In den vergangenen Jahren hat die Forschung einige bedeutende Durchbrüche im Gebiet der künstlichen Intelligenz erzielt, allen voran in den Bereichen des Bildverstehens (z. B. Krizhevsky et al. 2012) und der Sprachverarbeitung (z. B. Bahdanau et al. 2015). Die beiden angeführten Beispiele haben gemeinsam, dass sie Modelle und Algorithmen des maschinellen Lernens verwenden, um aus großen Datenmengen Wissen zu formalisieren. In der Tat lassen sich die meisten Fortschritte der letzten Jahre auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz auf Errungenschaften in der Beforschung von Methoden des maschinellen Lernens zurückführen (Kerting und Tresp 2019). Als Meilensteine gelten insbesondere die Methoden, welche das Anlernen vielschichtiger künstlicher neuronaler Netze erlauben und unter dem Begriff »Deep Learning« zusammengefasst werden (LeCun et al. 2015). Insbesondere in der Bild- und Spracherkennung wird als Lernstrategie das sogenannte überwachte Lernen verfolgt. Hierbei wird auf Basis einer bestimmten Anzahl von Eingaben \(X\) und einer zuordenbaren Anzahl von bekannten Ausgaben \(Y\) eine Übertragungsfunktion von \(X\) nach \(Y\) approximiert.

Die Renaissance künstlicher neuronaler Netze, deren Ursprünge bereits auf McCulloch und Pitts (1943) zurückgehen, war ab der zweiten Hälfte des letzten Jahrzehnts ebenfalls Fortschrittstreiber für ein weiteres Teilgebiet des maschinellen Lernens – das bestärkende Lernen. Die Methoden des bestärkenden Lernens eint insbesondere ein Vorteil gegenüber dem überwachten Lernen: Sie benötigen für eine Modelleingabe keine bekannte Ausgabe, um die Lösung eines Problems zu erlernen. Stattdessen werden Modellausgaben durch eine Belohnungsfunktion bewertet, sodass mittels Versuch und Irrtum Lernsignale generiert werden. Bestärkende Lernalgorithmen haben in der jüngsten Vergangenheit bei Problemen Erfolge erzielt, welche Sequenzen von Entscheidungen in nichtdeterministischen Umgebungen erfordern, bspw. in klassischen Brettspielen (Silver et al. 2017), in Atari-Videospielen (Mnih et al. 2015) oder in komplexen dreidimensionalen Echtzeitstrategie-Computerspielen (DeepMind 2019).

Verschiedene Planungs- und Steuerungsprobleme in der Produktion und Logistik sind mit den angeführten Beispielen insoweit vergleichbar, als dass sie sich ebenfalls mit Hilfe von aufeinander aufbauenden Entscheidungsketten lösen lassen. Der folgende Abschnitt diskutiert, warum Methoden des bestärkenden Lernens das Potenzial besitzen, einigen der aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen im Bereich der Produktion und Logistik zu begegnen.

1.1 Motivation und Problemstellung

Die Produktion und Logistik umfasst langfristige strategische sowie mittelfristige und kurzfristige operative Planungs- und Steuerungsaufgaben, welche sich hinsichtlich ihrer Planungszeiträume unterscheiden. Abbildung 1.1 zeigt die Planungsmatrix nach Fleischmann (2008, S. 9), die typische Aufgaben der Produktionslogistik hinsichtlich ihres zeitlichen Planungshorizontes kategorisiert. Planungsaufgaben werden vornehmlich der langfristig strategischen und der mittelfristig operativen Ebene zugeordnet. Produktionslogistische Steuerungsaufgaben werden ausschließlich mit der kurzfristigen operativen Ebene assoziiert. Der Übergang zwischen Planungs- und Steuerungsaufgaben ist oftmals fließend.

