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Imitative (Trans-)Globalisierung: Konfettiparaden für Jurij Gagarin und John Glenn (1961)

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Space Race Television
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Zusammenfassung

Die russisch-ukrainische Musikgruppe Underwud veröffentlichte im Jahr 2002 ein Lied mit dem Titel Gagarin, ja was ljubila (dt.: Gagarin, ich habe Sie geliebt). Es handelt von einer nicht näher bestimmten Frau, die nach Gagarins Tod diesen adressiert und dabei wehmütig über den charismatischen Kosmonauten mit dem ach so „strahlend weißen Lächeln“ nachsinnt. Im Video zum Lied wird Gagarin in den Kontext ‚westlicher‘ Populärkultur gestellt, ja, dort regelrecht eingemeindet.

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Notes

  1. 1.

    Obwohl ein Mann das Lied singt, ist die Erzählinstanz des Liedes eindeutig als Frau markiert. Zeigt doch die Endung a im Verb lyubov’ an, dass die Sprecherinstanz weiblich ist. Die genaue Liedzeile, aus der im Fließtext frei übersetzt wird, lautet: „On obernulsja prostoj takoj I belosubyj“ (dt.: „Er wendete sich so herzlich um mit einem strahlend weißen Lächeln [genauer eigentlich noch:] mit einem Weiße-Zähne-Lächeln“).

  2. 2.

    ‚Gegenseitig‘ soll hervorheben, dass X Y nachahmt und Y X. Diese Nachahmungen finden unabhängig voneinander statt (etwa ahmt X das Lächeln von Y nach und Y ganz unabhängig davon die Kleidermode von X); ‚wechselseitig‘ meint hingegen, dass X Y und Y X nachahmt – und zwar abhängig voneinander bzw. in direkter Folge (X ahmt beispielsweise das Lächeln von Y nach; in diesem Fall gilt: weil X das Lächeln von Y nachahmt, ahmt Y die Kleidung von X nach oder lächelt wegen dieser Nachahmung noch stärker). Der Bedeutungsfokus liegt im zweiten Fall also auf dem reziproken (und sich wechselseitig steigernden) Austausch der Positionen. Bei den Fällen, die in vorliegendem Kapitel vorgestellt werden, gibt es erstens einseitige Imitationen (also X ahmt Y nach, ohne dass Y X nachahmt), zweitens gegenseitige Imitationen, drittens wechselseitige. Über die Einzelfälle hinweg verdichtete sich im Laufe der 1960er-Jahre der Modus wechselseitiger Imitation.

  3. 3.

    Es sollen, wie erst sehr viel später bekannt wurde, tatsächlich nur 106 min gewesen sein (vgl. Kowalski 2011b).

  4. 4.

    Die Arkoniden sind ein Volk, auf das Perry Rhodan in der gleichnamigen Heftchen-Serie während der ersten bemannten Mondmission im Jahr 1971 trifft. Sie sind ein technisch wie kognitiv hoch entwickeltes humanoides Volk, das bereits seit Jahrtausenden das Universum erforscht und besiedelt. 1971 musste ein Schiff der Arkoniden auf dem Mond notlanden. Seither beschäftigen sich die Besatzungsmitglieder näher mit den ‚Terranern‘. Dabei verwundert es sie, dass die menschliche Erdbevölkerung in Machtblöcke aufgeteilt ist, deren Widerstreit in einem atomaren Weltkrieg zu eskalieren droht. Perry Rhodan gründet im Lauf der Handlung mit den Arkoniden die sogenannte ‚Dritte Macht‘, vereitelt damit letztlich den drohenden Atomkrieg und vereint die Menschen unter eine gemeinsame Weltgesellschaft. So nachzulesen seit dem 08.09.1961 in der bis dato (!) wöchentlich erscheinen Heftchenreihe. Der Beginn der Geschichte findet sich in: Scherer (1970, vgl. Grampp 2021c, S. 396 ff.)

  5. 5.

    Zum Unterschied zwischen wechselseitiger und gegenseitiger Nachahmung, vgl. bereits ausführlicher Fußnote 2 vorliegenden Kapitels.

  6. 6.

    Dies ist ein Modus des intentionalen Wetteiferns, der im Kontext des Space Race wenig verwunderlich sein dürfte. Jedoch soll damit nicht behauptet werden, dass jede imitierende Nachahmung im Kontext des Space Race intentional bzw. strategisch sein muss. Das Interessante am Konzept der Nachahmung im Sinne Tardes ist ja gerade, dass es auch unbewusste, unwillkürliche Nachahmungen umfasst. Vgl. dazu bereits ausführlicher Kap. 2. Überhaupt ist es durchaus möglich, das Konzept der konkurrierenden Imitation nach Krippendorff und Wallerstein mit Tarde ein wenig zu modifizieren: Konkurrenz könnte dann eine so selbstverständliche Operation der Weltwahrnehmung werden, dass das Ziel der Überbietung oder des Einholens gar nicht mehr eigens reflektiert und also bewusst strategisch gesetzt werden muss (wie es noch bei Krippendorff und Wallerstein vorausgesetzt ist). Konkurrierende Imitation wäre dann ein sozialisierter Beobachtungshabitus, der selbst durch Nachahmung (und somit eben u. a. auch unbewusst) übernommen, eingeübt und letztlich unhinterfragte, selbstverständliche Grundlage der Weltwahrnehmung, Berichterstattung und Darstellung wird.

  7. 7.

    ‚Bis dato‘ bedeutet mit großer Wahrscheinlichkeit tatsächlich bis zum heutigen Tag: „No one can possibly say how many people witnessed the parade. Most estimates put the number at between four and five million. It may well have been the biggest crowd ever assembled to pay tribute to a single person.“ (Bryson 2013, S. 173) (Auch wenn es sich bei Lindberghs Parade in New York die größte je veranstaltete Konfettiparade handeln sollte, so ist Brysons Vermutung von der größten Ansammlung von Menschen für einen einzigen Menschen wahrscheinlich nicht richtig. Zu starke Konkurrenz gibt es zumindest seit der Ankunft Ajatollah Khomeinis im Iran Anfang Februar 1979 oder auch mit dem Besuch des Papstes in Polen im selben Jahr, vgl. Bösch 2020, S. 19 ff., 61 ff.)

  8. 8.

    Diese Rückkehrfeier hatte eine beeindruckende Zahl an Zuschauer:innen. Makemson schreibt sogar von der „largest ticker-tape parade in the nation’s history“ (Makemson 2009, S. 84), um sie danach wiederum bezüglich der Größenordnung, mit der zu Ehren Lindberghs veranstalteten gleichzusetzen. Es dürften schätzungsweise in der Tat um die 4 Mio. Teilnehmer gewesen sein (zu Lindbergh vgl.: Bryson 2013, S. 173). Glenn selbst schreibt in seinen Memoiren, dass es „[f]our million people“ gewesen sein sollen, „according to police estimates“ (Glenn 1999, S. 283). Im Vergleich zu Gagarins Rückkehrfeier ist das eine sehr beeindruckende Zahl, denn in Moskau sollen bei der der Feier zu Ehren des Kosmonauten ‚nur‘ knapp 200.000 Menschen zugegen gewesen sein. Vgl. zu dieser Zahl: Gerovitch 2015, S. 129.

  9. 9.

    Genau genommen wurden für die drei Piloten die ersten Konfettiparaden bereits in Amerika abgehalten. Der Slawist Robert Kluge schreibt diesbezüglich: „Den drei Fliegern wurde in Washington und New York ein stürmischer Empfang bereitet, Präsident Roosevelt lud sie zu sich ein, und auch die unvermeidlichen Konfettiparaden wurden [dort; SG] für sie veranstaltet.“ (Kluge 1997, S. 104)

  10. 10.

