Im Folgenden werden die Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen Emotionsregulation und Depression im Alter diskutiert und zusammengefasst. Es werden Stärken und Limitationen dieser Untersuchung aufgeführt und aus den Limitationen zentrale Implikationen für zukünftige Forschungsvorhaben abgeleitet. Abschließend werden theoretische und klinisch-praktische Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen gezogen. Dafür werden u. a. Überlegungen zur Konzeption eines altersspezifischen Behandlungsprogramms zur Förderung emotionaler Kompetenzen vorgenommen.

6.1 Diskussion der Befunde

Der Aufbau der Diskussion orientiert sich an der Reihenfolge, wie sie in den Fragestellungen und Hypothesen (siehe Abschnitt 3.6) sowie in den Ergebnissen (siehe Kapitel 5) dargestellt wurde. Zunächst werden die Befunde zum Zusammenhang zwischen Emotionsregulation und Wohlbefinden in der Allgemeinbevölkerung sowie der Vergleich der depressiven Patient:innen mit gesunden Befragten im höheren Lebensalter diskutiert. Abschließend wird der Einfluss der Emotionsregulationskompetenz auf den Erfolg einer klinischen Depressionsbehandlung betrachtet.

6.1.1 Fragestellung 1: Emotionsregulation und Wohlbefinden

Ziel der Untersuchung war es, einen Eindruck über die Rolle der Emotionsregulation im Hinblick auf den Affekt und das Wohlbefinden im Alter zu gewinnen. Dafür wurde eine naturalistische Stichprobe aus der Allgemeinbevölkerung (Gruppe 2) hinsichtlich des Zusammenhangs von Emotionsregulationskompetenzen, Emotionsregulationsstrategien und verschiedenen Affektvariablen untersucht. Zur besseren Differenzierung wurde darüber hinaus eine Gruppe gesunder Studienteilnehmender aus der naturalistischen Stichprobe extrahiert und zusätzlich bezüglich spezifischer Fragestellungen untersucht. Affektvariablen, die in die Analysen einbezogen wurden, waren positiver und negativer Affekt, Depression und Wohlbefinden. Das Wohlbefinden wurde anhand des Stimmungsniveaus und der allgemeinen Lebenszufriedenheit operationalisiert. In zusätzlichen Analysen wurde der Frage nachgegangen, ob Emotionsregulation neben bekannten Faktoren wie soziale Kontakte oder psychische Belastungen einen relevanten Beitrag zum Wohlbefinden leistet.

Deskriptive Analyse der Affekte, Emotionsregulationskompetenzen und -strategien

Im Einklang mit anderen Studien (Barrick et al., 1989; Carstensen et al., 2000; Charles, et al., 2001; Gross et al., 1997; Mroczek & Kolarz, 1998) weisen die Ergebnisse dieser Studie darauf hin, dass der positive Affekt im Alter eine stabile Größe darstellt und dass Menschen im höheren Lebensalter besonders erfolgreich in der Aufrechterhaltung der positiven Affektivität sind. Anhand der verschiedenen Affektskalen konnte gezeigt werden, dass im Alter positiver Affekt deutlich häufiger als negativer Affekt erlebt wird (siehe Tabelle 5.1).

Aber warum sind Menschen im höheren Lebensalter so erfolgreich darin, positiven Affekt und damit ihr Wohlbefinden zu steigern oder zumindest für eine gewisse Zeit zu stabilisieren? Eine wachsende Anzahl von Studien konnte zeigen, dass Menschen im höheren Lebensalter mithilfe von Emotionsregulationsstrategien Stresssituationen bewusst begrenzen bzw. vermeiden (Charles & Carstensen, 2007). Zwischenmenschliche Probleme sind die häufigsten und mit starker Belastung einhergehenden emotionalen Erfahrungen, die von jüngeren, mittleren und älteren Erwachsenen berichtet werden (Almeida & Horn, 2004). Nach der sozioemotionalen Selektivitätstheorie (Carstensen et al., 2007) verringern Menschen im höheren Lebensalter ihr soziales Netzwerk und legen ihren Fokus auf Beziehungen und Kontakte mit hoher emotionaler Bedeutsamkeit (siehe Abschnitt 3.3.2.4). Mit dem Ziel ihr Wohlbefinden im gegenwärtigen Moment zu steigern, wird zwar die Anzahl der sozialen Kontakte verringert, allerdings verbleiben nach dieser Selektion die Kontakte, durch welche soziale Eingebundenheit, Vertraulichkeit und Intimität erlebt werden – Kontakte, die einen positiven Einfluss auf das Wohlbefinden haben (Carstensen, 1992; Scheibe et al., 2009). Die vorliegenden Befunde werden vor dem Hintergrund der sozioemotionalen Selektion erklärt. Sie unterstützen zudem andere aktuelle Befunde, die ebenfalls davon ausgehen, dass junge Alte bestrebt sind, ihr Wohlbefinden im gegenwärtigen Moment zu steigern bzw. aufrechtzuerhalten und sie zeigen, dass der Selektionsprozess für eine hohe emotionsregulatorische Kompetenz spricht (Carstensen et al., 2006; Charles & Carstensen, 2007).

Emotionsregulationskompetenzen, die mithilfe des SEK-27 erhoben wurden, befanden sich insgesamt im mittleren bis hohen Bereich (siehe Tabelle 5.2). Dieses Ergebnis stimmt mit vorherigen Forschungsergebnissen überein (Blanchard-Field, 2007; Carstensen et al., 2003) und spricht für die Annahme eines Zugewinns an emotionaler Kompetenz im Alter. Dieser Zugewinn ergibt sich zum einen durch die Lebenserfahrung, die den effektiven und funktionalen Einsatz von Emotionsregulationskompetenzen begünstigt und zum anderen dadurch, dass Menschen im höheren Lebensalter eine höhere Bereitschaft zeigen, ihre Emotionen dahingehend zu regulieren, dass das Wohlbefinden im gegenwärtigen Moment gesteigert oder zumindest stabilisiert wird (Carstensen et al., 2006; Charles & Carstensen, 2007). Es zeigten sich bezüglich der Häufigkeit des Einsatzes der verschiedenen Kompetenzen nur geringe Unterschiede. Die Kompetenz, deren Einsatz am häufigsten berichtet wurde, war die Klarheit von Emotionen. Die Menschen im höheren Lebensalter schätzen ihre Fähigkeit, die eigenen Emotionen klar zu erkennen, demnach als besonders hoch ein. Diese Kompetenz liefert die Basis, um eine Emotion in einem nächsten Schritt zu benennen. Dadurch wird abgespeichertes Wissen zum Umgang mit dieser Emotion abgerufen und eine zielgerichtete Emotionsregulation erfolgt.

Der Einfluss von Emotionsregulationskompetenz auf den Affekt

Im Rahmen einer weiteren Untersuchung wurde der Zusammenhang zwischen Emotionsregulationskompetenz und Affekt untersucht. Dabei wurde aufgrund vorheriger Untersuchungen davon ausgegangen, dass positive Zusammenhänge zwischen Emotionsregulationskompetenz und positivem Affekt sowie Wohlbefinden vorliegen und negative Zusammenhänge mit negativem Affekt und Depression (Barnow et al., 2020; Charles & Carstensen, 2007; John & Gross, 2004; Orgeta, 2011). Wie erwartet, bestätigten die Ergebnisse die vermuteten Zusammenhänge: Je höher die Emotionsregulationskompetenz bei den Erwachsenen im höheren Lebensalter ausgeprägt war, desto höher waren der positive Affekt und das Wohlbefinden und desto geringer waren negativer Affekt und depressive Symptome (siehe Tabelle 5.4).

Um einen ersten Eindruck davon zu erhalten, welche Kompetenzen im höheren Lebensalter eine Schutzfunktion gegenüber psychischen Belastungen einnehmen, wurden die Zusammenhänge der Kompetenzen und der Affektvariablen im Einzelnen betrachtet. Kompetenzen, die sich über alle Affektvariablen hinweg als bedeutsam erwiesen, waren Akzeptanz, Regulationskompetenz und Resilienz (siehe Tabelle 5.4 & 5.5). Diese werden im Folgenden ausführlich diskutiert.

Vorherige Forschungsbefunde, die zeigten, dass Akzeptanz eine besonders bevorzugte und effektive Strategie im höheren Lebensalter darstellt, konnten repliziert werden (Barnow et al., 2019; Charles et al., 2009; Scheibe et al., 2015; Schirda et al., 2016). Es wird davon ausgegangen, dass Akzeptanz besonders dann effektiv ist, wenn eine Situation als wenig kontrollierbar wahrgenommen wird. Beispielsweise dann, wenn Personen das Gefühl haben, dass die belastende Situation nicht mehr durch aktive Maßnahmen beeinflussbar ist. Im höheren Lebensalter kommt es immer häufiger zu solchen Situationen, in denen ein Kontrollverlust wahrgenommen wird, wie beispielsweise beim Verlust von Bezugspersonen oder bei schweren Erkrankungen (siehe Abschnitt 3.3.2.4). Belastende Emotionen, die in diesen Situationen entstehen, zuzulassen, für eine gewisse Zeit bewusst zu erleben und zu akzeptieren, scheint besonders im höheren Lebensalter hilfreich bei der Verringerung des negativen Affekts und depressiver Symptome zu sein (Barnow et al., 2019). Ein akzeptierender Verarbeitungsstil kann als eine Komponente des erfolgreichen Alterns verstanden werden (Brassen et al., 2012; Scheibe et al., 2015) sowie als protektiver Faktor gegenüber psychischen Belastungen wie Depressionen oder Angststörungen (Ehring et al., 2008; Eifert & Heffner, 2003; Hofmann et al., 2010).

Auch die Relevanz der Regulationskompetenz konnte vormals bereits gezeigt werden. Studien, die das frühe und mittlere Erwachsenenalter hinsichtlich emotionsregulativer Kompetenzen und deren Einfluss auf negativen Affekt und depressive Symptomatik untersucht haben, fanden ebenfalls negative Zusammenhänge mit Regulationskompetenz (Radkovsky et al., 2014; Wirtz et al., 2014). Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung liefern erste Hinweise darauf, dass Regulationskompetenz auch im höheren Erwachsenenalter einen relevanten Einfluss besonders auf den positiven Affekt hat. Allerdings zeigen sich ebenso negative Zusammenhänge mit negativem Affekt und Depression, sodass davon ausgegangen werden kann, dass eine systematische Förderung dieser Kompetenz einerseits zur Steigerung des Wohlbefindens und andererseits zur Verringerung des Risikos, eine Depression zu entwickeln, beitragen kann.

Die Ergebnisse dieser Studie stimmen mit früheren Befunden zu negativen Zusammenhängen zwischen den Kompetenzen Akzeptanz und Regulationskompetenz und negativem Affekt bzw. depressiven Symptomen in gesunden, aber auch in klinischen Stichproben überein (Barnow et al., 2019; Ehring et al., 2008; Eifert & Heffner, 2003; Hofmann et al., 2010; Radkovsky et al., 2014; Wirtz et al., 2014). Sie gehen allerdings über die bisherigen Forschungsbefunde hinaus, indem sie erstmals einen Hinweis darauf liefern, dass Resilienz im höheren Lebensalter eine bedeutende Strategie in Bezug auf depressive Symptome darstellt. Resilienz stellte sich in dieser Studie als Kompetenz mit den höchsten Zusammenhängen zu allen Affektvariablen heraus.

Dass Resilienz besonders im höheren Lebensalter einen Beitrag zur Aufrechterhaltung eines positiven Selbstwertgefühls und damit auch zur Aufrechterhaltung des Wohlbefindens leistet, ist nicht gänzlich neu (Staudinger, Freund, Linden & Maas, 1996; Staudinger & Greve, 2001). Staudinger, Marsiske und Baltes (1993) formulierten in diesem Kontext neben den zwei bekanntesten Aspekten von Resilienz – der Wiederherstellung des Funktionsniveaus nach einem erlebten Trauma und dem Erhalt des Funktionsniveaus trotz einschränkender Umstände – einen dritten Aspekt, der sich spezifisch auf Personen im höheren Lebensalter bezieht. Sie bezeichnen diesen dritten Aspekt als „Verlustmanagement“ und verstehen darunter die Fähigkeit, zur Verfügung stehende Ressourcen nicht mehr für Wachstumsprozesse aufzuwenden, sondern diese Ressourcen eher in Anpassungsprozesse zu investieren, um mit dem Alter einhergehende Verluste bestmöglich zu kompensieren.

Die zusätzliche Untersuchung lediglich der gesunden Personen aus der Allgemeinbevölkerung bestätigte die Relevanz der drei Kompetenzen Akzeptanz, Regulationskompetenz und Resilienz. Des Weiteren wurde die Relevanz durch multiple Regressionsanalysen bestätigt (siehe Tabelle 5.5). Alle drei Kompetenzen erwiesen sich bezüglich des Wohlbefindens im höheren Erwachsenenalter als signifikante Prädiktoren und werden als prädiktiv valide betrachtet. Es konnte gezeigt werden, dass bei Erwachsenen im höheren Lebensalter ein vergleichsweise hoher Anteil des Wohlbefindens durch diese drei Kompetenzen erklärt werden kann.

Der Einfluss von Emotionsregulationsstrategien auf den Affekt

Mit dem SEK-27 wurde ein breites Spektrum emotionaler Kompetenzen erfasst, die zum größten Teil der eigentlichen Regulation von Emotionen vorausgehen. Emotionen werden zunächst einmal wahrgenommen und korrekt identifiziert und ein Auslöser für die Emotion wird ausfindig gemacht. Erst in einem weiteren Schritt kommt es dann zur eigentlichen Regulation der Emotion, bei der verschiedene Strategien eingesetzt werden. Neben den emotionalen Kompetenzen werden mit dem SEK-27 zwei Strategien erfasst: Akzeptanz und gezielte Regulation von Emotionen. Um den Einfluss weiterer Strategien zu untersuchen, wurde der CERQ eingesetzt, der verschiedene kognitive Emotionsregulationsstrategien erfasst. Dabei wird zwischen adaptiven sowie maladaptiven Strategien unterschieden. Zu den in der gegenwärtigen Literatur als eher adaptiv klassifizierten Strategien gehören Akzeptanz, positive Refokussierung, Refokussierung auf Planung, positive Neubewertung und Relativieren. Zu den maladaptiven Strategien gehören Selbstbeschuldigung, Rumination, Katastrophisieren und Andere beschuldigen.

Die Ergebnisse zeigen, dass gesunde Menschen im höheren Lebensalter häufiger adaptive als maladaptive Strategien einsetzen (siehe Tabelle 5.3). Dieser Befund repliziert die Ergebnisse von Schirda et al. (2016), die ebenfalls fanden, dass gesunde Erwachsene im höheren Lebensalter häufiger adaptive als maladaptive Strategien nutzen. Der häufigere Einsatz von adaptiven Strategien kann damit erklärt werden, dass im höheren Erwachsenenalter die Optimierung des Wohlbefindens ein Ziel ist, das immer mehr an Bedeutung gewinnt (Carstensen et al., 1999). Adaptive Strategien ermöglichen es, angemessen und bedürfnisorientiert auf affektauslösende Situationen zu reagieren. Ausgelöster Affekt wird dahingehend reguliert, dass bewusst Einfluss darauf genommen wird, welche Emotionen wann und in welcher Intensität empfunden werden (Gross & Feldman Barret, 2011). Die Fähigkeit, Emotionen situationsangemessen und bedürfnisorientiert durch den Einsatz von adaptiven Strategien zu regulieren, wird eng mit Wohlbefinden verknüpft (Gross, 1998b; Gross & John, 2003). Mit dem Ziel der Affektoptimierung werden demnach im Alter vermehrt adaptive Strategien verwendet, da damit aktiv Einfluss auf die Dauer und Intensität emotionaler Zustände genommen werden kann und so positiver Affekt und Wohlbefinden aufrechterhalten bzw. gesteigert werden (Thompson, 1994).

Der vermehrte Einsatz adaptiver Strategien entspricht zudem der Idee des Positivitätseffekts, der in Abschnitt 3.3.2.4 beschrieben wurde. Es kann davon ausgegangen werden, dass gesunde Menschen im höheren Lebensalter positive Reize präferieren, um ihr Wohlbefinden im gegenwärtigen Moment zu steigern und ihre emotionale Balance aufrechtzuerhalten. Um dies zu erreichen, nutzen sie häufiger adaptive Strategien, da diese eine affektoptimierende Wirkung haben und sich positiv auf das Wohlbefinden auswirken. Der vermehrte Einsatz adaptiver Strategien basiert dabei nicht lediglich auf Erfahrungen, die im Verlauf des Lebens gemacht wurden, sondern scheint, nach dem Positivitätseffekt, vielmehr eine Folge altersspezifischer motivationaler Veränderungen zu sein (Reed & Carstensen, 2012).

Des Weiteren wurde der Zusammenhang zwischen den Emotionsregulationsstrategien und den verschiedenen Affektvariablen untersucht (siehe Tabelle 5.6). Aufgrund vorheriger Untersuchungen wurde davon ausgegangen, dass positiver Affekt und Wohlbefinden hoch mit adaptiven Regulationsstrategien assoziiert sind, während der negative Affekt und Depression stärker von maladaptiven Strategien beeinflusst werden (Barnow et al., 2020; Charles & Carstensen, 2007; Garnefski et al., 2002a; Garnefski & Kraaij, 2006; Gross & John, 2003; Orgeta, 2011).

Die erwarteten Zusammenhänge konnten in der vorliegenden Untersuchung größtenteils bestätigt werden. Es zeigte sich, dass positive Refokussierung, positive Neubewertung und Relativieren die höchsten Zusammenhänge mit dem positiven Affekt und dem Wohlbefinden aufwiesen, weshalb diese Zusammenhänge im Folgenden diskutiert werden.

