Im vorliegenden Kapitel steht das im Rahmen der vorliegenden Arbeit eigenständig entwickelte Verfahren zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen im Mittelpunkt. Bei der Vorgehensweise zur Erfassung und Auswertung wird wie folgt vorgegangen: Eine diagnostizierende Person führt ein Gespräch mit dem an der Diagnostik beteiligten Kind und fragt gezielt nach alltäglichen Handlungen und Handlungsbegründungen. Das Gespräch wird protokolliert, um die Notizen für die spätere Auswertung nutzen zu können. Die Auswertung wird anschließend mithilfe eines in der vorliegenden Arbeit entwickelten Auswertungsleitfadens vorgenommen. Die konkreten Auswertungsschritte des Auswertungsleitfadens führen zu einem Erkennen der alltäglichen Lebenssituation und damit zu einer Rekonstruktion der Bedingungen dieser alltäglichen Lebenssituation. Für eine detaillierte Darstellung der Vorgehensweise bei Anwendung des Verfahrens zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen wird auf Abschnitt 7.2 verwiesen.

Es wird im Folgenden zunächst aus Gründen der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit die Entwicklung des Verfahrens (6.1) thematisiert. Danach wird auf die Erprobung und Evaluation des Verfahrens (6.2) eingegangen, um anhand der vorliegenden Daten der drei Teilevaluationen die methodische Vorgehensweise bei der Durchführung des Verfahrens zu verdeutlichen. Außerdem dienen die Ergebnisse der Teilevaluationen als Grundlage zur Beantwortung der zweiten Forschungsfrage einschließlich ihrer Teilfragen der vorliegenden Arbeit (zur Beantwortung der Forschungsfragen siehe Kapitel 7). Das vorliegende Kapitel schließt mit einer Zusammenfassung und Reflexion der in den drei Teilevaluationen gewonnenen Erkenntnisse (6.3) ab.

6.1 Erläuterungen zur vorgenommenen Entwicklung des Verfahrens zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen

In Folgenden wird auf Basis der Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit (zusammengefasst als Schlussfolgerungen für das weitere Vorgehen siehe Kapitel 5) die Entwicklung des Verfahrens zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen erläutert. Theoriegeleitet wurden Aspekte bestimmt, die zur Konstitution eines Verfahrens beitragen, das Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Kindern hinsichtlich ihrer alltäglichen Lebensführung und in Zusammenhang mit sprachlichem Handeln erfassen und auswerten kann. Die folgenden Ausführungen fassen zusammen, welche inhaltlichen Aspekte aus theoretischer Sicht bestimmend für die Konstitution des Analyseverfahrens sind, wobei die Erkenntnisse zur Konstruktion eines Konzepts von alltäglicher Lebenssituation von Kindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen im Kapitel 5 zusammengefasst wurden und, um Redundanz zu vermeiden, an dieser Stelle nicht noch einmal aufgezeigt werden.

Aufgrund der in der vorliegenden Arbeit gewählten Theoriestruktur liegen der Entwicklung des Analyseverfahrens subjektwissenschaftliche Grundlagen der Kritischen Psychologie (siehe Abschnitt 6.1.1) sowie entwicklungspsychologische Grundlagen zu Gedächtnis und Erinnerung (siehe Abschnitt 6.1.2) handlungsleitend zugrunde. Des Weiteren wird auf die methodologischen Aspekte und Prinzipien (6.1.3) eingegangen, die bei der Entwicklung des Verfahrens beachtet wurden. Da es sich um ein subjektwissenschaftlich begründetes Analyseverfahren handelt, werden zur Offenlegung der Ausgangslage Kriterien subjektwissenschaftlicher Methoden (6.1.4) erläutert. Im Anschluss daran wird auf das problemzentrierte qualitative Interview als diagnostische Erhebungsmethode (6.1.5) und auf das subjektwissenschaftliche Forschungsverfahren als diagnostische Auswertungsmethode (6.1.6) erläuternd eingegangen, da die gewählten methodischen Verfahren der Erhebung und Auswertung aufgrund ihrer spezifischen methodologischen Voraussetzungen als gegenstandangemessen betrachtet werden, was durch die Ausführungen zur Erhebungs- sowie Auswertungsmethode intersubjektiv nachvollziehbar gemacht werden soll. Abschließend wird in Abschnitt 6.1.7 resümiert, inwiefern die im vorliegenden Abschnitt ausgeführten Annahmen handlungsleitend für die Entwicklung des Analyseverfahrens betrachtet werden können.

6.1.1 Handlungsleitende subjektwissenschaftliche Grundlagen der Kritischen Psychologie

Die Subjektivitätskonzeption der Kritischen Psychologie legt die „gesamtgesellschaftliche Vermitteltheit der individuellen Existenz“ (Holzkamp 1985, 192) zugrunde. Die gesellschaftlichen Verhältnisse sind als Voraussetzungen für die individuelle Existenzsicherung zu fassen, gleichzeitig muss der Mensch dazu beitragen, diese Voraussetzungen zu produzieren beziehungsweise zu reproduzieren. Das Verhältnis zwischen Subjekt und Gesellschaft ist somit eine „doppelte Beziehung“ (Holzkamp 1985, 192), die gesellschaftlichen Zusammenhänge sind dem Menschen aber nur insoweit gegeben, wie sie als Ausschnitte „dem Individuum von seinem realen gesellschaftlichen Standort zugekehrt sind“ (Holzkamp 1985, 196).

Das Subjekt erfährt die Welt als einen gesellschaftlich produzierten Möglichkeitsraum von Bedeutungen, wobei die gesellschaftlichen Verhältnisse dem Subjekt als gegenständliche oder symbolische Bedeutungen entgegentreten. Das bedeutet, dass erstens dem Subjekt die gesellschaftlichen Verhältnisse als Vermittlungszusammenhang zwischen Mensch und Welt (Bedeutungen) in Form von Gegenständen entgegentreten. Demgegenüber stehen Symbolbedeutungen, in dem Fall sind es Symbole, beispielsweise sprachliche Zeichen, die dem Menschen als Bedeutungen von Gegenständen entgegentreten. Die wesentliche Annahme dabei ist, dass diese gesellschaftlichen Bedeutungszusammenhänge keine Handlungsbedingungen oder Bestimmungen darstellen, die das Handeln des Subjekts determinieren, sondern dass sie Handlungsmöglichkeiten beziehungsweise Handlungsbeschränkungen darstellen. Zu diesen Handlungsmöglichkeiten beziehungsweise -beschränkungen verhält sich das Subjekt bewusst, das heißt gemäß seinen Lebensinteressen, und handelt begründet. Die Handlungsgründe liegen in den gesellschaftlichen Verhältnissen als Handlungsprämissen. Diese Handlungsprämissen sind als erfahrene Lebenszusammenhänge (Bedeutungsanordnungen) zu fassen, aus denen das Subjekt Aspekte herausgreift und zur Grundlage für seine spezifischen Handlungsgründe macht. Die Handlungsgründe liegen damit in den Lebensinteressen des Subjekts (Holzkamp 1985, 1993). Die gesellschaftlichen Bedingungen sind zwar objektiv gegeben, determinieren aber dennoch nicht das menschliche Handeln, sondern werden nur dann bestimmend, wenn das Subjekt sie zu Prämissen für seine Handlungsbegründungen macht.

Subjektive Handlungsbegründungen können kommuniziert und damit mittels „Bedingungs-Bedeutungs-Begründungs-Analyse“ (Markard 2017, 237) untersucht werden. In dieser Analyse werden keine Bedingungs-Ereignis-Zusammenhänge untersucht, denn (un-)abhängige Variablen sind nicht relevant, sondern es gilt, Prämissen-Gründe-Zusammenhänge zu formulieren (Holzkamp 1993). Subjektwissenschaftliche Forschung rekonstruiert menschliches Handeln immer im Begründungsdiskurs von der Perspektive der subjektiven Handlungsgründe aus, das heißt, in Bedeutungs-Begründungs-Analysen werden die Prämissen-Gründe-Zusammenhänge hergestellt. Dies führt zur Erkenntnis vom Standpunkt des Subjekts und zielt nicht darauf ab, wie zum Teil innerhalb qualitativer Forschung üblich, nur dem Subjekt eine erhöhte Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, sondern subjektiv ist zu verstehen im Sinne eines subjekthaften Weltbezugs (Markard 2000). Subjektwissenschaftliche Aussagen sind dabei in keinem Fall Aussagen über Menschen, sondern immer über erfahrene Handlungsmöglichkeiten oder Handlungsbeschränkungen. Auch werden sie nicht zur Klassifizierung von Menschen und einem Denken in Eigenschaften genutzt, weshalb Verallgemeinerung im Sinne von Merkmalszuschreibungen von Menschen nicht Ziel subjektwissenschaftlicher Forschung ist (Markard 1993).

Die Ausführungen zu den subjektwissenschaftlichen Grundlagen werden zu handlungsleitenden Prinzipien der Entwicklung des Analyseverfahrens insofern, als dass diese die Richtung weisen, welche Informationen mittels des Analyseverfahrens erfasst und ausgewertet werden. So stehen die individuellen alltäglichen Handlungen des Subjekts im Mittelpunkt der Befragung. Davon ausgehend soll dem Subjekt ermöglicht werden, sich über die individuellen Handlungsgründe zu verständigen, aus denen die dahinterstehenden Bedingungen der alltäglichen Lebenssituation rekonstruiert werden. Die Verständigung über die Handlungen und Handlungsbegründungen des Subjekts setzt voraus, dass das Subjekt sowohl Handlungen als auch Handlungsgründe erinnern und so zur Grundlage der Verständigung machen kann. Daher werden im nachfolgenden Abschnitt 6.1.2 handlungsleitende entwicklungspsychologische Grundlagen zu Gedächtnis und Erinnerung dargestellt und offengelegt.

6.1.2 Handlungsleitende entwicklungspsychologische Grundlagen zu Gedächtnis und Erinnerung

Um wesentliche Kennzeichen des Gedächtnisses zu verdeutlichen, die bei der Entwicklung des Verfahrens zur Analyse von Lebensbedingungen als handlungsleitend betrachtet wurden, wird auf entwicklungspsychologische Grundlagen nach Inhelder und Piaget (1974) zurückgegriffen. Diese Orientierung legt nahe, das Gedächtnis als Teil der gesamten kognitiven Funktionen zu betrachten.

Das Gedächtnis ist nach Inhelder und Piaget (1974) als eine Erkenntnisweise zu fassen, die der aktiven und selektiven Strukturierung der Vergangenheit und damit des bereits Erlebten dient. Es ist insofern mit der Intelligenz verbunden, da es als „Wissen der Vergangenheit“ (Inhelder & Piaget 1974, 463) betrachtet werden kann, was eine permanente Reorganisation voraussetzt, um das Ziel der Strukturierung zu erfüllen. Diese Strukturierung besteht in der „Konstruktion, Erhaltung oder Rekonstruktion konkreter Bilder besonderer Ereignisse“ (Inhelder & Piaget 1974, 465), wofür die präoperativen oder operativen Schemata der Intelligenz zur Organisation der Vergangenheit benutzt werden, was nach Piaget und Inhelder als Erinnerung zu kennzeichnen ist. Je nachdem, wie die Vergangenheit strukturiert wird, wird das Wiedererkennungsgedächtnis vom Evokationsgedächtnis unterschieden. Für beide gilt jedoch: Die semiotischen Funktionen und die begriffliche oder bildhafte Vorstellung müssen bereits entwickelt sein. Den Übergang zwischen den beiden Formen des Gedächtnisses bildet das „Rekonstitutionsgedächtnis“ (Inhelder & Piaget 1974, 484), das, ebenfalls hervorgegangen aus dem Nachahmungsbild, zu einer absichtlichen Wiedergabe der eigenen oder einer fremden Aktion führt.

Das Gedächtnis ist nach Inhelder und Piaget (1974) zu unterscheiden in Wiederholung beziehungsweise Wiedererkennen und Evokation von Ereignissen oder Bildern und dient der Erhaltung in der Vergangenheit aufgebauter, das heißt erworbener und nicht vererbter Schemata. Die schematisierten kognitiven Funktionen (figurativ und operativ) bestimmen die Unterscheidungen, wie das Gedächtnis gefasst wird. Während operative Funktionen Gegenstände transformieren, führen figurative Funktionen zur Nachahmung von Gegenständen, also zu einer Übersetzung in Bilder. Inhelder und Piaget (1974) nennen dabei die unmittelbare und äußere Nachahmung als erste Stufe, auf die verinnerlichte Formen und die „aufgeschobene“ (Inhelder & Piaget 1974, 24) Nachahmung folgen. Aus der verinnerlichten Nachahmung heraus entwickelt sich das Vorstellungsbild als neues figuratives Grundwerkzeug für die Ausformung des Evokationsgedächtnisses in der gleichen Form wie beispielsweise symbolisches Spiel oder die Zeichnung ebenfalls als figurative Werkzeuge aus der verinnerlichten Nachahmung entstanden sind.

Inhelder und Piaget (1974) unterscheiden weiterhin das „Gedächtnis im weiten Sinne“ (Inhelder & Piaget 1974, 17 f.) vom „Gedächtnis im strengen Sinne“ (Inhelder & Piaget 1974, 17 f.). Das erste dient der Erhaltung entweder beliebiger Gewohnheitsschemata oder sensomotorischer, begrifflicher oder operativer Schemata. Das zweite stellt einen klaren Bezug zur Vergangenheit her, da das Subjekt einen in der Vergangenheit wahrgenommenen Gegenstand oder Ereignisse wiedererkennt. Es handelt sich dabei um Wiedererkennen, wenn der Gegenstand vorhanden, also wahrnehmbar ist, und um Evokation, wenn er nicht vorhanden, also nicht wahrnehmbar ist.

Im Unterschied zum reproduzierenden beziehungsweise antizipierenden Vorstellungsbild handelt es sich bei der gedächtnishaften Evokation um ein Erinnerungsbild, das in Verbindung steht mit einer Lokalisierung in der Vergangenheit: Es wird etwas geäußert, das bereits erlebt wurde, nicht etwas allgemein Bekanntes oder Vorausgesehenes (Inhelder & Piaget 1974). Dieses Erinnerungsbild nimmt eindeutig Bezug auf einmalige vergangene Situationen, Vorgänge oder Gegenstände und diese werden dementsprechend wiedererkannt beziehungsweise evoziert. Damit ist Evokation als ein „Denkakt“ (Inhelder & Piaget 1974, 484) zu bezeichnen, der aufgrund der Verbindung mit der Intelligenz eine Schematik enthält, die entsprechend der stufenförmigen Entwicklung der allgemeinen kognitiven Funktionen in den aufeinanderfolgenden Stufen, die das Gedächtnis nutzt, enthalten ist. Die Wiedererkennung entspricht dem Anfang der sensomotorischen Stufe. Die Rekonstitution kann mit dem Übergang von der sensomotorischen Stufe zum Vorstellungsgemäßen verglichen werden, und die Evokation korrespondiert mit der Stufe der vorstellungsmäßigen, präoperativen und operativen Form der Intelligenz (Inhelder & Piaget 1974).

Bei der Frage nach alltäglich wiederkehrenden Situationen, Ereignissen und Handlungen wird das Kind aufgefordert sich, an in der Vergangenheit liegende Ereignisse und Handlungen zu erinnern. Damit wird das Evokationsgedächtnis des Kindes beansprucht, Ziel ist eine bildhafte Evokation von in der Vergangenheit liegenden Ereignissen durch das Kind. Wie im vorliegenden Abschnitt beschrieben, setzt Evokation figurative Werkzeuge wie Nachahmung, Vorstellungsbild oder symbolisches Spiel voraus. Dementsprechend ist Evokation äquivalent zu der Stufe der vorstellungsmäßigen, präoperativen und operativen Formen der Intelligenz (Inhelder & Piaget 1974).

Das Evokationsgedächtnis als eine Form des Gedächtnisses im Allgemeinen erzeugt ein Erinnerungsbild einer schematisierten oder nichtschematisierten Aktion und dient der bildhaften Evokation aktionsunabhängiger Ereignisse und Gegenstände. Dieser Aspekt ist handlungsleitend bei der Entwicklung des Analyseverfahrens zur Erfassung von Bedingungen der alltäglichen Lebenssituation, weil sich das Verfahren im Hinblick auf die Methodik auf die Möglichkeit der Konstruktion von Erinnerungsbildern stützt, also auf das Erinnern von Handlungen, Ereignissen, Situationen oder Personen, die als Gegenstand der Wahrnehmung zum Zeitpunkt der Befragung nicht vorhanden sind.

Nachdem in den vorigen Ausführungen in 6.1.1 und dem vorliegenden Abschnitt auf inhaltlicher Ebene erläutert wurde, welche Grundlagen der Entwicklung des Verfahrens zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen handlungsleitend zugrunde liegen, werden im nächsten Abschnitt die handlungsleitenden methodologischen Aspekte und Prinzipien dargestellt.

6.1.3 Handlungsleitende Aspekte und Prinzipien der bildungszielorientierten Förderdiagnostik

Das Analyseverfahren ist auf Basis der Erkenntnisse zur Förderdiagnostik heraus entstanden und orientiert sich an den Prinzipien bildungszielorientierter Förderdiagnostik (siehe Abschnitt 3.3.1) gleichermaßen, wie es sich als Teil der sprachpädagogischen Diagnostik begreift, die in Einheit mit der Sprachförderung steht. Damit liegen der Entwicklung sowohl die Bestimmungsmerkmale pädagogischer Sprachdiagnostik (siehe Abschnitt 3.3.2) als auch das Konzept der Kooperativen Sprachdidaktik (Welling 2004, 2007) (siehe Abschnitt 3.2) zugrunde. Die Annahmen der Sprachhandlungstheorie und das darin begründete Konzept der Kooperativen Sprachdidaktik liefern die notwendigen Gegenstandsbereiche, die die Kriterien bereitstellen, welches Wissen über das Kind und die alltäglichen lebenssituationalen Bedingungen, unter denen das Kind seine Sprache entwickelt beziehungsweise entwickelt hat und gebraucht, für eine individuelle Sprachförderung notwendig wird. Daraus lässt sich schlussfolgern, welche Informationen mittels einer Analyse der alltäglichen Lebenssituation gewonnen werden müssen, um ein Förderkonzept individuell und in Orientierung an den zugrunde liegenden Bedingungen der alltäglichen Lebenssituation ausrichten zu können.

6.1.4 Kriterien subjektwissenschaftlicher Methodik

Die in dieser Arbeit beschriebenen handlungsleitenden Grundannahmen (Abschnitt 1.2) liegen der Entwicklung des Analyseverfahrens ebenso zugrunde wie den Ausführungen zur alltäglichen Lebenssituation (Kapitel 4). Aufgrund der an Subjektwissenschaft orientierten qualitativen Vorgehensweise bei der Entwicklung des Analyseverfahrens ergeben sich aus methodologischer Perspektive drei Anforderungen im Sinne wissenschaftlicher Kriterien, die im Folgenden nacheinander beschrieben werden: Gegenstandsadäquatheit, Mitforschungsprinzip und intersubjektive Nachvollziehbarkeit. Diese drei Kriterien werden nachfolgend hinsichtlich ihrer Bedeutung für die vorliegende Arbeit erläutert.

Gegenstandsadäquatheit

Obwohl es sich bei der vorliegenden Arbeit nicht um eine aktual-empirische Untersuchung eines bestimmten Gegenstands im Sinne Holzkamps (1985), wie zum Beispiel Intelligenz, handelt, sondern das Ziel unter anderem in der Entwicklung eines sprachdiagnostischen Verfahrens zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation besteht, hat in der vorliegenden Arbeit wissenschaftliche Güte dennoch eine hohe Bedeutung, insbesondere das Gütekriterium der Gegenstandsadäquatheit der Methodenwahl. Dieses Kriterium wird bei der Entwicklung des Verfahrens als oberstes methodologisches Gütekriterium betrachtet, so wie es für die subjektwissenschaftliche Forschung im Allgemeinen gilt (Holzkamp 1985). Die allgemein anerkannten wissenschaftlichen Kriterien, die die wissenschaftliche Objektivierbarkeit gewährleisten sollen, werden nicht abgelehnt, sondern sind der Gegenstandsadäquatheit „logisch vorgeordnet: Sofern nämlich die Gegenstandsadäquatheit einer Methode nicht bekannt ist, man also nicht weiß, was damit überhaupt untersucht werden kann, ist auch der wissenschaftliche Wert der damit erfüllbaren Objektivierungskriterien unklar“ (Holzkamp 1985, 521).

Gegenstandsadäquatheit bezieht sich auf die Wahl wissenschaftlicher Forschungsmethoden in Bezug auf den zu erkennenden Gegenstand der wissenschaftlichen Untersuchung. Eine Forschungsmethode ist nach Holzkamp (1985, 520) dann gegenstandsadäquat, wenn sie in Bezug auf den zu erkennenden Gegenstand angemessen ist. Das heißt, bei der Beurteilung der Gegenstandsadäquatheit einer Forschungsmethode ist zu prüfen, inwiefern die Forschungsmethode den zu erkennenden Gegenstand erfassen kann (Holzkamp 1985, 520). Gegenstandsadäquatheit ist kein Kriterium nur subjektwissenschaftlicher Forschung, sondern ebenso in der qualitativen Sozialforschung fest verankert. Es liegt das Verständnis zugrunde, dass der zu untersuchende Gegenstand als mitbestimmend bei der Wahl der Forschungsmethode betrachtet wird. Aus subjektwissenschaftlicher Perspektive ist dabei aber hervorzuheben, dass der Subjektstandpunkt als Forschungsstandpunkt betrachtet wird, was nach Holzkamp (1993) als Konsequenz eine Untersuchung auf der Ebene der subjektiven Handlungsgründe nach sich zieht. Gerade die Subjektivität der an der Forschung beteiligten Kinder, mit denen das Analyseverfahren im Rahmen pädagogischer Sprachdiagnostik durchgeführt wird, soll dabei in besonderem Maße beachtet werden. Das Kriterium der Gegenstandsangemessenheit bei der Methodenwahl soll genau dies gewährleisten, sodass die Methodenstruktur die Perspektive und Äußerung von Handlungsgründen des Subjekts nicht beeinflusst.

Als konsequente Folge der Forderung nach Gegenstandsangemessenheit der Methodenwahl ist die Entwicklung eigener Methoden anzusehen, wenn keine bereits ausgearbeiteten Methoden als geeignet erscheinen (Steinke 2013, 327). Es wurde in der vorliegenden Arbeit der Entwicklung des Analyseverfahrens kein Anamneseschema, wie zum Beispiel von Kemmler (1974), zugrunde gelegt. Bei Wahl der Methode ein Anamneseschema zu verwenden, würde bedeuten, das Kriterium der Gegenstandsangemessenheit als nicht erfüllt betrachten zu müssen, da bei der Verwendung von Anamneseverfahren der Menschen lediglich als „Anhäufung herausragender Ereignisse“ (Jetter 1985b, 69) betrachtet wird, die Geschichte eines Menschen jedoch keine Aneinanderreihung von Geschehnissen (Jetter 1985b, 69) ist. Des Weiteren wurden Fragebögen wie zum Beispiel ASAP-K (Neumann 2011) als nicht gegenstandsangemessen bewertet, weil in jedem Fall der Subjektstandpunkt und das Mitforschungsprinzip (siehe nachfolgende Ausführungen) nicht angemessen berücksichtigt werden, wie es aus subjektwissenschaftlicher Perspektive erforderlich ist.

Mitforschungsprinzip

Das Mitforschungsprinzip ist die logische Konsequenz der Gegenstandsadäquatheit der Methodenwahl und hat die Annahme zur Folge, Theorien und Methoden nicht über Betroffene zu entwickeln, sondern für die Betroffenen. Darin unterscheidet sich eine subjektwissenschaftliche Vorgehensweise grundlegend von den Methoden der traditionellen Psychologie, mit denen menschliches Verhalten als sogenannte abhängige Variable kontrollierbar und vorhersagbar sein soll (Holzkamp 1985).

Forschung vom Standpunkt des Subjekts aus zu konzipieren und umzusetzen bedeutet, dass die Subjekte, die befragt und deren Alltagshandlungen analysiert werden, als Mitforschende betrachtet werden. Als solche sind sie am Forschungsprozess beteiligt, werden also nicht ‚beforscht‘, sondern befinden sich auf Forschungsseite (Markard 2000; 2009; 2015). Für die vorliegende Arbeit bedeutet das, die grundsätzliche Beteiligung der Kinder am diagnostischen Prozess der Lebensbedingungsanalyse zu gewährleisten. Diesem Anspruch wird man durch Berücksichtigung des Prinzips der Kooperation gerecht, Diagnostik nicht hinter dem Rücken der Betroffenen (Jetter 1985b) durchzuführen.

Intersubjektive Nachvollziehbarkeit

Die an Subjektwissenschaft orientierten qualitativen Forschungsmethoden sind nicht mit den Gütekriterien quantitativer empirischer Forschung gleichermaßen bedeutsam. Konkret bedeutet dies, dass intersubjektive Überprüfbarkeit nicht als Kriterium gefordert ist, vielmehr wird an qualitative empirische Forschung die Forderung der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit gestellt (Steinke 2013, 324 ff.). Dieses Kriterium soll den Lesenden und Forschenden die Möglichkeit geben, die empirische Untersuchung bewerten zu können (Steinke 2013, 324).

