Die wissenschaftliche Debatte über die Einbindung lokaler Akteur*innen in die Friedensarbeit verlangt zunehmend nach einem umfassenden Ansatz für die Zusammenarbeit mit lokalen Akteur*innen und nach Konzepten, die den lokalen Partner*innen keine westlichen Vorstellungen aufzwingen, sondern sie als aktiven Teil des Gesamtprozesses betrachten (Reich, 2005, S. 475). Antworten auf Fragen in diesem Zusammenhang geben – wie in Kapitel 4 dargestellt – die Praxis der zivilen Konfliktbearbeitung und insbesondere der Zivile Friedensdienst (ZFD). Dabei ist die zivile Friedensarbeit in Deutschland nicht nur durch das Engagement staatlicher Akteur*innen, sondern auch durch zahlreiche zivilgesellschaftliche und kirchliche Organisationen und Institutionen gekennzeichnet (Auer-Frege, 2010b, S. 15), die im ZFD besonderen Ausdruck finden. Die Umsetzung des ZFD in den jeweiligen Ländern kann also als Beispiel dafür dienen, wie Friedensarbeit aussehen kann. Gleichzeitig muss sie kritisch betrachtet werden, um aus Herausforderungen und Problemen lernen zu können. Dazu richtet diese Forschung den Blick auf den ZFD in drei Ländern. In diesem Kapitel wird zunächst die Fallauswahl der drei Länder Kenia, Liberia und Sierra Leone beleuchtet. Anschließend folgt ein kurzer allgemeiner Überblick über diese Länder, der kurz auf vergangene Konfliktlinien eingeht und auf solche Konflikte, die während der Forschung relevant waren. Dabei ist anzumerken, dass alle Konflikte und derzeitigen Konfliktlinien multipel sind. In der Literatur gibt es dazu unterschiedliche und widersprüchliche Darstellungen. Daher wird darauf nur verkürzt eingegangen, da diese Aspekte für die eigentliche Fragestellung der Arbeit nicht relevant sind. Vielmehr geht es darum, sie in den Rahmen einordnen zu können, in dem der ZFD agiert. Abschließend wird die Situation der Zivilgesellschaft und insbesondere der Civil Society Organizations (CSOs) geschildert. In diese Darstellungen der CSOs wird die Arbeit des ZFD in den jeweiligen Ländern eingeordnet. Dies ist als eine erste allgemeine Zuordnung zu verstehen. Durch diese unterschiedlichen Darstellungen kann der Kontext aufgezeigt werden, in dem der ZFD arbeitet und in dem die internationalen und lokalen Fachkräfte zusammenarbeiten.

7.1 Begründungen der Fallauswahl

Um den ZFD auch in der Praxis erforschen zu können, ist Feldforschung in den Projekten vor Ort ein elementarer Forschungsbestandteil. Nur so können ein Austausch mit den lokalen Partner*innen und den ZFD-Mitarbeiter*innen stattfinden, das bereits gewonnene Wissen in der Praxis überprüft und neue Ergebnisse gewonnen werden. Mit dem Hintergrundwissen über die Kooperation im ZFD fand eine Fallauswahl statt.

Es sind in Deutschland neun staatlich anerkannte Entwicklungsdienste mit der Erfüllung des ZFD beauftragt. In der vorliegenden Forschung wird der Fokus auf deren Projekte in afrikanischen Ländern gelegt. Die Auswahl wird damit begründet, dass der afrikanische Kontinent in den vergangenen Jahren eine besondere Rolle in der Deutschen Friedens- und Entwicklungsarbeit gespielt hat. Im Zuge der Agenda 2030 wurden 2014 mit dem Strategiepapier zur neuen Afrika-Politik des BMZ und mit dem 2017 in Kraft getretenen „Marshallplan mit Afrika“ die Grundlagen für die dortige zukünftige Arbeit gelegt (BMZ, 2014). Der Begriff Marshallplan ist eine rhetorische Anlehnung an den Plan, der nach dem Zweiten Weltkrieg Europa und insbesondere Deutschland zum Wiederaufbau verhelfen sollte (Poulet, 2017). Der „Marshallplan mit Afrika“ setzt besondere Schwerpunkte und wird als „Paradigmenwechsel“ (BMZ, 2017a, S. 13) bezeichnet, da er sich von gängigen Entwicklungsstrategien abgrenzt (Freytag & Fricke, 2017). Dieser Marshallplan legt den Fokus auf Wirtschaft, Reformwilligkeit, afrikanische Eigeninitiative, Armutsbekämpfung, Ausbau der Infrastruktur und Modernisierung (BMZ, 2017a). Klar benennt er die Probleme auf dem Kontinent und der bisherigen Politik (Kappel, 2017, S. 2). Dennoch gibt es zum Marshallplan auch kritische Stimmen. Aus postkolonialer Sicht etwa kann die starke sprachliche Anlehnung an den ursprünglichen Marshallplan kritisiert werden. Insbesondere, weil die Namensähnlichkeit impliziert, dass die Erfolgschancen beider Pläne gleich sind (Wachter & Howe, 2017, S. 18). Kritisiert wird auch seine unklare Darlegung der explizierten und implizierten Wertepolitik, die nur sehr schwammig formuliert wird (Kappel, 2017, S. 8). Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass der Plan trotz guter Ambitionen hauptsächlich den sogenannten Geber*innen von Entwicklungszusammenarbeit dient (Klaus, 2017; Poulet, 2017). Beispielsweise kann sein starker Fokus auf die Wirtschaft und auf den Einsatz von privatwirtschaftlichen Investitionen aus Deutschland mit einer „neoliberalen Ausrichtung“ (Klaus, 2017, S. 7) des Plans in Verbindung gebracht werden. Des Weiteren ist zu kritisieren, dass trotz der Betonung einer gleichwertigen Partnerschaft und der Forderung nach Eigeninitiative der afrikanischen Staaten kein afrikanisches Land in die Konzeption des Planes eingebunden wurde (Kappel, 2017, S. 1). Ob und inwieweit der im Marshallplan angesprochene „Paradigmenwechsel“ (BMZ, 2017a, S. 13) also tatsächlich stattfindet, ist fraglich. Diese afrikapolitische Ausrichtung Deutschlands beeinflusste stark die Forschungsergebnisse, da die Ausrichtung des ZFD sich an dieser Strategie orientierte. Mit dem Wechsel der Bundesregierung 2021 und der in der Folge eingeläuteten „Zeitenwende“ nimmt auch das BMZ in seiner Arbeit immer mehr Abstand von diesem Marshallplan und setzt zum Beispiel mit einer feministischen Entwicklungspolitik oder der neuen Afrika-Strategie neue Schwerpunkte. Es bleibt abzuwarten, wie sie sich auf die direkte Umsetzung der Arbeit auf dem afrikanischen Kontinent auswirken werden.

Somit trägt diese Forschung auch zur Deutschen-Afrikapolitik (BMZ, 2014; Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen, 2010) bei. Diese wurde viel gelobt, aber auch kritisiert. Beispielsweise wegen ihrer Nicht-Einbindung lokaler Akteur*innen (Dreher & Langlotz, 2017, S. 13), der Idealisierung Deutschlands als Helfernation (Kappel, 2017, S. 2), des Bezugs zwischen postkolonialer Praktiken und der Entwicklungszusammenarbeit (Danielzik & Bendix, 2016, S. 283; Ziai, 2010, 2016) und wegen ihrer vorrangig wirtschaftlichen Eigeninteressen (Ziai, 2010, 2016). Weil auch der Fookus im ZFD auf dem afrikanischen Kontinent liegt, wurde dieser als Forschungsfeld gewählt. Im ZFD werden die meisten Fachkräfte in afrikanische Länder entsendet. 2019, im Jahr dieser Forschung, waren rund 110 der 330 ZFD-Fachkräfte in afrikanischen Ländern im Einsatz (ZFD, 2022). 2022 waren es 120 von 370 Fachkräften (ZFD, 2022). Im Vergleich dazu waren 2022in Lateinamerika und Asien je 70 Fachkräfte, im Nahen Osten 65 und in Europa 50 Fachkräfte im Einsatz (ZFD, 2022). Ein Blick auf die aktuellen Projekte auf dem afrikanischen Kontinent zeigt, dass 2022 29 Projekte in 17 afrikanischen Ländern stattfinden. Das Land mit den meisten Projekten ist Kenia mit fünf Projekten, gefolgt von der Demokratischen Republik Kongo, Burundi und Ruanda mit jeweils vier Projekten. Es folgen Große Seen (länderübergreifend – Ruanda, Burundi, der Demokratische Republik Kongo und Uganda) und Kamerun mit jeweils drei Projekten, Äthiopien, Burkina Faso, Liberia, Niger, Sahel (länderübergreifend), Sierra Leone und Uganda mit jeweils zwei Projekten und Guinea, Guinea-Bissau, Mali, Simbabwe, Sudan, Südsudan und die Zentralafrikanische Republik mit je einem Projekt (ZFD, n. d.). Zu Beginn meiner Recherchen im Jahre 2016 sahen die Verteilungszahlen noch anders aus. Es fanden damals 32 Projekte in 18 afrikanischen Ländern statt. Die Länder mit den meisten Projekten waren Kenia und Burundi mit jeweils fünf Projekten, die DR Kongo mit vier Projekten und Simbabwe, Ruanda, Liberia, Sierra Leone, Kamerun, Burkina Faso und Niger mit jeweils drei Projekten. Im Jahr 2022/ 2023 ist die Anzahl der Organisationen, die auf dem Kontinent arbeiten, von sechs auf sieben Organisationen angestiegen. Dabei führt die Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe (AGIAMONDO) acht Projekte durch, die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) sieben Projekte, der Weltfriedensdienst (WFD) fünf Projekte, Brot für die Welt drei Projekte, EIRENE Internationaler Christlicher Friedensdienst zwei Projekte, peace brigades international (pbi) und KURVE Wustrow jeweils ein Projekt (ZFD, n. d.). Hier gab es also eine leichte Verschiebung. 2016 gab es bei der GIZ zehn Projekte, bei der AGIAMONDO neun, im WFD fünf, bei Brot für die Welt vier, bei EIRENE drei Projekte und bei pbi ein Projekt. Die einzelnen in der Projektübersicht dargestellten Projekte haben in der Regel weitere Unterprojekte und arbeiten mit verschiedenen Organisationen zusammen. Daher sind die einzelnen Projekte inhaltlich mehr als übergeordnete Themen zu verstehen. Sie alle sind sowohl finanziell als auch personell unterschiedlich aufgestellt. Dennoch bieten sie einen guten Überblick über allgemeine Verteilungen.

Für die genaue Fallauswahl wurden alle Länder in Betracht gezogen, in denen mindestens drei Projekte stattfinden und mindestens zwei Akteur*innen aktiv sind. Diese Punkte sind besonders wichtig. Denn die verschiedenen ZFD-Organisationen haben jeweils ein anderes Verständnis von Partnerschaft und definieren ihre Rollen und Funktionen verschieden (Quack, 2009, S. 435). Die in Frage kommenden Länder sind Kenia, die Demokratische Republik Kongo, Burundi, Kamerun, Ruanda, Sierra Leone und Liberia. Es konnten für einen Forschungsaufenthalt die Länder ausgeschlossen werden, in denen aufgrund der Sicherheitslage (Demokratische Republik Kongo, Burundi, Kamerun, Süd Sudan, Zentralafrikanische Republik, Mali) oder wegen fehlender Sprachkenntnisse (Demokratische Republik Kongo, Burundi, Kamerun, Ruanda, Burkina Faso, Benin, Mali, Guinea-Bissau, Guinea) keine Forschung durchführbar war. So blieben Kenia, Uganda, Sierra Leone und Liberia übrig. Sierra Leone und Liberia sind Nachbarländer und arbeiten im ZFD in Projekten des Mano-Rivers zusammen. Deshalb wurden diese zwei für die Fallstudie ausgewählt. Als drittes Land wurde Kenia ausgesucht, da es sowohl 2016 als auch 2019 zu den Ländern mit den meisten Projekten zählte. Generell wurden in den drei einzelnen Ländern keine Projekte ausgeschlossen, sondern es wurde offen für alle Projekte ins Feld gegangen.

