1.1 Hintergrund und Zielsetzung

Obwohl es im deutschen Gesundheitssystem bei stationär erbrachten Leistungen aufgrund der Entgeltfixierung durch Diagnosis Related Groups (DRGs) und Zusatzentgelte seit Jahren zu einem erhöhten Kostendruck kommt, sind exakte, interventionsbezogene Modelle zur Kostenermittlungen im Krankenhaus nur rudimentär ausgeprägt. Dem Leistungserbringer ist folglich oftmals unbekannt, welche Ressourcen in welchem Umfang für die Leistungserstellung tatsächlich eingesetzt werden und ob eine einzelne Intervention kostendeckend erbracht wird. Diese tiefgreifende Fokussierung auf eine einzelne Intervention gewinnt besonders vor dem Hintergrund einer sich verändernden Patientenstruktur an Bedeutung. Wird davon ausgegangen, dass die den Entgelten zugrundeliegende Fallkostenkalkulation ausschließlich auf einer Mittelwertbetrachtung beruhen kann, wird deutlich, dass vielfältige, leistungserbringerindividuelle Einflussfaktoren die Kostendeckung beeinflussen.

Beispielhaft sei der Fall konstruiert, dass eine Station bzw. Abteilung mit insgesamt positiven Deckungsbetrag in ihrem Leistungsportfolio Interventionen mit positiven und negativen Fallergebnis vereint. Sind die Interventionen mit negativen Deckungsbeiträge vorrangig Patienten mit einer speziellen Merkmalsausprägung zuzuordnen (z. B. Behandlungen mit der Erfordernis einer kontinuierlichen Überwachung), resultiert bei zunehmendem Anteil dieser Patientengruppe ein abnehmender Deckungsbeitrag auf Stations- bzw. Abteilungsebene. Dieses Beispiel zeigt, dass die interventionsspezifische Kostenbetrachtung eine nicht zu unterschätzende Informationsbasis für das Management darstellt. Weiterhin zeigt es, dass eine aufgrund von externen Einflüssen veränderte und vom Leistungserbringer nicht beeinflussbare Nachfragesituation einen maßgeblichen Einfluss auf die Kostendeckung haben kann.

Um die resultierenden Herausforderungen zu bewältigen, ist eine detaillierte, interventionsbezogene Kostenanalyse unerlässlich. Die vorliegende Arbeit fokussiert hierbei den Leistungsbereich der stationären Dialyse. Hierbei handelt es sich um eine Leistungseinheit, die sich durch ein breites Leistungsspektrum definiert, wobei die Leistungen kaum die Zuordnung zu speziellen Fallpauschalen beeinflusst. Zwar existiert eine geringe Anzahl an nephrologischen DRGs die Dialyseleistungen inkludieren, es überwiegt jedoch die interkurrente bzw. akute Leistungserbringung in einer Vielzahl weiterer DRGs. So werden die Leistungen der Dialyseabteilung in großen Teilen über Zusatzentgelte (ZE) finanziert, was eine Gegenüberstellung von durchgeführter Prozedur zu resultierendem Entgelt vereinfacht.

Grundlage der Arbeit bildet die Auswertung der Behandlungsstrukturen an der Universitätsmedizin Greifswald (UMG) sowie die Gegenüberstellung mit deutschlandweiten Werten. Basierend auf umfassenden Zeit- und Kostenerhebungen zu intermittierenden sowie kontinuierlichen extrakorporalen Dialyseverfahren soll ein Simulationsmodell aufgestellt werden, welches in der Lage ist, basierend auf Behandlungsanteilen, Kostendaten sowie Verteilungen von Personalzeiten die Kosten je Leistung zu simulieren und diese basierend auf den entsprechenden Behandlungsanteilen zu aggregieren.

