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„Die meiste Zeit war ich wahrscheinlich im Gefängnis“ – Tesfa

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Männlichkeit und Flucht

Part of the book series: Geschlecht und Gesellschaft ((GUG,volume 79))

  • 297 Accesses

Zusammenfassung

Die Lebensgeschichte von Tesfa und die darin rekonstruierten Geschlechterkonstruktionen stehen hier im Zentrum. Dabei zeigen sich vielfältige Konstruktionen wie beim Kampf um Vorherrschaft, der Fürsorge für andere oder beim Ernährer- und Familienvatersein. Letztere ist neben den gemachten Gewalterfahrungen auch unmittelbar mit Tesfas Flucht aus Eritrea verbunden. Wo Tesfa sich auf der Flucht noch als handlungsfähiges Subjekt wahrnimmt, findet er sich in Deutschland ohne Perspektive für die Zukunft wieder.

Abstract

Tesfa’s life story and reconstructed gender constructions are the focus here. A variety of constructions are revealed, such as the struggle for supremacy, caring for others, or being a breadwinner and family father. The latter is directly connected to Tesfa’s forced migration from Eritrea, in addition to experiences of violence. Whereas Tesfa still perceives himself as a capable subject during the forced migration, he then finds himself in Germany without prospects for the future.

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Notes

  1. 1.

    Über das Interview hinweg macht Tesfa deutlich, wie er in seiner Kindheit und Jugend das Sammeln von Arbeits-, Lebens- und Reiseerfahrung als eigene Form von Bildung betrachtet. In diesem Sinne geschieht der Erwerb von Bildung durch die ‚Schule des Lebens‘ und nicht in einer institutionalisierten Form mit festen Curricula.

  2. 2.

    Tesfa expliziert zwar nicht, welchen Effekt die Bestechung hatte, allerdings lassen sich zwei Lesarten aufstellen. Einerseits könnte es sein, dass Tesfa durch seinen Vorgesetzten im Nationaldienst von einem Großteil seiner Aufgaben freigestellt wurde und er auch Reiseerlaubnisse erhalten hat, welche ihm Warenlieferungen in andere Regionen ermöglicht haben (vgl. Kibreab 2017b, S. 124). Andererseits kommt es auch vor, dass manche Kommandierende die Strukturen des Nationaldiensts unerlaubt nutzen, um kleine Läden zu unterhalten und Güter an Nationaldienstleistende zu verkaufen, wobei diese häufig als (unbezahlte) Arbeitskräfte in den Läden eingesetzt werden (vgl. Kibreab 2017b, S. 68). Insofern könnte es ebenso sein, dass Tesfa für den Laden seines Vorgesetzten Lieferaufträge ausgeführt hat und er sich dabei als Lieferant verwirklichen konnte.

  3. 3.

    Tesfas Eltern haben sich in der Zwischenzeit getrennt und wohnen an verschiedenen Orten.

  4. 4.

    Die EPLF wird umgangssprachlich auch Shabia genannt. Der Begriff kommt aus dem Arabischen und bedeutet so viel wie „national“ oder „nationalistisch“ (vgl. Treiber 2015, S. 7). Er wurde zunächst von äthiopischer Seite als Schimpfwort benutzt, um die EPLF zu diskreditieren, wurde dann aber auch zur Eigenbezeichnung (vgl. Hagos 1996). Indem Tesfa nicht vom Eintritt in den Nationaldienst spricht, sondern den Ausdruck Shabia verwendet, gibt er dem Nationaldienst eine historische Dimension, in dem er an die Zeit des eritreischen Unabhängigkeitskrieges anknüpft und eigentlich eine positive Konnotation einführt. Der Verweis auf Shabia kann allerdings als ironische Einlassung gelesen werden, in dem Tesfa zuerst mit dem Begriff auf die Befreiung des Landes verweist, aber in der folgenden Erzählung die Armee als Ort der Disziplinierung und Unterwerfung ausführt – „so sehr verursachen sie Sorgen und sind streng, die die Shabia genannt werden“, wodurch Tesfa die Widersprüchlichkeit, zwischen der ursprünglichen Idee der Befreiung und was daraus geworden ist, aufzeigt.

  5. 5.

    In Eritrea gibt es keine Verpflichtung zur Registrierung von Geburten und kein nationales Geburtenregister. Werden Geburten registriert, findet dies meist in staatlichen Institutionen in urbanen Zentren statt (vgl. Ghebrenegus et al. 2002; IRB 2017). Besonders in ruralen Gebieten kann die Registrierung von Geburten mit hohen Kosten verbunden sein (vgl. UNICEF 2013, S. 12). Ferner stellt die jährliche Zelebration von Geburtstagen auf kulturell-normativer Ebene keine verbreitete Tradition dar.

  6. 6.

    Obwohl nach der PNS 82 der Einzug erst mit 18 Jahren stattfindet, finden sich immer wieder Berichte, dass auch deutlich jüngere Personen eingezogen werden (vgl. EASO 2019, S. 32).

  7. 7.

