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Kontext: Von Eritrea bis Deutschland

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Männlichkeit und Flucht

Part of the book series: Geschlecht und Gesellschaft ((GUG,volume 79))

  • 305 Accesses

Zusammenfassung

Dieses Kapitel erklärt den Lebenskontext der untersuchten Biographien. Zuerst skizziert es die Geschichte Eritreas von präkolonialen Zeiten bis zum Ende des eritreischen Unabhängigkeitskampfes. Ausführlicher werden dann die Entwicklungen der People’s Front for Democracy and Justice zum gesellschaftlichen Hegemon, die Universalisierung des Nationaldiensts und die vergeschlechtlichten Bildungs- und Wirtschaftsstrukturen beschrieben. Daran anschließend werden die Fluchtursachen, -umstände und -routen aus Eritrea erklärt und in das System des internationalen Flüchtlingsschutzes und des Lebens im Transit eingeführt. Zum Abschluss werden die herrschenden Machtverhältnisse im deutschen Asyl- und Ankunftssystem vorgestellt.

Abstract

This chapter explains the life context of the biographies studied. First, it outlines the history of Eritrea from precolonial times to the end of the Eritrean struggle for independence. It then describes in more detail the developments of the People’s Front for Democracy and Justice to become a social hegemon, the universalization of national service, and gendered educational and economic structures. This is followed by an explanation of the causes, circumstances and forced migration routes from Eritrea and an introduction to the system of international refugee protection and refugee life in transit. Finally, the prevailing power relations in the German asylum and arrival system are presented.

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Notes

  1. 1.

    Spätestens an dieser Stelle sollte darauf verwiesen werden, dass sowohl das Sprechen von Ethnizität als auch die Differenzierung von ethnischen Gruppen und deren Identifikationspotentiale als Ergebnisse multifaktorieller sozialer Konstruktionen zu verstehen sind, bei denen Ein- und Ausschlüsse meistens über Kriterien wie eine gemeinsame Geschichte oder Vision, Sprache, Religion oder Körperlichkeiten reguliert werden (Bednarz-Braun und Heß-Meining 2004, S. 44). Sowohl die Informationen in Abb. 4.2 als auch die in Tab. 4.1 referieren auf die neun ethno-linguistischen Gruppen, welche von der eritreischen Regierung anerkannt werden. Die Regierung legt eigene Definitionskriterien zur ethnischen Bestimmung an, wonach eine eigene Ethnie immer eine eigenständige Sprache haben muss. Aus diesen Gründen erkennt die eritreische Regierung beispielsweise die Ethnie der Jeberti nicht an und zählt sie aufgrund der gemeinsamen Sprache zu den Tigrinya. Ebenso wird die Ethnie der Asaorta nicht anerkannt und von der Regierung zu den Saho gezählt (vgl. Kibreab 2009a, S. 209–211). Die Übernahme dieser Nomenklatur in den Abbildungen und den Tabellen erfolgte hier aufgrund des Fehlens alternativer Datengrundlagen (vgl. Kibreab 2009a, S. 10). Um sich von der Nomenklatur der Regierung allerdings trotzdem abzugrenzen, wird insgesamt in der Arbeit von Ethnie und nicht von ethno-linguistischen Gruppen gesprochen.

  2. 2.

    Auch wenn es Abb. 4.2 im ersten Moment so suggeriert, sind die ethnodemographischen Verhältnisse nicht räumlich eindeutig, sondern es gibt viele geographische Überschneidungen und Diversität. Ferner reduziert die Karte Ethnizität auf Einfachzugehörigkeiten. Multiple Positionalisierungen werden unsichtbar gemacht. Auch wenn diese und die nächste Abbildung problematische Reduktionen treffen, werden sie hier aufgegriffen, da sie einerseits helfen, die folgend ausgeführten geschichtlichen Konfliktlinien zu verdeutlichen und andererseits bei der Reflexion des Samples unterstützen, aus wessen Subjektpositionen heraus die Fluchtgeschichten erzählt werden.

  3. 3.

    Die Angaben in Tab. 4.1 können lediglich als Schätzwerte verstanden werden, da der letzte Zensus noch zu Zeiten der italienischen Kolonialherrschaft stattfand. Ferner werden religiöse Mehrfachzugehörigkeiten nicht berücksichtigt.

