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Frieden und Versicherheitlichung – Die Grenzen des Staatsaufbaus unter den Bedingungen der Besatzung am Beispiel der Zusammenarbeit Deutschlands und der EU mit der palästinensischen Polizei

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Deutsche Entwicklungszusammenarbeit im Spannungsfeld der Außen- und Sicherheitspolitik
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Zusammenfassung

Der Staatsaufbau als Instrument der Entwicklungszusammenarbeit und Reformen des Sicherheitssektors als Teil dessen sind ein kontrovers diskutiertes Thema, vor allem am Beispiel Palästinas. Damit in Verbindung steht die Kritik an einer Versicherheitlichung der Hilfen. Die Schaffung quasi-staatlicher Strukturen sollte dazu beitragen, den Weg für eine Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts zu ebnen. Bald 30 Jahre nach der Unterzeichnung der Oslo-Verträge gibt es allerdings weder Frieden noch Sicherheit oder Entwicklung. Staatsbildende Maßnahmen und Reformen des Sicherheitssektors gehen mit dem Riskio einher, mangels einer politischen Lösung schnell an ihre Grenzen zu stoßen oder gar Schaden anzurichten. Als besonders kritisch werden in diesem Kontext Situationen umstrittener Staatlichkeit betrachtet, für welche die Besetzten Palästinensischen Gebiete als ein Beispiel gelten. Deutschland und die EU arbeiten seit Jahren mit der palästinensischen Polizei zusammen. Das Oslo-Interimsabkommen von 1995 und die Zugangs- und Bewegungsbeschränkungen der israelischen Besatzung schränken jedoch den Handlungsspielraum für und damit die Effektivität der externen Förderung ein. Darüber hinaus untergraben mangelnde Perspektiven für wirtschaftliche und soziale Entwicklung die Fähigkeit für eine Stärkung der Resilienz. Aufbauend auf eine Einordnung der Konzepte des Staatsaufbaus, Reformen des Sicherheitssektors und umstrittener Staatlichkeit untersucht der Beitrag, vor welchen Herausforderungen die GSVP-Mission EUPOL COPPS und die Deutsch-Palästinensische Polizeipartnerschaft von der Programmgestaltung bis zu ihrer Umsetzung stehen. Damit in Zusammenhang wirft er einen Blick auf Zustand und Rolle der zivilen Polizei und die Perzeption von Schutz und Sicherheit in der palästinensischen Bevölkerung. Außerdem beleuchtet die Studie Dimensionen der Fragilität mit einem Fokus auf die sozio-ökonomische Ebene und gibt einen Überblick über Umfang und Struktur der Hilfen Deutschlands und der EU.

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Notes

  1. 1.

    In diesem Beitrag wird in Anlehnung an die von der EU angewandte Sprachregelung die Bezeichnung ‚Palästina‘ für das Gebiet verwendet, das Gaza und das Westjordanland einschließlich Ostjerusalems umfasst und nach wie vor als Ausgangsbasis für Verhandlungen für die Zwei-Staaten-Lösung gilt.

  2. 2.

    Auf europäischer Ebene findet sich in der Globalen Strategie, dem Europäischen Konsens über die Entwicklungspolitik und dem Integrierten Ansatz für externe Konflikte und Krisen das Ziel wieder, in allen Stadien des Konfliktzyklus tätig zu werden (EUGS 2016, S. 8; Rat der Europäischen Union 2018, S. 2; European Consensus 2017, S. 34).

  3. 3.

    Eine ausführlichere Diskussion des Konzepts und der Einordnung Palästinas durch die Autoren kann hier aus Platzgründen leider nicht vorgenommen werden.

  4. 4.

    Fatah steht für die (Bewegung zur nationalen Befreiung Palästinas). Die in Gaza regierende Hamas, die Ḥarakat al-Muqāwama al-ʾIslāmīya (Bewegung des islamischen Widerstands) wird von der EU als terroristische Vereinigung eingestuft (Europäische Union 2022); ausführlicher zu Geschichte und Standpunkten von Fatah und Hamas siehe u. a. Baumgarten 2013.

  5. 5.

    Tamimi (2021) umschreibt „Somoud“ in der aktuellen Nutzung des Begriffs als „comprehensive system of social, political, and economic adaptability critical in enabling Palestinians to live on their land and defend their rights for self-determination and existence”. Für die eigene Untersuchung legt die Studie die Definition von Resilienz als „decent life in the context of the struggle for freedom and independence“ zugrunde (Tamimi 2021, S. 13).

  6. 6.