7.2 Fallbeschreibung Kenia

Kenia ist eines der Länder der Welt mit den größten Unterschieden in der Gesellschaft, was die Differenz zwischen Arm und Reich angeht, zwischen urbaner und ruraler Bevölkerung, zwischen Regionen, ethnischen Gruppen und zwischen den Geschlechtern (Owiti, 2014). Zurückzuführen ist dies zum Teil auf lange bestehende tatsächliche oder gefühlte Benachteiligungen und die Marginalisierung einiger Regionen des Landes. Diese Unterschiede führen zu Frustration, zu Konflikten über Ressourcen, zu Gewaltausbrüchen oder Streitigkeiten um Lebensraum. Im Folgenden werden einige der Themen beschrieben, die der ZFD behandelt und die für die Ungleichheiten in Kenia exemplarisch sind.

Ein Ereignis, bei dem sich sämtliche Ungleichheiten immer wieder manifestieren und auch zu Gewalt führen, sind Wahlen. Kenia galt lange Zeit als friedliche Vorzeigedemokratie und stabilisierende Kraft in der Region. Dies änderte sich durch die Präsidentschaftswahlen vom 27.12.2007, als es zu einer Explosion von Gewalt im Land kam. Lokale und internationale Wahlbeobachter*innen stellten fest, dass die Wahlen nicht frei und fair verlaufen waren und es zu Unregelmäßigkeiten bei den Stimmauszählungen gekommen war (Crisis Group, 2008, S. 6; Schulze, 2010, S. 80). Trotz dieser Unstimmigkeiten über die Wahlergebnisse wurde Staatspräsident Mwai Kibaki für seine zweite Amtszeit vereidigt. Daraufhin beschuldigte die Opposition um Raila Odinga die Regierung von Präsident Kibaki, die Wahl und ihr Ergebnis gefälscht zu haben. Dies führte im Land zu einem Ausbruch meist ethnisch begründeter GewaltFootnote 1. Am 23.01.2008 begann schließlich eine von der Afrikanischen Union (AU) initiierte Vermittlungsinitiative unter der Führung Kofi Annans. Sie unternahm den Versuch, den Konflikt zu entschärfen und eine Übergangslösung zur Stabilisierung des Landes zu finden (Kopsieker, 2008, S. 4). Nach 41 TagenFootnote 2 wurde sich auf eine Koalitionsregierung geeinigt, ein sogenanntes Power-shared-Agreement (Branch, 2011, S. 278). Dies geschah so schnell und so erfolgreich, da der internationale und lokale Druck sehr hoch waren. Alle Konfliktparteien waren an einer Lösung interessiert und die Konflikte wurden durch die AU und Mediator*innen aus afrikanischen Ländern gelöst (Juma, 2009, S. 407). Zudem sollte Kibaki durch eine politische Lösung Präsident bleiben, Odinga das neu geschaffene Amt eines einflussreichen Premierministers bekommen und die Kabinettsposten sollten entsprechend der Stärke der Parteien im Parlament verteilt werden. Tatsächlich aber fand die Machtübertragung vom Präsidenten auf den Premierminister nur teilweise beziehungsweise erst später statt.Footnote 3 Seitdem hält ganz Kenia und auch die internationale Gemeinschaft die Luft an, wenn in Kenia Wahlen auf nationaler Ebene stattfinden. Kenias politisches System ist auf ethnisch-regionale Allianzen aufgebaut und auf eine gemeinsame Ideologie, die in diesen herrscht. Diese ethnisch-regionale Patronage ist mit der Kontrolle von Institutionen, mit Macht und Entscheidungsgewalt verbunden (Levitsky & Way, 2012). Sowohl bei den Wahlen 2017 als auch 2022 kam es zu Konflikten im Land. Im Vorfeld der Wahlen 2017 wurde von exzessiver Polizeigewalt gegenüber Demonstrant*innen und gegen Oppositionsanhänger*innen berichtet (Human Rights Watch, 2017). Insbesondere Medien und soziale Netzwerke wurden als Plattform für ethnopolitische Stimmungsmache verwendet (Tully, 2014, S. 47). Jedoch konnten in beiden Wahlen (2017 und 2022) die Spannungen und Konflikte sowohl durch politische Bündnisse als auch durch zivilgesellschaftliche Arbeit und eine neue Verfassung gemildert werden (International Institute for Strategic Studies [HORN], 2018; Schwarz & Ruppel, 2022).

Unruhen bei Wahlen bringen immer wieder tiefer reichende Spannungen zum Vorschein: so zum Beispiel die ethnische Disparität im Land (Harneit-Sievers, 2008; Oucho, 2002, S. xv), das Problem von Landverteilung und die Ungleichheit im Land. Entscheidend für Landkonflikte sind zunächst die Verknappung des nutzbaren Landes an sich. Etwa durch Dürre, Wohnungsbau, Ressourcenfunde und deren Abbau sowie durch den Ausbau von Naturschutzgebieten, durch Infrastrukturprojekte und die Zunahme von Großfarmen (Galvin, 2009; Greiner et al., 2011, S. 79). Zwar gibt es bei den Landkonflikten in Kenia verschiedene Faktoren, jedoch handelt es sich in der Regel um interne Konflikte, an denen nicht gezwungenermaßen externe Akteur*innen beteiligt sind. Besonders die Konflikte um Land werden durch zunehmende Ressourcenknappheit infolge von Dürren und Umweltproblemen noch verschärft. Auch Konflikte zwischen verschiedenen Pastoralist*innengruppierungen nehmen zu. Die Konflikte gehen zudem oft mit dem gewaltsamen Diebstahl von Vieh einher. Dies führt wiederum zu Vergeltungsschlägen in Form von Diebstahl oder Gewalt an Personen (Mkutu, 2019, S. 5). Zusätzlich birgt der Fakt Konfliktpotenzial, dass einige Pastoralist*innen – gerade aus den Grenzregionen zu Kenias Nachbarländern – nicht immer Klarheit über ihr Herkunftsland haben. So kommt es zu konfliktreichen Beziehungen mit den jeweiligen Regierungen, wenn zum Beispiel Pässe oder Dokumente beantragt werden (Frank, 2002, S. 72). Diese Unklarheiten sind historisch gewachsen und gehen vor allem von staatlichen Gesetzen aus, weil die Systeme aus der Kolonialzeit entlang ethno-politischer Lager übernommen wurden (Boone, 2012, S. 77). Die neue Verfassung aus dem Jahr 2010 versucht, diese Probleme aufzulösen. Infolge der Verfassungsänderung wurden der Land Act (National Council for Law Reporting, 2012a), der National Land Commission Act (National Council for Law Reporting, 2016), der National Land Community Act (Government of Kenya, 2016) und der Land Registration Act (National Council for Law Reporting, 2012b) verabschiedet. Sie sollen für Landumverteilung, Rückführungen und klarere und faire Strukturen sorgen (Cernicky, 2017, S. 6). Jedoch verläuft die Umsetzung dieser Gesetze sehr schleppend. Wieder einmal profitieren politische Eliten, bereichern sich Politiker*innen (Cernicky, 2017, S. 1) und die Gesetze anzuwenden ist nicht einfach. Eine wichtige Rolle spielt zudem die zunehmende illegale, auch politische Landaneignung (Günther Schlee, 2011).

Religiöse Konflikte und religiöse Radikalisierung stellen ebenfalls ein zunehmendes Problem dar (Rink & Sharma, 2018, S. 1230). In Kenia ist die Mehrheit der Bevölkerung christlich (85,5 %), gefolgt von Menschen islamischen Glaubens (11 %) (Kenya National Bureu of Statistics, 2019, S. 12), wobei dies je nach Region unterschiedlich ist. Religiöse Konflikte müssen übrigens nicht immer die Religion an sich zum Streitpunkt haben. Auch andere Konflikte wie zum Beispiel der Zugang zu Bildung oder zu Ressourcen können sich über die Religion äußern (Moywaywa, 2018, S. 131). Als Konflikttreiber können dabei Ressourcenfragen und lokale, politische Praktiken wirken, die als unfair bewertet werden (Moywaywa, 2018, 131 ff.). An der Küste gibt es eine lange Geschichte der ethnisch-regionalen Identitäten und der sozio-ökonomischen Marginalisierung der Region. Dies hat über viele Jahre hinweg zu einer Benachteiligung der Region geführt (Khisa Caleb & Oesterdekhoff, 2012, S. 10). Aktuell kommt es zu Nachbarschaftskonflikten, wenn sich zum Beispiel Personen, in der Region niederlassen oder Land kaufen, die nicht aus der Küstenregion stammen (Khisa Caleb & Oesterdekhoff, 2012, S. 25).

Ein großer Konfliktfaktor sind außerdem extremistisch motivierte Taten und die gestiegenen Rekrutierungsquoten der Al-Shabaab, die aktivste terroristische Gruppe im Land (Counter Extremism Project, o. J.). Extremistisch motivierte Taten sind vor allem in der nordöstlichen Region des Landes, an der Grenze zu Somalia, in Nairobi und an der Küste im Südosten des Landes ein großes Problem. Dabei haben die Fragilität und Konflikte in Somalia einen Spillover-Effekt in Kenia verursacht. Sie haben sich negativ auf die Lage in bestimmten Regionen ausgewirkt (Lind et al., 2017, S. 119) und zu verschiedenen terroristischen Anschlägen geführt (Rink & Sharma, 2018, S. 1231). Oftmals sind es junge Menschen, die sich den für die Anschläge verantwortlichen Gruppierungen anschließen. Häufig genannte Motivationsgründe, sich terroristischen oder extremistischen Gruppierungen anzuschließen, sind intergenerationale Auseinandersetzungen, religiöser Extremismus, bestehende Ungleichheiten, die hohe Arbeitslosigkeit und eine damit einhergehende kriminelle Aktivität perspektivloser junger Menschen (Rift Valley Forum, 2017, 2 ff.). Dies zeigt sich unter anderem auch an der Ausbreitung krimineller Gangs in den Großstädten (Elfversson & Höglund, 2019, S. 356). Besonders junge Menschen, die den Großteil der Bevölkerung ausmachen, zählen dazu. Gerade die junge Generation in Kenia ist politisch interessiert und oft auch politisch aktiv. Doch sie lässt sich auch schnell politisch mobilisieren, was sowohl positive als auch negative Effekte haben kann (Elfversson & Höglund, 2019, S. 355). Gleichzeitig werden die jungen Menschen marginalisiert und in der Öffentlichkeit oft als gewaltbereite Risikogruppe dargestellt (Khisa Caleb & Oesterdekhoff, 2012, S. 19).