    Tesfa Verortung als „normal“ lässt sich in zweifacher Weise deuten. Einerseits kann es als Beschreibung von Mehrheitsverhältnissen im Militär gelesen werden, nach denen nur wenige Männer neun oder zehn Kinder haben und er selbst zum ‚normalen‘ Durchschnitt gehört. Andererseits führt Tesfa über das Interview hinweg immer wieder aus, dass er im Gegensatz zu seinen Eltern nur wenige Kinder kriegen möchte. So kann das „normal“ auch als normative Aussage über die erstrebenswerte Anzahl an Kindern gelesen werden.

  8. 8.

    Tesfa verwendet den Begriff „Hunde“ als Metapher für die Kinder, welche er zuvor als unzivilisiert und wild beschrieben hat. Mit dem Begriff der Hunde verstärkt er den Eindruck, dass diese ihre Eltern brauchen. Die Interviewerin zeigt sich nach der wiederholten Verwendung des Begriffes irritiert und fragt noch einmal nach, ob er damit wirklich die Kinder meint, was Tesfa bejaht.

  9. 9.

    Tesfa verwendet dem Schlepper gegenüber ein falsches Alter und einen falschen Namen.

  10. 10.

    An dieser Stelle ist unklar, ob in der kompletten Gruppe nur eine weibliche Person war, Tesfa verwendet ab und zu die Begriffe Junge und Mädchen statt Mann oder Frau, oder ob es hier um ein spezifisches Mädchen geht.

  11. 11.

    Nach DTM (2019, eigene Berechnung) werden zwar nicht in allen Lagern die inhaftierten Personen nach Geschlecht getrennt, aber mit 87 % ist dies im Großteil der Lager der Fall. Ferner liegt über die Lager der Durchschnitt an inhaftierten Frauen bei circa 6 % und der von inhaftierten Männern bei 94 %.

  12. 12.

    Der Begriff Habescha wird häufig als ethnischer oder panethnischer Sammelbegriff für Personen verwendet, welche im Hochland Eritreas, Äthiopiens oder in der Diaspora wohnen, die der äthio-semitischen Sprachgemeinschaft angehören und denen eine kulturelle Gemeinsamkeit zugeschrieben wird.

  13. 13.

    Die Amharen sind eine ethnische Gruppe, die traditionell im nordwestlichen Hochland Äthiopiens angesiedelt sind und die äthio-semitische Sprache Amharisch sprechen.

  14. 14.

    Der Begriff harām kommt aus dem Arabischen und wird häufig im islamisch-religiösen Kontext verwendet, um religiös verbotene Verhaltensweisen, Inhalte oder Objekte zu kennzeichnen.

  15. 15.

    Tesfa verwendet auf der Flucht einen falschen Namen.

  16. 16.

    Zu den Aufgaben von Sozialhelfer*innen gehören meist die Übernahme von pädagogischen, pflegerischen und hauswirtschaftlichen Aufgaben. In Flüchtlingsunterkünften werden sie unter anderem zur Betreuung und Unterstützung von Geflüchteten eingesetzt. Dies kann die Kommunikation mit Behörden, die pädagogische Förderung von Kindern oder auch die Unterstützung bei alltäglichen Problemen umfassen.

  17. 17.

    „I regret having committed an offence by not completing the national service and am ready to accept appropriate punishment in due course“ (GoSE 2012, zitiert nach UNSC 2012, S. 63). Mit der Unterzeichnung des Formulars geht die Akzeptanz einer Bestrafung einher. Auch wenn es so aussieht, als würde die Bestrafung bei der Rückkehr nach Eritrea nicht vollzogen (vgl. EASO 2016, S. 11), besteht für die Geflüchteten im aktuellen Rechts- und Strafvollzugssystem in Eritrea keinerlei Sicherheit, nicht doch überproportional bestraft zu werden.

  18. 18.

    Sowohl bei der Beantragung einer Fahrerlaubnis als auch bei der KFZ-Zulassung muss die eigene Identität nachgewiesen werden. Unter anderem geschieht dies durch einen amtlichen Nachweis über Ort und Tag der Geburt (§ 21 Abs. 3 FeV; § 6 Abs. 1 FZV). Dies kann im Kontext des Asyl- und Aufenthaltsrechts für spezifische Personengruppen wie Asylbewerber*innen (§§ 55, 63a Abs. 1 AsylG) oder geduldete Personen mit ungeklärter Identität (§ 60b AufenthG) zum Problem werden, da häufig auf den Ausweisdokumenten steht, dass die dortigen Angaben auf den Aussagen der Ausweisinhaber*innen beruhen und diese somit nicht amtlich nachgewiesen sind. Auch wenn das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Fahrerlaubnis für Asylbewerber*innen entschieden hat, dass die eigenen Angaben anzuerkennen sind (vgl. Bundesverwaltungsgericht 2016), werden bei Zweifeln die Personenangaben im Einzelfall geprüft, was nach Erfahrungen der Praxis je nach Sachbearbeiter*in zu vielfältigen Problemen führen kann.

  19. 19.

    Die Geldforderungen sind zum Teil auf wenig kommunizierte Änderungen des Landesaufnahmegesetzes in seinem Bundesland zurückzuführen, nach denen Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften je nach Einkommen an den Unterbringungskosten beteiligt werden können.

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Schneider, M. (2023). „Die meiste Zeit war ich wahrscheinlich im Gefängnis“ – Tesfa. In: Männlichkeit und Flucht. Geschlecht und Gesellschaft, vol 79. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-41767-3_8

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-41767-3_8

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  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-41766-6

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