Viele kurzfristige operative Aufgaben lassen sich als mathematische Optimierungsprobleme formulieren, wie z. B. die Produktionsablaufplanung, die im Fokus dieser Arbeit steht. Bei der Produktionsablaufplanung müssen Freigabetermine für Aufträge so geplant und Aufträge auf Ressourcen so verteilt werden, dass keine Kundentermine verletzt, Ressourcen bestmöglich ausgelastet und Bestände minimiert werden. Abhängig vom vorliegenden Produktionssystem entspricht die Produktionsablaufplanung häufig einem Flow-Shop-Scheduling-Problem (Linienfertigung) oder einem Job-Shop-Scheduling-Problem (Werkstattfertigung). In beiden Fällen handelt es sich i. d. R. um NP-schwere kombinatorische Optimierungsprobleme(Hoogeveen et al. 1992; Potts et al. 1995; Zhang et al. 2019). Derzeit wird davon ausgegangen, dass kein deterministisch arbeitender Algorithmus existiert, welcher ein Optimierungsproblem der Komplexität »NP« in Polynomialzeit lösen kann (Zimand 2004, S. 52; Hromkovič 2014, S. 190). Die Komplexitätstheorie spricht von Polynomialzeit, wenn die Berechnungszeit eines Algorithmus bei zunehmender Problemgröße nicht stärker als eine Polynomfunktion mit einem konstanten natürlichen Exponenten wächst (Sipser 2006, S. 257). In der Praxis können lediglich Probleme von sehr geringer Größe durch Methoden der ganzzahligen linearen Optimierung exakt gelöst werden. Für größere Problemstellungen ist eine exakte Optimierung gewöhnlich nicht durchführbar.

Abbildung 1.1
figure 1

Planungsaufgaben in der Produktion und Logistik (Fleischmann 2008, S. 9)

In der Industrie werden stattdessen häufig einfache Prioritätsregeln für die Sequenzierung von Aufträgen eingesetzt (Schuh et al. 2012a, S. 53), welche durch eine einfache Anwendbarkeit überzeugen. Die resultierenden Auftragsreihenfolgen sind jedoch gemeinhin weit entfernt von einem optimalen Produktionsplan. Alternative Lösungsansätze bieten problemspezifische Heuristiken oder Metaheuristiken. Problemspezifische Heuristiken können in vorhersagbarer Zeit qualitativ hochwertige Lösungen konstruieren. Ihr Hauptnachteil ist, dass sie stets auf ein bestimmtes Optimierungsproblem zugeschnitten sind. Entsprechend der Diversität industrieller Produktionssysteme existiert eine Vielzahl von Heuristiken für die Planung von Auftragsreihenfolgen und Ressourcenbelegungen. So präsentieren bspw. T’kindt und Billaut (2006) über 60 verschiedene Heuristiken zur Auftragsreihenfolge‐ und Ressourcenbelegungsplanung für verschiedene Produktionstypen. Insbesondere für klein‐ und mittelständische Unternehmen sind problemspezifische Heuristiken nur schwer zugänglich, da ein umfangreiches Domänenwissen in mathematischer Modellierung sowie in der Entwicklung und Implementierung von Algorithmen erforderlich ist. Aus diesem Grund ist zunehmend der Einsatz von Metaheuristiken, wie z. B. evolutionäre Algorithmen, in der Industrie zu beobachten (vgl. Klug 2017, S. 146). Metaheuristiken zeichnen sich durch ihre generischen zufallsbasierten Suchstrategien aus, die gewöhnlich von physikalischen oder biologischen Prozessen inspiriert sind (Blum und Roli 2003). Somit können Metaheuristiken für eine Vielzahl von Optimierungsproblemen bei vergleichsweise geringem Anpassungsaufwand eingesetzt werden. Ihre stochastische Lösungssuche birgt jedoch auch Nachteile. Zum einen können Metaheuristiken eine hohe Rechenzeit beanspruchen, bevor sie zu einer optimalen Lösung konvergieren, zum anderen ist es nicht möglich vorherzusagen, wann eine Metaheuristik eine Lösung findet, die den Qualitätsanforderungen entspricht. Aus diesem Grund eignen sie sich nur bedingt zur Planungsunterstützung in hochdynamischen und stochastischen Produktionsumgebungen, bei welchen die Eingangsdaten der Optimierung kurzfristigen Änderungen unterliegen und nur schwer vorhersagbar sind. Zusammenfassend zeigt Abbildung 1.2, dass die diskutierten Planungsmethoden eine Forschungslücke hinsichtlich algorithmischer Laufzeit, Entwicklungsaufwand und Lösungsgüte aufweisen.