Diese Bewertung meint Folgendes: Steinke (2013, 324 ff.) plädiert bei Verwendung qualitativer Forschungsmethoden für eine detaillierte Dokumentation des Forschungsvorgehens, um zu gewährleisten, dass sowohl der Forschungsprozess und das theoretische Vorverständnis als auch die Ergebnisse von anderen Personen nachvollzogen und bewertet werden können. Mayring (2002) benennt die Verfahrensdokumentation konkret als Gütekriterium qualitativer Forschung. Solch ein vollständiger Nachweis stellt also für die Rezipienten einer empirischen Untersuchung eine notwendige Bewertungsgrundlage für die Güte der Forschung dar. Mayring (2002) schlägt folgende Vorgehensweise zur Dokumentation des Forschungsprozesses vor, die in dieser Arbeit als handlungsleitend betrachtet wird:

  • „Explikation des Vorverständnisses,

  • Zusammenstellung des Analyseinstrumentariums,

  • Durchführung und Auswertung der Datenerhebung“ (Mayring 2002, 145).

Die einzelnen Schritte werden bei der Darstellung der Entwicklung und Evaluation des Analyseverfahrens berücksichtigt.

6.1.5 Das problemzentrierte Interview (Witzel 2000) als diagnostische Erhebungsmethode

Das subjektive Erleben und Handeln von Kindern stellt einen offenen Gegenstand dar, der mittels empirischer Forschungsmethoden erfasst werden soll, um das Handeln und die zugrunde liegenden Handlungsgründe hinsichtlich ihrer Bedeutungsstrukturen analysieren zu können. Als Forschungsmethoden kommen qualitative Verfahren infrage, da diese dafür geeignet sind, die subjektiven Sichtweisen von Personen zu erfassen können (Mayring 2002, Bortz & Döring 2006). Das Feld der qualitativen Methoden zur Datenerhebung ist weit, als geeignete Methode erweist sich das problemzentrierte qualitative Interview (Mayring 2002) beziehungsweise die qualitative Befragung (Bortz & Döring 2006) zur Erfassung subjektiven Erlebens und Handelns und der jeweiligen Handlungsgründe. Interview und Befragung dienen so der Erfassung der durch Verständigung kommunizierbaren Handlungen und Begründungen (Holzkamp 1985), da sie auf der sprachlichen Ebene ansetzen.

Die im qualitativen Interview an das Kind gerichteten Fragen oder Erzählaufforderungen zur Erfassung sprachlicher und nichtsprachlicher Handlungssituationen und Begründungen im Alltag des Kindes werden auf Basis entwicklungspsychologischer Grundlagen zum Gedächtnis (siehe Abschnitt 6.1.2) formuliert. Relevant ist diese Grundlage für die Erfassung alltäglicher sprachlicher und nichtsprachlicher Handlungen insofern, da die Fragen und Erzählaufforderungen, die an das Kind gerichtet werden, sprachlich so gestaltet werden müssen, dass figurative Werkzeuge wie das Vorstellungsbild aktiviert und für die Evokation genutzt werden können. Beispiele für Fragen an das Kind sind:

  • ‚Stell dir vor, du wachst gerade in deinem Bett auf und stellst fest, dass es morgens ist. Was tust du als Nächstes und warum?‘

  • ‚Stell dir vor, du kommst nach der Schule nach Hause, hast die Tür gerade hinter dir geschlossen. Wer ist noch zu Hause? Was tust du dann? Warum?‘

  • ‚Stell dir vor, du hast gerade die letzte Hausaufgabe erledigt. Was tust du als Nächstes? Warum?‘

  • ‚Stell dir vor, du sitzt in der Klasse an deinem Platz, weil Unterrichtszeit ist. Deine Lehrerin oder dein Lehrer stellt Fragen an die Klasse zur Aufgabe, die du und die anderen Kinder gerade fertig bearbeitet haben. Du weißt die Antwort auf die Frage. Was tust du? Warum?‘

Aufgrund der individuellen Gestaltung der jeweiligen Interviewsituation kann nicht auf ein strukturiertes Leitfadeninterview zurückgegriffen werden. Es werden zwar bei der Vorbereitung der diagnostischen Situation ein Thema und gegebenenfalls erste Fragen vorbereitet, sodass die Interviewform halbstrukturiert sein kann, jedoch soll die Gesprächssituation in Richtung Offenheit tendieren, um eine Vorstrukturierung des Gesprächs möglichst zu vermeiden. Diese Interviewform kann mit Mayring (2002) als problemzentriert bezeichnet werden. Das ‚Problem‘ stellt das Thema des Gesprächs dar, das zuerst allgemein formuliert die wiederkehrende Alltagsgestaltung des Kindes kennzeichnet. Anhand der gewonnenen Informationen werden im weiteren Verlauf Themen beziehungsweise Gesprächsanlässe gesammelt. Ein Interviewleitfaden kann somit, zumindest auf den Beginn des Gesprächs bezogen, erstellt werden, wobei dieser nach Möglichkeit lediglich als Gesprächseinstieg fungieren soll. Wichtiger als ein strukturierter Leitfaden und damit ein geplantes Vorgehen ist das Interesse der diagnostizierenden Person an der Erzählung des Kindes, was die Bereitschaft des Kindes, von seinem Alltag zu berichten, erhöhen kann, denn „wenn sie ehrliches Interesse spüren, nutzen sie gerne die Gelegenheit zu erzählen“ (Vogl 2015, 98).

Prinzipiell gelten für Interviews mit Kindern die gleichen Hinweise zu Vorbereitung und Durchführung wie mit Erwachsenen, in Bezug auf Gesprächsführung und Gesprächstechnik sollte dennoch insbesondere die individuelle Entwicklung des jeweiligen Kindes berücksichtigt werden (Vogl 2015, 83). Delfos (2010) schlägt altersgruppenspezifisch zu beachtende Prinzipien hinsichtlich der Gesprächsführung und Gesprächstechnik vor, die hier in gebotener Kürze für das geplante Analyseverfahren aufgeführt werden sollen:

  • Die diagnostizierende Person sollte grundsätzlich eine offene und dem Kind zugewandte Körperhaltung einnehmen und sich körperlich auf gleicher Augenhöhe mit dem Kind befinden.

  • Vor dem Gespräch ist es wichtig, mit dem Kind den Anlass beziehungsweise das Ziel des Interviews zu thematisieren, wobei gegebenenfalls das Kind ermutigt werden kann, von seinem Alltag zu berichten.

  • Während des Gesprächs kann Bewegung dazu verhelfen, Spannungen abzubauen, das heißt, Bewegung sollte zugelassen werden. Das Gespräch kann auch mit einem Spiel verbunden werden, wenn es für die Durchführung notwendig erscheint.

  • Ein konkreter Sprachgebrauch mit kurzen Sätzen und Wörtern, deren Bedeutung dem Kind bekannt ist, sollte verwendet werden.

Vogl (2015) konkretisiert diese Hinweise mit Fokus auf die Verwendung des Sprachgebrauchs. Demnach soll das Sprachverständnis des Kindes berücksichtigt werden und einfache kurze Sätze gebildet werden, die keine Verneinungen oder Ironie und Metaphern enthalten. Außerdem soll auf eine „Baby-Sprache oder aufgesetzte Jugend-Sprache“ (Vogl 2015, 105) verzichtet werden.

In Bezug auf die Durchführung von Interviews gibt Reinders (2005) konkrete Anweisungen, wie, seiner Ansicht nach, häufige Fehler vermieden werden können. Zwar bezieht sich der Autor auf die Verwendung von Interviewleitfäden hinsichtlich von Interviews mit Jugendlichen, dennoch können einige Hinweise als allgemeine Prinzipien auch für die Durchführung des diagnostischen Analyseverfahrens betrachtet werden, weil mit den nachfolgend ausgeführten Hinweisen keine bestimmte Altersgruppe fokussiert wird:

  • Im Vorfeld festgelegte Fragen sollen nicht abgearbeitet werden, weil dies der Offenheit der Gespräche entgegenwirkt.

  • Der Erzählfluss des Kindes soll nicht unterbrochen werden.

  • Pausen im Gespräch sollen zugelassen werden, sie können beispielsweise der Entspannung dienen.

  • Fragen sollen so formuliert werden, dass sie das Kind in seiner Antwort nicht in eine vorbestimmte Richtung lenken (Suggestivfragen vermeiden). Außerdem sollen die Fragen kurz und gut verständlich sein.

  • Die Erzählungen des Kindes dürfen nicht zum Anlass für Belehrungen werden.

  • Die Informationen, die durch die Gespräche mit dem Kind gewonnen werden, sollten für Nachfragen oder nächste Gesprächsanlässe genutzt werden.

Die Ausführungen des vorliegenden Abschnitts zeigen die handlungsleitenden Annahmen für die Entwicklung des Erhebungsteils des Analyseverfahrens auf. Der nächste Abschnitt bezieht sich auf den Auswertungsteil des Analyseverfahrens, daher wird im Folgenden dargestellt, inwiefern das subjektwissenschaftliche Forschungsverfahren als handlungsleitend in Bezug auf die Auswertungsmethode bei der Entwicklung des Analyseverfahrens betrachtet werden muss.

6.1.6 Das subjektwissenschaftliche Forschungsverfahren als diagnostische Auswertungsmethode

Die Auswertung der Gespräche mit dem Kind entspricht der methodischen Vorgehensweise subjektwissenschaftlicher Forschung, wie beispielsweise von Holzkamp (1985) beschrieben. Demnach gilt es in einer Bedingungs-Bedeutungs-Begründungsanalyse zunächst Handlungsmöglichkeiten des Subjekts herauszuarbeiten (Bedingungs-Bedeutungs-Analyse) und diese im zweiten Schritt (Begründungsanalyse) hinsichtlich der Handlungsgründe des befragten Subjekts zu analysieren (Markard 1988). Ergänzt werden diese zwei Schritte durch die Herausarbeitung der Bedeutungskonstellationen, die sich in Form der subjektiven Befindlichkeit in den Aspekten der Situationalität und Personalität widerspiegeln und Aufschluss über die subjektive Erfahrung von Handlungsmöglichkeiten geben, die nach Holzkamp (1985) sowohl in den äußeren als auch in den inneren Lebensbedingungen des Subjekts liegen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Erkenntnisweg bei Anwendung dieses Analyseverfahrens in der Vorgehensweise vom Konkreten zum Abstrakten liegt: Nach Markard (2000) setzt subjektwissenschaftliche Forschung an konkreten Handlungssituationen an, um vom Konkreten zum Allgemeinen zu gelangen. Gleiches gilt für das in der vorliegenden Arbeit entwickelte Analyseverfahren (für die detaillierte Beschreibung der Vorgehensweise siehe Abschnitt 7.2.2). Nicht allgemeine objektiv gegebene Bedingungen werden auf subjektive Problemlagen hin konkretisiert, sondern ausgehend von den geschilderten subjektiven Handlungen der Kinder sollen ihre Begründungen Aufschluss geben über die jeweiligen Bedeutungsstrukturen, welche schließlich zur Rekonstruktion der objektiv gegebenen inneren beziehungsweise äußeren Bedingungen der alltäglichen Lebenssituation führen.

Die bisherigen Ausführungen zeigen die handlungsleitenden Grundannahmen für die Entwicklung des Verfahrens zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen auf. Im Folgenden wird auf dieser Basis resümierend auf die Entwicklung des Verfahrens eingegangen.

6.1.7 Resümee zur vorgenommenen Entwicklung des Verfahrens zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen

Die im vorliegenden Abschnitt erläuterten theoretischen und methodologischen Grundlagen sind handlungsleitend für die Entwicklung des Verfahrens zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen. Nachfolgend wird auf Basis der bisherigen Ausführungen des vorliegenden Abschnitts resümiert, welche Bedeutung die einzeln dargestellten theoretischen und methodologischen Aspekte für die Entwicklung des Verfahrens haben. Dafür werden diese Aspekte prägnant dargestellt und hinsichtlich der Entwicklung des Verfahrens konkretisiert.

Handlungsleitende subjektwissenschaftliche Grundlagen der Kritischen Psychologie

Zentral ist die Annahme, dass das Handeln des Subjekts nicht aufgrund von Lebensbedingungen determiniert ist. Das Subjekt handelt begründet, wobei die Handlungsgründe als Prämissen in den gesellschaftlichen Verhältnissen liegen. Da die subjektiven Handlungsbegründungen kommuniziert werden können, können sie mittels ‚Bedingungs-Bedeutung-Begründungs-Analyse erfasst und ausgewertet werden. Menschliches Handeln wird also im Begründungsdiskurs von der Perspektive der subjektiven Handlungsgründe aus rekonstruiert. Dabei werden Aussagen über erfahrene Handlungsmöglichkeiten oder Handlungsbeschränkungen und nicht über Menschen getroffen, ein ‚Denken in Eigenschaften‘ wird also zurückgewiesen.

Diese subjektwissenschaftlichen Annahmen sind insofern handlungsleitend für die Entwicklung des Verfahrens, da das Ziel des Verfahrens in der Rekonstruktion der Bedingungen der alltäglichen Lebenssituation des beteiligten Kindes liegt. Es werden also zur Erfassung der Informationen zur alltäglichen Lebenssituation, die zur anschließenden Rekonstruktion der Bedingungen herangezogen werden, Fragen an das Kind gestellt beziehungsweise Gespräche mit dem Kind geführt, in denen das wiederkehrende, alltägliche sprachliche und nichtsprachliche Handeln des Kindes und seine Handlungsgründe im Mittelpunkt stehen. Dabei gilt es, Fragen zu vermeiden, die auf die Erfassung von Eigenschaften oder Merkmalen zielen, da Eigenschaften oder Merkmale das Handeln des Kindes nicht erklären. Bei der Auswertung der Informationen zur alltäglichen Lebenssituation und der anschließenden Rekonstruktion von Bedingungen der alltäglichen Lebenssituation des beteiligten Kindes gilt es, Begründungen für die vom Kind beschriebenen Handlungen zu erkennen. Das heißt, dass mit Anwendung des Auswertungsleitfadens des Verfahrens nicht darauf abgezielt wird, aus den Handlungen Eigenschaften oder Merkmale des beteiligten Kindes abzuleiten, sondern auf die zugrunde liegenden Bedingungen des Handelns zu schließen.

Handlungsleitende entwicklungspsychologische Grundlagen zu Gedächtnis und Erinnerung

Da das beteiligte Kind in den Gesprächen nach wiederkehrenden, alltäglichen sprachlichen und nichtsprachlichen Handlungen gefragt wird beziehungsweise eine Verständigung darüber stattfindet, sind die entwicklungspsychologischen Grundlagen zu Gedächtnis und Erinnerung aus folgendem Grund handlungsleitend für die Entwicklung des Verfahrens: Für das beteiligte Kind bedeuten die Gespräche über seine alltäglichen Handlungen und Handlungsbegründungen, dass es sich an Handlungen, Ereignisse, Situationen oder Personen erinnern muss. Bei der Erfassung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation des beteiligten Kindes gilt es, die Fragen oder Gesprächsanlässe an das Kind so zu formulieren, dass es für das Kind möglich wird Erinnerungsbilder zu konstruieren beziehungsweise ein konkretes Vorstellungsbild von den Inhalten der Fragen beziehungsweise Gesprächsanlässe zu entwickeln (zum Beispiel: ‚Stell dir vor, du bist gerade in der Klasse angekommen, hast deine Tasche an deinem Platz abgestellt und setzt dich auf deinen Platz. Andere Kinder deiner Klasse sitzen ebenfalls schon auf ihren Plätzen, zwei Kinder toben um die Tische herum und lachen dabei laut. Ein Kind setzt sich gerade neben dich. Was tust du? Warum?‘).

Handlungsleitende Aspekte und Prinzipien der bildungszielorientierten Förderdiagnostik

Grundlegend für die Entwicklung des Verfahrens sind die Prinzipien der bildungszielorientierten Förderdiagnostik (siehe ausführlich Abschnitt 3.3.1), da das Verfahren auf die Rekonstruktion von Bedingungen der alltäglichen Lebenssituation abzielt, um dieses Wissen der Planung und Durchführung pädagogischer Sprachförderprozesse zugrunde legen zu können. Diagnostik und Förderung werden aus förderdiagnostischer Sicht als einheitlich betrachtet. Das hat zur Folge, dass sowohl die Erfassung als auch die Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Kindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen der diagnostischen Fundierung pädagogischer Sprachförderung dienen und andersherum das Planungskonzept der Kooperativen Sprachdidaktik als Grundlage für die Planung pädagogischer Sprachförderprozesse mit dem Gegenstand der alltäglichen Lebenssituation den Ausgangspunkt der pädagogischen Sprachdiagnostik darstellen.

Kriterien subjektwissenschaftlicher Methodik

Die Entwicklung des Verfahrens zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen erfolgt unter der Berücksichtigung der folgenden Kriterien: Gegenstandsadäquatheit, Mitforschungsprinzip und intersubjektive Nachvollziehbarkeit. Das Kriterium ‚Gegenstandsadäquatheit‘ bezieht sich auf die Methodenwahl. Aufgrund der Berücksichtigung dieses Kriteriums wurde auf das Adaptieren von bereits etablierten Verfahrensweisen, wie beispielsweise Anamneseschemata, verzichtet. Stattdessen wurde eigenständig ein dem Gegenstand angemessenes Verfahren zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation entwickelt, das dem zweiten Kriterium ‚Mitforschungsprinzip‘ dadurch gerecht wird, dass das Kind als am diagnostischen Prozess beteiligt betrachtet und nicht ‚beforscht‘ wird. Durch die Dokumentation der Entwicklung des Verfahrens und der Planung und Durchführung der drei Teilevaluationen wird das Kriterium der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit berücksichtigt.

Das problemzentrierte qualitative Interview als diagnostische Erhebungsmethode

Für die Erfassung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation wird auf die Methode des problemzentrierten qualitativen Interviews zurückgegriffen. Als ‚Problem‘ wird dabei das Thema des Gesprächs betrachtet, das mit dem beteiligten Kind geführt wird, also die wiederkehrenden, alltäglichen sprachlichen und nichtsprachlichen Handlungen und Handlungsgründe des beteiligten Kindes.

Das subjektwissenschaftliche Forschungsverfahren als diagnostische Auswertungsmethode

Für die Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation wurde ein Auswertungsleitfaden entwickelt. Die Grundlage für den Auswertungsleitfaden stellt das subjektwissenschaftliche Forschungsverfahren, genauer die Bedingungs-Bedeutungs-Begründungs-Analyse, dar. Folgende Auswertungsschritte gilt es dabei vorzunehmen:

  1. 1.

    Falldarstellung:

    sachliche und wertfreie Wiedergabe der Gesprächsinhalte

  2. 2.

    Bedingungs – Bedeutungs – Zusammenhang:

    Benennen konkret geäußerter und sinnverstehend interpretierter Handlungsmöglichkeiten und Handlungsbeschränkungen

  3. 3.

    Gründe – Prämissen – Zusammenhang:

    Benennen geäußerter Gründe für a) das Ergreifen von Handlungsmöglichkeiten, b) das Ausklammern von Handlungsmöglichkeiten und c) das Verwerfen von Handlungsmöglichkeiten

  4. 4.

    Subjektive Befindlichkeit:

    Zuordnen der Gründe und Handlungsmöglichkeiten beziehungsweise Handlungsbeschränkungen (= Bedeutungsanordnungen) zum situationalem Aspekt und/oder personalem Aspekt der subjektiven Befindlichkeit

  5. 5.

    Rückschluss auf Lebensbedingungen:

    • sinnverstehende Interpretation der Bedeutungsanordnungen

    • situationaler Aspekt: Rückschluss auf äußere Lebensbedingungen

    • personaler Aspekt: Rückschluss auf innere Lebensbedingungen

    • Formulierung von äußeren und inneren Lebensbedingungen auf drei Ebenen: personale Lage, soziale Lage, kulturelle Lage

Grundlage dieser Darstellung der Auswertungsschritte ist derjenige Auswertungsleitfaden, der parallel zur ersten Teilevaluation entwickelt und im Rahmen der zweiten Teilevaluation erprobt wurde. Der Erprobung lagen diese Auswertungsschritte in Form einer Handanweisung zugrunde und die Ergebnisse der Auswertung galt es in einen vorgegebenen Auswertungsbogen einzutragen. Sowohl die Handanweisung zur Auswertung als auch der Auswertungsbogen sind dokumentiert (siehe Anhang, S. 15 und Anhang, S. 16–19 im elektronischen Zusatzmaterial).

Das Ergebnis der Entwicklung unter den im vorliegenden Abschnitt erläuterten handlungsleitenden Annahmen ist die erste Version des Verfahrens zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen, das anschließend im Rahmen der ersten Teilevaluation (Erfassung von Informationen), der zweiten Teilevaluation (Auswertung von Informationen) sowie der dritten Teilevaluation (gesamtes Verfahren) erprobt und evaluiert wurde. Die erste Version des Verfahrens ist im Anhang (S. 2–44 im elektronischen Zusatzmaterial) dokumentiert.

Auf Basis der dargestellten inhaltlichen und methodischen Grundannahmen zur Entwicklung des Verfahrens wird im folgenden Abschnitt die Erprobung und Evaluation des in der vorliegenden Arbeit entwickelten Verfahrens zur Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt.

6.2 Erprobung und Evaluation des Verfahrens zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen

Das Analyseverfahren wurde im Rahmen von Lehrveranstaltungen im Lehramt für Sonderpädagogik an der Universität Hamburg von Bachelor- und Masterstudierenden mehrfach erprobt. Die gewonnenen Daten wurden ausgewertet und interpretiert. Das Evaluationsvorhaben wurde in drei einzelnen Untersuchungen durchgeführt, deren Ergebnisse jeweils einflussnehmend auf das Analyseverfahren wirkten und damit dem übergeordneten Evaluationsziel der Optimierung des Analyseverfahrens (siehe Abschnitt 6.2.1) dienten. Die einzelnen Teilevaluationen bauen also aufeinander auf. Im Folgenden werden die forschungsmethodischen Grundlagen der drei Untersuchungen beschrieben. Zur Zielerreichung ist es notwendig, klare und messbare Bewertungskriterien zu definieren, die in der vorliegenden Arbeit in Form von Forschungsfragen formuliert werden. Daten müssen entsprechend erhoben und interpretiert werden (Döring & Bortz 2016, 983). Die drei Untersuchungen haben zum Ziel, mittels der Ergebnisse der einen Untersuchung zu einer Überarbeitung und Verbesserung des Analyseverfahrens zu führen, um dann im nächsten Schritt wieder die Grundlage der darauffolgenden Evaluationsstudie zu bilden.

Bevor im Folgenden allgemeine Hinweise auf das Ziel der Evaluation des Analyseverfahrens gegeben werden, ist ein aus forschungsmethodischen Gründen und hinsichtlich der Theoriestruktur der vorliegenden Arbeit zu leistender Hinweis nötig: Jede der drei Teiluntersuchungen verfolgt eigene vertiefende Forschungsfragen (siehe Abschnitt 6.2.1), die zur Auswahl der Datenerhebungs- und auswertungsverfahren führen. Diese Inhalte werden in den jeweiligen Unterkapiteln aufgeführt, transparent gemacht und einzeln beantwortet. Übergreifend jedoch ist festzuhalten: Die Auswertung der erhobenen Daten zielt nicht auf eine Verallgemeinerung im Sinne einer Abstrahierung der jeweiligen Situation und der beteiligten Personen. Es wird in dem Zusammenhang vielmehr von einer Möglichkeitsverallgemeinerung ausgegangen, bei der, wie Holzkamp (1985, 547) konstatiert, zwar allgemeine Aussagen getroffen werden können, aber das Subjekt „unreduziert erhalten bleiben“ (Holzkamp 1985, 547) muss. Insbesondere bedeutet das, dass beispielsweise Bedingungen der alltäglichen Lebenssituation eines Kindes zwar erkannt werden und hier zur Beantwortung der Forschungsfragen der vorliegenden Arbeit beitragen können, jedoch nicht davon ausgegangen werden kann, dass dies über die individuellen Handlungsmöglichkeiten des Einzelfalls hinaus Geltung erlangt.

Aufgrund der bisherigen Überlegungen ist das folgende Kapitel wie folgt gegliedert: Es steht die Darstellung der Erprobung und Evaluation des entwickelten Verfahrens zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen im Mittelpunkt. Nach Ausführungen zur Herleitung der vertiefenden Forschungsfragen (6.2.1) erfolgt darauf aufbauend eine Erläuterung zur Planung des gesamten Evaluationsvorhabens (6.2.2). Anschließend werden die Untersuchungen der Evaluationsstudie (6.2.3, 6.2.4, 6.2.5), die sich in drei Teiluntersuchungen gliedert, chronologisch detailliert beschrieben. Diese Beschreibungen beinhalten jeweils Hinweise zur Samplebildung und zum Sampling, zur Datenerhebungsmethode, zur Datenauswertungsmethode, zu den Ergebnissen sowie Schlussfolgerungen für die Überarbeitung des zu Beginn erstellten Analyseverfahrens (siehe Anhang, S. 2, S. 15 und S. 16 im elektronischen Zusatzmaterial) und die Entstehung der aktualisierten, in der vorliegenden Arbeit präsentierten Fassung (siehe 7.2.2).

6.2.1 Evaluationsziele der drei Teilevaluationen und Herleitung der vertiefenden Forschungsfragen

Wissenschaftliche Evaluation, wie sie in der vorliegenden Untersuchung angewendet wird, zielt auf eine wissenschaftlich fundierte Bewertung auf Basis von Forschungsergebnissen (Döring & Bortz 2016, 977). Für diesen Zweck werden Daten neu erhoben (siehe Abschnitt 6.2.3, 6.2.4 und 6.2.5). Evaluation ist als Prozess zu verstehen, der mit festgelegten Zielen und unter Anwendung empirischer Forschungsmethoden einen Evaluationsgegenstand bewertet (Döring & Bortz 2016, 979). Der Evaluationsgegenstand ist im vorliegenden Fall das in dieser Arbeit entwickelte Verfahren zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen.