Um den positiven Affekt und das Wohlbefinden aufrechtzuerhalten, beschäftigen sich Menschen im höheren Lebensalter beim Erleben belastender Ereignisse gedanklich mit anderen, angenehmeren Dingen. Sie lenken sich von dem negativen Ereignis ab und vermeiden die gedankliche Auseinandersetzung (siehe Abschnitt 3.3.2.4). Neben dieser positiven Refokussierung, die auch als Ablenkung beschrieben werden kann, scheint bei der Aufrechterhaltung des positiven Affekts ebenso die positive Neubewertung eine bedeutende Rolle zu spielen. Dabei wird einem belastenden Ereignis aus der Vergangenheit gedanklich eine positive und weniger belastende Bedeutung zugeschrieben. Darüber hinaus hat der Vergleich eines belastenden Ereignisses mit anderen negativen Ereignissen einen Einfluss auf den positiven Affekt und das Wohlbefinden. Durch dieses Relativieren wird das Ereignis aus einer anderen Perspektive betrachtet und, gemessen an subjektiv schlimmeren Ereignissen, gedanklich heruntergespielt. Das Relativieren hat anteilig außerdem einen vermeidenden Charakter, da keine Auseinandersetzung mit dem belastenden Ereignis stattfindet, sondern lediglich ein leidvolleres Ereignis in den Vordergrund rückt, das möglicherweise bereits akzeptiert wurde. Relativieren wird im Allgemeinen als adaptive Strategie bezeichnet, während Vermeidung als eher maladaptiv betrachtet wird. Diese Klassifikation kann sinnvoll sein, muss aber im Rahmen einer flexiblen Emotionsregulation überprüft werden. Auf den aktuellen Ansatz der Emotionsregulationsflexibilität und auf die Idee, die Effektivität von Regulationsstrategien situationsbezogen zu erfassen, wurde in Abschnitt 3.3.2.3 eingegangen. Es ist zukünftig zu untersuchen, inwiefern altersspezifische Unterschiede bezüglich der Effektivität bestimmter Regulationsstrategien existieren. Denkbar wäre es, dass die Vermeidung sich beispielsweise mit bestimmten Themen wie Tod und Vergänglichkeit auseinanderzusetzen, einen positiven Effekt auf das Wohlbefinden hat und emotionales Gleichgewicht fördert. In diesem Falle ist zu klären, ob bei der häufigen Anwendung dieser Strategie im Alter von einem eher maladaptiven emotionsregulatorischen Stil gesprochen werden kann oder ob die Adaptivität dieser Strategie abhängig vom Kontext und vom Ziel des Individuums variiert (Aldao et al., 2016; Barnow et al., 2020).

Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen Zusammenhänge zwischen positiver Refokussierung und Relativieren sowie Wohlbefinden und betonen damit die Relevanz dieser beiden Strategien für die adaptive Regulation von Emotionen im höheren Erwachsenenalter. Damit unterstützen sie vorherige Forschungsbefunde, die ebenfalls zeigten, dass gesunde Menschen im höheren Lebensalter häufiger Strategien wie Ablenkung oder Vermeidung zur Regulation von Emotionen nutzen (Charles et al., 2009; Phillips et al., 2008; Scheibe et al., 2015). Erklärt werden diese Befunde damit, dass im hohen Alter altersbezogene Ressourcenverluste kompensiert werden. Ein Großteil der Ressourcen wird genutzt, um das Wohlbefinden zu stabilisieren und das emotionale Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Strategien wie Ablenkung, Vermeidung oder Akzeptanz nehmen einen geringen Teil der kognitiven Ressourcen in Anspruch und werden aus diesem Grund von Erwachsenen im höheren Lebensalter zur Regulation belastender Emotionen möglicherweise häufiger genutzt.

Über die bisherigen Forschungsbefunde hinaus leisten die Ergebnisse dieser Studie einen Beitrag zur Klärung der Bedeutung von positiver Neubewertung im höheren Erwachsenenalter. Zur Rolle dieser Strategie liegen derzeit heterogene Befunde vor: Einige Studien konnten zeigen, dass im Alter positive Neubewertung im Vergleich zu anderen Strategien bevorzugt angewendet wird (Garnefski & Kraaij, 2006; John & Gross, 2004). Andere Studien weisen darauf hin, dass Menschen im höheren Lebensalter seltener Neubewertung nutzen, da diese Strategie eher zu den kognitiv aufwendigeren Strategien gehört (Charles et al., 2009; Scheibe et al., 2015). In der vorliegenden Untersuchung wurden moderat positive Zusammenhänge zwischen positiver Neubewertung und positivem Affekt sowie Wohlbefinden gefunden. Damit werden bisherige Befunde, die von der Relevanz dieser Strategie zur Stabilisierung des Wohlbefindens im Alter und somit von einer häufigeren Nutzung durch gesunde Menschen im höheren Lebensalter ausgehen, unterstützt (Garnefski & Kraaij, 2006; John & Gross, 2004).

Die Ergebnisse dieser Studie weisen darauf hin, dass positive Neubewertung im höheren Erwachsenenalter in einem positiven Zusammenhang mit positivem Affekt steht und das Wohlbefinden beeinflusst. Zukünftig sollte allerdings untersucht werden, ob sich die bisherigen heterogenen Befunde tatsächlich gegenseitig ausschließen. Ob positive Neubewertung im Vergleich zu anderen Strategien im Alter bevorzugt oder aufgrund hoher kognitiver Beanspruchung eher vermieden wird, ist möglichweise abhängig von intraindividuellen Faktoren. Vorstellbar ist es, den Einfluss verschiedener moderierender Faktoren, wie Bildungsniveau, oder Persönlichkeitsmerkmale, wie Offenheit für neue Erfahrungen, zu untersuchen.

Akzeptanz hat sich besonders im höheren Lebensalter als bedeutsamer Faktor für Wohlbefinden herausgestellt (Barnow et al., 2019; Brassen et al., 2012). Umso erstaunlicher und entgegen den Erwartungen war es, dass die Akzeptanz als Emotionsregulationsstrategie in dieser Untersuchung keine bedeutende Rolle spielte und sich lediglich schwache Zusammenhänge zeigten. Im Rahmen der Untersuchung der Emotionsregulationskompetenzen zeigte sich allerdings ein stark positiver Zusammenhang mit dem positiven Affekt und moderat positive Zusammenhänge mit Wohlbefinden. Eine mögliche Erklärung kann in der Auswahl der Erhebungsverfahren liegen. Emotionsregulationskompetenzen wurden mit dem SEK-27 und Emotionsregulationsstrategien mit dem CERQ erhoben. Denkbar wäre es, dass die gefundenen Unterschiede darauf zurückzuführen sind, dass beide Verfahren eine unterschiedliche Konzeptualisierung von Akzeptanz vornehmen. Beim CERQ wird Akzeptanz als eine Strategie konzeptualisiert, bei der das Individuum ein belastendes Ereignis eher passiv hinnimmt: „Ich denke, dass ich lernen muss, damit zu leben.“ (Loch et al., 2011). Diese Beschreibung kommt eher einer Resignation gleich, in der das belastende Ereignis nicht legitimiert, sondern eher geduldet oder passiv ertragen wird. Der SEK-27 konzeptualisiert Akzeptanz als eine aktive Strategie, die eine gewisse Zustimmung mit der Situation vermittelt: „…konnte ich auch negative Gefühle annehmen“ (Berking & Znoj, 2008). Diese Beschreibung hat eher einen mitwirkenden Charakter und wird möglicherweise deshalb als adaptiv aufgefasst, was das unterschiedliche Ergebnis in beiden Verfahren erklären könnte.

Die Zusammenhänge der verschiedenen Regulationsstrategien mit Depression replizieren weitgehend die Befunde aus anderen Altersgruppen: Als adaptiv klassifizierte Strategien korrelieren negativ, als maladaptiv klassifizierte Strategien korrelieren positiv mit depressiven Symptomen (Berking et al., 2010; Garnefski & Kraaij, 2006; Gross, 1999; Gross & Levenson, 1997). Die Zusammenhänge mit den als adaptiv klassifizierten Strategien fielen mit Ausnahme für Katastrophisieren insgesamt höher aus als jene mit maladaptiven Strategien. Die Zusammenhänge mit den maladaptiven Strategien fielen so gering aus, dass es lediglich schwache Zusammenhänge zur Depressivität, zumindest bei den Menschen im höheren Lebensalter aus der Allgemeinbevölkerung, zu geben scheint. Strategien, die zwar den höchsten Einfluss, aber nichtdestotrotz lediglich schwache Korrelationen zeigten, waren Katastrophisieren, positive Refokussierung und positive Neubewertung. Bei gesunden Menschen im höheren Lebensalter scheint somit eher die Förderung adaptiver Strategien eine Schutzfunktion gegenüber depressiver Symptomatik darzustellen. Erstaunlich war zudem die schwache Korrelation von Depression und Selbstbeschuldigung in dieser Altersgruppe. Ein vermindertes Selbstwertgefühl und Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit stellen, zumindest im jungen und mittleren Erwachsenenalter, Kriterien zur diagnostischen Entscheidungsfindung einer depressiven Störung dar und werden als ein häufiger Bestandteil der depressiven Symptomatik angesehen (Hautzinger, 2000). Möglicherweise spielen Symptome auf der imaginativ-kognitiven Ebene bei der Depression im Alter eine weniger relevante Rolle als Symptome beispielsweise auf der motorisch-behavioralen Ebene, wie eine geringe Aktivitätsrate oder wie Symptome auf der physiologisch-vegetativen Ebene, wie Energielosigkeit, Schlafstörungen oder Appetitverlust (Hegeman et al., 2015).

Entgegen den Erwartungen zeigten sich zwar schwache, aber dennoch signifikant positive Zusammenhänge zwischen Depression und Akzeptanz. Auch hier kann die Erklärung in der Konzeptualisierung der Akzeptanz durch den CERQ liegen. Wird Akzeptanz eher als Resignation verstanden, dann ließe sich dadurch die unerwartete Wirkrichtung bei einer Stichprobe aus der Allgemeinbevölkerung erklären.

Die berichteten Zusammenhänge zwischen Emotionsregulationsstrategien und den verschiedenen Affektvariablen zeigten sich sowohl in der naturalistischen Stichprobe als auch in der Tendenz bei den gesunden Personen aus der Allgemeinbevölkerung und bekräftigen damit die Ergebnisse.

Zusammenfassung

Die vorliegende Studie ergänzt die bestehende Literatur, indem sie die verschiedenen Emotionsregulationskompetenzen und -strategien in der gleichen Untersuchung miteinbezieht und ihren gemeinsamen Beitrag am Wohlbefinden untersucht. Des Weiteren wurden erstmals Daten von Emotionsregulationskompetenzen sowie von Emotionsregulationsstrategien an einer vergleichsweise großen Stichprobe von Personen im höheren Erwachsenenalter aus der Allgemeinbevölkerung erhoben.

Vorherige Studien konnten zeigen, dass gesunde Menschen im höheren Lebensalter häufiger positiven Affekt als negativen Affekt erleben (Barrick et al., 1989; Carstensen et al., 2000; Charles et al., 2001; Gross et al., 1997; Mroczek & Kolarz, 1998) und dass es bei jungen Alten zu einem Zuwachs an emotionaler Kompetenz kommt (Blanchard-Field, 2007; Carstensen et al., 2003). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Ergebnisse dieser Studie die aufgeführten Befunde replizieren und somit einen Beitrag zur Klärung der derzeit heterogenen Befundlage leisten.

Bezüglich der Emotionsregulationskompetenzen zeigten sich die erwarteten Zusammenhänge: Je höher die Emotionsregulationskompetenz, desto höher das Wohlbefinden und desto geringer depressive Symptome. Die vorliegende Untersuchung bestätigt die Bedeutsamkeit von Akzeptanz und Regulationskompetenz zur Aufrechterhaltung des Wohlbefindens im höheren Erwachsenenalter und konnte darüber hinaus zeigen, dass sich Resilienz ebenfalls zur Steigerung des Wohlbefindens sowie als protektiver Faktor bezüglich depressiver Symptome eignet.

Neben den Emotionsregulationskompetenzen wurden zusätzlich spezifische Emotionsregulationsstrategien untersucht. Vorherige Befunde, die zeigten, dass gesunde Menschen im höheren Lebensalter häufiger adaptive als maladaptive Strategien einsetzen, konnten repliziert und die Ergebnisse in aktuelle Konzepte und Theorien zum emotionalen Altern eingebettet werden. Bei der Aufrechterhaltung des Wohlbefindens, aber auch bei der Verringerung depressiver Symptome scheinen die als adaptiv klassifizierten Strategien positive Neubewertung, positive Refokussierung und Relativieren eine bedeutende Rolle zu spielen. Die bevorzugte Nutzung der positiven Refokussierung und des Relativierens im Alter konnte damit bestätigt werden. Des Weiteren konnte ein Beitrag zum besseren Verständnis der noch unklaren Rolle der positiven Neubewertung im höheren Erwachsenenalter geleistet werden. Die Ergebnisse geben zudem einen Hinweis darauf, dass möglicherweise die Förderung von positiver Refokussierung und positiver Neubewertung, beispielsweise im Rahmen von Präventionsprogrammen, das Risiko eine Depression im Alter zu entwickeln, verringert.

Ziel der Studie war es, einen ersten übergeordneten Eindruck über Zusammenhänge von Emotionsregulation und Wohlbefinden im höheren Erwachsenenalter zu gewinnen. Das Wissen über diese Zusammenhänge kann zum einen genutzt werden, um beispielsweise altersspezifische Präventionsmaßnahmen zu konzipieren, die das Risiko, eine Depression im Alter zu entwickeln, verringern. Zum anderen ist dieses Wissen besonders relevant im Bereich der Therapie und Behandlung von älteren Patient:innen, die bereits unter Depressionen leiden. Die Ergebnisse erlauben erste Hinweise darauf, dass Emotionsregulation eine bedeutende Rolle auch im höheren Erwachsenenalter spielt. Emotionsregulationskompetenz steht in einem Zusammenhang mit der Depression im höheren Erwachsenenalter und hat auch in dieser Altersgruppe Einfluss auf das Wohlbefinden. Darüber hinaus erweist sie sich bezüglich des Wohlbefindens als prädiktiv valide. Bemerkenswert und von praktischer Bedeutung ist zudem, dass Emotionsregulationskompetenz nach Berücksichtigung von Aktivitäten und Kontakten sowie psychischer Belastungen eine zusätzliche Verbesserung der Prognose ermöglicht. Außerdem erweist sie sich als einer der besten bivariaten Prädiktoren bezüglich des Wohlbefindens (siehe Tabelle 5.7). Die Förderung der emotionsregulativen Kompetenz ist dementsprechend auch im höheren Erwachsenenalter sinnvoll. Einen vielversprechenden Ansatz zur Förderung stellen möglicherweise Programme oder Maßnahmen dar, die auf das Training emotionaler Regulationskompetenzen und spezifischer Strategien wie Akzeptanz, Resilienz oder positive Neubewertung abzielen und dabei die spezifischen Bedürfnisse der Altersgruppe berücksichtigen.

6.1.2 Fragestellung 2: Unterschiede in der Emotionsregulation zwischen Menschen mit und ohne Depression

Um Unterschiede in der Emotionsregulationskompetenz, in den einzelnen Kompetenzen der adaptiven Emotionsregulation und in der Nutzung spezifischer Emotionsregulationsstrategien von Menschen im höheren Erwachsenenalter mit und ohne Depression zu untersuchen, wurden aktuell depressive Patient:innen, die sich am Anfang einer tagesklinischen Depressionsbehandlung befanden, mit einer gesunden Kontrollgruppe verglichen.

Vergleich von Emotionsregulationskompetenzen zwischen Menschen im höheren Erwachsenenalter mit und ohne Depression

Das erste Ziel bestand in der Untersuchung von Unterschieden zwischen Menschen im höheren Lebensalter mit und ohne Depression hinsichtlich der Emotionsregulationskompetenz und in den einzelnen Kompetenzen der adaptiven Emotionsregulation. Wie erwartet, zeigten Menschen im höheren Lebensalter mit einer Depression eine geringere Emotionsregulationskompetenz als Menschen ohne Depression. Auch bei der Betrachtung der einzelnen Regulationskompetenzen zeigten sich Unterschiede: Depressive Menschen im höheren Lebensalter wiesen eine geringere Aufmerksamkeit, Körperwahrnehmung, Klarheit, Verstehen, Akzeptanz, Resilienz, Konfrontationsbereitschaft, Selbstunterstützung und Regulation von Emotionen auf als Menschen im höheren Lebensalter ohne Depression (siehe Abbildung 5.1). Dieses Ergebnis steht im Einklang mit vorherigen Befunden aus anderen Altersgruppen, die bei Menschen mit Depression im Vergleich zu Menschen ohne depressive Erkrankung ebenfalls Kompetenzdefizite auf allen Ebenen des adaptiven Regulationsprozesses fanden (Berking et al., 2014; Catanzaro et al., 2000; Ehret, 2014; Ehring et al., 2008; Hofmann et al., 2011; Honkalampi et al., 1999; Kahn & Garrison, 2009; Radkovsky et al., 2014; Rude & McCarthy, 2003; Shallcross et al., 2010).

Im Rahmen einer zusätzlichen Analyse wurde zudem untersucht, welche Kompetenzen im höheren Lebensalter einen Einfluss auf die depressive Symptomatik haben und zur einer Verringerung der Symptomatik effektiv beitragen. Dabei erwiesen sich Aufmerksamkeit, Akzeptanz und Resilienz als bedeutsam. Es zeigte sich, dass erhöhte Aufmerksamkeit und verringerte Akzeptanz sowie Resilienz mit dem Status einer depressiven Störung im Alter assoziiert waren (siehe Tabelle 5.8). Diese Kompetenzen werden im Folgenden ausführlich diskutiert.

Entgegen den Erwartungen scheint eine erhöhte Aufmerksamkeit für Emotionen eine depressive Störung im höhere Lebensalter zu begünstigen. Menschen im höheren Lebensalter, die vermehrt auf ihre Emotionen achteten und ihnen Aufmerksamkeit schenkten, berichteten von einer stärkeren depressiven Symptomatik. Die Fähigkeit, einen affektiven Zustand bewusst wahrzunehmen und ihn in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken, stellt konzeptuell allerdings eine Voraussetzung dar, um belastende Emotionen zu benennen und im nächsten Schritt adaptiv zu regulieren (Berking, 2017). In anderen Altersgruppen konnten bereits Hinweise auf die Effektivität dieser Kompetenz im Hinblick auf die Reduktion depressiver Symptome gefunden werden (Baer, 2003; Berking & van Känel, 2007). Möglicherweise scheint die Auseinandersetzung und Beschäftigung mit den eigenen Emotionen im höheren Erwachsenenalter einen gegenteiligen Effekt zu haben. Ein Kohorteneffekt wird dabei nicht vollständig ausgeschlossen. Viele ältere Menschen sind noch in einer Kultur aufgewachsen, in der Emotionen wenig Wertschätzung und Bestätigung erfahren haben. Die Auseinandersetzung und letztlich ebenso das Sprechen über Emotionen wurde von der Generation, die sich jetzt im höheren Lebensalter befindet, im Verlauf ihres Lebens aus gesellschaftlichen, historischen oder sozial-normativen Gründen häufig vermieden. Aufgrund dieser Vermeidung fand eine Auseinandersetzung mit den eigenen Emotionen über den Verlauf des Lebens häufig nicht gewohnheitsmäßig statt (Radebold, 1992). Infolge emotionaler Problematiken, die mit dem Alter einhergehen können, kann es zu Verunsicherungen und Irritationen kommen. Diese werden im ungünstigsten Fall als persönliche Schwäche oder Versagen bewertet, was wiederum zu einer Verschlechterung der Stimmung beiträgt und über die Etablierung von dysfunktionalen Bewältigungsstrategien (z. B. Konsum von Alkohol, exzessives Ruminieren, sozialer Rückzug) die Entstehung und Aufrechterhaltung einer depressiven Symptomatik begünstigen kann (Tagay, Gunzelmann & Brähler, 2009).

