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The „M.O.A.S.S.“. Memes als kommunikative Gattung digitalkultureller Events. Zur moralischen Verhandlung börsenmarktwirtschaftlichen Handelns

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Kommunikative Gattungen und Events

Part of the book series: Wissen, Kommunikation und Gesellschaft ((WISSEN))

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Zusammenfassung

Im Januar 2021 machte die Kursrallye um die Aktie des angeschlagenen amerikanischen Video- und Computerspielhändlers Gamestop weltweit Schlagzeilen. Mit Blick auf die Berichterstattung zeigt sich jedoch, dass die Deutung dessen, was sich hier ereignet hat, heftig umstritten bleibt. Der Beitrag zeichnet im Rahmen einer Gattungsanalyse von – im Rahmen digitaler Feldarbeit erhobener – Postings auf der Social Media Plattform Reddit nach, welche Sichtweise sich auf das Ereignis bei denen rekonstruieren lässt, die hierfür verantwortlich gemacht werden. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der kulturspezifischen Nutzung von Memes und wie sich diese als verfestigtes kommunikatives Muster verstehen lassen, welches die soziale Konstruktion der Geschehnisse um die Kursentwicklungen herum als Event für die daran Teilnehmenden stabilisiert.

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Notes

  1. 1.

    Dabei können ‚Pump and Dump‘ und ‚Short Squeeze‘ durchaus zusammenfallen: das ‚Pumpen‘ eines Wertpapiers kann dann ‚Short Seller‘ zum Ausgleich ihrer Positionen zwingen, wohingegen der Kurs dann schneller abfällt, wenn Pumpende ihren Gewinn mitnehmen (‚dumpen‘) und ‚Short Seller‘ ihre Positionen geschlossen haben – wodurch die Nachfrage drastisch sinkt.

  2. 2.

    Wobei auch diese Frage bis heute nicht abschließend geklärt scheint – auch aufgrund der Komplexität moderner Märkte.

  3. 3.

    Methodisch wurde dafür ein zweigleisig Verfahren verfolgt. Zum einen wurden deutsche und englischsprachige Medienberichte zur ‚Gamestop-Rally‘ gesammelt und gesichtet (vgl. die rekonstruierten Deutungsmuster in Kap. 1; angelehnt an eine wissenssoziologische Diskursanalyse Keller 2011). Zum anderen wurde zwischen Januar und April 2021 eine Online-Ethnographie (vgl. Eisewicht/Kirschner 2015; Kozinets 2019) auf Wallstreetbets durchgeführt und dabei ca. 700 Beiträge gesampled und archiviert. Im Sinne des Votums der lebensweltanalytischen Ethnographie (vgl. Hitzler/Eisewicht 2020) ging es dabei nicht nur um die Einnahme einer Beobachter*innenposition, sondern auch um existenzielles Engagement im Feld (in diesem Fall neben der Teilhabe am Forum auch ein finanzielles Investment). Übergreifend wurden v. a. die feldimmanenten Begriffe mittels Ethnographischer Semantik (Maeder 2007; Spradley 2016) kodiert. Im Fokus auf den Zusammenhang feldeigener Begriffe (statt forscher*inneneigener Interpretation) kann so die Binnenperspektive aus dem so rekonstruierten kulturellen Modell sinnhaft nachvollzogen werden.

  4. 4.

    ‚Subreddits‘ sind die thematischen Ordnungskategorien von Beiträgen auf Reddit, vergleichbar mit Gruppen auf Facebook oder Hashtags auf Twitter. Jedes Subreddit gibt sich eigene Regeln und wird von Mitgliedern desselben mehr oder weniger selbstverwaltet, so es nicht allgemeine Regeln der Plattform verletzt. Einige Subreddits bilden durchaus subkulturelle Züge aus, mit einer eigenen Sprache, Normen und einem Wir-Gefühl, während andere schlicht Sammlungen von Beiträgen zu einem Thema darstellen.

  5. 5.

    The Wachowskis (2003): Matrix Reloaded. U.S.A.: Warner Bros. Pictures.

  6. 6.

    https://www.reddit.com/r/wallstreetbets/comments/l7feld/its_power_to_the_traders_now (abgerufen am 4.3.2023) in Verwendung eines Ausschnittes aus: The Wachowskis (2003): Matrix Reloaded. U.S.A.: Warner Bros. Pictures.

  7. 7.

    Unter Rückgriff auf Filmmaterial aus Troja (Petersen, Wolgang (2004): Troy. U.S.A./U.K./Malta: Warner Bros. Pictures), Avengers: Infinity War (Russo, Anthony/Russo, Joe (2018): Avengers: Infinity War. U.S.A.: Marvel Studios), 300 (Snyder, Zack (2006): 300. U.S.A.: Warner Bros. Pictures), Starship Troopers (Verhoeven, Paul (1997): Starship Troopers. U.S.A.: TriStar Pictures), There will be blood (Anderson, Paul Thomas (2007): There will be blood. U.S.A.: Ghoulardi Film Company/Scott Rudin Productions) und Last Samurai (Zwick, Edward (2003): The Last Samurai. U.S.A./Japan/Neuseeland: Warner Bros. Pictures).