Evaluationsstandards

Nach Döring und Bortz (2016, 991 f.) sollte eine wissenschaftliche Evaluation vier Evaluationsstandards entsprechen:

  • Nützlichkeit: Eine Evaluation sollte möglichst nützlich sein, sodass die Interessen und Bedürfnisse der Nutzenden fokussiert werden.

  • Durchführbarkeit: Eine Evaluation sollte realistisch, gut durchdacht, diplomatisch und kostenbewusst sein.

  • Fairness: Eine Evaluation sollte so geplant und durchgeführt werden, dass ein respektvoller und fairer Umgang mit allen Beteiligten gesichert ist und beispielsweise die Ergebnisse allen Beteiligten zugänglich gemacht werden.

  • Genauigkeit: Eine Evaluation sollte so angelegt sein, dass sie das Evaluationsziel erfüllt und entsprechende Informationen und Ergebnisse hervorbringt.

Diese Evaluationsstandards liegen der vorliegenden Studie handlungsleitend zugrunde und wurden zur Transparenz an dieser Stelle aufgeführt. Zudem werden sie in der Zusammenfassung und Reflexion dahingehend analysiert, inwiefern sie in der Studie umgesetzt werden konnten und welche Punkte dabei besonders zu beachten waren (siehe 6.3).

Evaluationsziele

Der Blick der vorliegenden Evaluation ist auf möglichen Verbesserungsbedarf des anfänglichen Analyseverfahrens gerichtet. Als Evaluationsfunktion kann nach Döring und Bortz (2016) für diesen Fall festgestellt werden, dass erstens wissenschaftliche Erkenntnisse über die Wirkung des Gegenstandes, also des Analyseverfahrens, erzielt werden können, um das Wissen der Beteiligten beziehungsweise der zukünftig Beteiligten und der Fachöffentlichkeit erweitern zu können. Konkrete und untersuchbare Evaluationsfragen sind die Grundlage zur Erreichung dieses Ziels (Döring & Bortz 2016, 987).

Zweitens zielt die Untersuchung auf eine zielgerichtete Verbesserung des Analyseverfahrens, womit die Optimierungsfunktion angestrebt wird. Ziel und Ergebnis sollen konkrete und detaillierte Verbesserungsvorschläge sein, die sich umsetzen lassen (Döring & Bortz 2016, 987).

Die vorliegende Untersuchung ist als Evaluation so konzipiert, dass der Fokus auf dem Nutzen der Evaluationsergebnisse liegt, das heißt, es wird letztendlich die Frage verfolgt, welche praktischen Konsequenzen aus den Evaluationsergebnissen gezogen werden können. Nach Döring und Bortz (2016) lassen sich bei so einer nutzungsfokussierten Evaluation zwei Nutzungsarten unterscheiden, die in der vorliegenden Untersuchung anvisiert werden: der instrumentelle und der konzeptionelle Nutzen. Bei der instrumentellen Nutzung sollen die Ergebnisse zur Verbesserung der „Maßnahme und ihrer Durchführung“ (Döring & Bortz 2016, 1013) genutzt werden können. Im vorliegenden Fall handelt es sich nicht um eine Maßnahme, deren Durchführung evaluiert wird, dennoch steht auch hier im Fokus, inwiefern die Ergebnisse der Evaluation zur Optimierung des Analyseverfahrens beitragen können.

Zudem sollen die Ergebnisse dazu genutzt werden können, das Verstehen theoretischer Grundlagen der Konzipierung des Analyseverfahrens bei der Anwendung des Analyseverfahrens erweitern zu können. Der Fokus liegt bei einer solchen konzeptuellen Nutzung auf der Erkenntnisfunktion (Döring & Bortz 2016, 1013) und die Ergebnisse leisten dann einen Beitrag hinsichtlich der inhaltlichen Weiterentwicklung des Analyseverfahrens.

Diese zwei Nutzungsarten, instrumentell und konzeptuell, führen zu den in der Evaluation verfolgten Zielen, die die Unterteilung in drei Teilevaluationen begründen lassen, um auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse das Analyseverfahren zu verbessern. Das allen drei Teilevaluationen übergeordnete Evaluationsziel besteht in der Modifikation des gesamten Analyseverfahrens und lässt sich entsprechend der drei Teilevaluationen in Erkenntnisse über folgende Punkte aufschlüsseln:

  • die Gelingensbedingungen des Erhebungsteils im Analyseverfahren (1. Teilevaluation, siehe 6.2.3),

  • die Praktikabilität des Auswertungsteils im Analyseverfahren (2. Teilevaluation, siehe 6.2.4),

  • die Reliabilität des gesamten, auf Basis der Erkenntnisse der ersten und zweiten Teilevaluation überarbeiteten Analyseverfahrens (3. Teilevaluation, siehe 6.2.5) und

  • die Bedeutung der Verständigung über die alltäglichen Handlungen eines Kindes für das Erkennen der Bedingungen der alltäglichen Lebenssituation, wenn das Ziel der Erweiterung der sprachlichen Handlungsfähigkeit in der alltäglichen Lebenssituation des Kindes verfolgt wird (3. Teilevaluation, siehe 6.2.5).

Daher werden in den drei Teilevaluation jeweils unterschiedliche Forschungsfragen verfolgt. Die nachfolgende Übersicht (siehe Tabelle 6.1) stellt für jede Teilevaluation jeweils das Erkenntnisinteresse sowie die jeweils fokussierten Forschungsfragen dar.

Tabelle 6.1 Übersicht über Erkenntnisinteresse und Forschungsfrage jeder Teilevaluation

Als Ergebnis liegen zu jeder Teiluntersuchung Beschreibungen der Befunde, begründete Interpretationen sowie eine Überarbeitung des Analyseverfahrens vor. Außerdem werden die Ergebnisse zu allen drei Teiluntersuchungen zu einer umfassenden übergreifenden Formulierung von Handlungsempfehlungen für zukünftige am Verfahren beteiligte Personen genutzt und in Abschnitt 7.2.2 im Rahmen der Darstellung der Vorgehensweise bei der Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen ausführlich erläutert.

In dem nächsten Abschnitt wird das Untersuchungsdesign beschrieben. Nach Döring und Bortz (2016) können die Entscheidungen für verschiedene Dimensionen von Untersuchungsdesigns nur dann dem Kriterium der Wissenschaftlichkeit entsprechen, wenn sie intersubjektiv nachvollziehbar sind. Aus diesem Grund wird zunächst die über alle drei Teilevaluationen übergreifende Planung des Evaluationsvorhabens erläutert.

6.2.2 Planung des Evaluationsvorhabens: Teilevaluationsübergreifende Überlegungen zu Samplebildung, Datenerhebung und Datenauswertung

Im vorliegenden Abschnitt werden, um Redundanz zu vermeiden, übergreifende Hinweise zur Planung des Evaluationsvorhabens gegeben, damit transparent dargelegt wird, welche methodologischen Annahmen der Samplebildung, Datenerhebung sowie Datenauswertung übergreifend über die drei Teilevaluationen zugrunde liegen. Eine konkrete Erläuterung zum Sampling und zum Sample, zur Datenerhebungs- und Datenauswertungsmethode wird jeweils zu Beginn der Darstellung jeder Teilevaluation vorgenommen.

Samplebildung

In diesem Abschnitt werden zuerst die Methoden des Samplings in qualitativen Studien dargestellt. Im weiteren Verlauf des vorliegenden Kapitels wird auf dieser theoretischen Basis zu jeder Teilevaluation die spezifische Samplebildung beschrieben werden.

Döring und Bortz (2016) beschreiben drei absichtsvolle Sampling-Strategien bei qualitativer Forschung: Theoretische Stichprobe, Fallauswahl gemäß einem qualitativen Stichprobenplan und gezielte Auswahl bestimmter Arten von Fällen. Diese Strategien können zur Auswahl von Fällen für eine qualitative Untersuchung genutzt werden. Ziel des Samplings ist die gezielte Auswahl solcher Fälle, die „besonders aussagekräftig für die Fragestellung“ (Döring & Bortz 2016, 302) sind.

Zur Samplebildung in den vorliegenden Untersuchungen wurde die theoretische Stichprobenbildung gewählt, bei der die Fallauswahl bewusst gesteuert wird, um einen möglichst hohen Erkenntniswert zu erzielen (Döring & Bortz 2016).

Es wurden jeweils zu Beginn der Fallauswahl theoriegeleitet Kriterien entwickelt, um festzulegen, welche Fälle in das Sample aufgenommen werden, wobei eine Anzahl von Fällen nicht im Vorfeld festgelegt wurde. Es liegen jeweils kleine Samples vor, die aus forschungsökonomischen Gründen nicht größer gebildet werden konnten.

Eine theoretische Sättigung lag jeweils zum Abschluss der Samplebildung nicht vor, es hätten bei jeder Teiluntersuchung durchaus weitere Fälle einen zusätzlichen Informationsgehalt versprechen können, dennoch musste aus forschungsökonomischen Gründen die Samplebildung abgeschlossen werden. Ausschlaggebend für die Entscheidung, keine weiteren Fälle aufzunehmen, waren allein die zeitlichen und finanziellen Ressourcen. Es wird damit zwar die theoriebildende Aussagekraft verringert, dennoch kann davon ausgegangen werden, dass es sich um besonders typische Fälle handelt, die einen ausreichenden Erkenntnisgewinn zulassen.

Auf einen qualitativen Stichprobenplan wurde bei allen Teiluntersuchungen verzichtet, da die Merkmale und ihre Kombination ersichtlich sind und weitere Merkmale aufgrund der zeitlichen und finanziellen Einschränkungen, unter denen die Untersuchungen durchgeführt wurden, nicht aufgenommen werden konnten. So kann davon ausgegangen werden, dass das jeweilige Untersuchungsfeld zwar nicht in seiner gesamten Breite, aber intersubjektiv nachvollziehbar abgebildet wird.

Datenerhebungsmethode: Problemzentriertes Interview nach Witzel (2000)

Aufgrund der Tatsache, dass die erste und dritte Teilevaluation auf ein problemzentriertes Interview nach Witzel (2000) als Datenerhebungsmethode zurückgreifen, werden im Folgenden wesentliche Kennzeichen dieser empirischen Datenerhebungsmethode aufgezeigt, womit zugleich die Auswahl dieser Erhebungsmethode begründet wird. In der zweiten Teilevaluation erfolgt die Datenerhebung anhand eines vollstrukturierten Fragebogens. Da es sich nur bei der zweiten Teilevaluation um diese Datenerhebungsmethode handelt, wird im vorliegenden, übergreifend angelegten Abschnitt nicht erläuternd darauf eingegangen, sondern diese Vorgehensweise wird im Rahmen der Darstellung zur forschungsmethodischen Vorgehensweise bei der Datenerhebung in der zweiten Teilevaluation direkt erläutert (siehe Abschnitt 6.2.4.2).

Es handelt sich bei dem problemzentrierten qualitativen Interview um eine reaktive Datenmethode, bei der die an den Interviews beteiligten Personen wissen, dass sie an dieser Untersuchung teilnehmen (Döring & Bortz 2016, 323). Der Interviewverlauf wird nicht allein durch die interviewende Person gesteuert, sondern die am Interview beteiligten Personen steuern das Interview mit, da es sich um offene Fragen handelt, auf die sie antworten und aus denen sich weitere Gesprächsimpulse ergeben können. So besteht die Möglichkeit, auch neue Fragen spontan zu stellen und zu beantworten (Döring & Bortz 2016, 365). Verschiedene Schwerpunkte können beziehungsweise sollen individuell gesetzt und vertiefend thematisiert werden.

Bei dieser Form der Datenerhebung wird die interviewende Person unmittelbar zum „Erhebungsinstrument“ (Döring & Bortz 2016, 365). Durch Rückfragen wird direkt auf die am Interview beteiligten Kinder und ihre Äußerungen eingegangen. Des Weiteren fließen eigene Gedanken, Gefühle und Reaktionen auf das Gespräch mit in die Analyse ein, müssen dann aber dem Kriterium der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit gerecht werden (Döring & Bortz 2016, 365).

Erläuterungen zur inhaltlichen Vorbereitung, die mit der Festlegung des Befragungsthemas und der Wahl der geeigneten qualitativen Befragungstechnik die Planung der Untersuchung betrifft, wurden im Abschnitt 6.1 beschrieben und hier nicht erneut dargestellt.

Zur organisatorischen Vorbereitung der vorliegenden Untersuchung wurde, entsprechend der Ausführungen von Döring und Bortz (2016, 365), die interviewende Person geschult, die Interviewdurchführung erprobt und das Interviewmaterial zusammengestellt.

Für jedes Interview liegt ein Interviewleitfaden, der halbstrukturiert beziehungsweise teilstrukturiert (Döring & Bortz 2016, 372) konzipiert ist, zugrunde. Mit einer Liste offener Fragen ist eine Vergleichbarkeit der Interviews gewährleistet, aber dennoch kann das Interview flexibel an die jeweilige Interviewsituation angepasst werden. Als ein Grundgerüst bietet es der interviewenden Person Sicherheit, lässt aber „genügend Spielraum, spontan aus der Interviewsituation heraus neue Fragen und Themen einzubeziehen“ (Döring & Bortz 2016, 372). Aus diesem Grund werden im Interviewleitfaden die Fragen nicht wörtlich vorgegeben, sondern diese müssen passend zur Interviewsituation und zu dem am Interview beteiligten Kind aus der Situation heraus formuliert werden.

Die genutzten Interviewleitfäden sind im Anhang (siehe Anhang, S. 6 und S. 43 im elektronischen Zusatzmaterial). Das Rohmaterial in Form von Gesprächsnotizen sowie die Transkripte zweier Interviews einer Masterarbeit (Koch 2019), die im Rahmen des Lehramts für Sonderpädagogik an der Universität Hamburg verfasst wurde, werden aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht veröffentlicht. Da, wie bei der Entwicklung des Analyseverfahrens (siehe Abschnitt 7.2.2) beschrieben, keine Audioaufnahmen der Interviews zwingend erfolgen müssen, werden die Gespräche notiert und als Rohdatenmaterial aufbereitet, sodass dieser Text des jeweiligen Einzelfalls ausgewertet werden kann. Im folgenden Abschnitt wird neben der Vorbereitung dieser systematischen Datenanalyse auf die konkrete Vorgehensweise bei der Auswertung mittels inhaltlich strukturierender qualitativer Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) eingegangen.

Datenauswertungsmethode: Die inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018)

In allen drei Teilevaluationen wird für die Datenauswertung die inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) gewählt. Für die erste und dritte Teilevaluation gilt dies ausschließlich, in der zweiten Teilevaluation wird zusätzlich auf eine Datenauswertungsmethode der deskriptiven Statistik zurückgegriffen, um Aussagen zu Häufigkeitsverteilungen treffen zu können.

Um die Daten aus den geführten Interviews auswerten zu können, ist es als Vorbereitung in einem ersten Schritt notwendig, einen Datensatz zu erstellen, damit das Rohdatenmaterial strukturiert zur Verfügung steht. Die Gesprächsnotizen wurden deshalb als Erstes entsprechend der Empfehlung von Döring und Bortz (2016, 580) sortiert, einander zugeordnet, digitalisiert und einheitlich formatiert. Die Sortierung und Zuordnung sind notwendig, da die Gespräche zwischen der interviewenden Person und den am Interview beteiligten Kindern mehrfach stattgefunden haben und handschriftlich notiert wurden. Audioaufzeichnungen haben in der ersten und zweiten Teilevaluation nicht stattgefunden, weshalb keine Transkription notwendig wurde. Einzig in der dritten Teilevaluation liegen Interviewdaten der Auswertung zugrunde, die im Rahmen einer Masterarbeit im Lehramt für Sonderpädagogik an der Universität Hamburg erhoben wurden. Diese Daten liegen zur Auswertung in transkribierter Form vor, werden aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht angehängt. Die Interviews wurden von der Verfasserin der Masterarbeit geführt, aufgezeichnet und transkribiert. Im Anhang (siehe S. 1 im elektronischen Zusatzmaterial) sind die Transkriptionsregeln aufgeführt, die sowohl der Transkription als auch der Formatierung der Gesprächsnotizen zugrunde liegen.

In einem zweiten Schritt wurden die erstellten Datensätze durch Metainformationen ergänzt, dazu gehören das Datum und die Uhrzeit sowie der Ort, an dem das Gespräch jeweils stattgefunden hat, außerdem gegebenenfalls Informationen zu Störungen des Gesprächsverlaufs.

Als Drittes wurden Informationen aus den Datensätzen entfernt, die Rückschlüsse auf Personen oder Orte zulassen könnten, sodass pseudonymisierte Datensätze in die Datenauswertung einfließen.

Zuletzt wurden die Rohdaten zur besseren Lesbarkeit bereinigt, wobei nur wenige Details entfernt wurden, die nicht zur Auswertung herangezogen werden können, wie beispielsweise doppelte Notizen und Korrekturen der interviewenden Person. Die Gesprächsinhalte wurden weitestgehend schon während des Notierens entsprechend der rechtschriftlichen Konventionen niedergeschrieben.

Nach den Vorbereitungen gilt es, die Daten auszuwerten. Die inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse wurde als Auswertungsverfahren gewählt, weil es geeignet erscheint, um aus dem gegebenen Textmaterial systematisch die „manifesten Inhalte“ (Döring & Bortz 2016, 602) zu identifizieren. Es wird ein exploratives Erkenntnisinteresse verfolgt, genauer sollen im jeweiligen Einzelfall zum einen die Bedingungen der alltäglichen Lebenssituation identifiziert werden. Zum anderen sollen im jeweiligen Einzelfall die Bedingungen hinsichtlich ihrer sprachförderlichen Relevanz untersucht werden. Es handelt sich also um eine fallbezogene Auswertung, da das Datenmaterial fallweise ausgewertet wird. Ein Fall besteht aus den Gesprächen beziehungsweise aus dem Gespräch mit jeweils einem am Interview beteiligten Kind. Die Fälle werden dabei sequenziell bearbeitet und teilweise auch mehrfach im hermeneutischen Sinne (Döring & Bortz 2016, 603).

Die Kategorienbildung in den vorliegenden Evaluationsstudien wurde sowohl als „a-priori-Kategorienbildung“ (Kuckartz 2018, 64) als auch als induktive Kategorienbildung vorgenommen. Die erste Art der Kategorienbildung ist gekennzeichnet durch die Erstellung eines Kategoriensystems, bevor Einsicht in die Daten genommen wird. Unabhängig von den empirischen Daten werden aus theoretischen Bezügen und hinsichtlich der Forschungsfrage die Kategorien gebildet (Kuckartz 2018, 64 ff.). Die zweite Art der Kategorienbildung geschieht direkt am Material. Bei der ersten Auseinandersetzung mit dem Material wird offen kodiert, das heißt, es wird alles, was durch den Text induziert wird, festgehalten. So werden Konzepte entwickelt und benannt, aus denen sich bei fortlaufender Auseinandersetzung mit dem Material die induktiven Kategorien entwickeln (Kuckartz 2018).

Das Ziel der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse ist für alle drei Teiluntersuchungen gleich: Da es sich um eine Methode handelt, die als „komprimierend und resümierend“ (Kuckartz 2018, 52) zu bezeichnen ist, wird das Material zu bestimmten inhaltlichen Bereichen strukturiert, das heißt, es werden die zur Beantwortung der jeweiligen Forschungsfragen zentralen inhaltlichen Aspekte aus dem Material gewonnen.

Wie die Kodiereinheiten in der jeweiligen Teilevaluation bestimmt werden, unterscheidet sich je nach Forschungsfrage und wird bei der Beschreibung der jeweiligen Teilevaluation aufgegriffen (siehe Abschnitte 6.2.3.3, 6.2.4.3.2 und 6.2.5.3). Im Rahmen der Erläuterungen zur Datenauswertungsmethode der zweiten Teilevaluation wird zusätzlich die Vorgehensweise zur quantitativen Auswertung der Daten mittels SPSS beschrieben. Diese Darstellung erfolgt nicht im vorliegenden Abschnitt, da diese Datenauswertungsmethode nur in der zweiten Teilevaluation angewendet wird und eine über alle drei Teilevaluationen übergreifende Erläuterung aus diesem Grund nicht notwendig erscheint.

Abschließend wird zusammenfassend und übersichtlich dargestellt, welche Forschungsfragen einschließlich möglicher Teilfragen in der jeweiligen Teilevaluation verfolgt werden und auf welche Datenerhebungs- und Datenauswertungsmethode jeweils zurückgegriffen wird (siehe Tabelle 6.2).

Tabelle 6.2 Übersicht über Erkenntnisinteresse, Forschungsfragen, Datenerhebungs- und Datenauswertungsmethoden zu den drei Teilevaluationen

In den folgenden Abschnitten werden die drei Teilevaluationen nacheinander dargestellt, da diese unterschiedliche Forschungsfragen verfolgen, sich damit die Samples unterscheiden und die Instrumente zur Datenerhebung und -auswertung auf Grundlage der bisher beschriebenen methodischen Annahmen des vorliegenden Kapitels individuell erstellt wurden.

6.2.3 Teilevaluation 1: Gelingensbedingungen und Gütekriterien für die Erfassung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation

Im Folgenden werden mit der ersten Teilevaluation die Gelingensbedingungen für die Durchführung des Erhebungsverfahrens als Teil des Verfahrens zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Kindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen fokussiert.

Studierende des Master-Studiengangs Lehramt für Sonderpädagogik mit dem Studienschwerpunkt Sprache haben diesen Teil des Analyseverfahrens im Wintersemester 2018/2019 erprobt und wurden nach Abschluss der Erprobung befragt. Die Erprobung des Erhebungsteils des Analyseverfahrens bestand in der Durchführung von Gesprächen mit den beteiligten Kindern, um Informationen zu der alltäglichen Lebenssituation der beteiligten Kinder erfassen zu können. Für diese Vorgehensweise zur Erfassung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation der beteiligten Kinder lag den Studierenden, die die Gespräche geführt haben, eine Anweisung zur Durchführung vor, die zum Zweck der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit (siehe Anhang, S. 2 f. im elektronischen Zusatzmaterial) dokumentiert ist.

Es werden zunächst die Forschungsfragen aufgezeigt, bevor die Samplebildung und das Sampling der Studierenden (6.2.3.1), die Datenerhebungsmethode mittels problemzentrierten qualitativen Interviews (6.2.3.2) sowie die Datenauswertungsmethode mit der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse (6.2.3.3) beschrieben werden. Nach der Darstellung der Ergebnisse (6.2.3.4) und der Beantwortung der Forschungsfragen (6.2.3.5) werden Schlussfolgerungen für die Modifikation des Analyseverfahrens (6.2.3.6) gezogen.

Die Befragung der Studierenden im Anschluss an die Erprobung des Erhebungsverfahrens erfolgte anhand eines qualitativen Interviews und diente damit der Datenerhebung zur Beantwortung der folgenden zwei Forschungsfragen der vorliegenden ersten Teilevaluation:

  1. 1.

    Unter welchen Bedingungen wird die Erhebung im Analyseverfahren von Studierenden des Studiengangs Lehramt für Sonderpädagogik als ‚gelungen‘ betrachtet? Das heißt, unter welchen Bedingungen werden Daten gewonnen, die zur Analyse herangezogen werden können?

  2. 2.

    Unter welchen Bedingungen werden aus Sicht der durchführenden Studierenden des Studiengangs Lehramt für Sonderpädagogik die Gütekriterien (Gestaltung diagnostischer Situationen und Haltung der diagnostizierenden Person) sonderpädagogischer Förderdiagnostik nach Jetter, Schmidt und Schönberger (1983) erfüllt?

Zur Erläuterung der Gütekriterien ‚Gestaltung diagnostischer Situationen‘ und ‚Haltung der diagnostizierenden Person‘ wird auf den Abschnitt 3.3.1.3 der vorliegenden Arbeit verwiesen.

6.2.3.1 Auswahl der befragten Personen

Das Sample stellen in diesem Fall jene Personen dar, die die Erhebungssituation erproben. Drei Kriterien liegen der Samplebildung in dieser Teilevaluation zugrunde: Erstens sind es inhaltliche Grundlagen beziehungsweise Kenntnisse im Förderschwerpunkt Pädagogik bei Beeinträchtigung der Sprache. Dies wird dadurch gewährleistet, dass die an der Evaluation beteiligten Studierenden diesen Förderschwerpunkt für ihr Masterstudium an der Universität Hamburg gewählt haben. Damit ist zugleich das zweite Kriterium erfüllt, nämlich Vorkenntnisse im Bereich Diagnostik und Förderung sprachlich-kommunikativer Kompetenzen zu haben. Als Drittes war es erforderlich, dass die Studierenden selbst einen Zugang (beispielsweise durch Praktika oder eine Tätigkeit an einer Schule) zu Schulkindern mit einem Förderbedürfnis im Bereich Sprache im sprachhandlungstheoretischen Sinne haben, die dann an der Erprobung des Erhebungsverfahrens beteiligt sind.

Es ergibt sich ein Sample bestehend aus sechs Studierenden des Lehramts für Sonderpädagogik im Master an der Universität Hamburg mit dem Studienschwerpunkt Sprache.

6.2.3.2 Datenerhebungsmethode: Problemzentriertes Interview nach Witzel (2000)

Für die Datenerhebung wurde das problemzentrierte Interview (Witzel 2000) als Methode gewählt, dem ein teilstrukturierter Interviewleitfaden zugrunde liegt. An dieser Stelle eignete sich ein teilstrukturiertes Interview (Leitfaden siehe Anhang, S. 6 im elektronischen Zusatzmaterial), da die Studierenden und ihre Erfahrungen mit der Erhebung im Vordergrund standen und explizit dazugehörige Aspekte erfasst werden sollten.