Besonders durch ethnische Konflikte und Ressourcenkonflikte haben viele Menschen in Kenia ihre Heimat verloren oder verlassen und sind zu IDPs (Internally Displaced People) geworden (UNOCHA, 2012). Dies waren alleine 250.000 nach den Wahlen 2007/2008 (UNHCR, 2008). Zudem haben in Kenia Hunderttausende Menschen aus anderen Ländern Zuflucht gesucht. Kenia beherbergt zwei der größten Flüchtlingslager der Welt, Dadaab und Bidi Bidi (UNHCR Kenya o. J.). Viele der Aufnahmegemeinden in Kenia sind überlastet und die Menschen, die dort leben, fühlen sich in ihrer Existenz bedroht. Hier entstehen schnell Konflikte, welche oft gewaltsam ausgetragen werden (Klopp et al., 2010, S. 11). Es gab in Kenia lange Zeit keine klare Gesetzgrundlage für IDPs. Erst 2012 wurde durch den sogenannten IDP Act (National Council for Law Reporting, 2012c) ein Rechtsrahmen geschaffen. Er ist jedoch bei den betroffenen Personen oft kaum bekannt. Daher liefert er ein gutes Beispiel dafür, wie schwer es sein kann, Gesetze von nationaler Ebene auf lokaler Ebene umzusetzen (Klopp et al., 2010, S. 2). Dennoch sind viele IDPs in Kenia – gerade Menschen, die 2007/2008 geflüchtet sind und nun wieder in ihre Heimatregion zurückkehren möchten – von vielen staatlichen Hilfsangeboten ausgeschlossen, da sie nie als Geflüchtete oder IDPs anerkannt wurden und sich dies durch die neue Gesetzeslage auch nicht verändert hat (Klopp et al., 2010, S. 14). So bleibt eine große Anzahl von traumatisierten und vertriebenen Menschen zurück, die systematisch ausgeschlossen werden (Mwiandi, 2008). Dies kann zu wieder aufflammenden Konflikten führen (Klopp et al., 2010, S. 3). Selbst da, wo eine Rückkehr gelingt, ist das Leben für ehemalige IDPs nicht einfach. Oft sind sie wirtschaftlich benachteiligt (Klopp et al., 2010, S. 3), haben traumatische Erfahrungen oft nicht richtig verarbeitet, was einen Nährboden für neue Konflikte oder das Wiederaufflammen alter Konflikte schafft (Humanitarian Policy Group [HPG], 2008, S. 1).

Entlang dieser Konfliktlinien arbeitet der ZFD in Kenia. In der Arbeit und in den Projekten sind vor allem folgende Themen wichtig: Vergangenheitsaufarbeitung, (alternative) Rechtsprechung, Aufklärung über Rechte von IDPs, Mediation, Ressourcenverteilung und -management, Identität, konstruktive Konflikttransformation, Vertrauensbildung, politischer, ethnischer und (inter-)religiöser Dialog, konfliktsensibler Journalismus, Aufbau lokaler Netzwerke, friedliches Zusammenleben, Methodenentwicklung in Konfliktbearbeitung, Capacity Development, Schutz von Menschenrechtsaktivist*innen und der Schutz von Menschenrechten an sich, Adovacy-Arbeit, psychosoziale Unterstützung, Organisationsentwicklung und Kapazitätsaufbau in zivilgesellschaftlichen Organisationen.

7.2.1 Die Lage der Zivilgesellschaft

Der ZFD in Kenia arbeitet mit verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen. Deswegen wird an dieser Stelle auf die aktuelle Situation der ZivilgesellschaftFootnote 4 in Kenia eingegangen. Dabei liegt der Fokus auf den Partnerorganisationen des ZFD, welche in der Regel die institutionalisierte Zivilgesellschaft in Form von CSOs darstellen.

Zunächst wird ein Blick auf die Anzahl der in Kenia aktiven CSOs geworfen. Dazu ist der Bericht hilfreich, welcher vom NGO-BoardFootnote 5 in Kenia herausgegeben wurde. Die Zahl der CSOs und NGOs (die in Statistiken oftmals synonym verwendet werden), die sich registrieren lassen, hat seit 2011 erheblich zugenommen (NGO Board Kenya 2019, S. 15). In den Jahren 2018/2019 wurden insgesamt 98 NGOs registriert, womit die Anzahl der NGOs bis zum 30. Juni 2019 auf 11.262 anstieg (NGO Board Kenya, 2019, S. 15). Die meisten der neu registrierten Organisationen waren in den Bereichen Bildung, Nothilfe und Gesundheit tätig (NGO Board Kenya, 2019, S. 15). CSOs in Kenia müssen sich registrieren lassen, und zwar nach dem NGO-Coordination-Act, dem Companies Act, dem Societies Act, nach Kapitel 164 der kenianischen Verfassung (USAID, 2019, S. 104). Die meisten CSOs lassen sich nach dem NGO-Coordination–Act registrieren, da die anderen Möglichkeiten oft erschwert werden oder nicht bekannt sind (USAID, 2019, S. 104). Zwar sind die Voraussetzungen für die Registrierung als NGO klar geregelt, jedoch kommt es immer wieder zu Vorfällen, bei denen zusätzliche Anforderungen erhoben werden. Das kann dazu führen, dass der Registrierungsprozess mehr als zwei Jahre dauert. Einige Gruppen entscheiden sich für eine Registrierung als sogenannte „residential associations“. Dieses Registrierungsverfahren ist einfacher, auch wenn die Gruppe dadurch möglicherweise nur in dem Bezirk arbeiten kann, in dem sie registriert ist (Allison, 2016; USAID, 2019, S. 104).

88 Prozent der Mittel, die CSOs zur Verfügung stehen, stammen aus Quellen außerhalb Kenias (NGO Board Kenya, 2019, S. 15). Dies schafft eine Abhängigkeit von externen Geber*innen, bedroht die Nachhaltigkeit der Arbeit (NGO Board Kenya, 2019, S. 16) und gibt dem Globalen Norden große Einflussmöglichkeiten auf die Politik im Land. Der Großteil der Projektausgaben wurde in den Bereichen Gesundheit, HIV/AIDS, Bildung und Nothilfe/Katastrophenmanagement getätigt (NGO Board Kenya, 2019, S. 15). Das Engagement der CSOs in den Bereichen der Friedensarbeit ist besonders vor und während wichtiger Wahlen sehr hoch. Dies hat bisher aber kein nachhaltiges Engagement von zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Friedensförderung ermöglicht. Denn meist sind die Organisationen in den Perioden zwischen den Wahlen auf sich alleine gestellt (Ernstorfer, 2018, S. 4). So führt die Arbeit der sogenannten „peacepreneurs“ oft zu einer größeren Fragmentierung der Zivilgesellschaft (Njogu, 2018, S. 15). Auf subnationaler Ebene konzentrierten sich die CSOs auf soziale Fragen wie Bildung und Gesundheitsfürsorge. Sie arbeiteten mit lokalen Regierungen zusammen, um die Erbringung von Dienstleistungen durch Bewusstseinsbildung und Kapazitätsaufbau zu verbessern (Orvis, 2003, S. 247). Hier wird deutlich, dass diese Arbeit in Bezirken einfacher ist, in denen Regierungsbeamt*innen die Rolle der CSOs schätzen (USAID, 2019, S. 107). Viele CSOs arbeiten mit Gemeinden zusammen, um Mechanismen der sozialen Rechenschaftspflicht zu entwickeln und um benachteiligte Gegenden zu fördern (USAID, 2019, S. 108). Die meisten Organisationen führten Projekte in Gebieten mit guter Infrastruktur durch. Dazu zählen Nairobi, Kisumu, Nakuru und andere urbanen Zentren (NGO Board Kenya, 2019, S. 15). Die gesammelten Daten zeigen, dass der CSO-Sektor bedeutende Beiträge bei der Ergänzung der Entwicklungsmaßnahmen der Regierung leistet. Gleiches gilt für die Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) und der Kenia Vision 2030 (NGO Board Kenya, 2019, S. 15). Darüber hinaus bieten CSOs und NGOs vielen Kenianer*innen eine bezahlte Beschäftigungsmöglichkeit. 2019 waren 39.109 Kenianer*innen bei einer NGO angestellt. Davon waren 32.868 in Kenia und 6.241 in anderen Ländern stationiert. Zusätzlich engagierten die CSOs und NGOs insgesamt 37.401 kenianische Freiwillige und Praktikant*innen (NGO Board Kenya, 2019, S. 16). Die meisten CSOs in Kenia sind auf die Finanzierung von Projekten angewiesen. Das kann es für sie erschweren, festes Personal anzustellen. Viele Mitarbeiter*innen mit Fachkenntnissen in Bereichen wie der dezentralen Regierungsführung wurden von internationalen CSOs und Bezirksregierungen eingestellt. Dies führte zu einer Abwanderung von Fachkräften aus diesem Sektor (USAID, 2019, S. 106). In der Regel haben 50 % der Mitarbeitenden in CSOs zumindest einen Bachelor-Abschluss (Osito Odiyo, 2013). Daraus ist zu schließen, dass auch viele Personen mit Praxiserfahrung in CSOs arbeiten. Hinsichtlich der Organisation von CSOs stellte der Bericht des NGO-Board fest, dass die meisten keine starken Verwaltungsstrukturen haben und oft nur eine mangelnde Rechenschaftspflicht (NGO Board Kenya, 2019, S. 16). In der Folge haben Koalitionen von CSOs oft Schwierigkeiten bei der Umsetzung. Es ist zudem ein Rückgang von Koalitionen und Netzwerken zu verzeichnen, der auf unzureichende Finanzierung und Wettbewerb zwischen den CSOs zurückzuführen ist (USAID, 2019, S. 109). Jedoch lassen sich in dem Bereich der CSOs-Friedensarbeit verschiedene Multi-Stakeholder-Bemühungen und Netzwerke zur Friedensförderung finden. Sie werden von unterschiedlichen Gruppen (Regierung, Zivilgesellschaft, Privatsektor, interreligiöse Organisationen) koordiniert (Ernstorfer, 2018, S. 4).

Trotz dieser großen CSOs-Landschaft in Kenia und trotz der vielen internationalen Kooperationen und Geber*innen stehen die Zivilgesellschaft und CSOs vor Herausforderungen. Die kenianische CSO-Szene gilt als eine der vokalsten, durchsetzungsfähigsten und kreativsten auf dem afrikanischen Kontinent. Lange Zeit hatte sie Vorbildcharakter (Allison, 2016). Nach den Wahlen 2013 änderte sich die bis dahin sehr aufstrebende und positive Situation von CSOs in Kenia. Im Vergleich zu früheren Jahren hat die Zivilgesellschaft Kenias in den letzten Jahren von ihrer themen- und diskursbestimmenden Funktion und generell von ihrer Handlungsfreiheit eingebüßt. Sie erlebt seit etwa zehn Jahren die stärksten Restriktionen, die es jemals in dem Land gab (Amnesty International, 2016, S. 217; Njogu, 2018, S. 15; Smidt, 2018, S. 6). Bereits im Wahlkampf 2013 und 2017 machte Uhuru Kenyatta das Versprechen, mehr Regulierung im Bereich der CSOs vorzunehmen, um eine klarere Trennung zu Regierungsthemen vorzunehmen. Noch im Wahljahr wurde dieses Versprechen in die Tat umgesetzt. Bei CSOs besteht ein breiter Konsens darüber, dass dieser Schritt der neuen Regierung bestimmte Organisationen in ihrer Handlungsfähigkeit eindämmen sollte, weil sie als bedrohlich empfunden wurden. Dies traf besonders CSOs, die weitgehend aus dem Ausland finanziert werden oder im Bereich der Menschenrechte und Regierungsführung aktiv waren (Baldus et al., 2019, S. 9). Auch wurde sich bisher von jeder Regierung dagegen ausgesprochen, den schon seit 2013 angestoßenen und verabschiedeten Public Benefits Organizations Act (PBO Act) zu implementieren, welcher von CSOs unterstützt wird (Niyiragira, 2015, S. 2). Dieser sollte die rechtlichen Rahmenbedingungen für CSOs verbessern und ihnen größere Handlungsfreiheit bieten. Stattdessen aber fügte die neue Regierung dem PBO Act eine Reihe von Ergänzungen hinzu, die vor allem die Finanzierung durch internationale CSOs erheblich einschränken sollten (Baldus et al., 2019, S. 10; Niyiragira, 2015, S. 2). Im Zuge dessen wurden von der kenianischen Regierung 540 CSOs verboten. Sie galten nicht mehr als verfassungskonform und es wurden ihnen zum Teil Misswirtschaft oder Verbindungen zu terroristischen Gruppen vorgeworfen (Niyiragira, 2015, S. 4). Wegen dieser Verbote, der Angst vor weiteren Verboten und da ein Großteil der kenianischen CSOs von externen Geldern abhängig ist, hat sich die Zivilgesellschaft organisiert und Strategien entwickelt, gegen diese Entscheidungen der Regierung vorzugehen (Baldus et al., 2019, S. 11). Auch die internationalen Organisationen äußerten sich sehr kritisch gegenüber den Plänen der kenianischen Regierung. Sie machten deutlich, dass die Regierung damit gegen bestimmte Abkommen verstoßen würde. Sie betonten, dass die Umsetzung Gefahren für die eigene Bevölkerung bergen würde, weil zum Beispiel Bildung und Gesundheit nicht mehr in allen Regionen in Kenia gewährleistet werden könnten (United Nations Office of the High Commissioner for Human Rights [OHCHR], 2013). Die zivilgesellschaftliche Geber*innengemeinschaft in Kenia blieb verhältnismäßig ruhig und zurückhaltend (Baldus et al., 2019, S. 12). Letztendlich konnte vor allem durch die starken lokalen CSOs gegen die geplanten Ergänzungen des PBO Acts gemeinsam vorgegangen werden (Baldus et al., 2019, S. 13).

