die Grenzen des Fachlichen und ermöglichen, ein Problem „aus der Perspektive mehrerer Schulfächer“ (Stübig, 2009, S. 315) zu bearbeiten und neue Blickwinkel einzunehmen. Und von besonderer Relevanz ist, dass die Lernenden im fächerübergreifenden Unterricht die Lerngegenstände besser verstehen (ebd., S. 316). Vor diesem Hintergrund setzen die Fortbildungen somit einen wichtigen Gegenakzent mit ihrer Handlungs- und Prozessorientierung zu diesem traditierten schulorganisatorischen Strukturprinzip.

Die beschriebenen Fortbildungen bieten insgesamt den Lehrkräften ein vielseitiges Ideenreservoir und das erfahrungsbezogene Kennenlernen von Methoden kultureller, alltags- und kunstbezogener Praxis einschließlich ästhetischen Forschens und ein Know-how zur Zusammenarbeit mit Kultureinrichtungen und Kunstschaffenden. Die Gelegenheiten zum Austausch in den Fortbildungen ermutigen die Lehrkräfte, in ihrem Unterrichtshandeln die kennengelernten neuen Ansätze zu adaptieren. Ihre Äußerungen in den Interviews belegen, dass sie Impulse zur Veränderung einer dirigistischen Haltung in der Regieführung der Unterrichtsprozesse erhalten. Vor allem die zweieinhalbtägigen «Fachforen» werden seitens der Lehrkräfte als Wiederbelebung ihrer Freude am Vermitteln und am Gestalten von Lernumgebungen, die das schülerseitige aktive Lernen unterstützen, wahrgenommen. Sie sehen sich als offener an, den Schüleraktivitäten einen größeren Freiraum zuzubilligen, sie im selbständigen Arbeiten zu unterstützen und nicht unter strikte Vorgaben zu beugen. Auch die Scheu der Lernenden, sich vor anderen zu exponieren, wird seitens der Lehrkräfte nachvollzogen, weil sie sich in den Fortbildungen selbst in die Rolle von Lernenden begeben. Dieser Rollenwechsel ist eine wichtige Erfahrung im Unterschied zu einem immer noch verbreiteten Professionalitätsverständnisses, das Lehrkräfte stark auf der Seite des Lehrens verortet.

Mit anderen Worten: Den Fortbildungen gelingt es, Lehrkräften den in der Allgemeinbildung vernachlässigten Erkenntnismodus «ästhetische Wahrnehmung» und «ästhetische Erfahrung» zugänglich zu machen und sie für diesen Wahrnehmungsvorgang einer sinnesbezogenen anderen Erkenntnisart von Selbst und den Dingen aufzuschließen. Dies geschieht gänzlich ohne Theoriebezug, allein über ein gekonntes Involvieren der Teilnehmer in kreative Schaffensprozesse und Fragestellungen ästhetischen Forschens. Damit werden sie auch auf ein Handeln in Situationen vorbereitet, die durch Ungewissheit geprägt sind, wofür es keine Handlungsanleitung gibt; sie lernen, mit Unvorhersehbarkeit und Ungewissheit, die konstitutiv für die Profession sind, produktiv umzugehen. Darüber erweitern sich die eigenen Handlungsmöglichkeiten, sodass von einem bildenden Effekt gesprochen werden kann.

In dieser erfahrungsbezogenen und handlungsorientierten Modalität, in der das Individuum neue Seiten von sich kennenlernt, wird in der Fortbildung auch eine einander zugewandte Gemeinschaftlichkeit erfahren, die im gewohnten schulischen Arbeitskontext durch die isolierte Arbeitsweise fehlt. In Differenz zum Arbeitsplatzkontext wird an der Lösung einer Aufgabenstellung gearbeitet und dabei nicht gewertet und verglichen. Mit diesem kontrastiven Erfahrungsbezug kehren Lehrkräfte von den Fachforen an ihre Schulen zurück.