Es wurden sechs Studierende jeweils im Anschluss an die Erprobung der Erfassung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation befragt. Mit zwei Studierenden (Fall A, Fall B) wurde ein gemeinsames Interview geführt, wobei die Studierenden nacheinander geantwortet haben. Das gemeinsame Interview wurde als Erhebungsmethode gewählt, da es aus forschungspraktischen Gründen nicht möglich war, die Studierenden einzeln zu befragen. Mit zwei weiteren Studierenden (Fall D, Fall E) wurde jeweils ein Einzelinterview geführt. Des Weiteren wurden zwei weitere Studierende gemeinsam mit zwei bereits befragten Studierenden als Gruppe (Fall A, Fall B, Fall C und Fall F) interviewt. Diese Vorgehensweise ist forschungsökonomisch begründet.

Mit den anderen drei Studierenden wurden Einzelinterviews geführt. So liegen insgesamt vier Interviews von jeweils etwa 15 Minuten Dauer vor. Das gemeinsame Interview (Fall A und Fall B) wurde aufgezeichnet und transkribiert. Alle weiteren Interviews wurden schriftlich protokolliert.

6.2.3.3 Datenauswertungsmethode: Inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018)

Für die Datenauswertung wurde, wie in Abschnitt 6.2.2 beschrieben, die Methode der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) gewählt.

Zur Auswertung der Interviews wurden in Form einer „a-priori-Kategorienbildung“ (Kuckartz 2018, 64 f.) anhand des Interviewleitfadens Kategorien entwickelt, die auf den gleichen methodologischen Annahmen beruhen, die zur Konzipierung des Interviewleitfadens herangezogen wurden. Im weiteren Verlauf wurden bei der Auswertung auch induktive Kategorien anhand des Materials entwickelt. Durch die Kombination der beiden Arten der Kategorienbildung konnte gewährleistet werden, dass nichts übersehen wird, was für die Beantwortung der Forschungsfragen der ersten Teilevaluation zuträglich ist. Die Kategorien wurden als Kodierleitfaden (siehe Anhang, S. 6–9 im elektronischen Zusatzmaterial) zusammengefasst. Die Interviews wurden mithilfe des Kodierleitfadens kodiert.

6.2.3.4 Detaillierte Ergebnisdarstellung der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse zu Gelingensbedingungen und Gütekriterien für die Erfassung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation

Im Folgenden werden die Ergebnisse der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse der ersten Teilevaluation dargestellt. Dafür werden nacheinander die Befunde jeder Kategorie zusammengefasst beschrieben, um auf dieser Grundlage anschließend die Forschungsfragen der ersten Teilevaluation (siehe Abschnitt 6.2.3.5) beantworten zu können. Aus der Ergebnisdarstellung resultieren schließlich die Schlussfolgerungen für die Modifikation des Erhebungsverfahrens im Verfahren zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen (siehe Abschnitt 6.2.3.6).

Zur Übersicht wird zunächst zu jeder Kategorie aufgezeigt, wieviele Kodiereinheiten dem Kode zugeordnet wurden:

  • K1.1.1 Erzählgenerierende Fragen: 5 Kodiereinheiten

  • K1.1.2 Geschlossenes Frageformat: 4 Kodiereinheiten

  • K1.2 Beziehung: 4 Kodiereinheiten

  • K1.3 Hemmende Faktoren: 3 Kodiereinheiten

  • K1.4 Haltung der diagnostizierenden Person: 4 Kodiereinheiten

  • K2.1 angemessene Hilfsmittel: 2 Kodiereinheiten

  • K2.2 unangemessene Hilfsmittel: 7 Kodiereinheiten

  • K2.3 Verbesserung der Hilfsmittel: 12 Kodiereinheiten

Nachfolgend werden die Ergebnisse der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse detailliert dargestellt.

Kategorie 1: Gelingensbedingungen

K1.1 Fragen

K1.1.1 Erzählgenerierende Fragen

Es wird von der Schwierigkeit berichtet, wenn eine zu offene Frage gestellt wird. Das Kind wisse dann nicht, was genau es antworten kann. Es wird daher festgestellt, dass halboffene Frageformate eher zu dem Ziel führen, Daten für die Auswertung zu gewinnen (Fall E).

Des Weiteren ist auf Basis der kodierten Textpassagen festzustellen, dass die an das Kind gerichteten Fragen so formuliert sein sollten, dass dem Kind eine bildliche Vorstellung von dem Gefragten ermöglicht wird (Fall E).

K1.1.2 Geschlossenes Frageformat

In einem Fall führte eine geschlossene Frage zu Schwierigkeiten bei der Beantwortung, da keine Erzählung generiert wurde. Die Frage lautete in diesem Fall: „Magst du vielleicht erzählen, was ihr gerade im Unterricht macht?“ (Interview 1, Zeile 43).

Auch in einem weiteren Fall wird die Schwierigkeit geschlossener Frageformate deutlich: Im Fall E musste bei einer gestellten Frage, die eine Antwort mit ja oder nein erfordert, entsprechend nachgefragt werden, um Informationen zu erhalten.

K1.2 Beziehung

In drei Fällen (A, D, E) wird für die Interviewsituation eine gute, kooperative Beziehung zwischen Kind und erwachsener Person als relevant hervorgehoben. Ein Kind antwortet zu Beginn „zögerlich“ (Interview 3, Zeile 24), in einem anderen Fall wurde festgestellt, dass das beteiligte Kind zum einen im Laufe eines Gesprächs als auch im zweiten geführten Interview „offener“ (Interview 1, Zeile 51 ff.) wurde. Die Beziehung kooperativ zu gestalten, erscheint aufgrund der Interviewaussagen auch deshalb wichtig, weil so die interviewende Person zusätzliches Wissen über das Kind gewinnt, im Vergleich zu einer dem Kind völlig fremden Person, die das Interview führen würde (Fall E).

K1.3 Hemmende Faktoren

In zwei Fällen (Fall A, Fall B) wird sich im Interview in Bezug auf Faktoren geäußert, die hinsichtlich der Generierung eines Erzählflusses bei dem beteiligten Kind hemmend wirken. In beiden Fällen führte eine anwesende Protokollantin zur Irritation bei dem beteiligten Kind (Fall A, Fall B). Des Weiteren wird in einem Fall davon gesprochen, dass es als „Problem“ (Interview 1, Zeile 65–70) betrachtet wurde, dass das Kind eine „undeutliche Aussprache“ (Interview 1, Zeile 65–70) hatte und daher schlecht verstanden wurde. Das wiederum führte zu häufigeren Nachfragen, die als hemmend in Bezug auf den Gesprächsfluss betrachtet wurden (Fall A).

K1.4 Haltung der diagnostizierenden Person

Auf Basis der kodierten Textpassagen lässt sich feststellen, dass in vier Fällen (A, B, C, F) die explorative Haltung der diagnostizierenden Person in Zusammenhang mit einer guten Beziehung zum Kind als positiv betrachtet wird, wobei nicht näher darauf eingegangen wird, wie genau sich eine gute Beziehung definiert. Wissen über das Kind lässt sich auf Basis der Aussagen zum einen als Voraussetzung für eine explorative Haltung einschätzen, zum anderen resultiert eben jenes Wissen aus dieser Haltung. In diesem Zusammenhang wird von vier Studierenden (Fall A, B, C, F) der Begriff der Kooperation genannt, die notwendig sei, um die Motivation zur Teilnahme zu erhöhen, sodass kein beteiligtes Kind zum Gespräch gezwungen wird.

Die explorative Haltung der diagnostizierenden Person wurde in Zusammenhang gebracht mit der Offenheit des Interviewleitfadens. Die befragten Studierenden stellen fest, dass zu große Offenheit der Frageformate Schwierigkeiten bereitet, Daten zu gewinnen (Fall A, B, C, F), sodass ein Leitfaden mit wichtigen Fragen in manchen Fällen sinnvoll erscheint, aber nicht als obligatorisch betrachtet wird (Fall A, B, C, F).

Kategorie 2: Angemessenheit und Praktikabilität der Hilfsmittel

K2.1 Angemessene Hilfsmittel

Eine Fundstelle weist auf die Angemessenheit der Hilfsmittel hin (Fall D), in diesem Fall wird der zu dem Erprobungszeitpunkt entwickelte Auswertungsleitfaden (siehe Anhang, S. 2 f. im elektronischen Zusatzmaterial) als hilfreich betrachtet, da die Auswertungsschritte zur Vorbereitung auf die Interviewsituation genutzt wurden. Das Interview konnte anhand der Auswertungsschritte hinsichtlich möglicher Gesprächsthemen geplant werden.

Das Gedächtnisprotokoll, das nach der Erhebungssituation ausgefüllt werden soll (siehe Anhang, S. 5 im elektronischen Zusatzmaterial), wird von vier Befragten als sinnvoll erachtet (Fall A, B, C, F). Von den anderen zwei Befragten liegen hierzu keine Informationen vor.

K2.2 Unangemessene Hilfsmittel

Als nicht angemessen bei der Vorbereitung der Interviewsituation wird angeführt, dass, wenn es keinen Leitfaden mit im Vorfeld formulierten Interviewfragen gibt, die Vorgehensweise zu offen ist und es zu Schwierigkeiten bei der Gesprächsführung kommt, die durch die Existenz eines teilstrukturierten Interviewleitfadens hätten vermieden werden können (Fall A, B, C, F).

Die Erläuterung einer Befragten verdeutlicht, dass es während der Gesprächssituation schwierig sein kann, sowohl das Gespräch zu führen als auch zu protokollieren (Fall D).

Zudem hatte das vorstrukturierte Protokoll-Dokument eine einschüchternde Wirkung auf das beteiligte Kind (Fall D), weshalb es aus Sicht der interviewführenden Person sinnvoller wäre, dafür leere Blätter zu benutzen. Außerdem wurde in vier Fällen die Transparenz betont, das heißt, sich mit dem beteiligten Kind darüber zu verständigen, warum während des Gesprächs protokolliert wird (Fall A, B, C, F).

K2.5 Verbesserung der Hilfsmittel

Die Studierenden, die Interviews mit Kindern geführt haben, konnten mehrere Hinweise geben, wie die Interviewsituation verbessert werden kann, damit das Interview als gelungen betrachtet werden kann. In vier Fällen (A, B, C, F) wurde sich ein Leitfaden für die Interviewdurchführung gewünscht sowie eine Belohnung für das beteiligte Kind als Anreiz für die Teilnahme.

In einem Fall wäre es wünschenswert gewesen, wenn die Vorgabe und die Hinweise zur Interviewdurchführung es erlaubt hätten, dem Spielbedürfnis (Fall A) und in einem weiteren Fall dem Bedürfnis nach Bewegung (Fall E) des beteiligten Kindes gerecht zu werden.

Des Weiteren wurden folgende Hinweise zur Verbesserung der Hilfsmittel gegeben: Das Gespräch könnte durch Visualisierung des Gesagten unterstützt werden. Auch wird eine Tonaufnahme zusätzlich zum Protokoll als eventuell hilfreich betrachtet. Außerdem wäre sowohl eine Schulung zur Formulierung von offenen und geschlossenen Fragen wünschenswert gewesen als auch eine Phase der Erprobung von möglichen an das Kind gerichteten Fragen (Fall A, Fall D).

Offen bleiben bei den befragten Studierenden die Fragen, wie die diagnostizierende Person mit einem hohen Mitteilungsbedürfnis des Kindes umgehen kann beziehungsweise muss, ob und wie das Gespräch gelenkt werden darf beziehungsweise muss (Fall D) sowie die Frage danach, ob auf das Spielbedürfnis eingegangen werden kann (Fall A, B, C, F).

6.2.3.5 Beantwortung der Forschungsfragen der ersten Teilevaluation

In diesem Abschnitt werden die Forschungsfragen aufgeführt und auf Basis der gewonnenen und zuvor dargestellten Forschungsergebnisse beantwortet, die auf der Befragung von Studierenden beruhen, die das Erhebungsverfahren im Verfahren zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen erprobt haben.

6.2.3.5.1 Gelingensbedingungen für die Erfassung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation

Im vorliegenden Abschnitt wird die erste Forschungsfrage der ersten Teilevaluation beantwortet, welche lautet:

Unter welchen Bedingungen wird das Erfassen von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen von den Befragten als ‚gelungen‘ betrachtet?

Das Erfassen von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Kindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen mithilfe des Erhebungsverfahrens wird von den Befragten dann als gelungen betrachtet, wenn solche Informationen gesammelt werden können, die im zweiten Teil des Verfahrens ausgewertet werden können und somit Rückschlüsse auf die Bedingungen des Handelns des befragten Kindes zulassen. Kurz gesagt: Die Erhebung ist gelungen, wenn auswertbare Informationen gesammelt wurden. Um genau solche Informationen vom Kind im Gespräch zu erhalten, sind verschiedene Voraussetzungen notwendig, die sowohl die Gesprächsführung als auch die Beziehung zwischen Kind und Interviewer oder Interviewerin und die Planung des Interviews betreffen.

Auf Basis der Befunde lässt sich darüber hinaus schlussfolgern, dass eine schon vorhandene positive und vertrauensvolle Beziehung zum Kind insofern förderlich auf das Gelingen der Informationserfassung wirkt, als durch im Vorfeld geführte Gespräche bereits Wissen über das Kind vorhanden ist, welches bei der Planung der diagnostischen Situation berücksichtigt und genutzt werden kann. Außerdem fördert ein positives und vertrauensvolles Verhältnis zwischen Kind und Erwachsenem eine Gesprächsbereitschaft beim Kind, wofür ausführlichere Antworten des Kindes sprechen.

Bei der Planung und Durchführung des Interviews gilt es, besonderen Wert auf die Fragetechnik zu legen. Geschlossene Fragen, die eine Ja-oder-nein-Antwort zur Folge haben, wirken wenig erzählgenerierend, sodass weniger Informationen gesammelt werden. Es empfiehlt sich, ein gezieltes Nachfragen in Form halboffener Fragestimuli, um zu ermöglichen, dass das beteiligte Kind eine bildhafte Vorstellung des Gesprächsinhalts zur Beantwortung der Frage heranziehen kann. Gleichzeitig erweisen sich auch zu offene Fragetechniken nicht als gewinnbringend, um über relevante Informationen mit dem Kind zu sprechen. Für diese Schlussfolgerung sprechen die Befunde, dass Kinder bei zu offenen Fragen zaghaft geantwortet haben oder die Antwort keinen Bezug zur gestellten Frage zeigte. Halboffene Fragen dagegen, die so formuliert werden, dass sich das Kind eine bildhafte Vorstellung machen kann, erwiesen sich als zielführend. Ein Beispiel für solch eine Frage lautet unter anderem: ‚Stell dir vor, du setzt dich in den Sitzkreis neben ein Kind aus deiner Klasse und das Kind fragt dich flüsternd, ob du mit ihm in der Pause deine Sammelkarten tauschen möchtest. Was tust du dann?‘

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Insbesondere unter den Bedingungen

  • einer vorhandenen guten Beziehung zum Kind,

  • von Vorwissen zur alltäglichen Lebenssituation des Kindes sowie

  • halboffener Fragestimuli, anhand derer sich das beteiligte Kind eine bildhafte Vorstellung vom Inhalt machen kann,

lassen sich gelingend Daten beziehungsweise Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen gewinnen, die ausgewertet und zur Grundlage der Rekonstruktion von Bedingungen der alltäglichen Lebenssituation der Kinder gemacht werden können.

6.2.3.5.2 Gütekriterien für die Erfassung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation

In dem vorliegenden Abschnitt wird die zweite Forschungsfrage der ersten Teilevaluation beantwortet, welche lautet:

Unter welchen Bedingungen werden die Gütekriterien sonderpädagogischer Förderdiagnostik‚ ‚Gestaltung diagnostischer Situationen‘ und ‚Haltung der diagnostizierenden Person‘, bei der Erfassung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation durch das Erhebungsverfahren erfüllt?

Die Punkte ‚Gestaltung diagnostischer Situationen‘ sowie ‚Haltung der diagnostizierenden Person‘ als Gütekriterien sonderpädagogischer Förderdiagnostik nach Jetter, Schmidt und Schönberger (1983) beziehen sich in der vorliegenden Arbeit insbesondere auf die Hilfsmittel zur Vorbereitung und Durchführung von Interviews zur Erfassung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation des beteiligten Kindes. Die Befunde zu den Hilfsmitteln werden im Folgenden für die Forschungsfrage resümiert. Bei der Beantwortung dieser zweiten Forschungsfrage der ersten Teilevaluation werden die fokussierten Gütekriterien nacheinander thematisiert. Zur Erläuterung der theoretischen Grundlagen zur Förderdiagnostik wird auf den Abschnitt 3.3.1 verwiesen.

Gütekriterium ‚Gestaltung diagnostischer Situationen‘

Der zu diesem Zeitpunkt in der Entwicklung befindliche, also vorläufige Auswertungsleitfaden (siehe Anhang, S. 2 f. im elektronischen Zusatzmaterial) wurde zur Vorbereitung als hilfreich erachtet. Auch wenn er chronologisch erst nach der Interviewsituation analytisch zum Einsatz kommt, so kann er zugleich zum Zeitpunkt der Vorbereitung die Richtung weisen, welche Informationen zur Auswertung erfasst werden können. Das heißt: Eine Transparenz über das Ziel und die Aspekte, die nach der Erhebung analytisch zu betrachten sind, ist für die interviewende Person hilfreich für die Vorbereitung auf die Gesprächssituation.

Als Hilfsmittel zur Durchführung des Interviews stehen zwei Protokolle (siehe Anhang, S. 4 und S. 5 im elektronischen Zusatzmaterial) zur Verfügung: Ein Protokoll dient dazu, systematisch die wesentlichen Inhalte des Gesprächs mit dem Kind für die spätere Auswertung zu notieren. Das zweite Protokoll, ein Gedächtnisprotokoll, dient dazu, möglichst zeitnah das Gespräch im Hinblick auf förderliche beziehungsweise hinderliche Aspekte zu reflektieren und anhand der Gesprächsinhalte erste Gedanken für ein mögliches Folgegespräch zu notieren. Beide Protokolle können auf Basis der Befunde als nützlich und notwendig eingeschätzt werden, wenngleich auch die Schwierigkeit der Gleichzeitigkeit von Interviewdurchführung und Protokollierung aufgedeckt wurde. Es könnten sich daher Übungssituationen in der Interviewschulung anbieten, um dies zu ‚trainieren‘.

In Bezug auf das Design des Protokolls sind die Befunde nicht eindeutig. Die meisten befragten Studierenden empfanden das Design als hilfreich, in anderen Fällen wirkte es einschüchternd auf das Kind. In solchen Fällen können leere Blätter hilfreich sein; gleichzeitig können sie dadurch zum Gelingen beitragen, wenn das Kind eine Zeichnung zu seinem Gesagten anfertigen kann beziehungsweise möchte.

Gütekriterium ‚Haltung der diagnostizierenden Person‘

Das Gütekriterium ‚Haltung der diagnostizierenden Person‘ wird erfüllt, wenn das Interview mit dem Kind entsprechend der Annahmen, die der Entwicklung des Verfahrens zugrunde liegen, durchgeführt wird. Dann ist die Interviewsituation durch eine explorative, flexible und partnerschaftliche Haltung der diagnostizierenden Person gekennzeichnet. Von den befragten Studierenden wird darauf hingewiesen, dass eine gute Beziehung zum Kind eine Bedingung für das Gelingen der Erhebungssituation darstellt.

Von den befragten Studierenden wurde Offenheit als eine Bedingung genannt, die zum Gelingen beitragen kann, aber gleichzeitig eine besondere Schwierigkeit in der diagnostischen Situation darstellt. Aufgrund des Anspruchs nach Offenheit der Interviewsituation wurde von den Studierenden auf einen vorbereiteten Interviewleitfaden verzichtet, was wiederum zu Schwierigkeiten bei der Gesprächsführung führte, wenn der Gesprächsfluss mit dem beteiligten Kind ins Stocken geriet. Daher wurde von den befragten Studierenden der Wunsch nach einen Interviewleitfaden geäußert, an dem sich die diagnostizierende Person während des Gesprächs orientieren und aus zuvor formulierten Fragen schöpfen kann. Um eine explorative und flexible Haltung zu bewahren, gilt es, einen solch möglichen Interviewleitfaden als ‚Notfallinstrument‘ zu behandeln, auf das im Falle einer nicht gelingenden Erhebung zurückgegriffen werden kann. Auf die Problematik des Einsatzes eines Interviewleitfadens als Hilfsmittel zur Erfassung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen wurde an anderer Stelle in dieser Arbeit (siehe Abschnitt 6.1.5) eingegangen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die Gütekriterien sonderpädagogischer Förderdiagnostik – ‚Gestaltung diagnostischer Situationen‘ durch Hilfsmittel zur Vorbereitung und Durchführung des Interviews sowie ‚Haltung der diagnostizierenden Person‘ – sind im Kontext der Erfassung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen unter folgenden Gesichtspunkten gegeben:

  • Transparenz des Ziels des Analyseverfahrens und der Aspekte, die nach der Erhebung analytisch zu betrachten sind, sind der Vorbereitung auf die Gesprächssituation, zuträglich

  • Protokolle als Hilfsmittel können zum Gelingen der Erhebungssituation beitragen, ihr Einsatz sollte reflektiert und abgewogen werden.

  • Leere Blätter als Hilfsmittel können zum Gelingen beitragen, wenn sie unterstützend bei der Gesprächsführung wirken.

  • Eine explorative, flexible und partnerschaftliche Haltung wird von der diagnostizierenden Person eingenommen.

  • Offenheit, das heißt ein Verzicht auf einen strukturierten Interviewleitfaden, trägt zum Gelingen der Erhebungssituation bei, beinhaltet jedoch die Schwierigkeit, das Gespräch nicht vorzeitig abbrechen zu lassen.

  • Auf einen Interviewleitfaden muss daher nicht gänzlich verzichtet werden; er kann zum Gelingen der Erhebungssituation beitragen, wenn der Leitfaden zur Orientierung dient und nicht den natürlichen Gesprächsverlauf mit dem beteiligten Kind einschränkt.

6.2.3.6 Schlussfolgerungen für die Modifikation des Verfahrens zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen auf Basis der Erkenntnisse der ersten Teilevaluation

Durch die Beantwortung der Forschungsfragen der ersten Teilevaluation lassen sich Schlussfolgerungen für die Modifikation des Erhebungsverfahrens im Verfahren zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen ziehen.

Zunächst besteht Überarbeitungsbedarf hinsichtlich der Formulierung von erzählgenerierenden Fragen zur Erfassung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation. Dem Bedürfnis der Befragten nach einem leitfadengestützten Interview kann aus methodologischen Gründen nur ansatzweise nachgekommen werden, da bei der Anwendung eines halb- oder vollstrukturierten Interviewleitfadens möglicherweise Aspekte nicht thematisiert werden, die Informationen zur alltäglichen Lebenssituation beinhalten, wenn die interviewführende Person mit Fokus auf den Interviewleitfaden die offene, explorative und flexible Haltung nicht wahren kann. Allerdings kann eine im Vorfeld angepasste durchgeführte Schulung der diagnostizierenden Personen diese noch gezielter auf die Gesprächsgestaltung und das Stellen von erzählgenerierenden Fragen vorbereiten. Daher wird auch die Verwendung eines teilstrukturierten Interviewleitfadens für die weitere Erprobung des Analyseverfahrens in Betracht gezogen, da auch die Befunde der vorliegenden ersten Teilevaluation nicht ausschließen, dass ein Interviewleitfaden zum Gelingen bei der Erfassung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation beitragen kann.

Weiterer Überarbeitungsbedarf besteht hinsichtlich der Formulierung von Fragen an das Kind, die dazu führen sollen, Informationen über die Handlungen und Handlungsgründe des Kindes zu erhalten. Die Ergebnisse der vorliegenden ersten Teilevaluation zeigen die Bedeutung der erzählgenerierenden Fragen auf, die es dem Kind ermöglichen, ein Vorstellungsbild zu entwickeln. Daher werden im Folgenden beispielhaft Fragen formuliert, die die Grundlage für eine mögliche erste Erhebungssituation darstellen. Die Fragen zielen darauf ab, zu erfahren, welche alltäglichen Handlungen das Kind beispielsweise durchführt und warum es so handelt.

  1. 1.

    Beispiel: Das Kind ist zu Hause. Es ist morgens und Zeit zum Aufstehen.

    Mögliche Fragen zum Einstieg: ‚Stell dir vor, du liegst in deinem Bett und wachst auf, du hast die ganze Nacht geschlafen. Wann ist die Nacht zu Ende? Woher weißt du das? Gegebenenfalls: ‚Wer sagt das zu dir? Wie sagt er/sie das? Was meint er/sie damit? Was tust du als Nächstes und warum?‘

  2. 2.

    Beispiel: Das Kind ist zu Hause. Es ist morgens und Frühstückszeit.

    Mögliche Fragen zum Einstieg: ‚Stell dir vor, du isst gerade Frühstück. Was isst du gerade? Warum? Wo isst du das Frühstück? Warum dort? Ist noch jemand in deiner Nähe? Wer?‘

  3. 3.

    Beispiel: Es geht um die Folgeaktivität nach dem Frühstück.

    Mögliche Fragen zum Einstieg: ‚Stell dir vor, es ist morgens. Du hast gefrühstückt, alles aufgegessen und bist satt. Was machst du als Nächstes? Warum? Woher weißt du das? Wer sagt das und wie und warum?‘

So sollen alle möglichen Aktivitäten, die wiederkehrend im Alltag des Kindes sind, erfragt werden. Der Grund dafür ist, dass im Erhebungsverfahren Informationen zur alltäglichen Lebenssituation des Kindes erfasst werden sollen und diese aufgrund der theoretischen Annahmen der vorliegenden Arbeit mit der Frage nach alltäglichen Handlungen und Handlungsbegründungen erfasst werden können. Im weiteren Verlauf sollen diejenigen Handlungen in den Fokus geraten, die einen Bezug zum sprachlichen Handeln des Kindes und der Bezugspersonen haben.