    Daran nahm im Übrigen auch der Pilot Nikolaj Kamanin teil, der später, ab 1960 für die Ausbildung der Kosmonaut:innen und für deren Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich zeichnete. (Vgl. Kohonen 2017, S. 94; Encyclopedia Astronautica 2011; Gerovitch 2015, S. 130 ff.; Kowalski 2011a, S. 172 ff.)

  11. 11.

    Die allerletzte Szene danach zeigt Tschkalow bereits als Vorreiter der Kosmonaut:innen: „Nach einem kurzen Dialog mit dem Freund Pal Palyč, an dem Čhalov den Wunsch zum Ausdruck bringt, die Erde zu umrunden, also weiter und höher zu fliegen als je ein Mensch zuvor, steigt er in sein Flugzeug und hebt ab. Bestrahlt von der Morgensonne, bricht er ein letztes Mal gen Himmel auf und wird der Sphäre der sterblichen Menschen enthoben.“ (Tippner 2009, S. 100)

  12. 12.

    Deshalb ist es unverständlich, dass Kevin Anding in seiner ansonsten akribisch vorgehenden Analyse schreiben kann: „Auf diesem spektakulären Höhepunkt [eine Konfettiparade in Moskau; SG] wird in der Repräsentationsstrategie der Helden in den 60er Jahren verzichtet.“ (Anding 2012, S. 185 f.) Dies trifft im Übrigen nicht nur auf Gagarin nicht zu, sondern ebenso wenig auf weitere Kosmonaut:innen, die aus dem All zurückkehrten. Verzichtet wurde auf diese Repräsentationsstrategie erst im Jahr 1969, und zwar nicht so sehr aus strategischen Überlegungen heraus, denn aus Sicherheitsgründen. Während der Vorbereitung zur Rückkehrfeier der Kosmonauten der Sojus 4- und Sojus 5-Missionen wurde ein Anschlag auf den damaligen Staatschef Leonid Breshnew verübt. Erst aufgrund dieses Vorkommnisses wurden weitere Rückkehrfeiern in offenen Limousinen in Moskau untersagt (vgl. Scott und Leonov 2004, S. 230, 264).

  13. 13.

    Scherrer vermerkt zwar, dass diese Phrase auf Lenin zurückgeht. Indes führt die Autorin keinen Beleg dafür an. Scherrer bezieht sich wohl auf Lenins Schrift Die drohende Katastrophe und wie man sie bekämpfen soll aus dem Jahr 1917. Dort heißt es: „Der Krieg ist unerbittlich, er stellt mit schonungsloser Schärfe die Frage: entweder untergehen oder die fortgeschrittenen Länder auch ökonomisch einzuholen und zu überholen.“ (Lenin 1981, S. 375)

  14. 14.

    Stalin bezog sich im Übrigen selbst nicht nur auf ökonomische Phänomene. In einem anderen Zusammenhang wiederholte er den Slogan für kulturelle beziehungsweise kulturindustrielle Phänomene: Auch „Hollywood“ müsse man „einholen und überholen“ (zitiert nach: Scherrer 2007, S. 185).

  15. 15.

    Das gilt auch für weitere Paraden der Kosmos-Rückkehr:innen, etwa für German Titow oder Walentina Tereschkowa. Diese Paraden sollen alle nach demselben Muster abgelaufen sein (vgl. Gerovitch 2015, S. 140).

  16. 16.

    Diese Programmatik wurde dann 1961, drei Monate nach Gagarins Flug, konkretisiert, festgeschrieben und im neusten Parteienprogramm der KPdSU mit einem ambitionierten Telos versehen. (Das letzte Parteienprogramm davor stammt von 1919 [!].) Iina Kohonen beschreibt dieses Programm anschaulich: „Das Programm legte Pläne für die interne Entwicklung der Sowjetunion in den kommenden 20 Jahren fest. […] Dem 3. Parteiprogramm entsprechend, waren zwei Stufen für den Aufbau des Kommunismus in der Sowjetunion geplant. In der ersten Dekade (1961–1970) sollte die Sowjetunion die Vereinigten Staaten in der Produktionsleistung überholen. […] Während der zweite Stufe (1971–1980) sollte die materielle und technische Basis für den Kommunismus aufgebaut werden und die sowjetische Gesellschaft das kommunistische Ziel erreichen, jeden Einzelnen nach seinen individuellen Bedürfnissen mit Konsumgüter zu versorgen.“ (Kohenen 2014, S. 89; Herv. v. mir)

  17. 17.

    Der Slogan bezog sich in der Rede Chruschtschjows jedoch ursprünglich nicht auf kulturelle oder technologische Errungenschaften, sondern auf sehr viel banalere und gleichsam existenziellere Dinge. Chruschtschjow fordert dort nämlich „Amerika in Bezug auf die Produktion von Fleisch, Milch und Fett pro Kopf der Bevölkerung ‚einzuholen und zu überholen‘“ (zitiert nach: Scherrer 2007, S. 185).

  18. 18.

    Zwei Tage vor Gagarins Parade wurden, kurz nach seinem Flug, über Moskau Flugblätter abgeworfen, die den Flug publik machen sollten (vgl. Jenks 2014, S. 81). Wenn man so will, gab es also in Gagarins Fall Konfetti bereits vor der eigentlichen Parade. Da es gleich darauf zu spontanen Feiern auf dem Roten Platz gekommen sein soll, könnte man auch von einer mehrtägigen Feier mit dem Höhepunkt einer Parade sprechen. Vgl. zu Gagarins Rückkehr und den damit in Zusammenhang stehenden Feierlichkeiten: (Kowalski 1999, S. 134 ff.; Doran und Bizony 1999, S. 1998, S. 128 ff.; Jenks 2014, S. 159 ff.; Gerovitch 2015, S. 129).

  19. 19.

    Das wäre auch schwierig gewesen. Sind doch die Hochhäuser in Moskau sehr viel niedriger. Zudem war die Konfettiparade Gagarins – wenn überhaupt – nur zu Beginn der Strecke ein dichter Schauer. Im weiteren Verlauf dünnte die Papierfrequenz schnell aus. In der massenmedialen Berichterstattung wurde jedoch fast ausschließlich der Anfang der Strecke dokumentiert – mitsamt dem dort noch dichte(re)n Papierschauer (vgl. Kowalski 1999, S. 134 ff.; Doran und Bizony 1999, S. 1998, S. 128 ff.; Jenks 2014, S. 159 ff.).

  20. 20.

    Überhaupt gilt, dass Tauben erst wenige Jahre vor Gagarins Flug in Moskau angesiedelt wurden – und zwar primär, um als fotografisches Motiv fungieren zu können. Die Geschichtswissenschaftlerin Monica Rüthers schreibt diesbezüglich: „Eine Präsentationsfläche für diese Bilder brachten Ereignisse wie das Weltjugendfestival von 1957 in Moskau, dessen Symbol die von Picasso gezeichnete Friedenstaube wurde. Zuvor galten Haustiere und Tauben als bürgerlich und unnütz, doch für das Festival wurden auf Befehl von Chruscevs [sic!] Tauben im Moskauer Strassenbild angesiedelt. Aufnahmen in späteren Bildbänden über Moskau zeigen den Mosssovet oder den Kreml hinter auffliegenden Taubenschwärmen.“ (Rüthers 2008, S. 70) Dies gilt auch für die (Fernseh-)Aufnahmen von Gagarins Rückkehrfeier. Zur Verbindung von Gagarin mit dem Motiv der Friedenstaube (vgl. Richers 2014, S. 36 f.; Gestwa 2009, S. 144).