Die bewusste Vermeidung, sich mit den eigenen Emotionen auseinanderzusetzen, kann auch innerhalb der psychotherapeutischen Behandlung Probleme bereiten. Beunruhigende oder beängstigende Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen werden von Betroffenen häufig dem natürlichen Alterungsprozess zugeschrieben. Wenn die Probleme massiver werden, greift die „schweigende Generation“ aufgrund bestimmter Sozialisationserfahrungen in Kindheit und Jugend auf dysfunktionale Überzeugungen zurück. Dazu kann u. a. die Annahme gehören, dass das Sprechen über und die Auseinandersetzung mit Emotionen eine Schwäche und eher ein Problem als eine Lösung darstellen. Die Überzeugung, dass affektive Schwierigkeiten eine persönliche Angelegenheit sind, die ausschließlich eigenständig und autonom bewältigt werden, kann die psychotherapeutische Behandlung und einen adaptiven Regulationsprozess erschweren oder sogar verhindern (Radebold, 1992).

Eine weitere Erklärung dafür, dass depressive Menschen im höheren Lebensalter von einer vermehrten Aufmerksamkeit für die eigenen Emotionen berichten, kann darin liegen, dass es aufgrund der vermehrten Beschäftigung mit den eigenen Emotionen zu einer ruminativen Verarbeitung von emotionalen Inhalten kommt. Dieser ruminative Verarbeitungsstil hätte negative Auswirkungen auf die Stimmung und würde die depressive Symptomatik begünstigen (Nolen-Hoeksema, 2000).

Der Prozess der effektiven Emotionsregulation stellt nach dem Modell der adaptiven Emotionsregulation, das in Abschnitt 3.3.2.1 beschrieben wurde, ein situationsadaptives Zusammenspiel der unterschiedlichen Emotionsregulationskompetenzen dar. Die ersten Schritte in diesem Prozess sehen vor, dass Emotionen zunächst bewusst wahrgenommen werden, ihnen Aufmerksamkeit geschenkt wird und sie korrekt benannt werden, damit in einem weiteren Schritt eine Analyse der Ursache stattfinden kann. Bei älteren Menschen mit Depressionen, die sich vermehrt mit ihren belastenden Emotionen auseinandersetzen, kann es sich um ein Kompetenzdefizit handeln, dass die Entstehung und Aufrechterhaltung einer depressiven Störung im Alter fördert. Die Berücksichtigung dieses Kompetenzdefizits kann im Rahmen des therapeutischen Prozesses dahingehend erfolgen, dass psychoedukativ zunächst die Rolle von Emotionen als Ausdruck unbefriedigter Bedürfnisse erläutert wird. Zudem sollte bei Menschen im höheren Lebensalter die Auseinandersetzung mit den eigenen Emotionen entstigmatisiert und deutlich gemacht werden, wie ein adaptiver Umgang mit Emotionen auch im Alter zum Wohlbefinden beiträgt.

Die Ergebnisse dieser Untersuchung weisen drauf hin, dass bei Menschen im höheren Lebensalter Kompetenzdefizite in Akzeptanz und Resilienz die Entstehung und Aufrechterhaltung einer depressiven Störung begünstigen. Es konnte gezeigt werden, dass Menschen im höheren Lebensalter, die Akzeptanz und Resilienz seltener anwendeten, über eine signifikant höhere depressive Symptomatik berichteten. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass Defizite im Bereich dieser beiden Kompetenzen im höheren Erwachsenenalter mit dem Status einer depressiven Störung assoziiert waren.

Studien, die gesunde Menschen im höheren Lebensalter untersucht haben, zeigten bereits den positiven Zusammenhang zwischen Akzeptanz und Wohlbefinden (siehe Abschnitt 5.1 und Barnow et al., 2019; Schirda et al., 2016). Dabei wurde deutlich, dass Akzeptanz, im Vergleich zu anderen, eine der häufigsten Strategien von gesunden Menschen im höheren Lebensalter darstellt und der Steigerung oder Stabilisierung des Wohlbefindens dient. Die Bedeutung dieser Strategie im Alter kann dadurch erklärt werden, dass Akzeptanz, besonders in weniger kontrollierbaren Situationen, eine effektive Strategie darstellt (Nakamura & Orth, 2005). Es wird davon ausgegangen, dass es im Alter häufiger zu unkontrollierbaren Situationen kommt, z. B. beim Verlust der Partner:innen oder bei einer schweren Erkrankung. Bestehen Kompetenzdefizite bei der adaptiven Anwendung von Akzeptanz im Hinblick auf die Bewältigung altersspezifischer Herausforderungen, erhöht sich die Vulnerabilität für depressive Störungen.

Ebenso sind Kompetenzdefizite im Bereich der Resilienz bei einer Depression im höheren Lebensalter stärker ausgeprägt als bei gleichaltrigen Menschen ohne Depression. Dass niedrige Resilienz mit einer höheren psychischen Belastung assoziiert ist, ist bereits aus anderen Altersgruppen gut bekannt (Hu, Zhang & Wang, 2015; Noeker & Petermann, 2008; Pechmann, Petermann, Brähler, Decker & Schmidt, 2015; Wagner et al., 2017). Allerdings untersuchten nur wenige Studien diesen Zusammenhang im höheren Erwachsenenalter. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung replizieren die Befunde aus anderen Altersgruppen und unterstützen die Annahme, dass eine verringerte Resilienz auch im Alter bei der Entstehung und Aufrechterhaltung einer depressiven Störung eine relevante Rolle spielt (Wermelinger, Ávila, Lucchetti & Lucchetti, 2017). Dabei wird Resilienz als psychische Widerstandsfähigkeit verstanden, die den Erwerb bzw. Erhalt altersspezifischer Fähigkeiten und Kompetenzen beinhaltet. Diese altersspezifischen Fähigkeiten ermöglichen die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben, die mit dem Alter einhergehen und haben einen stabilisierenden Einfluss auf das Wohlbefinden (Schoon, 2006). Ein Kompetenzdefizit im Bereich der Resilienz verringert das Funktions- und Anpassungsniveau, wodurch altersspezifische Entwicklungsaufgaben oder belastende Lebensereignisse gar nicht oder nur schwer bewältigt werden. Als Folge dieses Kompetenzdefizits treten psychische Problematiken auf und das Risiko, eine depressive Störung zu entwickeln, erhöht sich.

Vergleich von Emotionsregulationsstrategien zwischen Menschen im höheren Erwachsenenalter mit und ohne Depression

Des Weiteren wurden Unterschiede in der Nutzung einzelner Emotionsregulationsstrategien zwischen depressiven und gesunden Menschen im höheren Lebensalter untersucht. Mit den Ergebnissen dieser Untersuchung wurden vorherige Forschungsbefunde aus anderen Altersgruppen repliziert (siehe Abschnitt 3.3.3). Es konnte gezeigt werden, dass auch im höheren Erwachsenenalter Menschen mit einer Depression im Vergleich zu Menschen ohne eine Depression häufiger maladaptive und seltener adaptive Regulationsstrategien einsetzen. Wie erwartet, berichteten depressive im Vergleich zu gesunden Menschen im höheren Lebensalter von signifikant höherer Selbstbeschuldigung, Katastrophisieren, Beschuldigung anderer und Rumination und von geringerer positiver Refokussierung, Refokussierung auf Planung, positiver Neubewertung und Relativieren.

Eine Ausnahme bildete die Akzeptanz, bei der sich kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen zeigte (siehe Abbildung 5.2). Dieses Ergebnis entsprach nicht den Erwartungen, da sich im Rahmen der Emotionsregulationskompetenzen signifikante Unterschiede in der Nutzung der Akzeptanz zwischen depressiven und gesunden Menschen im höheren Lebensalter zeigten. Eine mögliche Erklärung kann in der Auswahl des Erhebungsverfahrens liegen. Emotionsregulationskompetenzen wurden mit dem SEK-27 erfasst und Regulationsstrategien mit dem CERQ. Beide Verfahren gehen von einer unterschiedlichen Konzeptualisierung der Akzeptanz aus. Dabei hat Akzeptanz im CERQ eher einen resignativen Charakter. Bei der Anwendung von Akzeptanz wird in diesem Verständnis ein belastendes Ereignis eher geduldet und passiv hingenommen. Im SEK-27 wiederum hat Akzeptanz eher einen aktiven und mitwirkenden Charakter (zur ausführlichen Erläuterung siehe Abschnitt 6.1.1). Diese unterschiedlichen Konzeptualisierungen können ein Grund sein, dass kein Gruppenunterschied im Bereich der Emotionsregulationsstrategien gefunden wurde.

Im Rahmen des Gruppenvergleichs ergaben sich die größten Unterschiede zwischen den Menschen im höheren Erwachsenenalter mit und ohne Depression in der Nutzung von Rumination und Katastrophisieren. In einer zusätzlichen Analyse, in der untersucht wurde, welche Strategien relevante Schutz- oder Risikofaktoren bezüglich der Entstehung und Aufrechterhaltung einer depressiven Störung darstellen, wurde dieses Ergebnis bestätigt (siehe Tabelle 5.9). Auch hier zeigte sich, dass eine häufige Nutzung von Rumination und Katastrophisieren mit höherer depressiver Symptomatik assoziiert war. Zudem zeigte sich, dass soziale Kontakte als protektiver Faktor fungierten. Dieser Befund entspricht der sozioemotionalen Selektivitätstheorie (Carstensen et al., 1999), die in Abschnitt 3.1.3 erläutert wurde. Danach erhöhen Beziehungen und Kontakte mit emotionaler Bedeutsamkeit das Wohlbefinden im höheren Erwachsenenalter und werden somit als Puffer gegenüber psychischen Belastungen verstanden.

Dass Rumination eine problematische Strategie im Zusammenhang mit depressiven Symptomen darstellt, wurde bereits in anderen Altersgruppen mehrfach gezeigt (Barnow et al., 2016; Nolen-Hoeksema, 2000; Olatunji et al., 2013; Papageorgiou & Wells, 2003; Zhou et al., 2020). Dabei führte die grüblerische Auseinandersetzung mit belastenden Ereignissen und depressiven Symptomen sowie deren Ursachen und Konsequenzen zur Entstehung, Aufrechterhaltung und Wiederkehr depressiver Stimmungen und somit zur Förderung depressiver Störungen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung tragen dazu bei, dass Rumination nicht ausschließlich als Symptom einer depressiven Störung betrachtet, sondern dass die ätiologische Relevanz eines ruminativen Verarbeitungsstils in den Fokus gerät und diesbezüglich diskutiert werden kann (Nolen-Hoeksema, 1991).

In anderen Studien, in denen das frühe und mittlere Erwachsenenalter fokussiert wurde, wurden Selbstbeschuldigung, Katastrophisieren und positive Neubewertung als Strategien identifiziert, anhand derer sich die Gruppenzugehörigkeit prädiktiv bestimmen ließ (Garnefski et al., 2002a). Dabei nutzten Menschen mit Depression im Vergleich zu Personen ohne Depression signifikant häufiger Selbstbeschuldigung und Katastrophisieren und seltener positive Neubewertung. Die Ergebnisse dieser Untersuchung replizieren diese Befunde dahingehend, dass sie zeigen, dass Katastrophisieren auch im hohen Alter eine relevante Strategie darstellt und dass der vermehrte Einsatz dieser Strategie in Bezug auf die depressive Symptomatik altersunspezifisch ist.

Zusammenfassung

Durch die vorliegende Studie wird der aktuelle Forschungsstand dadurch ergänzt, dass Emotionsregulationskompetenzen und eine hohe Anzahl verschiedener Regulationsstrategien von depressiven und gesunden Menschen im höheren Lebensalter in einer Studie betrachtet und in diesem Kontext ihr Beitrag an der Entstehung und Aufrechterhaltung der depressiven Störung im Alter untersucht wurde.

Wie bereits Studien aus anderen Altersgruppen zeigen konnten, scheinen sich Menschen mit Depression und ohne Depression auch im höheren Erwachsenalter bezüglich ihrer Emotionsregulationskompetenz zu unterscheiden (siehe Abschnitt 3.3.3). In der vorliegenden Studie zeigten sich bei depressiven im Vergleich zu gesunden Menschen im höheren Lebensalter Beeinträchtigungen auf allen Ebenen des adaptiven Emotionsregulationsprozesses. Eine erhöhte Aufmerksamkeit auf Emotionen sowie eine verringerte Akzeptanz und Resilienz scheinen auf der Ebene der Emotionsregulationskompetenz ein wichtiges Differenzierungsmerkmal darzustellen.

Beim Vergleich verschiedener Regulationsstrategien zeigten sich ebenfalls Unterschiede zwischen den Gruppen. Vorherige Befunde, die zeigen konnten, dass Menschen mit Depression im Vergleich zu Menschen ohne Depression häufiger maladaptive und seltener adaptive Strategien einsetzten, konnten repliziert werden. Außerdem unterstützen die vorliegenden Ergebnisse die Annahme, dass soziale Kontakte auch im Alter einen protektiven Faktor gegenüber psychischen Belastungen darstellen.

Über den bisherigen Forschungstand hinaus konnte die vorliegende Studie die Relevanz der Emotionsregulation im Zusammenhang mit depressiver Psychopathologie auch im höheren Erwachsenenalter zeigen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Defizite im Bereich bestimmter Kompetenzen und eine verringerte Nutzung adaptiver Strategien im Zusammenhang mit depressiven Störungen im Alter stehen. Dies im psychotherapeutischen Kontext zu berücksichtigen, kann einen relevanten Beitrag zur Verringerung der depressiven Symptomatik leisten und sollte im Rahmen interventiver Strategien eine Rolle spielen.

6.1.3 Fragestellung 3: Emotionsregulation und Depression

Um den Einfluss der Emotionsregulationskompetenz auf die Schwere der depressiven Symptomatik bei älteren Menschen mit Depressionen zu untersuchen, wurden Patient:innen, die sich in einer klinischen Depressionsbehandlung befanden, betrachtet. Dafür wurden Unterschiede zwischen älteren Patient:innen mit hoher und niedriger Emotionsregulationskompetenz hinsichtlich des Therapieeffekts untersucht. Es sollte die Frage beantwortet werden, ob Emotionsregulationskompetenz einen Einfluss auf die Schwere der depressiven Symptomatik während einer Depressionsbehandlung in dieser Altersgruppe hat. Ein weiteres Ziel dieser Studie bestand darin, einzelne Emotionsregulationskompetenzen und -strategien zu identifizieren, die einen relevanten Einfluss auf den Therapieeffekt haben und die depressive Symptomatik vor, während und nach der Behandlung verringern und als Puffer fungieren. Abschließend wurde untersucht, wie hoch die Übereinstimmung zwischen den Selbstbeurteilungen der Patient:innen und den Fremdbeurteilungen der Behandelnden hinsichtlich der depressiven Symptomatik und der Emotionsregulationskompetenz ist. Dafür wurde die Beurteilungsübereinstimmung zwischen der Selbst- und Fremdbeurteilungen bestimmt.

Die Auswirkung von Emotionsregulationskompetenz auf die Schwere der Symptomatik im Verlauf einer Depressionsbehandlung

Im ersten Schritt konnte eine Analyse der Beziehungsstruktur zwischen Emotionsregulationskompetenz und Depression zeigen, dass zu allen drei Messzeitpunkten ein hoher negativer Zusammenhang vorlag. Dieses Ergebnis repliziert vorherige Studienbefunde aus anderen Altersgruppen, die ebenfalls einen negativen Zusammenhang zwischen Emotionsregulationskompetenz und depressiver Symptomatik fanden (Aldao et al., 2010; Berking et al., 2013; Berking et al., 2014; Campbell-Sills et al., 2006a; Garnefski et al., 2002a; Goodman, 2007; Klemanski et al., 2017; Radkovsky et al., 2014).

Auch bei Erwachsenen im höheren Alter scheint die Fähigkeit, aktiv Einfluss auf die Entstehung und Bewertung sowie auf den Verlauf von Emotionen zu nehmen, die depressive Symptomatik zu Beginn und am Ende einer Depressionsbehandlung zu verringern. Sogar nach der Behandlung zeigte sich dieser Zusammenhang: Der Gesamtwert der Emotionsregulationskompetenz sowie die depressive Symptomatik stabilisierten sich drei Monate nach der Entlassung und blieben auf einem vergleichbaren Niveau. Zukünftige Studien müssen allerdings klären, ob der Zuwachs an Regulationskompetenz auch mittel- und langfristig bestehen bleibt und ob sich weiterhin ein negativer Zusammenhang zwischen der depressiven Symptomatik und der Fähigkeit, Emotionen adaptiv zu regulieren, in dieser Altersgruppe zeigt.

Um die Frage zu beantwortet, ob Emotionsregulationskompetenz einen Einfluss auf die Schwere der depressiven Symptomatik während einer Depressionsbehandlung im höheren Erwachsenenalter hat, wurden Patient:innen mit hoher und niedriger emotionaler Kompetenz hinsichtlich des Therapieeffekts miteinander verglichen. Hier zeigte sich, dass sich Patient:innen mit hoher Emotionsregulationskompetenz im Vergleich zu Patient:innen mit geringer Kompetenz zu Beginn, am Ende sowie drei Monate nach einer klinischen Depressionsbehandlung hinsichtlich des Depressionswertes signifikant voneinander unterschieden. Bei der Betrachtung der einzelnen Messzeitpunkte wurde deutlich, dass Patient:innen mit hoher Emotionsregulationskompetenz bereits zu Beginn der Behandlung niedrigere Depressionswerte aufwiesen, als Patient:innen mit geringer Kompetenz. Beide Gruppen befanden sich bei der Aufnahme zwar im Bereich einer leichten bis mäßigen Depression, allerdings lagen die Patient:innen mit geringer Kompetenz knapp unterhalb der Grenze einer schweren Depression. Dieser Befund könnte ein Hinweis darauf sein, dass emotionale Kompetenz einen protektiven Faktor darstellt, der die depressive Symptomatik schon vor der Behandlung auf einem geringeren Niveau hält und die belastende Wirkung der Symptomatik verringert.