Insgesamt kommt es in Kenia zu einem Shrinking SpaceFootnote 6. So gibt es etwa Zugangsbeschränkungen für CSOs. Sie zeigen sich bei unbegründeten oder nur unzureichend begründeten Ablehnungen ihrer Registrierung, oder darin, dass es keine festen Fristen für die obligatorische Überprüfung der Registrierung gibt. Auch für die Aktivitäten von CSOs gibt es Hindernisse. Sie müssen sich mit dem NGO Coordination Board über ihre Aktivitäten abstimmen, bevor sie ihre Arbeit aufnehmen können. Auch müssen sie sich mit dem Koordinationsausschuss über eine Reihe von Leitfragen einigen, bevor sie ihre Aktivitäten aufnehmen. Dabei hat der oder die Registrator*in einen großen Ermessensspielraum für die Untersuchung, Verhaftung und Durchsuchung einer CSO und von deren Mitarbeitenden. CSOs in Kenia sahen sich in den letzten zehn Jahren vor verschiedene Hindernisse gestellt. Dazu zählten wiederholte Versuche der Regierung, Hunderte von Organisationen wegen angeblicher finanzieller Verstöße nicht mehr zu genehmigen (Freedom House, 2020a). Im Freedom House Index wird Kenia als „teilweise frei“ mit 48 von 100 Punkten eingestuft (Freedom House, 2020a). Der Freedom House Index berichtet: „The country’s media and civil society sectors are vibrant, even as journalists and human rights defenders remain vulnerable to restrictive laws and intimidation“ (Freedom House, 2020a). Auch im Bereich der Versammlungsfreiheit, die für CSOs sehr wichtig ist, gibt es in Kenia Einschränkungen. In dieser Hinsicht wird das Land mit zwei von vier Punkten auf der Skala eingestuft. Die Verfassung garantiert zwar die Versammlungsfreiheit, welche durch regelmäßie Verbote bei der Anmeldung jedoch oft umgangen wird. In der Praxis hat die Polizei regelmäßig Versammlungen aus Sicherheits- oder anderen Gründen verboten. Sie hat Versammlungen gewaltsam aufgelöst, die sie nicht ausdrücklich verboten hatte. Auch bei genehmigten Versammlungen kommt es immer wieder zu Polizeigewalt und Auseinandersetzungen (Freedom House, 2020a; Smidt, 2018, S. 6). Insbesondere kommt es zu Ausschreitungen, wenn es sich um Proteste oder Kundgebungen handelt, die sich kritisch gegenüber der Regierung oder Wahlen äußern (Abdi, 2017). Abschließend lässt sich feststellen: „Civil society in Kenya is on its knees, but it is not altogether dead“ (Smidt, 2018, S. 6).

In dieser diversen und herausfordernden zivilgesellschaftlichen Landschaft Kenias arbeitet der ZFD an den oben beschriebenen Konfliktfeldern. Diese Arbeit erfolgt jeweils in verschiedenen Projekten, die wiederum in viele Einzelprojekte aufgeteilt sind. Dabei sind in Kenia sowohl AGIAMONDO, die GIZ, pbi und der WFD tätig. Jede Organisation arbeitet mit einer Vielzahl von verschiedenen Partner*innen zusammen. Unter den größten in Kenia registrierten CSOs sind keine Partner*innen des ZFD aufgeführt (NGO Board Kenya, 2019, 27 f.). Die lokalen Partner*innen in Kenia sind divers. Dabei kann es auch immer wieder zu Wechseln zwischen den Partner*innen kommen, oder dass einige ausscheiden und neue dazukommen. Generell ist anzumerken, dass das BMZ, das den ZFD finanziert, Kenia in seiner Neuausrichtung der Agenda 2030 weiterhin als bilateralen Partner aufführt, mit dem langfristige gemeinsame Entwicklungsziele verfolgt werden (BMZ, 2020, S. 7).

7.3 Fallbeschreibung Liberia

Noch heute sind die Folgen der Bürgerkriege in Liberia zu spüren und tragen in hohem Maße zu den aktuellen Konfliktlinien bei. Die in Liberia schon vor den Bürgerkriegen herrschende politische und wirtschaftliche Unsicherheit wurde durch den Zusammenbruch des sozialen Gefüges und der politischen Strukturen bei einem gleichzeitigen Anstieg von bewaffneten Gruppierungen verschärft. Deswegen ist es wichtig, zunächst die Bürgerkriege etwas zu umreißen, bevor auf die aktuellen Konfliktlinien eingegangen wird.

Das heutige Liberia wurde 1821 als eine neue Heimat ohne Sklaverei für befreite Sklav*innen aus Afrika gegründet. Lange Zeit wurde es von Amerikanisch-Liberianer*innen im Stil einer kolonialen/imperialen Regierung geführt (Richards, 2005, S. 573). Dieser Stil wird auch als „Schwarzer Imperialismus“ (Gershoni, 1985) bezeichnet. Diese Vorherrschaft endete 1980, als Samuel K. Doe einen Staatsstreich verübte (Pham, 2004, S. 81). Nachdem Doe zunächst Unterstützung in der Bevölkerung gewann, kam es unter ihm erneut zu Unterdrückung, und die Marginalisierungen im Land wurden fortgesetzt (Bekoe, 2008, S. 95; Farrall, 2013, S. 120). Der erste Bürgerkrieg in Liberia begann am Heiligabend 1989, als die Rebellengruppe National Patriotic Front of Liberia (NPFL) unter Führung von Charles Taylor eine Rebellion gegen die Regierung auslöste (Ellis, 1999, S. 74). Diese Phase des Krieges war gekennzeichnet von Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung, Gewalt entlang ethnischer Linien und vom Einsatz von Kindersoldat*innen (Carter Center, 1997). Sie mündete in einen kompletten Staatskollaps. Im Juli 1990 akzeptierte Doe ein von der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (Economic Community of West African States/ECOWAS) vermitteltes Friedensabkommen. Es sah einen Waffenstillstand, die Entsendung einer Friedenstruppe (die ECOWAS-Überwachungsgruppe in Liberia, Economic Community of West African States Monitoring Group, ECOMOG) sowie die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit vor (Mgbeoji, 2003, S. 22). Am 11. September 1990 wurde Doe von einem von Taylors engen Mitarbeitern der NPFL ermordet. Im Laufe der nächsten Jahre dauerte der Konflikt zwischen verschiedenen Gruppierungen im Land an. Taylor konnte die militärische Kontrolle über den größten Teil Liberias aufrechterhalten. 1993 etablierte die UN eine Observer-Mission (United Nations, 1993), um ECOWAS zu unterstützen und Verhandlungen voranzutreiben. Diese führten zur Gründung einer Übergangsregierung im Jahr 1994. Der erste liberianische Bürgerkrieg endete offiziell 1996 mit dem Abkommen von Abuja-II und der Wahl von Charles Taylor zum Präsidenten im Jahr 1997 (Bekoe, 2008, S. 95). Der Frieden in Liberia währte jedoch nicht lange, da noch verbliebene Rebell*innen- und Milizengruppen einen prekären Sicherheitskontext schufen (Dowd & Clionadh, 2012, S. 13). Dieser mündete 1999 in den zweiten Bürgerkrieg, als die neue Rebellengruppe Liberians United for Reconciliation and Democracy (LURD) Angriffe im Nordwesten Liberias startete. LURD war besonders in der Grenzregion zu Sierra Leone aktiv. So sollte verhindert werden, dass die Rebellengruppe Revolutionary United Front (RUF) Taylor unterstützend zu Seite stehen konnte (International Crisis Group, 2003). Im Jahr 2002 verhängte Taylor den Ausnahmezustand, als sich die LURD-Kämpfer*innen Monrovia näherten und im Südosten eine zweite Rebellengruppe entstand, die Movement for Democracy in Liberia (MODEL). Dies führte zu einer weiteren Eskalation. Anfang bis Mitte 2003 hatten beide Rebellengruppen die Kontrolle über weite Teile Liberias erlangt (International Crisis Group, 2003, S. 5). Unterdessen fanden in Accra (Ghana) Friedensgespräche statt, die von der ECOWAS vorangetrieben wurden. Etwa zeitgleich erfolgte die Anklageerhebung gegen Charles Taylor durch den Sondergerichtshof für Sierra Leone. Dadurch wurde er sowohl im Inland als auch international delegitimiert. Er trat daraufhin vom Präsidentenamt zurück. Am 18. August 2003 unterzeichneten die drei wichtigsten Parteien des liberianischen Bürgerkriegs (die liberianische Regierung, LURD und MODEL) das umfassende Friedensabkommen von Accra, Accra Comprehensive Peace Agreement (CPA) (United Nations, 2003). Das Abkommen beinhaltete die Entsendung einer UN-Mission nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen zur Überwachung des Waffenstillstands und zur Unterstützung der Umsetzung des Friedensprozesses. Somit entstand die Mission der Vereinten Nationen in Liberia (United Nations Mission in Liberia, UNMIL) (United Nations, 2003). Der Friedensprozess fand 2018 ein offizielles Ende, als die UNMIL ihren Rückzug aus Liberia abschloss. Doch noch heute sind die VN in Liberia aktiv und arbeiten im Bereich des Peacebuilding (Forti & Lesley, 2018).

Viele der aktuellen Konfliktlinien sind auf eine allgemeine fragile Ausgangslage zurückzuführen. Ein latenter Konflikttreiber ist die Gewalterfahrung während des Krieges, die wiederum eine starke Gewaltbereitschaft in Liberia nach sich gezogen hat. Die Gesellschaft ist von einem hohen Grad an Traumatisierung geprägt und davon, dass kein Transitional Justice oder Heilungsprozess stattgefunden haben (Abramowitz, 2010; Catholic Relief Services, 2016, S. 9). Nur sehr wenige Liberianer*innen hatten oder haben Zugang zu psychosozialen Diensten und Therapien (Jaye, 2009, S. 16). Die Empfehlungen der Wahrheits- und Versöhnungskommission, wie zum Beispiel die Einrichtung eines liberianischen Kriegsverbrechertribunals, die Verfolgung von Kriegsverbrecher*innen und deren Ausschluss von offiziellen Funktionen, sind bisher nicht umgesetzt worden (International Crisis Group, 2011, S. 11). Strafrechtliche Mechanismen zur Verfolgung von Kriegsverbrechen in Liberia sind nach wie vor mangelhaft. Einschlägige Politiken wie die Agenda für Transformation, bestimmte Verfassungsreformen, die Landkommission (Beevers, 2016, S. 323; United Nations Office for Project Services [UNOPS], 2010, S. 23)oder die nationalen Versöhnungsprozesse müssen noch umgesetzt werden (Sireleaf, 2009). Hier sind besonders in den letzten Jahren die Rufe der Bevölkerung nach Umsetzung immer lauter geworden (Front Page Africa, 2019a). Sie richten sich aufgrund des mangelhaften Rechtssystems Liberias (Yelloway, 2020) an die internationale Gemeinschaft (Front Page Africa, 2019b). Das mangelhafte Rechtssystem ist in Liberia jedoch nicht nur in Bezug auf Transitional Justice ein Problem. Generell ist der Zugang zur Justiz für die Mehrheit der Bevölkerung nicht gewährleistet und das Justizsystem ist schwach (Mulbah & Dennis, 2017, S. 19). Rituelle Tötungen (Sendolo, 2019) und Selbstjustiz stehen in Liberia an der Tagesordnung (als Mob-Violence bekannt) und nehmen immer mehr zu (CountryWatch, 2019, S. 86; Divon & Bøas, 2016, S. 1386; UNMIL o. J.). Dies ist in Post-Konfliktländern mit einem instabilen Rechtssystem ein verbreitetes Phänomen (Huyse, 1995). In Liberia herrscht ein massives Gewaltproblem. Viele Probleme sind darauf zurückzuführen, dass es in Liberia zwar einen Prozess des Disarmament, der Demobilization, Reintegration and Rehabilitation (DDRR) gab, der vielfach als erfolgreich bewertet wird (Pugel, 2007, S. 6). Doch war er nicht in allen Bereichen gleichermaßen erfolgreich (United Nations, 2007). So wird davon ausgegangen, dass sich noch immer Waffen aus dem Bürgerkrieg im Land befinden, Gewalt auf den DDRR-Prozess zurückzuführen ist (Okoli et al., 2019, S. 60) und einige der ehemaligen Kämpfer*innen bis heute nicht rehabilitiert sind.