  21. 21.

    Wichtig ist hier das Wort ‚konstitutiv‘. Natürlich gab es damals Flugzeuge, Helikopter und Tauben in und über New York. Tauben tauchen in Berichten sogar häufig als Problem der Stadt auf, vgl. bspw. McClear 2010. Sie sind aber eben keine Elemente, die – zumindest so weit ich das in Erfahrung bringen konnte – zur Gestaltung der Konfettiparaden strategisch genutzt wurden.

  22. 22.

    Der Einsatz der Hubschrauber zum Abwurf der Willkommensgrüße dürfte indessen neben aller symbolisch konkurrierender Aufladung auch ganz pragmatische Gründe gehabt haben: Da die Straßen vom Moskauer Flughafen zum Roten Platz sehr viel breiter sind als die in New York, wäre ein Abwurf des Konfettis aus den Hochhäusern, die zudem nicht so hoch sind wie die in New York, sehr viel weniger imposant als im Canyon of Heroes. Der ‚mobile‘ Ausweg in die Luft scheint dementsprechend allein schon aus praktischen Gründen naheliegend.

  23. 23.

    Im Abholen von Piloten und Pilotinnen für Konfettiparaden hatte Chruschtschjow zu diesem Zeitpunkt bereits ‚Übung‘. So holte er 1938 am Weißrussischen Bahnhof in Moskau, noch als Kandidat des Politikbüros, die drei Pilotinnen ab, die gerade mit ihrem Flugzeug Rodina einen Weltrekordflug hinter sich hatten. Im Anschluss daran ging es Richtung Kreml: „A parade procession carried them to the Kremlin, where Stalin reportedly greeted them with kisses.“ (Pennington 2001, S. 17)

  24. 24.

    Dass dieses Muster nicht immer und vor allem auch nicht auf alle Pilot:innen zutrifft, verdeutlicht Kevin Anding am Beispiel von Tschkalow durchaus überzeugend. So stellt Anding bspw. dar, wie in der Presse immer wieder darauf eingegangen wurde, dass der Pilot mit dem Orden eine hohe Geldsumme erhalten haben. Wiederholt wird auch die außergewöhnliche Persönlichkeit des Piloten betont und gegen das Kollektiv gesetzt (vgl. Anding 2012, S. 180 f.).

  25. 25.

    Die Aufnahme in die Partei ist in Gagarins Autobiografie dementsprechend als einschneidendes Erlebnis erzählt. Deutlich heißt es dort: „Die Aufnahme in die Partei war für mich das größte Ereignis in meinem Leben.“ (Gagarin 1961a, S. 119, Herv. v. mir) Zur These, dass dieses Narratem für nahezu alle Kosmonaut:innen (zumindest bis weit in die 1970er-Jahre hinein) bestimmend war vgl. Lewis (2008, S. 109).

  26. 26.

    Zur Typisierung des Helden oder der Heldin im sogenannten sozialistischen Realismus vgl. knapp und primär mit Bezug auf den Film: Brunner 2017, generell zum sozialistischen Realismus: Morozov 2003; Raev 2018.

  27. 27.

    Vgl. zur ambivalenten Rolle des Mensch-als-Maschine-Konzepts in diesem Kontext: Gerovitch 2015, S. 50 ff. Anja Tippner schreibt im Kontext ihrer Untersuchung des Biopics über Tschkalow aus dem Jahr 1941 mit Blick auf diesen Heldentypus: „Innerlichkeit und Subjektivität der Akteure ebenso wie ihr Privatleben spielen eine ausgesprochen sekundäre Rolle.“ (Tippner 2009, S. 86) Vgl. auch Mike O’Mahony: „The early days of Soviet aviation can be characterized by the fetishization of the machine. Here, the airplane, rather than its operator, was prioritized as a dominant symbol of Soviet technological and industrial progress.“ (O’Mahony 2016, S. 37) Vgl. dagegen Anding, der immer wieder die Darstellung der Pilotenheld:innen der 1930er-Jahre als individuelle Persönlichkeiten gegen die ‚Heldenkollektive‘ der Kosmonaut:innen in den 1960er-Jahre setzt, vgl.: Anding (2012, S. 173 ff). Auch der Geschichtswissenschaftler Schlögel widerspricht solch einer Sicht der Dinge, wie sie hier vertreten wird. Mit Bezug auf die stalinistischen Held:innen schreibt er: „Es handelt sich um ‚starke Typen‘ von ausgeprägter Individualität“ (Schlögel 2011, S. 402, Herv. v. mir). Der Geschichtswissenschaftler fügt hinzu: „Und es gehörte zu den Leistungen ‚des Regimes‘, diese Ressource erschlossen und für sich genutzt zu haben.“ (Schlögel 2011, S. 402) Indes wäre wohl erstens die kritische Frage an diese Sicht der Dinge zu stellen, ob denn diese postulierte Individualität nicht selbst eine Leistung des ‚Regimes‘ darstellt. Zweitens – und in vorliegendem Kontext noch sehr viel wichtiger: Das ‚Regime‘ machte die Flieger:innen eben zum kollektiven Typus (einige Individualitätsmerkmale hin oder her). In diesem Sinne schreibt Schlögel selbst einige Zeilen davor: „Er [der Held; SG] ist kein singulärer Heros, sondern eine Massenerscheinung.“ (Schlögel 2011, S. 402) Kohonen wiederum versucht einen Mittelweg zwischen prinzipieller Typendarstellung hinsichtlich der Pilot:innen in den 1930er-Jahren und der ‚individualisierenden‘ Sonderstellung Tschkalows zu etablieren, die dieser auch in der Berichterstattung des Magazins Ogonjok eingenommen haben soll und die gerade diesen Piloten zum Vorbild für Gagarin machte. Sie schreibt: „Chkalov was a comparable figure to Gagarin, having earned a hero’s renown after flying to Kamchatka in 1936 and Vancouver in 1937 […]. However, this type of imagery in the context of the heroes of the 1930s was an exception. The majority of the photos concentrated on posed portraits, showing the activities themselves and introducing the flight equipment […].“ (Kohonen 2017, S. 112; Herv. v. mir)

  28. 28.

    Vgl. hingegen die Darstellung von Matthias Schwarz, der im Gegenteil vor allem auf Kontinuitäten zwischen Gagarin und den Held:innen stalinistischen Typus hinweist, vgl. Schwartz (2017c, S. 339 f). Schwartz schreibt: „In der symbolischen Ordnung der Stalinzeit kam ihnen eine festgeschriebene Rolle in der ‚Großen Familie‘ zu, die sie gewissermaßen zu bloßen Agenten des im Moskauer Zentrum herrschenden allmächtigen Herrschers Stalin machte, der ihnen den richtigen Weg zum Heldentum an der Peripherie und damit in die kommunistische Zukunft wies. Genau diese Rolle des Sohnes des sowjetischen Volkes bekam auch Gagarin von der sowjetischen Presse nach seinem Flug zugewiesen.“ (Schwartz 2017c, S. 340) Zumindest gesteht auch Schwartz zu, dass Gagarin als Held nicht allein aus dieser Perspektive zu begreifen ist, wenn er schreibt: „Gagarin verband als Militär und Friedensbotschafter somit wie kein anderer sonst Vergangenheit und Zukunft, Oktoberrevolution, Zweiten Weltkrieg und kommunistische Zukunft symbolisch in seiner Person und verlieh damit dem sowjetischen Gesellschaftsprojekt und seiner Führung eine Legitimation und Glaubwürdigkeit, wie es wohl kaum sonst jemand tun konnte. Doch diese noch stark von stalinistischen Kulturmustern geprägte Kodierung seiner Person wurde gleichzeitig auch von anderen Narrationen kontaminiert, die mindestens genauso wirkungsmächtig wurden.“ (Schwartz 2017c, S. 342; Herv. v. mir)

  29. 29.