  8. 8.

    Dies geht mit der Selbstbeschreibung der Anleger*innen als ‚Apes‘, ‚Autists‘, ‚Retards‘, ‚Boiz‘ einher. Die zu erwartenden und avisierten Gewinne sind ‚Bananas‘ und ‚Tendies‘, also Bananen und Hühnchenbrust (‚Chicken Tender‘). Affen essen Bananen, bzw. brave Kinder bekommen panierte Hühnerbrust zu essen. Dieser Selbstminorisierung im Kontrast zu einem erwachsenen Menschen entspricht auch die ironische und wenig angemessene Selbstherabsetzung als behindert bzw. zurückgeblieben (‚retards‘), etwas positiver als Autistisch (erfolglose WSB’ler sind meist ‚zurückgeblieben‘/erfolgreiche sind dann ‚autistisch‘). Da diese Begriffe als herabsetzend und diskriminierend erachtet werden, ist der Gebrauch mittlerweile seitens der Seitenbetreiber*innen untersagt. WSB hat sich daran angepasst, indem nun lautmalerisch nah zur vorherigen Bezeichnung der ‚retards‘ ironisch von ‚regarded‘ (geachteten) oder ‚highly regarded‘ Personen gesprochen wird. Entsprechend der veranschlagten geringen kognitiven Kapazitäten der User*innen wird bei längeren Textbeiträgen oder Chartanalysen oft darauf verwiesen, dass man nicht lesen könne oder maximal mit Buntstiften (‚crayons‘) Gezeichnetes verstehen würde, wobei man besagte Buntstifte auch essen würde. Im Risiko dabei sein Geld zu verlieren und der Selbstdarstellung als wenig kompetent findet sich ebenso die Bezeichnung als Fast-Food-Restaurant („Sir, this is a Wendy’s“ oder die Selbstbezeichnung als „Wendy Employee“).

  9. 9.

    Dies wird auch durch den exzessiven Einsatz von Raketen-Emojis oder der lautmalerischen Imitation eines Raktenstarts („Rockets go Brrrrr“) als Analogie zu einem rapiden Kursanstieg deutlich (auch mit dem Ziel exorbitanter Gewinne „to the moon“). Da Kurse nur steigen werden etwaige Kursverluste oft kleingeredet, Positionen werden dann meist gehalten (auch orthographisch inkorrekt als „Hodl“) oder der Kurs wird als Chance zum Kauf („Buy the Dip“) erachtet, wodurch der Kurs stabilisiert werden soll („Hold the line“).

  10. 10.

    Die Selbstbeschreibung des Forums lautet dabei: „Like 4chan found a Bloomberg Terminal“. Damit sind zwei zentrale Referenzen angegeben. 4Chan ist ein prominentes soziales Netzwerk, dass jedoch aufgrund teils illegaler, anrüchiger, anarchistischer Praktiken höchst kontrovers diskutiert wird, aber auch als zentraler Akteur einer Internet- und Memekultur gilt. Ein Bloomberg Terminal ist ein Computersoftwaresystem zur professionellen Überwachung von Finanzmarktdaten in Echtzeit. Es handelt sich dabei, mit 24.000 $ Jahresnutzungsgebühr um einen teuren Service für professionelle Anleger*innen. Die Verweise auf eine Anlagekultur des Zockens (als Wette bzw. ‚Bet‘) und der Verweis auf 4Chan skizzieren hier ein riskantes, irrationales finanzwirtschaftliches Verhalten (im Kontrast zu seriösen Anleger*innen).

  11. 11.

    Es gibt auf Reddit dabei viele thematisch verwandte Subreddits. Einige von ihnen gelten als Ableger bzw. ähnlich zu WSB. So etwa das deutsche Subreddit „Mauerstraßenwetten“ oder das auf kleinere Investitionen fokussierte „Smallstreetbets“ (mit der adaptierten Selbstbeschreibung „Like 4chan found 5 $“). Eher konträr zur hochriskanten Anlagestrategie von Wallstreetbets stehen dann Subreddits wie „Investing“, „Stocks“ oder „PersonalFinance“ die oft konservativere Anlagestrategien (wie ETFs und nicht gehebelte Investitionen) verfolgen. Im Gegensatz zu Investmentansätzen solcher Subreddits betont WSB häufig, dass es sich um das aktive, kurzfristige Handeln von Optionen und Wertpapieren handelt (in der Selbstbeschreibung als Differenz zwischen „Investing“ und „Trading“).

  12. 12.

    Wobei hier bis heute umstritten bleibt, ob die Kursbewegung um den 28. Januar 2021 nun auf die Short Seller oder die zulaufenden Kleinanleger*innen zurückzuführen sind oder inwieweit die Aussetzung des Handels auf einigen Tradingplattformen den ‚Short Squeeze‘ verhindert hat.

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Eisewicht, P. (2023). The „M.O.A.S.S.“. Memes als kommunikative Gattung digitalkultureller Events. Zur moralischen Verhandlung börsenmarktwirtschaftlichen Handelns. In: Knoblauch, H., Singh, A. (eds) Kommunikative Gattungen und Events. Wissen, Kommunikation und Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-41941-7_20

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