Zusammenfassung
Die Rechtslage zur verpflichtenden Bürgerbeteiligung bei Stadtentwicklungsprojekten stellt kommunale Verwaltungen und lokale Akteure vor paradoxale Anforderungen, die Gegenstand unseres Textes sind. Anhand von Sitzungsgesprächen, in denen Bürgerbeteiligungsveranstaltungen zu einem Stadtentwicklungsprojekt in einer süddeutschen Mittelstadt geplant werden, identifizieren wir vier paradoxe Anforderungen an kommunale Verwaltungen, die sich auf ihre öffentliche Legitimation, unvorhersehbare Wissensasymmetrien in der Öffentlichkeit, das bereits bekannte „Partizipationsparadox“ und die Diskrepanz zwischen dem im Beteiligungsgesetz vorausgesetzten mündigen Bürger und seinem Status als Objekt kommunalen Designs beziehen. Die kommunikativen Gattungen, die in den Planungsgesprächen der Bürgerbeteiligungsveranstaltungen vordefiniert werden und diese entsprechend vorstrukturieren, umfassen Gattungsfamilien des „Steuerns“ und „Begrenzens“ sowie des „Einbeziehen“ und „Lernens“. Diese geplante Gattungsstruktur kann als Lösung der kommunalen Verwaltungsakteure für die oben genannten paradoxalen Anforderungen interpretiert werden.
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Koch, S., Meyer, C. (2023). Paradoxien der Bürgerbeteiligung. Zur kommunikativen Planung partizipativer Events im Rahmen der Stadtentwicklung. In: Knoblauch, H., Singh, A. (eds) Kommunikative Gattungen und Events. Wissen, Kommunikation und Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-41941-7_14
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