    Dass Gagarins Autobiografie(n) von Ghostwritern geschrieben wurden, das wird in der Forschungsliteratur immer wieder vermerkt, vgl. bspw.: Kowalski (2002, S. 71, 2011, S. 125 f.) Dies spielt in diesem Zusammenhang aber keine Rolle. Zentral ist: Innerhalb des Textes wird eine individuelle Erzählerinstanz stark gemacht, die an den:die Leser:in ‚im Namen Gagarins‘ appelliert.

  30. 30.

    Gleich zu Beginn von Mein Flug ins All beschreibt sich Gagarin selbst als einen „einfachen Sowjetmenschen“ (Gagarin 1961a, S. 5; Herv. v. mir). Indes argumentiert der Slawist Tom Jürgens, dass Gagarin gerade in diese Autobiografie als prototypischer ‚Superman‘ in Szene gesetzt werde: „In der Konzeptionalisierung seiner Person entspricht er dem Übermenschen nietzscheanischer Prägung, das für die monumentale Kultur der Sowjetzeit charakteristisch ist. Der ganzheitliche Typ des ‚Superhelden‘ tritt an Stelle des Fachmanns.“ (Jürgens 2004, S. 168) Zwar hat Jürgens vollkommen recht damit, dass Gagarin in dieser Autobiografie ein „gesamtheitliches Heldenbild“ (Jürgens 2004, S. 168) abgibt – er ist nicht nur ausgebildetere Industriearbeiter und Pilot, daneben auch extrem gebildet, liest sich durch den literarischen Kanon sowjetischer Hochkultur. Deswegen aber gleich auf einen ‚Übermenschen‘ im Sinne Nietzsches zu schließen, scheint mir kühn und, wenn überhaupt, sehr viel eher auf die Charakterisierung stalinistischer Pilot:innen zuzutreffen.

  31. 31.

    Die Geschichtswissenschaftlerin Richers meint, hier eine „große Kluft zwischen Bildsprache und Sprachbildern“ (Richers 2014, S. 34) ausmachen zu können. Richers behauptet, „dem Credo des Gewöhnlichen“ würden die Visualisierungen der Kosmonauten „diametral widersprechen“, da gerade auf Ebene der Visualisierung vor allem „stählerne[…] Supermänner“ zu sehen gewesen sein sollen (Richers 2014, S. 34). Dem würde ich, insbesondere mit Blick auf die Darstellungen Gagarins, widersprechen wollen. Gerade an dem Beispiel, das Richers selbst wählt, nämlich die Visualisierung Gagarins nach seinem Flug ins All, lässt sich besonders gut die gegenteilige Position stark machen, wie noch zu zeigen ist.

  32. 32.

    Das Porträt in Major-Uniform wurde selbstverständlich vor dem Flug angefertigt (und also bereits vor der eigentlichen Beförderung des Oberleutnants zum Major). Vgl. zu dieser Bild- und Beförderungspolitik: Kowalski 2011a, S. 124.

  33. 33.

    Recht pragmatisch lässt sich diese Limitation auch auf das zu Beginn recht spärlich zur Verfügung stehende Bildmaterial zu Gagarin zurückführen, vgl. dazu bspw.: Kowalski 2011a, S. 188 f.

  34. 34.

    Inklusive Rundfahrt durch Berlin in offener Limousine. Vgl. die Bilder zu diesem Besuch in: Keßner 1963. Dort heißt es u. a.: „Sie [Gagarin und Tereschkowa; SG] eroberten die Herzen der Völker. Fast 400 000 – Kinder, Frauen und Männer – säumten die Straßen unsere Hauptstadt, durch die sie fuhren. Bunte Lampions, bengalische Feuer, gleißende Scheinwerfer, Blumen, Fahnen – eine einzigartige Sinfonie von Licht und Farben. Und immer wieder Beifall, Hochrufe, Musik, Freude.“ (Keßner 1963, S. 17) Zwar fehlt hier das Konfetti, indes gleicht die Fahrt durch Berlin dem Modus einer Konfettiparade, wie oben beschrieben, doch auffallend.

  35. 35.

    In aller Ausführlichkeit wird solch ein Witz auf dieser Doppelseite referiert.

  36. 36.

    Dementsprechend entspricht es nicht den Tatsachen, was Lewis in ihrer (ansonsten weitgehend beeindruckend gut informierten) Dissertation über die Bildpolitik für den Fall Gagarins formuliert, wenn sie schreibt: „In the case of Yuri Gagarin, photographs of him and his family did not appear until after the heat of the technical and political coverage of his flight had died down.“ (Lewis 2008, S. 102; Herv. v. mir)

  37. 37.

    Gestwa zitiert (wenngleich ohne konkrete Quellenangabe) mit diesem Titel aus der sowjetischen Berichterstattung. Er schreibt dazu: „Die Bezeichnung ‚Kolumbus des Kosmos‘ wurde wohl zuerst von britischen Journalisten geprägt und von den sowjetischen Medienmachern anschließend begeistert übernommen.“ (Gestwa 2009, S. 121) Konkreter wird Matthias Schwartz, der einige Quellen aus der sowjetischen Presse diesbezüglich nennt, vgl. Schwartz 2017c, S. 336 f., 341 f.

  38. 38.

    Zumeist nachdem er mit seiner Familie in das sogenannten Swjosdnyj Gorodok [dt.: Sternestädtchen] nahe bei Moskau gezogen ist. Dort sind im Laufe der Zeit viele Kosmonaut:innen mitsamt Familien sehr komfortabel untergekommen – in Drei- bis Vier-Zimmer-Wohnungen, ausgestattet mit Radio, Fernsehen, Kühlschrank, Waschmaschine, vgl. zu einer genauen Liste der Ausstattung Gagarins: Gruntman 2011, S. 45, 48. In diesem ‚Sternenstädtchen‘ ist bis dato das Ausbildungszentrum für Kosmonaut:innen untergebracht. Vgl. zu Konzeption und Bau des Sternenstädtchens: Asse 2013, S. 122 f. Dort wird auch beschrieben, inwieweit es beim Sternenstädtchen um die Konzeption einer ‚neuen Stadt‘ mit ‚neuen Wohnanalgen‘ ging – und eben nicht darum, ein paar Auserwählten Luxushäuser mit eigenem Garten zu bauen (vgl. Asse 2013, S. 126).

  39. 39.

    Vgl. zu diesem Film ausführlicher: Schwartz 2017c, S. 352 ff. Dort wird auch beschrieben, dass im Zuge dieses Filmes sehr viele vorher noch nicht veröffentlichte Bilder Gagarins, insbesondere privat bzw. im häuslichen Umfeld entstandene Foto- und Filmaufnahmen zugänglich gemacht wurden, wodurch die weitere kulturelle Erinnerung an Gagarin entscheidend geprägt worden sei.

  40. 40.

