1.1 Zusammenfassung

Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen im höheren Erwachsenenalter (Blazer, 2003; Linden et al., 1998; Naismith, Norrie, Mowszowski & Hickie, 2012; Soeder, 2002; Teresi, Abrams, Holmes, Ramirez & Eimicke, 2001). Bei manchen Patient:innen entwickelt sich die Depression bereits in jüngeren Jahren und setzt sich im Alter fort. Bei vielen anderen Betroffenen tritt die depressive Störung allerdings erstmals im höheren Alter auf. In beiden Fällen geht die Erkrankung mit einem massiven Verlust an Lebensqualität, starken funktionellen Beeinträchtigungen und einem hohen Suizidrisiko einher. Dennoch werden depressive Störungen im Alter häufig nicht erkannt oder nicht adäquat behandelt. Bei einer bedeutsamen Anzahl der über 60-jährigen Patient:innen kommt es nach einer Behandlung zu keiner vollständigen Remission und eine erhebliche Residualsymptomatik bleibt erhalten. Die dadurch resultierenden Rückfälle begünstigen die Entwicklung chronischer Krankheitsverläufe. Zudem gelten depressive Störungen besonders im höheren Erwachsenenalter als Hauptrisikofaktor für einen Suizid (Müller-Pein & Lindner, 2020).

Die Gründe für die problematische Versorgungsrealität älterer Erwachsener sind vielschichtig. Ein Grund liegt in der vergleichsweise geringen Anzahl an kontrollierten Studien, die spezifische Faktoren identifiziert haben, welche an der Entstehung und Aufrechterhaltung der Depression im Alter beteiligt sind. Kenntnisse über diese altersspezifischen Faktoren sind allerdings notwendig, um die Effektivität psychotherapeutischer Interventionen zu verbessern und um gezielte Behandlungsansätze zu entwickeln, die an die Bedürfnisse von älteren Erwachsenen angepasst sind.

Aus anderen Altersgruppen ist bereits der Zusammenhang zwischen Emotionsregulation und depressiver Symptomatik bekannt. Es konnte gezeigt werden, dass Emotionsregulationsdefizite mit einer erhöhten depressiven Symptomatik assoziiert sind und einen bedeutsamen Risikofaktor für die Entstehung und Aufrechterhaltung depressiver Episoden darstellen (Aldao, Nolen-Hoeksema & Schweizer, 2010; Berking, Ebert, Cuijpers & Hofmann, 2013; Berking, Wirtz, Svaldi & Hofmann, 2014; Campbell-Sills, Barlow, Brown und Hofmann, 2006a; Garnefski et al., 2002a; Goodman, 2007; Klemanski, Curtiss, McLaughlin und Nolen-Hoeksema, 2017; Radkovsky, McArdle, Bockting & Berking, 2014). Für das höhere Erwachsenenalter besteht derzeit allerdings ein Mangel an kontrollierten Studien, die den Einfluss von emotionsregulativer Kompetenz auf die Entstehung und Aufrechterhaltung einer Depression untersucht haben. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich daher mit dem Zusammenhang von Emotionsregulation und Depression im Alter und geht der Frage nach, ob Emotionsregulation auch in dieser Altersgruppe eine Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung einer Depression spielt. Die Ziele dieser Arbeit bestehen darin, einen Beitrag zu Verbesserung der psychotherapeutischen Behandlung von Depressionen von älteren Erwachsenen zu leisten und Emotionsregulationskompetenzen und -strategien zu identifizieren, die in der Behandlung eine Rolle spielen und deren Förderung fokussiert werden sollte.

Um Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Emotionsregulation und depressiver Symptomatik im höheren Erwachsenenalter zu gewinnen, wurde schrittweise vorgegangen und sowohl Emotionsregulationskompetenzen wie auch verschiedene Emotionsregulationsstrategien untersucht. Im ersten Schritt wurden Zusammenhänge zwischen der Emotionsregulationskompetenz und verschiedenen Affektvariablen bei Personen aus der Allgemeinbevölkerung anhand von Korrelationskoeffizienten nach Pearson untersucht. Hier zeigte sich, dass emotionsregulative Kompetenz einen relevanten Einfluss auf das Wohlbefinden hatte und einen protektiven Faktor bezüglich der Depression im Alter darstellte. Kompetenzen, die dabei eine wichtige Rolle spielten, waren Akzeptanz, Regulationskompetenz und Resilienz. Bei den Emotionsregulationsstrategien hatten positive Refokussierung, Neubewertung und Relativieren den stärksten positiven Einfluss auf das Wohlbefinden.