Auch innerhalb der Behandlung zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen beiden Gruppen: Während sich bei Patient:innen mit geringer Emotionsregulationskompetenz die depressive Symptomatik innerhalb der Behandlung nur gering verbesserte und zu Beginn sowie am Ende an der Grenze zu einer schweren Depression befand, zeigte sich bei den Patient:innen mit hoher Emotionsregulationskompetenz eine deutliche Verbesserung der Symptomatik im Behandlungszeitraum. Diese Patient:innen befanden sich zu Beginn ihrer Behandlung im Mittel im Bereich einer leichten bis mäßigen Depression und konnten am Ende als unauffällig klassifiziert werden. Drei Monate nach der Behandlung stieg der Depressionswert bei diesen Patient:innen zwar leicht an, blieb aber immer noch im Bereich eines unauffälligen Befundes. Bei den Patient:innen mit niedriger Emotionsregulationskompetenz blieb der Depressionswert nach der Behandlung zwar stabil, allerdings lag er nach wie vor bei einem vergleichbar hohen Niveau wie zur Entlassung. Diese Patient:innen profitierten weniger von der Behandlung und zeigten nach der Entlassung eine ausgeprägte Residualsymptomatik (siehe Abbildung 5.3).

Dieses Ergebnis wurde auch durch die Fremdbeurteilungen der Behandelnden bestätigt. Auch hier zeigte sich, dass bei den Patient:innen mit hoher Emotionsregulationskompetenz die Depressionswerte zu Beginn der Behandlung geringer eingeschätzt wurden und dass diese stärker von der Behandlung profitierten als Patient:innen mit geringer Kompetenz (siehe Abbildung 5.4). Emotionale Kompetenz kann daher auch im höheren Erwachsenenalter als persönliche Ressource mit depressionsverringernder Wirkung verstanden werden. Das Risiko einer Exazerbation der depressiven Symptomatik scheint sich auch in dieser Altersgruppe durch einen adaptiven Umgang mit den eigenen Emotionen zu verringern.

Die Hypothese, dass ältere Patient:innen mit hoher Emotionsregulationskompetenz stärker von einer Depressionsbehandlung profitieren, konnte durch die aufgeführten Befunde bestätigt werden. Es kann davon ausgegangen werden, dass Emotionsregulationskompetenz auch bei Patient:innen im höheren Lebensalter einen Einfluss auf die depressive Symptomatik hat und den Erfolg einer Therapie maßgeblich beeinflussen kann. Die Hypothese, dass emotionale Kompetenz die Symptomatik bereits zu Beginn einer Depressionsbehandlung beeinflusst, konnte ebenfalls bestätigt werden. Hier zeigte sich ein starker negativer Zusammenhang, der einen weiteren Hinweis auf die Relevanz der emotionalen Kompetenz und auf einen möglichen Entstehungsfaktor und aufrechterhaltenden Faktor der Depression im Alter liefert.

Die Förderung der emotionalen Kompetenz, in Form eines spezifischen Interventionsprogramms, war kein standardmäßiger Bestandteil der klinischen Depressionsbehandlung, die die Patient:innen in dieser Untersuchung erhielten. Lediglich innerhalb einer psychoedukativen Achtsamkeitsgruppe, die einmal wöchentlich angeboten wurde, wurden grundlegende Kenntnisse über den achtsamen Umgang mit Emotionen vermittelt. Ein möglicher Effekt dieses Gruppenangebots auf den Therapieerfolg kann nicht ausgeschlossen werden. Diese Annahme sowie das Ergebnis dieser Untersuchung sollten Anlass zu der Überlegung geben, dass die standardmäßige Förderung der emotionalen Kompetenz im Rahmen einer Depressionsbehandlung ein wirksamer Baustein zur kurz- und längerfristigen Verringerung der Symptomatik sein kann. Nachfolgende Interventionsstudien sollten den Nutzen eines spezifischen Programms zur Förderung der emotionalen Kompetenz in dieser Altersgruppe klären. Offen bleibt die Frage, welche Kompetenzen und Strategien in einem spezifischen Programm gefördert werden sollten, um die Wirksamkeit klinischer Depressionsbehandlungen zu verbessern.

Der Einfluss von Emotionsregulationskompetenzen und -strategien auf den Therapieeffekt

Ausgehend von den aufgeführten Befunden wurden im nächsten Schritt spezifische Kompetenzen und Strategien identifiziert, die einen Einfluss auf den Therapieeffekt hatten und bei Erwachsenen im höheren Lebensalter als Risiko- oder Schutzfaktoren gegenüber der depressiven Symptomatik fungieren. Um einen ersten Eindruck zu bekommen, wurden zunächst die korrelativen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Kompetenzen, Strategien und der depressiven Symptomatik zu Beginn der Behandlung betrachtet (siehe Tabelle 5.11). Es zeigten sich hohe negative Zusammenhänge zwischen den Kompetenzen Aufmerksamkeit, Klarheit, Akzeptanz, Resilienz, Konfrontationsbereitschaft, Selbstunterstützung und Regulationskompetenz. Bei den Strategien zeigte sich bei positiver Refokussierung, Refokussierung auf Planung und bei positiver Neubewertung ein hoher negativer Zusammenhang mit der depressiven Symptomatik. Bei den Strategien fällt auf, dass die Strategien, die hoch negativ mit der depressiven Symptomatik zu Beginn der Behandlung korrelierten, zu den in der gegenwärtigen Literatur als eher adaptiv bezeichneten Strategien gehören. In Studien, in denen College-Studierende und depressive Patient:innen aus anderen Altersgruppen untersucht worden waren, fanden sich eher schwache und inkonsistente Zusammenhänge zwischen einem verringerten Einsatz adaptiver Strategien und der Schwere der depressiven Symptome (Aldao et al., 2010; Aldao & Nolen-Hoeksema, 2012; Aldao et al., 2010; Garnefski & Kraaij, 2006; Garnefski et al., 2005). In diesen Altersgruppen stellte der vermehrte Einsatz maladaptiver Strategien einen stabilen Prädiktor für die Schwere der depressiven Symptomatik dar. Im höheren Erwachsenenalter scheint dagegen eher der verringerte Einsatz von adaptiven Strategien ein auslösender und aufrechterhaltender Faktor zu sein.

Nolen-Hoeksema und Aldao (2011), die ebenfalls Erwachsene im höheren Alter untersuchten, fanden einen robusten Zusammenhang zwischen der vermehrten Nutzung maladaptiver Strategien und einer höheren Symptomausprägung und keinen Zusammenhang zwischen dem Einsatz adaptiver Strategien und depressiver Symptomatik. Diese Befunde konnten in der durchgeführten Untersuchung nicht repliziert werden. Vielmehr scheinen die Ergebnisse darauf hinzuweisen, dass eher die verringerte Nutzung der adaptiven Strategien und weniger die häufigere Nutzung maladaptiver Strategien die depressive Symptomatik maßgeblich beeinflusst. Dieses Nutzungsprofil begünstigte bei den untersuchten älteren Erwachsenen die Schwere der depressiven Symptomatik. Ausgehend davon scheint bei depressiven Patient:innen im höheren Erwachsenenalter weniger die Verringerung maladaptiver Strategien als die Förderung adaptiver Strategien ein wirksames und sinnvolles Behandlungskonzept darzustellen. Diese Erkenntnisse sollten besonders im Rahmen von Präventionsprogrammen, die für Menschen im höheren Erwachsenenalter konzipiert werden, Berücksichtigung finden.

Offen bleibt allerdings die Frage, warum sich die Befunde unterscheiden. Die Abweichung kommt möglicherweise durch einen Unterschied in den untersuchten Stichproben zustande. Nolen-Hoeksema und Aldao (2011) rekrutierten Männer und Frauen aus der Allgemeinbevölkerung. Die depressive Symptomatik dieser Studienteilnehmenden wurde anhand von Fragebögen im Selbstbericht erfasst. In der vorliegenden Untersuchung wurden Patient:innen untersucht, bei denen die Diagnose einer affektiven Störung durch einen ausgebildeten psychotherapeutisch Behandelnden erfolgte. Zudem wurden in beiden Untersuchungen unterschiedliche Verfahren zur Erfassung der depressiven Symptomatik eingesetzt, was eine Vergleichbarkeit der beiden Stichproben erschwert. Allerdings werden anhand der Grenzwerte beider Verfahren, die Studienteilnehmenden in der Studie von Nolen-Hoeksema und Aldao (2011) im Mittel als nicht bis leicht depressiv klassifiziert, während die Studienteilnehmenden in der vorliegenden Untersuchung die Kriterien einer affektiven Störung erfüllten und als mäßig bis schwer depressiv bezeichnet werden konnten. Die Studienteilnehmenden in der vorliegenden Untersuchung waren demnach stärker durch die depressive Symptomatik belastet, was einen möglichen Erklärungsansatz für die unterschiedlichen Ergebnisse liefert.

Um Kompetenzen und Strategien, die die depressive Symptomatik während einer Behandlung beeinflussen, exakter zu bestimmen, wurde deren Relevanz am Therapieeffekt untersucht (siehe Tabelle 5.12). Hier zeigte sich, dass Akzeptanz (SEK-27), Selbstunterstützung (SEK-27) und Relativieren (CERQ) den stärksten Einfluss auf die Entwicklung der depressiven Symptomatik und damit auf den Therapieeffekt hatten.

Akzeptanz stellte sich als Kompetenz mit dem höchsten Einfluss heraus. Interessanterweise und entgegen der Erwartungen zeigte sich zwischen dem Einsatz von Akzeptanz zu Beginn der Behandlung und dem Therapieerfolg ein negativer Zusammenhang. Bei Patient:innen, die zu Beginn der Behandlung hohe Akzeptanzwerte aufwiesen, fiel der Therapieerfolg am Ende der Behandlung geringer aus. Dieses Ergebnis entsprach nicht den Erwartungen, da Akzeptanz in der gegenwärtigen Literatur als eher adaptive Strategie beschrieben wird, die bei gesunden Menschen im höheren Lebensalter einen positiven Einfluss auf die Lebenszufriedenheit hat und mit einer geringeren psychischen Belastung assoziiert ist (Barnow et al., 2019; Charles et al., 2009; Scheibe et al., 2015; Schirda et al., 2016). Dies zeigten auch die Ergebnisse aus der ersten Untersuchung, in der die Emotionsregulationskompetenzen von älteren Erwachsenen aus der Allgemeinbevölkerung untersucht wurden (siehe Abschnitt 5.1). Bei dieser Stichprobe zeigte sich eine verhältnismäßig häufige Anwendung von Akzeptanz sowie die Bedeutsamkeit bei der Aufrechterhaltung des Wohlbefindens und des Stimmungsniveaus.

Zwar entsprach das Ergebnis dieser Untersuchung nicht den Erwartungen, allerdings konnten damit die Befunde von Kraaij et al. (2002b) repliziert werden, die ebenfalls fanden, dass ältere Patient:innen, die vermehrt Akzeptanz einsetzten, über eine stärkere Ausprägung der depressiven Symptomatik berichteten. Die Befunde von Kraaij et al. (2002b) und die der vorliegenden Untersuchung stehen damit im Einklang mit dem erweiterten Prozessmodell von Gross (2015), das in Abschnitt 3.3.2.1 beschrieben wurde. Dieses Modell folgt dem Ansatz der Emotionsregulationsflexibilität, wonach Emotionsregulationsstrategien nicht per se in adaptiv oder maladaptiv eingeteilt werden. Die Adaptivität einer Strategie ist abhängig vom Kontext und von den Zielen des Individuums. Die Beurteilung der Effektivität sollte nach diesem Modell in Abhängigkeit von der Situation erfolgen.

Akzeptanz wird allgemein als adaptive Strategie verstanden. Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass Akzeptanz tatsächlich nur dann wirklich hilfreich ist, wenn keine Kontrolle über den emotionsauslösenden Faktor besteht, beispielsweise beim Tod einer nahestehenden Bezugsperson. In solchen Situationen kann es hilfreich sein, das Ereignis an sich und die Emotionen, die dadurch ausgelöst werden, zunächst einmal zu akzeptieren. In kontrollierbaren Situationen, in denen ein belastendes Ereignis veränderbar ist, würde Akzeptanz eine Veränderung des emotionslösenden Ereignisses eher verhindern und die belastenden Emotionen, die mit dem Ereignis einhergehen, aufrechterhalten (Barnow et al., 2019). Auch in anderen Studien konnte gezeigt werden, dass eine eigentlich adaptive Strategie wie das Neubewerten zu höheren Depressionswerten führte, wenn Stresssituationen kontrollierbar waren (Troy et al., 2017). Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung stehen im Einklang mit diesen Befunden. Kommt es bei depressiven Patient:innen im höheren Erwachsenenalter zur Akzeptanz ihrer depressiven Störung, beispielsweise aufgrund der Überzeugung, dass die Lebenszeit zu begrenzt für eine Veränderung sei, würden Maßnahmen zur Veränderung gar nicht erst eingeleitet. Durch das Akzeptieren und Tolerieren der depressiven Symptome würden therapeutische Hilfsangebote nicht oder erst sehr spät in Anspruch genommen werden. Das kann zur Aufrechterhaltung und langfristig zur Verschlechterung der Symptomatik führen und mit hohen psychischen Beeinträchtigungen einhergehen. Wird die Depression nicht als ernsthafte und behandlungsbedürftige Erkrankung anerkannt, kann die Akzeptanz einen guten Nährboden für die depressive Symptomatik darstellen. Die Akzeptanz der depressiven Symptomatik würde eher einer Resignation gleichkommen und die Patient:innen würden ihre Erkrankung als unausweichlich bewerten und sich in die Situation fügen, anstatt zu versuchen, diese aktiv zu verbessern. Sie resignieren unter dem fälschlicherweise bezeichneten Synonym der Akzeptanz.

Die Befunde dieser Untersuchung relativieren nicht den häufig beschriebenen Zusammenhang zwischen Akzeptanz und Wohlbefinden bei gesunden Erwachsenen im höheren Lebensalter (siehe Abschnitt 5.1 und Barnow et al., 2019). Allerdings weisen sie auf einen möglichen Unterschied zwischen gesunden und depressiven Erwachsenen im höheren Erwachsenenalter hin, der die spezifische Wirkung der Akzeptanz betrifft.

Auch beim Relativieren zu Beginn der Behandlung zeigte sich ein negativer Zusammenhang mit dem Therapieeffekt. Beim Relativieren wird anhand eines Vergleichs mit anderen negativen Ereignissen die Belastung eines Ereignisses aus einer anderen Perspektive betrachtet und gedanklich heruntergespielt. Die Strategie des Relativierens ist der Neu- oder Umbewertung eines belastenden Ereignisses sehr ähnlich, allerdings wird beim Relativieren dem belastenden Ereignis gedanklich keine positive Bedeutung beigemessen, wie es bei der positiven Neubewertung der Fall ist. Aus der Neubewertung entsteht die Überzeugung, dass ein belastendes Ereignis zu persönlichem Wachstum führt. Beim Relativieren handelt es sich eher um eine Art Ablenkung bzw. um eine Vermeidung mit der Auseinandersetzung der Ursachen des belastenden Ereignisses. Bei Ereignissen, die für das Individuum unkontrollierbar sind, oder als kurzfristige Reaktion auf ein belastendes Ereignis kann diese Strategie hilfreich sein (Barnow et al., 2020). Im Zusammenhang mit dem Vorliegen einer depressiven Störung scheint diese Strategie im höheren Erwachsenenalter allerdings eher einen gegenteiligen Effekt zu haben. Das Vermeiden, sich der auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren der Symptomatik gewahr zu werden, verhindert möglicherweise ein aktives Hilfesuchverhalten. Es führt dazu, dass Patient:innen bezüglich einer Verringerung ihrer Symptome eine negative Erwartungshaltung entwickeln und therapeutische Unterstützung gar nicht erst in Anspruch nehmen. Möglicherweise kommt es in dieser Altersgruppe durch das Bewusstwerden der zeitlich begrenzten Lebenszeit dazu, dass Symptome einer depressiven Störung heruntergespielt werden und Betroffene eine Behandlung nicht mehr für notwendig erachten. Depressive Symptome werden als Bestandteil des Älterwerdens betrachtet und das Alter wird als Schicksal erduldet. Das Relativieren der auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren der depressiven Störung und letztlich auch der depressiven Symptome hat dann eher einen maladaptiven Charakter und würde zur Aufrechterhaltung und letztendlich zur Verschlechterung der Symptomatik beitragen.

Bei der emotionalen Selbstunterstützung zeigte sich erwartungsgemäß ein positiver Zusammenhang mit dem Therapieeffekt. Patient:innen, die sich zu Beginn der Behandlung häufiger emotional selbst unterstützen, profitierten stärker von der Therapie. Ein hohes Maß an Selbstunterstützung führte zu einer Verringerung der depressiven Symptomatik während der Behandlung und zeigt die hohe Relevanz der Strategie in dieser Altersgruppe.

Die emotionale Selbstunterstützung ist bereits Bestandteil verschiedener Interventionen wie dem Training emotionaler Kompetenzen von Berking (2017). Bei diesem Training steht die Fähigkeit, adaptiv mit verschiedenen belastenden Gefühlen umzugehen, im Fokus und wird mit verschiedenen Techniken und Interventionen gefördert. Die Förderung der emotionalen Selbstunterstützung nimmt innerhalb dieses Trainings einen vergleichsweise großen Raum ein, da sie in belastenden Situationen eine wichtige Grundlage für den kompetenten Umgang mit Emotionen darstellt. Viele Patient:innen kritisieren sich besonders stark in emotional hoch belastenden Situationen. Sie schämen sich für ihre Emotionen und werten sich im Zuge dessen massiv ab, was einen starken Einfluss auf den Umgang mit belastenden Emotionen hat (siehe Abschnitt 3.3.2.1). Die Förderung der emotionalen Kompetenz soll dieser Tendenz entgegenwirken und einen maladaptiven Umgang mit der Emotion verhindern (Berking, 2017).

Zusammengefasst lassen die Befunde darauf schließen, dass Akzeptanz bei depressiven Patient:innen im höheren Erwachsenenalter eher als Resignation erlebt wird. Auch Relativieren stellt angesichts einer veränderbaren Störungssymptomatik keine adaptive Strategie dar und führt eher zur Verschlechterung der Symptomatik. Daraus ergibt sich eine mögliche Erklärung für den negativen Zusammenhang mit dem Therapieeffekt und es wird deutlich, weshalb Patient:innen, die vor Beginn einer Behandlung häufiger Akzeptanz und Relativieren anwendeten, geringer von der psychotherapeutischen Behandlung profitierten. Durch die Akzeptanz der Erkrankung und das Relativieren der Symptome wurden maladaptive Denk- und Handlungsmuster von den Patient:innen internalisiert. Das primäre Ziel der Behandlung besteht nun zunächst einmal darin, diese Muster aufzudecken und sich ihrer Veränderung zu widmen. Diesem Prozess muss im Rahmen der Behandlung viel Zeit und Raum gewidmet werden und er kann für Patient:innen zunächst mit hoher emotionaler Belastung einhergehen. Die Fortschritte, die während der Therapie erzielt werden, sind möglicherweise kleiner, was den geringeren Therapieeffekt erklärt. Eine weitere Strategie, die bei der Behandlung der Depression im höheren Erwachsenenalter ein entscheidende Rolle spielt, ist die emotionale Selbstunterstützung. Diese hatte einen positiven Einfluss auf den Therapieeffekt und kann als Ressource verstanden werden.