  4. 4.

    Eine Ausnahme für die hierarchisch-autoritär und patrilineale Organisation stellen die Kunama dar, welche sowohl matrilinear als auch weitestgehend hierarchiefrei organisiert sind (vgl. Stefanos 1997, S. 684).

  5. 5.

    Der Name „Derg“ ist amharisch und bedeutet so viel wie „Komitee“. Er ist eine allgemeine Bezeichnung für die Militärjunta, welche aus dem Sturz des äthiopischen Kaisers Haile Selassie und der äthiopischen Revolution von 1974 entstand. Als Anführer der Derg setzte sich mit der Zeit Mengistu Haile Mariam durch (vgl. Treiber 2015, S. 9).

  6. 6.

    Die im Befreiungskrieg bei der EPLF mitwirkenden Personen werden auch als Fighter oder auf Tirginya Tegadelti bezeichnet. Als Fighter werden nicht nur Menschen bezeichnet, welche direkt an der Front in Kampfhandlungen verwickelt waren, sondern auch Personen, welche in anderen Tätigkeitsbereichen bei der EPLF wie in Fabriken, Krankenhäusern oder Schulen mitwirkten (vgl. Bernal 2001, S. 133).

  7. 7.

    Über die letzten beiden Jahrzehnte belegte Eritrea meist einen der hintersten Plätze beim Press Freedom Index von Reporter ohne Grenze. Für das Jahr 2020 lag Eritrea auf Platz 178 von 180 gelisteten Ländern, kurz vor Turkmenistan und nach Nordkorea (vgl. RSF 2020).

  8. 8.

    So erlebte ich während meines Aufenthalts in Eritrea, wie von einem Bekannten der eritreische Gastgeber, welcher in der eritreischen Opposition aktiv war und sich öffentlich regimekritisch äußerte, am helllichten Tag verschwunden war und erst nach mehr als einem halben Jahr wieder auftauchte. Die Zwischenzeit verbrachte er in einem Gefängnis ohne Kommunikationsmöglichkeit mit der Außenwelt.

  9. 9.

    Da der Kürze halber kein Fokus auf den politischen Strukturen liegt, soll der Vollständigkeit halber erwähnt werden, dass Frauen sich zwar auf den unteren politischen Ebenen etablieren konnten, sie allerdings auf den höheren Entscheidungsebenen fast keine Repräsentanz finden (vgl. Habtu 2012, S. 174–176).

  10. 10.

    Bisher finden sich nur vereinzelte Hinweise über den vergeschlechtlichten Charakter von Kinderarbeit. Eine systematische und umfassende Betrachtung scheint noch auszustehen.

  11. 11.

    Der letzte Bevölkerungszensus in Eritrea fand im Jahr 1938 statt, weshalb es sich um Schätzwerte handelt. Die Schätzungen zur Bevölkerungsgröße zwischen 1995 und heute liegen dabei meist zwischen zweieinhalb und sechseinhalb Millionen Menschen (vgl. EASO 2015, S. 12).

  12. 12.

    Zur Unterdrückung von religiösen Minderheiten in Eritrea und dem Zusammenhang von Religion und Flucht ist weiterführend auf Hepner (2014) zu verweisen.

  13. 13.

    Wie bereits in der Einleitung mit Verweis auf Casas-Cortes und Cobarrubias (2018) thematisiert, reproduziert auch diese Karte hinter ihrem zuerst neutralen Aussehen ein Narrativ der Flucht nach Europa und insbesondere nach Deutschland. Dies wird insbesondere durch die graphische Dramatisierung der Routen nach Europa durch dickere Linien, dunklere Farbsetzungen und Blickfokussierungen mit Kreisen erzeugt. Die Fluchtbewegungen im globalen Süden und deren Länder erscheinen hingegen fast ausgeblichen und kaum wahrzunehmen, obwohl es sich zahlenmäßig um mehr Personen handelt. Auch wenn diese Karte problematisch ist und Herrschaftsordnungen reproduziert, wird sie auf Grund ihres Informationsgehaltes zur Einordnung der Biographien in der Arbeit dargestellt. Um diesen hegemonial-kartographialen Blick auf Flucht zu dekonstruieren, stellen die Arbeiten von Forensic Oceanography über das Sterbenlassen von Geflüchteten im Mittelmeer durch Nato-Flotten (siehe Heller et al. 2017) und die Kartographien aus den Perspektiven von Geflüchteten gesammelt durch Djordje Balmazovic und das Škart Kollektiv (siehe Museum of African Art et al. 2015) einen wichtigen Ankerpunkt dar.