Abbildung 1.2
figure 2

Klassifizierung von quantitativen Methoden der Produktionsplanung hinsichtlich Laufzeit, Entwicklungsaufwand und Lösungsgüte

Wie in Abbildung 1.1 zu erkennen war, berücksichtigt Fleischmann einen Zeitraum von einem bis drei Monaten für Planungsaufgaben der kurzfristigen operativen Ebene. Hierbei gilt es zu betonen, dass in der Wissenschaft und Praxis keine einvernehmliche Definition für die durchschnittliche Dauer von kurzfristigen operativen Planungsaktivitäten existiert. Zum Beispiel veranschlagen Schenk et al. (2014, S. 295) lediglich eine Zeitspanne von einigen Tagen bis Wochen für die Abwicklung von kurzfristigen operativen Planungs- und Steuerungsaufgaben. Die folgenden Entwicklungen und Herausforderungen weisen darauf hin, dass sich der zeitliche Horizont für die kurzfristige operative Produktionsablaufplanung weiter verringern könnte:

  • Steigende Kundenanforderungen: Aufgrund der zunehmenden Globalisierung verschärft sich die Wettbewerbssituation zwischen Unternehmen, was sich u. a. durch einen steigenden Kostendruck und durch kürzere Innovations-, Design- und Produktlebenszyklen äußert (Koch 2017, S. 26). Insbesondere in Ländern mit hohen Personalkosten versuchen produzierende Unternehmen Kunden mit einem höheren Servicelevel an sich zu binden, um konkurrenzfähig zu bleiben. Dies äußert sich u. a. in kürzeren Lieferzeiten (Jodlbauer 2016, S. 316) oder höheren Individualisierungsmöglichkeiten für Produkte (Gräßler 2004; Lindemann et al. 2006).

  • Steigende Variantenvielfalt von Produkten: Die steigende Anzahl zu berücksichtigender Varianten in der Produktion kann als direkte Folge der zunehmenden Individualisierungsmöglichkeiten von Produkten betrachtet werden. Beispielsweise müssen in der automobilen Endmontage bereits heutzutage 15.000 bis 20.000 verschiedene Teilevarianten durch die Produktionsplanung und -steuerung verwaltet werden (Klug 2018, S. 45).

  • Steigende Komplexität von Produkten: Die steigende Komplexität von Produkten resultiert zum einen aus deren zunehmenden Individualisierungsmöglichkeiten. Zum anderen sind die zunehmende Integration von mechanischen, elektronischen und softwaretechnischen Produktkomponenten, für die unterschiedliche Entwicklungsanforderungen und Innovationszyklen charakteristisch sind, weitere Komplexitätstreiber (Lindemann et al. 2006, S. 1 ff.). Eine höhere Produktkomplexität kann mit einem Anstieg der Komplexität des Produktionsprozesses einhergehen, bspw. durch Zunahme der notwendigen Operationen zur Herstellung eines Produktes.

  • Just-in-Time (JIT): Das JIT-Konzept hat zum Ziel, das richtige Material in der richtigen Menge und Qualität zur richtigen Zeit an die Produktionslinie zu liefern (Rüttimann und Stöckli 2016). Die Intention hierbei ist die Minimierung von Lagerbeständen in der Produktion (Ohno et al. 2013, S. 35). Eine Materialanlieferung gemäß des JIT-Konzepts kann für die Produktionsplanung eine große Herausforderung darstellen, da diese bereits einige Tage vor Produktionsbeginn eine anforderungsgerechte Auftragsreihenfolge festlegen muss, um Zulieferern ein ausreichend großes Zeitfenster für die Planung und Durchführung von Materialtransporten zu gewähren (Klug 2018, S. 417 f.). Hieraus folgt, dass das JIT-Konzept sehr anfällig gegenüber Störungen ist. Konkret beeinträchtigen bspw. kurzfristige Abweichungen des Materialverbrauchs oder der avisierten Lieferzeiten die Einhaltung des JIT-Konzepts. Im ungünstigsten Fall kann der vorbestimmte Produktionsplan nicht umgesetzt werden und die verbleibende Zeit bis Produktionsstart reicht nicht aus, um einen neuen optimalen Produktionsplan zu berechnen.