Die aus einer Monte-Carlo-Simulation resultierenden Ergebnisse sollen anschließend auf ihre Kostenhomogenität sowie auf mögliche Haupteinflussfaktoren geprüft werden. Nach einer Gegenüberstellung mit den resultierenden Erlösen sollen Ansätze zur Weiterentwicklung des Finanzierungssystems entwickelt werden, die zeigen, wie eine detaillierte Kenntnis über Prozesszeiten und Prozesskosten einen Beitrag zu einer leistungsgerechteren Finanzierung liefern kann. Auch wenn der Leistungsbereich der stationären Dialyse als Beispiel für eine Prozess- und Kostenanalyse speziell zu sein scheint, so ist es insbesondere dieser Bereich, der die gesamte Breite der Finanzierungsoptionen im stationären Sektor abdeckt, da diese Erlöse über DRGs (selbst Ein-Tages-DRGs), ZEs sowie seit 2019 über Pflegeerlösbewertungsrelationen enthält. Zu beachten ist, dass die hier vorgenommene Analyse losgelöst von Therapieentscheidungen des Ärztlichen Dienstes ist. Zwar werden in Teilen Erklärungsansätze für unterschiedliche Verfahrensanteile angeführt, das Ziel besteht jedoch darin, Ansätze für eine leistungsgerechtere Vergütung zu ermitteln. Das „Wieso“ hinter der Frage nach verschiedenen Verfahrensanteilen steht somit im Hintergrund.

1.2 Aufbau

Die vorliegende Arbeit gliedert sich in fünf Hauptkapitel, beginnend mit den Grundlagen. Dieses unterteilt sich in vier Unterkapitel. Das erste Unterkapitel 2.1 behandelt die Grundlagen zur Nierenersatztherapie, wobei auf die Notwendigkeit, die Verfahren und deren Kodierung eingegangen wird. Das anschließende Abschnitt 2.2 zeigt auf, welche Finanzierungsoptionen der Verfahren im stationären Sektor vorliegen. Hierbei wird nach der Finanzierung über Fallpauschalen oder Zusatzentgelte unterschieden, wobei das Kapitel weiterhin die zugrundeliegende Kalkulationsmethodik vorstellt. Im anschließenden Abschnitt 2.3 werden die Grundlagen zu Prozess- und Kostenanalysen vorgestellt, soweit sie für die vorliegenden Analysen relevant sind. Neben der Prozessdefinition und -darstellung sind dies weiterhin Ausführungen zur Datengewinnung, zur Verteilungsidentifikation, zur Monte-Carlo-Simulation sowie Aspekte zu Kostenfunktionen. Das letzte Unterkapitel beinhaltet die Vorstellung des Forschungsobjektes – der Universitätsmedizin Greifswald. Die Zuordnung dieses Kapitel zu den Grundlagen erfolgt aufgrund der Besonderheiten der Kapitel 3 und 4. Dies sind die Kapitel „Verfahren an der Universitätsmedizin Greifswald“ und „Prozess- und Kostenanalyse an der Universitätsmedizin Greifswald“, welche jeweils eigene Unterkapitel zu Methodik, Ergebnissen und Diskussion beinhalten. Die Kapitel können somit als zwei separate Analysebereiche betrachtet werden, wobei das Kapitel 4 in Teilen Ergebnisse des Kapitels 3 als Input nutzt. Da beide Kapitel in Bezug zur Universitätsmedizin Greifswald stehen, ist die Vorstellung des Forschungsobjektes in die Grundlagen integriert.

Die Kapitel 3 und 4 können wie beschrieben als separate Analysen betrachtet werden. Das Kapitel 3 untersucht die Verfahren an der Universitätsmedizin Greifswald. Nach der Vorstellung der Zielsetzung und des Kapitelaufbaus in 3.1 wird in Abschnitt 3.2 die Methodik der Verfahrenszahlauswertung vorgestellt. Hierbei wird der zugrundeliegende Datensatz sowie dessen Aufbereitung und Auswertung beschrieben. Abschnitt 3.3 stellt die Ergebnisse zu den Verfahren im Gesamten sowie getrennt nach intermittierenden und kontinuierlichen Verfahren dar. In Abschnitt 3.4 wird die Entwicklung der Verfahrenszahlen diskutiert sowie ein Vergleich mit den deutschlandweiten Verfahrenszahlen vorgenommen. Im anschließenden Abschnitt 3.5 werden aus den Verfahrenszahlen Modellannahmen generiert, welche die Basis für die Kapitel 4 und 5 bilden.