Zu den größten Konfliktfaktoren in Liberia zählen die wirtschaftliche Situation, die stetig wachsende Armut in der Bevölkerung und das zunehmende gesellschaftliche Ungleichgewicht (UNDP, 2019, S. 18). Diese Unterschiede manifestieren sich insbesondere in Konflikten um Landraub. Sie haben eine hohe Brisanz, weil einerseits die grundlegenden Sozial- und Umweltstandards von Investor*innen nicht eingehalten werden und andererseits durch das sogenannte Landgrabbing, das als einer der größten Konfliktfaktoren bewertet wird (Hahn, 2013; Mulbah & Dennis, 2017, S. 16; UNOPS, 2010, S. 21). Oft sind dies Handlungen und Situationen, von denen die liberianische Elite profitiert. In der Folge kommt es zu einem regelrechten Elite-Capture (Fortune & Bloh, 2012, S. 26; UNOPS, 2010, S. 21). Die liberianische Wirtschaft ist in hohem Maße vom Weltmarkt für Rohstoffe abhängig (Beevers, 2016, S. 325). Schon während der Kriegsjahre und unter Taylor zeigte sich, dass Liberia ein Spielfeld für internationale Investor*innen war. Sie waren auch durch Krieg und Korruption nicht abzuschrecken (Beevers, 2019, S. 75). Diese Abhängigkeit vom Weltmarkt besteht bis heute. Gerade der Handel mit Holz und Kautschuk, Eisenerz und Diamanten dominiert die Wirtschaft (Cheng, 2018). Transnationale Unternehmen, aber auch externe Investor*innen haben weite Landstriche aufgekauft. Sie üben durch ihre dominante Stellung im Eisenerz- und Palmölgeschäft des Landes einen erheblichen Einfluss aus (Christensen et al., 2020; Economywatch, 2012). Der Bürgerkrieg und in jüngster Zeit die unregulierte Landausbeutung durch transnationale Konzerne haben enorme ökologische Schäden verursacht und sind eine große Herausforderung. Zudem gefährden sie natürliche Lebensräume und betroffene Gemeinschaften, was zu lokalen Konflikten, unklaren Landverteilungsfragen und Ressourcenproblemen führt (Beevers, 2016, S. 323; Mulbah & Dennis, 2017, S. 18). Zu erwähnen sind besonders die Konflikte zwischen Investor*innen (oftmals transnationale Konzerne) und lokalen Arbeitskräften sowie mit den betroffenen Gemeinden. Aufgrund von Verstößen gegen Umwelt- und Arbeitsrecht (United Nations, 2020, S. 3) und fehlenden Entschädigungen auf Plantagen, in Bergwerken und Konzessionsgebieten kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen (Green Advocates International, 2017; Ponsford, 2016). Fälle von Landnahme durch Investor*innen, die von Behörden unterstützt werden, und die anschließende Umsiedlung der betroffenen Gemeinden verschärfen diese Konflikte noch (Bunzel & Topoar, 2013, S. 16; Mulbah & Dennis, 2017, S. 18).

Mit besonderem Blick auf die Einhaltung der Menschenrechte in Liberia ist die Situation von Frauen* und Kindern zu nennen. Während des Krieges wurde eine Vielzahl von Frauen* und Mädchen* missbraucht. Vergewaltigung wurde als Kriegsmittel eingesetzt (Cummings, 2011, S. 233) und viele Opfer leiden bis heute unter den Folgen (Inclusive Peace and Transiation Initative, 2018, S. 2). Dennoch sind die Frauen* Liberias mit ihrem zivilgesellschaftlichen Engagement im Krieg, das im Friedensprozess eine entscheidende Rolle gespielt hat, sehr relevante Akteur*innen (Alaga, 2011, 10 ff.). Frauen*, Kinder und Jugendliche sind nach wie vor die am stärksten benachteiligten Gruppen in der Gesellschaft. Sie haben kaum Zugang zu sozialen Diensten und wenig Möglichkeiten der Selbstbestimmung (Theobald, 2012, S. 85). Verbrechen gegen Frauen* und Mädchen* werden in den meisten Fällen nicht strafrechtlich verfolgt. Oder sie werden in einer Vereinbarung zwischen der Familie und den Täter*innen auf kommunaler Ebene gelöst. Vergewaltigung wurde erst 2017 zu einer strafbaren Handlung erklärt (Cummings, 2011, S. 242; Front Page Africa, 2017). Das Empowerment von Frauen* und Mädchen* ist ein erklärtes Ziel der Regierung. Aber Frauen* und Kinder werden weiterhin in der Bildung, auf dem Arbeitsmarkt und in der Politik diskriminiert. Und zwar in urbanen und ruralen Räumen jeweils unterschiedlich (Catholic Relief Services, 2016, 31 f.). Die Raten sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt sind hoch (Theobald, 2012, S. 86). Fälle von Zwangsheiraten, Zwangsprostitution und Menschenhandel wurden gemeldet (United Nations, 2020, S. 5). Immer noch werden zudem illegale traditionelle Praktiken wie die rituelle Entführung von Kindern und die Genitalverstümmelung von Frauen* praktiziert (Fuest, 2010, S. 12). Frauen* und Mädchen* sind besonders stark von sexuell übertragbaren Krankheiten und von mangelnder gesundheitlicher, sozioökonomischer und juristischer Betreuung betroffen (United Nations, 2020, 6 f.).

Jugendliche sind durch fehlende oder mangelhafte Bildung besonders gefährdet, in dem ohnehin wirtschaftlich schwachen Land keine Beschäftigung zu finden, was in Perspektivlosigkeit mündet (Mulbah & Dennis, 2017, S. 16). Dadurch bringt die Gesellschaft junge, enttäuschte, aggressive und gewaltbereite Liberianer*innen ohne sinnvolle Beschäftigung hervor (Walker G. et al., 2009, S. 6). Etwa vier von fünf Liberianer*innen arbeiten im informellen Sektor und leben unterhalb der Armutsgrenze (UNDP, 2019, S. 18). Armut gilt weiterhin – wie schon vor dem Bürgerkrieg – als vorherrschende Konfliktursache. Dies liegt auch an den Problemen im Bildungssektor: Primär- und Sekundärschulen, aber auch Hochschulen mangelt es an Quantität und Qualität (United Nations, 2020, S. 7). Die Ausstattung der Schulen erfüllt meist nicht die minimalen Anforderungen. Oft sind die Lehrer*innen zu wenig und schlecht ausgebildet (United Nations, 2020, S. 7). „Sex for Grades“ ist besonders mit jungen Frauen* und Mädchen* weit verbreitet (Atwood et al., 2011; Parnarouskis et al., 2017). Das Versagen des Bildungssektors führt zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten für junge Menschen und oft zu Arbeitslosigkeit. Der Mangel an Berufsausbildung und einer sinnvollen Beschäftigung bringt junge Menschen in existenzielle Nöte und Ängste. Besonders diese jungen Menschen sind empfänglich für Manipulation und politische oder religiöse Radikalisierung. Vor allem männliche Jugendliche sind anfällig für Gewalttätigkeiten, mit Tendenz zur Bandenkriminalität. Oftmals wird sie in Zusammenhang mit Motorradtaxi-Fahrern* gebracht (Mulbah & Dennis, 2017, S. 21).

Der ZFD in Liberia arbeitet entlang dieser Konfliktlinien. In der Arbeit und in den Projekten sind vor allem folgende Themen wichtig: Arbeit mit marginalisierten Gruppen, um die Zersplitterung der Gesellschaft zu stoppen, Management natürlicher Ressourcen, Advocacy-Arbeit im Bereich der Landrechte, Vergangenheitsaufarbeitung, Stärkung der demokratischen Beteiligung und des Menschenrechtsbewusstseins, Methoden der friedlichen Konfliktbearbeitung, Rechtsprechung, Forschung und Konfliktanalysen.

7.3.1 Die Lage der Zivilgesellschaft

Da der ZFD in Liberia mit verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammenarbeitet, ist es wichtig, die aktuelle Situation der Zivilgesellschaft in Liberia allgemein zu betrachten. Hier liegt der Fokus nur auf der institutionalisierten Zivilgesellschaft, weil sie als Partnerorganisationen für den ZFD fungieren.

Im Jahr 2018 waren in Liberia 400 CSOs/NGOs akkreditiert. Davon waren 66 internationale CSO. Hinzu kommen geschätzt 1.500 CSOs, die nicht akkreditiert sind (Republic of Liberia, 2018, S. 6). Den Gesetzen in Liberia zufolge müssen sich CSOs vor Aufnahme ihrer Tätigkeit im liberianischen Unternehmensregister eintragen lassen. Sie müssen eine Akkreditierung bei der Koordinierungsstelle im entsprechenden Ministerium einholen und sich bei den Regierungsministerien oder -behörden registrieren lassen, die für die Bereiche, in denen sie arbeiten werden, zuständig sind. CSOs müssen ihre Akkreditierungen jedes Jahr erneuern (USAID, 2019, S. 112). Dazu sind bestimmte Unterlagen wie zum Beispiel ein Mission-Statement notwendig, Büroräume müssen vorgehalten werden und mindestens eine Person muss in Vollzeit angestellt sein (Krawczyk, 2018). In den letzten Jahren kam es aufgrund von Engpässen zu Verzögerungen bei den Registrierungen. Die Einrichtung von Servicezentren im ganzen Land in den Jahren 2017 und 2018, die ein Teil des nationalen Plans zur Dezentralisierung der Regierung war, sollte den Registrierungsprozess erleichtern. Die meisten dieser Zentren sind jedoch entweder außer Betrieb oder arbeiteten nicht mit voller Kapazität (USAID, 2019, S. 112). Besonders betroffen von Problemen mit der Registrierung sind CSOs, die im Bereich LGBTQIA + (lesbian, gay, bisexual, transgender, queer, intersex, asexual) arbeiten. Ihnen wird die Registrierung in der Regel komplett verwehrt (Currier & Cruz, 2017; USAID, 2019, S. 112).