Folgende grundlegende Anforderungen an die Erhebungssituation (siehe Handlungsempfehlung für die Erhebungssituation im Anhang, S. 2 f. im elektronischen Zusatzmaterial) wurden überarbeitet und erweitert und können auf Basis der in dieser vorliegenden ersten Teilevaluation gewonnenen und zuvor beschriebenen Erkenntnisse genannt werden:

  1. 1.

    Die Befragung sollte möglichst offen sein, um dem subjektwissenschaftlichen Ansatz gerecht zu werden und Diagnostik tatsächlich vom Subjektstandpunkt aus zu ermöglichen.

  2. 2.

    Es wird aus diesem Grund nicht auf einen strukturierten Interviewleitfaden zurückgegriffen, um zu vermeiden, dass Vorannahmen der interviewenden Person (z. B. der Lehrkraft, wenn das Verfahren im Rahmen pädagogischer Sprachdiagnostik im Schulalltag angewendet wird) zu Fragen über die alltägliche Lebenssituation des Kindes führen und damit die unerwünschte Objektivierung forcieren.

  3. 3.

    Offenheit bedeutet dennoch keineswegs Willkürlichkeit der Befragung, denn aufgrund der Vorgabe, die alltäglichen Handlungen des Kindes zu erfassen, ist es geboten, Fragen zum Tagesablauf zu stellen, die sich zu Beginn chronologisch aufstellen lassen können und im weiteren Verlauf der Diagnostik an die individuellen Schilderungen des Kindes anpassen lassen.

  4. 4.

    Diagnostik vom Subjektstandpunkt bedeutet in jedem Fall, das Kind in die Diagnostik miteinzubeziehen, also werden Themenschwerpunkte in Kooperation mit dem Kind gewählt.

Die Vorgehensweise bei der Erfassung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen kann auf Grundlage der Erkenntnisse der vorliegenden ersten Teilevaluation zusammenfassend folgendermaßen beschrieben werden: Es wird ein Gespräch mit dem an der Diagnostik beteiligten Kind geführt, wobei Fragen an das Kind gerichtet werden, die nach seinen alltäglichen Handlungen und den jeweiligen Handlungsgründen fragen. Es besteht die Möglichkeit, einen teilstrukturierten Leitfaden zu benutzen, in dem im Vorfeld mögliche Fragen oder Gesprächsthemen notiert werden. Der Leitfaden dient zur Orientierung, wobei jederzeit das Kind und seine alltäglichen Handlungen im Mittelpunkt stehen. Für die Wahl möglicher Gesprächsthemen gilt es, diese in Kooperation mit dem Kind zu finden. Das Gespräch kann aufgezeichnet und anschließend transkribiert oder schriftlich protokolliert werden, damit die Informationen zur alltäglichen Lebenssituation des Kindes hinsichtlich förderlicher beziehungsweise hinderlicher Bedingungen ausgewertet werden können.

Im Fokus der vorliegenden ersten Teilevaluation lag das Erhebungsverfahren zur Erfassung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen. Als zentrales Ergebnis dieser ersten Teilevaluation liegt eine modifizierte Handanweisung zur Vorgehensweise bei der Erfassung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation (siehe Anhang, S. 13 f. im elektronischen Zusatzmaterial) vor. Zusätzlich ist im Anhang eine Korrekturversion der Handanweisung (siehe Anhang, S. 10–12 im elektronischen Zusatzmaterial) aufgeführt, die in der vorliegenden ersten Teilevaluation erprobt wurde. Aus dieser geht durch Markierungen hervor, welche Teile der Handanweisung gelöscht und durch modifizierte Formulierungen ersetzt wurden. In der ersten Teilevaluation unberücksichtigt geblieben ist das Auswertungsverfahren, mit dem die erfassten Informationen zur alltäglichen Lebenssituation handlungstheoretisch und strukturiert ausgewertet werden. Daher wird im nachfolgenden Abschnitt mit der zweiten Teilevaluation der Auswertungsteil des Analyseverfahrens in den Mittelpunkt gestellt.

6.2.4 Teilevaluation 2: Praktikabilität des Auswertungsleitfadens

Die zweite Teilevaluation legt den Fokus auf die Praktikabilität des Auswertungsleitfadens des Verfahrens zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen. In dem vorliegenden Abschnitt werden zunächst die Forschungsfragen dieser zweiten Teilevaluation aufgezeigt, bevor die Samplebildung und das Sampling der befragten Personen (6.2.4.1), die Datenerhebungsmethode eines vollstrukturierten Fragebogens (6.2.4.2) sowie die Datenauswertungsmethode (6.2.4.3) beschrieben werden. Nach der Darstellung der Ergebnisse (6.2.4.4) und der Beantwortung der Forschungsfragen (6.2.4.5) werden Schlussfolgerungen für die Modifikation des Auswertungsleitfadens (6.2.4.6) gezogen.

Da die Praktikabilität und die Frage nach Modifikation des Auswertungsleitfadens im Mittelpunkt der zweiten Teilevaluation stehen, sind folgende Forschungsfragen und Forschungsteilfragen zu beantworten:

  1. 1.

    Inwiefern lässt sich der Auswertungsleitfaden als praktikabel bezeichnen?

  2. 1.1.

    Wie viele der befragten Studierenden bewerten die Anweisungen zur Auswertung als sprachlich präzise und verständlich?

  3. 1.2.

    Wie viele der befragten Studierenden bewerten den zeitlichen Aufwand bei der Anwendung des Auswertungsleitfadens als angemessen, beispielsweise für den Einsatz im Unterricht?

  4. 1.3.

    Welche Verständnisschwierigkeiten werden von den befragten Studierenden aufgrund der sprachlichen Formulierungen der Anweisungen zur Auswertung genannt?

  5. 2.

    Wie und an welchen Stellen kann der Auswertungsleitfaden modifiziert werden, sodass er als praktikabler bezeichnet werden kann?

  6. 2.1.

    An welchen Stellen in den Anweisungen zur Auswertung besteht Überarbeitungsbedarf?

  7. 2.2.

    Wodurch können sich Probleme, die die Anwendung des Auswertungsleitfadens betreffen, beheben lassen?

Um diese Forschungsfragen der zweiten Teilevaluation beantworten zu können, wurden 29 Studierende befragt, die im Rahmen einer universitären Lehrveranstaltung der Universität Hamburg im Bachelor-Studiengang Lehramt für Sonderpädagogik den Auswertungsleitfaden erprobt haben. Vor der Erprobung des Auswertungsleitfadens fand diskursiv in der Lehrveranstaltung eine eingehende Auseinandersetzung der Studierenden mit den methodologischen und theoretischen Grundlagen des Verfahrens zur Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen statt. Diese Auseinandersetzung sollte gewährleisten, dass mögliche Fragen zur Entwicklung des Analyseverfahrens sowie den theoretischen und methodologischen Grundlagen der Entwicklung vor der Erprobung geklärt werden können. Im Anschluss an die Erprobung des Auswertungsleitfadens wurden die beteiligten Studierenden um Teilnahme an einer quantitativen Befragung durch einen schriftlichen vollstrukturierten Fragebogen bezüglich der Praktikabilität des Auswertungsleitfadens gebeten, woraufhin 20 von 29 auswertbaren Fragebögen zur Auswertung herangezogen werden konnten.

Der nächste Abschnitt erläutert, wie sich das Sample der befragten Studierenden zusammensetzt und gebildet wurde.

6.2.4.1 Auswahl der befragten Personen

Das Sample der zweiten Teilevaluation setzt sich aus 29 Studierenden zusammen, die im Kontext einer Lehrveranstaltung im Bachelor-Studiengang des Lehramts für Sonderpädagogik an der Universität Hamburg im Sommersemester 2019 den Auswertungsleitfaden erprobt haben. Der Erprobung lagen Daten zugrunde, die im April 2019 eigens für die Erprobung des Auswertungsleitfadens erhoben wurden. Dafür führten Studierende der Lehrveranstaltung, in der die Erprobung des Auswertungsleitfadens durchgeführt wurde, Interviews mit Kindern und nutzten dafür das auf Basis der Erkenntnisse der ersten Teilevaluation modifizierte Erhebungsverfahren (siehe Abschnitt 6.2.3.6 sowie Anhang, S. 13 f. im elektronischen Zusatzmaterial). Damit lagen der Erprobung des Auswertungsleitfadens insgesamt 12 Interviews zur Auswertung vor, die von den 29 Studierenden anhand der Handlungsempfehlung zur Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen, also dem zu diesem Zeitpunkt in der Entwicklung befindlichen Auswertungsleitfaden (siehe Anhang, S. 15 im elektronischen Zusatzmaterial), ausgewertet wurden. Die Interviews wurden schriftlich als Transkripte beziehungsweise als Gedächtnisprotokolle dokumentiert.

Das Kriterium für die Samplebildung war die Teilnahme an der Lehrveranstaltung, in der der Auswertungsleitfaden erprobt werden sollte.

6.2.4.2 Datenerhebungsmethode: Schriftlich vollstrukturierter Fragebogen

Bei der gewählten Datenerhebungsmethode handelt es sich um einen schriftlichen vollstrukturierten Fragebogen, bestehend aus Einzelitems und in der Form eines Paper-Pencil-Fragebogens (siehe Anhang, S. 22 f. im elektronischen Zusatzmaterial). Dieser stellt eine „reaktive Methode dar“ (Döring & Bortz 2016, 399), da die befragten Studierenden darüber in Kenntnis gesetzt wurden, dass sie mit der Beantwortung des Fragebogens an der wissenschaftlichen Untersuchung zur Evaluation des Verfahrens zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen teilnehmen. Es wurde zum einen ein geschlossenes Frageformat gewählt, um die Aussagen der befragten Studierenden hinsichtlich Häufigkeit analysieren zu können. Zum anderen wurden offene qualitative Fragen gestellt, damit bei der Befragung die Möglichkeit gegeben werden konnte, zu jeder geschlossenen Frage eine Erläuterung, beispielsweise hinsichtlich möglicher inhaltlicher Verbesserungsvorschläge, oder kritische Hinweise schriftlich zu formulieren. Es handelt sich sowohl um Intervallskalen als auch um bipolare Ratingskalen, dargestellt durch verbale Marken (Döring & Bortz 2016, 245). Für die Befragten wurde der Fragebogen als Feedbackfragebogen bezeichnet, um die Relevanz der Antworten von den befragten Studierenden zu betonen.

Die Erprobung des Auswertungsleitfadens fand zum einen im Seminar statt, damit für die Studierenden direkt die Möglichkeit bestand, mögliche Fragen zur Vorgehensweise bei der Auswertung klären zu können. Zum anderen wurde den beteiligten Studierenden die Möglichkeit gegeben, den Auswertungsleitfaden an einem anderen Ort zu erproben. Die Befragung fand im Anschluss an die Erprobung statt. Das heißt, die Studierenden, die in der Lehrveranstaltung zur Seminarzeit den Auswertungsleitfaden erprobt haben, wurden direkt im Anschluss befragt. Die ausgefüllten Feedbackfragebögen wurden unmittelbar nach Abschluss der Erprobung und Befragung zurückgegeben. Ein anderer Teil der ausgefüllten Fragebögen wurde nach einer gemeinsam mit den befragten Studierenden vereinbarten Zeit innerhalb von 14 Tagen zurückgegeben. Insgesamt konnten mit der in diesem Abschnitt dargestellten Vorgehensweise zur Datenerhebung 20 von 29 Studierenden befragt werden.

Wie die durch die Befragung gewonnenen Daten ausgewertet wurden, wird im folgenden Abschnitt zu den Datenauswertungsmethoden beschrieben.

6.2.4.3 Datenauswertungsmethoden: Quantitative Auswertung mittels SPSS und inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018)

Ziele der Datenauswertung sind erstens eine quantitative Auswertung, nämlich die Auszählung von Häufigkeiten (deskriptive Statistik) und zweitens eine strukturierte Analyse der offenen Antworten zu Verbesserungsvorschlägen beziehungsweise kritischen Hinweisen. Zunächst wird das Vorgehen bei der quantitativen Auswertung mittels SPSS (6.2.4.3.1) näher erläutert und anschließend die inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) (6.2.4.3.2), die zwecks strukturierter Auswertung der offenen Antworten eingesetzt wurde.

6.2.4.3.1 Quantitative Auswertung mittels SPSS

Bei der quantitativen Auswertung zur Beantwortung der Frage, inwiefern sich der Auswertungsleitfaden von den befragten Studierenden als praktikabel bezeichnen lässt, ging es um die Sichtbarmachung der Häufigkeit der von den befragten Personen gewählten Antwortkategorien. Für die Dateneingabe in SPSS wurde im Vorfeld ein Kodeplan (siehe Anhang, S. 24 f. im elektronischen Zusatzmaterial) erstellt. Dieser Kodeplan enthielt Abkürzungen, um den einzelnen Fragebögen einen Kurznamen zu geben, wobei bei der Vergabe der Kurznamen numerisch vorgegangen wurde und womit keine Hierarchisierung der Fragebögen ausgedrückt werden soll. Zudem wurden den verbalen Etikettierungen Zahlen, also numerische Ausprägungen, zugewiesen. Die verbalen Etikettierungen wurden von links nach rechts mit den Zahlen von 1 bis 4 beziehungsweise von 1 bis 2 kodiert und fehlende Werte wurden mit einer 9 kodiert.

In der vorliegenden Arbeit wurden nur diejenigen Tabellen des Kodebooks zur Auswertung herangezogen, die zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage genutzt wurden. Darüber hinaus wurden zwar Daten mittels vollstrukturierten Fragebogens erhoben (Items 1 bis 5), bei denen jedoch bei der Auswertung festgestellt wurde, dass sie nicht zur Beantwortung der Forschungsfrage beitragen. Daher werden die deskriptiven Statistiken zu den Items 1 bis 5 nicht aufgeführt.

Anschließend wurden die Werte in SPSS eingegeben und einer Häufigkeitsanalyse unterzogen.

6.2.4.3.2 Inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse (Kuckartz 2018)

Um die zweite Forschungsfrage hinsichtlich Verbesserung des Auswertungsleitfadens, das heißt wie und an welchen Stellen er modifiziert werden kann, beantworten zu können, wurden die Daten mittels inhaltlich strukturierender qualitativer Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) ausgewertet. Anhand des Materials wurden auf induktive Art Kategorien entwickelt, da durch diese Vorgehensweise gewährleistet wird, dass möglichst vielseitige Aspekte aus dem Material heraus entdeckt werden, die zur Beantwortung der Forschungsfrage herangezogen werden können. Die Kategorien wurden anschließend als Kodierleitfaden (siehe Anhang, S. 28 im elektronischen Zuatzmaterial) zusammengestellt.

Die im Fragebogen von den befragten Studierenden schriftlich vorgenommenen Aussagen bei den offenen Antwortfeldern wurden der Kodierung unterzogen und inhaltlich strukturiert zusammengefasst. Als Kodiereinheit galten dabei ganze Sätze und inhaltlich in einem Sinnzusammenhang stehende Äußerungen. Es wurden die schriftlichen Äußerungen der befragten Studierenden den Kategorien beziehungsweise Kodes des Kodierleitfadens zugeordnet.

6.2.4.4 Detaillierte Ergebnisdarstellung der quantitativen Auswertung mittels SPSS sowie der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) zur Praktikabilität des Auswertungsleitfadens

Im Folgenden werden die Ergebnisse der zweiten Teilevaluation dargestellt. Es werden zunächst die Ergebnisse der quantitativen Auswertung mittels SPSS (6.2.4.4.1) beschrieben und anschließend die Ergebnisse der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) (6.2.4.4.2). Welche Auswirkungen die Ergebnisse für die Überarbeitung des Auswertungsverfahrens haben, wird bei den Schlussfolgerungen (6.2.4.6) aufgezeigt.

6.2.4.4.1 Ergebnisse der quantitativen Auswertung mittels SPSS

Zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage der zweiten Teilevaluation, inwiefern sich der Auswertungsleitfaden als praktikabel beschreiben lässt, wurden die Daten zu den Fragen nach Zeitaufwand (Item F), Verständlichkeit der sprachlichen Anweisungen (Item G) sowie Präzision der sprachlichen Anweisungen (Item H) mittels SPSS einer Häufigkeitsanalyse unterzogen. Die Ergebnisse sind in Form von Häufigkeitstabellen (siehe Anhang, S. 26 f. im elektronischen Zusatzmaterial) dokumentiert und werden im Folgenden beschrieben.

Einschätzung des zeitlichen Aufwands bei Anwendung des Auswertungsleitfadens

Insgesamt 16 der 20 befragten Studierenden haben die Frage nach dem zeitlichen Aufwand bei der Anwendung des Auswertungsleitfadens beantwortet. Jeweils die Hälfte der befragten Studierenden bewerten den Zeitaufwand als ‚angemessen‘ beziehungsweise ‚nicht angemessen (zu aufwendig)‘.

Einschätzung der Verständlichkeit der sprachlichen Formulierungen im Auswertungsleitfaden

Die Frage nach der Verständlichkeit der sprachlichen Formulierungen im Auswertungsleitfaden haben insgesamt 15 der 20 befragten Studierenden beantwortet. Als ‚verständlich‘ bewerten 73,3 % der befragten Studierenden die sprachlichen Formulierungen in den Anweisungen des Auswertungsleitfadens.

Einschätzung der Präzision der sprachlichen Äußerungen im Auswertungsleitfaden

Zur Frage nach der Präzision der sprachlichen Anweisungen im Auswertungsleitfaden haben sich insgesamt 16 der 20 befragten Studierenden schriftlich geäußert. Es halten 56,3 % von ihnen die sprachlichen Anweisungen für ‚präzise‘.

Die Ergebnisse der Häufigkeitsanalyse geben erste Hinweise auf mögliche Probleme, die bei Anwendung des Auswertungsleitfadens auftreten können. Diese betreffen die Verständlichkeit sowie Präzision der sprachlichen Formulierungen der Handlungsanweisungen im Auswertungsleitfaden.

Durch die Vorstrukturierung und das geschlossene Antwortformat weisen die Befunde zwar eine Richtung auf, sind aber noch nicht an Detailtiefe angereichert. Da zusätzlich schriftlich fixierte Daten aus den offenen Frageformaten vorliegen, wurde in einem weiteren Schritt eine inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse zu eben diesen durchgeführt. Die Ergebnisse der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) werden im nachfolgenden Abschnitt in der Reihenfolge der Kategorien im Kodierleitfaden dargestellt und mit den Ergebnissen der quantitativen Auswertung verknüpft.

6.2.4.4.2 Ergebnisse der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018)

Im Folgenden werden die Ergebnisse der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) dargestellt und am Ende des vorliegenden Abschnitts mit den Ergebnissen der quantitativen Analyse mittels SPSS (siehe Abschnitt 6.2.4.4.1) in Verbindung gesetzt.

Zur Übersicht wird zunächst zu jeder Kategorie aufgezeigt, wie viele Kodiereinheiten dem Kode zugeordnet wurden:

  • K1 Ziel unklar: 6 Kodiereinheiten

  • K2 Begriffe unklar: 3 Kodiereinheiten

  • K3 einzelne Schritte oder Schrittabfolge unklar: 10 Kodiereinheiten

  • K4 kritische Hinweise und Verbesserungsvorschläge: 16 Kodiereinheiten

Nachfolgend werden die Ergebnisse der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse detailliert dargestellt.

K1 Ziel unklar

Kodes, die zu dieser Kategorie gehören, werden dann kodiert, wenn es den befragten Studierenden unklar erscheint, worauf ein Auswertungsschritt abzielt.

Unklar ist demzufolge beispielsweise, was genau im jeweiligen Auswertungsschritt „verlangt wird“ (LBA_F_8). Zwar gibt es eine sprachliche Anweisung, die von der Hälfte der befragten Studierenden als verständlich beschrieben wird, aber ohne Vorerfahrung war es den befragten Studierenden nicht immer klar, was genau das Ziel beziehungsweise das Ergebnis sein soll, „da die Anweisung nicht immer klar war“ (LBA_F_19).

In diesem Zusammenhang kann festgestellt werden, dass das Ziel dahingehend unklar ist, dass nicht verstanden wurde, was mit einer spezifischen Handlungsanweisung gemeint ist und worin der Unterschied zu den anderen Auswertungsschritten liegt. Beispielsweise wurden Schritt 2 und 3 des Auswertungsleitfadens als zielgleich betrachtet. Zusätzlich wurde zur Handlungsanweisung des zweiten Schrittes von einer befragten Person geäußert, sie sei „sehr abstrakt und für mich ist das Beispiel nicht passend zur Überschrift“ (LBA_F_3) beziehungsweise „ich verstehe die Bereicherung inhaltlich nicht, sehr abstrakt“ (LBA_F_3).

K2 Begriffe unklar

Kodes, die zu dieser Kategorie gehören, werden dann kodiert, wenn bei der sprachlichen Anweisung im Auswertungsleitfaden zwar theoretisch fundierte Begriffe verwendet werden, diese aber für die befragten Studierenden unklar bleiben. Bei Zusammenschau aller kodierten Passagen zu diesem Kode zeigt sich, dass im Auswertungsleitfaden verwendete Begriffe nicht einzeln theoretisch dargestellt werden, sodass die Begriffe unklar bleiben. Daraus ergeben sich für die befragten Studierenden Schwierigkeiten beim Anwenden des Auswertungsleitfadens.

Erstens ist zu erkennen, dass der Begriff ‚Bedeutungsanordnungen‘ nicht verstanden werden kann, so wie er in der Anweisung des Auswertungsschrittes 4 vorausgesetzt wird, zum Beispiel: „ich verstehe nicht, was Bedeutungsanordnungen sind“ (LBA_F_3).

Zweitens zeigen sich im gleichen Auswertungsschritt Schwierigkeiten mit den Begriffen ‚situationeller Aspekt‘ und ‚subjektive Befindlichkeit‘, die im theoretischen Zusammenhang der Subjektwissenschaft der Kritischen Psychologie (Holzkamp 1985) verwendet werden, aber im Auswertungsleitfaden selbst als bekannt vorausgesetzt werden.

K3 einzelne Schritte oder Schrittabfolge unklar

Kodes, die zu dieser Kategorie gehören, werden dann kodiert, wenn in den Aussagen der befragten Studierenden erkennbar ist, dass Unklarheiten bezüglich der Reihenfolge der Auswertungsschritte oder einzelner Auswertungsschritte selbst auftreten.

Auf Schritt 1 bezogen, ist festzustellen, dass der Nutzen dieses Auswertungsschrittes und was genau darunter beschrieben werden könne beziehungsweise solle unklar sind. So wird von einer befragten Person geäußert, dass es „weit gefasst [ist], was dies beinhaltet“ (LBA_F_3) und laut einer weiteren befragten Person sei die Notwendigkeit dieses Schrittes nur in Bezug auf eine bestimmte Datengrundlage sinnvoll: „Meiner Meinung nach bietet sich eine Falldarstellung eher an, wenn es eine konkrete Situation gibt“ (LBA_F_6).

In Bezug auf Schritt 2 kann aufgrund der Äußerungen von sechs der befragten Studierenden festgestellt werden, dass der Unterschied zu Schritt 1 schwer zu erkennen sein kann. Es sei fraglich, ob beide Schritte getrennt bearbeitet werden können oder müssen, da der zweite Auswertungsschritt wie eine „Wiederholung der Falldarstellung“ (LBA_F_3) wirke.

K4 kritische Hinweise und Verbesserungsvorschläge

Alle Äußerungen, die Kritik oder Verbesserungsvorschläge hinsichtlich der Anweisung, Schrittabfolge oder der Begriffsverwendung enthalten, werden mit diesem Kode kodiert.

Eine Feinanalyse zu den Kodes, die mit der Kategorie K4 kodiert werden, zeigen auf, dass die kritischen Hinweise und Verbesserungsvorschläge hinsichtlich der sprachlichen Anweisungen, des Zeitaufwands bei der Auswertung und der Schrittabfolge beschrieben werden können. Außerdem können weitere formale oder konzeptionelle Hinweise bezüglich des Auswertungsleitfadens festgestellt werden. Im Folgenden werden die Ergebnisse dieser Feinanalyse dargestellt.

Sprachliche Anweisungen

Eine befragte Person bezieht ihre Bewertung auf die Überschriften der Auswertungsschritte, in denen „klare Abgrenzungen erfolgen“ (LBA_F_20) sollten, was bedeuten könnte, stärker hervorzuheben, welches Ziel in dem jeweiligen Auswertungsschritt in den Fokus gerückt wird und worin sich die Auswertungsschritte unterscheiden.

Eine weitere Aussage einer befragten Person bezieht sich auf die Verständlichkeit der Handlungsanweisungen aufgrund nicht erfolgter Erklärung sowie nicht gegebenen Beispiels: „ohne Erklärung und Muster (Beispielauswertung) sind die Anweisungen nicht vollständig verständlich, es bedarf auf jeden Fall einer Erklärung“ (LBA_F_16).

Zeitaufwand

Drei der befragten Studierenden haben sich zu der Frage geäußert, wie sie den Zeitaufwand einschätzen, der von dem Auswertungsleitfaden beansprucht wird.

