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„Ich will nicht ein Leben lang Soldat sein“ – Temisgen

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Männlichkeit und Flucht

Part of the book series: Geschlecht und Gesellschaft ((GUG,volume 79))

  • 306 Accesses

Zusammenfasung

In diesem Kapitel stehen die Lebensgeschichte von Temisgen und die dort auffindbaren Geschlechterkonstruktionen im Mittelpunkt. In seiner Kindheit und Jugend ist besonders der Zusammenhang von Männlichkeit und Bildung bedeutend, wobei auch andere Männlichkeitskonstruktionen wie der symbolische Ernährer oder Fürsorger thematisiert werden. Die Flucht aus Eritrea steht bei ihm in enger Verbindung mit dem Erleben von Gewalt und einer Marginalisierung seiner männlichen Bildungsbiographie. Diese Marginalisierung wird sich auch auf der Flucht und mit der Ankunft in Deutschland fortschreiben.

Abstract

This chapter focuses on the life story of a person named Temisgen and traces the gender constructions that have marked his biography. The connection of masculinity and education in his childhood and adolescence is of particular significance, although other constructions of masculinity such as that of the symbolic breadwinner or caregiver are also addressed. His forced migration from Eritrea is closely connected to his experience of violence and a marginalization of his male educational biography. This marginalization will continue during the forced migration and with the arrival in Germany.

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Notes

  1. 1.

    Temisgen spielt hier auf eine frühere Erzählung an, in der er berichtete, dass er als Kind beim Herumexperimentieren ein teures Elektrogerät der Familie kaputtgemacht hatte und sich dabei als dumm bezeichnete.

  2. 2.

    Versteht man diesen vergeschlechtlichten, intergenerationellen Auftrag vor dem Hintergrund des Gender Education Gaps in Eritrea (vgl. Ravinder 2005b) und bezeichnet ihn angelehnt an Bourdieu (1997) als Teil des Systems männlicher Herrschaft, lässt sich Temisgen Druck sowohl als Komplizenschaft bei der Reproduktion männlicher Herrschaft, als auch als eigene Beherrschung durch die männliche Herrschaft lesen. Oder um es mit Bourdieus Worten zu sagen, „so ist auch der Herrschende beherrscht, aber durch seine eigene Herrschaft“ (Bourdieu 1997, S. 189).

  3. 3.

    Temisgen nimmt Bezug auf die vorhergehende Erzählung, in der seine Mutter der Familie verheimlichte, dass sie Fleisch zum Essen von einem Bekannten bekam. Diese Verheimlichung rahmte Temisgen als heldenhaft, da seine Mutter die Kinder nicht an die Abhängigkeit von anderen gewöhnen, sondern sie zur Selbstständigkeit erziehen wollte.

  4. 4.

    Zu einem deutlich späteren Zeitpunkt in Temisgens Leben hat seine Mutter nach dem erneuten Arbeitsstopp abermals angefangen zu arbeiten und einen kleinen beruflichen Aufstieg verwirklicht.

  5. 5.

    In der Einleitung zum Fall wurde dargestellt, dass für Temisgen die Dethematisierung von Politik Voraussetzung für das Interview war. Im Interview selbst sprach er an keiner weiteren Stelle über Politik. Aufgrund der fehlenden Hin- und Ableitung zum Thema wirkt es hier so, als würde die Unzufriedenheit mit der Regierung wortwörtlich aus ihm herausplatzen und sich in zwei Sätzen Raum verschaffen.

  6. 6.

    Glatthard (2012) sieht die Macht der eritreischen Regierung in der Erzeugung eines Kreislaufs der Angst, welcher durch staatliche Überwachung und Präsens geschürt, allerdings auch durch die Bevölkerung wie Diaspora „teilweise imaginiert“ und „über Gerüchte und Misstrauen mitgestaltet“ wird (Glatthard 2012, S. 126).

  7. 7.

    In Abschn. 6.2 wurde gezeigt, wie für Temisgen seit seiner Kindheit das Machen von Witzen einen Mechanismus zur Bearbeitung von Stress und Prekarität darstellt. Während seiner Arbeit im Militär wird Temisgen das Machen von Witzen durch seinen Vorgesetzten verboten. Diesem Verbot kommt besonders im Nationaldienst eine zusätzliche Bedeutung zu, da eritreische Nationaldienstleistende in den Machtstrukturen des Militärs häufig mit Witzen und Humor subversiven Widerstand gegen die autoritären Staatsstrukturen leisten (vgl. Bozzini 2018). Durch das Verbot von Witzen wird Temisgen nicht nur ein Coping-Mechanismus gegen Stress genommen, sondern auch die Möglichkeit, Kritik an seinen Lebensumständen zu äußern.

  8. 8.

    Trauma und Dissoziation können auch infolge von Foltererfahrungen auftreten (vgl. Ray et al. 2006, S. 825). Obwohl in der Analyse die These des Erlebens von Folter mitlief, fanden sich im Interview zumindest keine expliziten Hinweise darauf.

  9. 9.

    Dies gilt im Spezifischen auch für erlebte Traumata im Kontext von kriegerischen Auseinandersetzungen (vgl. Knapp 2016, S. 188) oder Folter (vgl. Goodman und Bandeira 2014, S. 20).

  10. 10.

    Das Geflüchtetenlager Hitsats liegt in der Nähe der äthiopischen Grenze. Es wurde 2013 eröffnet und kann bis zu 20.000 Geflüchtete beherbergen. Das Leben im Camp wird unter anderem als geprägt durch die Knappheit von Trinkwasser, Essen, Elektrizität, Feuerholz, Hygiene sowie regelmäßige Epidemien von Malaria beschrieben (vgl. Reisen et al. 2018, S. 26). Das Camp ist „rudimentär und überfüllt“ (USCRI 2015, S. 7, Übers. d. Verf.). Auch wenn es seit Anfang 2020 Berichte über eine mögliche Schließung von Hitsats seitens der äthiopischen Behörden gibt, scheint diese noch nicht umgesetzt worden zu sein (vgl. Creta 2020).

  11. 11.

    Temisgen hatte zur Beschreibung dieses Zeitraums häufiger zwischen zwei und drei Jahren hin- und hergewechselt.

  12. 12.

    Die Einschränkung der Erwerbstätigkeit leitet sich aus dem § 4 III 1 AufenthG ab. Dabei dürfen „Ausländer“ nur dann einer Erwerbstätigkeit nachgehen, wenn ihr Aufenthaltstitel sie dazu berechtigt. Geflüchtete haben während des Asylverfahrens allerdings nur eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 I 1 AsylG und keinen Aufenthaltstitel. Eine Erwerbstätigkeit ist somit zunächst verboten und erst nach einer bestimmten Aufenthaltsdauer unter Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit erlaubt (§ 61 II 1 AsylG). Diese Regelungen wurden inzwischen etwas gelockert.

  13. 13.

    Die Einschränkungen bei den Unterstützungsangeboten für Bildungszugänge kommen wahrscheinlich aus den Regelungen des Sozialgesetzbuches, wonach als junger Mensch zählt, wer noch nicht 27 Jahre alt ist (§ 7 I 4 SGB VIII). Der Bund bietet dabei besondere Förderprogramme für Menschen unter 27 Jahren mit Migrationshintergrund an, um den Zugang zum Studium zu erleichtern.

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Schneider, M. (2023). „Ich will nicht ein Leben lang Soldat sein“ – Temisgen. In: Männlichkeit und Flucht. Geschlecht und Gesellschaft, vol 79. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-41767-3_6

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-41767-3_6

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  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-41766-6

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