    Das komplexe System von Besatzung, Blockade und Fragmentierung ist in zahlreichen Publikationen aus politischer, ökonomischer ebenso wie völker- und menschenrechtlicher Perspektive detailliert dokumentiert, siehe dazu u. a. HRW (2021), UNCTAD 2018 B’Tselem (2021) und andere in diesem Beitrag zitierte Werke.

  7. 7.

    Über 90 % der Wähler hatten sich für die Neuwahlen im Mai 2021 registriert. Kurz vor ihrem Termin wurden sie vom Präsidenten abgesagt (Alpen 2021). In Umfragen äußert seither die große Mehrheit der Befragten regelmäßig den Wunsch nach Neuwahlen (PCPSR 2021, 2022; JMCC 2021, 2022).

  8. 8.

    Nach den Ergebnissen der jährlichen Umfrage von AMAN Transparency Palestine 2021 glaubt die Mehrheit der Befragten, dass Korruption vor allem in den höchsten Rängen der staatlichen Behörden der PA und insbesondere der Exekutive, darunter den Sicherheitskräften, zu finden ist. Die Bürger in Gaza würden sie eher bei NGOs und im privaten Sektor, die in die Verteilung von Hilfen involviert sind, vermuten (AMAN 2021).

  9. 9.

    2021 wurden 341 Palästinenser (78 im Westjordanland) von den israelischen Sicherheitskräften getötet und 17892 verwundet; 2022 stieg die Anzahl der Getöteten im Westjordanland auf über 150 und damit den höchsten Stand seit der zweiten Inftifada. Auf israelischer Seite wurden 2021 17 (2022 25) Israelis, einschließlich Ausländern, von Palästinensern getötet und 897 verwundet (UN OCHA oPt 2023).

  10. 10.

    Im annektierten und wirtschaftlich marginalisierten Ostjerusalem lag die Rate auf Basis der israelischen Armutsgrenze 2019 bei über 70 (MAS 2022, S. 13).

  11. 11.

    Gaza produziert einen kleineren Teil seines Stromverbrauchs selbst, vorausgesetzt Israel erlaubt die dafür notwendigen Brennstoffimporte und das einzige Kraftwerk wird nicht durch Angriffe beschädigt (Zorob 2011, S. 184). Das vor der Küste Gazas 1999 entdeckte Gasfeld durften die Palästinenser bislang nicht ausbeuten.

  12. 12.

    So wie z. B. im Mai 2022 in einer gemeinsamen Erklärung Auswärtigen Amts mit den Ministerien anderer EU-Mitglieder (AA 2022b).

  13. 13.

    Das wischen der EU und Israel im Jahr 2000 in Kraft getretene Assoziierungsabkommen bildet die Grundlage für die vertraglichen Beziehungen. Darüber hinaus ist Israel u. a. in die Forschungsrahmenprogramme der Union assoziiert. Mit der PLO vereinbarte die EU ein Interimsabkommen, das 1997 in Kraft trat. Neben einem Agrarprotokoll 2012 einigten sich die EU und die PA im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik 2005 auf einen rechtlich unverbindlichen Aktionsplan. Ein zweiter folgte 2013, der 2019 und 2022 verlängert wurde (Zorob 2021, insbes. S. 93–95; European Commission 2022b).

  14. 14.

    Die Differenzierungspolitik unterscheidet zwischen dem Territorium des israelischen Staats und den von Israel besetzten Gebieten. Deutschland schließt sich ihr an (AA 2019a); siehe dazu auch Busse 2018, S. 82–83; Müller 2017, S. 207.

  15. 15.

    Ausführlicher zur West Bank First Strategy siehe u. a. Bouris (2014, S. 80).

  16. 16.

    Hier sind nur die dem OECD DAC offiziell gemeldeten Hilfen enthalten, siehe dazu die Anmerkung in Tab. 1.

  17. 17.

    Die als Mittel für die Friedenskonsolidierung bezeichneten Maßnahmen umfassen ausgewählte Kategorien des DAC Creditor Reporting System (CRS) in den Feldern 151 und 152, darunter 15210 Security system management and reform und 15220 civilian peace-building, conflict prevention and resolution (OECD 2022a).

  18. 18.

    Die neue European Joint Strategy 2021–24 war Mitte 2022 noch nicht verabschiedet. Für das Jahr 2021 stellte die EU Mittel nur als individual measure bereit. Mit der Wiederaufnahme von Zahlungen für Gehälter und Pensionen der Staatsangestellten und Cash-Transfers für vulnerable Familien im 3. Quartal 2022 stockte die EU ihre Budgethilfen teilweise wieder auf und zeichnete damit erneut für gut ein Drittel der Budgehilfen verantwortlich (European Commission 2022b, c; eig. Ber. PMoF 2023).