Die Frage, die sich aus Sicht der Evaluation daran anschließt, ist die nach dem nächsten Schritt: der Umsetzung des Gelernten in den Unterricht. Die Transfermotivation und auch der kurzfristige Transfererfolg bei den Teilnehmern sind gegeben und den Interviews zu entnehmen. Die umfassende Beantwortung zum Transfergelingen findet allerdings eine Grenze am Untersuchungsradius dieser Studie, der sich auf die Fortbildungen mit Hinblick auf deren Beitrag zur Beförderung einer kulturellen Praxis richtet. Da Schulleitungen und KulturSchul-Beauftragte sich zu den Austauschgelegenheiten der Lehrkräfte in der Schule und zu ihren Wahrnehmungen der Veränderungen in der KulturSchule und zum Entwicklungsstand geäußert haben, basieren auf diesen Wortbeiträgen die in dieser Studie vorgenommene Einschätzung zu den allgemeinen Transferbedingungen an KulturSchulen. Zudem haben die interviewten Lehrkräfte ihre Wahrnehmung von Austauschmöglichkeiten und der Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen geschildert. Darüberhinaus vermittelt eine Sonderauswertung einer quantitativen Studie, die im vorhergehenden Kapitel dargestellt worden ist, ein Bild vom Stand der Unterrichtsentwicklung an KulturSchulen vor der Pandemie und zu den pädagogischen Zielsetzungen der fortgebildeten und nicht fortgebildeten Lehrkräfte. Gleichwohl besteht nicht der Anspruch, dass die Aussagen dieser Evaluation auf die Transfersituation aller hessischen KulturSchulen zutreffen: allerdings weicht der Befund nicht von dem der Fachliteratur zu Kollegien und sozialer Unterstützung in Schulen ab.

Vor allem die verbalen Daten der Fortbildungsteilnehmer lassen auf das unterschiedliche Transferklima in den Schulen schließen, welches sich auf die Transferbereitschaft der Lehrkräfte auswirkt. Ein Teil der Fortbildungsteilnehmer sieht im Kollegium eine große Offenheit für Neues, andere sehen eine Distanz eines Teils ihrer Kollegen gegenüber den prozesshaften, handlungs- und bewegungsorientierten Ansätzen in der Fortbildung. Sie hoffen auf eine Verbreiterung einer positiven befürwortenden Haltung im Kollegium, sobald sich die Fortbildungserfahrung verallgemeinert hat. Zugleich verstehen sich die Fortgebildeten selbst nicht als Avantgarde in der Unterrichtsentwicklung ihrer Schule. Zum einen lassen ihnen die regulären Aufgaben mit Unterrichten, Vor- und Nachbereitung, mit administrativen Funktionen in der Organisation wie zum Beispiel in einer Fachbereichsleitung keine Zeit zur Umsetzung noch weiterer Anregungen, die andere Fortbildungsrückkehrer mitbringen. Zum anderen entnehmen sie der Organisations- und formalen Regelungsstruktur der Schule, dass sie eine verantwortliche Position nur für ihren Unterricht haben, während ein weiterer ‚Auftrag‘ zur Schulentwicklung darüber hinausginge und im Kollegium als kollektives Anliegen nicht vermittelt ist.

Das Kollegium als Nukleus des Austauschs von pädagogischen Haltungen zu pädagogischen Fragen und des Ringens um Vereinbarungen und Regelungen in der Gestaltung des pädagogischen Alltags und im Miteinander sind ein wichtiger Faktor für das Wohlbefinden der Lehrkräfte und das soziale Commitment. Die quantitative Befragung an fünf KulturSchulen hat gezeigt, dass die Lehrkräfte im Befragungssample mit ihrem Beruf und in der konkreten Schule zufrieden sind. Dies kann als Indikator dafür gelten, dass an diesen KulturSchulen keine gravierenden Konflikte das Miteinander beeinträchtigen. Martin Rothland (2005) sieht hierin und mit Bezug auf die Potsdamer Lehrerstudie einen protektiven gesundheitlichen Faktor.