Viele der lokalen CSOs sind kleine, gemeindebasierte Organisationen, die einen starken Dienstleistungsfokus haben und oft an Nischenprojekten auf Gemeindeebene arbeiten. Einige wenige größere Organisationen sind auf Sektorebene in den Bereichen Regierungsführung und Rechenschaftspflicht aktiv (EU, 2017, S. 1) und arbeiten auf der Graswurzelebene (Krawczyk, 2018). Die CSOs legen ihre Aufgaben in ihren Statuten klar fest. Allerdings orientieren sich viele CSOs auch an den Prioritäten der Geber*innen. Im Jahr 2018 konzentrierten sich die meisten Geber*innen beispielsweise auf Entwicklungsprojekte. Dies veranlasste die lokalen CSOs dazu, ihre Aktivitäten neu in diese Richtung auszurichten (USAID, 2019, S. 113). Weil aber starke staatliche Institutionen fehlen, bleiben die CSOs in Liberia Schlüsselakteur*innen bei der Bereitstellung von Dienstleistungen im Bildungs- und Gesundheitsbereich, in der Nothilfe, im Umweltschutz, bei der Wasserver- und Abwasserentsorgung sowie in den Bereichen landwirtschaftliche Beratung und Ernährungssicherheit (USAID, 2019, S. 116). Es gelingt den CSOs, staatliche Lücken zu schließen. Und zwar besonders in Regionen, die weit entfernt von der Hauptstadt liegen (EU, 2017, S. 2). Dennoch ist auch für CSOs der erschwerte Zugang zu manchen Regionen des Landes ein Arbeitshindernis und sie können nicht in vollem Maße effektiv arbeiten (Krawczyk, 2018). Ihr Engagement als Governance-Akteur*innen ist jedoch nach wie vor in einem frühen Entwicklungsstadium (EU, 2017, S. 2). Dennoch vermitteln CSOs immer wieder zwischen der Regierung und der lokalen Bevölkerung (Krawczyk, 2018). Es zeichnet sich noch ein weiteres Themenfeld ab, in dem CSOs immer stärker arbeiten: die Frauen*förderung und die aktive Arbeit mit der Zielgruppe Jugendliche (EU, 2017, S. 1). Auch diese Themensetzung wurde von internationalen Geber*innen beeinflusst. Der Fokus entstand durch die Vielzahl der im Land angebotenen Workshops und Weiterbildungen zu Themen wie Frauen*- und Menschenrechte, Gender und Friedensförderung (USAID, 2019, S. 118). Es ist aber nicht verwunderlich, dass der Fokus auf Frauen*förderung in Liberia gut angenommen wird. In Liberia beteiligen sich traditionell sehr viele Frauen* aktiv an CSOs (Svensoon, 2008, S. 179). CSOs in Liberia sind somit von liberalen Ansätzen internationaler Geber*innen und Organisationen geprägt (Fuest, 2010, S. 7). Infolge dieser Abhängigkeiten kam es zu einer Instabilität des Umfeldes der lokalen CSOs (Krawczyk, 2018). Gleichzeitig nahmen die Workshops und TrainingsFootnote 7 zu, die in der Regel gebildete CSO-Mitarbeitende aus einem urbanen Kontext für eine bestimmte Zielgruppe anbieten (Fuest, 2010, S. 9). Die durch diese starke Themensetzung von Geber*innen und durch projektbezogene Mittel für lokale CSOs entstandene Abhängigkeit, zeigt sich vor allem in der Mitarbeiter*innenbindung. Die meisten Organisationen verfügen aufgrund begrenzter finanzieller Mittel nicht über fest angestelltes, bezahltes Personal. Die Mehrheit der Mitarbeiter*innen wird befristet eingestellt. Generell ist festzustellen, dass in Liberia oft Personen in CSOs beschäftigt werden, die aufgrund des schlechten Bildungssystems im Land nicht ausreichend für die Arbeit qualifiziert sind (Krawczyk, 2018). Auch hindern Finanzierungsbeschränkungen viele CSOs daran, Mitarbeiter*innen mit ausreichender Erfahrung einzustellen oder dem Stammpersonal Ausbildungsmöglichkeiten anzubieten (USAID, 2019, S. 114). Diese Abhängigkeiten und eine starke Fragmentierung der Akteur*innenlandschaft führen dazu, dass es zwischen CSOs immer wieder zu Konkurrenz kommt (Republic of Liberia, 2018, S. 16). Zwar gibt es einige CSO-Netzwerke im Land, die versuchen, dem entgegenzuwirken, doch geschieht dies oft nicht formalisiert genug. Auch gibt es einige Gesetze, die die Arbeit von CSOs unterstützen und formalisieren sollen, wie zum Beispiel die National Policy on Non-Governmental Organisations in Liberia (Republic of Liberia, 2018, S. 7). Doch die rechtliche Situation für CSOs ist fragmentiert und Zuständigkeiten sind unklar (EU, 2017, S. 2). Aus diesen Gründen wäre eine Stärkung von Dachorganisationen oder ähnlichen Koordinierungsgremien auf verschiedenen Ebenen sinnvoll (EU, 2017, S. 2).

Auch wenn die CSOs in Liberia viele staatliche Aufgaben zum Teil übernehmen und unterstützend wirken, ist die Beziehung zwischen CSOs und Regierung nicht immer einfach. Die Regierung scheint sich manchmal auf die CSOs im Land zu verlassen, wenn es in ihrem Interesse liegt. Ansonsten aber erachtet sie weder die Organisationen an sich noch deren Informationen als glaubwürdig (USAID, 2019, S. 118). Zwar gibt es sowohl auf lokaler als auch auf zentraler Ebene direkte Kommunikationswege zwischen CSOs und politischen Entscheidungsträger*innen. Allerdings führen diese nicht zu einer wirklichen Beteiligung der CSOs an Entscheidungsprozessen der Regierung (USAID, 2019, S. 115). Es fehlt eine klarere Definition des Mandates von CSOs und ihrer Rollen in Bezug auf Regierungsaktivitäten und auf den nationalen Entwicklungsplan (EU, 2017, S. 1). Es gibt Spannungen und kaum oder wenig Vertrauen zwischen der Regierung und der Zivilgesellschaft (Lucey & Kumalo, 2017, S. 5). Einige Vertreter*innen von CSOs nehmen ambivalente Rollen ein. Schon seit den Verhandlungen zum CPA treten sie in der Rolle der Legislative und Exekutive auf. Sie sehen ihre Aufgabe darin, die Demokratie Liberias auch von innen mit aufzubauen (Sayndee, 2009, S. 174). Im Allgemeinen werden Organisationen, die sich mit kontroversen Themen wie Korruption befassen, als problematisch angesehen. Während diejenigen, die in der Dienstleistungserbringung tätig sind, wohlwollend betrachtet werden. Es wird davon ausgegangen, dass sie zur Arbeit der Regierung beitragen (USAID, 2019, S. 118).

Allgemein werden in Liberia CSOs und besonders Organisationen, die im Bereich Menschenrechte oder Governance arbeiten, mit einer drei auf einer Skala von vier eingestuft (Freedom House, 2020b), was ihre Freiheit, zu arbeiten betrifft. So berichtet der Freedom House Index, dass es in Liberia viele Menschenrechtsorganisationen gibt. Dass aber die Gruppen, die sich auf LGBTQIA + -Themen konzentrieren, dazu neigen, sich aus Angst vor Vergeltung und Einschränkungen in ihrer Arbeit etwas zurückzunehmen (Freedom House, 2020b). Generell wird Liberia im Freedom House Index mit 60 von 100 Punkten als „teilweise frei“ eingestuft (Freedom House, 2020b). Die für CSOs wichtige Versammlungsfreiheit wird in Liberia mit zwei von vier Punkten angegeben. Versammlungsfreiheit ist in Liberia zwar verfassungsmäßig garantiert und immer wieder werden Kundgebungen friedlich abgehalten, jedoch kommt es regelmäßig zu Zwischenfällen (Freedom House, 2020b). Mitte 2019 wurde zum Beispiel bei einer großen Kundgebung in Monrovia zum noch ausstehenden Transitional-Justice-Prozess zwar keine Gewalt angewandt. Doch die Regierung blockierte unter Berufung auf Sicherheitsbedenken teilweise den Zugang zu sozialen Mediennetzwerken und Nachrichtendiensten (Dopoe, 2019; Freedom House, 2020b).

In dieser diversen, sehr stark an Geber*innen orientierten zivilgesellschaftlichen Landschaft Liberias arbeitet der ZFD an den oben beschriebenen Konfliktfeldern. Auch hier wird jeweils in verschiedenen Projekten gearbeitet, die wiederum in viele einzelne Projekte untergliedert sind. Da manche Projekte länderübergreifend konzipiert sind, bestehen zum Teil enge Verflechtungen mit Projekten in Sierra Leone. In Liberia sind sowohl AGIAMONDO als auch BfdW tätig und sie arbeiten mit vielen lokalen Partner*innen. Immer wieder kann es zu Wechseln zwischen den Partner*innen kommen, einige scheiden aus oder es kommen neue hinzu. Im Rahmen der BMZ-Neuausrichtung und der Agenda 2030 wird Liberia als Entwicklungsland aufgeführt. Es wird im Rahmen einer multilateralen, europäischen und nicht staatlichen Zusammenarbeit mit Zivilgesellschaft und Wirtschaft unterstützt (BMZ, 2020, S. 8), jedoch nicht (mehr) als bilateraler Partner eingestuft.

7.4 Fallbeschreibung Sierra Leone

Sierra Leone erlangte 1961 die Unabhängigkeit. Bald darauf begann eine instabile Periode, die von einem Machtkampf zwischen politischen Parteien gekennzeichnet war. Als nach der Unabhängigkeit das zweite Mal Wahlen stattgefunden hatten und im Jahr 1967 ein Militärputsch erfolgte, ging der All People's Congress (APC) als Sieger aus diesem Machtkampf hervor. Der APC schränkte die politische Opposition ein und nutzte die Einnahmen aus dem Abbau von Diamanten und anderen Mineralien, „[…] to consolidate political alliances instead of investing them into the development of the country“ (Ottendörfer, 2014, S. 17). Die Unterdrückung der politischen Opposition gipfelte 1978 in der Verabschiedung einer neuen Verfassung, mit der ein Einparteienstaat unter der Herrschaft des APC gegründet wurde. Als Folge dieser Politik verschärfte sich die schwierige wirtschaftliche Situation. Fragmentierungen des „national spirit“ (TRC Sierra Leone, 2004, S. 6) nahmen zu und wurden durch den APC verschärft. Sie können somit als eine der wichtigsten Konfliktursachen bezeichnet werden (TRC Sierra Leone, 2004, S. 6). Im März 1991 brach ein Bürgerkrieg aus, als die Rebellengruppe Revolutionary United Front (RUF) unter Führung des ehemaligen Armeekorporals Foday Sankoh aus dem Nachbarland Liberia ins Land eindrang. Während die RUF ursprünglich für die Befreiung Sierra Leones von seiner korrupten Einparteiendiktatur kämpfte, begann die Bewegung bald populärer zu werden, vor allem unter jungen Menschen (Richards, 2005). Sie begannen die Bevölkerung zu terrorisieren und ihre Herrschaft auszuweiten, indem sie Diamantenminen und Dörfer plünderten und Kinder in ihre Streitkräfte zwangen (Gberie, 2005; Keen, 2005, S. 39). Die RUF besetzte schnell strategisch wichtige Punkte im Land und sicherte sich die Diamantenminen im Osten des Landes. Lokale Milizen begannen bald, die Rebellen mit traditioneller Kriegsführung zu bekämpfen. Auch sie rekrutierten Kinder in ihre Streitkräfte und begingen Gräueltaten an der Zivilbevölkerung (Gberie, 2005, S. 81). Durch diese Gruppierungen wurde der Krieg noch unübersichtlicher und breitete sich auch in sehr entlegene Regionen aus (Abdullah, 2004, S. 168).