Emotionsregulationskompetenz und Depression in der Selbst- und Fremdbeurteilung

Im Bereich der klinisch-psychologischen Diagnostik hätte der standardmäßige Einsatz zusätzlicher Fremdbeurteilungsverfahren viele Vorteile. Patient:innen, die sich am Beginn einer klinischen Behandlung befinden, sind häufig stark belastet. Die Selbstbeurteilungsverfahren, die Patient:innen i. d. R zu Beginn der Behandlung ausfüllen, sind umfangreich und sie erfordern einen hohen kognitiven Aufwand. Die Aussagen eines Selbstbeurteilungsverfahrens müssen gedanklich verarbeitet werden und es muss eine Entscheidung darüber getroffen werden, welche das Befinden am besten wiedergibt. Dieses Format kann emotional belastete Patient:innen stark beanspruchen. Die Fremdbeurteilungen durch die Behandelnden ersetzen in diesem Zusammenhang die Selbstbeurteilung der Patient:innen nicht gänzlich. Sie würden die Patient:innen aber zumindest in der Anfangsphase der Behandlung entlasten und trotzdem das Aufstellen von Arbeitshypothesen ermöglichen (Schmitt, Hübner & Maes, 2010).

Um den Einsatz eines Fremdbeurteilungsinstruments zur Erfassung der emotionalen Kompetenz zu untersuchen, wurden die Selbstbeurteilungen der Patient:innen und die Fremdbeurteilungen ihrer Behandelnden hinsichtlich der Einschätzung der depressiven Symptomatik und der Emotionsregulationskompetenz miteinander verglichen (siehe Tabelle 5.13). Dafür wurde untersucht, ob Unterschiede zwischen den Selbst- und Fremdeinschätzungen vorliegen und wie hoch die Beurteilungsübereinstimmungen zwischen beiden Urteilen sind. Dafür wurde anhand einer korrelativen Analysen die Beurteilungsübereinstimmung zwischen den Selbstbeurteilungen der Patient:innen und den Fremdbeurteilungen der Behandelnden bezüglich der depressiven Symptomatik, des Gesamtwertes der Emotionsregulationskompetenz und der einzelnen Kompetenzen untersucht. Die Beurteilungsübereinstimmung wurde zu Beginn sowie am Ende der Behandlung erfasst.

Bezüglich der depressiven Symptomatik zeigte sich, dass die Übereinstimmung zwischen den Selbst- und Fremdurteilen insgesamt im mittleren Bereich lag. Zu Beginn der Behandlung zeigte sich eine moderate Übereinstimmung zwischen den beiden Einschätzungen. Die Beurteilungsübereinstimmung am Ende der Behandlung war höher als zu Beginn und befand sich im hohen Bereich.

Die Gründe für die insgesamt mittlere Beurteilungsübereinstimmung in der Beurteilung der depressiven Symptomatik sind vielfältig. Sie kann u. a. durch den Effekt der Erwartung erklärt werden. In Metanalysen wurde gezeigt, dass eine positive Erwartungshaltung der Patient:innen bezüglich der psychotherapeutischen Behandlung ein Wirkfaktor sein kann, der zu kurzfristigen Verbesserungen der Symptomatik schon vor dem eigentlichen Beginn der Behandlung führt (Cuijpers et al., 2012; Lambert & Barley, 2001). Etwa 10 % der Patient:innen, die Psychotherapie in Anspruch nehmen, profitieren klinisch bedeutsam bereits vor der ersten Sitzung und schätzen ihre Symptomschwere geringer ein (Howard, Kopta, Krause & Orlinsky, 1986).

Allerdings sind auch andere Gründe für den Unterschied zwischen der Selbst- und Fremdbeurteilung vorstellbar. Schahn und Amelang (1992) untersuchten die Validität von Selbst- und Fremdbeurteilungen. Dafür führten sie Reanalysen von verschiedenen Datensatzpaaren durch und fanden überproportional häufig systematische Unterschiede. Sie vermuteten die Ursache für diese systematischen Unterschiede u. a. in der sozialen Erwünschtheit der untersuchten Eigenschaft. Galt die untersuchte Eigenschaft als sozial erwünscht bzw. unerwünscht, wurden häufiger bedeutsame Unterschiede gefunden. Bei Eigenschaften, die hinsichtlich der sozialen Erwünschtheit eher als neutral bewertet wurden, zeigten sich in der Regel keine signifikanten Unterschiede.

Bei den Untersuchungen von Schahn und Amelang (1992) sowie in der vorliegen Untersuchung wird nicht von einer absichtsvollen und zielgerichteten Verfälschung der Ergebnisse durch die Patient:innen ausgegangen. Ihnen wurde ausführlich erläutert, dass es sich um eine Datenerhebung zu Forschungszwecken handelt und die Ergebnisse keine Auswirkung auf ihre Behandlung haben. Den Patient:innen wurde allerdings zu Beginn der Datenerhebung mitgeteilt, dass neben Selbst- auch Fremdbeurteilungen erhoben wurden. Vorstellbare ist es, dass die Patient:innen davon ausgingen, dass ein Vergleich der beiden Datensätze durchgeführt wurde. Aufgrund dieser Überzeugung kann sich zu Beginn der Behandlung die Motivation entwickelt haben, sich besser im Sinne der sozialen Erwünschtheit darzustellen und die Schwere der Symptome herunterzuspielen. Zudem kann die Angabe bestimmter depressiver Symptome wie beispielsweise Antriebslosigkeit und sozialer Rückzug besonders in der untersuchten Altersgruppe mit Scham verbunden sein und den Bericht beeinflussen.

Bei den Behandelnden kann ein ähnlicher Prozess zum entgegengesetzten Ergebnis geführt haben. Behandelnde verfügen über störungsspezifisches Fachwissen und über Erfahrung bei der Beurteilung von Art und Zeitabläufen einer depressiven Störung und der Wirksamkeit ihrer Behandlung (Keller, Ruppe, Stieglit & Wolfersdorf, 1997). Sie verfügen über Fachwissen bezüglich depressionstypischer Symptome, während besonders ältere Patient:innen bestimmte Symptome wie beispielsweise eine gesteigerte Antriebslosigkeit möglicherweise einem natürlichen Alterungsprozess zuschreiben würden. Die Behandelnden könnten die möglichen Folgen bestimmter Symptome bei ihrer Beurteilung berücksichtigt und aufgrund ihrer Erfahrung typische Verläufe extrapoliert haben. Des Weiteren könnten sie den präventiven Nutzen einer Therapie fokussiert und die Relevanz für die Patient:innen aufgrund ihrer fachlichen Erfahrung erkannt haben.

Die höhere Beurteilungsübereinstimmung bei der Einschätzung depressiver Symptome am Ende der Behandlung kann ein Hinweis auf einen negativen Zusammenhang zwischen Symptomschwere und Beurteilungskompetenz sein. Generell wird die Inhaltsvalidität von Selbstbeurteilungsverfahren bei schwer depressiven Patient:innen in der Akutphase von verschiedenen Autor:innen in Frage gestellt (siehe Abschnitt 3.3.2.5 sowie Fischer-Kern et al., 2008; Gallwitz & Lehrl, 1978; Paykel & Norton, 1986). Der Unterschied könnte demnach auf Effekte im Zusammenhang mit sozial erwünschten Antworttendenzen und auf die eingeschränkte Reflexions- und Mentalisierungsfähigkeit akut depressiver Patient:innen bei der Beurteilung ihrer Symptome zurückführbar sein (Fonagy et al., 2004; Matt et al., 1992; Shiota & Levenson, 2009).

Bei den Beurteilungsübereinstimmungen der einzelnen Emotionsregulationskompetenzen zeigten sich kaum zufriedenstellende Übereinstimmungen. Zu Beginn der Behandlung gab es signifikante Übereinstimmungen zwischen den Einschätzungen der Patient:innen und denen der Behandelnden bei zwei Kompetenzen: Bei Akzeptanz sowie bei Resilienz kam es zu Übereinstimmungen, allerdings konnten diese als schwach angesehen werden. Auch am Ende der Behandlung befanden sich die signifikanten Übereinstimmungen im schwachen Bereich. Allerdings erhöhte sich die Anzahl der signifikanten Übereinstimmungen. Neben Akzeptanz und Resilienz wurden auch bei Körperwahrnehmung und Klarheit vergleichbare Einschätzungen von Patient:innen und ihren jeweiligen Behandelnden vorgenommen.

Bei der Betrachtung des Gesamtwertes der Emotionsregulationskompetenz konnte gezeigt werden, dass die Urteile der Patient:innen und die der Behandelnden zu Beginn der Behandlung nicht übereinstimmten. Am Ende der Behandlung zeigte sich zwar eine signifikante, allerdings niedrige Übereinstimmung. Die höhere Beurteilungsübereinstimmung am Ende der Behandlung kann zum einen an einer geringeren Symptomschwere der Patient:innen liegen und zudem mit dem Effekt der Bekanntschaft erklärt werden. Beide Möglichkeiten werden im Folgenden diskutiert.

Zu Beginn der Behandlung waren die Patient:innen durch die depressive Symptomatik stark belastetet, sodass die Reflexionsfähigkeit und die Fähigkeit, emotionale Kompetenzen realistisch einzuschätzen, eingeschränkt war (Fischer-Kern, 2008; Fonagy et al., 2004; Gallwitz & Lehrl, 1978; Matt et al., 1992; Shiota & Levenson, 2009). Am Ende der Behandlung verbesserte sich im Mittel die Symptomatik, was zu einer geringeren Beeinträchtigung der Selbstwahrnehmung und zu einer valideren Beurteilung der emotionalen Kompetenz geführt haben kann. Vorstellbar wäre es, dass sich die emotionalen Kompetenzen der Patient:innen während des Klinikaufenthaltes verbesserten und damit die Fähigkeit, das Ausmaß dieser Kompetenzen einzuschätzen.

Unabhängig von spezifischen Programmen werden emotionale Kompetenzen während einer Depressionsbehandlung für gewöhnlich automatisch gefördert. Während Einzel- und Gruppensitzungen wird das Konzept der Resilienz zunächst psychoedukativ erläutert und anhand der persönlichen Lebenssituation der Patient:innen betrachtet und gefördert. Dabei werden individuelle Ressourcen wieder in Erinnerung gerufen, die beim Umgang mit der Erkrankung auch nach der Behandlung hilfreich sind (z. B. Helfernetzwerk). Auch die Akzeptanz von belastenden, aber unveränderbaren Ereignissen, beispielsweise aus der Vergangenheit der Patient:innen, wird besonders in den Einzeltherapien mit den Behandelnden thematisiert. Außerdem wird in den Einzeltherapien ein individuelles Arbeitsmodell zu den auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren der depressiven Störung aufgestellt. Patient:innen werden damit aktiv unterstützt, Klarheit über ihre Emotionen zu gewinnen und eine Analyse der Ursache vorzunehmen, um damit Ansatzpunkte zur Veränderung der belastenden Emotion zu bekommen. In Gruppenangeboten anderer Berufsgruppen wie der Ergotherapie, der Bewegungstherapie oder der Achtsamkeitsgruppe wird die Körperwahrnehmung der Patient:innen gefördert. Die Patient:innen werden damit beim korrekten Erkennen und Bennen von Emotionen unterstützt. Dies stellt eine Voraussetzung dar, um Emotionen ein semantisches Konzept zuzuordnen, ohne dass die Analyse der Ursache kaum möglich ist. Durch diese verschiedenen Ansatzpunkte zur Förderung der emotionalen Kompetenzen lernen Patient:innen sich und ihre Fähigkeiten besser kennen und steigern die Fähigkeit, emotionale Kompetenzen realistischer einzuschätzen. All dies kann zur höheren Übereinstimmung zwischen den Einschätzungen der Patient:innen und denen der Behandelnden am Ende der Behandlung maßgeblich beigetragen haben.

Ein weiterer Grund für die höhere Beurteilungsübereinstimmung am Ende der Behandlung kann der Effekt der Bekanntschaft sein. In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass Zusammenhänge zwischen Fremd- und Selbstbeurteilungen sogar dann bestehen, wenn die Fremdbeurteilenden nur über sehr wenige Informationen (z. B. kurze Videosequenz, Aufnahme der Stimme, Fallbeschreibung) zu der entsprechenden Zielperson verfügen (Amelang & Bartussek, 2001; Funder & Colvin, 1988). Dieses Phänomen wird auch als Consensus at Zero Acquaintance bezeichnet. Grundsätzlich gilt aber, dass die Einschätzungen des Gegenübers umso akkurater ausfallen, je besser ihm die zu beurteilende Person bekannt ist. Die Validität von Persönlichkeitseinschätzungen steigt demnach mit zunehmender Bekanntschaft (Spinath & Spinath, 2004).

Die Grundlage, auf der die Behandelnden ihre Einschätzung zu Beginn der Behandlung vornahmen, war ein Aufnahmegespräch, in dem es vornehmlich um die Einschätzung der Schwere der depressiven Symptomatik ging. Der Umgang mit belastenden Emotionen und die die Nutzung der verschiedenen Emotionsregulationsstrategien wurden in diesem Gespräch zwar thematisiert, aber nicht fokussiert. Im Verlauf lernten die Behandelnden ihre Patient:innen dann besser kennen und konnten mehr Informationen in die Beurteilung am Ende der Behandlung einfließen lassen.

Eine weitere Erklärung für die geringen Beurteilungsübereinstimmungen zwischen Patient:innen und ihren Behandelnden hinsichtlich der emotionalen Kompetenz könnte darin liegen, dass die Beurteilung der emotionalen Kompetenz in der Routineversorgung noch wenig Anwendung findet. Patient:innen sowie Behandelnden fehlt es möglicherweise an Erfahrungen, dieses Konstrukt valide einzuschätzen. In dieser Untersuchung wurde der Einsatz der SEK-27 (Berking & Znoj, 2008) als Fremdbeurteilungsverfahren zur Erfassung der emotionalen Kompetenz untersucht. Der geringe Drop-out liefert erste Hinweise für das Potential dieses Verfahrens. Die Untersuchung konnte zeigt, dass sich das Verfahren zum Einsatz in der klinischen Versorgung von Patient:innen, bei denen emotionale Problematiken einen Teil der Störungen ausmachen, grundsätzlich eignet und der Einsatz dieses Fremdbeurteilungsverfahrens in Ergänzung zur Selbstbeurteilung sinnvoll ist.

Zusammenfassung

Es konnte gezeigt werden, dass auch im höheren Erwachsenenalter eine höhere Regulationskompetenz, die eine aktive Einflussnahme auf die Dauer sowie die Intensität emotionaler Zustände erlaubt, einen positiven Einfluss auf depressive Symptome hat. Bei Patient:innen, bei denen ein emotionales Regulationsdefizit eine auslösende und aufrechterhaltende Bedingung darstellt, könnte eine individuelle und auf den jeweiligen Patient:innen zugeschnittene Zusatzbehandlung zur Förderung der emotionalen Kompetenz den Therapieerfolg verbessern. Allerdings bedarf es weiterer Forschung, um den spezifischen Einfluss der verschiedenen Regulationskompetenzen und -strategien zu klären. Dafür sollten zukünftig randomisiert kontrollierte Interventionsstudien durchgeführt werden, bei denen systematisch untersucht wird, welchen Einfluss die Förderung emotionaler Kompetenz auf den Therapieerfolg am Ende einer Depressionsbehandlung bei älteren Erwachsenen hat. Zudem sollten weitere altersunspezifische Studien prüfen, welche Patient:innen von einem spezifischen Behandlungsangebot zur Förderung der emotionalen Kompetenz besonders profitieren und unter welchen Bedingungen ein Förderprogramm eine Depressionsbehandlung unterstützen kann. Vorstellbar ist es, dass Förderprogramme, je nach individueller auslösender und aufrechterhaltender Problematik der Patient:innen, als primäre Behandlung oder als add-on Baustein innerhalb einer konventionellen Depressionsbehandlung eingesetzt werden.

6.2 Zusammenfassung der Befunde

Um Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Emotionsregulationskompetenz und Emotionsregulationsstrategien und depressiver Symptomatik im Alter zu gewinnen, wurden Personen aus der Allgemeinbevölkerung und Patient:innen, die sich in einer klinischen Depressionsbehandlung befanden, untersucht. Bei der Analyse wurde schrittweise vorgegangen: Um zunächst einen übergeordneten Eindruck zu erhalten, wurden die Zusammenhänge zwischen der Emotionsregulationskompetenz und verschiedenen Affektvariablen wie positiver und negativer Affekt, Depression und Wohlbefinden in der Allgemeinbevölkerung untersucht. Dabei zeigte sich im Einklang mit anderen Untersuchungen, dass positiver Affekt im Alter eine stabile Größe darstellt und häufiger als negativer Affekt erlebt wird (Barrick et al., 1989; Carstensen et al., 2000; Charles, et al., 2001; Gross et al., 1997). Zudem zeigte sich, dass bei Erwachsenen im höheren Alter Emotionsregulation einen relevanten Einfluss auf den positiven Affekt und das Wohlbefinden hatte. Kompetenzen, die dabei eine wichtige Rolle spielen, sind Akzeptanz, Regulationskompetenz sowie Resilienz. Bei den Emotionsregulationsstrategien hatten positive Refokussierung, Neubewertung und Relativieren den stärksten Einfluss auf das Wohlbefinden.

Im zweiten Schritt wurden Patient:innen in klinischer Depressionsbehandlung mit gesunden Kontrollen bezüglich ihrer Emotionsregulationskompetenz und der Nutzung spezifischer Emotionsregulationsstrategien verglichen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung bestätigten die Befunde aus anderen Altersgruppen und zeigten, dass auch bei depressiven im Vergleich zu gesunden Menschen im höheren Lebensalter Kompetenzdefizite auf allen Ebenen des adaptiven Regulationsprozesses vorlagen (Berking et al., 2014; Catanzaro et al., 2000; Ehret, 2014; Ehring et al., 2008; Hofmann et al., 2011; Honkalampi et al., 1999; Kahn & Garrison, 2009; Radkovsky et al., 2014; Rude & McCarthy, 2003; Shallcross et al., 2010). Der Unterschied zwischen den beiden Gruppen machte sich besonders in der geringeren Resilienz und Akzeptanz von depressiven Menschen im höheren Lebensalter sowie in der gesteigerten Nutzung von Rumination und Katastrophisieren bemerkbar.

