Zusammenfassung
Dieser Beitrag untersucht die US-Iranpolitik unter Präsident Trump aus der analytischen Perspektive von Kontinuität und Wandel. Zunächst werden die notwendigen wissenschaftstheoretischen Aspekte unter Bezugnahme auf das Konzept der Pfadabhängigkeit dargestellt. Anhand dessen wird die iranische Revolution von 1979 als einschneidendes Ereignis („critical juncture“) konzeptualisiert, das sowohl auf strategischer als auch auf innenpolitischer Ebene zu Pfadabhängigkeiten führte. Die Analyse legt nahe, dass sich der starke Nachhall der Revolution nicht nur tief in die nationale Psyche Amerikas eingebrannt hat, sondern auch einen unmittelbaren Einfluss auf individuelle Entscheidungen Donald Trumps hatte, wie etwa den Angriff auf General Qassem Soleimani. Im Zuge dessen wird erörtert, inwieweit Amerikas Iranpolitik unter Trump als „strategisch“ bezeichnet werden kann. Aufgrund definitorischer Schwierigkeiten und der ideologischen Aufladung dieses Themenkomplexes ist es sinnvoll, die Frage nach dem Vorhandensein einer Strategie getrennt von der Frage nach der Qualität der Strategie zu beantworten. Diesbezüglich stellt Donald Trumps Iranpolitik eine Rückkehr zu einem historisch dominanten Pfad dar, der jedoch – wie in der Vergangenheit – aufgrund mangelnder Perspektivenübernahme nicht in der Lage ist, mittelfristig zur Verwirklichung amerikanischer Interessen in der Region beizutragen. Darüber hinaus hat der besondere Modus Operandi der Trump-Regierung zu einem erheblichen Verlust an Vertrauen beigetragen und damit die strukturellen Einschränkungen für eine neue Annäherungsphase unter US-Präsident Biden erhöht. Dennoch besteht die Möglichkeit, dass durch die sich verändernden globalen Machtverhältnisse, die auch auf regionale Dynamiken wirken werden, neue Zeitfenster entstehen, in denen kontinuitätssichernde Mechanismen ausbleiben und somit Pfadwechsel möglich werden.
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Notes
- 1.
Am 27.12.2019 feuert die vom Iran gesteuerte Miliz Kataib Hisbollah mehrere Raketen auf den US-Stützpunkt Kirkuk im Nordirak, wobei mehrere US-Soldaten und Zivilbeschäftigte verletzt werden. Als bei amerikanischen Vergeltungsschlägen 25 Menschen getötet werden, dringen am 31.12.2019 hunderte Demonstranten in die gesicherte „Grüne Zone“ um die amerikanische Botschaft in Bagdad ein. Für einen Überblick der Eskalation siehe: Capaccio (2020); Hegmann (2020); Schulte von Drach (2020).
- 2.
Die „critical juncture“-Definition von Collier und Collier (1991) weicht davon leicht ab: „a period of significant change, which typically occurs in distinct ways in different countries (or in other units of analysis) and which is hypothesized to produce distinct legacies“ (Collier & Collier, 1991, S. 29). Die Autoren assoziieren „critical junctures“ zwangsläufig mit Wandel, was solche Ereignisse von none-events differenziert.
- 3.
Der Begriff „Pfadabhängigkeit“ hat seinen Ursprung in den Forschungsfeldern der Ökonomie, insbesondere der Wirtschaftsmathematik. Wissenschaftler zeigten anhand von stochastischen Modellen, dass sich bei mehreren Alternativen aufgrund von Verstärkungseffekten zu Beginn eines Prozesses nicht notwendigerweise die effizienteste durchsetzen muss. In der Politikwissenschaft wurde das Konzept zunächst verwedet, um institutionellen Wandel zu erklären.
- 4.
Für eine detaillierte Darstellung der in der außenpolitischen Analyse aufgeführten Kausalmechanismen pfadabhängiger Prozesse siehe: Leithner und Libby (2021, S. 5).
- 5.