Das Kapitel 4 thematisiert die Prozess- und Kostenanalyse an der Universitätsmedizin Greifswald und stellt den zentralen Part dieser Arbeit dar. Nach Klärung der Zielstellung in 4.1 wird in Abschnitt 4.2 die Methodik zur Analyse vorgestellt. Hierbei werden in einem ersten Schritt die herangezogenen Datensätze zu Prozesszeiten, Material- und Medikamentenkosten getrennt nach intermittierenden und kontinuierlichen Verfahren vorgestellt. Anschließend erfolgt die Darstellung der Datensatzaufbereitung, in welcher als zentrale Elemente die Einflussfaktoren auf die Prozesse ermittelt sowie die Definitionslogik für die Prozessschritte vorgestellt werden. Das Kapitel der Modellierung (4.2.3) stellt die Entwicklung des Monte-Carlo-Modells schrittweise vor, wobei das Modell definierte Basisinputs basierend auf den Verfahrenszahlen aus Abschnitt 3.5 nutzt. Die resultierenden Ergebnisse werden in Abschnitt 4.3 vorgestellt. Die Ergebnisvorstellung erfolgt hierbei getrennt nach Prozesszeiten und Prozesskosten. Während das Kapitel der Prozesszeiten nach beteiligten Berufsgruppen sowie intermittierenden bzw. kontinuierlichen Verfahren differenziert, unterscheidet das Kapitel der Verfahrenskosten ausschließlich nach intermittierenden und kontinuierlichen Verfahren. Weiterhin wird – sofern möglich – nach der Anzahl an Einflussparametern differenziert. Die resultierenden Ergebnisse werden in Abschnitt 4.4 diskutiert, wobei an dieser Stelle aufgrund noch fehlender Vergleichswerte die Anzahl der Diskussionsansätze limitiert ist.

Die auf einer Szenarienanalyse basierende vergleichende Diskussion wird in Kapitel 5 vorgenommen, wobei dieses Kapitel als Fusion der Kapitel 3 und 4 anzusehen ist. Nach Vorstellung der Zielsetzung in Abschnitt 5.1 wird in Abschnitt 5.2 die Methodik der Szenarienanalyse vorgestellt. Die Inputwerte der Szenarien basieren hierbei auf den, in Abschnitt 3.5 generierten Modellannahmen. Aus den Outputwerten der verschiedenen Szenarien sowie aus dem Vergleich der ermittelten Kosten mit den in Abschnitt 2.2 vorgestellten Erlösen resultieren vielfältige Diskussionsaspekte, welche in den Unterkapiteln des Abschnittes 5.3 diskutiert werden. Weiterhin beinhaltet das Kapitel aus den Diskussionsaspekten resultierende Handlungsempfehlung bzw. Problemlösungsansätze. Den Abschluss des Kapitels 5 bilden die Limitationen in Abschnitt 5.4. Obgleich die limitierenden Faktoren insbesondere in der Diskussion des Kapitels 5 zu beachten sind bzw. erst hier deutlich werden, liegen die Ursachen zumeist in den Kapiteln 3 und 4. Folglich müssen die Inhalte des Abschnittes 5.4 auch Aspekte der Vorgängerkapitel berücksichtigen.

Die Arbeit schließt im sechsten Kapitel mit einem Fazit. Ferner ist die Arbeit um mehrere Anhänge ergänzt, auf welche an den entsprechenden Stellen verwiesen wird.