1992 gelang es dem Offizier Valentine Strasser, den damaligen Präsidenten Joseph Saidu Momoh abzusetzen und sich zum Staatschef zu erklären. Dies führte jedoch nicht zu einem Ende der Kämpfe (Abdullah, 2004, S. 105). 1996 kam es zu einem erneuten Putsch durch den damaligen Verteidigungsminister und General Julius Maada Bio (Menzel, 2015, S. 155). Dieser ließ die ersten freien Wahlen im Land seit 1967 durchführen. Die RUF versuchte, die Wahlen zu verhindern, was zu erneuten Gräueltaten führte. Sie fanden dennoch statt und Ahmad Tejan Kabbah von der Sierra Leones People’s Party SLPP wurde zum Präsidenten gewählt (Abdullah, 2004, S. 105). Ende 1996 blieb daraufhin der RUF keine andere Möglichkeit, als ein Friedensabkommen mit der amtierenden Regierung zu unterzeichnen (United Nations, 1996). 1997 ergriff eine andere Gruppierung die Macht: der Armed Forces Revolutionary Council (AFRC) unter Johnny Paul Koroma, der sich mit der RUF verbündete. Internationale Verhandlungsbemühungen unter der Führung der VN drängten die Konfliktparteien dazu, im Juli 1999 das Friedensabkommen von Lomé (United Nations, 1999a) zu unterzeichnen. Es gewährte dem RUF-Führer Sankoh die Vizepräsidentschaft, die Kontrolle über die Diamantenminen Sierra Leones sowie eine Amnestie für RUF-Kämpfende. Als es mit diesem Abkommen schließlich nicht gelang, die Gewalt zu beenden, richtete die VN im Oktober 1999 die Mission der Vereinten Nationen in Sierra Leone (United Nations Mission in Sierra Leone, UNAMSIL) als Eingreiftruppe ein (United Nations, 1999b). 2006 wurde die Mission für beendet erklärt und durch das United Nations Integrated Office for Sierra Leone ersetzt. Sie half bis 2010 in Sierra Leone bei der Unterstützung der Menschenrechte, dem Wiederaufbau und der Entwicklung (Ochoche, 2009; United Nations, 2005). Der Bürgerkrieg in Sierra Leone war im Januar 2002 durch den Präsidenten offiziell für beendet erklärt worden (Abdullah, 2004, S. 221).

Sierra Leone leidet bis heute unter den Folgen des Bürgerkrieges. Der Wiederaufbau und die Aufarbeitung sind trotz vieler Bemühungen nicht abgeschlossen und die Konfliktursachen nicht alle beseitigt. Somit sind auch die aktuellen Konfliktlinien noch immer von dem Bürgerkrieg und dessen Folgen geprägt. Ein struktureller Faktor ist die wirtschaftliche Lage des Landes. In den Jahren vor der Ebola-Krise erlebte Sierra Leone eine rasche Expansion der ausländischen Direktinvestitionen in den Bereichen Infrastruktur, Landwirtschaft und im Mineraliensektor. So kam es zu einem positiven wirtschaftlichen Trend (Millar, 2016a). Ebola aber stoppte diesen Trend. Das Wirtschaftswachstum verlangsamte sich und erholt sich nun langsam. Im Jahr 2000 wurde eine Antikorruptionsbehörde gegründet. Seit 2008 kann in einem von der Regierung und Justiz unabhängigen Verfahren Anklage erhoben werden. In der Praxis sind dieses Verfahren und die Behörde jedoch nicht vollkommen von der Regierung unabhängig (Kanu, 2016). Die schlechte wirtschaftliche Situation wirkt sich auch auf die Armut in der Bevölkerung aus (Bertelsman Stiftung, 2018, S. 16). Ein großer Teil der Bevölkerung ist von Armut und Perspektivlosigkeit betroffen. So liegt die Arbeitslosenquote unter Jugendlichen bei rund 60 Prozent (Alemu, 2016, S. 16). Diese Perspektivlosigkeit wird auch dadurch verstärkt, dass viele Menschen weder lesen noch schreiben können. Bestimmten Gruppen bleibt der Zugang zu Bildung verwehrt. Von diesen Problemen sind insbesondere Jugendliche und Frauen* betroffen (Novelli & Higgins, 2017, S. 38; UNFPA o. J.). Ein 2018 verabschiedeter Education Sector Plan sollte diese Probleme beheben. So wurde beispielsweise Schulbildung in weiten Teilen kostenlos (Government of Sierra Leone, 2018). Die Evaluation des Prozesses bleibt abzuwarten, der auch noch nicht überall voll umgesetzt werden konnte (Thomas, 2020).

Marginalisierte und schutzbedürftige Gruppen wie zum Beispiel Menschen mit Behinderung, Jugendliche und Frauen* fühlen sich nach wie vor von der Regierung benachteiligt und von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen (Deutsche UNESCO-Kommission, 2010, S. 10). Dem Bericht der Wahrheits- und Versöhnungskommission zufolge war die Marginalisierung der Jugend ein führender Faktor in dem Bürgerkrieg (Richards, 2005). Auch heute noch spielen junge Menschen eine wichtige Rolle bei Konflikten im Land. Gerade in den Städten werden junge, arbeitslose Menschen oft mit Kriminalität assoziiert (Menzel, 2015, 242 ff.). Dies lässt sich unter anderem auch darauf zurückführen, dass der Reintegrationsprozess von Ex-Kombinat*innen nicht vollständig erfolgreich war (Menzel, 2015; Sola’-Martín, 2009, 297 ff.). Sie werden auch nach dem Ende des Bürgerkrieges häufig mit Konflikten assoziiert, auch wenn sie nicht wieder zu den Waffen greifen (Mitton, 2013, S. 326). Die Gesellschaft in Sierra Leone ist hierarchisch aufgebaut, mit einer klaren Aufteilung von Macht und Autorität zwischen Jugendlichen und Älteren, zwischen traditionellen Autoritäten und Jüngeren (Tom, 2014). Jugendliche und junge Erwachsene haben häufig weniger Teilhabe in bestimmten Bereichen und weniger Mitspracherechte in gemeinschaftlichen Entscheidungsstrukturen. Gepaart mit der Perspektivlosigkeit, in der viele Jugendliche stecken, kommt es zu Enttäuschungen und Konflikten (Bangura, 2016).

Die strukturelle Benachteiligung wird auch für Frauen* besonders deutlich. Es gibt zwar Gesetze, welche der Frauen*förderung dienen, doch werden sie nur sehr zaghaft umgesetzt (Bertelsman Stiftung, 2018, S. 13). Ebenso sieht es bei den Gesetzen und Mechanismen zum Schutz, insbesondere zum Recht auf körperliche Unversehrtheit aus. Trotz der Existenz dieser Strukturen ist geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen* und Mädchen* ein weit verbreitetes und zunehmendes Problem (Amnesty International, 2020; Amnetsy International, 2019; Shour et al., 2020). Um dem entgegenzuwirken, wurde schon 1999 eine Familienunterstützungseinheit innerhalb der Polizei geschaffen. Ihr Ziel ist es, Fälle von Missbrauch und Misshandlung zu bearbeiten und Frauen* eine Anlaufstelle zu bieten (Davies, 2017). Die Einheiten konnten bereits erfolgreich agieren (Davies, 2017). Allerdings sind sie nicht in allen Regionen des Landes vorhanden und zugänglich. Es gibt zu wenig Ressourcen und immer wieder Vorbehalte, ein privates Thema an die Polizei heranzutragen (Denney & Ibrahim, 2012, 13 ff.). Besonders in den letzten Jahren ist ein enormer Anstieg an Vergewaltigungen und sexuellem Missbrauch zu verzeichnen, selbst an sehr jungen Mädchen* und Kleinkindern schon im Alter von drei Jahren (Amnesty International, 2020; Mules, 2019). Im Februar 2019 wurde deswegen der Notstand ausgerufen. Präsident Julius Bio versprach, verstärkt mit polizeilichen und rechtlichen Schritten dagegen vorzugehen, sich um Opfer zu kümmern und kostenlose, sichere Anlaufstellen zu schaffen (Bio, 2019). Schon kurz nach dieser Erklärung waren erste positive Rückmeldungen zu verzeichnen, dennoch hat Sierra Leone noch einen langen Weg vor sich.

Themen wie Land, Zugang zu natürlichen Ressourcen und der Abbau von Rohstoffen sind weitere größere Konfliktfaktoren, die schon während des Bürgerkrieges relevant waren. Sierra Leone ist reich an Bodenschätzen. Oft werden sie von ausländischen Firmen abgebaut und gehören ausländischen Investor*innen, sodass von einem regelrechten Ressourcenfluch gesprochen wird (Bah, 2016; Jackson, 2017). Durch das 2004 eingeführte Investitionsförderungsgesetz, das das System marktliberaler gestalten sollte, wurden gezielt Privatpersonen mit vorzugsweise ausländischem Kapital angezogen. Sie sollten in den Rohstoffsektor, aber auch in die Landwirtschaft, in den Tourismus oder ins Bankwesen investieren. Besonders das Problem des Landgrabbing (Tzouvala, 2019) verschärft vorhandene Konfliktlinien und führt zu einer zunehmenden Verarmung der Landbevölkerung. So werden Konzessionen, zum Beispiel zum Abbau von Bodenschätzen, oft an ausländische Investor*innen vergeben. Bis heute profitiert die Mehrheit der Bevölkerung Sierra Leones nicht wesentlich von diesen Bodenschätzen. Das liegt daran, dass ein Großteil der Konzessionen an (ausländische) Unternehmen geht und die Einnahmen dieser Unternehmen im Land nicht ausreichend versteuert beziehungsweise nicht ausreichend überwacht und reguliert werden (Beevers, 2019, S. 190). Es fehlt in Sierra Leone an Transparenz und Mechanismen der Rechenschaftspflicht in Bezug auf Entscheidungen über die Zuteilung natürlicher Ressourcen und die Landnutzung (Beevers, 2019, S. 188). Dies ist gepaart mit einem breiten Ermessensspielraum von Politiker*innen, Regierungsbeamt*innen und Chiefs*, der oft in Korruption mündet (Transparency International, 2019b) und Möglichkeiten schafft, mit den Einnahmen aus natürlichen Ressourcen illegale und unerlaubte Aktivitäten zu finanzieren. Auch in den Gebieten, wo die Ressourcen abgebaut werden, kommt es immer wieder zu Problemen und Konflikten. Beispielsweise sind die Arbeitsbedingungen für die Menschen vor Ort problematisch und es kommt noch immer zum Einsatz von Kinderarbeit (Nilsson, 2017; Thomas, 2019). Zudem stellen sich generell Fragen zur Landnutzung und zum Landrecht. So werden oftmals Verhandlungen mit Investor*innen geführt, in denen die lokale Bevölkerung in weiten Teilen übergangen und ausgenutzt wird (Wilson, 2012, S. 193). Lokale Farmer*innen haben oft nur über CSOs oder selbstgegründete Verbünde Zugang zu einer unabhängigen rechtlichen Beratung, die ihnen hilft, für ihre Interessen einzutreten und sie generell über ihre Rechte aufklärt (FAO, o. J.; Marfurt et al., 2016). Konflikte treten auch deshalb auf, weil Gemeinschaften umgesiedelt werden müssen, sie keinen Zugang mehr zu Wasser oder keinen einfachen Zugang mehr zur Infrastruktur haben und in einem abgeriegelten System leben (Transparency International, 2019a; Wilson, 2019). Hier schieben sich verschiedene politische Ebenen die Verantwortung zu. Letztendlich wird der lokalen Bevölkerung versprochen, dass sie auch von den Veränderungen profitieren werden. Große Firmen und Investor*innen zum Beispiel sagen kostenlose Schulbildung oder die Versorgung mit Lebensmitteln zu. Allerdings ist das Bewusstsein darüber, wie viel der Bevölkerung tatsächlich zustehen würde, nicht besonders ausgeprägt (Transparency International, 2019a).

Der ZFD in Sierra Leone arbeitet entlang dieser Konfliktlinien. Bei der Arbeit und in den Projekten sind dabei folgende Themen wichtig: Stärkung und (Aus-)Bildung von marginalisierten und gefährdeten Gruppen, Beratung von Frauen*, Jugendlichen und marginalisierten Gruppen, Traumatherapie, rechtliche Beratung, Zugang zu Rechtsprechung erleichtern, Dialogprozesse anregen, Unterstützung von Mediations- und Schlichtungsprozessen, Konfliktanalysen und Forschungsarbeit, Advocacy-Arbeit gerade bei Landfragen und Strategieentwicklung (AGEH & Brot für die Welt, 2014; ZFD, 2019a, 2019b, 2019c).