Zwei der befragten Personen stellen fest, dass die Anwendung des Auswertungsverfahrens zeitaufwendig erscheint. Eine befragte Person gibt dafür die Begründung: „wenn man tatsächlich jeden Punkt notiert, dann wird es tatsächlich sehr viel“ (LBA_F_19). Speziell wird die Tabelle kritisch gesehen, die die Bedingungen nach personaler Lage, sozialer Lage und kultureller Lage einteilt, da sich diese mit der Auswertung hinsichtlich der subjektiven Befindlichkeit überschneide (LBA_F_16).

Schrittfolge

In Bezug auf die Abfolge der Auswertungsschritte 1 und 2 stellen drei befragte Personen fest, dass sich die einzelnen Schritte sehr ähnlich sind. So formuliert eine befragte Person prägnant: „Die Schritte sind schwer zu trennen, gehen ineinander über“ (LBA_F_9).

Formale oder konzeptionelle Hinweise

In formaler Hinsicht finden sich Hinweise zur Beanstandung aufgrund der bereits eingegrenzten Felder für die Analyseergebnisse. Von einer befragten Person wird diesbezüglich festgestellt: „Der Auswertungsbogen bietet zu wenig Schreibfläche. Evtl. wäre es besser, nur die Fragen vorzugeben und keine vorformulierten Antwortfelder, da dies manchmal einschränkt“ (LBA_F_20).

Zwei der befragten Studierenden geben einen Hinweis auf den Umgang mit sehr langen Interviews: „Bei einem langen Interview muss man in eigene Sequenzen teilen, das könnte man als Anweisung mitgeben“ (LBA_F_20) oder „Bei längeren Interviews (…) ist es meiner Meinung nach notwendig mehrere Auswertungsbögen auszufüllen“ (LBA_F_1).

Eine befragte Person stellt im Hinblick auf die Konzeption des Auswertungsleitfadens die Frage: „Wo wird es notiert, wenn das Kind nicht auf die Fragen eingeht (soll es überhaupt notiert werden?)“ (LBA_F_1). Ebenso böte der Auswertungsleitfaden keinen Hinweis auf den Umgang mit aus Sicht der befragten Person fehlerhaften Aussagen des Kindes. Dies zeigt sich in folgender Äußerung: „Inwiefern kann man falsche Aussagen in die Auswertung nehmen“ (LBA_F_1).

Des Weiteren stellt eine der befragten Personen fest: „Bei einigen Interviews ist es nicht möglich Schritt 3 zu beantworten (zum Beispiel, weil diese zu kurz sind)“ (LBA_F_1), womit ein weiterer konzeptioneller Aspekt angesprochen ist.

Inwiefern anhand der vorliegenden Ergebnisse zur quantitativen Auswertung und inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse Rückschlüsse auf die Praktikabilität sowie den Überarbeitungsbedarf des Auswertungsleitfadens gezogen werden können, wird im folgenden Abschnitt bei Beantwortung der Forschungsfragen der zweiten Teilevaluation thematisiert.

6.2.4.5 Beantwortung der Forschungsfragen der zweiten Teilevaluation

In diesem Abschnitt werden die Forschungsfragen zur zweiten Teilevaluation aufgeführt und auf Basis der gewonnenen und zuvor unter Ergebnisse (6.2.4.4) dargestellten Erkenntnisse beantwortet. Die Erkenntnisse beruhen auf einer schriftlichen, vollstrukturierten Befragung von Studierenden, die den Auswertungsleitfaden im Rahmen einer universitären Lehrveranstaltung im Bachelor-Studium des Lehramts für Sonderpädagogik angewendet und damit erprobt haben.

6.2.4.5.1 Bewertung der Praktikabilität des Auswertungsleitfadens

Die erste Forschungsfrage der zweiten Teilevaluation wird im vorliegenden Abschnitt beantwortet. Diese Frage lautet:

Inwiefern lässt sich der Auswertungsleitfaden als praktikabel bezeichnen?

und besteht aus den folgenden drei Teilforschungsfragen:

  • Teilforschungsfrage 1: Wie viele der befragten Studierenden bewerten die Anweisungen zur Auswertung als sprachlich präzise und verständlich?

  • Teilforschungsfrage 2: Wie viele der befragten Studierenden bewerten den zeitlichen Aufwand bei der Anwendung des Auswertungsleitfadens als angemessen, beispielsweise für den Einsatz im Unterricht?

  • Teilforschungsfrage 3: Welche Verständnisschwierigkeiten werden von den befragten Studierenden aufgrund der sprachlichen Formulierungen der Anweisungen zur Auswertung genannt?

Zur vorherigen, der Evaluation zugrunde liegenden Fassung kann festgestellt werden, dass der Auswertungsleitfaden hinsichtlich seiner Praktikabilität durchaus überarbeitungsbedürftig erscheint. Insbesondere sind die sprachlichen Anweisungen zu überarbeiten und mit Beispielen zu unterlegen. Außerdem erscheint eine Praktikabilität eher gegeben, wenn der zeitliche Aufwand so gering wie möglich gehalten werden kann, ohne dass für die Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen wichtige Inhalte verloren gehen.

Der im Anschluss an die zweite Teilevaluation neu gestaltete Auswertungsleitfaden (siehe Anhang, S. 31 im elektronischen Zusatzmaterial) kann als praktikabel bezeichnet werden, da die Befunde der zweiten Teilevaluation in seine finale Gestaltung eingeflossen sind. Welche dies im Detail sind, ließ sich durch die Beantwortung der Teilforschungsfragen ableiten. Außerdem befindet sich eine Korrekturversion des erprobten Auswertungsleitfadens im Anhang (siehe Anhang, S. 29 f. im elektronischen Zusatzmaterial), aus der ersichtlich wird, an welchen Stellen Formulierungen gelöscht und durch verbesserte Formulierungen ersetzt wurden. So lässt sich die Frage nach der Praktikabilität des Auswertungsleitfadens mit der Beantwortung der nachfolgenden drei Teilfragen genauer klären.

Teilforschungsfrage 1: Wie viele der befragten Studierenden bewerten die Anweisungen zur Auswertung als sprachlich präzise und verständlich?

Es bewerten 45 % der befragten Personen die sprachlichen Anweisungen im Auswertungsleitfaden als sprachlich ‚präzise‘. Als ‚verständlich‘ werden die sprachlichen Anweisungen von 55 % der befragten Personen bezeichnet (Details siehe unter Ergebnisse in Abschnitt 6.2.4.4.1). Im Hinblick auf die Tatsache, dass 45 % der befragten Studierenden die sprachlichen Anweisungen als präzise bewertet haben, kann festgestellt werden, dass die sprachlichen Anweisungen noch präziser und eindeutiger formuliert werden können. Die Präzision der sprachlichen Anweisungen könnte in Zusammenhang mit der Unklarheit des anvisierten Ziels eines Auswertungsschritts stehen. So kann durch stärkere Präzision der sprachlichen Anweisungen das Verständnis erleichtert werden, welches Ziel je Auswertungsschritt anvisiert wird.

Neben den sprachlichen Anweisungen im Auswertungsleitfaden wurde untersucht, wie die befragten Studierenden den Zeitaufwand bei der Anwendung des Auswertungsleitfadens bewerten. Darauf wird mit Beantwortung der zweiten Teilforschungsfrage Bezug genommen:

Teilforschungsfrage 2: Wie viele der befragten Studierenden bewerten den zeitlichen Aufwand bei der Anwendung des Auswertungsleitfadens als angemessen, beispielsweise für den Einsatz im Unterricht?

Jeweils die Hälfte der befragten Studierenden schätzt den zeitlichen Aufwand für die Auswertung eines Interviews anhand des Auswertungsleitfadens als ‚angemessen‘ beziehungsweise ‚nicht angemessen (zu aufwendig)‘ ein (Details siehe unter Ergebnisse in Abschnitt 6.2.4.4.1). Diese rein rechnerisch ermittelte Aussage kann so partikular nicht für die Entscheidung herangezogen werden, ob Überarbeitungsbedarf besteht, um den geschätzten zeitlichen Aufwand bei der Anwendung des Auswertungsleitfadens zu verringern. Dafür sind die Ergebnisse der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse heranzuziehen, da diese offenlegen, aus welchem Grund der Zeitaufwand bei der Anwendung des Auswertungsleitfadens von den befragten Studierenden so eingeschätzt wird. Durch diese erweiterten Informationen zeigt sich, dass die Einschätzung zum Zeitaufwand für die Auswertung eines Interviews mit dem Auswertungsleitfaden in engem Zusammenhang mit solchen Aussagen der befragten Studierenden steht, die die Notwendigkeit einzelner Auswertungsschritte betreffen. Manche Auswertungsschritte werden als nicht notwendig erachtet, da aus Sicht der befragten Personen, die sich dazu äußern, sich beispielsweise Schritt 1 und 2 überschneiden und der Mehrwert des zweiten Schritts nicht erkennbar ist. Ebenso lässt sich dieser Zusammenhang für den Auswertungsschritt 4 und das Eintragen der Ergebnisse in die danach folgende Tabelle feststellen.

Des Weiteren äußern sich die befragten Studierenden zum Zeitaufwand im Zusammenhang mit der Überlegung, dass ausführlichere und längere Interviews einen höheren zeitlichen Aufwand beanspruchen. In diesem speziellen Fall scheint es abhängig von dem auszuwertenden Interview zu sein, ob der Zeitaufwand für die Auswertung mit dem Auswertungsleitfaden als ‚angemessen‘ bewertet werden kann. In Anbetracht der Kritik, das gesamte Verfahren stelle sich als zeitaufwendig dar (zum Beispiel LBA_F_16), lässt sich die folgende Aussage einer befragten Person hinsichtlich der Reduktion der Auswertungsschritte interpretieren: „kann verkürzt werden, da sich einige Bereiche überschneiden“ (LBA_F_16). Zum einen kann Zeit eingespart werden, indem Aussagen nicht mehrfach notiert werden müssen, wenn Auswertungsschritte zusammengefasst werden. Zum anderen deutet diese Aussage darauf hin, dass die analytische Trennung der Auswertungsschritte für die anwendende Person nicht nachvollziehbar erscheint, also diesbezüglich Überarbeitungsbedarf besteht. So lässt sich feststellen, dass der Zeitaufwand für die Auswertung verringert werden könnte, wenn inhaltlich zusammenhängende Auswertungsschritte zusammengefasst werden würden. Das heißt, Auswertungsschritte, die aus Sicht der befragten Person das gleiche Ziel anvisieren, könnten zusammengefasst werden, um Zeit bei der schriftlichen Darstellung der Analyseergebnisse einzusparen.

Der dritte Bereich, in dem der Auswertungsleitfaden überarbeitungsbedürftig erscheint, betrifft die sprachlichen Formulierungen, aus denen Verständnisschwierigkeiten bei den anwendenden Personen auftreten könnten. Hinweise dazu liefert die folgende Beantwortung der dritten Teilforschungsfrage.

Teilforschungsfrage 3: Welche Verständnisschwierigkeiten werden von den befragten Studierenden aufgrund der sprachlichen Formulierungen der Anweisungen zur Auswertung genannt?

Unklarheiten und Verständnisschwierigkeiten lassen sich zum einen hinsichtlich der verwendeten Begriffe, wie beispielsweise ‚Bedeutungsanordnungen‘ oder ‚subjektive Befindlichkeit‘ feststellen. Es war für die befragten Personen teilweise nicht eindeutig, wie die verwendeten Begriffe verstanden werden müssen. Es fehlte eine sprachliche Erläuterung zu den verwendeten Begriffen und ihren theoretischen Bezugssystemen, die es den anwendenden Personen ermöglicht, eine Einordnung der Begriffe in die zugrunde liegenden Theorien und Konzepte vorzunehmen.

Zum anderen ergeben sich Verständnisschwierigkeiten aufgrund fehlender Beispiele und Erklärungen dazu, worauf ein Auswertungsschritt genau abzielt.

Nachdem mit den bisherigen Ausführungen zur ersten Forschungsfrage der zweiten Teilevaluation die Praktikabilität des Auswertungsleitfadens thematisiert wurde, wird im nachfolgenden Abschnitt die zweite Forschungsfrage der vorliegenden zweiten Teilevaluation beantwortet.

6.2.4.5.2 Möglichkeiten zur Optimierung der Praktikabilität des Auswertungsleitfadens

Im Folgenden wird mit der zweiten Forschungsfrage der zweiten Teilevaluation die Frage nach den Stellen im Auswertungsleitfaden beantwortet, die durch Überarbeitung zu einer besseren Praktikabilität des Auswertungsleitfadens beitragen können. Die Forschungsfrage lautet:

Wie und an welchen Stellen kann der Auswertungsleitfaden modifiziert werden, sodass er als praktikabler bezeichnet werden kann?

und beinhaltet die folgenden zwei Teilforschungsfragen:

  • Teilforschungsfrage 1: An welchen Stellen in den Anweisungen zur Auswertung besteht Überarbeitungsbedarf?

  • Teilforschungsfrage 2: Wodurch können sich Probleme, die die Anwendung des Auswertungsleitfadens betreffen, beheben lassen?

  • Teilforschungsfrage 1: An welchen Stellen in den Anweisungen zur Auswertung besteht Überarbeitungsbedarf?

Fasst man die Aussagen der befragten Studierenden zusammen, sind sowohl die sprachlichen Anweisungen als auch formale beziehungsweise konzeptionelle Aspekte des Auswertungsleitfadens überarbeitungsbedürftig.

Die sprachlichen Anweisungen können noch präziser formuliert werden, um zu einer noch besseren Verständlichkeit der Anweisungen beizutragen und Unklarheiten bezüglich der anvisierten Ziele zu verringern. Präzise bedeutet in diesem Zusammenhang, dass anhand der sprachlichen Anweisungen prägnant bezeichnet wird, worauf ein Auswertungsschritt jeweils abzielt.

Ebenfalls sprachlich gesehen überschneiden sich einige Auswertungsschritte aus Sicht der befragten Studierenden, wodurch die unterschiedlichen Ziele der jeweiligen Schritte für die analysierende Person schwer erkennbar sein können. Es besteht also dahingehend Überarbeitungsbedarf, sprachlich genauer hervorzuheben, welchen Nutzen die Bearbeitung eines Auswertungsschrittes für das gesamte Analyseverfahren hat.

In formaler Hinsicht ist der Auswertungsleitfaden dahingehend zu überarbeiten, dass die Vorgabe durch umrandete Freitextfelder vorzugeben scheint, welches Ausmaß an Inhalten zu jedem Auswertungsschritt notiert werden muss beziehungsweise darf. Da dies nicht im Sinne des Analyseverfahrens ist, ist dieser Punkt zu überarbeiten.

In Bezug auf die gesamte Konzipierung des Auswertungsleitfadens lässt sich feststellen, dass Überarbeitungsbedarf bei der Handlungsanweisung besteht, wenn es sehr lange Interviews sind, die ausgewertet werden müssen. Eine der befragten Personen gibt den Hinweis auf eine entsprechende Formulierung in der Anweisung, dass ein langes Interview in einzelne, inhaltlich zusammenhängende Sinnabschnitte geteilt werden müsste, damit diese Sequenzen einzeln ausgewertet werden können. Eine dahingehende Überarbeitung der Handanweisung erscheint sehr sinnvoll, da durch eine solche Einteilung eine detaillierte Auswertung kurzer Abschnitte ermöglicht wird, sodass gewährleistet werden kann, dass möglichst alle relevanten Informationen erkannt und ausgewertet werden können.

Ebenso in konzeptioneller Hinsicht ist der Auswertungsleitfaden zur Klärung der Frage zu ergänzen, wie mit scheinbar fehlerhaften Aussagen eines Kindes umgegangen werden kann oder wie mit einzelnen Auswertungsschritten verfahren wird, die aufgrund fehlender Daten nicht bearbeitet werden können.

Nachdem der Blick auf den generellen Überarbeitungsbedarf des Auswertungsleitfadens gerichtet wurde, steht mit Beantwortung der zweiten Teilforschungsfrage abschließend im Mittelpunkt, wodurch sich Probleme bei der Anwendung des Auswertungsleitfadens beheben lassen können.

Teilforschungsfrage 2: Wodurch können sich Probleme, die die Anwendung des Auswertungsleitfadens betreffen, beheben lassen?

Die von den befragten Studierenden beschriebenen Probleme lassen sich erstens durch eine Überarbeitung der Handlungsanweisungen zu jedem Auswertungsschritt beheben.

Zweitens sind die sprachlichen Formulierungen in den Anweisungen dahingehend zu überarbeiten, dass weder Verständnisschwierigkeiten bezüglich der verwendeten Begriffe auftreten noch das Ziel eines Auswertungsschrittes als uneindeutig angesehen wird.

6.2.4.6 Schlussfolgerungen für die Modifikation des Verfahrens zur Erfassung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen auf Basis der Erkenntnisse der zweiten Teilevaluation

Die Ergebnisse der zweiten Teilevaluation lassen die Schlussfolgerung zu, dass der Auswertungsleitfaden in zeitlichen, sprachlichen, formalen und konzeptionellen Aspekten überarbeitungsbedürftig ist, um das Analyseverfahren zu modifizieren.

Eine theoretische Fundierung der verwendeten Begriffe wird in der vorliegenden Arbeit hergestellt, kann jedoch aufgrund des Umfangs nicht in den Handanweisungen des Auswertungsleitfadens erfolgen. Die befragten Studierenden wurden im Vorfeld der Evaluationsuntersuchung mit den handlungsleitenden theoretischen Annahmen vertraut gemacht, dennoch kann offensichtlich eine einsemestrige Lehrveranstaltung nicht die theoretische Auseinandersetzung, wie sie für das Verständnis bei der Auswertung notwendig ist, leisten. Es ist also sicherzustellen, dass die anwendenden Personen ausführlich Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit den zugrunde liegenden theoretischen Konstrukten und Konzepten erhalten, was beispielsweise durch eine entsprechende fachliche Unterweisung, eine Handanweisung, die ein Glossar beinhaltet, oder ein Video, das die Vorgehensweise bei der Auswertung veranschaulicht, erfolgen könnte.

In Bezug auf den zeitlichen Aufwand, den das Auswertungsverfahren in Anspruch nimmt und der von der Hälfte der befragten Studierenden als ‚nicht angemessen (zu aufwendig)‘ bewertet wurde, muss zusammenfassend festgehalten werden, dass entsprechend die andere Hälfte der befragten Studierenden den Zeitaufwand als ‚angemessen‘ bewertet und die Beurteilung abhängig von der Länge des auszuwertenden Interviews ist. Nicht auszuschließen ist darüber hinaus eine Verringerung des Zeitaufwands mit zunehmender Vertrautheit mit dem Auswertungsleitfaden. Zentral ist, dass es sich bei dem Analyseverfahren nicht um ein sogenannten Screening-Verfahren handelt, das in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Analyseergebnisse erzielen soll, und allein deshalb eine Reduktion des Zeitaufwands nicht die höchste Priorität bekommt. Das Verfahren soll nach Möglichkeit fortlaufend im Unterrichtsalltag von der diagnostizierenden Lehrkraft angewendet werden, was entsprechend zu einem konstanten zu bewältigenden Zeitaufwand führen könnte.

Im Anschluss an diese Teilevaluation wurde der Auswertungsleitfaden sowohl sprachlich hinsichtlich der Verständlichkeit der Handlungsanweisungen überarbeitet als auch hinsichtlich der Komplexität der einzelnen Auswertungsschritte. Im Anhang (siehe Anhang, S. 29 f. im elektronischen Zusatzmaterial) ist mit der Darstellung einer Korrekturversion dokumentiert, an welchen Stellen Änderungen im Auswertungsleitfaden vorgenommen wurden. Das Ergebnis dieser Überarbeitung ist der Auswertungsleitfaden, so wie in Abschnitt 7.2.2 beschrieben.

Die bisherigen Ausführungen zu den Teilevaluationen 1 und 2 thematisieren getrennt zuerst die Erprobung und Evaluation des Erhebungsverfahrens (siehe Teilevaluation 1 im Abschnitt 6.2.3) und anschließend des Auswertungsleitfadens im vorliegenden Abschnitt. Beide Teile wurden auf Grundlage der Ergebnisse der ersten und zweiten Teilevaluation überarbeitet und werden in dieser modifizierten Form in der im folgenden Abschnitt dargestellten dritten Teilevaluation zusammenhängend erprobt und evaluiert.

6.2.5 Teilevaluation 3: Erprobung der Anwendung des gesamten Verfahrens mit Fokus auf Verständigung über alltägliche Handlungen und Handlungsbegründungen bei der Informationserfassung sowie Reliabilität des Auswertungsleitfadens

Die dritte Teilevaluation legt den Fokus auf das gesamte Verfahren zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen. Bei dieser Untersuchung steht erstens die Verständigung über die sprachlichen und allgemeinen Handlungen des beteiligten Kindes im Mittelpunkt, die für das Erkennen der Bedingungen der alltäglichen Lebenssituation relevant sind, um auf dieser Wissensgrundlage die sprachliche Handlungsfähigkeit des beteiligten Kindes in alltäglichen Lebenssituationen erweitern zu können. Zweitens wird die Reliabilität desjenigen Auswertungsleitfadens fokussiert, der auf Basis der Erkenntnisse der ersten (siehe Abschnitt 6.2.3) und zweiten Teilevaluation (siehe Abschnitt 6.2.4) überarbeitet wurde.

Für die dritte Teilevaluation hat eine Studentin des Master-Studiengangs Lehramt für Sonderpädagogik mit dem Studienschwerpunkt Sprache als externe geschulte Person das Erhebungsverfahren zur Erfassung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen im Zeitraum August bis September 2019 durchgeführt, wofür problemzentrierte Interviews mit den Kindern geführt wurden. Die erhobenen Daten wurden anschließend im Forschungsteam mittels inhaltlich strukturierender qualitativer Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) ausgewertet und damit der Beantwortung der Forschungsfragen der dritten Teilevaluation zugrunde gelegt.

Mit dem Ziel der Modifikation des gesamten Analyseverfahrens sind folgende Forschungsfragen bei der vorliegenden dritten Teilevaluation zu beantworten:

  1. 1.

    Inwiefern erfolgt bei der Erfassung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen eine Verständigung über die alltäglichen Handlungen und deren Begründungen des beteiligten Kindes?

  2. 2.

    Inwiefern kann aufgrund der Verständigung über die alltäglichen Handlungen und deren Begründungen eines Kindes auf die Bedingungen der alltäglichen Lebenssituation des beteiligten Kindes geschlossen werden?

  3. 3.

    Inwiefern lässt sich das Verfahren zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Kindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen als reliabel bezeichnen?

Um die Forschungsfragen beantworten zu können, war es relevant, dass sich Schulkinder an den Interviews beteiligen, für die die Verständigung über alltägliche Handlungen und Handlungsbegründungen zur Erweiterung ihrer sprachlichen Handlungsfähigkeit von der an der Sprachförderung beteiligten Lehrkraft genutzt werden kann. Die Bildung dieses Samples wird im Folgenden beschrieben.

6.2.5.1 Auswahl der beteiligten Schulkinder

An der vorliegenden dritten Teilevaluation haben sich Schulkinder beteiligt, die im schulischen Kontext an Sprachförderprozessen teilnehmen. Als handlungsleitende Auswahlstrategie galt generell die Bereitschaft von Lehrkräften als, ‚Gatekeeper‘ zu fungieren und damit die Interviews mit den beteiligten Kindern zu ermöglichen.

Das Auswahlkriterium auf Seiten der Kinder war ein sprachliches Förderbedürfnis mit der Erweiterung der sprachlichen Handlungsfähigkeit im Alltag der Kinder. Abgegrenzt wird das sprachliche Förderbedürfnis im sprachhandlungstheoretisch beziehungsweise förderdiagnostischen Verständnis von einem im verwaltungsrechtlichen Zusammenhang verwendeten Begriff des sprachlichen Förderbedarfs (siehe Abschnitt 3.3.1.1), der als nicht grundlegend vorhanden vorausgesetzt wurde. Grund dafür ist das sprachhandlungstheoretische sowie förderdiagnostische Verständnis der vorliegenden Arbeit, wonach die Erweiterung der sprachlichen Handlungsfähigkeit eines Kindes im Mittelpunkt steht.

Schließlich wurden erstens mit fünf Schulkindern insgesamt 11 Interviews mit einer durchschnittlichen Länge von 15 Minuten geführt. Diese Datengrundlage wird zweitens durch die Daten zweier Interviews erweitert, die von einer weiteren Studentin im Rahmen ihrer Masterarbeit im Studiengang Lehramt für Sonderpädagogik an der Universität Hamburg geführt wurden. Diese Daten eignen sich zur Erweiterung der Datengrundlage, weil sie anhand des in dieser dritten Teilevaluation vorliegenden Erhebungsverfahrens zur Erfassung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen geführt wurden. Es wurden also insgesamt mit sechs Schulkindern 13 Gespräche von durchschnittlich 15 Minuten Dauer geführt. So lagen der Datenauswertung also insgesamt 13 Interviews in protokollierter beziehungsweise transkribierter Form vor (sämtliche Gesprächsprotokolle beziehungsweise zwei Transkripte sind vollständig dokumentiert und werden aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht veröffentlicht).

6.2.5.2 Datenerhebungsmethode: Problemzentriertes Interview nach Witzel (2000) im Erhebungsteil des Verfahrens zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen

Für die Datenerhebung der dritten Teilevaluation wurde der auf Basis der Ergebnisse der ersten Teiluntersuchung modifizierte Erhebungsteil des Verfahrens zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen durchgeführt. Es wurden also, wie in Bezug auf die Vorgehensweise bei der Erfassung von Informationen zu alltäglichen Handlungen und Handlungsgründen von Kindern beschrieben (siehe Anhang, S. 40–42 im elektronischen Zusatzmaterial), problemzentrierte Interviews mit den beteiligten Kindern geführt. Die Interviews wurden zum einen von einer geschulten studentischen Hilfskraft geführt, zum anderen von einer Studentin im Rahmen ihrer Masterarbeit.