Abschließend wurde die Fragestellung, ob ein Zusammenhang zwischen Emotionsregulationskompetenz und Depression im Alter besteht, auf eine klinische Stichprobe übertragen. Dafür wurden ältere depressive Patient:innen zu Beginn und am Ende der Depressionsbehandlung sowie nach einem Follow-up von drei Monaten bezüglich der Entwicklung der depressiven Symptomatik unter dem Einfluss der Emotionsregulationskompetenz untersucht. Die Beurteilung der depressiven Symptomatik und der Emotionsregulationskompetenz erfolgte zu unterschiedlichen Messzeitpunkten und anhand von unterschiedlichen Verfahren in der Selbstbeurteilung sowie zusätzlich anhand von Fremdbeurteilungen, die durch die psychotherapeutisch Behandelnden vorgenommen wurden. Die Ergebnisse dieser Untersuchung deuten auf einen negativen Zusammenhang zwischen der Emotionsregulationskompetenz und der Schwere der depressiven Symptome hin. Bei dem Vergleich zwischen Patient:innen mit hoher und geringer Emotionsregulationskompetenz zeigte sich, dass die depressive Symptomatik bei Patient:innen mit hoher Emotionsregulationskompetenz im Vergleich zu denen mit geringer Kompetenz zu allen drei Messzeitpunkten wesentlich geringer war. Es konnte zudem gezeigt werden, dass Emotionsregulationskompetenz einen Einfluss auf den Outcome einer klinischen Depressionsbehandlung hatte: Patient:innen mit hoher Emotionsregulationskompetenz profitierten stärker von der Depressionsbehandlung und hatten einen höheren Therapieerfolg. Bei diesen Patient:innen zeigte sich eine stärkere Verringerung der depressiven Symptome im Verlauf der Behandlung, während Patient:innen mit geringer Kompetenz am Ende der Behandlung eine ausgeprägte Residualsymptomatik zeigten. Zudem scheint Emotionsregulation einen protektiven Faktor darzustellen, der bereits vor der Behandlung einen positiven Einfluss auf die Schwere der depressiven Symptomatik hat und diese auf einem geringeren Niveau hält. Dabei stellen Akzeptanz und emotionale Selbstunterstützung Kompetenzen dar, die zur Steigerung der Effektivität der Behandlung beitragen. Auch das Relativieren, allerdings in Form von systematischer und übermäßiger emotionaler Vermeidung, scheint eine relevante Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der Depression im Alter zu spielen. Diese Ergebnisse konnten zum einen in der Selbst- sowie in der Fremdbeurteilung gezeigt werden. Fremdbeurteilungsverfahren können bei der Einschätzung emotionaler Kompetenzen einen wichtigen Beitrag zu Absicherung der Diagnose und zur Therapieplanung leisten. Allerdings zeigte sich, dass bei der Einschätzung der depressiven Symptomatik eine höhere Beurteilungsübereinstimmung zwischen den Patient:innen und ihren Behandelnden vorlag als bei der Emotionsregulationskompetenz. Dies könnte den Rückschluss zulassen, dass die Beurteilung der Emotionsregulationskompetenz bei Patient:innen wie möglicherweise auch aufseiten der Behandelnden noch mehr Routine bedarf.

Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse konnten die aufgestellten Hypothesen (siehe Abschnitt 3.6) größtenteils beibehalten werden und erlauben den Hinweise auf einen negativen Zusammenhang zwischen Emotionsregulationskompetenz und Depression im höheren Erwachsenenalter. Eine Übersicht zu den Fragestellungen, den aufgestellten Hypothesen und zur Entscheidung über das Eintreffen der Hypothesen findet sich in Tabelle 6.1.

Tabelle 6.1 Übersicht über die Entscheidung zum Eintreffen der getesteten Hypothesen

6.3 Stärken und Limitationen

Bislang gibt es nur wenige Studien, die den Zusammenhang zwischen Emotionsregulation und Depression bei älteren Erwachsenen untersucht haben. Diese Studien basierten auf nicht-klinischen Stichproben, bei denen die Teilnehmenden aus der Allgemeinbevölkerung rekrutiert wurden (Kraaij et al., 2002b; Nolen-Hoeksema & Aldao, 2011). Des Weiteren handelt es sich bei einem Großteil der bisherigen Studien um korrelative Querschnittuntersuchungen (Mah & Pollock, 2010; Martins et al., 2018; Orgeta, 2011; Phillips et al., 2010; Savaskan, 2010; Steixner et al., 2015), die sich nur begrenzt eignen, um Einblicke in Kausalzusammenhänge zu bekommen (Reinecke & Pöge, 2010). In den bisherigen Studien wurden zudem ausschließlich Selbstbeurteilungsverfahren eingesetzt. Der Einsatz von retrospektiven Selbstbeurteilungsmaßen kann aufgrund von Verzerrungen durch Antworttendenzen im Sinne der sozialen Erwünschtheit oder aufgrund von Erinnerungseffekten als problematisch betrachtet werden (Feldman Barrett, 1997; Kluemper, 2008; Mabe & West, 1982; Matt et al., 1992; Shiota & Levenson, 2009). Die bisherigen Studien liefern somit zwar einen ersten Eindruck über die Zusammenhänge zwischen Emotionsregulationskompetenz und Depression. Schlussfolgerungen über relevante Charakteristika und Entwicklungsverläufe klinisch depressiver Patient:innen im höheren Erwachsenenalter lassen sich davon allerdings nur begrenzt ableiten. Dabei sind es besonders diese Erkenntnisse, die zur Verbesserung und Ergänzung der derzeitigen Depressionsbehandlung in dieser Altersgruppe benötigt werden.

Die in dieser Arbeit vorgestellten Untersuchungen fokussieren erstmals klinisch depressive Patient:innen im höheren Erwachsenenalter. Zudem zeichnen sie sich durch verschiedene methodische Aspekte sowie durch die Beschaffenheit und Auswahl ihrer Stichproben aus. Beide Aspekte werden im Folgenden näher beschrieben.

Die Untersuchung zu Fragestellung 1 wurde anhand einer vergleichsweise großen Stichproben von älteren Erwachsenen aus der Allgemeinbevölkerung durchgeführt. Zudem wurden unterschiedliche Affektvariablen erfasst, die in einem möglichen Zusammenhang mit einer effektiven Emotionsregulation stehen. Durch diese Operationalisierung konnten erstmals die verschiedenen Ebenen berücksichtigt werden, auf denen eine effektive Emotionsregulation beurteilt werden kann (siehe Abschnitt 5.1). Des Weiteren wurde eine klinische Stichprobe mit einer gematchten Kontrollgruppe verglichen (siehe Abschnitt 5.2). Eine weitere Stärke dieser Arbeit liegt in dem Untersuchungsdesign: Depression und Emotionsregulationskompetenzen wurden zu unterschiedlichen Messzeitpunkten erfasst. Zudem wurden unterschiedliche Verfahren zur Beurteilung der emotionalen Kompetenz eingesetzt und es erfolgte neben der Selbstbeurteilung der Patient:innen zusätzlich auch eine Fremdbeurteilung durch die psychotherapeutisch Behandelnden (siehe Abschnitt 5.3). Durch dieses Vorgehen war es möglich, die Ergebnisse abzusichern und Widersprüche sowie Unterschiede in den Beurteilungen aufzudecken und diese für die zukünftigen Implikationen zu nutzen.

Um den Einfluss der Emotionsregulationskompetenzen auf die Entwicklung der depressiven Symptomatik während einer klinischen Depressionsbehandlung zu untersuchen, wurden neben Quer- auch Längsschnittuntersuchungen durchgeführt. Methodisch stellt die längsschnittliche Untersuchung depressiver Patient:innen im höheren Erwachsenenalter in klinischer Depressionsbehandlung eine Erweiterung des derzeitigen Forschungsstandes dar (siehe Abschnitt 5.3). Der Längsschnitt eignet sich zur Untersuchung von Kausalzusammenhängen und geht damit über ein rein korrelatives Untersuchungsdesign hinaus (Reinecke & Pöge, 2010).

Des Weiteren liegen Stärken dieser Untersuchung in der Beschaffenheit der Stichproben: Die klinische Stichprobe wurde sorgfältig und umfangreich anhand klinischer Manuale und Verfahren von psychotherapeutisch Behandelnden diagnostiziert. Zudem fand beim Vergleich der depressiven Patient:innen mit gesunden Kontrollen ein Matching anhand unterschiedlicher und vergleichsweise umfangreicher Kriterien statt. Auch im Hinblick auf die Kriterien des guten wissenschaftlichen Arbeitens kann bei dieser Untersuchung von einer hohen ökonomischen Validität ausgegangen werden, da die Datenerhebung im Rahmen einer tagesklinischen Routinebehandlung stattfand.

Neben den verschiedenen Stärken dieser Untersuchung werden bei der Interpretation der Ergebnisse auch Limitationen berücksichtigt, die als zentrale Implikationen für zukünftige Forschungsvorhaben gelten.

Im Vergleich zu Big Data-Analysen, die beispielsweise anhand von digitalen Datenerhebungen durchgeführt werden, kann bei dieser Untersuchung der Stichprobenumfang in der klinischen Stichprobe und der gemachten Kontrollgruppe (n = jeweils 46) als vergleichsweise gering betrachtet werden. Allerdings sollten dabei allgemeine Überlegungen zur Realisierbarkeit und zur Notwendigkeit von Stichprobegrößen in klinischen Studien beachtet werden. Grundsätzlich ist der Stichprobenumfang von zentraler Bedeutung für die Aussagekraft einer Untersuchung. Aus zu kleinen, aber auch aus zu großen Stichproben ergeben sich ökonomische und ethische Probleme. Bei zu kleinen Stichprobengrößen besteht die Gefahr, dass bestehende Unterschiede nicht erkannt werden. Bei zu großen Stichproben führen praktisch irrelevante und unbedeutende Unterschiede zu einem signifikanten Ergebnis und somit zu einer verzerrten Einschätzung (Metzler & Krause, 1997). Der Stichprobenumfang in dieser Untersuchung wurde anhand eines statistischen Instruments zur Ermittlung von Mindeststichprobengrößen überprüft (G*Power) und stellt eine näherungsweise Größe dar. Allerdings orientierte sich der Stichprobenumfang in erster Linie an den verfügbaren Ressourcen und an den Patient:innen, die im Zeitraum der Datenerhebung zur Verfügung standen und in die Untersuchung eingeschlossen werden konnten.

In den vorgestellten Studien wurden neben Längs- auch Querschnittuntersuchungen durchgeführt. Bei Studien, die im Querschnitt erhoben werden, können Kohorteneffekte nicht ausgeschlossen werden. Es kann zu Konfundierungen mit den Faktoren Alter und Geburtskohorte kommen. Dadurch wird nicht eindeutig festgestellt, ob altersspezifische Befunde in der Emotionsregulationskompetenz auf das chronologische Alter oder auf die verschiedenen sozialen, gesellschaftlichen und historischen Sozialisationserfahrungen zurückzuführen sind (Wurm et al., 2010). Das Erleben, der Ausdruck und die Bewertung von Emotionen haben sich im Verlauf des letzten Jahrhunderts möglicherweise verändert. Aufgrund einer kohortenspezifischen Sozialisationen kann es dementsprechend zu unterschiedlichen Überzeugungen bezüglich Emotionskontrolle und dem Erleben von Emotionen zwischen jüngeren und älteren Erwachsenen kommen. Jüngere Erwachsene könnten beispielsweise mehr Freiheiten im Umgang und im Äußern von Emotionen erleben, während ältere Erwachsene eher zurückhaltender vor allem im Bericht von belastenden Emotionen sind (Neumann, 2016; Radebold, 2006).

Die Untersuchung anhand eines Querschnitts liefert zudem nur eingeschränkte Informationen bezüglich der Kausalität. Die kausalen Beziehungen der untersuchten Konstrukte bleiben bei diesem Design unklar und die Frage, ob eine maladaptive Emotionsregulation die Folge, ein Symptom oder die Ursache der depressiven Störung ist, kann nicht ausreichend beantwortet werden. Allerdings kann bei einem signifikanten Zusammenhang in einer Längsschnittuntersuchung auch nicht grundsätzlich von Kausalität ausgegangen werden. Mögliche Einflussfaktoren und Drittvariablen, die einen Einfluss auf die untersuchten Variablen haben, müssen zusätzlich berücksichtigt werden (McArdle, 2009). Im Rahmen zukünftiger Untersuchungen sollten Variablen, die einen Einfluss speziell in dieser Altersgruppe haben, zunächst anhand von theoretischen Überlegungen identifiziert und im zweiten Schritt ausgeschlossen oder als Kontrollvariable in das statistische Modell aufgenommen werden. Dazu kann beispielsweise das Vorliegen bzw. die Dauer und Intensität depressiver Episoden in der Vergangenheit oder die Sensibilität für stressreiche Lebensereignisse gehören (Acciai & Hardy, 2017). Der Einbezug verschiedener Kovariaten kann die Ergebnisse weiterhin absichern, er bietet jedoch keinen vollständigen Nachweis für einen kausalen Zusammenhang. Auch der Einsatz komplexerer statistischer Verfahren wie Strukturgleichmodelle erlaubt nicht zwingend eine kausale Interpretation. Dennoch sollten in zukünftigen Untersuchungen diese Verfahren, unter der Verwendung von hinreichend großen Stichproben, eingesetzt werden, um die gefundenen Zusammenhänge zwischen Emotionsregulation und der Depression im Alter weiter zu beleuchten. Durch den Einsatz von Strukturgleichungsmodellen wäre es möglich, messfehlerfreie Prozesse zu erfassen. Zudem könnten intraindividuelle Untersuchungen vorgenommen werden, die Veränderungsprozesse innerhalb der Patient:innen abbilden (Volz, Voelkle & Werheid, 2019).

Eine weitere Einschränkung dieser Untersuchung liegt in der Nutzung von Selbstbeurteilungsverfahren. Selbstberichtsdaten werden aufgrund von Verzerrungen durch Antworttendenzen und Retrospektionseffekten als problematisch betrachtet. Um die Problematik von Selbstberichtverfahren zu überwinden, wurde die klinische Stichprobe anhand unterschiedlicher Verfahren, zu unterschiedlichen Messzeitpunkten und unter Einbezug einer Fremdbeurteilung durch den Behandelnden untersucht (siehe Abschnitt 5.3). Um weitere Limitationen, die sich aus diesem Ansatz ergeben, zu überwinden, sollten zukünftige Studien um Fremdbeurteilungen durch Partner:innen oder wichtigen Bezugspersonen ergänzt werden. Des Weiteren sollten in dieser Altersgruppe Emotionsregulationskompetenz und Depression über physiologische Parameter wie Herzfrequenz (Hartmann, 2020) oder anhand von immunologischen oder hormonellen Parametern wie dem Cortisolgehalt in Haaren oder Speichel (Zorn et al., 2017) operationalisiert werden. Diese Untersuchungen sorgen für eine höhere Objektivität in der Diagnostik und stellen einen wichtigen Anhaltspunkt für die Suche nach reliablen Bioparametern dar. Damit liefern sie die Basis für ein besseres Krankheitsmanagement beispielsweise in Form von mobilen Systemen zum Self-Monitoring bei Depression oder emotionsregulativen Defiziten.

Um Retrospektionseffekte weiterhin zu verringern und um umfangreichere Informationen über vorauslaufende Bedingungen depressiver Symptome und Emotionsregulationsdefizite zu bekommen, sollten des Weiteren ambulante Assessments eingesetzt werden. Dabei handelt es sich um diagnostische Verfahren, bei denen das Verhalten und Erleben der Teilnehmenden „im Moment“, also unmittelbar und ohne große zeitliche Verzögerung im natürlichen Umfeld erfasst wird. Speziell in dieser Altersgruppe wären Tagebuchverfahren oder die Registrierung von Bewegungs- und Sprechaktivität sowie der Körperhaltung eine sinnvolle und informative Ergänzung (Wilhelm & Perrez, 2008).

Aufgrund des in dieser Untersuchung verwendeten Designs ist nicht auszuschließen, dass bestimmte Veränderungsprozesse übersehen wurden. Der Follow-up Zeitraum von drei Monaten sollte limitierend berücksichtigt werden, da sich Veränderungen beispielsweise in der Nutzung bestimmter Strategien erst später ergeben. Die vorliegenden Ergebnisse geben bereits einen ersten Hinweis darauf, dass sich bestimmte Strategien durch Training und Übung im Alltag erst mittel- bis langfristig etablieren. Ein verändertes Nutzungsprofil zeigt sich dann möglicherweise erst später und lässt sich in diesem verhältnismäßig kurzen Zeitraum nur unzureichend abbilden.

Des Weiteren erlaubt diese Untersuchung zwar einen ersten Hinweis, aber keine exakte Aussage darüber, wie stark der Einfluss der Emotionsregulationskompetenz auf die depressive Symptomatik tatsächlich ist und welche spezifischen Strategien im Rahmen eines Interventionsprogramms gefördert werden sollten. Es konnte gezeigt werden, dass Akzeptanz, Selbstunterstützung und Relativieren Strategien darstellen, die einen Einfluss auf die depressive Symptomatik bei älteren Erwachsenen haben. Dieses Ergebnis liefert erste Informationen darüber, welche spezifischen Strategien möglicherweise gefördert werden sollten. Allerdings sollte dieses Ergebnis durch klinische Interventionsstudien, die nach den verbindlichen Regeln von Good Clinical Practice durchgeführt werden, überprüft werden. Dafür sollte ein Interventionsprogramm zur Förderung der emotionalen Kompetenz kontrolliert also anhand einer Interventions- und Kontrollgruppe untersucht wird. Zudem sollten die Studien nach Möglichkeit randomisiert und doppelblind sein, um die Gefahr durch Verzerrungen so gut wie möglich zu minimieren. Das Interventionsprogramm sollte sich an den Bedürfnissen der älteren Erwachsenen orientieren und speziell auf diese Altersgruppe zugeschnitten sein. Als problematisch sei an dieser Stelle anzumerken, dass nach den durchgeführten Recherchen im Rahmen dieser Untersuchung derzeit kein spezifisches Programm zur Förderung der emotionalen Kompetenz existiert, dass ältere depressive Erwachsene adressiert.

Für die Untersuchung von spezifischen Wirkmechanismen sowie auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren der Depression im Alter sind klinische Interventionsstudien eine notwenige Voraussetzung. Das in der vorliegenden Untersuchung keine gezielte Förderung von Emotionsregulationskompetenz vorgenommen wurde, stellt eine Limitation dar und sollte bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden. Allerdings sollte als Hinweis auf die Robustheit der Ergebnisse, die Annahme, dass eine psychotherapeutische Depressionsbehandlung die Förderung einer adaptiven Emotionsregulation zumindest indirekt einschließt, ebenfalls berücksichtigt werden.

