Mit der Schulinspektion besteht seit über 15 Jahren ein datenbasiertes Instrument Neuer Schulsystemsteuerung in den deutschen Bundesländern. Es handelt sich dabei um die Bewertung schulischer Qualität auf Grundlage normativer Maßstäbe, um letztlich Schulen dazu anzuregen, Qualitätssicherungs- und Entwicklungsmaßnahmen zu ergreifen. Allerdings haben mittlerweile eine Vielzahl von Befunden zur Schulinspektion gezeigt, dass sich die anvisierte Wirkungsweise dieses Steuerungsinstruments nicht eindeutig nachweisen lässt (u. a. Husfeldt, 2011b; Quesel et al., 2011; Heinrich & Lambrecht, 2018). Es fehlt nach Böttcher et al. (2013) an einer „Verzahnung zwischen Schulinspektion und Schulentwicklungspraxis“ (S. 239, Herv. i. O.). Anders formuliert erfüllt sich der Transfer bzw. die Überführung der Diagnose in Maßnahmen zur Schul- und Unterrichtsentwicklung nicht in dem Maße, wie es vor einigen Jahren noch erwartet wurde (Altrichter & Kemethofer, 2016; Gärtner, 2018).

In der Hoffnung auf aufschlussreiche Erklärungen für die o.g. Befundlage findet in der Schulinspektionsforschung seit geraumer Zeit eine Abwendung von Wirkungsfragen und eine Hinwendung zu Fragen nach den sich in der Praxis ereignenden Modi der Handlungskoordination statt. Diese werden oftmals unter Anschluss an die Educational Governance empirisch bearbeitet (Altrichter et al., 2007a; Heinrich & Lambrecht, 2018; Kussau & Brüsemeister, 2007a). Auch in der vorliegenden Studie wird diese Forschungsperspektive genutzt und Schulinspektion als komplexes Gebilde des Zusammenwirkens unterschiedlicher AkteureFootnote 1 begriffen, wodurch sich das Inspektionsverfahren dann „als Koordinationsverhältnis untersuchen [lässt]“ (Brüsemeister et al., 2016, S. 61). Dies ist besonders voraussetzungsreich, weil bei Schulinspektion eine Vielzahl von Akteuren mit verschiedenen Zuständigkeiten beteiligt ist. Allen voran sind darunter die Akteure aus der Schulleitung, den Inspektoraten, der Schulaufsicht sowie weiteren Unterstützungsinstanzen zu nennen (u. a. Maag Merki, 2020). In einem durch diesen Forschungsfokus geprägten Schulinspektionsdiskurs lässt sich beobachten, dass das obige Transferproblem ausdifferenziert wird: Um nachhaltige Entwicklungseffekte im Nachgang einer Schulinspektion zu erzielen, fehlt es an einer „Verzahnung […] der relevanten Akteure“ (Gärtner, 2018, S. 25, Herv. i. O.).

Empirisch gesehen braucht es insgesamt „Forschungen, die vermehrt die Ausgestaltung der interinstitutionalen Schnittstellen, also die kooperativen Konstellationen zwischen systemisch-strukturell verflochtenen Akteuren […] in den Blick nehmen“ (Manitius et al., 2021, S. 10). Dies scheint nicht nur nach obiger Herleitung für den Schulinspektionskontext besonders erforschungswürdig, sondern auch, weil die Frage nach der schulinspektionsbezogenen Handlungsabstimmung zwar zunehmend gestellt, aber nur in Ansätzen beantwortet wurde (u. a. bei Brüsemeister et al., 2016). Beispielsweise bleibt trotz erster Befunde die Verhältnisbestimmung zwischen den Akteuren Schulinspektion und Schulaufsicht theoretisch wie praktisch ungeklärt (Heinrich, 2017). Zudem ist die Einbeziehung weiterer Unterstützungssysteme, im Falle dieser Studie die staatliche Schulentwicklungsberatung, in der Auseinandersetzung der Schulen mit den Inspektionsdaten und ihre Handlungsabstimmung mit Akteuren der Schulaufsicht oder der Schulinspektion weitgehend unerforscht (Diedrich, 2020; Kuhn, 2019; S. Müller & Klein, 2019). Weil die Unterstützung der Schulen durch genannte Akteure im Nachgang einer Schulinspektion als eine hilfreiche Unterstützung für die Initiierung schulischer Entwicklung angesehen wird, gibt es zusammengenommen Anlass genug, genauer auf das Akteursgefüge zu schauen (u. a. Altrichter & Kemethofer, 2016; Böhm-Kasper & Selders, 2013; Pietsch, 2011).