Der Erhebungsteil des Analyseverfahrens ist so konzipiert, dass möglichst wenige Leitfragen im Vorfeld formuliert werden sollen, um ein Gespräch mit dem Kind zu ermöglichen, das sich nach dem individuellen Bedürfnis des Kindes richten kann. Das bedeutet, dass diejenigen Aspekte thematisiert werden, die aus Perspektive des am Gespräch beteiligten Kindes bedeutsam sind. Um aber den interviewenden Personen mit wenig Vorerfahrung die Gesprächsführung zu erleichtern, wurde ein Interviewleitfaden erstellt, der zwar nicht zwingend genutzt werden musste, aber auf den vorbereitend oder auch im Falle einer als unangenehm empfundenen Gesprächspause zurückgegriffen werden konnte. Der verwendete Interviewleitfaden ist im Anhang (siehe Anhang, S. 43 im elektronischen Zusatzmaterial) dokumentiert.

6.2.5.3 Datenauswertungsmethode: Inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018)

Die Datenauswertung wurde mittels inhaltlich strukturierender qualitativer Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) vorgenommen, damit die das Material hinsichtlich der für die Beantwortung der Forschungsfragen der dritten Teilevaluation relevanten inhaltlichen Aspekte zusammengefasst werden können. Dieser Vorgang ist die Grundlage für die Beantwortung der ersten und zweiten Forschungsfrage der vorliegenden Teilevaluation. Die dritte Forschungsfrage wird auf Basis der Kodierung beantwortet, wofür zusätzlich die Intercoder-Reliabilität berechnet wird (siehe Abschnitt 6.2.5.5).

Zur Auswertung anhand der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse wurden in Form einer „a-priori-Kategorienbildung“ (Kuckartz 2018, 64 f.) anhand des auf Basis der zweiten Teilevaluation modifizierten Auswertungsleitfadens (siehe Anhang, S. 31 im elektronischen Zusatzmaterial) Kategorien entwickelt. Für die anschließende Auswertung und zum Zweck der Transparenz von Kategorien, Ankerbeispielen und Kodierregeln wurde ein Kodierleitfaden erstellt (siehe Anhang, S. 44 im elektronischen Zusatzmaterial).

Für die Kodierung wurden die Gesprächsprotokolle beziehungsweise die Transkripte in Kodiereinheiten eingeteilt. Eine Kodiereinheit besteht aus einem Satz oder mehreren Sätzen, wenn diese als Frage oder Antwort von der interviewenden Person beziehungsweise dem am Interview beteiligten Kind geäußert wurden. Kurz gesagt: Jede inhaltlich zusammengehörende Äußerung stellt eine Kodiereinheit dar. Im Kodierprozess wurden alle Interviews im Forschungsteam zu zweit kodiert, wobei die Kodierung eines Interviews gemeinsam und die Kodierung der weiteren Interviews unabhängig voneinander erfolgte. Das gemeinsame Kodieren diente der Aufdeckung sowie Lösung eventueller Probleme im Kodierleitfaden, die die Zuordnung von Kodes erschweren könnten. Solche Probleme sind nicht aufgetreten, und eine Überarbeitung des Kodierleitfadens erschien daher nicht notwendig.

Auf Basis dieses Kodierprozesses wurde sowohl für jedes einzelne Interview als auch für alle Interviews gemeinsam die Intercoder-Reliabilität berechnet, was im Anschluss an die Darstellung der Ergebnisse der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) im folgenden Abschnitt beschrieben wird.

6.2.5.4 Detaillierte Ergebnisdarstellung der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) zur Erprobung und Anwendung des gesamten Verfahrens mit Fokus auf Verständigung über alltägliche Handlungen und Handlungsbegründungen bei der Informationserfassung sowie Reliabilität des Auswertungsleitfadens

Der nachfolgenden Ergebnisdarstellung der Auswertung durch die inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) liegt der im Abschnitt 6.2.5.3 erläuterte Kodierleitfaden (siehe Anhang, S. 44 im elektronischen Zusatzmaterial) zugrunde.

Zur Übersicht wird zunächst zu jeder Kategorie aufgezeigt, wie viele Kodier-einheiten dem Kode zugeordnet wurden:

  • K1 Falldarstellung: 214 Kodiereinheiten

  • K2.1 Handlungen: 404 Kodiereinheiten

  • K2.2 Handlungsgründe: 96 Kodiereinheiten

  • K3.1 Personale Bedingungen: 387 Kodiereinheiten

  • K3.2 Situationale Bedingungen: 491 Kodiereinheiten

  • K4 Sonstige: 247 Kodiereinheiten

Nachfolgend werden die Ergebnisse der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse detailliert dargestellt.

K1 Falldarstellung

Kodes, die zu dieser Kategorie gehören, werden dann kodiert, wenn ein neues Thema beziehungsweise neue Themen des Gesprächs ausgedrückt werden oder wenn ein neuer und relevanter Aspekt eines bereits angesprochenen Themas ausgedrückt wird.

Auf Basis der Äußerungen der am Interview beteiligten Kinder können dieser Kategorie beispielsweise die Themen ‚Essen‘ und ‚Freizeit‘ zugeordnet werden. Die Fragen der interviewenden Person zielen in den Fällen darauf ab zu erfahren, was die beteiligten Kinder gerne essen, was häufig eingekauft wird und was sie in ihrer Freizeit gerne tun oder was sie gerne tun würden.

Beschreibungen des Schulwegs und Äußerungen zum Alltag in der Schule können dieser Kategorie ebenfalls zugeordnet werden. So werden Äußerungen bezüglich der Entfernung der Schule von zu Hause oder Aktivitäten während der Pausen getätigt. Außerdem werden Freunde und interpersonale Beziehungen der beteiligten Kinder im Zusammenhang mit dem Schulalltag thematisiert.

Des Weiteren weist diese Kategorie Aussagen zum Tagesablauf der am Interview beteiligten Kinder aus. Außerdem wird angesprochen, wer zu Hause wohnt, was die Familie zusammen unternimmt und welche Handlungen das Kind zu Hause ausführt.

Es werden auch Themen angesprochen, die sich auf nicht-alltägliche Handlungen des Kindes beziehen. So kann festgestellt werden, was das Kind und seine Familie beispielsweise in den Ferien oder am Wochenende unternehmen, was nicht den alltäglichen Handlungen zugeordnet werden kann. Insbesondere Ausflüge, Urlaub und Familienbesuche werden hier genannt.

K2 Handlungen und Handlungsgründe

Kodes, die zu dieser Kategorie gehören, werden dann kodiert, wenn im Gespräch Handlungen sowie Handlungsgründe des am Interview beteiligten Kindes geäußert werden. Diese Kategorie enthält zwei Subkategorien, nämlich K2.1 Handlungen und K2.2 Handlungsgründe. Mit der Subkategorie K2.1 Handlungen werden dann Kodes kodiert, wenn die Handlungen, die das Kind ausgeführt hat, eindeutig erkannt werden können. Das sind beispielsweise Handlungen, bei denen das befragte Kind seinen eigenen Bedürfnissen oder Interessen nachgeht oder bei denen seine Bedürfnisse und/oder Interessen im Mittelpunkt stehen. Kodes werden dann mit der Subkategorie K2.2 Handlungsgründe kodiert, wenn eindeutig erkennbar ist, aus welchem Grund das befragte Kind die Handlungen, die es beschreibt, durchgeführt hat.

K2.1 Handlungen

Es wird beispielsweise angesprochen, was von der Familie oder vom Kind selbst eingekauft wird oder welche Handlungen vor, während oder nach dem Essen ausgeführt werden. Außerdem werden Handlungen beschrieben, die im Zusammenhang mit den Hobbys und Freizeitinteressen des Kindes stehen, so wie Fußball spielen, verschiedene Sammelkarten erwerben, sammeln und tauschen. Auch Spiele mit Geschwistern und Freunden werden genannt.

Des Weiteren finden sich Äußerungen von den befragten Kindern zu Handlungen, die im Zusammenhang mit ihrem Alltag in der Schule stehen. Hier wird geäußert, wie der Weg zur Schule zurückgelegt wird oder wie die Pause gestaltet wird. Auch dass ein Frühstück in der Schule anstatt zu Hause eingenommen wird, kann festgestellt werden.

Äußerungen, die sich auf den Alltag zu Hause mit der Familie oder auf den Alltag mit Freunden beziehen, können ebenfalls der Kategorie K2.1 Handlungen entnommen werden. Hier kann festgestellt werden, dass geäußert wird, an welchen Familienaktivitäten sich das Kind beteiligen darf oder muss. Beispielsweise werden Einkauf, Medienkonsum oder Mitspracherecht bei der Freizeitgestaltung genannt. Außerdem finden sich an dieser Stelle Aussagen dazu, dass sich die am Interview beteiligten Kinder mit ihren Geschwistern streiten oder mit ihnen spielen, sich mit Familienmitgliedern unterhalten oder wie sie Hausaufgaben erledigen.

Der Kategorie K2.1 Handlungen können darüber hinaus Äußerungen der befragten Kinder zu ihren Handlungen entnommen werden, die entweder in den Ferien stattgefunden haben oder in der Zukunft stattfinden werden, wie Urlaub und Familienbesuche. Des Weiteren wurden hier Handlungen kodiert, die die Freizeitgestaltung betreffen, aber nicht alltäglichen Handlungen zugeordnet werden können, wie beispielsweise Ausflüge mit der Familie. Beispielsweise berichtet ein Kind bei der Beschreibung eines Familienausflugs davon, noch nie ein Pferd angefasst zu haben, aber davon schon Pferde gesehen zu haben, und dass es Pferde gerne mag.

K2.2 Handlungsgründe

Diese Kategorie enthält keine Subkategorien, da Handlungsgründe aufgrund ihrer Individualität und der ihnen zugrunde liegenden individuellen Prämissen nicht zusammenfassend dargestellt werden können. Kodes werden dann mit dieser Kategorie kodiert, wenn die Gründe, die dem Handeln des Kindes zugrunde liegen, vom befragten Kind eindeutig geäußert werden oder die Aussagen des befragten Kindes implizit Handlungsgründe beinhalten.

Hier kann für die vorliegenden Fälle festgestellt werden, dass zum einen das Wissen eines Kindes als Handlungsgrund aufgeführt wird und zum anderen Vorlieben oder Abneigungen als Gründe genannt werden.

K3 Bedingungen der alltäglichen Lebenssituation

K3.1 Personale Bedingungen

Diese Kategorie beschreibt das Wissen, Können, die Fähigkeiten, Wünsche oder Interessen sowie Vorlieben und Abneigungen, Ziele, Werte und Pläne und so weiter des befragten Kindes. So werden in dieser Kategorie zum einen Äußerungen festgehalten, die Vorlieben und Abneigungen in Bezug auf Lebensmittel betreffen. Das Kind beschreibt, was es gerne isst und was nicht, was es gerne einkauft und dass es dabei Wünsche äußern kann.

Außerdem werden Vorlieben und Abneigungen bezüglich Medienkonsum geäußert: Das Kind erwähnt, was es gerne für Filme sieht und welche Spiele am Computer oder auf dem Handy gespielt werden dürfen. Auch Vorlieben oder Abneigungen bezüglich Sportarten werden genannt, und zwar in diesen Fällen zu Fußball, Laufen und Schwimmen.

Bei Äußerungen, die dem Kode der personalen Bedingungen zugeordnet wurden, werden drei Punkte thematisiert: Ein Kind beschreibt den Wunsch abzunehmen und hat einen Plan, wie es dieses Ziel erreichen kann. Ein anderes Kind äußert, dass es gerne reisen möchte und wohin, auch kann es die Gründe für diesen Wunsch nachvollziehbar darstellen. Ein drittes Kind äußert den Wunsch mal ein Pferd zu sehen, weil es Pferde mag und es noch nie ein echtes Pferd gesehen hat.

Sämtliches Wissen, das die Kinder im Zusammenhang ihrer alltäglichen Handlungen äußern beziehungsweise zum Beispiel aufgrund der Beschreibungen des Tagesablaufs erkannt werden kann, wird mit dem Kode K3.1 Personale Bedingungen kodiert. In Anbetracht der Äußerungen, die mit diesem Kode kodiert wurden, kann festgestellt werden, dass in einem Fall Wissen über Raum und Zeit, also räumliche und zeitliche Orientierung vorhanden ist, wenn der Schulweg und die Dauer diesen Weg zur Schule zurückzulegen, beschrieben werden. Des Weiteren wird Wissen angesprochen, das sich auf die Werte und Normen bezieht, die im Alltag der Familie zu Hause eine Rolle spielen. Beispielsweise dürfen im Fernsehen nicht alle Filme von einem Kind gesehen werden, oder es dürfen nicht ungefragt Süßigkeiten gegessen werden. In einem weiteren Fall liegen andere Regeln zugrunde und Medienkonsum ist uneingeschränkt erlaubt. Auch Wissen darüber, welche Sprachen zu Hause gesprochen werden, wird geäußert. Ein Kind weiß, wie es sich Geld verdienen kann, um dem Bedürfnis, Sammelkarten zu kaufen, nachkommen zu können.

K3.2 Situationale Bedingungen

Die Kategorie K3.2 ‚Situationale Bedingungen‘ beschreibt alle Bedingungen des Subjekts, die außerhalb von ihm liegen, das heißt Bedingungen wie beispielsweise zwischenmenschliche Beziehungen, Handlungen anderer Personen räumliche und zeitliche Bedingungen.

In den Äußerungen, die dem Kode der situationalen Bedingungen zugeordnet wurden, zeigt sich, dass unterschiedliche situationale Bedingungen wie Gegenstände, Ereignisse, zeitliche und räumliche Bedingungen und interpersonale Beziehungen/Kooperationen von den Kindern geäußert werden.

In der Subkategorie K3.2 ‚Situationale Bedingungen‘ kann festgestellt werden, welche Gegenstände den Kindern im Alltag zu Hause zur Verfügung stehen oder eine bedeutende Rolle spielen. Es gibt bei mehreren Kindern einen Fernseher, Computer, Handy und verschiedenes Spielzeug wie Autos, Playmobil und Sammelkarten.

Die Kinder berichten davon, was sie im Alltag erleben, beispielsweise spielen oder streiten sie mit ihren Geschwistern, was ebenfalls mit dem Kode der situationalen Bedingungen kodiert wurde. Außerdem sind es Handlungen der Eltern, Geschwister oder Freunde, die an dieser Stelle identifiziert werden können: In einem Fall bringt der Vater von der Arbeit eine Überraschung mit, in einem anderen Fall wird von der Schwester berichtet, die in einem Eisladen arbeitet. Auch Beschreibungen von Ausflügen oder Urlaubsaktivitäten werden genannt: Dazu zählen Familienbesuche, Reisen mit der Familie in andere Länder oder Städte und Ausflüge am Wochenende, beispielsweise ins Einkaufszentrum oder eine Tretbootfahrt.

Des Weiteren lassen sich auf Basis der Befunde Hinweise zur Nachmittags- und Abendgestaltungidentifizieren: Dazu zählen Fernsehen, Spiele, Hausaufgaben, gemeinsames Essen, Verabredungen oder Besuche der Familie.

Die Äußerungen, die sich auf Zeit- und Ortsangaben beziehen, werden ebenfalls der Subkategorie K3.2 ‚Situationale Bedingungen‘ zugeordnet. Es finden sich Äußerungen zu Zeitangaben im Kontext Schule, also wann die Kinder morgens aufstehen, wann sie zur Schule gehen und wie lange der Weg dorthin dauert. Auch in der Schule bezüglich der Pausen und hinsichtlich der Nachmittagsgestaltung werden grobe Zeitangaben gemacht beziehungsweise wird zeitliche Orientierung erkennbar.

Ortsangaben werden insbesondere im Zusammenhang mit den Ferienreisen geäußert. So können Äußerungen zu Urlaubsreisen festgestellt werden, die ebenfalls mit dem Kode der situationalen Bedingungen kodiert wurden.

Wenn Äußerungen bezüglich der Familienmitglieder oder anderer Personen gemacht werden, wurden diese ebenfalls mit der Subkategorie K3.2 ‚Situationale Bedingungen‘ kodiert. So werden Angaben zu Geschwistern gemacht: Bruder, Schwester und dass die Mutter ein weiteres Baby bekommt. Auch Eltern werden angesprochen: Vater oder Mutter, Freund der Mutter werden genannt. Bei der Beschreibung der Feriengestaltung werden Großeltern oder in einem Fall ein Cousin genannt.

Wenn Äußerungen zu zwischenmenschlichen Beziehungen, beispielsweise kooperativen Beziehungen, getätigt werden, werden die Äußerungen ebenfalls der Subkategorie K3.2 ‚Situationale Bedingungen‘ zugeordnet. Es kann festgestellt werden, dass von kooperativen Beziehungen in Form von Eltern, Geschwistern oder Freunden gesprochen wird. Von zwischenmenschlichen Beziehungen allgemein wird insofern berichtet, dass andere Schulkinder der Klasse oder Schule genannt werden, beispielsweise bei der Beschreibung von Aktivitäten in der Pause.

Es kann anhand der Äußerungen, die zu dieser Subkategorie zugeordnet werden, festgestellt werden, wer erstens zu Hause wohnt, beispielsweise Eltern oder Geschwister, wer zweitens besucht wird, beispielsweise Großeltern, Mutter, Schwester und wer drittens im Alltag eine Rolle spielt, beispielsweise Freunde, Geschwister oder ein Schulbegleiter.

K4 Sonstige

Kodiereinheiten, die dieser Kategorie zugeordnet wurden, liefern keinen Mehrwert bezüglich der Beantwortung der Forschungsfragen der vorliegenden Teilevaluation und wurden daher nicht in die Ergebnisdarstellung aufgenommen.

Die Ausführungen zeigen die Ergebnisse auf Basis der Auswertung der Interviewdaten auf. Auf dieser Grundlage werden im nächsten Abschnitt die Forschungsfragen der dritten Teilevaluation beantwortet, um im Anschluss daran Schlussfolgerungen aus den Befunden der dritten Teilevaluation für die Modifikation des Analyseverfahrens ziehen zu können.

6.2.5.5 Berechnung der Intercoder-Reliabilität

Die Berechnung der Intercoder-Reliabilität wurde anhand des Konkordanzkoeffizienten κ von Cohen vorgenommen, wobei zum einen für jedes Interview einzeln die Berechnung vorgenommen wurde und zum anderen für alle Interviews zusammen. Es liegen die Kodierungen der zwei Kodierer zugrunde, die mittels Kodierleitfaden (siehe Anhang, S. 44 im elektronischen Zusatzmaterial) kodiert wurden. Im Folgenden wird die Mehrfeldertafel (siehe Tabelle 6.3) der Berechnung der Übereinstimmung der Kodierungen aller Interviews gezeigt, um transparent zu machen, welche Daten der nachfolgenden Berechnung der Intercoder-Reliabilität zugrunde liegen.

Tabelle 6.3 Mehrfeldertafel zur Berechnung der Intercoder-Reliabilität (C1/C2: Kodierer 1 beziehungsweise 2, die Nummerierungen bezeichnen die Kategorien im Kodierleitfaden)

Folgende Formel dient zur Berechnung des Konkordanzkoeffizienten κ (Bortz & Döring 2002, S. 276 f.):

$${\text{k}} = \frac{{p - p_{e} }}{{1 - p_{e} }}$$

Es ergibt sich der Wert κ = 0,78964713, das heißt eine Übereinstimmung von .79 beziehungsweise 79 % (für eine ausführliche Darstellung der Berechnung siehe Anhang, S. 45 im elektronischen Zusatzmaterial).

6.2.5.6 Beantwortung der Forschungsfragen zur dritten Teilevaluation

Nachdem die Ergebnisse zusammenfassend entsprechend ihrer Zuordnung zu den einzelnen Kategorien dargestellt wurden, werden auf Basis dieser Erkenntnisse kategorienübergreifend die Forschungsfragen der dritten Teilevaluation beantwortet. Die Schlussfolgerungen basieren auf den Befunden dieser Forschungsfragen und werden anschließend (siehe 6.2.5.7) aufgezeigt.

6.2.5.6.1 Verständigung über die alltäglichen Handlungen und Handlungsbegründungen des beteiligten Kindes

Die erste Forschungsfrage der dritten Teilevaluation lautet:

Inwiefern erfolgt bei der Erfassung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen eine Verständigung über die alltäglichen Handlungen und deren Begründungen des beteiligten Kindes?

und wird im vorliegenden Abschnitt beantwortet.

Die Verständigung über die alltäglichen Handlungen des am Interview beteiligten Kindes erfolgt über die Äußerungen des Kindes, und zwar konkret über solche Äußerungen, welche Handlungen das Kind in seinem Alltag ausführt und welche Gründe es dafür anführen kann.

In den vorliegenden Fällen sprechen die Kinder mit der interviewenden Person über Handlungen in ihrer alltäglichen Lebenssituation und auch über deren Gründe. So wird davon berichtet, was das Kind am Nachmittag nach der Schule mit Freunden oder der Familie unternimmt, beispielsweise welche Spiele gespielt werden oder welche anderen Aktivitäten gemeinsam, wie etwa Einkaufen, ausgeführt werden.

Anhand der Auswertungen zur Kategorie K1 ‚Falldarstellung‘ konnten die Themen strukturiert herausgearbeitet werden, die das Kind thematisiert. Dazu gehören die Themen Schule, Familie und Freunde sowie Interessen beziehungsweise Vorlieben und Abneigungen des Kindes.

Mit der Kategorie K2 ‚Handlungen und Handlungsgründe‘ wurden konkret die Handlungen, die das Kind ausführt und die diesen Handlungen individuell zugrunde liegenden Gründe erkennbar. Beispielsweise sind es Handlungen wie: Spielen mit den Geschwistern, Fernsehen, PC-Spiele spielen, Hausaufgaben erledigen, einkaufen, Sport machen oder mit Freunden treffen und spielen. Diese Handlungen lassen sich bei den vorliegenden Fällen einteilen in

  • Handlungen des Alltags zu Hause mit der Familie und den Freunden,

  • Handlungen des Alltags im Zusammenhang mit der Schule und

  • Handlungen im Zusammenhang mit eigenen Bedürfnissen, wie beispielsweise Interessen.

So wird sich konkret darüber verständigt, was in den Familien eingekauft und gegessen wird, welche Regeln für den Medienkonsum gelten oder mit welchem Spielzeug die beteiligten Kinder spielen. Außerdem erfolgt die Verständigung über alltägliche Handlungen im Zusammenhang mit der Schule. So wird erkennbar, wie die Kinder den Weg zur Schule zurücklegen, was sie in der Schule gerne machen und wie sie ihre Pausen gestalten. Es werden Fußball oder andere Spiele wie Ticken gespielt, Sammelkarten getauscht und es ist erkennbar, dass beispielsweise einem Kind das Üben im Unterricht gefällt.

Eine Verständigung über die Gründe findet ebenso statt. Beispielsweise sind es Interessen oder Vorlieben beziehungsweise Abneigungen, die zu bestimmten Handlungen führen. Aus analytischen Gründen sind die Handlungsgründe von den Handlungen getrennt aufgezeigt worden, jedoch zeigt sich, dass diese in der Verständigung selbst vom Kind nicht getrennt reflektiert werden, außer, eine Frage richtet sich gezielt nach der Begründung einer konkreten Handlung.

Mit Beantwortung dieser ersten Forschungsfrage zur dritten Teilevaluation liegen Befunde darüber vor, inwiefern mit der Erfassung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation eines Kindes eine Verständigung über die alltäglichen Handlungen und Handlungsgründe stattfindet. Wie aus den in diesem Abschnitt dargestellten Befunden auf die Bedingungen der alltäglichen Lebenssituation geschlossen werden kann, wird mit der nachfolgenden Beantwortung der zweiten Forschungsfrage der dritten Teilevaluation erläutert.

6.2.5.6.2 Rekonstruktion von Bedingungen der alltäglichen Lebenssituation des beteiligten Kindes

Nachfolgend wird die zweite Forschungsfrage der dritten Teilevaluation beantwortet, welche lautet:

Inwiefern kann aufgrund der Verständigung über die alltäglichen Handlungen und deren Begründungen eines Kindes auf die Bedingungen der alltäglichen Lebenssituation des beteiligten Kindes geschlossen werden?

Im Sinne des Prämissen-Gründe-Zusammenhangs sind aus den Beschreibungen der Handlungen und Handlungsgründe die Bedingungen der alltäglichen Lebenssituation rekonstruierbar.

Es handelt sich um Bedingungen, die einerseits in der Person selbst liegen können, also personale Bedingungen. Andererseits sind es situationale Bedingungen, die als außerhalb der Person liegend beschrieben werden können.

Personale Bedingungen der alltäglichen Lebenssituation

Zu den personalen Bedingungen zählen bei den befragten Kindern beispielsweise das Wissen über die Sprache, die zu Hause gesprochen wird, oder die Fähigkeiten und das Können, bestimmte Sprachen zu sprechen, ein Baumhaus zu bauen oder Medienkompetenz, was den Umgang mit Handy oder PC betrifft.

Außerdem sind Bedingungen wie Normen und Werte innerhalb der Familie erkennbar, wenn sich die Kinder und andere Familienmitglieder zu Hause darüber verständigen, welche Fernsehsendungen gesehen werden dürfen, wann PC-Spiele erlaubt sind und ob und wie viele Süßigkeiten gegessen werden dürfen.