Da keine Möglichkeiten vorhanden waren, die Stichprobenziehung effizienter zu gestalten, wurde zunächst eine einfache Zufallsstichprobe angestrebt. Die einfache Zufallsstichprobe ist die einfachste Form einer probabilistischen Stichprobe. Dabei werden n Einheiten zufällig aus einer Population mit N Elementen ausgewählt. Allerdings waren naturgemäß nicht alle zur Population zählenden Untersuchungsobjekte bekannt und zudem konnte keine konstante Auswahlwahrscheinlichkeit weder für die Proband:innen aus der Allgemeinbevölkerung noch für die klinische Stichprobe garantiert werden. Aufgrund dieser Verletzungen, die eine Voraussetzung für einfache Zufallsstichproben darstellen, kann in dieser Untersuchung eher von einer anfallenden Stichprobe ausgegangen werden, bei der vorhandene und zugängliche Untersuchungsobjekte ausgewählt wurden (Döring & Bortz, 2016). Die klinische Stichprobe wurde zudem nur in einer Klinik rekrutiert, sodass möglicherweise das räumliche Einzugsgebiet und kooperierende Versicherungsträger einen Einfluss auf die Selektion der vorhandenen Patient:innen hatten. Auch bei den Proband:innen aus der Allgemeinbevölkerung fand vorab eine Selektion statt, da diese größtenteils auf bildungsnahen Veranstaltungen rekrutiert wurden. Der Besuch dieser Veranstaltungen setzt eine gewisse Mobilität und Interesse und möglicherweise ein bestimmtes Bildungsniveau voraus. Da in beiden Gruppen keine für die Gesamtgesellschaft repräsentativen Stichproben erhoben werden konnten und somit der Einfluss kovariierender Merkmale nicht ausgeschlossen werden kann, ist die Generalisierbarkeit der Ergebnisse dieser Untersuchung eingeschränkt und die Ergebnisse sollten unter Vorbehalt betrachtet werden.

6.4 Theoretische und klinisch-praktische Implikationen

Aus den dargestellten Befunden dieser Untersuchung lassen sich verschiedene theoretische und klinisch-praktische Implikationen ableiten. Im Folgenden werden zunächst Implikationen abgeleitet, die sich auf die Prävention depressiver Störungen und in diesem Sinne auf die frühzeitige Förderung der emotionalen Kompetenz im höheren Erwachsenenalter beziehen. Des Weiteren wird auf Grundlage der Ergebnisse Bezug auf die klinische Praxis genommen. Es werden die Besonderheiten bei der Behandlung älterer Patient:innen mit depressiven Störungen dargestellt und Überlegungen zu den relevanten Aspekten eines Trainings zu Förderung der emotionalen Kompetenz beschrieben. Abschließend werden Perspektiven für die zukünftige Forschung abgeleitet.

Prävention der Depression im höheren Erwachsenenalter

Die Untersuchung der Personen aus der Allgemeinbevölkerung zeigte, dass sich eine hohe Emotionsregulationskompetenz nicht nur förderlich auf das Wohlbefinden im Alter auswirkt, sondern auch einen protektiven Faktor bezüglich depressiver Symptomatik darstellt. Besonders die Förderung der Resilienz kann im Rahmen präventiver Maßnahmen auf den langfristigen Aufbau und die Stärkung von Ressourcen, lange bevor sie gebraucht werden, abzielen. Vorstellbar wäre die gezielte Förderung der Emotionsregulationskompetenz in Risikogruppen, wie Personen, die im Verlauf ihres Lebens bereits von depressiven Störungen betroffen waren. Eine weitere Gruppe, bei denen präventive Maßnahmen sinnvoll eingesetzt werden könnten, sind pflegende Angehörige von Menschen mit einer Demenzerkrankung. Verschiedene Studien konnten zeigen, dass im Vergleich zu altersentsprechenden Normstichproben bei pflegenden Angehörigen deutliche Einschränkungen des allgemeinen Gesundheitszustandes vorliegen (Baumgarten et al., 1992; Grafström, Fratiglioni, Sandman & Winblad, 1992). Neben psychosomatischen Beschwerden (Baldwin, Kleemann, Stevens & Rasin, 1989), Schlafstörungen (Adler, Gunzelmann, Machold, Schumacher & Wilz, 1996) und Störungen des Immunsystems (Kiecolt-Glaser et al., 1987) sind depressive Störungen die am häufigsten berichtete Reaktion auf die in der Regel dauerhafte Belastungssituation (Stommel, Given & Given, 1990). Aufgrund der erhöhten Vulnerabilität werden pflegende Angehörige als Risikogruppe für das Auftreten einer depressiven Störung betrachtet und sollten bereits präventiv unterstützt werden (Pinquart & Sörensen, 2003; Schulz & Martire, 2004). Ein vergleichbar hohes Risiko, eine depressive Störung aufgrund einer andauernder Belastung zu entwickeln, liegt auch bei Angehörigen von Schlaganfallpatient:innen vor. Auch hier zeigt sich ein geringeres Maß an psychischer und körperlicher Gesundheit sowie höhere Depressivität im Vergleich zur Normalbevölkerung (Berg, Palomäki, Lönnqvist, Lehtihalmes & Kaste, 2005; Brooks, 1991; Low, Payne & Roderick, 1999; Segal & Schall, 1996; Williams, 1993).

Im Rahmen von Präventionsprogrammen, die der Verbesserung der psychischen Gesundheit bei gesunden Menschen im höheren Lebensalter dienen und somit zusätzlich das Risiko einer Depression im Alter verringern, können beispielsweise psychoedukative Programme zum Einsatz kommen. Durch ein psychoedukatives Programm, das die Förderung der Emotionsregulationskompetenz anstrebt, kann Wissen über die Entstehung und die adaptive Regulation von Emotionen systematisch und strukturiert vermittelt werden. Zudem können die Folgen eines maladaptiven Regulationsstils besprochen und individuelle Veränderungsmaßnahmen erarbeitet werden. Durch die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten, können die Betroffenen darin unterstützt werden, emotionale Problematiken zunächst zu erkennen, einzelne Emotionen zu identifizieren und diese klar voneinander abzugrenzen. Das klare Erkennen und die korrekte Identifikation von Emotionen ermöglichen es, Wissen über diese Emotion zu aktivieren, um diese dann adaptiv zu regulieren. Des Weiteren sollte es besonders im höheren Erwachsenenalter zu einer Förderung der Resilienz sowie der Akzeptanz kommen. Dabei könnte Akzeptanz als einer von verschiedenen Resilienzfaktoren betrachtet werden. Eine hohe Akzeptanz erleichtert den Umgang mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder mit dem Verlust von Partner:innen, nahen Verwandten oder langjährigen Weggefährt:innen und hilft somit, Krisen besser zu überwinden. Die Förderung der Akzeptanz sollte in einem Programm, das sich an Erwachsene im höheren Lebensalter richtet, einen besonderes Stellenwert einnehmen. Der Grund: Akzeptanz stellt, besonders in weniger kontrollierbaren Situationen, eine effektive Strategie dar (Nakamura & Orth, 2005). Es kann davon ausgegangen werden, dass es im Alter häufiger zu unkontrollierbaren Situationen kommt, z. B. beim Verlust des Partners oder der Partnerin oder bei einer schweren Erkrankung. Zudem ist Akzeptanz im Vergleich zur positiven Neubewertung, kognitiv weniger aufwendig und nimmt geringere kognitive Ressourcen in Anspruch (Charles et al., 2009; Scheibe et al., 2015).

Programme zur Förderung der emotionalen Kompetenz im Alter könnten beispielsweise durch die Krankenkassen, durch die Arbeitgeber:innen oder durch andere Institutionen in das Gesundheitssystem integriert werden und Personen aus der Allgemeinbevölkerung bereits frühzeitig und nicht erst mit dem Eintritt in den Ruhestand unterstützen. Auch im Bereich der selbstorganisierten Erwachsenenbildung, beispielsweise in Seniorenakademien oder Universitäten, können Präventionsprogramme angeboten werden. Präventionsstrategien sollten allerdings nicht nur potenziell Betroffene adressieren, sondern sie sollten sich auch an Berufsgruppen wie Psychotherapeut:innen, Ärzt:innen und Pflegekräfte richten. Bei der Konzeption und Entwicklung solcher Programme sollte darauf geachtet werden, dass sie adressatengerecht sind und die Bedürfnisse der jeweiligen Empfänger:innen berücksichtigen. Zudem sollten entsprechende Versorgungsmodelle niederschwellig und für die Betroffenen gut erreichbar sein. Zur Sicherstellung der Qualität im Sinne der Gütekriterien müssen entsprechende Programme regelmäßig evaluiert werden.

Es konnte gezeigt werden, dass Programme, die die körperliche Aktivität von Menschen im höheren Lebensalter förderten, das Risiko an einer Depression zu erkranken, verringerten (Gogulla, Lemke & Hauer, 2012). Zudem erwiesen sich Programme und Interventionen, die bestimmte Risikofaktoren einer Depression im Alter beeinflussen, ebenfalls als präventiv wirksam. Hierzu gehören beispielsweise die Verringerung von sozialer Isolation und Einsamkeit (Gühne et al., 2014) oder die Therapie von Schlafstörungen (Riemann, 2009). Die Ergebnisse dieser Untersuchung geben einen Hinweis darauf, dass ebenfalls ein Programm zur Förderung der emotionalen Kompetenz für Menschen im höheren Lebensalter im Allgemeinen sowie für spezifische Risikogruppen einen präventiven Nutzen haben kann. Es kann bei der Verringerung des Risikos, eine Depression im Alter zu entwickeln, wirksam sein und eine sinnvolle präventive Ergänzung zu aktuellen psycho- und sozialtherapeutischen Maßnahmen darstellen.

Klinische Implikationen zur Behandlung der Depression im höheren Erwachsenenalter

Wie bereits in vorherigen Untersuchungen zum jüngeren und mittleren Erwachsenenalter zeigte sich in dieser Untersuchung, dass auch im höheren Erwachsenenalter bei depressiven Patient:innen im Vergleich zu gesunden Menschen im höheren Lebensalter Kompetenzdefizite auf allen Ebenen des adaptiven Regulationsprozesses vorlagen (Berking et al., 2014; Catanzaro et al., 2000; Ehret, 2014; Ehring et al., 2008; Hofmann et al., 2011; Honkalampi et al., 1999; Kahn & Garrison, 2009; Radkovsky et al., 2014; Rude & McCarthy, 2003; Shallcross et al., 2010). Die vorliegende Untersuchung von depressiven älteren Patient:innen weist zudem darauf hin, dass die Förderung der Emotionsregulationskompetenz ein relevanter Baustein in der Behandlung der Depression im Alter sein kann. Dieses Ergebnis deckt sich mit ersten Befunden zur Behandlung der Depression im Alter, in denen die Förderung der Emotionsregulationskompetenz im Fokus der Behandlung stand. Achtsamkeitsbasierte Behandlungsansätze wie die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (Petkus & Wetherell, 2013) sowie ein aktives Problemlösetraining (Kiosses et al., 2015) konnten bereits ihre Wirksamkeit bei depressiven Patient:innen im höheren Lebensalter zeigen (siehe Abschnitt 3.3.4). Zudem liefern verschiedene Metaanalysen empirische Belege dafür, dass der Umgang mit Emotionen grundsätzlich trainiert und verbessert werden kann (Hodzic, Scharfen, Ripoll, Holling & Zenasni, 2018; Mattingly & Kraiger, 2019). Derzeit existiert allerdings kein spezifisches Training zur Förderung der emotionalen Kompetenz, dass die Bedürfnisse von Erwachsenen im höheren Lebensalter berücksichtigt und an die speziellen Förderbedarfe dieser Altersgruppe angepasst ist.

Dabei stellt sich die Frage, was bei einem Programm, dass ältere Erwachsene fokussiert, beachtet werden muss. Dafür hilft zunächst ein Blick in die allgemeine psychotherapeutische Behandlung von Menschen im höheren Lebensalter: Das psychotherapeutische Vorgehen bei Patient:innen im mittleren oder höheren Erwachsenenalter unterscheidet sich nicht grundlegend voneinander. Allerdings gilt es, bei der Behandlung von Menschen im höheren Lebensalter einige Besonderheiten zu beachten und bestimmte Anpassungen vorzunehmen. Grundsätzlich eignen sich für die psychotherapeutische Arbeit mit Menschen im höheren Lebensalter Strategien, die sich aus dem SOK-Modell (Baltes & Baltes, 1989) ableiten lassen (siehe Abschnitt 3.1.3). Dabei sollten Anpassungs- und Veränderungsprozesse über die Komponenten Selektion, Optimierung und Kompensation erfolgen. Selektion sollte die Grundlage für die Auswahl und Neuanpassung von Zielen darstellen. Dabei sollte ein Fokus auf persönlich bedeutsame und wichtige Ziele gelegt werden. Ziele, die nicht mehr erreicht werden können, sollten nach Möglichkeit aufgegeben werden. Bei der Optimierung geht es um die (Re-)Aktivierung von Ressourcen zur Schaffung von möglichen Verhaltensalternativen, die einen Einfluss auf die Lebensqualität der Patient:innen haben. Bestehende Fähigkeiten und Potentiale sollen vermehrt genutzt und ggf. verbessert werden. Kompensation wird dann notwendig, wenn die eigenen Fähigkeiten zur Bewältigung des Alltags eingeschränkt oder nicht mehr ausreichend sind. Es sollen neue Handlungsalternativen geschaffen werden, um altersspezifischen Verlusten und Einschränkungen entgegenzuwirken. Nach dem SOK-Modell entwickelt sich im Alter eine depressive Symptomatik, wenn drohende oder bereits bestehende Verluste nicht mehr mit Selektions-, Optimierungs- oder Kompensationsstrategien ausgeglichen werden können. Die Förderung von SOK-Strategien kann bei der Behandlung der Depression im Alter ein sinnvolles Therapieziel darstellen und sollte einen Einfluss auf die Auswahl von Interventionsmaßnahmen haben (Hautzinger, 2000).

Anhand der grundsätzlichen Überlegungen, die sich aus dem SOK-Modell ergeben, lassen sich konkrete Anpassungen und Besonderheiten für das therapeutische Vorgehen in der Behandlung von depressiven Störungen im Alter ableiten. Zu diesen Anpassungen und Besonderheiten gehören u. a. Veränderungen in der Struktur der Behandlung sowie altersspezifische Themen, die in der Therapie Beachtung finden sollten. Beide Aspekte werden im Folgenden näher beschrieben.

Strukturell unterscheidet sich die psychotherapeutische Behandlung von Menschen im höheren Lebensalter im Vergleich zu jüngeren Personen beispielsweise in der Komplexität der einzelnen Sitzungen. Die Struktur der Sitzungen sollte übersichtlich und das Tempo der Durchführung sowie der Sprechstimme stark an die jeweiligen Patient:innen angepasst sein. Instruktionen sollten nach Möglichkeit auf verschiedenen Wegen gegeben werden (z. B. verbal und zusätzlich durch Visualisierung). Günstig sind häufige Wiederholungen und Zusammenfassungen, die zu Diskussionen oder zum Austausch von eigenen Erfahrungen anregen. Als Erinnerungsstütze eignen sich Handouts, themenspezifische Flyer oder Audioaufnahmen, die nach den Gruppen- oder Einzelsitzungen mit nach Hause genommen werden können. Zudem sollte die allgemeine Dauer einer Sitzung angepasst werden. Es wird empfohlen, kürzere und dafür häufigere Sitzungen anzubieten und eine Sitzungsdauer von 30 Minuten, wenn möglich nicht zu überschreiten. Eine Anpassung an veränderte körperliche Gegebenheiten und an eine steigende Multimorbidität sollte ebenfalls erfolgen. Diese kann über Barrierefreiheit beim Erreichen des Behandlungsraums bis hin zur Auswahl altersgerechter Sitzmöbel erreicht werden. Die Behandelnden sollten ihren Therapiestil an die Bedürfnisse der Menschen im höheren Lebensalter anpassen. Ein eher aktiver, wohlwollender und unterstützender Stil mit einer positiven und realistischen Einstellung zu Themen wie Tod, Vergänglichkeit und Verlust hat sich als günstig erwiesen (Supprian & Hauke, 2017).

Im Vergleich zum jüngeren und mittleren Erwachsenenalter unterschieden sich in der psychotherapeutischen Behandlung von Menschen im höheren Lebensalter auch die vorrangigen Themen. Besonders relevant bei Menschen im höheren Lebensalter sind das Erleben des eigenen körperlichen und kognitiven Abbaus, eine Verringerung der Mobilität, der Verlust von wichtigen Bezugspersonen sowie eine mögliche Reaktivierung traumatischer Erlebnisse, die sich aus einer vermeintlich zunehmenden Hilflosigkeit ergeben kann. Interventionsprogramme sollten diese Themen einbeziehen, sie in den therapeutischen Fokus setzen oder zumindest Beispiele, die zur Erläuterung von komplexeren Sachverhalten oder Situationen dienen, an die Themen der Menschen im höheren Lebensalter anpassen. Beispiele, die soziale Interaktionsmuster erklären sollen, eignen sich besser, wenn sie im Kontext einer Kirchengemeinde oder in der Hausgemeinschaft erklärt werden als im Kontext von Büro oder Schule (Forstmeier & Maercker, 2009; Maercker & Leopold, 2002; Supprian & Hauke, 2017).

Um ein zentriertes Angebot zu ermöglichen, sollten Interventionsprogramme zur Behandlung der Depression im Alter aus verschiedenen Bausteinen bestehen. Wie auch in anderen Altersgruppen dürfen bei der kognitiv-verhaltenstherapeutischen Behandlung von depressiven Menschen im höheren Lebensalter Bausteine wie die Erstellung einer Problemanalyse, die Vermittlung von Krankheitsinformationen, die Verhaltensaktivierung und der Aktivitätsaufbau sowie das Erkennen von dysfunktionalen Denkmustern und deren Selbstkontrollmöglichkeiten nicht fehlen (DGPPN, BÄK, KBV, AWMF, 2017). Allerdings existiert derzeit lediglich ein spezifisches Therapiemanual von Hautzinger (2000), das speziell für die Behandlung der Depression im Alter konzipiert wurde und die oben genannten Bausteine berücksichtigt. In diesem Programm werden zwar einzelne Übungen vorgeschlagen, die Fertigkeiten wie beispielsweise Akzeptanz und emotionale Selbstunterstützung fördern, allerdings beinhaltet dieses Programm kein spezifisches Modul zur gezielten Förderung der emotionalen Kompetenz bzw. fokussiert an keiner Stelle den adaptiven Umgang mit belastenden Emotionen wie Traurigkeit, Angst oder Scham.