    Gestwa schreibt zur Darstellung Tereschkowas „Die Heldin der Sowjetunion hatte weiblich und adrett zu wirken, aber keinesfalls sexy. Tereskova trug darum lockere, moderne, aber stets hochgeschlossene und schlichte Kleidung.“ (Gestwa 2009, S. 142) Indes wurde Tereschkowa kaum als Modell vorgeführt, aber zumindest war sie keinesfalls nur in hochaufgeschlossener Kleidung zu sehen (vgl. bspw. Abb. 6.15c–f). Und zumindest die Berichterstattung im ‚Westen‘ rezipierte sie auch nicht unbedingt nur als ‚adrette‘ Dame. Ein schlagendes Beispiel dafür liefert die Bild-Zeitung vom 08.12.1967. Dort heißt es im Begleittext zu einem Interview mit Tereschkowa: „Waletina ist so weiblich wie Seide – ich kann nach diesem Interview tatsächlich nur schwärmen. Sie ist schlank und sehr attraktiv. Ihr dunkles Haar hochmodern frisiert. Selbstverständlich benutzt sie auch Make-up und Nagellack.“ (Bild 1967) Oder auch bereits kurz nach dem Flug der Kosmonautin titelte das Life-Magazin am 25.10.1963 auf S. 36: She Orbits Over The Sex Barrier und fügt den Untertitel hinzu: A blue-eyed blonde with a new hairde stars in a Russian space specacular. Aber auch in der ‚Ost‘-Presse wurde Tereschkowa nicht immer hoch aufgeschlossen dargestellt, sondern darüber hinaus mit Attributen wie ‚schön‘ belegt. Vgl. etwa: Berliner Zeitung 1963. Unter dem Titel „Wie schön ist sie!“ findet sich dort ein Bild von Tereschkowa und dem Kosmonauten Waleri Bykowski. Beide sitzen in legerer Sommerkleidung auf einer Parkbank nebeneinander. Sie lächelt zur Seite und er schaut sie mit weit geöffneten Augen an. Die Kombination aus Überschrift und Bild legt nahe, dass das Zitat ‚Wie schön ist sie!‘ von der männlichen Figur auf dem Bild stammen muss, womit Tereschkowa zum Objekt der Begierde avanciert. Ironischerweise stellt sich dann im Fließtext heraus, dass das titelgebende Zitat von Tereschkowa selbst stammt. Sie bezeichnete damit während ihres Fluges die Erde.

  41. 41.

    Dass Gagarin diese Gegenstände tatsächlich besaß, das geht aus Geheimdokumenten des Ministerrats hervor, die Chruschtschow unterzeichnete. Laut diesen Dokumenten wurde Gagarin u. a. geschenkt: ein „Television set ‚Rubin‘ […] Radio-gramophone set ‚Luks‘ […] Washing machine […] Refrigerator […].“ (Gruntman 2011, S. 48) Auch Gagarins Eltern sollen diesen Dokumenten zufolge einen Fernsehapparat erhalten haben (vgl. Gruntman 2011, S. 48).

  42. 42.

    Jedenfalls findet sich keine solche Abbildung bis Mitte der 1970er-Jahre in den von mir untersuchten Zeitschriften und Zeitungen Ogonjok, Sowétskoe fóto, Technika – molodjoshi, Prawda und Komsomol’skaja Prawda.

  43. 43.

    Alle Autor:innen, die ich zu diesem Thema konsultierte, geben hier, wenn überhaupt, nur an, woher die Aufnahmen stammen bzw. wer die Rechte innehat, aber keine Veröffentlichungdaten. Das scheint mir deshalb erwähnenswert, weil diese Fotografien im Netz, aber auch in wissenschaftlichen Publikationen durchaus prominent sind und mit deren Erwähnung bzw. Reproduktion schnell der Eindruck entsteht, sie seien prominent gewesen auch damals in der sowjetischen Berichterstattung über Gagarin. Der Weg von dieser Implikation zur ex-post-Mythologisierung der Berichterstattung in den 1960er-Jahre über Kosmonaut:innen ist dann nicht mehr weit. Wenn etwa Jenks im direkten Anschluss an die Anekdote von Gagarins Leidenschaft für diesen Sportwagen formuliert, durch und in Gagarin werde die paradoxe Essenz der Vorstellung vom ‚neuen sowjetischen Menschen‘ reflektiert (vgl. Jenks 2014, S. 174 f.), dann vernachlässigt dieser Schluss zumindest den durchaus nicht irrelevanten Umstand, dass die Fotografien von Gagarin ‚mit seinem Matra‘ in der Sowjetunion niemals das Licht der Öffentlichkeit erblickt haben und es überhaupt keine massenmediale Berichterstattung darüber gegeben hat (zumindest nicht bis in die 1970er-Jahre hinein). Jenks lässt seine Leser:innen darüber im Unklaren, ob die ‚Reflexion‘, von der er spricht, nun so gemeint ist, dass sich darin eine bestimmte propagandistische Strategie zur Anpreisung eines bestimmten Menschenbildes widerspiegelt oder es nicht vielmehr darum geht, dass die Darstellung verdichtet ein Menschenbild zum Ausdruck bringt, völlig unabhängig von ihrer tatsächlichen Veröffentlichung. Ganz ähnlich liegt der Fall bei der Slawistin Iina Kohonen, die in ihren (ansonsten äußerst instruktiven) Analysen von Fotografien der Kosmonaut:innen häufig auf Archivmaterial zurückgreift, das in der Sowjetunion niemals veröffentlicht wurde, um ihre These von den domestizierten Kosmosheld:innen zu plausibilisieren. Die Autorin rechtfertigt ihr Vorgehen damit, dass die Fotografien zumindest „für die Veröffentlichung bestimmt“ (Kohonen 2014b, S. 87; Herv. v. mir) gewesen seien. Dass diese Fotografien indes niemals die Fotoarchive der Agenturen verlassen haben, weil sie eben gerade nicht den Vorstellungen entsprachen, wie ein Held oder eine Heldin in der Öffentlichkeit auszusehen haben, diese doch nicht völlig abwegige Gegenthese wird von der Autorin nicht einmal in Betracht gezogen. ‚Soviet Space Mythologies‘, um den Titel eines Buches von Slava Gerovitch aufzugreifen, gibt es so gesehen nicht nur als politische Propaganda der Sowjetunion, sondern auch in der Zeit nach der Sowjetunion – und zwar pikanterweise gestaltet von Personen, die vorgeben, über die ‚Soviet Space Mythologies‘ aufklären zu wollen. Eine Gegenmaßnahe zu dieser (Meta-)Mythologisierungstendenz kann eigentlich nur darin bestehen, entweder solche Fotografien überhaupt nicht als Quellen zu verwenden oder zumindest die Fotografien, von denen die Veröffentlichung oder die Veröffentlichungsabsicht ungewiss ist, als solche deutlich zu markieren. Zudem sollten solche Abbildungen nicht ins Zentrum der Argumentation gestellt werden, jedenfalls dann nicht, wenn es, wie in vorliegendem Fall, um die Berichterstattung während des Space Race geht. Deshlab habe ich mich bemüht, zumindest dieser (Meta-)Mythologisierungstendenz nicht zu folgen: Veröffentlichungsdaten werden – soweit bekannt – benannt; unsichere Quellenlage zumindest markiert; unsichere Quellen stehen nicht im Zentrum der Untersuchung.

  44. 44.

    Gagarin soll diesen Wagen als eines der Geschenke nach seinem Weltraumflug erhalten haben, vgl. Thompson 2008, S. 121; Grutman 2011, S. 45.

  45. 45.

    Auch in der bereits erwähnten ersten Autobiografie Gagarins, die noch im Jahre 1961 kurz nach Gagarins Flug erschien, ist eine Abbildung Gagarins mit Lollobrigida beigefügt, die ihr Treffen auf dem Moskauer Filmfestival dokumentieren soll (vgl. Gagarin 1961a, o. S.).