  • Zunehmende Dezentralisierung der Produktion und Logistik: Vor dem Hintergrund der ansteigenden Nachfrage nach Individualisierungsmöglichkeiten von Produkten strebt die Mehrheit der deutschen Unternehmen (vgl. Staufen AG 2019, S. 35) »Losgröße 1« an: Die vollständig kundenindividuelle Produktion zu Kosten einer Serienfertigung (Spath 2013, S. 117). Konzepte wie die Matrix-Produktion versuchen durch eine organisatorische und räumliche Dezentralisierung von Produktionsprozessen dem Trend zur Losgröße 1 entgegenzukommen. Anstelle von festverketteten Fördersystemen erfolgt der Transport von Produkten und Material durch fahrerlose Transportsysteme, wobei für jedes Produkt und nach jedem Arbeitsgang entschieden wird, welcher Prozessschritt als nächstes ausgeführt wird (Bauernhansl et al. 2014, S. 116 ff.). Einerseits resultiert hieraus eine höhere Flexibilität für die Auftragsreihenfolge- und Ressourcenbelegungsplanung, andererseits erschweren die nicht getakteten, dezentralen und oftmals unkoordinierten Steuerungsentscheidungen eine ganzheitliche Optimierung der Produktionsabläufe.

Zusammengefasst können kürzere Lieferzeiten sowie eine zunehmende Variantenvielfalt und Komplexität von Produkten zusätzliche und schwieriger zu berücksichtigende Restriktionen für die Produktionsablaufplanung verursachen. Darüber hinaus können aus Störungen in der JIT-Materialversorgung sowie aus einer zunehmenden Dezentralisierung und Enttaktung von produktionslogistischen Steuerungsentscheidungen verringerte Planungshorizonte und verringerte zeitliche Kapazitäten für die Produktionsablaufplanung resultieren. Um diesen zukünftigen Herausforderungen zu begegnen, benötigen Produktionsplaner*innen entscheidungsunterstützende Systeme, welche sensibel auf Zustandsänderungen im Produktions- und Logistiksystem reagieren, sowie Planungs- und Steuerungsentscheidungen in ausreichend geringer Zeit zur Verfügung stellen. Aufgrund ihrer spezifischen Nachteile ist es fraglich, ob ganzzahlige lineare Optimierungsmethoden, Metaheuristiken, problemspezifische Heuristiken und Prioritätsregeln diesen Anforderungen gerecht werden.

Die dieser Forschungsarbeit zugrundeliegende Hypothese lautet, dass Methoden des bestärkenden Lernens vorteilhafte Lösungsstrategien für die Produktionsablaufplanung darstellen und sich hinsichtlich Lösungsgüte, Entwicklungsaufwand und Laufzeit zwischen den in Abbildung 1.2 dargestellten konventionellen Methoden einordnen, respektive dass

  1. 1.

    ein durch bestärkendes Lernen trainiertes Modell in kürzerer Zeit als Metaheuristiken,

  2. 2.

    bei zeitgleich geringerem Entwicklungsaufwand als für problemspezifische Heuristiken,

  3. 3.

    bessere Auftragsreihenfolge- und Ressourcenbelegungsentscheidungen ermittelt als Prioritätsregeln.

Eine geringere Rechenzeit im Vergleich zu Metaheuristiken wird vermutet, da beim maschinellen Lernen nur das Training einen erheblichen Zeitaufwand darstellt, während der Einsatz eines angelernten Modells lediglich eine insignifikante Laufzeit beansprucht. Der Entwicklungsaufwand gegenüber problemspezifischen Heuristiken ist mutmaßlich geringer, da einige frei verfügbare Software-Bibliotheken für das maschinelle Lernen im Allgemeinen (z. B. Abadi et al. 2016; Paszke et al. 2019) und für das bestärkende Lernen im Speziellen (z. B. Dhariwal et al. 2017; Liang et al. 2017; Hill et al. 2018) existieren, welche lediglich für Problemstellungen der Produktionsablaufplanung adaptiert werden müssen. Die Hypothese, dass durch bestärkendes Lernen trainierte Modelle bessere Auftragsreihenfolge- und Ressourcenbelegungsentscheidungen ermittelt als Prioritätsregeln, basiert darauf, dass angelernte Modelle Auftragscharakteristiken und Systemzustandsvariablen der Produktion für Steuerungsentscheidungen berücksichtigen, wohingegen Prioritätsregeln keine Informationen des Produktionssystems miteinbeziehen.