Die Bedeutung der anderen Lehrkräfte als Faktor der Transferbereitschaft wird daran erkennbar, dass die Interviewten in der gedanklichen Vorwegnahme ihrer Rückkehr an die Schule entweder einzelne Lehrkräfte in den Blick nehmen, mit denen sie sich öfter austauschen, oder sie sehen im KulturSchul-Beauftragten den Adressaten eines Berichts von der Fortbildung. Einzelne Stimmen unter den befragten Lehrkräften konstatieren eine konfliktbehaftete Konstellation von einerseits weitgehend offen eingestellten Kollegen, einem neutral eingestellten Teil und andererseits eine „Kontrafraktion“. Im Detail wird auch deutlich, dass Lehrkräfte im Kollegium ein unterschiedliches Ansehen genießen, und Wertschätzung damit unterschiedlich verteilt ist. Die außerschulisch stattfindende Fortbildung wird hingegen als ein Terrain erfahren, wo einander unbelastet von solch einer Konstellation begegnet werden kann, während im Kollegium ungeschriebene Regeln herrschen, die zu beachten sind und die nicht gebrochen werden sollen. Dazu gehört, dass Konferenzen sich nicht unnötig in die Länge ziehen dürfen, ihre Beendigung nicht durch ausführliche Berichte von Fortbildungen hinausgezögert werden soll. Selbst die Position einer Fachbereichsleitung scheint sich nicht dazu anzubieten, Kollegen anzufragen, ob nicht gemeinsam etwas aus dem Ideenpool der Fortbildung umgesetzt werden könne; dies wird als ein das weiterhin gute Einvernehmen tangierend eingeschätzt. Damit bestätigt sich, dass ein Kollegium ein soziales Feld darstellt, in dem Konkurrenzen ausgetragen werden und Animositäten herrschen, wie dies an anderen Arbeitsorten ebenso anzutreffen ist (Rothland, 2005, S. 159). KulturSchulen sind also Teil der Welt, wie sie jeder kennt und als selbstverständlich hinnimmt, dass auch hier Funktionsprinzipien der Hierarchie und des Bestimmens und Ansagens herrschen (vgl. Dubs, 2010) und nicht ein Einigen auf stichhaltige und kluge Argumente.

Dennoch bedeutet diese Normalität eben nicht, dass Lehrkräfte nur ‚ihren Job machen‘ und gegenüber neuen Methoden desinteressiert wären. In dieser Studie sind keine sogenannten „Unterrichtsbeamte“ repräsentiert, vielmehr wird hohes Interesse daran geäußert, Bestimmtes aus der Fortbildung auszuprobieren oder eine neue prozessorientierte und entspannt konzentrative Arbeitsatmosphäre in den eigenen Lerngruppen zu etablieren. Insofern attestiert die Evaluation den Fachforen einen Transfererfolg bei den Befragten. Nach Sandmeier et al. (2021) ist dieser solange als kurzfristig einzuordnen, bis von einer Verstetigung im Unterrichtshandeln gesprochen werden kann.

Mit der Aufgabe der Umsetzung sieht sich die einzelne Lehrkraft auf sich gestellt. Das liegt zum einen an der Struktur der Lehrerarbeit, in der Teams und eine „Doppelsteckung“ im Unterricht eine Ausnahme darstellen. Es ist die Frage, inwiefern von einem Transfermanagement im Ansatz gesprochen werden kann, wenn in einzelnen Schulen in Konferenzen von den Fortbildungen berichtet wird, oder wenn Schulleitungen in der Konferenzleitung Punkte zum KulturSchulprogramm aufrufen und thematisieren. Ob dies von den Konferenzteilnehmern als Pflichtübung angesehen wird oder auf Interesse stößt, wird im Interviewmaterial nicht wichtig, sprich berichtet. Jedoch gibt es seitens der KulturSchul-Beauftragten ein Bewusstsein darüber, dass sich mit einem Bericht von den Fortbildungen die Besonderheit und die Qualität des Geschehens nicht widergeben lässt; ein inspirierendes Moment wird vermisst und erscheint nur durch Selbsterfahrung vermittelbar.