  46. 46.

    Chruschtschjow lässt auf einer Rede vor dem Zentralkomitee kurz nach Stalins Tod dementsprechend verlauten: „The firmly rooted stereotypes […] must be vigorously driven from the newspaper pages. […] [A]nd more thought must be given to […] form of presentation.“ (Zitiert nach: Buzek 1964, S. 84, Herv. v. mir)

  47. 47.

    Die Presseagentur wurde gegründet genau neun Tage vor Gagarins Flug in den Erdorbit (vgl. Roth 1980, S. 27; Rockwell 2006, S. 7 f.). Transglobaler Weltraumflug und globales bzw. zumindest transnationales ‚Sendebewusstsein‘ gingen so gesehen sogar zeitlich Hand in Hand. Nach Rockwell ist Gagarins Flug und die damit in Zusammenhang stehende Propaganda Verdichtung und Höhepunkt der neuen kommunikativen Verhältnisse unter Chruschtschjow, vgl. Rockwell 2006, S. 1 f.

  48. 48.

    Genauer müsste es eigentlich heißen: ‚Das ist in den sowjetischen Magazinen nur bedingt der Fall.‘ Auch dort gab es Werbeanzeigen, indes erstens sehr viel weniger als im Life-Magazine, zweitens kaum für Luxusgüter wie Fernseher, Plattenspieler oder Autos, sehr viel mehr für Zigaretten, Versicherungen oder auch Gewürzmittel (vgl. Cox 2003).

  49. 49.

    Glenn flog drei Mal um die Erde in knapp fünf Stunden. Titow war über 24 Stunden im All und flog dabei, wie der Titel seiner Biografie mit Hang zu großen Zahlen formuliert, 700.000 km durch den Weltraum (vgl. Titow o. J.)

  50. 50.

    Die Liste reicht von Statuen über Briefmarken, Zeitungsmeldungen bis zur verzögerten Live-Berichterstattung.

  51. 51.

    Daher waren es besonders Großereignisse, die übertragen wurden. Dazu zählte die Liveberichterstattung über Kennedys Begräbnis 1963. 300 Mio. Zuschauer:innen sollen diese auf vier Kontinenten verfolgt haben (vgl. Diszard 1966, S. 3). Zu denken ist auch an die Übertragung des Begräbnisses Adenauers aus Deutschland nach Amerika 1967, die immerhin 400 Mio. Menschen live im Fernsehen verfolgt haben sollen (vgl. Konzelmann 1967, S. 47). 1963 gab es zudem die erste transpazifische Fernsehübertragung von den USA nach Japan, 1964 Bilder der Olympiade in Tokio bereits – dank NASA-Satelliten – rund um die Welt, 1965 wurden Bilder der Gemini-Mission live nach Europa übertragen (vgl. Kunkel 2017, S. 40).

  52. 52.

    Die Zusammenarbeit von Intervision und Eurovision für Liveübertragungen im Kontext von Weltraumprojekten wurde im Übrigen 1962 wiederholt – und sogar ins All ausgeweitet. Die ostdeutsche Fernsehzeitschrift FF. Funk und Fernsehen der DDR berichtet in diesem Zusammenhang unter der Bezeichnung „Kosmovision […] Fernsehen von morgen“ von dieser Kopplung, die einen ersten Schritt zum „Fernsehen von morgen“, nämlich zur „Kosmovision“ sei: „Erstmalig erfolgte Fernsehübertragungen aus dem All für Millionen von Zuschauern über Intervision und Eurovision.“ (FF 1962, S. 29.) Der Artikel referiert auf die Übertragung des ersten Gruppenfluges im All, durchgeführt im Rahmen der Missionen Wostok 3 und Wostok 4.

  53. 53.

    Es handelt sich um ein Porträt, das von Gagarin lange vor seinem Flug aufgenommen und in der internationalen Presse ab 13.04.1961 häufig abgebildet wurde, bspw. auf den Titelseiten von Abendpost, Mladá Fronta, The Huntsville Times, Le Progrès.

  54. 54.

    Die Aufnahmen sind eindeutig auf Film gedreht, über den immer wieder eine Art televisueller Zeilenstreifen läuft, um den Eindruck einer televisuellen Aufnahme zu suggerieren. Zu Nachdrehs, Bildmanipulationen u. a. Bildbearbeitungsstrategien, die für die ‚Öffentlichkeitsarbeit‘ im sowjetischen Raumfahrtprogramm häufig zum Einsatz kamen, vgl. bspw. mit Bezug speziell auf Gagarin: Gerovitch 2015 oder auch die Dokumentation Gagarin 2012, vgl. auch umfassend im Kontext der Geheimhaltung und Zensur im sowjetischen Raumfahrtprogramm den Sammelband: Phelean 2013.

  55. 55.

    International wird die Sendung geführt als Little Blue Flame.

  56. 56.

    Dementsprechend wurde Glenn in der Show (knapp drei Stunden nach der Bekanntgabe, dass Sputnik erfolgreich in den Erdorbit gebracht wurde) auch nach den Chancen der USA im Wettkampf ums All mit der Sowjetunion befragt, vgl. Name That Tune 1957, vgl. Glenn selbst zu diesem Auftritt: Glenn 1999, S. 194, 241 ff.

  57. 57.

    Laut Hogan haben in den USA auf den drei großen Networks ABC, CBS und NBC geschätzt insgesamt 135 Mio. Menschen Glenns Flug im Fernsehen live gesehen. Bei Shepards Flug waren es ‚nur‘ 43 Mio. Damit schlägt die Zahl der Zuschauer:innen, die Glenns Flug verfolgten – wenn man Hogans Zahlen glauben schenken kann – sogar die Zuschauer:innenzahlen bei der ersten bemannten Mondlandung. Dort sollen es nämlich in den USA 125 Mio. gewesen sein, vgl. Hogan 2005, S. 73; Makemson 2009, S. 83.

  58. 58.

    Diese Form des Public Viewings wurde im Laufe der NASA-Missionen noch weiter ausgebaut. Apollo 11 erhielt schon etliche Riesenbildschirme nicht mehr nur in Hallen, sondern im Freien, etwa im Central Park.

    Weitere Großbildschirme sollen aufgebaut gewesen sein in London, Paris, Rom, Amsterdam, Tokio, sogar in Belgrad und Bukarest, vgl. Allen 2009, S. 144 f.

  59. 59.

    Zur (verhaltenen) Rezeption von Glenns Flug in der ostdeutschen Presse vgl. Krahl 2011, S. 59 ff. Und auch hier ist die Beobachtung der Beobachtung nicht fern. Wurde doch diese verhaltene Rezeption wiederum von der westdeutschen Presse beobachtet und sogleich kommentiert. Kral schreibt diesbezüglich: „In den westdeutschen Medien wurde die Reaktion der Medien im Ostblock durchaus beobachtet und kommentiert. Man beklagte die ‚demonstrative Geringschätzung‘ in den Medien und kritisierte die Platzierung der Meldung in den Nachrichten. Die Prawda brachte es erst auf der fünften Seite, in den Abendnachrichten war es gar die letzte Meldung.“ (Kral 2011, S. 60)

  60. 60.

    Glenn selbst spricht im Übrigen in seinen Memoiren auch von ca. 3500 Tonnen Papier, die die Sanitärbetriebe New Yorks danach aufkehren hätten müssen (vgl. Glenn 1999, S. 283). Dabei wurden indes zwar durchaus noch Börsenticker-Papierstreifen verwendet; seit den 1960er-Jahren treten aber zusätzlich und allmählich an deren Stelle Altpapier aus Aktenvernichtern und von der Stadt zur Verfügung gestelltes Konfetti, also kleine, meist bunte Papierschnipsel. Konfetti ist genau genommen eigentlich etwas anders als ticker-tape. Die heutigen ticker-tape parades haben mit ticker-tape nichts mehr zu tun. Allein der Name und der damit assoziierte ‚Schneesturm‘ sind geblieben.