  14. 14.

    Der Fokus liegt hier auf den zeithistorischen Kontexten zwischen den 2000er- und 2010er-Jahren. Da in diesem Zeitraum vielfältige innenpolitische Prozesse mit komplexen Auswirkungen auf die Rechtslage, Mobilität und Lebenschancen für Geflüchteten insbesondere in Libyen stattgefunden haben, kann folgend nur ein grober Überblick gegeben werden, in dem auf Grund des begrenzten Umfangs des Kapitels einige Reduktionen getroffen wurden.

  15. 15.

    Einschränkend muss gesagt werden, dass sich die rechtliche Situation in Äthiopien für Flüchtlinge mit einer neuen Proklamation im Jahr 2019 stark geändert hat. Mit dieser werden Flüchtlingen umfassende Rechte wie die freie Residenz außerhalb der Flüchtlingslager, freie Arbeitswahl und der Zugang zu verschiedenen sozialen und finanziellen Leistungen gewährt (PN 1110). Da die Biographen zu diesem Zeitpunkt allerdings schon alle in Deutschland waren, wird auf die damit einhergehenden Änderungen hier nicht eingegangen.

  16. 16.

    Der Khartum-Prozess ist ein im Jahr 2014 initiiertes interregionales Forum über Migration zwischen dem Horn von Afrika und Europa, welches von europäischer Seite etabliert wurde, um Migrationsbewegungen besser zu kontrollieren. An ihm wird vor allem kritisiert, dass er sich primär mit der Bekämpfung von Menschenschmuggel beschäftigt und somit zur Unterbindung der Migration nach Europa beiträgt, anstatt die Ursachen für Migrationsbewegungen anzugehen und sichere Wege in die EU zu etablieren (vgl. Stern 2015, S. 14; Oette und Babiker 2017, S. 85–89).

  17. 17.

    Eine Gegenthese könnte sein, dass über die 2010er-Jahre die Fluchtbewegung aus Eritrea abgenommen hat, allerdings scheint sich diese nach den Zahlen des UNHCR (2020e) eher noch verstärkt zu haben.

  18. 18.

    Aufgrund der Ausführungen von Tesfagiorgis (2010) über die Religionszugehörigkeit in Eritrea lässt sich vermuten, dass der Großteil der Christ*innen Anhänger*innen der eritreisch-orthodoxen Kirche sind und nur ein kleinerer Teil sich als protestantisch oder römisch-katholisch verortet. Hinsichtlich des Islams ist ausschließlich die sunnitische Glaubensrichtung in Eritrea vertreten, was wohl in Deutschland ähnlich sein wird (vgl. Tesfagiorgis 2010, S. 139).

  19. 19.

    Der Wechsel zu den Berichten des BAMF basiert auf einer fehlenden Datenbasis der Religionszugehörigkeit bei den Datensätzen von UNHCR und EUROSTAT. Dabei wurde sich auf den Zeitraum zwischen 2013 und 2019 fokussiert. In den Zahlen werden allerdings weder Mehrfachzugehörigkeiten noch religiöse Unterströmungen oder weniger verbreitete Religionen berücksichtig. Neben den Kategorien Christentum, Islam, konfessionslos und sonstige/unbekannt finden sich in den BAMF-Berichten noch die Kategorien Yezid*innen, Hinduismus und Buddhismus wieder. Die Zugehörigkeit zu einer der drei Religionen wurde allerdings zwischen den Jahren 2013 bis 2019 mit null Personen angegeben, weshalb diese Zuordnungen hier nicht weiter ausgeführt werden. Ferner spielt die Kategorie der Konfessionslosigkeit quantitativ fast keine Rolle.

  20. 20.