Die Unterstützung der Rückkehrenden durch die Schulleitungen, z. B. in der Akzentuierung der Bedeutung der Fortbildungen, erscheint noch kaum ausgeprägt und ist deutlich ausbaubar. Die Erkenntnisse in der Forschung zu teilautonomen Schulen und der Bedeutung des Schulleitungshandelns „für das soziale Klima und intakte kollegiale Beziehungen“ (Rothland, 2007, S. 261) sind offenbar noch nicht in Konzepte und Instrumente der Führungskräftefortbildung transportiert worden. Es kann aber auch sein, dass Schulleitungshandeln anderen Prämissen folgt, wie dies Martin Rothland andeutet, als die „Position von Schulleitungen nicht so unproblematisch (ist), als dass es ihnen ein Leichtes wäre, ihrer aus diesen Befunden erwachsenen Verantwortung nachzukommen“ (ebd., S. 260). In ihrer Führungsfunktion steht die Schulleitung „ständig im Spannungsfeld zwischen Kontrollen, Aufsicht, unmittelbaren Entscheidungszwängen auf der einen und dem Bestreben, das Kollegium in die Entscheidungsfindung einzubeziehen, Kollegialität zu praktizieren und den Einzelnen in spezifischen Problemsituationen zu unterstützen, auf der anderen Seite“ (ebd.).

Die Feststellung in dieser Evaluationsstudie, dass auch hier wie an Schulen mit Modellprojekten die „soziale Einbindung durch die Kooperation mit anderen Lehrkräften“ (Jäger, 2004, S. 287) fehlt, liegt ebenfalls nicht quer zum Erkenntnistand in der Literatur. Diese kooperativen Arbeitsformen und den informellen Austausch der Lehrkräfte sieht Johannes Haeffner (2012) in seiner empitischen Untersuchung zur Entwicklungsarbeit an evangelischen Schulen als hoch bedeutsam an. Karl-Oswald Bauer verdeutlicht, dass Kooperation „nicht gleichzusetzen (ist) mit der unmittelbaren Zusammenarbeit in Gruppen und die unmittelbare Zusammenarbeit in Gruppen ist nicht das Gleiche wie Teamarbeit“ (Bauer, 2004, S. 825). Und zu unterstreichen ist, dass begünstigende Bedingungen von Kooperation nicht gleichzusetzen sind mit Bedingungen einer Verbesserung von Schul- und Unterrichtsqualität (ebd.).

Auf strukturelle Hemmnisse, die Lehrkräfte von einem Engagement in kooperative Aktivitäten Abstand nehmen lassen, wird häufiger verwiesen. Eine ungünstige Voraussetzung sei darin zu sehen, Lehrerarbeit in Deputatsstunden zu beziffern und damit Zeiten für Funktionen und allgemeine Aufgaben unsichtbar zu machen.Footnote 1 Selbst hoch engagierte Lehrkräfte sehen keinen Zusammenhang zwischen Unterrichts- und Schulentwicklung (Schumacher, 2008), das heißt, für die Lehrkräfte ist die Schule in ihrer Organisationsstruktur ein institutionell konstitutives, weitgehend unverstandenes und kein dynamisches und gestaltbares Element.

In den drei Phasen der Lehrerbildung liegen hier noch Aufgaben, die geänderten Anforderungen an den Lehrerberuf zu vermitteln. Was jedoch eine Erkenntnis aus der Arbeitszeitdiskussion um die Transparentmachung des zeitlichen Umfangs der Lehrerarbeit neben dem Faktum einer deutlich höheren Arbeitszeit als im Vergleich mit den bestehenden Verpflichtungen im öffentlichen Dienst ist, dass diese Mehrarbeit zuungunsten der notwendigen Schulentwicklungsarbeit ausfällt.Footnote 2 Die EU-Anforderung, Arbeitszeiten zu erfassen, bringt eine zusätzliche Dynamik in die Debatte um das Regelungserfordernis. Priorität hatte bei befragten Lehrkräften einer Freiburger Arbeitszeitstudie die Qualität pädagogischer Arbeit, was die Autoren in Übereinstimmung sehen mit Studien zu den „Motivationsquellen des Lehrerberufs, aus denen hervorgeht, dass die berufliche Zufriedenheit der Lehrkräfte aus der direkten pädagogischen Arbeit mit den Schülern resultiert (Dorsemagen et al., 2007, S. 243). Die Gewissheit, sich mit den Kollegen in einem gemeinsamen Korridor pädagogischer Zielsetzungen zu bewegen sowie bei Bedarf, eine unterrichtsbezogene Unterstützung zu erhalten, erweist sich als ein weiteres Moment der Berufszufriedenheit.