Für Nordrhein-Westfalen, in dessen Kontext die Erhebung und Analyse des empirischen Datenmaterials dieser Studie erfolgte, ist eine solche Betrachtung aus empirischer wie schulpolitischer Sicht von besonderem Interesse. Denn einerseits konstatieren Bogumil et al. (2016) für dieses Bundesland, dass „ein systemisch und strukturell verankertes Zusammenspiel der Akteure […] oft erst in Ansätzen erkennbar [ist]“ (S. 20). Und andererseits setzt die nordrhein-westfälische Schulinspektion, die QualitätsanalyseFootnote 2, seit ihrer abgeschlossenen Neuausrichtung im Jahr 2017 verstärkt auf „Kooperation in der Zusammenarbeit zwischen Schulen, Qualitätsanalyse, Schulaufsicht und Fortbildung“ (Jäger & Hahn, 2017, S. 14).

Das Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es daher, auf Basis qualitativer ExperteninterviewsFootnote 3 Aufschluss über die praktizierten Modi der Handlungskoordination in der Akteurskonstellation zwischen den Akteuren Schulleitung, Schulinspektion, Schulaufsicht und staatlicher Schulentwicklungsberatung in Nordrhein-Westfalen zu geben. Die leitende Fragestellung lautet demgemäß: Wie gestaltet sich das Zusammenwirken zentraler Akteure bei der Qualitätsanalyse? Das Zusammenwirken - in der Educational Governance als Modi der Handlungskoordination analytisch gefasst - gilt es sodann mithilfe der institutionellen Handlungskontexte und der empirisch noch herauszuarbeitenden Handlungsorientierungen der Akteure in einen Aufklärungszusammenhang zu stellen. Die mit dieser Studie generierten Erkenntnisse zur Akteurskonstellation sollen es letztlich auch erlauben, „begründete Vorschläge für die Gestaltung solcher Konstellationen im Feld zu formulieren“ (Altrichter & Maag Merki, 2016b, S. 19).

Diesbezüglich sei eine abschließende Bemerkung erlaubt: Als Antwort auf eine Anfrage der schulpolitischen Sprecherin der Grünen betont die nordrhein-westfälische Ministerin für Schule und Bildung Yvonne Gebauer Anfang 2020 die Notwendigkeit der Weiterentwicklung der Qualitätsanalyse, in dessen Prozess künftig die Expertise von Bezirksregierungen, Lehrer- und Elternverbänden berücksichtigt sowie wissenschaftliche Erkenntnisse einbezogen werden sollen (Landtag NRW, 2020). Dies verleiht der Hoffnung Ausdruck, dass die vorliegende Studie ihren Teil zu einer verbesserten Praxis der Qualitätsanalyse, insbesondere mit Blick auf das Zusammenwirken der Akteure, beitragen kann.

Zum Aufbau der Arbeit:

Im Zentrum dieser Arbeit steht die strukturierende Inhaltsanalyse von Experteninterviews mit ausgewählten Schulleiter:innen, Qualitätsprüfer:innen, Schulaufsichtsbeamt:innen sowie staatlichen Schulentwicklungsberater:innen, über die sich Erkenntnisse zu dieser Akteurskonstellation und ihrer schulinspektionsbezogenen Handlungskoordination wissenschaftlich erarbeiten lassen. Diesem empirischen Teil der Arbeit sind fünf Kapitel vorangestellt, welche die Analyse gegenstandstheoretisch, forschungsbasiert und methodologisch einbetten.