  19. 19.

    Außerhalb von PEGASE stellte bis 2020 fast ausschließlich Frankreich Budgethilfen bereit (PMoF).

  20. 20.

    Deutschland beteiligte sich im Juli 2022 an einer Erklärung von neun Mitgliedern der EU, welche die israelische Designation von sechs international bekannten palästinensischen zivilgesellschaftlichen Organisationen als „terroristische Organisationen“ im Oktober 2021 mit der Begründung ablehnt, dass es keine Beweise gäbe, die einen solchen Schritt rechtfertigten: „Solange solche Belege nicht vorliegen, werden wir unsere Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in den besetzten Palästinensischen Gebieten und unsere deutliche Unterstützung für sie fortführen“ (AA 2022a). Nur wenige Wochen später stürmte das israelische Militär ihre Büros erneut.

  21. 21.

    Der Betrieb der 2005 entsendeten European Union Border Assistance Mission (EUBAM Rafah) an der Grenze in Rafah ist seit 2007 ausgesetzt. Trotzdem wurde ihr Mandat regelmäßig verlängert (EUBAM Rafah 2022; AA 2021a).

  22. 22.

    Die vier Pilotwachen hätten seither als Modell für den von anderen Gebern finanzierten Bau von 14 weiteren Polizeiwachen gedient (GIZ 2022a).

  23. 23.

    Während die EU für die Förderung von Reformen und Entwicklung der zivilen Strukturen zuständig ist, unterstützt die USA und offensichtlich mit wesentlich umfangreicheren Mitteln die militärischen Sicherheitsstrukturen. Ausführlicher siehe PASSIA (2021, S. 12–16); Bouris (2014, S. 113, 124–126); Turner (2019, S. 285–286).

  24. 24.

    Die Herausforderungen in der Entwicklung des rechtlichen Rahmens für die Arbeit der zivilen Polizei auf innerpalästinensischer Ebene und deren mögliche Auswirkungen auf die Unterstützung der Geber sind ein wichtiges Thema, auf das hier aus Platzgründen leider ebenso nicht näher eingegangen werden kann.

  25. 25.

    Die Weltbank beziffert seine Stärke auf nahezu 10 Beamte pro 1000 Einwohner (World Bank 2022, S. 14). PASSIA (2021) spricht von fast 35.000 Mann im Westjordanland und weiteren etwa 17.000 in Gaza, die aus dem Haushalt der PA bezahlt werden, aber keinen Dienst verweisen. Zusätzlich dazu haben die Hamas-Behörden ihre eigenen Sicherheitskräfte, die auf 30.000 Mann geschätzt werden (PASSIA 2021, S. 10). Im Westjordanland macht die Polizei etwa 25 % der im Sicherheitssektor Beschäftigten aus (Harb 2017, S. 2).

  26. 26.

    Nach Angaben von EUROSTAT (2022) betrug die Quote in der EU 2018–2020 durchschnittlich 333 Polizisten pro 100.000 Einwohner, in Ländern wie Malta, Griechenland oder Portugal teilweise weit über 400. pro 100.000 Einwohner. Die EU-Quote schließt auch die Beitrittskandidaten und die EFTA-Länder mit ein.

  27. 27.

    Die Zerstörungen betreffen nicht nur palästinensisches Eigentum, sondern auch z. B. von der EU unterstütze Projekte.

  28. 28.

    2022 führte das israelische Militär etwa 3.400 Search and Arrest-Operationen im Westjordanland durch. Die Anzahl der Übergriffe von Siedlern auf die palästineneische Bevölkerung im Westjordanland mit Personen- und/oder Sachschäden ist von 2021 auf 2022 um mehr als zwei Drittel angestiegen (UN OCHA oPf 2023).

  29. 29.

    Dafür ist vor allem der GIS zuständig: “With the help of Israeli intelligence, the GIS is active in the whole West Bank to prevent attacks against Israel” (Lutz 2018).

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Zorob, A. (2024). Frieden und Versicherheitlichung – Die Grenzen des Staatsaufbaus unter den Bedingungen der Besatzung am Beispiel der Zusammenarbeit Deutschlands und der EU mit der palästinensischen Polizei. In: Gieler, W., Nowak, M. (eds) Deutsche Entwicklungszusammenarbeit im Spannungsfeld der Außen- und Sicherheitspolitik. (Re-)konstruktionen - Internationale und Globale Studien. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-41970-7_5

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