Die Verweise der Lehrkräfte in den Interviews auf zeitliche Grenzen und das Fehlen von Lernformaten, in der sich das aktionale Lernen der Lehrkräfte entwickelt, konvergiert hier mit dem allgemeinen Forschungsstand zur Schulentwicklung. Die subjektive Wahrnehmung der eigenen Handlungsmöglichkeiten der Lehrkräfte legen den Blick frei auf die regulativen Ordnungsprinzipien der Lehrerarbeit, die sich in Organisations- und Kommunikationsstrukturen niederschlagen. Sie stehen der Verbreiterung einer fächerübergreifenden Umsetzung von Unterrichtsansätzen durchaus entgegen.

Blickt man auf das KulturSchul-Programm, so leistet dies mit der Qualifizierung der Lehrkräfte zur kulturellen und ästhetischen Praxis einen grundlegenden und wichtigen Beitrag zur Unterrichtsentwicklung. Die Fortbildung mit der «SLT-Reihe» für Schulleitungen und KulturSchulbeauftragte rückt in notwendiger Weise, um den individuellen Schulentwicklungsprozess anzustoßen, die Organisationsstruktur der Schule in den inhaltlichen Fokus. Über zwei Jahre hinweg wird durch dieses Format eine professionelle Reflexion der Selbststeuerungsmöglichkeiten der Schule innerhalb der ihr gesetzten schulrechtlichen und verwaltungsbestimmten Grenzen unterstützt. Der inhaltliche Schwerpunkt in dieser Reihe liegt auf Prozesssteuerung und professioneller Kommunikation (Langenfeld & Twiehaus, 2018, S. 343). Die Fortbildungen treffen auf die Realität der teilautonomen Schule, gemäß der der Schulleitung die systematische Personalentwicklung obliegt und die Veränderung der Schule auch die Handlungsanforderungen an die Lehrkräfte erhöht (Herzmann, 2001).Footnote 3

Im Kontext der Profilentwickung als KulturSchule bietet sich für die Schulleitung die bereits in der «SLT-Reihe» praktizierte Zusammenarbeit mit der KulturSchulbeauftragten nunmehr hinsichtlich einer künftigen Bedarfsplanung der Fortbildung an. Es liegt im Eigeninteresse einer Schule, die öffentlich erkennbare Merkmale und konzeptionelle Stärken auszuprägen muss, sich durch die pädagogischen Kompetenzen der Lehrkräfte und mit ihrer Hilfe weiterzuentwickeln (Haeffner, 2012). Da in Schulen aufgrund der Altersstruktur der Lehrkräfte und dem nicht ausreichenden Nachwuchs an Lehrkräften eine hohe Fluktuation durch Quereinsteiger ins Lehramt und fachlich nicht ausgebildeten ‚Lehrkräften‘ der im Schulgesetz verankerten „verlässlichen Schule“ herrscht, wird die Konzipierung einer systematischen Förderung der Lehrkräfte, die im Beruf ankommen und denjenigen, die in diesem arbeiten, noch dringlicher und wichtiger. Die Kultusministerien der Länder betonen, dass der Lehrerberuf attraktiv sein muss und attraktiver werden soll. Für die Personalentwicklung braucht es Instrumente, die den Bedarf an Fortbildungen mit der Zielrichtung der schulischen Entwicklung in Zusammenhang bringen. Sie müssen auch zwischen Schulaufsicht und Fortbildungseinrichtungen kommuniziert werden.

Die Schulentwicklung in der KulturSchule bezieht sich auf eine ins Schulprogramm aufgenommene schriftlich beschriebene Grundlage; es ist davon auszugehen, dass diese in der Schule intensiv diskutiert worden ist, um daraufhin einen kontinuierlichen und zielgerichteten Veränderungsprozess, der kontrolliert zu steuern ist, in Gang zu setzen. Letztlich, legt man das KulturSchulprogramm im Licht der Interpretation der Akteure zugrunde, ist es darauf gerichtet, die Lernbedingungen und Lerngelegenheiten der Schüler zu verbessern – dieses wäre ein wesentliches Kriterium der formativen Evaluation an den Schulen.