In Kapitel 2 wird Schulinspektion – wie in dieser Einleitung bereits angedeutet – als ein auf Qualitätsverbesserung abzielendes Verfahren der Neuen Schulsystemsteuerung konturiert, wobei Leitlinien Neuer Steuerung und ihre Konsequenzen für Schule und Schulaufsicht skizziert werden. Zudem wird in die Educational Governance als die hier eingenommene Analyseperspektive eingeführt, indem wesentliche governanceanalytische Kategorien, mit denen in dieser Arbeit operiert wird, erläutert werden. Zuletzt werden das Prinzip und die Anlage der deutschen Schulinspektionsverfahren dargestellt und die bundeslandspezifischen Unterschiede insbesondere mit Blick auf die für die Handlungskoordination der Akteure relevanten Aspekte vergleichend betrachtet. Auch dient das Kapitel dazu, zentrale Begriffe einzuführen.

Das sich anschließende Kapitel 3 gibt einen Überblick über den Forschungsstand zum Steuerungsinstrument der Schulinspektion, welcher zweigeteilt aufbereitet wird. Zunächst dienen Befunde, die auf Schulleitungsbefragungen zur Akzeptanz und zum Nutzen der Schulinspektion beruhen, dazu, das eingangs erwähnte Transferproblem mit empirischen Erkenntnissen anzureichern. Mit einem (methoden-) und steuerungskritischen Blick auf diese Befunde wird sodann für die Verschiebung des Fokus in der Schulinspektionsforschung von Wirksamkeitsfragen auf Fragen nach der Zusammenarbeit der Akteure argumentiert. Nachfolgend werden Befunde zu der in dieser Arbeit betrachteten Akteurskonstellation sowie ihrer schulinspektionsbezogenen Handlungskoordination systematisiert.

Die herausgestellten Erkenntnisse kulminieren schließlich in einer Synopse empiriebasierter Verhältnisbestimmungen der Akteure, welche für diese Studie die entscheidende wissenschaftliche Grundlage darstellt. Sie wird in Kapitel 4 platziert, in dessen Zentrum die Herleitung der Fragestellungen steht. Zu diesem Zweck werden zentrale Begründungslinien aus beiden vorherigen Kapiteln zusammengeführt, anhand derer sich die für diese Arbeit wesentlichen Forschungsdesiderata herausstellen lassen. Nach kritischer Betrachtung der Befundlage werden Konsequenzen für die Anlage der vorliegenden Untersuchung gezogen, bevor abschließend die Fragestellungen ausdifferenziert und das Erkenntnisinteresse dargelegt wird.

Es folgen in Kapitel 5 Schilderungen zur Qualitätsanalyse in Nordrhein-Westfalen, in denen neben der Zielsetzung, den normativen Bewertungsdimensionen sowie den Verfahrensinstrumenten vor allem auf die Aufgabe der Akteure und ihre strukturelle Verortung eingegangen wird. Diese Ausführungen bilden zusammen mit der Beschreibung des Verfahrensablaufs und einem abschließenden Arbeitsstand von bisher inspizierten Schulen in NRW die Ebene der Regelungsstrukturen ab. Als Teil von Governanceanalysen ist eine solche Auseinandersetzung unabdingbar, um im Abgleich mit den empirisch erfassten Umsetzungsmodi die Phänomene in der Praxis überhaupt erklären zu können (Maag Merki & Altrichter, 2015; vgl. auch Abschn. 2.2).