Sogar auf der Ebene der Geheimdienste gab es eine Zusammenarbeit. Als im Oktober 1977 die ersten Demonstrationen begannen, plante Israel z.B. den Bau eines Kampfflugzeugs der neuesten Generation in Zusammenarbeit mit Iran. Dennoch waren die Beziehungen zwischen dem Iran und den USA auch vor der Revolution nicht spannungsfrei. Der Wunsch nach unabhängigem Handeln hatte den Schah zeitweise dazu gebracht, alternative Bündnisse zu verfolgen (Alvandi, 2014).
- 6.
Parallel dazu gab es Momente der Öffnung gegenüber dem Iran, vor allem in der berüchtigten „Iran-Contra-Affäre“. Diese Maßnahmen stellten jedoch den durchschaubaren Versuch dar, die neu gegründete Islamische Republik einzudämmen und eine Annäherung an die UdSSR zu verhindern. Letzteres war vom Revolutionsführer aber nie wirklich angestrebt worden. Khomeinis früherer Slogan lautete: „weder Ost noch West, sondern die Islamische Republik“ (Asinovsky, 2018).
- 7.
Die Ideologie der iranischen Revolution kann als eine komplexe Kombination aus Panislamismus, politischem Populismus und aus schiitisch-islamischem Radikalismus verstanden werden. In jedem Fall war die Bewegung stark von antiwestlichem Sentiment dominiert, welches die iranische Politik noch heute maßgeblich bestimmt (Moaddel, 1995).
- 8.
Im Persischen lautet der Ruf „Marg bar Āmrikā“ und wird im Iran oft auch mit „Down with America“ übersetzt.
- 9.
„Der Hass auf den Iran wegen der Geiselkrise prägt die amerikanische Politik bis heute – mehr als man sich das vorstellen kann. Er beeinflusst jeden Gedanken an den Iran.“ Col. Lawrence Wilkerson, Berater des US-Generalstabschefs (1989–1993), in „Der endlose Krieg: Iran – Israel – USA“. Dokumentarfilm ARTE, 2021.
- 10.
- 11.
- 12.
Der Begriff „Golfkrieg“ bezieht sich auf Kriege zwischen und in den Anrainerstaaten des Persischen Golfs: 1) Golfkrieg zwischen Irak und Iran von 1980–1988; 2) Golfkrieg („Erster Irakkrieg“), 1990/1991; 3) Golfkrieg („Zweiter Irakkrieg“), 2003.
- 13.
Geäußert in „Der endlose Krieg: Iran – Israel – USA“, Dokumentarfilm ARTE, 2021.
- 14.
Der Iran erlaubte den USA beispielsweise die Nutzung seines Luftraums. Zu dieser Zeit war der Ausbruch aus der Isolation für das Regime überlebenswichtig, nachdem das Land durch den zerstörerischen Krieg mit dem Irak sprichwörtlich am Boden lag (Ghazvinian, 2020, S. 389–392).
- 15.
Ohne die iranischen Revolutionsgarden wäre es sowohl beim militärischen Einsatz als auch bei der Nachkriegsordnung erheblich schwieriger gewesen, Lösungen in Afghanistan zu finden (ebd.).
- 16.
Geäußert in „Der endlose Krieg: Iran – Israel – USA“, Dokumentarfilm ARTE, 2021.
- 17.
Interview mit dem ehemaligen französischen Botschafter in Iran, François Nicoullaud (2001–2005).
- 18.
Die Bezeichnung „Schurkenstaat“ wählte US-Präsident Trump u.a. bei seiner ersten Rede vor der UN-Vollversammlung am 19. September 2017.
- 19.
In seiner „Axis of Evil“-Rede nutzte Bush jun. eine ähnliche rhetorische Figur: „Die USA werden den gefährlichsten Regimen der Welt nicht erlauben, uns mit den zerstörerischsten Waffen der Welt zu bedrohen.“
- 20.
Die Ansprache fand an „Nowruz“ (= persisches Neujahrsfest) im Jahr 2009 statt und sollte die neue US-Iranpolitik unter Barack Obama vorbereiten. Daraufhin kam 2013 auch ein Telefonat zwischen dem US-Präsidenten und dem Revolutionsführer zustande – erstmals seit 1979.
- 21.