Wenn KulturSchule die Entfaltung von mehr selbständigem, eigenaktivem und prozesshaftem Lernen der Schülerinnen und Schüler meint, sodass sie sich als selbstwirksam erleben können, bedarf es hierzu klar formulierter Zielsetzungen in den jeweiligen Schul- und Handlungsprogrammen, die das Schülerlernen in den Mittelpunkt stellen. Kulturelle Bildung entfaltet sich in einem nicht standardisierten und kreatives Arbeiten zulassendem Lernraum, ohne Ausweich-, aber mit Wahlmöglichkeiten und Vielfältigkeit. Kulturelle Bildung soll sozialisatorische Wirkung entfalten können, wozu sie sich über alle Jahrgangsstufen hinweg durchziehen müsste, damit sich Interessen ausbilden können.

Das KulturSchul-Programm, das sich als Anreiz und Unterstützung von Schulentwicklung der Einzelschule versteht, gibt einen interpretierbaren Rahmen vor; die regionalen und lokalen Bedingungen der Schule stimulieren ihrerseits die Konzepte der Schulleitungsteams einer Schule. Gleichwohl ist es selbst unter günstigen Bedingungen unwahrscheinlich, dass die fortgebildeten Lehrkräfte ihren Unterricht „mal eben so“ verändern. Dies bedarf einer Unterstützung in der Einzelschule. In der wissenschaftlichen Community ist Konsens, „dass der Organisation von Schule als unterstützende und zu gestaltende Größe vermehrt Bedeutung zukommt“ (Haeffner, 2012, S. 413). Strukturen – dies erläutert Johannes Haeffner mit der Sozialtheorie Giddens – werden durch die Handlungen von Individuen immer wieder reproduziert. Insofern muss in einer Schule für die Beteiligten deutlich sein, dass Veränderungen durch sie willkommen sind und dass nach gewisser Zeit zu überprüfen ist, wie die möglichen Wirkungen ausfallen.

Die Schulleitungen haben als ihre Erwartung an die Fortbildung formuliert, diese möge sich positiv auf die Bereitschaft der Lehrkräfte auswirken, sich an Schulentwicklung zu beteiligen. Sie sprechen damit aus, wie schwer es im Schulalltag ist, die mit ihren Pflichten ausgelasteten Lehrkräfte zur Veränderungsarbeit zu bewegen. Das erspart den Schulleitungen nicht, die „reflexive Auseinandersetzung [der Lehrkräfte, H.A.] auch mit organisationalen Begebenheiten“ (Haeffner, 2012, S. 415) zu fördern. In Haeffners empirischer Studie haben sich, „[n]eben den Trägerressourcen als Querschnittsthema“ „drei weitere förderliche Unterstützungsstrukturen für das Lernen der Lehrkräfte heraus(gestellt): 1) Schulentwicklung als Experimentierfeld, 2) Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch und 3) kontinuierliche Gelegenheiten zur Fort- und Weiterbildung“ (ebd., S. 416).

Das bedeutet, dass der Fortbildungspraxis entsprechend das Selbstlernen der Lehrkräfte anzuregen und im Arbeitsfeld zu unterstützen. Lehrkräfte, die sich in der Schulentwicklung engagiert haben, berichten, dass sie dadurch neue Perspektiven, Erkenntnisse und Einsichten zur Organisationsebene gewonnen und sich ihre Handlungsmöglichkeiten erweitert haben. Von ihrer Befassung mit der Organisation und den Gremien und Arbeitskreisen haben sie einen Gewinn. Somit richtet sich an die Schulebene die Frage, welche Impulse und Strukturen es für das Lehrerlernen gibt und wie sich insgesamt die Arbeitsmöglichkeiten verbessern lassen.

Versucht man abschließend die Frage zu beantworten, wie Kulturelle Bildung in die Schule kommt, zeigt diese Studie, dass ihr Einzug in die Schule nicht, wie tradiert, über den Lehrplan entschieden wird. Kulturelle Bildung betrifft ein sowohl intracurriculares als auch fächerverbindendes und fächerübergreifendes Themen- und Handlungsfeld, das den Unterricht bereichern und im Schulleben von den Schülern mit den Sinnen erfahren werden soll. Im Rahmen des Ganztagsangebots haben sich hier neue Möglichkeiten ergeben, die aus bildungspolitischer, kulturpolitischer und schulischer Sicht begrüßt werden und vermögen, das Ansehen der Schule zu heben.