Wünsche und Interessen sowie Vorlieben und Abneigungen sind ebenso erschließbar und als Bedingungen der alltäglichen Lebenssituation rekonstruierbar. Bei den beteiligten Kindern dreht es sich dabei unter anderem darum, ein Pferd zu sehen, zu reisen, gut Fußball spielen zu können oder abzunehmen (Wünsche). Hinsichtlich der Vorlieben und Abneigungen werden in den vorliegenden Fällen unter anderem Lebensmittel genannt, welche gerne oder nicht gerne gegessen werden. Bezüglich der Interessen der beteiligten Kinder stellen sich das Sammeln und Tauschen von Sammelkarten heraus sowie bestimmte Themen wie Einhörner oder Avengers, PC-Spiele und Filme oder Musik.

Situationale Bedingungen der alltäglichen Lebenssituation

Situationale Bedingungen sind zwischenmenschliche Beziehungen, also entweder alle Personen, die eine Rolle spielen, oder speziell kooperative Beziehungen sowie die Handlungen anderer Personen.

Von den befragten Kindern werden zum einen die Familienmitglieder genannt, die zu Hause wohnen, und was sie dort tun: Geschwister spielen oder streiten, Eltern arbeiten, kochen oder helfen bei den Hausaufgaben.

Außerdem werden Freunde genannt, mit denen sich die beteiligten Kinder zum Spielen verabreden oder andere Kinder, die in der Schule getroffen werden. Es werden auch Familienmitglieder genannt, die nicht mit zu Hause wohnen, sondern im Urlaub besucht werden: Großeltern, Cousin oder die Mutter.

Räumliche und zeitliche Bedingungen als Bestandteile situationaler Bedingungen sind dann rekonstruierbar, wenn die beteiligten Kinder sich mit der interviewenden Person über Reisen und Urlaub verständigen oder wenn sie beschreiben, wo sie wohnen und wie der Schulweg zurückgelegt wird. Abstrahierend kann formuliert werden, dass räumliche und zeitliche Bedingungen in der vorliegenden Befragung durch die Themen Verkehrsmittel, Distanzen sowie Dauer Ausdruck fanden und so erschlossen werden konnten.

Diese Ausführungen zeigen, wie es mittels der Verständigung über die Handlungen des beteiligten Kindes sowie über die jeweiligen Handlungsgründe gelingen kann, Bedingungen der alltäglichen Lebenssituation zu rekonstruieren. Das Verfahren zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Kindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen soll als Verfahren im Rahmen der pädagogischen Sprachdiagnostik durchgeführt werden. Daher erscheint es wichtig, dass nachvollziehbar dargestellt werden kann, inwiefern die Möglichkeit besteht, anhand von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation in Form von Informationen über alltägliche Handlungen und Handlungsbegründungen die Bedingungen der alltäglichen Lebenssituation zu rekonstruieren, und zwar nicht nur für die im Rahmen der vorliegenden dritten Teilevaluation befragten Kinder. Um nachvollziehbar erläutern zu können, mit welcher Begründung davon ausgegangen wird, dass das Analyseverfahren im Rahmen pädagogischer Sprachdiagnostik verlässlich zur Rekonstruktion von Bedingungen der alltäglichen Lebenssituation angewendet werden kann, wird im nachfolgenden Abschnitt die Intercoder-Reliabilität für die Kodierung der Interviews der dritten Teilevaluation vorgenommen und zur Beantwortung der dritten Forschungsfrage der dritten Teilevaluation herangezogen.

6.2.5.6.3 Reliabilität des Verfahrens zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Kindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen

Zur Beantwortung der dritten Forschungsfrage der dritten Teilevaluation, wurde die Berechnung der Intercoder-Reliabilität ausgeführt (siehe Abschnitt 6.2.5.5). Mithilfe dieses Gütekriteriums kann der Rückschluss auf die Reliabilität des Auswertungsleitfadens gezogen werden (Kuckartz 2018, 206). Die dritte Forschungsfrage lautet:

Inwiefern lässt sich das Verfahren zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Kindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen als reliabel bezeichnen?

Es ergibt sich der Wert κ = 0,78964713, das heißt eine Übereinstimmung von .79 beziehungsweise 79 %. Dieser Wert kann nach Hemmerich (2019), die bei der Interpretation des Kappa-Wertes zum einen auf Landis und Koch (1977) verweist, als substanziell, zum anderen bei Verweis auf Altman (1991) als gut bezeichnet werden. Der Wert zeigt an, dass die zwei Rater, die die Auswertung der Interviews anhand des Kategoriensystems unabhängig voneinander vorgenommen haben, zu 79 % in ihren Urteilen übereinstimmen. Für eine Zusammenfassung der Berechnung wird auf Abschnitt 6.2.5.5 und für eine ausführliche Darstellung der Berechnung sowie der zugrunde liegenden Daten auf den Anhang (siehe Anhang, S. 45 im elektronischen Zusatzmaterial) verwiesen.

Die dritte Forschungsfrage der dritten Teilevaluation kann damit folgendermaßen beantwortet werden: Nach Überarbeitung des Auswertungsverfahrens und der damit einhergehenden besseren sprachlichen Verständlichkeit der Handanweisung der einzelnen Auswertungsschritte kann mit dem Konkordanzkoeffizienten κ von .79 eine gute Übereinstimmung von 79 % zwischen den beiden Kodierern hinsichtlich der Zuordnung von Äußerungen der befragten Kinder zu den Auswertungskategorien festgestellt werden, womit eine Reliabilität des Verfahrens bestätigt wird. Dieser Wert ergibt sich aus der Berechnung der Übereinstimmung aller kodierten Interviews, kann aber nicht stellvertretend für die Übereinstimmung einzelner Interviews betrachtet werden. Aufgrund dieser Berechnung ergibt sich die Schlussfolgerung, dass das Kategoriensystem, das gleichermaßen den Auswertungsleitfaden des Analyseverfahrens darstellt, sowohl gut verständlich ist als auch eindeutige Zuordnungen von Äußerungen der befragten Personen zu den Kategorien, die wiederum die Auswertungsschritte des Auswertungsleitfadens darstellen, zulässt. Für die Fälle der vorliegenden dritten Teilevaluation konnte gezeigt werden, dass mit dem entwickelten Auswertungsverfahren Interviews mit Kindern hinsichtlich der Bedingungen ihrer alltäglichen Lebenssituation verlässlich und genau ausgewertet werden können.

6.2.5.7 Schlussfolgerungen für die Modifikation des Analyseverfahrens auf Basis der Erkenntnisse der dritten Teilevaluation

Die Beantwortung der ersten und zweiten Forschungsfragen der dritten Teilevaluation zeigt auf, inwiefern sich mittels des Analyseverfahrens die Bedingungen der alltäglichen Lebenssituation der an den Interviews beteiligten Kinder durch den Prämissen-Gründe-Zusammenhang rekonstruieren lassen.

Anhand des Konkordanzkoeffizienten kann gezeigt werden, dass zwei voneinander unabhängige Rater bei ihrer Beurteilung gut übereinstimmen. Damit kann das Auswertungsverfahren als reliabel bezeichnet werden und erscheint auf dieser Grundlage nicht überarbeitungsbedürftig. Überarbeitungsbedarf besteht insgesamt hinsichtlich der praxisorientierten Formulierung der Handlungsanweisungen in Form von Beispielen und Erklärungen zu den einzelnen Auswertungsschritten, sodass eine intensive Schulung der anwendenden Personen wie bei der studentischen Hilfskraft, die die Gespräche mit den Kindern geführt hat, beziehungsweise wie bei der Studentin, die das Verfahren im Rahmen ihrer Masterarbeit durchgeführt hat, nicht mehr zwingende Voraussetzung für die Anwendung des Verfahrens wird. Denn mit einer Überarbeitung der Handlungsanweisungen kann davon ausgegangen werden, dass im Falle einer erneuten Berechnung der Intercoder-Reliabilität ein noch besserer Wert erzielt werden könnte, da dann davon ausgegangen werden kann, dass weniger Fehler bei der Beurteilung aufgrund der Uneindeutigkeit des Kategoriensystems, das mit der Schrittfolge im Auswertungsleitfaden übereinstimmt, auftreten.

6.3 Zusammenfassung und kritische Einschätzung der Ergebnisse und empirischen Vorgehensweise

In diesem Kapitel erfolgt eine übergreifende Zusammenfassung der Ergebnisse der drei Teilevaluationen (6.3.1) und eine kritische Reflexion der gewählten Vorgehensweise bei den Teilevaluationen (6.3.2). In der Reflexion wird auf die eingangs genannten Evaluationsstandards eingegangen.

6.3.1 Zusammenfassung der Ergebnisse: Thesen zur Entwicklung, Erprobung und Evaluation eines Verfahrens zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Kindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen

Die Zusammenfassung der Ergebnisse soll hier in komprimierter Form von fünf Thesen erfolgen, um die zentralen Erkenntnisse bezüglich der Entwicklung und Erprobung des Verfahrens zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen aufzuzeigen. Für eine ausführliche Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse wird nach jeder These auf die jeweiligen Abschnitte dieses Kapitels verwiesen.

  1. 1.

    Frageformate müssen erzählgenerierend sein, um eine Verständigung über die Handlungen und Handlungsgründe mit den beteiligten Kindern zu ermöglichen. Die Fragen sind dabei möglichst offen zu formulieren, wobei die individuellen Kompetenzen des Kindes berücksichtigt werden müssen, denn auch durch zu offene Fragen können Schwierigkeiten bei der Beantwortung entstehen (siehe Abschnitt 6.2.3.5.1).

  2. 2.

    Eine explorative Haltung der diagnostizierenden Person ist erforderlich, um einerseits eine gute Beziehung zum Kind herstellen zu können und andererseits möglichst unvoreingenommen und frei von Eigenschaftszuweisungen mit dem Kind ins Gespräch kommen zu können (siehe Abschnitt 6.2.3.5.2).

  3. 3.

    Die sprachlichen Formulierungen im Auswertungsleitfaden müssen für die auswertende Person so präzise und verständlich sein, dass es nicht zu Schwierigkeiten bei der Anwendung kommt und es unklar erscheinen könnte, worauf einzelne Auswertungsschritte abzielen. Auch müssen verwendete Begriffe klar hergeleitet und verständlich dargestellt werden (siehe Abschnitt 6.2.4.5.1).

  4. 4.

    In Bezug auf den Zeitaufwand, der zur Auswertung von erfassten Informationen zur alltäglichen Lebenssituation benötigt wird, kann bei einem vermuteten hohen Zeitaufwand auf eine inhaltlich sinnvolle Einteilung der erfassten Informationen zur alltäglichen Lebenssituation zurückgegriffen werden (siehe Abschnitt 6.2.4.5.1).

  5. 5.

    Eine Verständigung über Handlungen und Handlungsgründe kann mit dem Analyseverfahren erreicht werden. Insbesondere durch die Anwendung des Auswertungsleitfadens können Bedingungen der alltäglichen Lebenssituation rekonstruiert werden (siehe Abschnitte 6.2.5.6.1 und 6.2.5.6.2).

  6. 6.

    Die Berechnung des Konkordanzkoeffizienten zeigt nach Hemmerich (2019) eine gute Übereinstimmung von 79 % an. Das bedeutet, dass in den Fällen der Teilevaluation 3 die auswertenden Personen mit dem in der vorliegenden Arbeit entwickelten Analyseverfahren die Interviews mit Kindern hinsichtlich der Bedingungen ihrer alltäglichen Lebenssituation verlässlich und genau analysieren können (siehe Abschnitt 6.2.5.6.3).

6.3.2 Kritische Reflexion der gewählten Vorgehensweise in den drei Teilevaluationen

Im vorliegenden Abschnitt werden die Samplebildung und das Sample, die gewählte Datenerhebungsmethode sowie die Datenauswertungsmethode in den drei Teilevaluationen hinsichtlich ihrer Möglichkeiten und Grenzen kritisch reflektiert. Anschließend wird die Reflexion hinsichtlich der Evaluationsstandards (siehe Abschnitt 6.2.1) übergreifend über die drei Teilevaluationen dahingehend zusammengefasst, inwiefern die Evaluationsstandards bei der methodischen Umsetzung der drei Teilevaluationen angemessen berücksichtig wurden.

Samplebildung und Sample

Bezüglich der Samplebildung und der Samples aller drei Teilevaluationen kann hervorgehoben werden, dass das Verfahren zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen von Bachelor- und Master-Studierenden des Lehramts für Sonderpädagogik, zum Teil mit dem Studienschwerpunkt Sprache, im Rahmen universitärer Seminare erprobt wurde, diese also als Fachleute für pädagogische Sprachdiagnostik betrachtet werden können und sich im Vorfeld der Erprobung detailliert im Rahmen der universitären Lehrveranstaltung mit den Grundlagen pädagogischer Sprachdiagnostik auseinandersetzen konnten. Kritisch anzumerken ist neben der geringen Größe der Stichprobe, dass das Sample sich ausschließlich auf Studierende des Lehramts für Sonderpädagogik bezog und dadurch stark begrenzt wurde.

Datenerhebungsmethoden

Hinsichtlich der Auswahl der Datenerhebungsmethoden kann hervorgehoben werden, dass sowohl qualitative als auch quantitative Forschungsmethoden eingesetzt wurden.

Bezüglich der Datenerhebung im Rahmen der ersten Teilevaluation, die durch ein qualitatives Interview und anhand eines vollstrukturierten Interviewleitfadens mit den Studierenden im Anschluss an die Erprobung des Verfahrens zur Erfassung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation vorgenommen wurde, ist festzustellen: Als nützlich hat sich diese Vorgehensweise erwiesen, da der Leitfaden das Interview gut strukturieren konnte und die im Vorfeld entwickelten Fragen gestellt werden konnten, sodass keine Hinweise seitens der Studierenden zu der Erprobungssituation verloren gehen konnten. Problematisch erscheint die Anwendung des vollstrukturierten Interviewleitfadens dahingehend, dass bei der Interviewführung wenig spontane Nachfragen gestellt wurden und dadurch den Studierenden wenig Raum dafür zur Verfügung gestellt werden konnte, aufzuzeigen, welche Aspekte für sie relevant hinsichtlich der Modifizierung des Analyseverfahrens erscheinen.

In der zweiten Teilevaluation wurden die Studierenden, die im Rahmen einer universitären Lehrveranstaltung das Verfahren zur Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen erprobt haben, mittels vollstrukturierten Fragebogens zu ihrer Einschätzung hinsichtlich der Praktikabilität des Auswertungsleitfadens befragt. Die gewählte Vorgehensweise der Datenerhebung anhand eines vollstrukturierten Fragebogens erweist sich insofern als nützlich, dass die Befragung zeitökonomisch durchgeführt werden konnte und möglichst viele Daten erhoben werden konnten, die ausgewertet werden und zur Modifizierung des Analyseverfahrens beitragen konnten. Kritisch zu betrachten ist der Fragebogen insofern, dass er hinsichtlich seiner Effektivität ausbaufähig erscheint. Das bedeutet, dass die Items stärker auf die Aspekte des Auswertungsverfahrens zugeschnitten werden könnten oder stärker differenziert nach der Praktikabilität des Auswertungsverfahrens fragen könnten, als es im Fragebogen der zweiten Teilevaluation der Fall ist.

Die Datenerhebungsmethode der dritten Teilevaluation ist zugleich der Teil des Analyseverfahrens, der die Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen erfasst, wobei es sich um das im Anschluss an die erste Teilevaluation modifizierte Verfahren zur Erfassung der Informationen handelt. Das bedeutet, dass die Daten mittels problemzentrierten Interviews erhoben wurden, so wie in der Vorgehensweise zur Erfassung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation (siehe Anhang, S. 13 f. im elektronischen Zusatzmaterial) beschrieben. Für das problemzentrierte Interview stand ein teilweise strukturierter Leitfaden zur Verfügung, der optional genutzt werden konnte. So war es möglich, dass der Gegenstand des problemzentrierten Interviews von den an den Interviews beteiligten Kindern mitbestimmt werden konnte. Andererseits besteht die Grenze in der Wahl eines optionalen und teilstrukturierten Leitfadens darin, dass möglicherweise Daten, die bedeutsam für die Auswertung sein könnten, nicht erfragt werden würden oder dass das Gespräch ungewollt abbricht.

Datenauswertungsmethoden

Jede der drei Teilevaluationen wird mittels der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) ausgewertet. Bei der zweiten Teilevaluation wird zudem auf die quantitative Auswertung mittels SPSS zurückgegriffen.

Übergreifend über die drei Teilevaluationen kann hinsichtlich der Kategorienbildung festgehalten werden, dass die Kategorien in Orientierung an die Interviewleitfäden der jeweiligen Datenerhebungsmethoden entwickelt wurden, sodass gewährleistet werden konnte, dass keine wesentlichen Informationen verloren gehen. Das Material konnte inhaltlich strukturiert werden, sodass auf dieser Basis die Forschungsfragen der jeweiligen Teilevaluation beantwortet werden konnten. Kritisch betrachtet werden muss jedoch in der zweiten und dritten Teilevaluation die Vorgehensweise der Kategorienbildung, die zusätzlich induktiv hätte vorgenommen werden können, um eine umfassendere Datenauswertung vornehmen zu können, die wiederum weitere Erkenntnisse zur Modifizierung des Analyseverfahrens hätte hervorbringen können.

Die Datenauswertung mittels SPSS stellt eine effiziente Möglichkeit dar, die Daten hinsichtlich der auftretenden Häufigkeiten zu untersuchen. Das Potenzial der quantitativen Auswertung mittels SPSS blieb in der betreffenden zweiten Teilevaluation jedoch ungenutzt. Beispielsweise hätte die Funktion der Fallauswahl und anschließender Auswertung von ausgewählten Fällen vorgenommen werden können, um zusätzliche Informationen zu den Daten zu erhalten, die zur Beantwortung der Forschungsfrage hätten beitragen können.

Durch die Erprobung des gesamten Verfahrens im Rahmen der dritten Teilevaluation durch eine externe und geschulte Person wurde die Berechnung der Intercoder-Reliabilität ermöglicht, wodurch gezeigt werden konnte, dass mit einem Wert von 79 % für alle Interviews eine gute Übereinstimmung bei der Auswertung erzielt wurde. Das bedeutet, dass das Auswertungsverfahren es also generell ermöglicht, die Bedingungen der alltäglichen Lebenssituation von Kindern verlässlich zu rekonstruieren. Um eine noch höhere Übereinstimmung bei der Berechnung des Konkordanzkoeffizienten erhalten zu können, müssten die einzelnen Zuordnungen der Kodiereinheiten zu den Kategorien gesichtet und Differenzen diskutiert werden, um eventuelle Unklarheiten im Kodierleitfaden beseitigen zu können.

Hinsichtlich der Ergebnisse der dritten Teilevaluation ist die kritische Betrachtung der Berechnung eines Kappa-Wertes für die Bestimmung der Reliabilität bei qualitativ ausgewerteten Interviews zu nennen. Allein die Berechnung eines solchen statistischen Wertes lässt zwar eine Schlussfolgerung bezüglich der Reliabilität des Kategoriensystems zu, allerdings ist die Aussagekraft bei qualitativ ausgewerteten Daten nicht vergleichbar mit der Bestimmung eines Reliabilitätskoeffizienten bei der Auswertung quantitativer Daten. Das heißt, dass bezüglich der Datenauswertung in qualitativen Untersuchungen die Bestimmung des Konkordanzkoeffizienten, wie auch in der vorliegenden Arbeit, dazu dient, das Kategoriensystem im Prozess des Kodierens zu bewerten und gegebenenfalls zu verbessern, was sich förderlich auf die Beantwortung der Forschungsfragen auswirkt (Müller-Benedict 1997), da so die Aussagekraft der Kategorien gestärkt wird. Für die vorliegende Untersuchung bedeutet das, dass eine Bestimmung der Intercoder-Reliabilität nach Abschluss des Kodierens zwar aussagekräftig bezüglich der Praktikabilität des Kategoriensystems ist, aber an Aussagekraft gewinnen und die Praktikabilität des Kategoriensystems stärken würde, wenn Kodieren und Intercoder-Reliabilitätsbestimmung zirkulär ineinandergreifen würden.

Mithilfe der Erprobungen des Verfahrens und Evaluationen der Erprobungen in drei Teilen konnten aufschlussreiche Erkenntnisse hinsichtlich der Überarbeitungsnotwendigkeit des anfänglichen Analyseverfahrens gewonnen werden. Insbesondere die erste und zweite Teilevaluation dienten der Erprobung des Erhebungsverfahrens und des Auswertungsverfahrens. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, durch stetige Verbesserung der individuellen Erhebungssituation aussagekräftige Interviews zu erhalten, mit denen die Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Kindern sorgfältig erfasst werden können. Dafür ist eine Anleitung der diagnostizierenden Personen hinsichtlich der Formulierung erzählgenerierender Fragen, die gleichzeitig nach den Begründungen der Handlungen der Kinder fragen, von großer Bedeutung.

Die Ergebnisse der drei Teilevaluationen können nicht als verallgemeinerbar betrachtet werden. Es handelt sich um Einzelfälle, die für sich im Sinne einer Möglichkeitsverallgemeinerung nach Holzkamp (1985) Schlussfolgerungen zulassen, was nicht gleichzusetzen ist mit einer Abstraktion der individuellen Ergebnisse. Vielmehr bedeutet Verallgemeinerung in diesem Zusammenhang das „Begreifen von Unterschieden als verschiedene Erscheinungsformen des gleichen Verhältnisses“ (Holzkamp 1985, 549). So sollen die dargestellten Ergebnisse auch verstanden werden. Die Kategorien bilden ein Gerüst, auf dem der Auswertungsleitfaden des Analyseverfahrens basiert, und sollen redundant einsetzbar sein, weshalb die Berechnung der Interoder-Reliabilität (siehe Abschnitt 6.2.5.5) vorgenommen wurde.

Hinsichtlich der Evaluationsstandards nach Döring und Bortz (2016, 991 f.), die im Abschnitt 6.2.1 aufgeführt sind, kann zusammenfassend festgestellt werden:

  1. 1.

    Nützlichkeit: Die Evaluation in drei Teilen erweist sich als nützlich, da die Ergebnisse direkt zu einer Modifizierung und damit Optimierung des Analyseverfahrens geführt haben. Die Interessen und Bedürfnisse der Nutzenden wurden dabei in den Mittelpunkt gerückt.

  2. 2.

    Durchführbarkeit: Die Evaluation wurde realistisch und gut durchdacht durchgeführt, was sich darin zeigt, dass Studierende des Lehramts für Sonderpädagogik mit Schulkindern Gespräche geführt haben und die Ergebnisse der unterrichtenden Lehrkraft zur Verfügung gestellt werden konnten. Gleichzeitig ist zur Durchführbarkeit kritisch anzumerken, dass, wenn eine Untersuchung gut durchdacht sein soll, an verschiedenen Stellen, wie beispielsweise dem Sampling, die Teilevaluationen verbessert werden können. ‚Kostenbewusst‘ ist ein Merkmal, das auf die vorliegende Evaluation zutrifft, allerdings aus forschungspraktischen Gründen und wegen fehlender weiterer Ressourcen.

  3. 3.

    Fairness: Ein respektvoller und fairer Umgang mit allen Beteiligten ist gesichert und wird aufgrund der anthropologischen und erziehungswissenschaftlichen sowie subjektwissenschaftlichen handlungsleitenden Grundannahmen vorausgesetzt.

  4. 4.

    Genauigkeit: Wie die Beantwortung der Evaluationsfragen und die Zusammenfassung der Ergebnisse aufzeigen, ist die Evaluation so angelegt, dass die Evaluationsziele durch zwei Aspekte erfüllt werden: erstens indem die entsprechenden Informationen und Ergebnisse hervorgebracht werden und zweitens indem die Ergebnisse hinreichend für eine Beantwortung der Forschungsfragen genutzt werden können.

Abschließend ist zu bemerken, dass es sich bei allen drei Teiluntersuchungen um explorativ angelegte Evaluationen handelt. Es liegen geringe Fallzahlen und entsprechend eingeschränkte Analyseergebnisse vor, die gezeigt haben, dass das entwickelte und untersuchte Analyseverfahren als praktikabel zu bezeichnen ist. Dennoch kann diese Aussage nur für die vorliegenden Untersuchungen mit den an den Interviews beteiligten Kindern getroffen werden. Eine Verallgemeinerung, wie sie bei der Verwendung psychologischer Testverfahren anvisiert wird, ist hier nicht möglich und wird aufgrund der subjektwissenschaftlichen Forschungsperspektive nicht angestrebt. Die Befunde bieten auf Basis der subjektwissenschaftlichen Forschungsperspektive also den Mehrwert für die pädagogische Sprachdiagnostik, dass als Standpunkt der diagnostizierenden Person der Standpunkt des Subjekts eingenommen wird. Für ein subjektorientiertes diagnostisches Verfahren wird eine spezifische, nämlich subjektwissenschaftliche Methodologie benötigt, die in der vorliegenden Arbeit der Entwicklung des Verfahrens zur Erfassung und Auswertung von Informationen zur alltäglichen Lebenssituation von Schulkindern mit sprachlichen Beeinträchtigungen zugrunde gelegt wird.

Die Bedeutung der gewonnenen Erkenntnisse, die in den bisherigen Ausführungen dargestellt wurden, wird in den folgenden Kapiteln 7, 8 und 9 im Sinne einer Bilanzierung in den Mittelpunkt gestellt. Die Bilanzierung hat zum Ziel, zentrale Ergebnisse sowie die gewählte Vorgehensweise der vorliegenden Arbeit zusammenzufassen, zu diskutieren und zu reflektieren (7). Zudem werden aus den Erörterungen Implikationen für die pädagogische Sprachförderung und pädagogische Sprachdiagnostik sowie für zukünftige Forschungsfelder abgeleitet (8). Die Bilanzierung endet mit einem Schlusswort (9).