Im zweiten Schritt wurden Patient:innen in klinischer Depressionsbehandlung mit gesunden Kontrollpersonen bezüglich ihrer Emotionsregulationskompetenz und der Nutzung spezifischer Emotionsregulationsstrategien anhand von t-Tests für abhängige Stichproben verglichen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung bestätigten die Befunde aus anderen Altersgruppen und zeigten, dass auch bei depressiven älteren Erwachsenen im Vergleich zu älteren Erwachsenen ohne Depression Kompetenzdefizite auf allen Ebenen des adaptiven Regulationsprozesses vorlagen (Berking et al., 2014; Catanzaro, Wasch, Kirsch & Mearns, 2000; Ehret, 2014; Ehring, Fischer, Schnülle, Bösterling & Tuschen-Caffier, 2008; Hofmann, Grossmann & Hinton, 2011; Honkalampi, Saarinen, Hintikka, Virtanen & Viinamäki, 1999; Kahn & Garrison, 2009; Radkovsky et al., 2014; Rude & McCarthy, 2003; Shallcross, Troy, Boland & Mauss, 2010). Der Unterschied zwischen den beiden Gruppen machte sich besonders in der geringeren Resilienz und Akzeptanz der depressiven älteren Erwachsenen sowie in der gesteigerten Nutzung von Rumination und Katastrophisieren bemerkbar.

Abschließend wurde der Zusammenhang zwischen Emotionsregulationskompetenz und Depression in einer klinischen Stichprobe mit Menschen im höheren Lebensalter untersucht. Die Beurteilung der depressiven Symptomatik und der Emotionsregulationskompetenz fand im Längsschnitt und anhand von Selbst- sowie zusätzlich anhand von Fremdbeurteilungen durch die psychotherapeutisch Behandelnden statt. Dafür wurde ein varianzanalytisches Analysemodell für Messwiederholungen (ANOVA) eingesetzt. Es zeigte sich, dass eine höhere Regulationskompetenz einen positiven Einfluss auf die Reduktion der depressiven Symptomatik und den Outcome einer Depressionsbehandlung in der Selbst- sowie in der Fremdbeurteilung hatte. Akzeptanz und emotionale Selbstunterstützung stellten Kompetenzen dar, die möglicherweise zur Steigerung der Effektivität einer Behandlung beitragen können. Das Relativieren, allerdings in Form von systematischer und übermäßiger emotionaler Vermeidung, scheint zudem eine relevante Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der Depression im Alter zu spielen.

Die vorliegende Arbeit liefert erste Hinweise darauf, dass auch im höheren Erwachsenenalter ein Zusammenhang zwischen Emotionsregulationsdefiziten und Depressivität in klinischen sowie nicht klinischen Stichproben vorliegt. Defizite der emotionalen Kompetenzen scheinen die Entstehung und Aufrechterhaltung einer Depression im Alter zu begünstigen. Bei Patient:innen, bei denen ein emotionales Regulationsdefizit eine auslösende und aufrechterhaltende Bedingung darstellt, könnte demnach eine individuelle Zusatzbehandlung zur Förderung der emotionalen Kompetenz den Therapieerfolg erhöhen. Die systematische Förderung emotionaler Kompetenzen kann ein relevantes Therapieziel darstellen, das die konventionelle Depressionsbehandlung als add-on Baustein oder in Form eines spezifischen Programms ergänzt und die Wirksamkeit der aktuellen Standardbehandlung steigert.

Zukünftige Studien müssen allerdings den spezifischen Einfluss der verschiedenen Regulationskompetenzen und -strategien klären. Randomisiert kontrollierte Interventionsstudien sind notwendig, um zu untersuchen, ob die gezielte Förderungen der emotionalen Kompetenz zu einer Verbesserung des Therapieerfolgs und zu einer langfristigen Abnahme der depressiven Symptomatik auch bei älteren Erwachsenen beitragen kann.

1.2 Abstract

Depression is one of the most common mental illnesses in older adulthood (Blazer, 2003; Linden et al., 1998; Naismith, Norrie, Mowszowski & Hickie, 2012; Soeder, 2002; Teresi, Abrams, Holmes, Ramirez & Eimicke, 2001). Some patients develops depression at a younger age and it continues as they age. In many other cases, the depressive disorder first appears in older age. In both cases, the disease is accompanied by a massive loss of quality of life, severe functional impairments and a high risk of suicide. Nevertheless, depressive disorders in the old age are often not recognized or not adequately treated. A significant number of patients over 60 years do not achieve complete remission after treatment, and considerable residual symptomatology remains. The resulting relapses favor the development of chronic courses of the disease. In addition, depressive disorders are considered as a major risk factor for the increase in suicides, especially in older adulthood (Müller-Pein & Lindner, 2020).