Aber: Das wesentliche Kriterium des KulturSchul-Programms, gemäß der hier rekonstruierten Zielsetzungen, ist die grundsätzliche Änderung der Lernkultur. Diese ist, wird das verbale Material dieser Studie zugrundgelegt, näher definiert durch Freude am Lernen, am Ausprobieren und Entwerfen, durch ein möglichst selbständiges Handeln der Schülerinnen und Schüler in einem eigenen Interessenfeld. Darin kann durchaus eine reformpädagogische Orientierung gesehen werden.

Es liegt bei den Schulen, mit den Lehrkräften gemeinsam ein solches Lernfeld zu etablieren. Ein dahingehender Konsens scheint, gemäß der Situation, auf die die Interviews haben schließen lassen, nicht zwingend. Den fortgebildeten Lehrkräften wird es überlassen, ihren Unterricht zu ändern und auch, sich eine Plattform zu schaffen, in deren Rahmen mit Kollegen gemeinsam Projekte geplant und durchgeführt werden. Am ehesten geschieht dies offenbar im Musikbereich, im darstellendem Spiel oder in der Verbindung von kreativem Schreiben und Literatur, also ausgehend von den Künsten und gegebenenfalls mit einem Fach(bereich). Die Schülerinnen und Schüler, die in einem solchen Bereich Erfahrungen machen, erhalten Gelegenheiten zu anderen Erfahrungen und auch Zugang zu neuen Ausdrucksformen. Untersuchungen darüber, wie sich in ihrer Sicht dieses Lernen im schulischen Kontext gestaltet, fehlen weitgehend. Es ist aber festzuhalten, dass das Ziel des KulturSchul-Programms, die Lernkultur zu verändern, mit solchen Initiativen und „Insellösungen“ (Kammler & Lohmann, 2018) (noch) nicht erreicht ist. Im Prinzip regt das KulturSchul-Programm Schulentwicklung an und geht mit dem Angebot von Vernetzungs- und Selbstlernformaten mit der Zeit; gleichwohl gibt es auch in der Forschung noch keine Klarheit über das Organisationsverständnis von Schule in seiner mehrdimensionalen Struktur (vgl. Amling, 2021). Dies betrifft auch den Lernbegriff, der im Organisationsdiskurs oftmals vom Subjekt gelöst wird, aber auch das Verständnis von Schule als Institution und ihrer widersprüchlichen Aufgabe im Rahmen des Bildungssystems. In dieser Studie, die ihren Ausgangspunkt in den Fortbildungsformaten und deren Beitrag zur kulturellen und ästhetischen Praxis hat, kann eine umfassende Auseinandersetzung damit nicht geleistet werden. Hierzu wäre an Arbeiten anzuschließen, die ein sowohl gesellschafts- wie auch bildungstheoretisches Verständnis des Schulsystems (Kemper, 1990) und die Einbeziehung der technologisch ökonomischen Umbrüche zur Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft auszeichnet. Zuletzt haben Sandra Rademacher und Andreas Wernet (2015) auf das Defizit einer gesellschaftstheoretischen Bestimmung der Schule und die Abstinenz der Praxeologie hingewiesen.

Insgesamt ist die Thematisierung der der Schule zugewiesenen Aufgaben , die aus der Teilautonomie resultieren, eine Angelegenheit für die Lehrerbildung in allen Phasen und auch Thema für die Führungskräfteausbildung. Lehrerkollegien haben komplexe Anforderungssituationen zu bewältigen (Rothland, 2005, S. 167). Wichtig ist, dass Lehrkräfte selbst, in ihrem Handeln einen Gewinn für die Schüler erkennen. Mit gemeinsamen kumulierenden Handlungserfahrungen in regelmäßigen Fortbildungen und der Etablierung einer unterrichtsbezogenen Kooperation, die die individuelle Handlungskompetenz der Lehrperson verbessert und so auch direkt erfahren wird (ebd., S. 169), werde laut Martin Rothland zugleich ein positives soziales Klima in der Schule unterstützt. Dies suspendiert keine Auseinandersetzung damit, welchen Stellenwert verständnisintensives Lernen und Begreifen derzeit in einer Einrichtung des formalen Lernens hat, und welchen beides einnehmen soll. Diese Debatte über das eigene pädagogische Selbstverständnis ist auch in den Schulen zu führen.