7.4.1 Die Lage der Zivilgesellschaft

Auch in Sierra Leone arbeitet der ZFD mit verschiedenen institutionalisierten zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen. Deswegen wird auch hier die aktuelle Situation der Zivilgesellschaft in Sierra Leone betrachtet.

Für Sierra Leone gibt es keine aktuelle Statistik über die Anzahl der CSOs im Land. Ein Bericht von 2014 zeigt jedoch, dass damals 327 CSOs/NGOs und davon 96 internationale CSOs/NGOs im Land registriert waren (Statistics Sierra Leone, 2014, S. vi). Obwohl die Anzahl der registrierten CSOs offiziell zunimmt, sprechen Berichte für das Jahr 2018 von 274 bis 292 registrierten internationalen und nationalen CSOs (USAID, 2019, S. 195). In Sierra Leone gibt es kein übergreifendes Gesetz für CSOs und sie können ohne Registrierung frei arbeiten. Eine Registrierung ist erst notwendig, um einen Rechtsstatus zu erlangen und um formell mit anderen Organisationen zu interagieren (USAID, 2019, S. 195). CSOs können sich bei einer Vielzahl von Regierungsstellen registrieren lassen. Aufgrund der Einfachheit ihrer Registrierungsverfahren registrieren sich die meisten CSOs bei der Corporate Affairs Commission, die seit 2017 keine jährlichen Registrierungsverlängerungen mehr verlangt (USAID, 2019, S. 195). Dennoch ist auch bei Gemeinderäten und Ministerien eine Registrierung möglich. Dort erfolgen sie jedoch seltener, weil sie schwieriger zu erhalten sind und beim Ministerium eine jährliche Verlängerung beantragt werden muss (USAID, 2019, S. 195). 2018 dann wurden sämtliche Registrierungen und Registrierungsverlängerungen komplizierter. Denn eine im Rahmen der neuen NGO-Politik eingeführte Regelung sieht vor, dass CSOs Bescheinigungsschreiben von Fachministerien und Abteilungen erhalten müssen, die für ihre Arbeitsbereiche zuständig sind. Diese Verordnung führte zu Verzögerungen bei der Bearbeitung von Registrierungen und Verlängerungen (Freedom House, 2020c; USAID, 2019, S. 195). Auch das Gesetz, dass CSOs ihre Arbeit an Themen der Regierung ausrichten müssen und sie zu den Entwicklungszielen der Regierung passen muss, schränkt die CSOs in Sierra Leone ein (Amnesty International, 2019, S. 16). Die Vorschrift wird von Politiker*innen so begründet: „The expectation of government is that instead of NGOs spreading out their activities, which limits visible impacts, [NGOs] should concentrate on few lines of activities in a demarcated manner in order to create meaningful impact“ (Bockari, 2015). CSOs-Akteur*innen befürchten jedoch, dass diese Vorgabe das Spektrum ihrer Aktivitäten und Themen begrenzen kann und Einfluss darauf hat, wo und wie sie arbeiten dürfen. Dies sehen sie als Angriff auf ihre Unabhängigkeit. In der Folge kam es wiederholt zu Forderungen aus der Zivilgesellschaft, diese Vorschriften und Regulierungen wieder zu ändern, damit die Organisationen ihre Arbeit einfacher und freier gestalten können (APA News, 2019).

Die registrierten CSOs sind vor allem im Bereich Gesundheit aktiv, gefolgt von Bildung, Landwirtschaft, Mikrofinanzen, Streitschlichtung und gute Regierungsführung. Generell sind die Aktivitäten so ausgelegt, dass sie eine Verbesserung für die Zielgruppen in den einzelnen Bereichen erreichen wollen. Dies ist sehr positiv zu bewerten. Zudem ist es eine Vorgabe der Regierung, dass der Großteil der Gelder einer CSO für ihre Zielgruppen verwendet wird (Abdulai, 2020). CSOs arbeiten auch zu Themen wie Kommunalverwaltung oder sie unterstützen Wahlen, da sie in diesen Bereichen in der Regel über ein hohes Maß an organisatorischer und technischer Kompetenz verfügen (USAID, 2019, S. 199). Viele CSOs befördern mit ihrer Arbeit in diesen Bereichen auch den anhaltenden Frieden im Land (Bindi & Tufekci, 2018). Dabei gibt es CSOs, die Community-based arbeiten und entsprechend ausgerichtet sind. Andere CSOs richten sich an nationalen Programmen aus und haben internationale Verbindungen und Partner*innen (Lawrence, 2014, S. 5). Im Jahr 2014 waren 15.472 Personen für nationale oder internationale CSOs angestellt, davon waren 11,9 % internationale Mitarbeitende (Statistics Sierra Leone, 2014, vi f.). Die Personalrekrutierung erfolgt bei den meisten Organisationen ad hoc und informell. Es werden auch Mitarbeitende mit nur wenig beruflichem Fachwissen angestellt. Denn die meisten CSOs sind finanziell nicht in der Lage, hochkarätige Mitarbeitende einzustellen oder Mitarbeitende über das Ende von Projekten hinaus zu beschäftigen (USAID, 2019, S. 197). Anderen Studien zufolge, ist die Möglichkeit, in einer CSO mitzuarbeiten, eine sehr gute Chance, um Berufserfahrung zu sammeln (Bolten, 2014, 43 ff.).

Auch in Sierra Leone ist eine starke Abhängigkeit von internationalen Geber*innen festzustellen. Sie ist historisch gewachsen, und es wurden zum Beispiel nach dem Krieg 80 % des Bruttoinlandsproduktes durch externe Geber*innen gestellt (Kanyako, 2011, S. 8). Es gibt nur wenige CSOs, die nicht Donor-driven sind (Cubitt, 2012, S. 139). Dies hat dazu geführt, dass viele CSOs in der Verwendung und Einwerbung von Mitteln sehr kreativ geworden sind (Kanyako, 2011, S. 9). Besonders der Mangel an (finanziellen) Ressourcen hat zur Folge, dass einige CSOs in einem sehr breiten Themenfeld arbeiten. Sie können so möglichst viele Geldgeber*innen ansprechen, obwohl sie in dem Bereich über kein vertieftes Wissen verfügen (Badasi Sesay, 2012, 6 f.). „There is rampant tribalism, nepotism, regionalism and an emphasis on ‘who you know’ rather than ‘what you know’“ (Badasi Sesay, 2012, S. 7). Durch diese Abhängigkeit von Geldern, die in der Regel projektgebunden sind, ist die CSO-Landschaft zu einer regelrechten „Projektgesellschaft“ geworden. Dies kann als dysfunktionales Ergebnis der CSO-isierung gesehen werden. Gemeint ist damit ein regelrechter Prozess der Formalisierung und Bürokratisierung von CSOs in Sierra Leone, um sie zu kontrollieren, aber nicht, um Ressourcen umzuverteilen oder Strukturen zu ändern (Szántó, 2016, S. 133). Infolgedessen sind einige CSOs zu regelrechten Top-down-Organisationen mit Sitz in Freetown geworden. Dort haben die meisten CSOs ihren Sitz und lokale Organisationen sind somit den Geber*innen näher (Pham, 2004). So wird aber gefördert, dass die Mehrheit der CSOs in Sierra Leone zu einem gewissen Grad politisch ausgerichtet, wenn nicht sogar ganz kooptiert sind.

Weil eindeutige Gesetze über die Tätigkeit von CSOs fehlen, können staatliche Stellen deren Aktivitäten willkürlich einschränken und ihr Versammlungsrecht verletzen. Versammlungsfreiheit ist für CSOs ein sehr wichtiges Element und sie wird für Sierra Leone mit zwei von vier Punkten bewertet (Freedom House, 2020c). Obwohl die Versammlungsfreiheit verfassungsmäßig garantiert ist, hat sich die Polizei wiederholt geweigert, Organisator*innen, die Proteste planen, eine Genehmigung zu erteilen. Eine Reihe friedlicher Demonstrationen wurde in den letzten Jahren gewaltsam aufgelöst (Freedom House, 2020c). Einzelne Regierungsstellen verfügen über Ad-hoc-Bestimmungen und jede*r Staatsbeamte*in kann sich auf verschiedene Gesetze berufen, um gegen CSOs vorzugehen (USAID, 2019, S. 195). 2018 herrschte eine gemischte Sicht der Regierung auf die CSOs. Während die Mitglieder der CSOs die Regierung unter Druck setzten, transparenter und reaktionsfähiger zu sein, warfen Regierungsbeamt*innen einzelnen CSOs vor, parteiisch zu sein oder der Opposition zu dienen (USAID, 2019, S. 201). Die angespannte Lage hat sich durch die erwähnten Veränderungen hinsichtlich einer jährlichen Erneuerung von Registrierungen und der notwendigen Projektgenehmigung durch Ministerien verfestigt. Obwohl die SLPP-Regierung zunächst ihre Bereitschaft signalisiert hatte, die neuen Bestimmungen zu überdenken, hielt sie nach einer Überprüfung im Jahr 2018 schließlich doch an dieser Politik fest. Viele CSOs äußerten ihre Unzufriedenheit mit der mangelnden Transparenz der Überprüfung und ihre Besorgnis über einen Shrinking Space für die Zivilgesellschaft (Freedom House, 2020c).

Auch in den freiheitlichen Rechten sind CSOs in Sierra Leone eingeschränkt. Die Freiheit der zivilgesellschaftlichen Akteur*innen und insbesondere derer, die sich für Menschenrechte oder im Bereich Governance engagieren, wird mit zwei von vier Punkten bewertet (Freedom House, 2020c). Immer mehr CSOs fühlen sich in ihrer Arbeit behindert oder bedroht und können sie nicht mehr unabhängig ausführen (International Center for Human Rights, 2019). Im Freedom House Index wird Sierra Leone als „teilweise frei“ mit 65 von 100 Punkten eingestuft (Freedom House, 2020c).

Generell lässt sich für Sierra Leone von einem Shrinking Space sprechen (Edwin, o. J., S. 9). Es gibt einige Zugangsbarrieren für CSOs. So benötigt eine CSO mindestens fünf Mitarbeitende, Büroräume, Beschilderung und ähnliches, um sich registrieren zu lassen. Im Registrierungsverfahren muss eine Vereinbarung mit der Regierung unterzeichnet werden. CSOs müssen sich möglicherweise Verifizierungsbesuchen vor Ort und persönlichen Interviews unterziehen. Außerdem gibt es Einschränkungen für die Aktivitäten der CSO. Darunter fallen zum Beispiel Abkommen mit der Regierung über Aktivitäten, strenge und detaillierte Berichterstattungsanforderungen und die Möglichkeit, einem nationalen Überwachungsausschuss unterstellt zu werden.

Auch wenn sich die CSO-Landschaft in Sierra Leone von der in Liberia unterscheidet, ist der ZFD in beiden Ländern sehr ähnlich aufgebaut. Das ist nicht zuletzt auf die zum Teil länderübergreifenden Projekte zurückzuführen. So sind auch in Sierra Leone sowohl AGIAMONDO als auch BfdW tätig. Es ist anzumerken, dass es auch immer wieder zu Wechseln zwischen den Partner*innen kommen kann, einige ausscheiden oder neue dazukommen. Die Darstellung stellt somit eine Momentaufnahme dar. In der BMZ-Neuausrichtung und in der Agenda 2030 wird Sierra Leone zunächst wie Liberia als Entwicklungsland aufgeführt, das im Rahmen einer multilateralen, europäischen und nicht staatlichen Zusammenarbeit mit Zivilgesellschaft und Wirtschaft unterstützt wird (BMZ, 2020, S. 8). Allerdings besagt das Dokument ebenfalls, dass das BMZ aus Ländern „aussteigt“, in denen es als Akteur im Vergleich zu anderen nur in geringem Umfang tätig war. Davon ist auch Sierra Leone betroffen (BMZ, 2020, S. 6). Was genau dies für den ZFD und die CSOs vor Ort heißen wird, bleibt abzuwarten. Derzeit gilt Sierra Leone weiterhin als bilaterales Partnerland.