Die Ergebnisse dieser und anderer Untersuchungen geben allerdings einen Hinweis darauf, dass ein spezifisches Programm für Patient:innen im höheren Erwachsenenalter, bei denen emotionsregulative Defizite an der Entstehung und Aufrechterhaltung der depressiven Symptomatik maßgeblich beteiligt sind, für die klinische Praxis von Nutzen wäre (Fernández-Caballero, Latorre, Pastor & Fernández-Sotos, 2014; Kiosses et al., 2015; Petkus & Wetherell, 2013). Des Weiteren wäre vorstellbar, bereits bestehende Programme und Interventionen durch einen add-on Baustein zu ergänzen, der auf die Förderung der emotionalen Kompetenz abzielt. Dieses Programm oder der spezifische add-on Baustein sollen die bereits gut etablierten und konventionellen Behandlungsansätze nicht ersetzten. Sie dienen als Ergänzung oder Anreicherung der evaluierten Behandlungsprogramme und sollten sich primär an Patient:innen richten, bei denen eine Störung der Emotionsregulationskompetenz im Vordergrund steht. Die Behandlung dieser Patient:innen kann z. B. um den Baustein verlängert werden oder es könnten gezielte Nachsorgeprogramme angeboten werden. Die gezielte Förderung der Emotionsregulationskompetenz könnte einen vielversprechenden Ansatz darstellen, der die konventionelle Depressionsbehandlung verbessert und möglicherweise die hohe Rückfallrate verringert (Härter et al., 2010).

Bei der Konzeption sollten allerdings die spezifischen Bedarfe des höheren Erwachsenenalters berücksichtigt werden und eine Anpassung erfolgen. Ein Programm oder Training zur Förderung der emotionalen Kompetenz im Alter sollte beispielsweise die vorab beschriebenen strukturellen und themenspezifischen Besonderheiten der Altersgruppe berücksichtigen. Zudem scheint es sinnvoll, bestimmte Aspekte und Kompetenzen in dieser Altersgruppe gezielt zu fördern. Das Training emotionaler Kompetenzen von Berking (2017; siehe Abschnitt 3.3.2.1) stellt bereits ein wirksames Programm dar, das wahrscheinlich auch bei ältere Patient:innen mit Emotionsregulationsdefiziten eingesetzt werden kann. Allerdings können anhand der Ergebnisse dieser Untersuchung einige Überlegungen zur Anpassung dieses Programms an Patient:innen im höheren Erwachsenenalter vorgenommen werden: Zum einen sollten die oben beschriebenen strukturellen Aspekte zur Durchführung psychotherapeutischer Interventionen bei Menschen im höheren Lebensalter beachtet werden. Dazu könnte eine Reduktion der Komplexität des Materials gehören und die Anzahl der Sitzungen erhöht werden, um die einzelnen Sitzungen in ihrer Dauer zu kürzen. Inhaltlich könnte über die Bildung von Schwerpunkten nachgedacht werden. Dabei scheinen im höheren Erwachsenenalter die Förderung der Akzeptanz und die Reduktion von emotionaler Vermeidung eine wichtige Rolle zu spielen. Beide Aspekte werden daher im Folgenden beschrieben.

Akzeptanz scheint besonders bei Personen im höheren Erwachsenenalter eine relevante Rolle bei der Aufrechterhaltung der psychischen Gesundheit zu spielen (Barnow et al., 2019; Barnow et al., 2020; Brassen et al., 2012; Krug & Mitmangruber, 2008; Nakamura & Orth, 2005; Petkus & Wetherell, 2013). Im Rahmen eines Programms zur Förderung der emotionalen Kompetenz könnte der Förderung der Akzeptanz in dieser Altersgruppe eine besondere Rolle zukommen. Diese besondere Rolle ist nicht überraschend angesichts der Ergebnisse, die bereits mit Behandlungskonzepten wie der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (Hayes et al., 2014) gezeigt werden konnten. Dabei sollte den Patient:innen zunächst der Teufelskreis zwischen einem wahrgenommenen emotionalen Kontrollverlust und geringer Akzeptanz erläutern werden. Patient:innen wird dabei, wie im Training emotionaler Kompetenzen (Berking, 2018) vorgesehen, psychoedukativ vermittelt, dass intensive Bemühungen eine belastende Emotion möglichst schnell zu unterdrücken, aufgrund physiologischer Bedingungen i. d. R nicht erfolgreich sind. Sie führen dazu, dass der regulative Misserfolg als bedrohlicher Kontrollverlust erlebt wird und damit innere und äußere Anspannung, Angst oder sogar Wut und Ärger gesteigert werden. Mit Zunahme der Intensität dieser Emotionen werden adaptive Regulationsversuche immer unwahrscheinlicher. Je verbissener Patient:innen also versuchen, eine belastende Emotion „loszuwerden“, desto mehr steigert sich ihr Anspannungsniveau und desto mehr verringert sich ihre Handlungs- und Regulationskompetenz, was wiederum das Gefühl eines Kontrollverlusts steigert. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, sollten besonders ältere Patient:innen aufgrund kohortenspezifischer Sozialisationserfahrungen darin bestärkt werden, emotionale Reaktionen erst einmal zuzulassen, sie zu erlauben, ihre Anwesenheit zu akzeptieren und für eine gewisse Zeit bewusst zu erleben und auszuhalten. Darüber hinaus sollten auch Behandelnde für den Begriff der Akzeptanz sensibilisiert werden. Der Begriff sollte behutsam, vorsichtig und nicht zu früh in den Therapieprozess eingebracht werden. In der Alltagssprache kann dem Begriff eine passive Konnotation anhaften. Er wird dann mit einem Zustand assoziiert, in dem Belastendes einfach hingenommen wird, in dem resigniert wird. Dadurch können Missverständnisse entstehen und in der Folge Schutzmechanismen aufgebaut werden, die fälschlicherweise als Widerstand interpretiert werden (Wengenroth, 2012). Eine behutsame und korrekte Verwendung des Begriffs sollte zum Ziel haben, den Patient:innen zu vermitteln, dass Akzeptanz eher das aktive Annehmen, anstatt ein passiven Hinnehmen bedeutet. Die Aufgabe der Behandelnden besteht darin, bei den älteren Patient:innen die Bereitwilligkeit zu fördern, sich entsprechenden Situationen zu stellen und damit belastende Gefühle und Gedanken aufkommen zu lassen und diese bewusst zu erleben. Hayes und Lillis (2013) bezeichnen in diesem Zusammenhang die Akzeptanz als die „aktive Kontaktaufnahme mit psychischen Erlebnissen“ (S. 144) und betonen damit den absichtlichen Charakter der Akzeptanz.

Die Ergebnisse dieser und anderer Untersuchungen weisen zudem darauf hin, dass eine häufige Vermeidung mit der Auseinandersetzung der Ursache eines belastenden Ereignisses oder einer schmerzhaften Emotion besonders bei älteren Erwachsenen ein auslösender oder aufrechterhaltender Faktor einer depressiven Störung sein kann (siehe Abschnitt 5.3 sowie Blalock & Joiner, 2000; Dulin & Passmore, 2010; Eifert & Heffner, 2003). Dieser Aspekt könnte in der Depressionsbehandlung von Menschen im höheren Lebensalter eine relevante Rolle spielen und sollte bei der Förderung der Emotionsregulationskompetenz besonders in dieser Altersgruppe als weiterer Schwerpunkt beachtet werden. Ein möglicher Grund für die Relevanz von Vermeidung im höheren Erwachsenenalter können dysfunktionale Überzeugungen bezüglich der Auseinandersetzung mit den eigenen Emotionen sein, die ältere Erwachsene aufgrund bestimmter sozialer, gesellschaftlicher und historischer Sozialisationserfahrungen entwickelt haben (Radebold, 1992; Wurm et al., 2010). Zu diesen dysfunktionalen Überzeugungen kann die Annahme gehören, dass das Symbolisieren, Ausdrücken, Verbalisieren und Reflektieren von belastenden Emotionen keine angemessene Bewältigungsstrategie darstellt. Um die Funktionsfähigkeit aufrechtzuerhalten, gehen die Bemühungen häufig eher dahin, dass schmerzhafte Emotionen mit aller Kraft vermieden und unterdrückt werden (siehe Abschnitt 3.2.1.1). Das systematische Unterdrücken führt in der Folge allerdings häufig dazu, dass sich Betroffene mit der Zeit von ihren schmerzhaften Emotionen überflutet fühlen und die Überzeugung entwickeln, dass sie ihnen ausgeliefert sind und ihnen ohnmächtig gegenüberstehen (Barnow, 2018). Schmerzhafte Erinnerungen und Emotionen werden dann als Bedrohung wahrgenommen, da kein ausreichendes Wissen darüber vorliegt, wie ein wirkungsvoller Umgang mit ihnen aussieht. Betroffenen fällt es in diesem Zusammenhang schwer, Emotionen als Informationsgeber über die eigenen Bedürfnisse zu betrachten. Die pathologische Problematik entsteht durch den langfristig dysfunktionalen Umgang mit Emotionen, wenn beispielsweise das Wahrnehmen, Aushalten, Verstehen, Akzeptieren und Regulieren von schmerzhaften und belastenden Emotionen systematisch vermieden wird. Eine Möglichkeit diesem häufig dysfunktionalen Regulationsstil zu begegnen, besteht darin, die Patient:innen zu unterstützen, eine belastende Emotion zunächst einmal bewusst zu aktivieren, um sie dann in einem nächsten Schritt zu verstehen und ggf. zu transformieren. Das Ziel dabei sollte sein, die Emotionsregulation zu verbessern, um die Veränderung der emotionalen Verarbeitung zu unterstützen (Berking, 2017). Die älteren Patient:innen sollten darin unterstützt werden, auf eine adaptive Weise mit dysfunktionalen und belastenden Emotionen umzugehen und Zugang zu adaptiven und stärkenden Emotionen zu bekommen. Zudem soll die Akzeptanz und Veränderungsbereitschaft von maladaptiven emotionalen Reaktionen gefördert werden. Dabei spielt wie auch in anderen Altersgruppen die wertschätzende und empathische therapeutische Beziehung eine wichtige Rolle. Darüber hinaus können prozessdirektive therapeutische Interventionen (z. B. Zwei-Stuhl-Dialoge) zur Verbesserung der emotionalen Verarbeitung und Veränderung dysfunktionaler emotionaler Verarbeitungsmuster eingesetzt werden (Greenberg, 2004). Dieses Vorgehen folgt u. a. dem Ansatz der Emotionsfokussierten Therapie nach Greenberg (2004). Die Wirksamkeit dieses Verfahrens in der Behandlung von depressiven Störungen konnte bereits in verschiedenen Studien, die das jüngere und mittlere Erwachsenenalter untersucht haben, empirisch gezeigt werden (Goldman, Greenberg & Angus, 2006; Greenberg & Watson, 1998; Watson, Gordon, Stermac, Kalogerakos & Steckley, 2003). Da besonders die Vermeidung belastender Emotionen bei älteren depressiven Patient:innen eine relevante Rolle spielt, scheint dieser gezielte Ansatz speziell für diese Altersgruppe interessant zu sein und sollte zukünftig in randomisiert kontrollierten Studien überprüft werden.

Perspektiven für die zukünftige Forschung

Aus den Ergebnissen dieser Untersuchung lassen sich verschiedene Ansatzpunkte für die zukünftige Forschung ableiten. Zunächst einmal liefert diese Untersuchung einen ersten Hinweis darauf, dass die Förderung der emotionalen Kompetenz in der Behandlung der Depression im Alter eine relevante Rolle spielen kann. Allerdings muss der spezifische Einfluss der verschiedenen Regulationskompetenzen und -strategien geklärt werden. Es sollte zukünftig untersucht werden, ob ein Training zu Förderung der emotionalen Kompetenz den Therapieerfolg verbessert und zu einer langfristigen Abnahme der depressiven Symptomatik beiträgt. Dafür ist die Durchführung einer randomisiert kontrollierten Interventionsstudie notwendig, bei der untersucht wird, welchen Einfluss die systematische Förderung der emotionalen Kompetenz auf den Erfolg einer Depressionsbehandlung hat. Im Rahmen dieser Interventionsstudie könnte ein spezifisches Emotionstraining, dass an die Bedarfe älterer Patient:innen angepasst wurde, entweder in einem ambulanten oder stationären Setting durchgeführt werden. Ideal wäre dabei der Einsatz einer aktiven Kontrollgruppe, die keine Behandlung oder treatment as usual (TAU) erhält. Eine mögliche Verbesserung der Symptomatik könnte dann mit größerer Sicherheit auf den Effekt des Emotionstrainings zurückgeführt werden (Döring & Bortz, 2016).

Zudem sollten weitere altersunspezifische Studien prüfen, welche Patient:innen von einem spezifischen Behandlungsangebot zur Förderung der emotionalen Kompetenz besonders profitieren und unter welchen Bedingungen ein Förderprogramm eine Depressionsbehandlung unterstützen kann. Vorstellbar ist es, dass Förderprogramme, je nach individueller auslösender und aufrechterhaltender Problematik der Patient:innen, als primäre Behandlung oder als add-on Baustein innerhalb einer konventionellen Depressionsbehandlung eingesetzt werden.

Nach dem Konzept der Emotionsregulationsflexibilität sollten Emotionen und Emotionsregulationsstrategien nicht mehr per se in adaptiv oder maladaptiv eingeteilt werden (Barnow. et al., 2020; Gross, 2015). Die Beurteilung der Effektivität sollte in Abhängigkeit von der Häufigkeit ihrer Anwendung, dem Kontext und bezüglich der Auswirkungen auf die psychische Gesundheit erfolgen (siehe Abschnitt 3.3.2.3). In diesem Sinne sollten zukünftige Studien altersspezifische Funktionen bestimmter Emotionen untersuchen. Dabei sollte der Fragestellung nachgegangen werden, ob die Effektivität von bestimmten Emotionen und spezifischen Emotionsregulationsstrategien möglicherweise abhängig von der aktuellen Lebensphase und altersspezifischen Entwicklungsaufgaben ist und sich dementsprechend in ihrer Adaptivität unterscheidet. Erste Untersuchungen deuten bereits darauf hin, dass beispielsweise Ärger im jungen und mittleren Erwachsenenalter häufiger erlebt wird und der Zielverfolgung und dem Aufbau von Ressourcen dient. Im höheren Erwachsenenalter wird Ärger weniger intensiv erlebt. In diesem Alter scheint eher das vermehrte und intensivere Erleben von eigentlich belastenden Emotionen wie Traurigkeit oder Verachtung eine angemessene Reaktion auf die Bewältigung von altersspezifischen Entwicklungsaufgaben darzustellen. Es wird daher angenommen, dass Traurigkeit und Verachtung im höheren Erwachsenenalter nicht grundsätzlich maladaptiv sind, sondern hilfreich bei Prozessen der Zielablösung, Verlustbewältigung bzw. Verlustvermeidung. Zudem wird angenommen, dass die geringere Intensität von Ärger dem Aufbau und Erhalt sozialer Unterstützung dient und weitere interpersonelle Verluste dadurch vermieden werden sollen (Kunzmann et al., 2014). Weiterhin konnte gezeigt werden, dass das Vermeiden, dass bei häufiger Anwendung einen eher maladaptiven Charakter hat, im Alter unter bestimmten Umständen adaptiv sein kann. Um die emotionale Stabilität und die Funktionsfähigkeit im Alltag aufrechtzuerhalten, kann die Vermeidung von Gedanken an den eigenen Tod, das Sterben und die eigene Vergänglichkeit zeitweise hilfreich sein und eine angemessene emotionale Reaktion darstellen (Neumann, 2016). Dementsprechend sollten nachfolgende Studien den Zusammenhang zwischen Kontextbedingungen und dem Einsatz spezifischer Emotionsregulationsstrategien systematisch untersuchen. Dabei sollten im Sinne des Konzepts der Emotionsregulationsflexibilität die Adaptivität bzw. Maladaptivität von Emotionen und Regulationsstrategien altersspezifisch betrachtet werden.

Schlussfolgerung

In der vorliegenden Arbeit wurde der Zusammenhang zwischen Emotionsregulationskompetenz und Depression im Alter an einer vergleichsweise großen Stichprobe von Personen aus der Allgemeinbevölkerung sowie erstmals in einer Gruppe älterer Patient:innen, die sich in einer klinischen Depressionsbehandlung befanden, untersucht. Der Einsatz von Selbst- und Fremdbeurteilungen, einer gematchten Kontrollgruppe sowie die zusätzliche Verwendung eines Längsschnitts stellen eine Erweiterung des derzeitigen Forschungsstandes dar und erlauben die Ergebnisse abzusichern und erste Aussagen über Kausalzusammenhänge vorzunehmen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die vorliegende Arbeit erstmals unter Verwendung einer klinischen Stichprobe und anhand hoher Standards psychologischer Methodik Hinweise für die Relevanz der emotionalen Kompetenz bei der Entstehung, Aufrechterhaltung und Behandlung der Depression im Alter liefert. Regulationskompetenzen wie Akzeptanz und Selbstunterstützung und Strategien wie Relativieren scheinen im Hinblick auf das Konzept der emotionsregulatorischen Flexibilität in dieser Altersgruppe eine besondere Rolle zu spielen.

Der römische Schriftsteller und Philosoph Marcus Tullius Cicero beschrieb in seiner Schrift Cato maior de senectute Opposition (45/44 v. Chr.) bereits das Konzept des lebenslangen Lernens und des aktiven Alterns. Im Rahmen des Alterungsprozesses plädiert er dafür, persönliche Ressourcen zu bewahren und neue Kompetenzen zu erlernen, die zur Bewältigung der altersspezifischen Entwicklungsaufgaben notwendig sind. Cicero gilt als „gedanklicher Urheber“ moderner Konzeptionen des aktiven Alterns und liefert bis in die heutige Zeit Impulse, die ein Aktivitätsmodell vom Alter prägen. Ganz im Sinne seiner Überlegungen liefern die Ergebnisse dieser Arbeit einen ersten Hinweis darauf, dass ein Zusammenhang zwischen Emotionsregulation und der Depression im höheren Erwachsenenalter besteht. Die Förderung der emotionalen Kompetenz könnte auch im höheren Erwachsenenalter einen positiven Einfluss auf die depressive Symptomatik haben und die Effektivität psychotherapeutischer Interventionen verbessern. Damit kann ein Beitrag zur Veränderung der aktuell problematischen Versorgungsrealität psychisch Erkrankter im höheren Erwachsenenalter geleistet werden und der Leidensdruck der Betroffenen und ihrer Angehörigen verringert werden. Ein altersspezifisches Programm zur Förderung der emotionalen Kompetenz existiert derzeit nicht. Es scheint dennoch sinnvoll und einen Mehrwert für die klinische Praxis und besonders für Patient:innen, bei denen emotionsregulatorischen Defizite an der Entstehung und Aufrechterhaltung der depressiven Störung maßgeblich beteiligt sind, darzustellen. Allerdings werden randomisiert kontrollierte Studien benötigt, um die bisherigen Befunde empirisch abzusichern und die Grundlage für die Konzeption eines solchen Programms zu schaffen. Der Forschungsbedarf zum Zusammenhang von Emotionsregulationskompetenz und depressiver Psychopathologie bleibt im Hinblick auf die Verbesserung und Erweiterung psychologsicher Behandlungsansätze demnach hoch.