1.2 Zielstellung der Arbeit und Forschungsfragen

Trotz der diskutierten Vorteile ist der Einsatz von bestärkenden Lernstrategien für die Produktionsablaufplanung noch vergleichsweise wenig beforscht. Obgleich sich bereits einige Forschungsarbeiten mit Methoden des bestärkenden Lernens für bestimmte Probleme der Produktionsablaufplanung beschäftigen, existiert bisher kaum verallgemeinertes und formalisiertes Wissen hinsichtlich der Anwendung von bestärkenden Lernen für die Produktionsablaufplanung. Vor diesem Hintergrund soll im Rahmen dieser Arbeit eine Methode entwickelt werden, welche zur Adaption, Integration und Anwendung von bestärkenden Lernverfahren für die Produktionsablaufplanung anleitet. Hierbei soll die zu entwickelnde Methode die folgenden Forschungsfragen (FF) adressieren:

  1. FF1:

    Auf welche Art und Weise können Methoden des bestärkenden Lernens für die Produktionsablaufplanung angewandt werden?

  2. FF2:

    Wie können Entscheidungsprobleme der Produktionsablaufplanung als maschinelle Lernaufgabe formuliert werden, sodass eine Problemlösung mithilfe bestärkender Lernverfahren realisierbar ist?

  3. FF3:

    Welche produktionslogistischen Daten sind geeignet, um Entscheidungsmodelle für die Produktionsablaufplanung mithilfe von bestärkenden Lernen zu trainieren?

  4. FF4:

    Wie müssen Belohnungsfunktionen gestaltet sein, um das bestärkende Anlernen von Entscheidungsmodellen für die Produktionsablaufplanung zu steuern?

  5. FF5:

    Wie müssen Methoden des bestärkenden Lernens sowie durch bestärkendes Lernen trainierte Entscheidungsmodelle mit dem Prozess der Produktionsablaufplanung sowie mit den Prozessen des zugrundeliegenden produktionslogistischen Systems integriert werden?

Um ihre Praxistauglichkeit zu gewährleisten, soll die Methode anhand von typischen Problemstellungen der Produktionsablaufplanung entwickelt werden. Die Methode soll zwei Zielgruppen adressieren: Zum einen soll sie Produktions- und Logistikplaner*innen bei der Konzeption einer auf bestärkendem Lernen basierenden Produktionsplanung und -steuerung unterstützen. Zum anderen soll sie für Wirtschafsinformatiker*innen einen Leitfaden zur Konzeption von auf bestärkenden Lernen basierenden Informationssystemen für die Produktionsablaufplanung darstellen.

1.3 Forschungsmethodik und Aufbau der Arbeit

Die Auswahl einer geeigneten Forschungsmethodik ist notwendig, um den Prozess der Forschung und Methodenentwicklung zu systematisieren und ergebnisorientiert zu gestalten. Da sich die vorliegende Arbeit im Umfeld des maschinellen Lernens und der computergestützten Produktionsablaufplanung ansiedelt, erfolgt die Auswahl einer Forschungsmethodik aus dem Bereich der Wirtschaftsinformatik. Die Wirtschaftsinformatik versteht sich als „[…] interdisziplinäre Wissenschaft zwischen den Wirtschaftswissenschaften, insbesondere der Betriebswirtschaftslehre, und der Informatik“ (Kurbel und Strunz 1990, S. 3). Die Planung und Steuerung von Produktions- und Logistikprozessen weist in der Wirtschaftsinformatik eine lange wissenschaftliche Tradition auf (vgl. Heinrich und Ardelt 2012, S. 107 f.).

Die Forschung im Bereich der Wirtschaftsinformatik ist insbesondere durch zwei erkenntnistheoretische Paradigmen charakterisiert (Becker und Pfeiffer 2006, S. 12; Wilde und Hess 2007, S. 281; Becker et al. 2009, S. 20 f.): Die quantitativ, empirische Wirtschaftsinformatik, welche durch Beobachtungen und formalisierte Modelle informationsverarbeitende Prozesse zu erklären versucht (Holl 1999, S. 171), ordnet sich dem verhaltenswissenschaftlichen Paradigma (Behavioral Science) zu. Demgegenüber steht das gestaltungsorientierte Paradigma (Design Science), das eine wert- und nutzenorientierte Schaffung von neuen Methoden, Produkten und Technologien verfolgt (March und Smith 1995).