Barack Obamas Ansprache stand in starkem Kontrast zur „Axis of Evil“-Rede von George W. Bush, die als Metapher keinen Unterschied zwischen Volk und den politischen Führern macht, sondern das ganze Land angreift. Dies beendete nicht nur den sich gerade abzeichnenden Dialog, sondern schuf auch einen Moment der nationalen Einheit in der Islamischen Republik Iran, da sich viele Menschen in ihrem Widerstand gegen diesen verbalen Angriff vereint sahen (Heradstveit & Bonham, 2007, S. 437).
- 22.
Cengiz (2019) verweist darauf, dass in den USA, insbesondere in politisch (und religiös) rechten Kreisen, ein manichäisches Weltbild vorherrscht, das die Welt in Gut und Böse unterteilt. Obamas Atomabkommen mit Iran stellte daher nicht nur ein Zeichen der Schwäche dar, sondern in gewisser Weise auch ein Pakt mit dem „Bösen“ und eine (vermeintliche) Gefahr für den Weltfrieden (Cengiz, 2019, S. 5).
- 23.
In ähnlicher Weise argumentiert Jervis (2017), dass besonders traumatische Erfahrungen die Identität und Politik eines Landes prägen, da sie in das kollektive Bewusstsein eingehen und das außenpolitische Denken für mehrere Generationen einschränken können (Jervis, 2017, S. 266). Das Argument von Jervis passt zur Logik der „Selbstverstärkung“ – ganz im Sinne von komplementären Kräften oder Institutionen, welche die ursprünglichen außenpolitischen Haltungen pfadabhängig aufrechterhalten.
- 24.
Rona Barrett: “Obviously you’re advocating that we should have gone in there with troops, et cetera, and brought our boys out like Vietnam.” Donald Trump: “I absolutely feel that, yes. I don’t think there’s any question, and there is no question in my mind. I think right now we’d be an oil-rich nation, and I believe that we should have done it, and I’m very disappointed that we didn’t do it, and I don’t think anybody would have held us in abeyance” (zitiert in Wright, 2020).
- 25.
In den sozialen Medien wurde ein Bild verbreitet, das Donald Trump beim Golfen im Schatten einer Drohne zeigt. Für eine Diskussion über die normativen Implikationen des Angriffs auf Soleimani siehe Sicherheitspod (2020), Folge 22: USA vs. Iran und Kampfflugzeug der Zukunft.
- 26.
Diese Begriffsdefinition ist eine Ableitung des Strategiebegriffs in The Oxford English Dictionary und in Der Große Brockhaus.
- 27.
Im antiken Griechenland bedeutete dies, dass alle demokratischen Ämter von jedem Mitglied der Polis bekleidet werden konnten – mit Ausnahme des Strategen, der ein Mindestalter und mehrere Jahre militärische Erfahrung haben musste (Schwanitz, 1999, S. 52).
- 28.
Anlässlich der Proteste tweetete Trump Folgendes (erstmals sogar auf „Farsi“ [= persische Amtssprache] übersetzt): „The noble people of Iran, who love America, deserve a government that will help them achieve their dreams, rather than focus on killing them for revenge…Make Iran great again!“ (Ghazvinian, 2020, S. 534).
- 29.
Auch in der Konfrontation mit Nordkorea benutzte US-Präsident Trump eine martialische Rhetorik, wie „they will be met with fire and fury like the world has never seen“, was Zweifel an seiner Vernunft aufkommen ließ (Walt, 2017).
- 30.
Vgl. The Iran Primer, Poll: Iranians on Nuclear Program, Talks, October 20, 2021, https://iranprimer.usip.org/blog/2021/oct/20/poll-iranians-nuclear-program-talks.
- 31.
Für eine Diskussion des iranischen Raketenprogramms siehe: Sicherheitspod (2019), Folge 20: Raketen, Raketen, Raketen │ Macron, AKK und NATO.
- 32.
„Change continues, but it is bounded change – until something erodes or swamps the mechanisms of reproduction that generate institutional continuity“ (Pierson, 2000, S. 76).
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Helferich, J.N.T. (2023). Pfadabhängigkeiten und Verfügbarkeitsheuristiken als Determinanten von Außenpolitik. Die US-Iranpolitik unter Donald Trump. In: Arnautović, S., Matlé, A., Wiedekind, J. (eds) Transatlantische Perspektiven unter Obama und Trump. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-41564-8_17
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