The reasons for the problematic reality of care for older adults are manifold. One reason is the comparatively small number of controlled studies that have identified specific factors involved in the development and maintenance of depression in older adults. However, knowledge about these age-specific factors is necessary to improve the effectiveness of psychotherapeutic interventions and to develop targeted treatment approaches adapted to the needs of older adults.

The relationship between emotion regulation and depressive symptomatology is already known from other age groups. This has shown that emotion regulation deficits are associated with an increased depressive symptomatology and represent a significant risk factor for the development and maintenance of depressive episodes (Aldao, Nolen-Hoeksema & Schweizer, 2010; Berking, Ebert, Cuijpers & Hofmann, 2013; Berking, Wirtz, Svaldi & Hofmann, 2014; Campbell-Sills, Barlow, Brown & Hofmann, 2006a; Garnefski et al., 2002a; Goodman, 2007; Klemanski, Curtiss, McLaughlin & Nolen-Hoeksema, 2017; Radkovsky, McArdle, Bockting & Berking, 2014). However, for the older adulthood, there is currently a dearth of controlled studies that have examined the impact of emotion regulation competence on the development and maintenance of depression. The present study therefore addresses the relationship between emotion regulation and depression in the advanced age and investigates whether emotion regulation plays a role in the development and maintenance of depression in this age group as well. The aim of this work is to contribute to the improvement of psychotherapeutic depression treatment of older adults and to identify emotion regulation skills and strategies that play a role in treatment and whose support should be focused on.

To gain knowledge of the relationship between emotion regulation competence and depressive symptomatology in older adulthood, a stepwise approach was taken. In the first step, pearson correlation coefficients between emotion regulation competence and various affect variables were examined in individuals from the general population. It was shown that emotion regulation competence had a relevant influence on well-being and was a protective factor with regard to depression in old age. Emotion regulation skills that played an important role were acceptance, modification and resilience. Among the emotion regulation strategies, positive refocusing, positiv reappraisal and putting into perspective had the strongest influence on well-being.

In a second step, patients in clinical depression treatment were compared with healthy controls regarding their emotion regulation competence and the use of specific emotion regulation strategies by using t-tests for dependent samples. The results of this study confirmed findings from other age groups and showed that depressed elderly people compared to healthy elderly people also had competence deficits at all levels of the adaptive regulation process (Berking et al., 2014; Catanzaro et al, 2000; Ehret, 2014; Ehring et al, 2008; Hofmann et al, 2011; Honkalampi, Saarinen, Hintikka, Virtanen & Viinamäki, 1999; Kahn & Garrison, 2009; Radkovsky et al, 2014; Rude & McCarthy, 2003; Shallcross, Troy, Boland & Mauss, 2010). The difference between the two groups was particularly noticeable in the depressed elders' lower resilience and acceptance, as well as their increased use of rumination and catastrophizing.

Finally, the relationship between emotion regulation competence and depression was examined in a clinical sample. The assessment of depressive symptoms and emotion regulation competence took place in a longitudinal section and on the basis of self-evaluations and additionally on the basis of external evaluations by the psychotherapists. For this purpose, a analysis of variance for repeated measures (ANOVA) was used. This showed that a higher level of regulation competence had a positive influence on depressive symptomatology and the outcome of depression treatment in the self-assessment as well as in the external assessment. Acceptance and self-support represented emotion regulation skills that may contribute to increasing the effectiveness of treatment. Putting into perspective, albeit in the form of systematic and excessive emotional avoidance, seems to play a relevant role in the development and maintenance of depression in old age.

The present work provides first evidence that even in older adulthood there is an association between emotion regulation deficits and depressivity in clinical as well as nonclinical samples. Deficits in emotional emotion regulation skills seem to favor the development and maintenance of depression in old age. Thus, for patients in whom an emotional regulation deficit is a precipitating and maintaining condition, individualized additional treatment to support emotional competence could improve treatment success. The systematic support of emotion regulation skills may represent a relevant therapeutic goal that complements conventional depression treatment as a component or in the form of a specific program and increases the effectiveness of current standard treatment.

Future studies need to clarify the specific influence of different regulatory emotion regulation skills and strategies. Randomized controlled trails are needed to investigate whether the targeted support of emotional competence can contribute to an improvement in the treatment success and to a long-term decrease in depressive symptomatology also in older adults.