Da in dieser Arbeit die Entwicklung einer neuen Methode im Vordergrund steht, wird im Folgenden mit dem »Information Systems Research Framework« von Hevner et al. (2004) eine gestaltungsorientierte Forschungsmethodik adaptiert. Wie Abbildung 1.3 zeigt, basiert der von Hevner et al. (2004) adaptierte Ansatz im Wesentlichen auf drei Säulen.

Die Umwelt als linke Säule motiviert die Zielstellung der Forschung. Sie ist einerseits durch Menschen und Organisationskonzepte in Unternehmen definiert, aus deren Bedürfnissen und Anforderungen ein Forschungsbedarf resultiert, andererseits durch Technologien, welche Treiber für die Entwicklung neuartiger Informationssysteme sind. Die Motivation der Forschung wurde bereits in Abschnitt 1.1 aus menschlicher und organisatorischer Perspektive dargelegt. Im Ausblick dieser Arbeit (Abschnitt 7.2) werden zudem aktuelle technologische Entwicklungen diskutiert, welche den Einsatz von bestärkenden Lernverfahren für die Produktionsablaufplanung in Zukunft begünstigen werden.

Die Forschung als zentrale Säule beschreibt die Zielstellung der Arbeit, respektive das zu entwickelnde Artefakt sowie dessen Evaluation hinsichtlich der Bedürfnisse und Anforderungen der definierten Umwelt. Die Zielstellung der Arbeit – die Entwicklung einer Methode zum Einsatz von bestärkenden Lernverfahren für die Produktionsablaufplanung – wurde detailliert in Abschnitt 1.2 ausgearbeitet. Kapitel 5 behandelt die Entwicklung und Erklärung der Methode. Die prototypische Evaluation der Methode wird in Kapitel 6 thematisiert.

Abbildung 1.3
figure 3

Adaptierte Forschungsmethodik in Anlehnung an Hevner et al. (2004)

Die Wissensbasis als rechte Säule umfasst zum einen relevante Theorien und Methoden, die den Forschungsrahmen bilden und als Grundlage der Methodenentwicklung dienen. Vor diesem Hintergrund werden in Kapitel 2 die Grundlagen der Produktionsplanung und -steuerung behandelt, mit der Zielstellung, den Anwendungsbereich von bestärkenden Lernverfahren für die Produktionsablaufplanung zu präzisieren. Die Grundlagen des maschinellen Lernens, welche für die Entwicklung und Evaluation der Methode notwendig sind, werden in Kapitel 3 dargelegt. Zum anderen beinhaltet die Wissensbasis diverse Methodologien, welche für die Evaluation der entwickelten Methode eingesetzt werden. In Kapitel 4 wird mithilfe einer Literaturstudie der aktuelle Stand der Wissenschaft und Technik hinsichtlich des Einsatzes von bestärkenden Lernverfahren für die Produktionsablaufplanung dargelegt. Ziel der Literaturstudie ist, die in Abschnitt 1.1 skizzierte Forschungslücke zu belegen und hierauf aufbauend die Anforderungen an die zu entwickelnde Methode in Kapitel 5 zu konkretisieren. Ebenfalls trägt die Literaturstudie zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage (FF1) aus Abschnitt 1.2 bei. Die Evaluation der entwickelten Methode erfolgt unter Anwendung von traditionellen Forschungsmethoden der Wirtschaftsinformatik (Wilde und Hess 2007). Anhand von simulierten Fallstudien sollen Prototypen von Entscheidungsunterstützungssystemen, die auf bestärkenden Lernverfahren basieren, für die Produktionsablaufplanung implementiert und mit konventionellen Lösungsmethoden verglichen werden. Konkret handelt es sich bei den simulierten Fallstudien um Optimierungsprobleme der Produktionsablaufplanung. Die Lösungsgüte der Ablaufpläne wird vornehmlich anhand der Gesamtverspätung über alle Aufträge und anhand der Gesamtdauer des resultierenden Ablaufplans bewertet. Basierend auf den Experimentergebnissen sollen mithilfe von argumentativ-deduktiven Analysen Schlussfolgerungen getroffen werden, ob die entwickelte Methode die Bedürfnisse und Anforderungen der definierten Umwelt reflektiert. Abbildung 1.4 fasst das Vorgehen und den Aufbau der Arbeit zusammen.

Abbildung 1.4
figure 4

Vorgehen und Aufbau der Arbeit