  61. 61.

    Wiederum ganz ähnlich wie im Fall Gagarins: Auch dort wurde ja, wie gezeigt, nicht nur an die US-amerikanische Tradition der Konfettiparade angeschlossen, sondern genau besehen auf die Tradition der sowjetischen Pilot:innenfeiern der 1930er-Jahren in Moskau rekurriert, vgl. Konfettiparade für Gagarin.

  62. 62.

    Bei Schwoch ist bezüglich der Live-Übertragung des Flugs nachzulesen: „[T]he orbital flight of astronaut John Glenn on February 20, 1962, was watched live by 40 million TV homes in the United States […].“ (Schwoch 2009, S. 127) Und in der Fußnote dazu heißt es: „The Glenn flight of 20 February 1962 had the largest American daytime TV audience to that date […].“ (Schwoch 2009, S. 199) Hogan geht sogar von 135 Mio. Zuschauer:innen aus (Hogan 2005, S. 73). Vgl. generell zu dieser Perspektive auf die Berichterstattung über Glenns Flug: Werth 2005, S. 138 f.; Watson 1990, S. 123 f.; Cox, 1962, S. 192 ff.

  63. 63.

    Dennoch wird dies immer wieder behauptet und sogar als unmittelbare Reaktion auf Gagarins Flug interpretiert. So ist beispielsweise in einer Einführung in die Mediengeschichte zu lesen: „Der Sowjetunion gelang 1961 mit der europäischen Live-Übertragung des ersten bemannten Fluges ein Coup, auf den die USA 1962 mit ihrer ersten Live-Übertragung nach Westeuropa antworteten, die die erste Erdumrundung eines amerikanischen Astronauten zeigte.“ (Bösch 2011, S. 222) Einmal ganz abgesehen davon, dass Gagarins Flug nicht live im Fernsehen übertragen wurde, sondern ‚nur‘ die Parade zur Feier des ersten bemannten Flugs, würde es dennoch wunderbar zu meiner These der wechselseitig ‚konkurrierenden Imitation‘ passen, wenn aufgrund dessen Glenns Flug (oder die Parade für ihn in New York) transatlantisch nach Europa übertragen worden wäre. Leider entspricht dies aber ebenfalls nicht den Tatsachen. Indes wurde knapp ein Jahr später – heute weitestgehend vergessen – der Orbital-Flug des Astronauten Gordon Cooper tatsächlich (zumindest partiell) transatlantisch übertragen (vgl. Kunkel 2017, S. 111 f.).

  64. 64.

    Prinzipiell zur Asymmetrie gegenseitiger massenmedialer, besonders televisueller Beobachtung im Kalten Krieg vgl. Fickers 2016.

  65. 65.

    Nicht nur sollen viele Menschen die Kapsel selbst in Augenschein genommen haben, noch sehr viel mehr Menschen nahmen, laut Muir-Harmony, durch Fernsehsendungen in Augenschein, wie andere vor Ort die Kapsel in Augenschein genommen hatten. Muir-Harmony schreibt diesbezüglich: „Over the course of its three-month-long tour, Friendship 7 was seen by roughly four million people. Another twenty million people watched television programs about the capsule broadcast form the exhibition sites.“ (Muir-Harmony 2014, S. 16)

  66. 66.

    ‚Dritte Welt‘ meint hier weniger – wie heute üblich – wirtschaftlich unterentwickelte Länder, sondern dient vorrangig zur Bezeichnung solcher Länder, die keinem der beiden Machtblöcke zugehörig waren (wenngleich diese nicht selten tatsächlich auch ‚arm‘ waren), vgl. Dinkel 2017; Gödde 2013, S. 550 ff.

  67. 67.

    Mit dieser Perspektivierung widerspreche ich im Übrigen etlichen Interpretationsvorschlägen, die in diesem Kontext bereits unterbreitet wurden, vgl. Kauffman 1994, S. 36 f., 43 f.; Werth 2005, S. 72, 143 ff. 2006. Sehr viel näher kommt meiner Interpretation die Sicht McCurdys (McCurdy 1997, S. 90) und Launius‘ (Launius 2008, S. 183).

  68. 68.

    Gestwa scheint sich nicht entscheiden zu können, ob es sich bei der massenmedialen Darstellung der Mercury 7 um die Darstellung ‚gewöhnlicher Supermänner‘ handelt oder doch um die von „Cold War Warriors“ (Gestwa 2009, S. 131). Beides scheint schlecht zusammenzupassen – es sei denn, man differenziert unterschiedliche Typen aus. So war Glenn in der Life-Berichterstattung sicherlich sehr viel eher ein ‚gewöhnlicher Supermann‘ als ein ‚Warrior‘; hingegen Shepard eher ein ‚Warrior‘ oder doch zumindest ein kühner Lebemann. Dieser Differenzierung soll aber an dieser Stelle nicht näher nachgegangen werden. Wichtiger ist mir Glenns Darstellung als ‚sozialistischer Astronaut‘ in diesem Zusammenhang.

  69. 69.

    Glenn wird gerade auf dieser Ebene immer wieder auch in Differenz zu anderen Piloten gesetzt, die wohl sehr viel eher der Vorstellung rauer, wilder Pioniere entsprechen. So heißt es in einem Bildsammelband, der auf die Berichterstattung im Life- bzw. Time-Magazin zurückblickt, diesbezüglich: „So the seven Americans with the crisp Yankee names like Deke and Gus and Al and Gordo, with the military crew cuts that telegraphed seriousness and the mischievous smiles that telegraphed fast cars and hard drinking (important parts of the flyboy’s brief) were brought in to buck the nation up. And yet it was Glenn – the least mischievous, indeed the entirely unmischievous – who became the greatest among those ostensible equals. He was the only Marine, the only one of the men who didn’t drink, the one who had flown 149 combat missions in World War II and Korea […]. The other six, for all their efforts, could never touch that.“ (Time 2016, S. 71 ff.; Herv. v. mir)

  70. 70.

    Vgl. dazu Glenn selbst ausführlich in seinen Memoiren (inklusive ‚Fotobeweisen‘) zu seinen sportlichen Betätigungen: Glenn 1999, S. 263 f.; zum Vergleich seines ‚kleinen‘ Wagens im Verhältnis zu einem Sportwagen, wie in Shepard fuhr: Glenn (1999, S. 202); zur Disziplin generell: Glenn (1999, S 220 f.). Zur Leidensbereitschaft erzählt Glenn dort auch die Geschichte, dass er bei einem Überlebenstraining in der Wüste freiwillig und zusätzlich für sich selbst noch einen weiteren Schwierigkeitsgrad eingebaut habe: „[S]o for the first twenty-four hours I didn’t drink any water.“ (Glenn 1999, S. 225) Selbst Kaffee gönnte sich Glenn nicht. Er soll Postum getrunken haben, ein Kaffeeersatz ohne Koffein, vgl. dazu: Burgees 2015, S. 81. Dort wird der Nicht-Kaffetrinker Glenn dem Kaffee-‚Junkie‘ Carpenter gegenübergestellt.

  71. 71.