In Kapitel 6 wird das qualitative Forschungsdesign und das methodische Vorgehen dieser Arbeit skizziert. Ausgehend von der hier eingenommenen Governanceperspektive und den zu bearbeitenden Fragestellungen werden zunächst methodische Zugriffsweisen eruiert und schließlich die Wahl für ein vergleichendes Forschungsdesign begründet. Mit dem Fokus auf o.g. Akteurskonstellation wird dem Mehrebenencharakter des Schulsystems in besonderer Weise Rechnung getragen. Gleichzeitig wird mit der mehrperspektivischen Betrachtung der Handlungskoordination ein methodisches Desiderat der Schulinspektionsforschung aufgegriffen (Böttcher & Keune, 2010; Dedering & Müller, 2008). Dies ist vor allem aus Sicht der Educational Governance analytisch stimmig und verspricht ertragreich für die Ergründung der Handlungskoordination zu sein (u. a. Dietrich, 2014). Im Verlauf des sechsten Kapitels wird ferner der Nutzen leitfadengestützter Experteninterviews erläutert und es folgt eine ausführliche Beschreibung der Datengewinnung einschließlich der Auswahl der Interviewpartner:innen, dem Feldzugang, der Durchführung der Interviews sowie der Aufbereitung des Materials. Zuletzt wird die Eignung der qualitativ strukturierenden Inhaltsanalyse als Auswertungsmethodik erörtert und das Vorgehen detailliert beschrieben. Schließlich sollen genannte methodische Ausführungen sicherstellen, dass den Ansprüchen an qualitative Studien u. a. zur Transparenz des Vorgehens in der vorliegenden Arbeit angemessen begegnet wird.

Das Kapitel 7 beinhaltet die empirischen Ergebnisse, die entlang der Forschungsfragen strukturiert werden. Während im ersten Teil zunächst untergliedert nach den einzelnen Akteuren das jeweilige Rollenverständnis und die subjektiven Verständnisse von Schulinspektion thematisiert werden, folgen im zweiten Teil die Aussagen zur Handlungskoordination und ihre Bewertungen. Die Interdependenzbezüge werden stets nacheinander und immer bezogen auf zwei Akteure der Konstellation skizziert. Im letzten Teil werden die in den Interviews genannten Vorschläge für die Weiterentwicklung der Qualitätsanalyse aufbereitet. Jeweils am Ende der Unterkapitel finden sich Zusammenfassungen. Insgesamt sollen so die Sichtweisen der Experten differenziert dargestellt und miteinander in Beziehung gesetzt werden.

Die Befunde der Arbeit werden in Kapitel 8 unter Rückbezug auf die theoretischen Grundlagen interpretiert und in den bisherigen Forschungsstand eingeordnet. Drei Unterkapitel systematisieren die Diskussion: Es werden zunächst Aussagen zur Konstitution der Akteurskonstellation aus Schulleitung, Schulaufsicht, Schulinspektion und staatlicher Schulentwicklungsberatung herausgestellt. Dabei werden die Positionierungen der einzelnen Akteure thematisiert und zwei zentrale Leitfiguren aufgeschlüsselt, die sich auf die Eigenständigkeit der Schule und ihre Unterstützung beziehen. Anschließend werden einzelne, empirisch gefundene Handlungspraktiken herausgegriffen, die governanceanalytisch ausgedeutet und in Bezug zu empirischen Vorarbeiten gesetzt werden. Jeweils am Ende werden die vorgenommenen Interpretationen kritisch betrachtet. Im letzten Unterkapitel werden aufbauend auf den bisherigen Diskussionslinien und dem empirischen Material weiterführende Überlegungen für Politik und Praxis angestellt.

In Kapitel 9 wird das methodische Vorgehen, insbesondere die Datengewinnung und die angewandte Auswertungsmethodik, kritisch reflektiert und zusammenfassend vor dem Hintergrund der Qualitätskriterien qualitativer Sozialforschung betrachtet. Zuletzt werden die Aussagenreichweite der Erkenntnisse und die Limitationen der Studie benannt.

Das Fazit in Kapitel 10 fasst wesentliche Erkenntnisse der Arbeit zusammen und gibt einen Ausblick auf weitere Forschung. Im Zentrum stehen die geschilderten Modi der Handlungskoordination in der betrachteten Akteurskonstellation, die unter Rückbezug auf die in Kapitel 8 herausgestellten Diskussionslinien abschließend auch problematisiert werden.