    Dass die Flucht von Eritrea nach Deutschland besonders durch die Gruppe der Tigrinya geprägt ist, kann einerseits dadurch erklärt werden, dass in Eritrea muslimisch orientierte Ethnien eher in den Nahen Osten statt nach Europa fliehen (vgl. Belloni 2019c, S. 21), und andererseits dadurch, dass die Flucht nach Europa finanziell aufwendig ist, soziohistorisch ein unterschiedlicher Zugang zu finanziellen Ressourcen je nach Ethnien bestand und somit die Flucht lange Zeit auf wohlhabendere Tigrinya beschränkt war (vgl. Glatthard 2012, S. 45). Ferner kam auch während des Unabhängigkeitskrieges ein Großteil der geflohenen Personen aus dem eritreischen Hochland und setzte sich vor allem aus der ethnischen Gruppe der Tigrinya und nachfolgend der Bilen zusammen (vgl. Nolting 2010, S. 50).

  21. 21.

    Hinsichtlich des Bildungsniveaus von eritreischen Erstantragssteller*innen ließen sich nur für den Zeitraum zwischen 2016 und 2019 aussagekräftige Daten finden, welche über die drei Jahren relativ konstant waren und zumindest einen Eindruck vermitteln.

  22. 22.

    Während des Forschungsprozesses und seit der ursprünglichen Einreichung der Dissertation gab es viele rechtliche Änderungen, weshalb sich die folgenden Ausführungen vor allem auf die Mitte der 2010er-Jahre konzentrieren, welche für die Biographien die größte Relevanz hatten.

  23. 23.

    Seit 2015 findet eine Trennung zwischen Asylbewerber*innen nach ihrer Anerkennungswahrscheinlichkeit statt, wobei auch von ‚Bleibeperspektive‘ gesprochen wird. Für Asylbewerber*innen mit hoher ‚Bleibeperspektive‘, worunter Geflüchtete aus Syrien, Irak, Eritrea oder dem Iran fallen, gibt es seitdem einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt, zu arbeitsfördernden Maßnahmen und Sprach- und Integrationskursen. Hingegen wurden für Asylbewerber*innen mit schlechterer ‚Bleibeperspektive‘ bestehende Beschränkungen weiter verschärft (vgl. Aumüller 2018, S. 178).

  24. 24.

    Das Fragebogenverfahren fand besonders zwischen den Jahren 2014 und 2016 bei Asylbewerber*innen aus Herkunftsländern mit hohen Anerkennungsraten wie Eritrea oder Syrien statt, um Asylverfahren zu beschleunigen. Dabei werden die asylrelevanten Informationen per zugeschicktem Fragebogen erhoben. Im Fragebogen aus der Zweigstelle Karlsruhe für Eritreer*innen wird beispielsweise gefragt, was vor der Ausreise aus Eritrea passiert ist, ob man vor oder während des Nationaldiensts geflohen ist und ob persönliche Schwierigkeiten bei einer Rückkehr nach Eritrea erwartet werden (vgl. BAMF 2015b).

  25. 25.

    Diese Prüfung wird auch als Widerrufsprüfung bezeichnet. Dabei gab es in den letzten Jahren eine wichtige Änderung, da eine Mitwirkungspflicht bei der Widerrufsprüfung eingeführt wurde. Diese kann vom Bundesamt eingefordert werden, wenn Informationen hinsichtlich der eigenen Identität als nicht ausreichend gesichert angesehen werden. Diese Aufforderung findet besonders häufig bei Personen statt, welche ihr zweites Asylinterview im Fragebogenverfahren durchlaufen haben (vgl. Bundesregierung 2019, S. 10), was besonders viele Personen aus Eritrea betrifft.

  26. 26.

    In der Abbildung werden nur die formellen Entscheidungen von Erstanträgen betrachtet. Informelle Entscheidungen finden beispielsweise dann statt, wenn Asylverfahren eingestellt werden, eine Person ihren Antrag zurückzieht oder ein anderer Staat für diesen zuständig ist.

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Schneider, M. (2023). Kontext: Von Eritrea bis Deutschland. In: Männlichkeit und Flucht. Geschlecht und Gesellschaft, vol 79. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-41767-3_4

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  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

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