    Selbstredend ist der folgende Vergleich insofern schief, als von Gagarin zunächst keine Fotos der Vorbereitung seines Starts freigegeben wurden. (Wenngleich auch diese Beschränkung spätestens ein Jahr nach dem Start nicht mehr galt.) Nichtsdestotrotz sind unter den dann veröffentlichten Fotografien – soweit ich das recherchieren konnte – nur genau eine Abbildung während des Essens zu finden. Sie findet sich zum ersten Mal in dem kurzen Dokumentarfilm Nasch Gagarin aus dem Jahr 1971. Hier ist zu sehen, wie Gagarin ein Kaubonbon oder ein Kaugummi gereicht wird und wie er daraufhin lustvoll darauf herumkaut. Selbst hier wird also vor allem Nahrung als Genussmittel in Szene gesetzt. Gagarin aß und trank – will man den zirkulierenden Abbildungen Glauben schenken – vor und nach seiner Mission ins All vor allem Leckereien, keine Rede und nichts zu sehen von ballaststoffarmer Ernährung.

  72. 72.

    Dort wird eigens auf die „low residue food“ (Burges 2015, S. 83) aufmerksam gemacht, die Glenn vor seinem Star zu sich nahm. ‚Low residue food‘ sind Nahrungsmittel, die wenig Balaststoffe, vorwiegend wenig Kohlenhydrate enthalten, um so die Darmtätigkeit zu vermindern. Auch in der Fernsehberichterstattung wird immer wieder darauf eingegangen, was Glenn wann gegessen hat. So berichtet der zuständige Arzt vor dem Start den Reportern diverser Fernsehanstalten detailliert darüber, was Glenn heute zu sich genommen habe, nämlich Rührei, Filet, Fruchtsaft, Toast, Marmelade und das Kaffe-Ersatzgetränk Postum, also eine recht ballaststoffarme Mahlzeit (vgl. dazu die NBC-Sendung American in Orbit vom 20.02.1962). Glenn macht in seiner Autobiografie selbst immer wieder darauf aufmerksam, dass er (insbesondere vor dem Start) kohlenhydratarme Nahrung zu sich genommen habe (vgl. Glenn 1999, S. 246).

  73. 73.

    Wichtig war dies für die Missionen, da sich keine Toiletteneinrichtung an Bord befand und sich die Astronauten mit Windeln und kondomartigen Penisbehältern begnügen mussten, um Urin und Fäkalien zu entsorgen. Darauf weist auch Glenn in seinen Memorien hin. Dort wird explizit gemacht, warum die kohlenhydratarm Ernährung vor dem Start so wichtig gewesen sei: „low-residue foods“ waren vorgeschrieben „since space toilets had yet to be developed“ (Glenn 1999, S. 246). Vgl. zu diesem Problem ausführlich: Roach 2012, S. 313 ff.

  74. 74.

    Die Erinnerungen des Kosmonauten Aleksej Leonows sind im Übrigen ganz andere. Immer wieder kommt er in seinen Memoiren darauf zu sprechen, wie verwundert er darüber gewesen sei, dass die US-amerikanischen Astronauten (im Gegensatz zu den sowjetischen Kosmonaut:innen, wie ebenfalls immer wieder betont wird) Essen konnten, was sie wollten, ohne Kontrolle seitens der Weltraumbehörde. Leonow schreibt etwa: „Our diets [die, der sowjetischen Kosmonauten; SG] were carefully supervised. But the American astronauts seemed to do what they wanted, with nobody paying attention to what they ate […].“ (Scott und Leonov 2004, S. 345) Oder auch: „Throughout the time we spent training together it never cased to amaze me that the American team no idea what, where or when their astronauts ate.“ (Scott und Leonov 2004, S. 352) Schenkt man diesen Aussagen glauben, liegt in der ‚Causa Essen‘ eine deutliche Diskrepanz zwischen öffentlicher Inszenierung und tatsächlicher Praxis vor.

  75. 75.

    Auch in der Sowjetunion war dies eine gängige Praxis. So war bspw. Titow der Ersatzmann für Gagarin. Der entscheidende Unterschied ist aber, dass im Fall der US-amerikanischen Astronauten die Ersatzmänner mit in Szene gesetzt wurden. (Und auch hier gilt: Zwar trifft es zu, dass der Ersatzmann in der Sowjetunion erst einmal geheim gehalten wurde oder doch verschattet im Hintergrund zur Starrampe mitfuhr und so abgebildet wurde, aber bspw. auch nachdem Titow im All war, wurden keine Fotografien veröffentlich, die Gagarin und ihn gemeinsam beim Essen kurz vor dem Start zeigen.)

  76. 76.

    Gesteigert wurde das Ganze noch während des Flugs von Gordon Cooper. In diesem Fall wurden Bilder aus dem Inneren der Kapsel live ausgestrahlt – und waren sogar transatlantisch in Europa zu empfangen, vgl. Kunkel 2017, S. 110 ff.

  77. 77.

    Besonders auffällig ist an dieser Liste vor allem ein Ort, weil damals von den USA aus gesehen auf der anderen Seite des ‚Eisernen Vorhangs‘ gelegen, nämlich Belgrad. Indes ließe sich argumentieren, dass diese Destination so verwunderlich zur damaligen Zeit wiederum doch nicht war. Denn Jugoslawien hatte damals eine besondere Stellung im Ost-West-Konflikt inne. Vgl. dazu ausführlicher im Kontext eines Vergleichs der Besuche US-amerikanischer Astronauten und sowjetischer Kosmonauten in Jugoslawien: Vučetić 2011.

  78. 78.

    Bezüglich des Besuchs der Apollo 11-Crew in Belgrad schreibt Vučetić: „Yugoslavia was the only communist country they [die Apollo 11-Crew; SG] visited on that tour, and the astronauts’ visit to Belgrade was also one of their longest stays in one city (from 18 to 20 October 1969).“ (Vučetić 2011, S. 197) Zur Parade heißt es: „Upon arriving in Belgrade, the astronauts set off on a 10 km parade route from the airport, through the city center to the Monument to the Unknown Soldier.“ (Vučetić 2011, S. 197) Währenddessen wurden die Astronauten „showered with flowers“ (Vučetić 2011, S. 197). – Das dürfte wohl durchaus auch als Konfetti(‚flower‘)parade durchgehen.

  79. 79.

    In der Tat mussten für die Bilder vom Mond ein immenser Aufwand betrieben werden. Es ist nicht nur so undefined, dass bereits abgeschaltete Satelliten, wie etwa Early Bird, wieder reaktiviert werden mussten (vgl. Allen 2009, S. 145). Darüber hinaus musste ein World Wide Tracking Network installiert werden, das drei Empfangsschüsseln umfasste in Kalifornien, Madrid und Australien, jede mit einem Durchmesser von 26 m. Dieses Netzwerk umfasste darüber hinaus „100 locations worldwide“, die vernetzt wurden „using a combination of landlines, undersea cables, high-frequency radio and satellites sending digital data, Teletype and voice links across the network“ (Allen 2009, S. 32). Immobile wie mobile Akteure „including ships“ und „planes“ (Allen 2009, S. 32) gewährleisteten die Aufrechterhaltung des Systems. Damit verbindet Allen die These, dass solch ein immenser Aufwand und die damit verbundenen exorbitanten Kosten nur für Ereignisse betrieben und bereitgestellt wurden, die tatsächlich transnationale Relevanz versprachen. Mit anderen Worten: (Welt-)Medienereignisse sind so gesehen die Katalysatoren des globalen Fernsehens (vgl. Allen 2009, S. 145).

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Grampp, S. (2023). Imitative (Trans-)Globalisierung: Konfettiparaden für Jurij Gagarin und John Glenn (1961). In: Space Race Television. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-41400-9_6

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